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Full text of "Archiv der Brandenburgia, gesellschaft für heimatkunde der provinz Brandenburg zu Berlin"

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■■M 


IN  COMMEMOR^VTION  OF  THK  VISIT  OV 
HIS    KOYAI.  HIGHNESS 

PRINCE  IIENRV  OF  PRl  8S1A 

MARCH  SLXTII.I90X 

ON  HE  HALF  OF  IIIS  MAJESTY 

THE  GEKMAIV  EMPEHOR 


PRESENTKDBYARCIllLLVLD  i^-MCC  CiH^AlH^.K  PH. 
ASSISTANT  PROKKSSOR  OK  IIISTOHY 


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ARCHIV 

DER 

„BRANDCNBUR8IA'' 

GESELLSCHAFT  FÜR  HEIMATKUNDE 

DER 

PROVINZ  BRANDENBURG 

ZU 


Unter  lUtwlrkiiiig  des  MXrkisehen  ProTinzlal-Miiseuiiig 

herauBgogeben 

vom 

GkMllflohaftg  -Vorttands. 


5.  Band. 


liorlin  1899. 
Druck  und  Verlag  von  P.  Stnnkinwicz'  Bachdruckerei, 
Beraborgerairaase  14. 


Han'ard  College  Library 

Hohenzoilcrn  Coliection 
Gift  of  A.  C  Coolidge 


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Festschrift, 

dem 

VII.  ünternationalen  Seographen-Ksngres^  in  Bsrhn 

dargeboten  dareh  den 

Vontand  der  »Braiidenbiirgia^ 
Gesellschaft  für  Helmatkimde  zu  Berlin. 


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Vorwort. 


In  dem  gewaltigen  Gebiet  der  beschreibenden  Erkunde  nimmt  die 
Helmatkande,  als  Untergruppe  der  Landeskunde,  einen  bescheidenen  aber 

sicherlich  nicht  unintcK  .ssuntt'n  imd  bodeutuii^slosen  Teil  ein.  Denn  aus 
Teilen  setzt  sich  das  Ganze  zusammen,  und  nur  bei  eiuem  kleineren  Ab- 
schnitt desselben  ist  es  angesichts  des  Standes  unserer  jetugen  Erkenntnis- 
mittel  und  der  ▼erhältnismä.sRig  grossen  Zahl  der  Mitarbeiter  möglich, 
die  phy.sikalischen  und  kulturelluu  Erschoiuuugcn,  deren  Ergründung  und 
Beschreibung  das  eigentliche  Wesen  der  Erkunde  aosmacht,  wenigstens 
in  annähernder  YoUst&ndigkeit  und  Übersichtlichkeit  darzustellen. 

Dürfen  einei-seits  diese  Umstände  genügen,  um  die  Darbietung  der 
vorliegenden  beiden  wissenschaftlichen  Arbeiten  zu  rechtfertigen,  so  hoffen 
vrir  andererseits,  dass  selbst  ein  so  ansehnlicher  Kongress  hervorragen- 
«ler  Gelehrter  es  nicht  verschmähen  wird,  eine  Huldigung  von  Seiten  der 
Braudenburgia,  als  derjenigen  wissenschaftlichen  Gesellschaft  entgegen- 
zunehmen, welche  berufen  ist  und  es  sich  als  Ziel  gestellt  hat,  gerade 
den  deutschen  Landesteil  zu  erfoi*schen,  in  welchem  die  Versammlung 
tagt  und  aus  welchem  die  Hauptstadt  Freussens  und  die  deutsche 
Reichshanptstadt  hervorgegangen  ist 

Wie  die  OemeindebehGrden  der  letztem  es  mit  Recht  für  angezeigt 
erachtet  habeu,  dem  VII.  Interuationaleu  Geographeu-Kougress  einen 
topographischen  Führer  durch  Berlin  zu  widmen,  so  sei  uns  vergönnt, 
zwei  Abhandlungen  zu  überreichen,  von  denen  die  eine,  im  Gebiet  der 


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—    VI  — 

l)}i>sikaliscben  Erdbeschreibnng,  den  fftr  das  Oberflächen-Relief  der 
Provinz  bedeutsamen  Landstrich  zu  beiden  Seiten  der  Spree  vom 
Scbwieloch-See  abwärts  bis  zum  Berliner  Thal,  die  andere,  im 
Qebiet  der  knltarellen  Erdbeschreibmig,  das  märkische  Banernhaas 

umfasst. 

Wir  schliessen  mit  den  herzlichsten  Wünschen  für  den  Erfolg  des 
Kongresses  und  das  Wohlgedeihen  der  geographischen  Wissenschaften. 

Berlin  im  September  1899. 
Vorstand  der  Brandenburgia,  Gesellschaft  für  Heimatkunde. 

Im  Auftrage: 
Ernst  Priedel, 
Stadtrat  von  Berlin,  Geheimur  Regierungsrat. 


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Die  Bauernhäuser  In  der  Mark 


Mit  88  Abbilduugeii. 


Von 

Robert  Mielke. 
« 


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Einleitung  zu  „Bauernhäuser  in  der  Mark''. 


Diese  Schrift  üImt  das  iiiärkisclu'  Bauernhaus  hat  bereits  eine 
Vorg&ngeriD,  die  in  den  Schriften  der  GeseUschaft  fär  Heimatkunde  der 
Hark  Brandenbarg  erschienen  ist.    Sie  nnterscheidet  sich  jedoch  von- 
derselben  nicht  nnwesenflich.    Teils  ist  der  Stoff  anders  geordnet  nnd 

dnrch  neue  Forschungen  erweitert,  teils  sind  auch  seine  Grenzen  dnrcb 
die  Kapitel  üher  die  Kunstformen  und  über  die  Hausiiischrit'ten  ge- 
waciisen.  Gern  hätte  ich  auch  eine  Zusanunenstelhini;  aller  in  der  Mark 
vorkommenden,  auf  den  Hausbau  bezügliclien,  Ausdrücke  hinzugefügt; 
doch  fehlen  mir  dafSr  noch  einige  sehr  wichtige  Eiigänzungen.  Wenn 
ich  daher  dieses  Kapitel  aufgelöst  nnd  in  den  Text  mit  hineingeflochten 
habe,  so  konnte  ich  das  am  so  eher  thnn,  als  hoffentlich  der  letste  Ge- 
danke, der  den  Altmeister  Märkischer  Forschung,  W  ilhelm  Schwartz, 
beschäftigte,  ein  märkisclies  Idiotikon  zu  ermöglichen,  mit  seiiii'iii  'l'ode 
nicht  begraben  sein  wird.  Ferner  habe  ich,  abweichend  von  moiner 
früheren  Schrift,  mich  darauf  beschränkt  nur  Tbatsächiiches  zu  bringen; 
wo  ich  wie  bei  dem  ostdeutschen  Hanse  auf  verwandte  Beziehungen 
hinweise,  geschieht  es  mit  der  Znrfickhaltung,  die  bei  solchem  auf  nur 
persönlicher  Anschanung  erlangten  Urteil  geboten  ist 

Berlin,  den  14.  August  1899. 

Robert  Mielkc. 


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Inhalt. 


Seit« 

1.    Geographische  Verbreitung  der  Arten   1 

•2.     Der  Wirtachaftahuf   3 

3.  Die  einzelnen  Arten   5 

A.  Das  sächsische  Haus  und  seine  Abwandlungen    5 

a.  Der  reinsachsiscbe  Typus   5 

h   Dn«  mflrkiHphf»  Diplpnliflii«  .  .  ,  ■   .   .    .   7 

c.  Das  Hans  der  Nutho  Nioplitz  Niederung  •  .  .  9 

B.  Diis  frttnkischo  Haus  und  seine  Abwandlungen    13 

a.  Dbs  rfiinfritnkisclu»  Hans     13 

b.  Daa  wendischn  Hans   18 

C.  Das  ostdeutsche  Haus   20 

4.  BflUBtoffe  und  Kunstformen  ■   24 

ft.    Hausinschriften   'M 

fL  I.itteratnr  »  .  88 


1.  Geographische  Verbreitung  der  Arten. 


Das  Verhältnis  der  einzelnen  Grupiion  ist  nur  annähernd  zu  1)P- 
stiinnu-n,  da  sie  einerseits  sich  liier  und  dort  derartig^  vennischen,  dass 
von  dem  Vorwiegen  des  einen  Typus  keine  Rede  sein  kann,  und  auch 
andrerseits  das  tränkische  Haus  heute  Gebiete  besetzt  hat,  die  einst  vou 
anderen  eingenonnnen  waren.  Im  allgemeinen  können  wir  —  um  hei 
den  einmal  üblichen  liczeichnuniicn  zu  bleiben  —  für  die  Mark  den 
sächsischen  und  den  tränkischen  Ty|ms  beanspruchen,  denen  >ich 
jedoch  einzelne  Abwandlungen  und  der  ostdeutsche  anschliessen.*) 

Das  sächsische  Haus,  in  allen  seinen  charakteristisi  In  ii  Ziigen, 
ist  noi'h  heute  im  Westen  und  an  den  nördlichen  Kiindern  der  i'rie^.niitz 
vorhanden,  von  welchem  Gebiet  allerdings  ein  erheblicher  Teil  in  den 
Bezirk  der  Lenzer  Wische  (Lenzen,  Seed(.)rf,  Mödlich,  Gross- 
Wootz,  Kietz)  fallt.  Südlich  der  Linie  Lenzen,  Pritzwalk,  Freien- 
stein scheint  es  heute  nicht  mehr  vorzukommen,  wahrend  sich  nördlich 
neben  noch  vorhandenen  (Warnow,  Tellschow,  Krempendorf) 
wenigstens  das  einstige  Dasein  (Mansfeld,  Frehne)  hat  feststellen 
lassen.  Dahingegen  ist  der  südliche  und  mittlere  Teil  der  Mark  von 
einem  Hause  durchsetzt,  das  sich  als  eine  Abwandlung  des  sächsischen 
Urspmngshaoses  erweist.  Es  stosst  im  Süden  an  den  Fläming,  wird 
dstiteh  znnächst  von  der  Nnthe,  dann  von  den  gewaltigen  Niederungen, 
die  sich  von  Trebbin  bis  an  den  Teltower  See  hinziehen,  begrenzt,  und 
verliert  sich  nördlich  von  Berlin  in  ungewissen  Linien;  doch  schdnt  es  die 
Linie  Berlin— Joachimsibal-'Prenzlan  und  nach  Norden  Prenzlan— Rheins- 
beiig  nicht  zu  überschreiten.  Es  tritt  auch  nicht  über  die  Oder,  sondern 
bleibt  dem  Flnsslanf  noch  erheblich  fem.  Ehemals  wird  dieses  Haus 
das  eben  umgrenzte  Gebiet  mit  Einschlnss  Berlins  vollends  ausgefüllt 


*)  leh  vemMidB  hier  den  ?<m  Hemüng  und  Meiteen  betonten  ZutinunenhMig 
mit  den  nordfichen  Hana^  tun  hier  mOgUdut  die  Ortilchen  Verbindnngsiflee  her- 
nurteUen. 

1 


2 


Robert  Mielke: 


liaben,  honte  muss  es  indesseu  die  Herrscliaft  mit  dem  fränkischea 
nicht  nur  teilen,  sondern  es  weicht  vor  ihm  steti^^  zurück. 

Das  fränkische  Haus  steht  an  Ausdehnung  allen  anderen  voran; 
es  hat  sicli   überall  einj^enistet  und  den  Zusammenhaiig  der  übrii^eu 
gesprengt.    Dafür  fehlt  ihm  aber  selbst  der  Vorzug  einer  freschlosscneu 
Lage.    Selbst  da,  wo  es  am  weiiiusten  von  anderen  Typen  durchsetzt 
ist,  in  dem  Strich  zwischen  ßrandcFiburg  uud  Berlin  und  seiner  Fort- 
setzung nach  Frankfurt  a.  O.  zu,  sind  die  BnutcTi  nicht  von  nltertüm- 
licheni  Gepräge.    Es  scheint  nach  allem,  als  ob  der  friinkist  he  Typus 
erst  später  eingewandert  sei  als  der  sächsische.   Im  Süden,  im  Anschluss 
an  die  Hesiedelungsverschiebuog  der  Provinz  Sachseii,  ist  er  allerdings 
schon  sehr  früh  aufgetreten;   hier  liat  sich  jedocli  sein  Äusseres,  wenn 
auch  mit  BeibelialUing  der  fiiiukischen  Eigent liinlichkeiten,  zu  einem 
neuen  fremdartigen  Gebilde  herausgestaltet:  dem  Haus  der  wendiscli- 
lausitzschen  Bevölkerung,  dem  aber  augenscheinlich  von  dieser  Bevölkerung 
auch  eigene  Elemente  beigemischt  wnrden.    Die  Grenze  dieser  Abart 
verläuft  westlich  von  Zahna  über  Jüterbog  -  Teupitz—Storkow— Fürsteu- 
walde— Frankfurt— Drossen-^Limdsberg  a.  W. — Woldeuberg  nach  Neu- 
stettm  bin.  Östlich  ist  die  Ansdehnung  nicht  festgestellt;  sie  scheint  sich 
hier  in  schwer  zu  verfolgenden  Linien  in  den  ostdeutschen  Typus  sn 
verlieren.  Für  die  Mark  ist  der  ostdeutsche  Typus  der  dritte,  welcher 
in  Betracht  kommt,  wenngleich  er  auch  weniger  zahlreich  sich  erhalten 
hat  als  die  anderen.  In  mehrfacher  Anzahl  sind  Häuser  dieser  Art  nur 
noch  in  einzelnen  Oderddrfem  <Rädnitz  bei  Grossen,  Blessin,  Güste- 
biese,  Alt-Lietzegöricke,  Z&ckerick)  vorhanden.  In  anderen  (Alt- 
RQthnick)  sind  sie  noch  vor  Menschengedenken  benutzt,  aber  durch 
Brand  vernichtet  oder  durch  Umbau  uokenntlich  geworden.  Doch 
haben  sich  vereinzelte  Exemplare  noch  über  die  ganze  Neumark  hin  bis 
in  das  südliche  Pommern  und  in  dem  westlichsten  Zipfel  ^Stranz)  West- 
preussens*)  erhalten,  um  den  Zusammenhang  mit  dem  östlichen  Stil- 
gebiet  zu  belegen.  In  der  Neumark  drängen  sich  die  Orte  mit  diesen 
Hänsern  enger  zusammen  (Nahausen  und  das  benachbarte  aber  pom- 
mersche  Roderbeck,  Jädickendorf,  Butterfelde,  Gross-Wubiser, 
Zorndorf),  um  von  hier  aus  westwärts  durch  die  Uckermark  (Nieder- 
Finow,    Liepe,    Hohenkränig,   Parstein,    Neu  -  Künkendorf, 
Zichow,  Gerswalde,  Alimsmühle,  Stolzenhagen,  Brodowin, 
Lüdersdorf,    Lünow)    bis    in    den    Ruppiner   Kreis   (Rüth  nick, 
Linum)  und  in  die  Nähe  Berlins  (Schönfliess,  Giesendorf)  sich 
vorzuschieben.**) 

*)  lu  Straiiz  hörte  ich  von  einem  er.  30jälir.  Knecht,  dass  sein  Grossvater  solche 
Httnser  vielfacb  noch  gelMnt  habe,  „weil  er  eigentlich  aodere  nicht  bauen  konnte". 

**)  Man  bat)  weil  in  diesen  durch  eine  nichtige  Lanbe  atugeseichneten  Häusern 
heute  vielfach  eine  Gastwirtschaft  betrieben  wird,  geltend  gemaebt,  dass  die  Laoben* 


Die  B«neiiihiiiMr  in  dir  Hark. 


3 


Aach  die  Nfthe  Berlins  bat  auf  die  tunliegende  Bauart  dadurch  ein- 
gewirkt, daas  das  fränkische  Wohnhaas  einen  mehr  städtischen  Charakter 
erhalten  liat,  zu  dem  nicht  selten  eine  vorgelegte  massive  Treppe  bei- 
trägt. Diese  in  ihren  ältesten  Vertretern  etwa  erst  3  Jahrzehnte  alten 
Baulichkeiten  scheiden  hier  jedoch  ans,  da  sie  sich  zu  einer  voiks- 
tüMili(  luMi  Eigenart  bisher  nodi  nicht  entwickelt,  vielmehr  Willkür  and 
Mode  die  letzten  Keste  einer  solchen  hinweggespült  haben. 


Wo  von  einem  regelrechten  Wirtschaftshof  die  Rede  sein  kann, 
d.  h.  überall,  wo  sich  nicht  das  sächsische  Haus  in  anveränderter  Gestalt 
erhalten  hat  nnd  wo  für  bestimmte  Zwecke  auf  einen  solchen  verzichtet 
worden  ist,  da  folgt  derselbe  dem  bekannten  fränkischen  Vorbild  (Abb.  1,  2). 
Nach  der  Strasse  zu  der  mit  grosser  und  kleiner  Einfahrt  versehene  Zaun 
oder  das  Thorhaos,  parallel  zu  ihm  die  öchemie,  links  mit  dem  Giebel 


der  Strasse  zugekehrt  das  Wohnhaos  and  rechts  ihm  gegenüber  der  Stall. 
Wenn  sich  in  der  SteUnng  des  Wohnhauses  fiberhanpt  ein  bestimmter 
Unterschied  verfolgen  lässt,  dann  scheint  dasselbe  in  dem  n5rdlich«i 


käuBer  erat  spät  und  aus  gewerblichen  Bcdürlnissen  eotätanden  seieo.  Dagegen 
^pveehen  vendiledene  TbAtaaehen:  1.  Dm  VorliBodfiauialii  in  bo  vielfacher  Amabl 
imiMrbalb  eb  und  dewelben  Oites  (in  Zlckeriek  nech  vor  4  Jahren  7  Httiuer);  2.  die 
Giebelfigar,  welche  niemals  aus  gekrenaten  Windlatten  Bondern  aus  einem  sc  nkrL  chten 
Brett  entwickelt  ist;  3.  dasa  bei  markischen  Gasthöfen  fränki^<  i  .  r  Art  «  benfiilLs  »  ine 
Laobe  hantig  mt  —  aber  an  der  Langseite.  Ich  schhesse  vieluicbi,  daäs  gerade,  weil 
die  Laabfl  idch  geeignet  erweist  füi  den  Gasthof,  so  viel  einzelne  Exemplare  sich 
innerhalb  einer  gana  anderen  Umgebung  gehalten  haben. 


2.  Der  Wirtschaftshoi 


1.  Dallgew. 


Digiii^uu  by  G(.)0^1c 


4 


TM 


JDet Jrt  t  m  st  I . 

8.  Beichow. 


Teil  der  Ihlark  meistens  auf  der  linken  Seite,  im  südlichen,  in  der 
wendisch-lansitziscben  Gegend,  auf  der  anderen  Seite  zn  stehen.  Dabei 
ist  fast  immer  die  Anordnung  im  Quadrat  beliebt;  Abweichongen,  durch 
einen  Graben  oder  eine  spätere  TeQung  des  Hofes  hervorgerufen,  sind 
selten  und  von  den  verschiedensten  Zufälligkeiten  abhängig.  Ver- 
einzelt kommt  das  Wohnhaus  mit  der  Langseite  parallel  zur  Borfetrasse 
vor,  dann  aber  ist  der  Hof  meistens  erst  ans  der  Yergrösserung  des 
landwirtschaftlichen  Betriebes  entstanden.  Ursprünglich  nur  ein  kleines 
Anwesen,  in  dem  der  Stall  unter  dem  Wohnhausdach  sich  befond,  ist 
der  Hof  durch  Zuban  entwickelt  worden.  Namentlich  hat  die  Nähe 
Berlins,  die  auch  kleinere  Wirtschaften  mit  der  Zeit  sehr  ertragföhig 
machte,  auf  die  Entstehung  solcher  Wirtschaftehöfe  eingewirkt 

Vor  der  Giebelseite  des  fränkischen  Wohnhauses  ist  fast  immer 
ein  kleiner  Hausgarten,  der  —  wenn  er  auch  hier  und  da  nur  fQr 

Gemüse  angelegt  ist  —  in  den  weitaus 
meisten  Fällen  auch  für  Ziersträucher 
Raum  hat.  Selbst  bei  kleinen  Eossäten 
fehlt  dieser  Garten  nicht.  Ist  nicht  ein 
schmaler  Streifen  vor  der  Langseite  dazu 
bestimmt,  so  fehlt  er  wenigstens  nicht 
rechts  oder  links  vom  Hause.  Auf  dem 
Hofe  befindet  sich  die  Dnnggrube,  meistens 
nur  eine  schwache  Vertiefung,  bisweilen 
aber  mit  Spundwänden  regelmässig  ein- 
gefasst  In  diesem  Falle  läuft  ein  regel- 
rechter Fusssteig  am  Stall  und  an  der  Scheuer  vorbei  (Reichow,  Abb.  8). 
Für  die  Brnnnenanlage  lässt  sich  nur  schwer  eine  bestimmte  Anordnung 
nachweisen;  es  sei  denn,  dass  sie  in  mdglichste  Nähe  des  Hauses  gerückt 
ist.  Nur  im  Osten,  im  Süden  und  vereinzelt  in  der  Priegnitz  ist  der 
grosse  hebelartige  Brunnenbaum  beliebt,  um  das  Wasser  aus  dem  mit 
Bohlen  bekleideten  Senkschacht  heraufzuwinden;  man  begnügt  sich  in 
den  anderen  Teilen  der  Mark  mit  einer  einfachen  Stange.  Die  Nähe 
Berlins  hat  dann  auch  diese  urwüchsigen  Brunnenanlagen  durch  Schwengel- 
brunnen, seltener  durch  Abessinier,  verdrängt. 

Auch  das  sächsische  Haus  hat  sich  diesem  fränkischen  Gehöft  zu- 
meist anbequemt.  In  der  Priegnitz,  wo  sich  noch  am  häufigsten  der 
rain  sächsische  Typus  erhalten  hat,  geschieht  dies  noch  zögernd  unter 
Betonung  des  alten  Sachsenhauses  als  Wohngebäude.  Die  Scheuer  steht 
dann  rechtwinklig  in  der  Tiefe  des  Hofes  zu  diesem  und  der  Stall  ihm 
gegenüber.  Nur  der  Pferdestall  ist  häufig  dem  Wohnhause  derart  vor^ 
gebaut,  dass  er  das  alte  grosse  Einfahrtsthor  auf  der  einen  Seite  flankiert 
(Gross-Wootz,  Mödlich).  Vereinzelt  wird  allerdings  auch  ein  neues 
Wohnhaus,  und  dann  mit  der  Langseite  der  Dorfstrasse  zugewandt,  er- 


L/iyitizuü  by  Google 


Die  Bauernimuser  üi  der  Mark. 


5 


richtet,  und  das  alte  in  Ställe  iim^owandelt  (WarnoNV,  Krt' ni  i»en(l()rf). 
In  der  Mittelinark  hat  sich  das  säclisische  Haus  zu  oiruMu,  wie  nocli 
ausgefiilirt  werden  wird,  ganz  örtliclien  S(»ndertypus  der  Mark  um- 
gestaltet, hei  dem  das  Kleinvie]i  hier  und  (hi  noch  unter  dem  Wolmhaus- 
dach  geblieben  ist,  für  die  andereu  Erfordernisse  jedoch  alle  Bauten 
dem  fränkischen  Vorbilde  folgen. 


3.  Die  einzelnen  Arten. 
A)  Das  sftehsisehe  Hans  und  seine  Abwandlungen. 

a)  Der  rein  sächsische  Typus. 

Von  der  urw  üchsigen  säclisischen  Art  mit  Diele,  Stall  und  Wohaungen 
unter  demselben  Dach  sind  nocli  ganze  Dörfer  in  dem  äussersten  nord- 
westlichen Zipfel  der  Mark,  der  sich  in  den  von  Elbe  und  Löcknitz  ge- 
bildeten Winkel  hineinschiebt,  vorhanden.  Wir  finden  hier  Uäa8er(Abb.4-6), 


i.  MOdUoh.  6l  M «dliflli.  9.  WurDOw. 


die  noch  aus  dem  17.  Jahrhuudt'rt  stauimen  (Haus  des  Mertens  in 
Mödlich  lf)26),  die  also  noch  alle  Bedingungen  einer  verhalt nisin;is>ig 
frühen  Entwirkeiun":  an  sich  haben.  Der  Herd  ist  allerdinf4>  luuitig  ver- 
ändert, wie  aiK  Ii  die  Stalle  /umeist  einn:esclir;inkt  sind:  aber  noch  vor 
wenigen  Jahren  zog  der  Rauch  durch  d;is  fjanze  llnus,  aMes  mit  einem 
dicken  Russ  l»elegend  und  :ius  dem  Rauchlocli,  dem  „Ulenlorh  -,  ent- 
weichend, oder  schauten  die  Rinder  in  die  Diele.  Die  erste  und  durch- 
greifendste Änderung  ging  mit  dem  Herde  vor,  der  an  die  Rückwand 


üigiiizeü  by  Google 


6 


Bobert  Mielke: 


gerflckt  wurde  und  zwei  oben  rnodbogig  geecblosBene  Settenmanern 
erhielt,  wobei  der  hier  und  da  vorhandene  «Speck wiem"  flberflfissig 
wurde.  Der  Rauch  wird  durch  eine  obere  Öffnung  in  denSchomstoin  geleitet 
Diesen  allgemein  als  „Schwibbogen**  (Abb.  7)  gekannten  kaminartigen 
Herd,  findet  man  auch  im  benachbarten  Hannover  und  Mecklenburg,  wo  ich 
ihn  bis  in  die  Nähe  von  Wamemfinde  verfolgt  habe;  seine  Ausbildung  muss 
also  wohl  schon  sehr  frühe  erfolgt  sein.  Hin  ond  wieder  hat  er  auch  einen 
kleineren,  ebenso  gestalteten  Nachbar,  der  för  die  Alt- 
sitzer  bestimmt  ist.  Ein  alter  niedriger,  steingemauerter 
Herd  war  noch  vor  einem  Menschenalter  ib  einem  Möd- 
licher Hause;  er  musste  wie  viele  seiner  Art  weichen, 
weil  die  Dorfstrasse  nach  der  anderen,  dem  Deiche  zu- 
gewandten, Seite  der  Häuser  verlegt  wurde.  Dadurch  wurde 
7.  sohwibbogaa.  ^.^         mittlere  Stube  zu  einem  Durchgang  gemacht» 

dem  auch  der  Herd  zum  Opfer  fallen  musste.  Der  Herdraum,  das 
«Fl et**,  dessen  Namen  ich  übrigens  für  die  Mark  nicht  belegen  kann, 
ist  mit  der  Schaffung  des  «Schwibbogens**  zum  Teil  zu  einem  Küchen- 
räum  geworden,  der  bisweilen  eine  Seite  für  eine  Stube  hat  hergeben 
müssen  (Warnow).  In  dem  Hanse  des  Fehrmann  in  Mödlich,  1793 
erbaut,  ist  er  noch  durchgängig,  an  anderen  Stellen  (Seedorf)  ist  auf 
einer  Seite  ein  alkovenartiger  enger  Verschlag,  der  «Butz*,*)  eingebaut, 
der  zum  Schlafen  dient.  Auch  in  den  Stuben  ist  ein  solcher  Schlaf- 
alkoven an  älteren  Häusern  noch  in  Gebrauch  (Warnow). 

Das  Bestreben,  die  Stuben  auf  Kosten  der  Ställe  zu  erweitem,  hat 
auch  den  Tennenraum  in  der  Weise  vielfach  umgestaltet,  dass  die  einst 
offenen  Wände  nach  der  Diele  zu  geschlossen  wurden,  dass  sie  selbst 
soweit  in  die  Diele  hineingezogen  worden  sind,  um  hier  nur  noch  einen 
breiten  Gang  übrig  zu  lassen.  Dadurch  ist  die  spätere  Entwickelung, 
die  ich  das  «märkische  Dielenhaus"  nennen  möchte,  schon  in  ihren 
Grundzügen  eingeleitet.  Nur  der  Pferdestall  behauptet  noch  zähe  die 
alte  Dachgemeinschaft;  wenn  es  nicht  anders  ging,  auch  in  der 
hannoverschen  und  oldenbui^schen  Form,  dass  das  Walmdach 
beiderseits  von  der  Dielenthür  heruntergezogen  und  durch  Fachwerk- 
wände gestützt  ist  (Gross-Wootz).  Dadurch  hat  der  Eingang  des 
Hauses  einen  offenen  Vorplatz,  «den  Vorschuer**,  erhalten,  der  auf  dem 
gesamten  Gebiete  des  sächsischen  Hauses  nicht  fremd  ist.  Als  letzte 
Entwickelung  tritt  dann  der  Pferdestall  als  selbständiges,  mit  be- 
sonderem Dache  versehenes,  Vorhaus  auf,  das  aber  noch  durch  eine 
Thür  von  dem  Haupthanse  aus  zu  betreten  ist  (Gross-Wootz). 


")  Kin  Wort,  das  t*l»enso  in  Braunschwei;:,  im  ])cnftLiibarten  hannov.  Wi-ndlando 
Mrie  in  Friesland  wiederkehrt.  Vgl.  Andr^,  Braunschw.  Voikskonde  S.  110,  Hennig, 
HaoDovv  Wendland  S.  86,  Lanns,  Das  friesifche  Baoerobaiui  S.  7. 


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Die  BatMmhftuser  in  <lur  Mark. 


7 


Das  Korn  wird  noch  anf  dem  offenen  Gebälk  der  Diele  unter- 
gebracht, wenn  nicht,  was  allerdings  sehr  häufig,  eine  besondere  Scheune 
errichtet  ist  Auch  bei  dieser  ist  das  Dach  bisweilen  anf  beiden  Seiten 
der  Schennenthfir  heruntergezogen,  um  die  Kornspeicher  zu  erweitem. 

Eine  abgesonderte  Entwickelung  vom  sächsischen 
Hause  scheinen  die  grossen  Schafställe  genommen  su 
haben,  die  man  anf  den  weiten  Wiesen  der  nord- 
brandenburger  Luche  antrifft.  Es  sind  nicht  mehr 
viel  vorhanden;  sie  sind  aber  darum  vielleicht  sehr 
beachtenswert,  weil  sie  zeigen,  wie  das  Sachsenhaus 
für  einen  ganz  bestimmten  Zweck  umgebildet  worden 
ist  Den  Hanptranm  des  zwischen  Friesack  und 
Na  ekel  gelegenen  Stalles  (Abb.  8)  nimmt  der  Schaf- 
stall ein,  dessen  für  Futter  bestimmter  Dachranm  von 
2x3  Stielen  getragen  wird.  Die  Wohnung,  bestehend 
aus  2  Wohnräumen  und  der  Herdstelle,  liegt  am 
anderen  Ende  des  Hauses  und  hat  noch  einen  besonderen  Vorflur,  von 
dem  ans  der  Stubenofen  geheizt  wurde.  Das  nicht  mehr  benutzte  Ge- 
bäude stammt  etwa  aus  den  zwanziger  Jahren  dieses  Jahrhunderts.*) 


1  y..H*/mf 

Jtuif  \ 

SimM 

8  Vrimek* 


b)  Das  märkische  Dielenhaus. 

Wie  srhon  erwähnt  (Mtullicli:  Fchrniaiin  1703,  Mertens  ir>iMl) 
strebte  die  Entwiekelung  »ics  sächsischen  Hauses  darauf  hin,  die  Ix  ider- 
seit,s  der  Diele  gelegenen  Ställe  zu  \V<»hnziiuniern  und  diese  zu  einem 
Gange  zu  verringern.  Welclu'  w.  iteren  Unistiiude  dazii  beitrugen,  die 
Wobnräunie  selbst  nach  dei-  (iiclu'lscite  zu  verlegen,  ob,  wie  in  den 
Dörfern  der  T^enzer  Wischt',  die  Änderung  der  Dorfstrasse  oder  die  Er- 
wcitcruiiij  dieser  zu  »'iucin  grossen  Handels-  und  Ileerwege  hier  die 
Eutwickt'lung  beeinllu>stcn,**)  sei  dahingestellt;  jedenfalls  haben  wir  bei 
einer  und  zwar  zum  Teil  sehr  alten  Abart  des  Dielenhauses  clie  Er- 
«choiming,  dass  sowohl  das  Thor  zur  Thüre,  die  Diele  zum  Gange 
zusannnengeschruiiijtfeii,  und  die  Wohnstube  nach  der  Strassenseite  verlegt 
ist.  T>ass  auch  die  Dreiteilung  ih'S  Grundrisses,  die  ja  von  fast  allen 
S<  hilderei-n  des  sächsischen  Hauses  hervor^  hohen  ist,  nicht  verwischt 
wird,  kann  ebeufalls  nicht  ohne  JJedeutung  sein. 


*i  Nach  mi'iner  Kenntnis  halten  <lie  Scliafr^Uillo  «ler  I.iuieburj;tr  Hci.Ie  niflit 
die^e  Ausbildung;  ich  will  aber  dabingestellt  sein  iusscu,  wiu  weit  wir  es  liier  mit  einer 
beBonderen  bnuidenboiger  Fonn  za  thnn  haben. 

**)  Anffallend  ist  es  iintnerhiii,  das«  die  hier  in  Betracht  kommenden  Dörfer  fast 
durcbgohends  an  den  alten  Strassen  liegen,  die  von  Sachsen  einerseits  übrr  Branden- 
t>urg,  an'lrf  rsrits  über  Berlin  gingen,  sich  bei  Nauen  wieder  vereinigten  und  nurdwttrts 
nach  Uauiburg  zustrebten. 


8 


Itobert  llfidke: 


1  H,//-,  1 

&  Robrbeck. 


In  dem  Dorfe  Rohrbeck  bei  Spandau,  das  einst  nnr  solche  Häuser 
besass,  sind  heat  noch  awel  vorhanden  (vor  10  Jahren  noch  5)^  die. 
dnrch  Jahreszahlen  fflr   1744  und  177?  gesichert  sind  (Abb.  9). 

Beide  lassen  besonders  die  Dreiteilang  des  Grundrisses 
deutlich  erkennen;  nnr  sind  die  Ställe  zu  Wohnr&nmen 
gemacht  nnd  der  Herd  nach  der  vorderen  rechten  Ecke 
des  Flnres  gezogen,  um  die  benachbarten  Stuben  mit  zu 
erwärmen.  Koch  aber  lässt  sich  hei  dem  älteren  dnrch 
einen  sonst  ganz  unverstandlichen  Wandvorsprong  und 
einen  darauf  lagernden  mächtigen  Balken  erkennen,  dass 
gerade  der  hintere  Teil  des  Hauses  einschneidenden  Ver- 
änderungen unterworfen  wurde.  Hier  ist  also  von  dem 
quergelegten  Herdraum  nichts  mehr  vorhanden,  sondern  er  selbst  zu 
einem  Teil  des  durchgehenden  Langflures  geworden.*) 

Ein  anderes  älteres  Haus  hat  sich  in  dem  Dorfe  Herzberg  bei 
Neu-Ruppin  erhalten,  das  vermutlich  in  den  Anlang  des  18.  oder  das  Ende 
des  17.  Jahrhunderts  zu  setzen  ist  (Abb.  10, 11).  Da  die  hinteren  Anbauten 
Tenne  und  Ställe,  nach  Aussage  des  Besitzers  1779  errichtet  sind,  dis 
Haus  aber  sicher  älter  ist,  so  scheinen  auch  an  dieser  SteUe  einst 
andere  Räume  vorhanden  gewesen  zu  sein.  Die  Eingangsthür  ist  nur 
klein,  der  in  der  Mitte  gelegene  Flur,  zu  dessen  Seiten  Je  eine  Stube  liegt^ 
ist  kurz  und  fährt  in  die  grosse  Küche.  Einst  bat  sie  wohl  den  ganzen  Raum 
zwischen  den  Langwändeu  eingenommen,  heut  ist  die  eine  Seite  zur  Ejunmer 


ah^ct I < Mint  und  eine  solclie  auf  der  anderen  aussen  angehängt.  1  >er 
H»'id  ist  wiedri  wio  >>pi  dem  Kohrbecker  Ilau.so  nn  die  der  Wohnstube 
iM'nnchharte  Wand  geriickt.  In  Herzberg  i.st  ein  grösserer  Stall  vor- 
iianden,  der  in  Rohrbock,  einem  kleinen,  abseits  gelegenen  Dorf  von 
nur  wenigen  Feuerstellen,  in  dem  Hauptliause  nicht  mehr  zu  erkennen 
ist.  Vermntlieh  k;un  bei  ihm  von  vorn  liureni  der  frUnkiselie  Wirtsrhafts- 
hof  in  Betracht,  den  es,  wenn  auch  in  bescheidener  Weise  besitzt 


*)  Das  erinnert  an  dne  dtnchana  entspTeehende,  aber  aas  anderen  GrOnden  benror* 
g^ngene  Verttndening  des  säcb^chen  Hauses,  wie  ich  sie  an  kleineren  städtischen 

Häusern  Xiederdentscblands,  z.B.  in  Delmenhorst  gesehen  habe,  wo  auch  der  drei- 
gliedrige Grundriss  ^'cblielx  ii  war,  bei  welchem  rechts  und  links  Stuben,  aaf  dem 
durchgehenden  Flur  jedoch  Schränke,  Truhen  u.  s.  w.  untergebracht  waren. 


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Die  Bauernhäuser  in  der  Mark. 


9 


Ao8  diesen  Übergangsformen  ist  wohl  das  eigentliche  „märkische 
Hans'  (Abb.  12)  hervorgegangen,  das  in  seinem  ganzen  Aufbau  von  dem 
Herd  besw.  dem  Schlot  abhängig  ist.  Der  erstere  bildet  die  Mitte  des 
ganzeo  fast  quadratischen  Baues  nnd  steht  in  einem  viereckigen  massiven 
Raum  von  dorcbscbnittlich  2  m  Länge  auf  jeder  Sdte,  der  sich  nach  oben 
zn  einem  noch  immerhin  mächtigen  Schlote  verengt.  Eiserne  Krammen 
oder  Leisten  mit  Zacken  dienten  früher  ffir  das  Bänchem^  das  immer 
mehr  abkommt,  weil  dieser  alte  Herd  nur  noch  in  AnsnahmeföUen  und 
an  seiner  Stelle  der  häufig  neben  ihm  erbaute  kleine  Sparherd  benutzt 
wird.  Vor  diesem  Herdraum  nun  liegt  eine  kleine 
Diele,  fast  quadratisch,  von  der  rechts  und  links 
je  eine  Thür  in  zwei  Yorderstuben  und  eine  schmale 
Stiege  in  einer  Ecke  auf  den  Boden  fahrt.  Von  den 
Stuben  ist  häufig  noch  eine  Kammer  abgetrennt, 
die  bisweilen  auch  mit  dem  Herdraum  durch 
eine  Thür  in  Verbindung  steht  Von  dem  letzteren 
gelangt  man  durch  eine  andere  Thür  in  den  rück- 
wärts gelegenen  Stall,  der  die  ganze  Breite  des 
Hauses  einnimmt  und  durch  eine  Seitentbür  mit 
dem  Hofe  verbanden  ist  Als  Stall  wird  der  Raum  hent  nur 
noch  selten  benutzt,  daün  sind  die  Kühe  aber  mit  dem  Kopf  der 
Wand  zugekehrt.  Abweichungen  kommen  nur  durch  die  Fortlassung 
deg  hinteren,  dem  Herdraum  folgenden  Flures  vor,  oder  es  ist  der  Stall 
durch  Anbau  vergrössert. 


"ZI 


An/n 


—4—1  


la  PfnidMi. 


c)  Das  Haus  der  Nuthe-Nieplitz-Niederung.*) 

Besonders  gross  und  von  einem  ehemals  hohen  Besitzstand  zeugend 
ist  das  märkische  Dielenhaus  in  der  von  der  Nuthe  und  Nieplitz  durch- 
flossenen  Niederung  zu  finden,  wo  es  —  wie  noch  in  einem  der  folgenden 
Abschnitte  des  Weiteren  ausgeführt  werden  soll  —  einen  Höhepunkt  in 
der  bäuerlichen  Baukunst  der  Mark  darstellt.  Diese  Niederung  gehört, 
obwohl  sie  nur  wenige  Mellen  südlich  von  Potsdam  gelegen  ist,  zu  den 
am  wenigsten  bekannten  des  Brandenburger  Landes.  Zum  Teil  durch 
grosse  Sümpfe  von  den  umgebenden  Gebieten  getrennt  oder  von  solchen 
durchzogen,  hat  sich  hier  ein  landwirtschaftliches  Stillleben  heraus- 
gebildet, das  auch  heate  noch  anhält,  weil  der  alles  gleichmachende 
Verkehr  noch  nicht  über  die  örtlichen  Bedürfnisse  hinausgewachsen  ist. 
Was  an  städtischen  Gemeinden  der  Niederung  zuzuzählen  ist,  liegt  alles 
an  der  Grenze,  die  durch  die  Oi-tschaften  Sarnnind,  Trebbin,  Lucken- 
walde, Jüterbog,  Treuenbrietzen,  Brück  and  Beizig  bestimmt  wird. 


•)  Die  diesem  Ab?:rhnitt  b»'ijjeg«'Henen  AbMWnngen  sind  z.  T.  der  Redaktion  der 
Baugewerks-Zeitang  zu  verdanken.    S.  auch  den  Abschnitt  Uber  die  Literatur. 


.  j      .  >  y  Google 


10 


Robert  Hielke: 


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Je 


Auf  diesem  för  eine  volkBtamliche  Übertragung  so  überaus  günstigen 
Boden  hat  sich  das  Dielenhaus  in  allen  Dörfern  nicht  nnr  er- 
halten, sondern  anch  innerhalb  grosser  frankischer  Gehöfte  künstlerisch 
selbstständig  behaupten  können.  Die  Vergrösserung  des  Rinder«  und 
Pferdebetriebes  durch  die  Entwässerung  mancher  Lache  wies  schon  in 
den  ersten  Jahrzehnten  dieses  Jahrhunderts  dahin,  den  alten  Stall  aufzu- 
geben und  grössere  eigene 
Stallbauten  auf  dem  Hof  zu 
errichten.  Daher  sind  die  nach 
18S0  erbauten  Wohnhäuser 
nicht  mehr  mit  diesem  ver- 
sehen, wohl  aber  ist  der  alte 
rirundriss  beibehalten  und  nnr 
Wolmzimmer  sind  da  von  vorn 
herein  angelegt,  wo  in  älteren 
Häusern  der  Stall  in  solche 
erst  umgewandelt  werden 
mnBSte.  Doch  findet  man  noch 
genng  nnveran(l(»rte  in  don 
alten  Gebäuden  (Bardenitz, 
Hen  nickoTi  dorf  a.  d.  J.  1751, 
zumeist  Flur  genannt,  führt 
und   von   diesem   eine  solche 


\  .1  II* 


Sr 


J_L 


I.J 


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IS.  H«nBlekend«rf. 


Abb.  13).    Von  der  kleinen  Diele,  hier 
eine  Treppe   in   ein   oheres  Stockwerk 
in  den  Bodenraum.    Früher  soll  das  obere  Stockwerk  zum  Trocknen 


14.  KenmitB. 


df's  IToucs  und  zum  Kiiut  Ihm  ii  benutzt  woidcn  sein,  was  vielleiciit  liifi* 
iiii.l  d(»rt  noch  ueschicht,  gvgensvartig  wird  es  mehr  und  mehr  zu 
Kammern  uuigciunhM  t. 

Zu  dieser  einht  illichen  Anlag*»  lind«'t  sich  bei  vi«'!»'n,  aher  nicht 
bei  allen,  Häusern  ein  Vorl)au,  der  als  ein  kleineres  Giebelhaus  das  HauS 
nach  der  Strasse  hin  verlängert  (Abb.  15).  Nur  die  Räckseite  Steht  mit  der 


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■ 

Die  Bauernhäuser  in  der  Mark.  X\ 


des  Huupthauses  iu  einor  Linie,  die  vordere  Langseitc  ist  soweit  zurück- 
gezogen, da.ss  sie  den  Eingang  freigiebt,  diesen  dann  aber  oft  noch 
durch  einen  vorragenden  oberen  Teü  schützend.  Auch  quergesteUt 
findet  man  bisweilen  diesen  Torban,  für  den  als  Zweck  Altsitzerwohnnng 
angegeben  wird.  Der  Anban,  der  anch  als  Remise  benutzt  wird,  ist  eine  ' 
Sonderbildang  des  ganzen  Striches  zwischen  dem  hohen  Fläming  nnd 
der  Neisse,  taucht  bald,  wie  in  der  Nothe-Kicplitz-Niederung,  in  ge- 
schlossener Vielzahl,  bald,  wie  in  der  Lausitz,  vereinzelt  auf,  bald  an 
QlUBem  sächsischer,  bald  an  solchen  fränkischer  Art  Seine  eigentliche 
Heimat  wird  der  Osten  sein,  weil  hier  derselbe  mit  dem  Haaptbau  einen 
architektonischen  Organismus  bildet,  und  auch  die  Überlieferung  diese 


IBk  Frjink«niBfid«> 


16  a.  BokTurbiB^vng. 
Fnwkwifsrd*. 


Häuser  als  älteste  bezeichnet.  Bei  dem  "  tri  Müschen  Hause  wird  darauf 
noch  einmal  zurückzukommen  sein.  Daiiingegen  ist  der  Vorbau  an  der 
Nnthe  nicht  immer  mit  dem  Wohnhaus  fest  ver- 
banden, sondern  bald  durch  einen  kleiiien  n,  b;il<l 
grösseren  Abptnnfl  von  demselben  getrennt.  In 
Frankenfördc  (Abb.  Hö)  tin<let  er  sich  an 
dem  nltostan,  noch  aus  dem  vorigcf!  Jahrhundert 
stammenden  Bauernlinns,  dns  nls  ciiizi^ps  einon 
vor  Jahrzehnten  statl|;cfiiii(l(MU'n  I)t>rt Itnind  über- 
dauert hat,  so  \V(»it  Zill  ikkgerürkt,  da.<>  seine  VordtTM'ite  mit  der 
Rückseite  des  Wohnhauso  niiuälu'ind  in  einer  Linie  steht.  Er  dient 
hier  als  Pferdestall  nnd  ist  sein  Futter  bergendes  Obergeschoss  mit 
einem  Tianfcrnne'  vorsehen. 

Die  Tiierkwürdige  Ersclioinung,  dass  wir  eine  Abwandlung  des 
sUchsisclien  Hauses  in  eine  snnst  rein  friinki-clie  IIiif;inl;me  liineingebaut 
finden,  gehört  zu  einer  weiteren  Eigentüuili«  hkeit  der  NutiH'-Nie|)litz- 
Niederung.  Nur  in  der  Stellung  der  Scheune  ist  insofern  eine  Ab- 
weichung zu  bemerken,  als  diese  bisweilen  als  Thorhaus  errichtet  ist. 


ij  ,  i.y 


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12 


Robert  Mielkei 


In  der  Kegel  wird  der  Hof  nacli  der  Strasse  von  einem  Plankenzaan 
abgeschlossen,  des^m  l'furte  und  Einfalirt  zu  sehr  hübschen  Verzierangen 
Veranlassung  gegeben  haben  (Abb.  10,  17).  In  dem  ältesten  Hans  in  Kem- 
nitz, dem  sogenannten  Xitchtwächterhaus,  ist  an  Stelle  der  grossen  Durch- 
fahrt ein  hohes  bretterbekleidetes  Fachwerkhaus  getreten,  das  nach  der  Uof- 


la,  0«iliOft«i]if  ADV  (K«mnli«).  17.  OehAftotosmng  (K«miiite). 


8oit*'  riiieii  ortVnen  LauheDp;aup^, nach  derStrassonscito  einen  ebensolchen  von 
(lo[)pt'lt('r  Tit't'i'  hat,  dessen  äussere  Seite  jedoch  teils  init  Fachwerk,  teils 
durch  die  kleine  bezw.  grossen  Thüreu  abgeschlossen  ist.   Die  ächeune 


Uk  Lttlisdorf. 


ist  hier  noch  im  Hintergmnd  des  Gehöftes.  In  ähnlicher  Weise,  nur  mit 
einem  offenen  Lanbengang  nach  der  Strasse  zn,  ist  es  an  einem  anderen 
Gehöft  desselben  Dorfes  zu  sehen  (Abb.  14}.  Zur  Scheune  geworden  ist 
das  Thorhans  ebenfalls  in  Kemnitz  an  einem  aus  dem  vorigen  Jahr- 
hundert stammenden  Gebäude,  doch  scheint  diese  Scheune  Junger  als 
die  übrigen  Baulichkeiten  zu  sein.    Eine  offene  Stelle  zwischen  der 


oiy  ii^uo  uy  Google 


IMe  BanenibAiuer  in  der  Mwk. 


13 


Scheaoe  und  dem  Wolmhans  ist  dabei  durch  eine  Maaer  geschlossen,  so- 
dass der  Eintritt  in  den  Hof  nnr  durch  die  grosse  Einfahrt  der  ersteren 
oder  durch  die  den  Toigarten  des  Wohnhauses  nach  der  Strasse  ab- 
sehliflssende  Pforte  und  das  Haus  selbst  erfolgen  kann  (Abb.  86). 

Während  eine  Lanbe  am  Thorhans  häulig  und  an  dem  Stall  bis- 
weilen und  dann  immer  an  der  Giebelseite  sich  bandet,  ist  der  letztere 
Doch  durch  einen  künstlerisch  schön  entwickelten  Futtergung  ausge- 
felchnet.  Ffir  den  zweiten  Fall  lässt  es  sich  schwer  nachweisen,  ob  die 
Laabe  aus  dem  Organismus  des  Hauses  hervorgegaogeu,  oder  ob  sie  aus 
äusserer  Veranlassung,  durch  Entlehnung  drasselben  hinzugefügt  ist. 
Jedenfalls  dient  sie  heute  zum  Aufbewahren  von  Ackergeräten,  zum 
Ausfähren  kleinerer  landwirtschaftlicher  Arbeiten  wie  Dengein  u.  a., 
nicht  aber  zum  Unterfahren  beladener  Wagen,  wie  es  an  einem  noch  zu 
besprechenden  Hause  der  Neumark  fibllch  ist.   Dagegen  spricht  schon 
ihre  Kleinheit  und  das  Vorkommen  am  Stailgebäude.  Vereinzelt  scheint 
sie  dadurch  entstanden  zu  sein,  dass  man  den  oberen  Futterboden  nach 
der  Dorfstrasse  nachträglich  erweitert  hat;  denn  sie  erscheint  stets  an 
der  Giebelseite  und  tritt  dann  h&u%  Aber  die  Fluchtlinie  des  Gi-und- 
stäcks  hinaus  (Lühsdorf).  Die  Vorliebe  fflr  eine  Laube  bat  auch  das 
Wohnbaus  mit  einer  solchen  versehen,  bei  dem  sie  teils  in  Gestalt  einer 
kleinen  Hanslaube  vor  der  Thür,  bald  aber  an  dem  erwähnten  kleinen 
Vorbau,  dem  Altsitzerhäuschen,  erscheint,  wo  sie  sich  aus  der  Über- 
tragung gewissermassen  von  selbst  ergab  (Abb.  15).   Auf  den  dem  Stalle 
eignen  Futtergang  wird  sich  bei  dem  folgenden  fränkischen  Hause 
Gelegenheit  finden  zurückzukommen,  da  er  nicht  allein  der  Nuthe-Nieplitz- 
Niedemng  eigentümlich  ist,  in  der  er  aber  eine  besonders  künstlerische 
Ausbildung  erfahren  hat 


B)  Das  fränkische  Haus  und  seine  Abwandlungen. 

a)  Das  reinfränkische  Uaus. 

Wir  haben  in  der  Bfark  nur  wenige  Häuser,  die  älter  als  ein  Jahr- 
hundert sind.  Es  ist  dabei  auch  fraglich,  wie  weit  wir  in  der  Zu- 
vM'lässigkeit  aller  Angaben  über  die  noch  vorhandenen  Bauten  gehen 
dftrfen,  da  diese  doch  mancherlei  Umbauten  unterworfen  worden  sind. 
Nur  das  eine  tritt  auch  an  den  märkischen  Häusern  deutlich  in  den 
Vordergrund:  das  ist  die  Wertschätzung  der  Feuerstätte  und  die  sich 
daraus  ergebende  Gruppierung  der  angrenzenden  Räume  mit  ihren 
gesonderten  Feuerungen.  Die  alte  Einteilung  in  zwei  Haupträume, 
welche  durch  den  das  Haus  quer  durchschneidenden  Gang  hergestellt 
wird,  ist  zwar  noch  nirgends  verwischt,  aber  beide  Hälften  sind  jetzt 
zu  Wohnräumen  umgestaltet  und  der  Herdraum  durch  eine  Wand  von 


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14  *  Bobttt  Mi«lke: 

dem  Flur  geschieden.  Das  tritt  schon  an  einem  Haus  auf,  über  dessen 
Veränderungen  urkundliche  Belege  vorhanden  sind,  die  bis  zum  Jahre  1671 
zurückgehen,  das  Hans  selbst  aber  in  eine  noch  frühere  Zeit  zurück  ver- 
legen lassen.  Es  ist  das  im  Jahre  1898  erst  abgebrochene  Pfarrhaus  in  dem 
Dorfe  Dallgow  bei  Spandau  (Abb.  19,^0).  DieVermatnngist  gerechtfertigt, 
dass  es  immer  seinem  ursprünglidien  Zweck  gedient  hat,  weil  der 
Wirtschaftshof  für  einen  rein  bäuerlichen  Betrieb  zn  klein  erscheint;  es 
ist  aber  auch  so  gut  wie  sicher,  dass  es  uns  du  Bild  der  bäuerlichen 
Wohnung  des  17.  Jahrhunderts  zeigt,  wenn  wir  das  durch  den  ZwcTck 
gebotene  obere  Stockwerk  fortdenken.  Dieses  zweigeschossige  Wohnhaus 
war,  wie  sich  aus  der  Lage  der  Dachsparren  erkennen  liess,  in  späterer 
Zeit  auf  beiden  Seiten  mit  Anbauten  und,  wie  sich  ans  der  dnrch- 


Uk  PftUgow.  90.  Dullgow. 


gehenden  gemeinsamen  Fundamentschwelle  erwies,  auch  nach  hinten  mit 
einer  Verlängerung  versehen  worden.  Es  bleibt  also,  wie  es  der  Gmndriss 
erkennen  lässt,  eine  verhältnismässig  einfache  Anlage  übrig.  Vom  Flnr 
aus  gelangte  der  Eintretende  in  die  durch  eine  dünne  Wand  (ob  immer 
vorhanden  gewesen?)  getrennte  gewaltige  Küche,  in  deren  rechter 
vorderer  Ecke  sich  der  aufgemauerte  breite  Herd  erhob.  Der  Rauch 
zog  durch  einen  gemauerten  Schlot  ab.  Zu  beiden  Seiten  von  dem  Herd- 
ranm  führten  Thüren  in  die  nach  der  Strasse  gelegenen  beiden  Stnben 
und,  wenn  man  sich  die  später  in  den  Stall  eingebaute  Kammer  fort- 
denkt, unmittelbar  in  den  Stall.  Es  entspricht  die  Einteilung  also  dem 
von  Meitzen  abgebildeten  Hause  Tafel  I  Fig.  2  und  von  den  Henning  ge- 
gebenen Grundrissen  Fig.  2  und  3. 

Ein  diesem  an  Alter  vermutlich  noch  voranzustellendes  Hans  be- 
findet sich  in  Krempendorf  in  der  Priegnitz,  von  dem  die  Überlieferung 
erzählt,  dass  in  drän  dreissigjährigen  Kriege  der  Bewohner  desselben 
allein  übriggeblieben  wäre  aber  flüchten  musste.  Als  er  nach  6  jähriger 
Abwesenheit  zurückkehrte,  war  ein  Fliederbanm  durch  die  Wände  ge- 
wachsen und  die  sich  sehr  vermehrten  Hnnde  hatten  sich  als  die  ein- 
zigen Bewohner  eingerichtet  Leider  ist  das  Haus  durch  Einrichten  für 
2  Familien  derart  verändert,  dass  es  für  eine  alte  Form  nichts  mehr 
beweisen  kann;  wohl  aber  befindet  sich  zwischen  den  Wohm^nmen  nnd 
dem  Dachboden  noch  ein  niedriges  Zwischengeschoes,  das  ^^Hill*^,  wie 


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Die  Banernblaeer  in  der  Mtrk. 


15 


1     >kit9*  \  X*m 

1 

tt..  Zol«how. 


es  sowohl  bei  Henning  in  Fig.  1  als  anch  grösser  in  Dallgow  yorhanden 
ist.  Onrcli  Anbau  einer  „Afsiet**  ist  der  Grondriss  dann  noch  weiter 
verändert  worden. 

Ein  alte  Anlage,  aber  noch  mit  Betonung  des  Flures  als  einen  der 
Hianptteile  des  Hauses»  lässt  sich  ans  dem  sehr  veränderten  Fischerbaus 
in  Zolchow  (Abb.  21)  bei  Werder  herausschälen.  Die  beiden  äussersten 
rechten  Räume  scheinen  nachträgliche  Anbauton 
zu  sein.  Danach  ergeben  sich  rechts  zwei 
Stuben,  von  denen  die  grössere  den  alten  von 
der  Küche  aus  heizlKu-cn  Oft-n  liaf\  links  sind  der 
ehemalige  Stall,  der  heut  in  Wohnräume  um« 
gewandelt  ist  und  in  der  Mitte  der  Flur,  in  den 
die  Herdstelle  als  ein  massiver  Schlot unnnauert 

ist.  Dem  Hintertlui'  hat  man  noch  eine  Kannner  abgewonnen  und  den 
vermutlich  früheren  Durchgang  in  den  mit  Treppen  versehenen  Vorflur 
vermanert,  um  für  die  Heizung  der  aus  dem  Stall  gebildeten  Stuben 
einen  Anschluss  an  den  Sehlot  zu  gewinnen.  Das  Haus  ist  anscheinend 
aas  dem  vorigen  Jahrhundert,  vielleielit  aber  auch  viel  älter. 

Zu  einer  inerkwüidigen  Ausbildung  des  fränkischen  Wohnhausos 
hat  man  es  in  (in-  l'rignitz  «z^cbrncht,  iruliMU  mwn  bei  £rrössorpn  Wirt- 
schaften für  Altsitzer  und  den  Ibitbesitzer  gx'sondfrtf  Ihiiiscr  erbaute, 
beide  jedoch  durch  einen  grossen  Tli'»i\vi'^  mit  einander  in  Verbindung 
brachte  fG ross-Werzien).  Das  so  entstandene  Tiaiiirlians  ist  aber 
nicht,  wie  man  annehmen  sollte,  ans  dem  'riuirliaiis  liei'aus  eiitwickelt, 
obgleich  dieses  für  sich  zu  einer  /.iemlicli  geia innigen  Anlai;e  «geworden 
ist,  sondorn  ist  einem  Vorbild  gefolgt,  das  sich  für  kleinere  Kossäten 
£;ebildet  hat.  In  Warnow  (Abb.  sind  noch  )\  lieisi»iele,  die  ans 
•  lein  Anfange  dieses  .lahrhunderts  stannneu,  aber  noch  echte  Uauchhuuser 
sind,  da  der  iiauch  durch  eine  Offrning 
über  der  Thür  entweicht,  di«'  durch 
wiigerechte  Scheite  geteilt  ist.  Zu  Seiten 
der  gemeinschaftliclien  r>iele  ist  je  ein 
gesondertes  Auweseu  unter  demselben 
Dache, bestehend  ausStube  und  Kammer, 
und  nach  der  Doristrasse  zu  Kuhstall 
Qud  Küche«  letztere  anch  zugleich  Diele, 

also  eine  Übertragung  des  fränk.  Urhanses  auf  kleinere  Terhältnisse,  bei 
der  unbewusst  der  alte  Rauchflnr  mit  seinem  Herde  den  Kern  bildet 

Eine  solche  Vereinfachnng  ist  anch  in  anderen  Teilen  der  Mark 
bekannt;  sie  ist  eigentlich  der  Typus  aller  kleineren  frankischen  Anhigen, 
bei  dem  das  Wohnhaus  mit  der  Langseite  der  Dorfstrasse  zugekehrt 
und  dem  höchstens  auf  dem  Hofe  noch  ein  gleichgestelltes  Hof-  und 
Scheunenhaus  zugesellt  ist.    Gerade  als  Kätnerhaus  hat  diese  Form 


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16 


Bob«rt  Mi«]ke: 


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1  X 

2B.  Diedersdorf. 


sich  so  ausserordentlich  verbreiten  und  den  fränkischen  Typus  zu  einem 
die  Mark  beherrschenden  machen  können.  Da  es  sich  auch  häufig  in 
ehemaligen  Fischcidot  fi  i  u,  in  den  Kietzen  und  in  von  grossen  Verkehrs- 
adern abgelegenen  Ortschaften  findet,  so  dürfte  es  auf  die  Gestaltung  der  wen- 

disclieu  Abart  nicht  unwesentlich  eingewirkt  haben. 
Es  beschränkt  sich  auf  die  notwendigsten  Wohn- 
gelasse; ein  kleiner  Flur  führt  auf  die  kleine  Küche, 
wenn  nicht  beide  vereint  sind,  während  beiderseits 
die  wenigen  Stuben  und  Kammern  liegen  (Abb.  23). 
Vorschub  ist  der  weiteren  Verbreitung  dadurch  geleistet,  dass  das- 
selbe sowohl  den  Landbaumeistem  Friedrichs  des  Grossen  als  Vor- 
lage gedient  hatte  (Diedersdorf^Nen- 
Wu  s  0  w),  als  der  König  die  vielen  trocken 
gelegten  Niederungen  derOder  und  anderer 
Flösse  mit  Siedelungen  besetste,  als  es 
auch  von  den  grossen  Grondherrea  für 
die  von  ihnen  abhängige  Qutsbevdlkemng, 
Gesinde  und  Pächter,  bevorzugt  worden 
ist  Zur  Unterlage  mag  das  sogenannte 
Fischmeisterhans  in  Wichmannsdorf  i.  U.  (Abb.  24)  dienen,  das  noch 
dem  vorigen  Jahrhundert  entstammt 

Thorhäuser  kommen  zumeist  in  der  Friegnitz  vor;  neben  dem  Nnte- 
Nieplitz-Hans  auch  in  der  Lausitz.  Zu  einer  besonderen  Würdigung 
ist  es  auf  dem  östlichen  Ende  des  Fläming,  wo  schon  wendische  Elin- 
flüsse  hineinspieleu,  dadurch  gelangt,  dass  es  den  ganzen  Raum  zwischen 
dem  Wohn-  und  Stallhaus  ausfüllt  und  auch  in  gleicher  Frontlinie  mit 
beiden  steht  Nur  ein  schmaler  Gang  bleibt  in  diesem  Falle  zwischen 
den  Mauern  stehen,  der  bisweilen  auch  noch  zugebaut  wird,  so  dass 


9L  WtchniBBMctort 


'^j.  Mellen. 


aö.  Oersdorf. 


dann  das  Thorhaus  mit  den  beiden  oder  einem  der  Nachbarhäuser 
zusammenwächst,  eine  nm  so  befremdlichere  Bildung,  als  sie  an  das  in 
Dänemark  vorkommende  Gehöft  und  den  bayrischen  oder  österreichischen 
Einödhof  erinnert,  ohne  dass  man  jedoch  an  eine  Beeinflussung  denken 
darf  (Mellen,  Görsdorf,  Abb.  25,  26,  27> 


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Die  BauemliäuMr  in  der  Marie. 


17 


Mit  besonderer  Liebe  und  die  Zinieif^uug  des  Märkers  zu  seiiu'ui 
Vieh  bezeugend,  ist  diis  Stalli^cliäude  heliandelt.  Urs|triniglieli  ist  man 
wohl  davon  ausge«4;iui<;en,  den  Futterboden  dunli  llervoikiagung  nacli 
der  Hofseite  zu  erweitern  (Mellen,  Al>b,  eine  in  der  Mark  ganz 

allgemein  übliche  Konstruktionsweise,  die  sich  wahrscheinlich  durch 
ganz  Mitteldeutsclilaud  verfoli^en 
las.st.  Sie  scheint  aucii  schon 
früh  bei  uns  ai)m'\vaiidt  zu  sein, 
denn  auf  dem  von  >[erian  ge- 
zeiciiueten  Pros[»ekt  des  Amtes 
Zehden(Abb.  "JU)  ist  sie  bereits 
vorhanden.  Iiier  und  dort,  be- 
sonders wieder  in  der  Nuthe- 
Niejditz-Xiederung  und  im  Spree- 
waldgebiet, ist  der  vorgekragte  und  erhöhte  Teil  der  Mauer  ei'st  durch 
teiiweises,  dann  gänzliches  Fortlassen  des  Füllwerks  zu  einer  otieneu 


91.  CMrsdorf. 


9&  MeUen. 


2».  Zchden. 


Galerie  gewoitien',  hinter  der  dann  eine  neue  zweite  Mauer  diese  zu 
einem  „Futtergang''  macht  (Abb.  In  der  Kegel  ist  dei-  Gang  bis  zur 
Mitte  mit  einer  Brustwehr  versehen,  welche  nach  t  oder  c)  Gelachen  von 


aa  Z«Uin«rtdorf:  Bl.  Bnchlioli. 


einer  ganzen  Öffnung  durchbrochen  ist.  Auch  bei  neuen  Hauten 
(Bachholz,  Abb.  31)  hat  man  diesen  Futteruanir  nicht  autVem  ben, 
sondern  ihn  —  ein  gewiss  irntes  Beisjtiel  von  der  Tiefe  der  vojkstinnliclien 
Kunstüberlieferuug  in  Norddeutschland  —  höchstens  bei  dem  schwereren 
Mauerwerk  entsprechend  voller  gestaltet. 

2 

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18 


Bobert  MiellEe: 


b)  Das  wendische  Hans. 

Als  ein  Untcrtypiis  des  lV;mkischcn  stelli'U  sich  dio  vcrscliiedenen 
Alten  des  märkischen  Wendenhausc-;  dur,  «!!••  Im-I  der  künstlerischen 
Anlage  der  Wenden  zu  einer  eip:enen  Form  gelangt  sind,  unter  dei-  sich 
jibor  noch  Spuren  einer  ganz  nrsj)rünglichen  Anlage  des  fränkischen 
Hauses  verbergen.  In  seiner  stilistischen  Gel>und(>iilieit  hebt  sich  dieses 
Haus  als  eine  besondere  Abart  hervor,  die  viim  eingehendere  Scbilde- 
ruug  verdient. 

Auch  bei  ihm  liegen  die  unterscheidenden  Merkmale  in  der  Ver- 
teilung der  Räume  und  ihrer  Abhängigkeit  von  dem  Herd,  gleichviel  ob 

das  Haus  allein  steht  oder  Glied  eines  >Yirt- 

pZ.:,"^  ]  ^\   [•    schaftshofes  ist,  da  das  Wohnhaus  in  diesem  Falle 

l:r./.^;,"X:ij       ,  ^"^         auf  denselben  Ursprung  zurückgeht  (Abb.  112). 

Es  ist  ein  langgestreckter,  immer  einstöckijjer 
Bau,   der   in   seiner  frühesten  Entwickehing 


I  ^1  j 


Qi.  Wo&dilohM  Haos         Wolingidasse  und  Stall  unter  demselben  Dache 

hat .  was  jetzt  nur  bei  kleineren  Betrieben, 
dann  aber  auch  noch  mit  llinzunahme  der  Scheune,  der  Fall  ist.  Der 
Grundrkss  ist  dersell>e  wie  bei  dem  altlrii iikischen.  Der  Flur  liegt  in 
der  Mitte,  auf  dei-  oineii  Seite  der  Wohnraum,  auf  der  anderen 
Seite  der  Stall.  St»  zeigt  ihn  ein  Haus  an  der  märkisch-sächsischen 
Grenze,   in  Theisa   (AM».  das   obwohl   verwaltungsrechtlich  zu 

Sachsen,  aber  doch  so  nahe  iler  Grenze  liegt,  dass  ich  es  hier  um 
SO  eher  anführen  darf,  als  es  durch  eine  Jahreszahl  für  1I)5S,  möglicher- 
weise für  KuiS  bestimmt  ist.    Der  Wohnraum  ist  noch  immer  der  grosse 

Einheitsraum,  der  nur  durch  einen  hinteren 
Mmmtf /:i«*«>»»lwilw.     •!       Anbau   erweitert  ist.    Eine  Zwischenwand 

scheidet  den  grossen  Flur  von  dem  Herd- 
lauin;  aus  ersterem  führt  eine  schmale 
Stiege  in  den  Dachraum.  Der  nach  hinten 
gelegene  ehemalige  Stall  ist  durch  Zu- 
m.  Th«i8A.  mauern  der  Stallthfire  und  durch  Er- 

weiterung der  alten  Luke  zu  einem  Fenster 
heute  eine  Kammer  geworden.  Er  ist  jedenfalls  sammt  dem  Flur  nicht 
so  alt  wie  die  Wohnhälfte,  da  diese  aus  Blockbalken,  jene  aber  als 
Fachwerk  errichtet  sind.  Das  wird  auch  durch  den  Herdraum  belegt, 
der  in  altei'tümltcher  Form  vorhanden  ist 

Sehr  altartige  Häuser  sind  in  den  Dörfern  zwischen  Kalau  und 
Triebel  erhalten,  von  denen  Ogrosen  und  Strado  genannt  seien.  Bei 
diesen  ist  der  Herd  in  einem  von  allen  vier  Seiten  ihn  umgebenden 
festen  Schlot  umgeben,  der  sich  nach  oben  zu  einem  Schornstein  ver- 
engt und  nach  der  Eingangsseite  des  Hauses  mit  einer  Thür  versehen 


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Die  BAnerahloBer  in  der  Mark. 


19 


ist  (Abb.  34.)  Eine  Seite  wird  von  einer,  Stabe  und  Flnr  trennenden, 
Brandmaner  gebildet;  die  anderen  3  Seiten  stehen  frei  inmitten  des 
Flores,  der  dadurch  in  zwei,  vordere  and  hintere,  dorch  einen  Gang 
in  Verbindung  stehende,  Hälften  getrennt  wird.  Die  benachbarte 
Stabe,  von  der  rückwärts  eine  kleine  Kammer  abgetrennt  ist,  enthalt 
neben  dem  Ofen  noch  einen  kleinen  Wandherd,  die  beide  in  den  Herd- 
Schlot  münden.  Yon  dem  Flnr  gelangt  man  darch  die  von  4  Ständern 


M.  Stntao. 


"V 

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1 

li,.4-A 

Kam. 

Flur  1 

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86.  JeiiMhkc. 


konstruktiv  getrennte,  alter  von  Hlockbalken  aosgefuhi'te,  Wand  ver- 
mittelst einer  kleinen  Thüre  in  den  Stall,  der  zwar  nicht  mehr  in  Benutzung 
ist,  den  man  aber  noch  an  anderen  Bauernhänsern  voi-findet. 

Eine  andere  und  in  der  Lausitz  sehr  verbreitete  Art  schliefst  sich 
den  für  die  Nuthe  -  Nieplitz  -  Gegend  gekennzeichneten  Vorbau-Häusern 
an.  Bei  ilir  ist  aber  der  Vorbau  ursprünglicli  nur  als  alkoven- 
artia:o  Erweitcrunc:  der  Wohnstube  aufzufassen,  da  ihm  bäuüg  jedes 
Fenster  fehlt,  odei  es  höclistens  auf 
eine  Luke  eingeschränkt  ist.  l>as  ab- 
gebildete Haus  aus  dem  abgelegenen, 
wälderumgebeneu  Dorf  Jerischke  ist  sehr 
altertiinilich  (Abb.  %^).  An  der  Rück- 
wand der  Stube  sind  durch  Abschläge, 
2  Schlaf-Alkoven  gebildet.  Der  Tliir  mit 
dem  Ilerdraum  ent.sjiricht  dem  des  vorigen 

Grundrisses;  dagegen  ist  der  Stall  noch  in  Benutzung,  in  dem  die  Kühe 
mit  den  Krjpfen  der  Wand  zugekehrt  stehen.  Die  Scheuer  steht  hier 
rechtwinklig  zu  deiii  Wolnihaus(>  und  enthält  ausser  dieser  noch  eine 
Remise  und  einen  Kaiiiii  iVir  das  Kleinvieh. 

Neben  diesen  im  Kali  inen  des  Wirtschaftshofes  stehenden  Wohn- 
häusern giebt  es  einfachere,  die,  der  inneren  Natui-  des  wendischen 
Hauses  nach,  sich  mehr  oder  weniger  dem  allgemein  fränkischen  Typus 
der  Mark  nähern.  Das  Wesentlichste  ist,  dass  sich  neben  den  3  Urräumen 
WohngelasSi  Flur  und  Stall  die  Gliederung  durch  Etnschiebung  oder 
Abtrennung  der  Scheune  und  wohl  auch  noch  des  Schuppens  fortsetzt 
Bei  ganz  ärmlichen  Anlagen  fallen  auch  diese  Bäume  noch  fort,  so  dass 
Flnr,  Küche  und  Stube  bez.  Kammer  übrig  bleiben,  die  dann  so  an- 
geordnet sind,  dass  von  dem  Mittelflur  ein  fierdraum  abgetrennt  ist 

2* 


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20 


oder  beide  Stuben,  nur  diircli  eine  Wand  geschieden,  liabeu  eineu  mit 
der  LäDgswand  gleiclüaut'euden  Vorraum,  der  in  Flui*,  Küche,  Speise- 
rauni  u.  dergl.  g^liedert  ist,  doch  so,  dass  der  erstere  in  der  Mitte  der 
Vorderseite  zu  liegen  kommt  und  mit  der  Hiickseite  auf  die  Stubenwand 
stösst.  (Abb.  36,  87.)  Für  das  Vieh,  in  deu  meisten  Füllen  eineZit  ge,  S(^hweiil 
und  ein  paar  Hühner,  ist  neben  oder  liinter  dem  Wohnhause  je  nach  RaitlD 
and  Lage  ein  kleines  Häuschen  errichtet  oder  am  WoJinliaus  augehängt, 
das  sich  iu  selteneren  Fällen  —  gewissennassen  als  Anfang  eines  Wirt- 
schaftsbofes  —  va  einem,  dem  Wohnhause  parallel  gebauten,  Stall-  und 
Scheunengebäude  erweitert  (Tauern). 


\cm  don  Geitäuden  eines  wendischen  Bauernhofes  ist  das  Thorhaus 
iu  moglirli^t  grossen  Verhältnihscii  aufgeführt,  so  diiss  es  nicht  mir  eine 
ahiretrennto  Kanniier  für  Wirtscliafts^eräte  liat,  sondern  auch  noch  eiuen, 
bi'lbät  uiehrcip  Wagen  schützend  aiifnehinen  kann.  Ja  es  kommt  auch 
vor,  dass  ihm  nocli  ein  oIhtcs  (icschoss  aufgesetzt  und  dem  unteren 
ein  hoi'/bnrcr  Wohnraum  abm'wonnen  ist  (Kt'ichovv).  Der  zwciilügeligö 
Durchgang  ist  iu  der  Mitte  oder  an  der  Seite  und  hat  einen  kleinen 
Nebeneingang,  für  den  bisweilen  auch  der  schmale  Raum  zwischen  dem 
Thorhaus  und  dein  Wohn-  bezw.  Stallgebäudc  ausgenutzt  ist.  Der  Stall 
ist  fast  durchgeliends  mit  dem  Lanfgang  malerisch  geschmückt,  der  bald 
eine  einfache,  bald  eine  reich  prohlicrte  Brüstung  hat. 


Neben  dem  sächsischen  und  fränkischen  Haus  haben  wir  in  der 
Mark  Brandenburg  noch  eine  dritte  Art,  die  weder  mit  diesem  noch  mit 
der  wendischen  zusammenhängt,  sondern  einen  selbständigen  Kern 
zeigt,  der  a1>er  vielleicht  auf  den  letzteren  in  eiiun*  bestimmten  Beziehung 
eingewirkt  hat.  Jiei  <lieser  Hausart  ist  die  Giebelseite  meistens  der 
Strasse  zugekebi-t,  häufig  zweigeschossig,'  und  es  wird  der  weit  vor- 
springende obere  Teil  des  Giebels  derartig  von  Pfeilern  oder  Pfosten 
gestützt,  dass  hier  eine  räumlich  ganz  bedeutende  Vorlaube  entsteht^ 


M.  8iiry«K>X»upeii. 


87.  Bug«r-Kaiitp«B. 


C)  Das  ostdeutsche  Haus. 


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IX«  Baaerobfloser  in  der  Mark. 


21 


unter  der  sich»  bald  ia  der  Mitte,  bald  an  der  Seite,  der  Eingang  be- 
findet Letzterer  öffnet  einen  Gang,  der  geradenwegs  zn  dem  grossen 
Herdraam  fährt.  An  den  Seiten  des  letzteren  and  des  Ganges  liogea 
Kammern  nnd  Stuben.  Der  sich  an  den  Herdraam  schliessende  Stall 
ist  dnrch  das  ganze  Haas  qaergelegt  and  von  ersterem  durch  eine  Thfir 
zngäDglich.  Der  Herdraam  selbst,  wie  alle  älteren  der  Mark,  verengt 
sich  nach  oben  in  einen  mächtigen  Schlot,  der  häufig  nur  ans  Holz 
besteht  nnd  in  einen  gemauerten  Schornstein  endigt. 
Wegen  Fenergefahrlicbkeit  und  >  seines  Holzverbraaches 
ist  der  alte  Herd  nicht  mehr  im  Gebrauch;  man  hat 
dann  neben  ihm  einen  neueren  errichtet  oder  auch  eine 
benachbarte  Sammer  in  eine  Küche  umgewandelt  Der 
Stall,  durch  Abteilungen  für  Pferde,  Rinder  und  Schweine 
bestimmt,  ist  hente  aber  vielfach  in  Arbeits-  oder  Wohn- 
räume umgewandelt,  da  auch  diese  alte  Hausart  dem 
fränkischen  Gehöft  zustreV)t  und  dmcli  Scheuern  und  gesonderte  Stall- 
baoten  den  im  Woliniiiiiise  beiindlicliea  überflössig  macht  (Abb. 
Dass  der  Viehbetrieb  einst  beträchtlich  gewesen  sein  moss,  bezeugt  die 

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88.  Li«iw 


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SB.  ZMk«riek. 


40.  Zio1t6ri«li. 


GnVssf»  des  Stalles:   in  dein  abgebildeten  il:iu>e  aus  Ziickerick  waren 
ni(  ht  wcniirer  als  10  Kühe,  tlie  mit  dem  Ivupf  nach  der  Wand  standen, 
initeixebr:ir1it  ( \\)h.        4ü,  41).   Die  Laube  ist  jetzt  vielfach  abgerissen, 
noch   hautiger  indessen  zugehaut,  wodurch 
das  an  und  für  sicli  schon  in  sehr  grossen 
Verhiiltnissen  angelegte  Haus   noeli  ausge- 
dehnter erscheint,    (ieradr   (lies«>  für  einen 
haiiswirtschaftliclien  ( i ('brauch  sich  voizuglich 
eignende:  iirüsse  im  Verein  mit  dei' gt;iäumigen 
Vorlaul>fi  ist  wohl  die  Ursaclie,  »lass  ua<;h 
dem  allgemeinen  HiickLrarig  dicsei'  ßauweise 

der  Typus  für  ( Jastwirt^ehaften  festgehalten  wuido.  P«*r  7Aveck  der 
Lauben,  der  „Lawinge*"  oder  „Löwinge",  wird  \uu  d.ii  lieutigen 
Bewohnern  verschieden"  gedeutet:  teils  sidlea  >u;  zum  riiterlahren  der 
Wagen  gedient  luiben,  teils  nutzt  man  sie  lieute  zum  Trocknen  der 
Tabaksblätter  (in  den  Dörfern  des  Oderbruches)  aus. 


41.  Zilckorick. 


22  Robert  Mielke: 

Wo  ist  min  die  Urform  diesos  Hauses  zu  suchen?  Sächsisch  ist 
sie  siclu'i-  iiiclit:  dvim  sonst  niüssto  die  Laube  auch  an  den  Häusern 
auf  .siich.si.sclu'm  Btjdeii  vorkoinmon.  Wie  aus  dem  Nuthehaus  hervor- 
irelit,  tritt  die  Laube  hier  nur  am  Stall  und  am  Thorhaus  auf,  nie  aber 
am  Wohnhaus.  An  fräiikischt'n  Ursprung  ist  auch  niclit  zu  denken,  denn 
tlie  hier  vorliandenen  Laul»en  siml  an  der  Langseite  und  ganz  anderer 
Art.  Wold  aber  giebt  es  in  l'uunnern,  Posen,  West-  und  Ostpreussen 
ein  Haus,  das  eine  gewisse  Ül»ereinstinnnung  des  Grundrisses  mit 
unserem  miirkischen  Hause  aufweist  und  das  bis  Russisch  Polen  und 
Galizien  hin  verbreitet  ist.  Auch  bei  ihm  erhält  das  Äussere  durch  die 
mehr  oder  minder  freie  Laube  sein  charakteristisches  Au.^sehen;  auch 
bei  ihm  sehliesst  sich  an  den  Herdraum  der  Stall  an,  nur  dass  nach 
Osten  hin  Herd-  und  Wohniaum  zusannneid'allen.  Ist  die  Laube  zu- 
g«'baut,  wie  jetzt  häulii»  bei  uns,  so  entstehen  vor  dem  Herde  neue 
Woliinanme,  so  dass  wir  also  eine  «Ireifache  Entvvickelung  verfolgen 
können:  Im  Osten  Laube,  Herd-  und  Stallraum,  westlicher  die  erstere 
in  StiilK'ii  umgewandelt  und  in  der  Mark  unter  Beibehaltung  der  Laube 
eine  Ei-weitening  dui  <  h  Hiueinsehiel)en  von  Stuben  und  Kammern 
zwischen  Herdraum  und  Laulie,  Je  weiter  wir  also  nach  Westen,  in 
die  Mark  komnien,  um  so  mehr  bedingen  die  wachsenden  Kultur- 
bediirlnisse  einen  Zuwachs  an  Kauinlichkeiten ,  dem  schliesslich  die 
Laube  zum  Opfer  fiel,  was  natürlich  eine  innner  grössere  Entfremdung 
von  dem  Urbild  einschliesst.  Diesen  Voi'gaug  können  wir  schliesslich 
auch  in  der  Mark  in  weniger  grossen  Sprüngen  sich  vollziehen 
sehen. 

Wir  haben  hier  zunächst  ein  Haus  in  Kädnitz  bei  Crossen 
(Abb.  42),   das  äusserlich   und  in  der  Grundrissanlage  an  das  von 

Mt'itzen  Taf.  VI  H.  \)  abgebildete  Posensche  und  an 
das  von  IL'uniii-  Abb.  4*.)  dargestellte  hinteri)ommer- 
sche  erinnert.    Obgleich  es  mit  ilem  Giebel  der  Strasse 
/umkehrt  steht,   hat  es  —  wohl   unter  den  Einwir- 
kuMiicu  der  >i(  Ii  hcrausgestaltenden  Hofaulage,  die  weder 
Meitzen  noch  Henning  anführen  —  den  Giebeleingang 
verloren:  doch  ist  die  halbgeschlossene  Vorhalle  noch 
\urhanden.    An  sie  sehliesst  sich  —  aber  ohne  direkte 
Verbintiun;;   —  die  grosse  Stube  nnt   dem  von  der 
Küche  heizbaren  Ofen.    Die  letztere  selbst  ist  dem  vom 
Hofe  aus  zugänglichen  Flur  abgewonnen  und  durch  eine 
4S.  Bftdalts.      (^nert eilung  nochmals  verkleinert  worden.     Auf  der 
hinteien  Seite  des  Flures  folgen  Pferde-  und  Kuhställe, 
von  denen   der  letztere  nicht  ursi»rünglich  ist.    Vor  diesem  die  Dung- 
grube, im  llinb'igruiid  ilie  Scheune  und  auf  der  anderen  Seite  2  kleine 
Wirt.'icluiftshäuser  vervollständigen  das  Gehöft. 


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Die  Baaernhäuser  in  der  Mark. 


28 


48.  Ziehow. 

aluT  »las  Fcst- 


Solcher  Häuser  giebt  es  in  diesem.  Dorf  und  in  dei*  Nachbarschaft 
eine  ganze  Reihe.  Die  Küche  ist  lediglich  ein  in  den  Dachraum  hinein- 
ragender Schlot.  Von  grösster  Bedentiiog  erscheint  die  der  alten  Laube 
abgewonnene  Kammer,  die  veriiiiitlicli  dfu  Ausgangs i)unkt  des  für 
(iio  Xutlie-Nieplitz-Niederang  uiid  fttr  die  Lausitz  cliarakteristischen 
Vorliausos  geworden  ist  und  bezengt,  wie  dfi'  Austausdi  von  Osten 
und  Westen  ein  gegenseitiger  war:  dei-  eine  erfand  da-^  Voj-luius,  der 
andere  führte  dagegen  den  fränki.schen  Grundriss  ein.  Für  dies(Mi 
Ursprung  dop  Vorlianses  spricht  auch,  dass  es  ebensowenig  wie  die 
älteren  Beispiele  desselben  mit  Fenstern  verstehen  ist. 

Eine  bedeutend  höhere  Eutwickelungsstufo  nehmen  schon  die  nörd- 
licheren Laubenhäuser  ein,  wenngleich  hier  das  Festhalten  an  der  vollen, 
uneingeschränkten   Laube    eine    gowisseruiassen  ältere 
Ep"(  Iie  anzeigen  sollte.    Dass  sie  jedoch  den  nächsten 
5*chritt,  die  T>anbenhalle  zuzubauen,  nicht  nun-ht,  liei^t 
wohl  zum  Teil  an  der  Beteilignnu  des  deutxhen  Kin- 
wohnerelement.s  an  der  I'eiuitzniii;.    In  Jiid  ickenil  «>i  f, 
das  .schon  in  dem  Beivich  des  Odci  brn«  lies  lieiit,  i^I 
einem  llau.se  zwar  die  Laube  lieut  nicht  mehr  soiluinden. 
halten  des  Stalles    beweist  ('lM'n>-<i   wie    in  dem  benaciiburteu  Butter- 
felde,   dass  die  Enlwickeluug   nicht  -j»rnng\vi'ise 
s«mdei-n   allmählich   vor  sich  gegangen  ist.  Auch 
die  Häuser  in   Zäckerick,  die  schon  inehrfacli 
veröifentlicht  sind,  gehören  dieser  Entw  i(  kclnngs- 
.-^tufe  an,  die  im  Fortschreiten  dann  den  Stall  durch 
Einbauten   und   schliesslich,   wie   in  dem  ucker- 
maikiscIuMi  Zic  how   (Abb.  48),   (hirch  Fortlassen 
verliert.    (V<»n  zweifelhafter  Herkunft  scheint  mir 
fin  Haus  in  Wichmannsdorf  zu  s«'in  ^Vbb.  44}, 
das  ans  dem  neumärkischeu  Laubenliause  hervor- 
gegangen  .sein  kann,  möglicherweise  jedoch  als 
vereinzelter  Vorposten   de.s   märldschen  Dielcn- 
hauses  anzusehen  ist.)    Mit  dem  Herauwaclisen  des  Hofes  wird  das 
Hinfiberleiten  in  den  fränkischen  Typus  beschlossen,  und  nur  die  hier 
nnd  dort  ans  änsserlicher  Veranlassung  noch  festge- 
haltene Laube  dentet  den  vorausgegangenen  Umwandinngs- 
prozess  an.  ^ 

Dass  wir  es  wirklich  mit  einer  alten  Ban- Über- 
lieferung zu  thnn  haben,  bezengt  nns  auch  Merian,  der  45.  AmswaM«. 
ons  in  seiner  ca.  IHoO  erschienenen  märkischen  Topographie 
ein   solches  Hans  ans  Arnswalde  im  Abbilde  (Abb.  45)  erhalten 
bat,  das   auch   durch   seinen  Standort  nach  dem  Osten  hinweist. 


4- 


An 
hmu. 


 m 


■f. 


U.  Wicbmunaftdorf. 


Digiii^iüu  by  Ljt-Jiv.'v  e^ 


24 


Bob«rt  Midke: 


4«  Baustoff  und  Kunstformen. 


Nebea  dem  Ziegel  und  Kols  kommt  der  Granit  als  einbeimischer 
Baustoff  nur  wenig  in  Betracht  Zwar  nennt  unser  märkischer  Chronist 
Ticu tingor  in  seiner  Topographia  unter  den  Stof1V>n  seiner  Zeit  auch 
liruchsteine,  aber  er  wird  sich  wohl  nur  auf  stadtist  lio  Bauten  bezogen 
haben.  „Die  Häuser  der  Keicheu  baut  man  aus  Ziegeln  oder  Bruch- 
steinen, Mörtel  und  Holz;  letztere  auch  niedriger.  In  der  Mittelmark 
deckt  man  sie  mit  Ziegeln  oder  Schiefer,  sowohl  des  besseren  Aus- 
sehens, als  der  geringeren  Feuersgefahr  halber;  in  der  Lansitz  und  im 
Krosseuschen  mit  Schindeln,  was  in  letzterer  Hinsicht  weniger  sicher 
ist.  In  der  Uckermark,  sowie  in  der  alten  und  neuen  Mark  sind  Stroh- 
dächer die  Regel".  Mit  diesen  -Worten  schildert  derselbe  Schriftsteller 
die  Bauten  seiner  Zeit,  die  ein  uoclt  lunite  zutrelVendes  Bild  ihrer  «»rtlichen 
Vertcilunu  ireben.  I )en  Bruchstein  als  BaustntV  fiir  den  Hauernhof  anzu- 
wenden, ist  erst  der  CJegeuwart  vorbehalten  geblieben,  die  nicht  Selten 
die  Wirtschaftsgebäude,  vereinzelt  auch  Wchnf^ebändo,  aus  Findliugeu 
»•rrichtet.  (Jühnsdorf  bei  Zossen,  Krummensee  bei  Bernau,  Ruten- 
berg bei  Lycheu.) 


«.  Orttnfold.  47.  QccM-Wooti. 


Der  Backstein  hat  seit  Mitte  dieses  Jahrhunderts  eine  steigende 
Verwendung  gofnmien.  Auf  einzelnen  Ddifem  des  Fläming,  in  der 
Wiesenburger  Gegend,  dann  in  der  Nähe  Berlins  und  im  Norden  an  der 
mecklenburgischen  Grenze,  ohne  jedoch  zu  einer  besonderen  künstlerischen 
Reife  gelangt  zu  sein.  Der  Backstein  als  FuUmaterial  in  dem  Fach- 
werk ist  bei  älteren  Bauernhäusern  nur  vereinzelt  anzutreffen  (Lenzer 
\V!><  lie,  Fläming)  und  scheint  nidit  olin>'  Beziehung  zu  gewissen 
Kolonisationsbewogimgen  zu  stehen  (Abb.  47).    Auch  Luftziegel,  die 


IHe  Bftuernbttuser  in  der  Hark. 


25 


48  Stwaberg. 


im  Hansbetriebe  gefertigt  wurden,  sind  hier  nnd  dort  als  Füllmaterial 
verwendet  worden,  die  daneben  aach  an  Herden,  besonders  In  wendischer 
Gegend  (Sternberg,  Abb.  48)  angewendet  wurden. 

Das  wirklidi  dauernd  angewandte  Material  des  Landes  ist  das 
Holz:  in  der  ältesten  Zeit  der  Eiche,  seit  Anfang  des  vorigen  Jahr-« 
hundert«  der  Kiefer.  In  seiner  Anwendnog  zeigt  sich  aber  ein  grosser 
Unterschied  nach  den  Landesteilen  und  dementsprechend 
auch  in  der  konstruktiven  und  künstlerischen  Fonnbehand- 
lung.  Wie  schon  in  der  angeführten  Stelle  des  Leutiuger 
gesagt  ist  ^Lehm  und  Holz'*,  so  ist  diese  Anwendung  dieselbe, 
die  noch  heute  grossenteils  vorzufinden  ist  und  wahrschein- 
lich schon  seit  den  Anfängen  des  Hausbaues  üblich  war. 
Ihr  gegenüber  steht  die  Technik  des  reinen  Holzbaues  in 
der  Form  des  Block-  und  Schrotbaues,  die  sich  in  ihrem 
Verbreitungsgebiet  mit  der  des  oben  angegebenen  Gebiets  der  wendischen 
Haustypen  deckt,  wodurch  sich  aiicli  gewisse  Eigenarten  dorsrlbcn 
erklären.  Was  nic  ht  in  dieses  Gebiet  fällt  ist  mit  Ausnahme  der  Halb- 
laubenhäuser  von  Rüdnitz  dem  Fachwerk  zuzurechnen,  das  seiner- 
seits wieder  die  Gestaltung  des  fränkischen  und  sächsischen  Hauses  be- 
einflusst  hat.  Allerdings  mischt  sich  auch  auf  wendischem  Gebiet  das 
Facliweilv  stark  mit  dem  Bl*>ekhai!  ,  doch  ist  es  wulil  erst  s|)at  ein- 
gedrungen und  niHcht  sich  zunächst  nur  an  kleineren  Häusern  geltend, 
hat  hier  aber  gleich  Veranlassung  zu  eiuem  Zierinotiv  gegeben,  das  echt 
wendisch  und  soweit  mir  be- 
kannt, auch  nur  in  ehemals 
slavischen  Gegenden  vor- 
kommt. Die  Gefache  sind  iu 
deutschen  wie  slavischen 
Gegenden  derart  gefüllt,  dass 
zwischen  den  Pfosten  und 
Riegeln  des  Fachwerks  roh 
bearbeitete  Holzscheite  senk- 
recht eiogenutet  werden,  die 
mit  Stroh  gemischten  Lehm 
aufnehmen  nnd*in  seiner  Lage 
erhalten.  Diese  Lehmfläche  wird  auf  deutschem  Gebiet  fast  allgemein 
nnd  auf  wendischem  häufig  geweisst,  bisweilen  auf  letzterem  aber  durch 
ein  mehrzinkiges  Gerät  mit  geraden  oder  wellenförmigen  Linien- 
Systemen  ausgeschmfickt  (Bruck  Abb.  49,  Reiche w  Abb.  50),  die  an 
das  charakteristische  Wellenornament  der  slavischen  Vorzeit  erinnern. 

In  dem  Verhältnis  dieser  beiden  Bauarten  hat  sich  nun  schon  seit 
langer  Zeit  eine  kleine  Verschiebung  bemerkl>ar  gemacht,  indem  sich 
die  Konstruktionsmotive  zn  ornamentalen  Äusserlichkeiten  verflächten. 


4a  Brttok. 


So.  Beiobow 


2t> 


Bobert  Mielke: 


(1.  SpxMwaMliA«i. 


68.  Hcnnigidorf. 


DftB  Spreewaldlians  (Abb.  ol)  ist  noch  ein  «achter  Blockbau,  der,  je 
weiter  wir  ihn  westwärts  veifolgen,  seinen  Charakter  immer  mehr 
vorltei't  und  sich  mit  firetterverschalnog  hegnOgt    Diese  ist  also  als 

Überbleibsel  des  ehemals  ganz  aus 
Holz  gefertigten  Hauses  ans  der  Kon- 
struktion hervoigegangen ,  wiilireiul 
die  Bretterverkleidung,  die  sich  in 
reindeutsclien  Gebieten  findet,  sich 
tungekelirt  uns  omamentalen  Gründen 
entwickelt  hat,  wenn  auch  ursprfmg- 
lich  bestimmte  technische  Gedanken 
wie  Schutzbretter  u.  a.  vorlagen.  Es  s:eht  dies  daraus  hervor,  dass  bei 
dem  deutschen  Hanse  die  Bretter  nii-iit  schleclitweg  ganze  Manerwände, 

sondt  in  nur  Teile  derselben  verdecken, 
wäliiend  sie  am  wendischen  Hanse  die 
ganze  Wand  bekleiden.  Je  mehr  man 
westwärts  in  ohonials  von  Wenden  be- 
wohnte ( lt'i;t'inlt'ii  ut'laniit,  Hin  so  hiiiiliErer 
tritVt  Jiian  aiirli  ßirrtcrvrrkU'idiino:,  dir 
die  Wände  bedcckcii.  Zuerst  w  ird  noch 
die  ganze  Langtront  odei-  der  dh  i  1 
(Hennigsdorf  Aldj.ö-J)  <iaiiiit  bekleider 
daim  alicr  nur  noch  der  obere  Teil  desselUen,  bei  dem  dio  ßretter  .senk- 
recht unmittelbar  auf  das  Fachwerkgi  iüst  j>,>iiaffelt  weiden.    Auch  im 

Spreewald,  wo  der  Dachrauia  ebent'ulls 
für  den  Luttdiirchzug  hergerichtet  ist, 
sind  die  Giebt  UIreiecke  bei  sonst  gimz 
(hncliirttidirtem  Blockbau  mit  der 
Brettnverkleiduiiti  iü  tiiiei'  charakte- 
i'isiisclu'ii  Weise  ausgeschmückt.  Bis 
zur  Mitte  desselben  stehen  die  Bretter 
.senkrecht,  die  oberen  und  unteren  Ah- 
schlusslinien  werden  dann  durch  schräge 
Schutzdächer  hervorgehoben  und  die 
obere  Hälfte  mit,  mit  d'en  Dachlinien 
gleichlaafenden,  Brettern  benagelt,  die 
in  der  Mitte  aufeinanderstossen.  Es 
entsteht  so  ein  sehr  geschmackvolles 
Linienornamenty  das  durch  die,  auf  die  Fugen  genagelten,  Leisten  noch 
wirkungsvoller  wird.  Dieses  so  eigenartig  ausgestaltete  Giebeldreieck 
kehrt  fast  überall  wieder,  wo  einst  Wenden  gewohnt  haben  und  zeugt 
dann,  nachdem  Sprache,  Sitte  und  Tracht  längst  geschwunden  sind, 
noch  immer  von  ihrem  einstigen  Dasein  (Abb.  58). 


ISa  Lobd«. 


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Diu  Baueruhüuser  iu  dvr  Mark. 


27 


Bei  (li'iii  de  utschen  Baiieniliause  licp^t  der  Sriisv  eipuiikt  dtT  künstle- 
rischen Wirkunu:  in  dem  Facliwerkgerüst,  das  liiintig  dnrch  eine  rote 
Farbe  von  dem  licliteii  Filllvverk  hervorgehuhea  \vii<l.  Die  Anwendnng 
<les  Holzes   ist   am  Faclnverk    selbst  ukht  gerade  spai*sani,  doch 


64.  Hau«  dM  Hertdiu,  Uödlicb. 


6&  Bttckwiti. 


macht  sich  auch  keine  Yerschwendung  geltend.  Fast  überall  sind  der 
oder  die  oberen  Schwellbalken  dnrch  reiche  Profilierung  hervor- 
gehoben, die  sich  auch  häufig  auf  das  obere  Gesims  erstreckt.  Bei 


67.  LUbvdorf. 


alteien  sächsischen  Hiuii>eru  liudet  mau  wnlil  auch  über  der  Oberschwelle 
ii(.(  h   srhräo:e  Fussbänder  (Mödlich,  Abi).  54),  die  das  Dachgest  liu.-^s 


ebenso  wirkuufisvoll  von  dem  unteren  Kaum  abheben  wie  die  leise  Uervor- 
kragnng  desselben  auf  der  Cxiebelseite. 
Stilistisch  zusammenhängend  sind  <Ianu 
J»  rner  die  Bauernhäuser  des  Kuppiiier 
Landes  (Abb,  55),  die  fast  iUuchgehends 
mit  einem  bewohnbaren  Obergeschoss  ver- 
sehen sind  und  zu  der,  ei?u^n  Hol/iibertluss 
verratenden,  Nuthe-Nie|ilit/.-Grup|K!  (Abb.5f))  hinüberleiten.  Was  Kübnlieit, 
Festigkeit  und  Sidierlieit  des  Fachwerkverbandes  (Abb.  57,  58)  angehen,  so 
ist  dies  hier  vielleicht  mit  einer  seltenen  Vollendung  geulückf.  wie  es  sich 
namentlich  aus  der  Mannigfaltigkeit  der  Konstruktionen  und  der  Trolilie- 


^  ^  (  |f  ^ 


W.  Oabtlltproilte. 
Natb«<lli»pUti*Ni«deninK. 


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28 


Roberfc  MieDte; 


raDgea  (Abb.  59)  ei^ebt,  die  an  den  Lauben  nnd  den  Futterg&ngen  der  Stalle 
ausgeführt  sind.  Auch  die  vielfachen  Abwandlungen  der  Vorlaube,  die,  bald 


eoi.  OobwriU. 


61.  SohOnow. 


tiS.  Borntt&dt. 


6i3.  Butgidorf. 


aus  dem  Organismus  des  Hauses  hervorgehend  wie  bei  den  Läwingen,  bald 
nur  äusserlich  angehängt,  eine  ganze  Reihe  vielgestaltiger  Mdglichkeiten 

kennt  (Abb.  60, 61 , 62, 63),  sind  bemerkenswert 
Schutzdächer  sind  sowohl  dem  wendischen 
wie  dem  deutschen  Hause  eigen;  sie  sind 
nicht  nur  an  den  Giebeln,  sondern  oft  auch 
über  den  Fenstern  angebracht.  Letstere 
werden  auch  durch  Laden  geschützt,  die  von 
aussen  zuzuklappen,  in  ihrem  oberen  Teil 
ein  Lichüoch  in  Gestalt  eines  Sternes  oder  einer  konventionellen  Tulpe 
haben.   Konstruktionen,  wie  sie  das  Mödlicher  Haus  hat,  sind  nur  in 

der  Wischegegend  üblich  (Abb.  64). 

Gegenüber  dieser   deutschen  Bauweise 
tritt  in  der  wendischen  ein  Unterschied  schon 
in  dem  Überwiegen  reiner  Holzkonstruktionen 
auf,  die  sowohl  Block-  wie  Schrotbau  umfassen. 
Der  Blockbau  beschränkt  sich  auf  das  Wohn- 
haus, der  Schrotbau  auf  die  Wirtschaftshäuser, 
namentlich  auf  das  Thorhaus.   Die  einfachste 
Art  von  Blockbau,  bei  der  die  viereckig  be- 
hauenen  und  geschichteten  Hölzer  in  ihrem 
Ereuzverband  (Abb.  65,  66)  derart  ineinander- 
geblattet  sind,  dass  ihre  Enden  etwas  übereinandergreifen,  findet  sich  vor- 
wiegend an  einzelstehenden  Wohnhäusern,  selten  aber  bei  solchen  eines  ent- 
wickelteren Grundrisses.  In  diesen  über- 
aus  häufigen  Fällen  stehen  vor  der  Block- 
wand der  Giebelseite  mehrere  aufrechte 
Pfosten,  je  einer  an  den  beiden  äusseren 
Ecken  und  je  nach  Bedarf  einer  oder  zwei, 
selbst  drei  in  der  Mitte,  die  einen  wage- 
fl&Thtiift.      66.  TteMok«doff.  rochteu  Querbalken  tragen,  mit  dem  sie 


61.  MödUob. 


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Die  BraenihliiBer  in  der  Hark. 


29 


durch  schräge  and  ansgeschDittene  Kopf  bänder  verbunaen  sind  (Abb.  53 
0.67).  In  dieser  Bauweise,  die  ein  so  prachtvolles  Motiv  des  wendischen,  aber 
auch  in  Thftringen,  Böhmen,  Masaren,  selbst  In  Schleswig  vorkommenden, 
Hanses  abgeben,  möchte  ich  ein  Kompromiss  zwischen  der  von  Dentschen 
getragenen  Fachwerktechnik  and  der  nationalen  Blocktechnik  der  Wenden 


67.  Stradoi. 


eSt  TMbMdudorf. 


erkennen  (Abb.  liS),  bei  dem  vielleicbt  die  Erinnerung  an  die  östlichen 
Laubenhäaser  (Rädnitz)  mitwirkte.  Dass  wir  es  in  der  That  mit  einer 
Yt  rsclnnelzung  des  fränkischen  Fachwerkhauses  mit  dem  urwüchsigen 
Blockbau  zu  thun  haben,  bezeugen  die  vielen  Wirtschaftshäuser,  Ställe, 


68  Stranpiti.  (Thorhaiu.) 


7a  B«iohow.  (Tborbana.) 


fiemisen,  Thorhäuser,  bei  denen  ein  vollständig  entwickeltes  Fachwerk- 
gerOst,  das  auf  einem  Steinfundament  steht,  vorhanden  ist,  dessen 
Fällungen  bald  mit  Schrotholz  bald  mit  diesem  und  dem  üblichen  Lehm- 
stakenwerk hergestellt  sind  (Straupitz  Abb.  69).  Nicht  selten  ist  auch 
einem  massiven  Unterbau  ein  luftiges  Fachwerk  aufgesetzt,  das  schon 
durch  die  Stallarchitektur  mit  ihren  Lanfgängen  eine  solche  Entwickelung 
gewissennassen  vorzeichnete  (Abb.  70). 


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Bobert  Hi«ttce: 


Leidur  kommt  man  in  der  Lausitz  von  dem  reizvollen  Holzbau 
mehr  und  mehr  zurück;  man  schiimt  sicii  fast  der  altüberkommenen 
Bauweise  uiul  versucht,  den  Hol/Avänden  durch  Übermörtcluii^  und 
Woipson  ein  anderes  Aussehen  zu  geben.  Und  doch  hat  man  es  garnicht 
niAv^,  dii'sp  Kunst  zu  vorleugiien,  die  auch  da  noch  ihre  Vortrefflichkeit 
zeigt,  wo  mau  schou  gauz  zu  dem  Fach  werkbau  übergegaugeu  ist 


71.  Ofpeonn.  Ii.  Lehdsb  n.  Thtiia. 


(Abb.  71,  72,  78).  In  dem  Reichtum  des  Kiegelwerkes  (Abb.  74),  diu«; 
der  sparsamen  Ver\von<hinf;  im  Westen  der  Mark  entgegengesetzt  ist, 
in  der  Verankerung  durch  BhikIim-  und  Rt  festie^uiig  <lurch  Holzdübel, 
Niia<'l  und  in  der  p^eschickttMi  L  berblattuug  konnnt  sie  unwillkürlich 
wieder  zum  Vursclieiu  (Werchau  Abb.  75).   Die  Enouerimg  an  alto 


74.  Radensdorf.  75.  Oross-W'ercbau.  7Ö.  Reichow. 


Fonnen  ist  ü1*ei  liau[>t  nicht  so  leicht  zu  ertöten  und  wird  noch  lange 
in  verblassten  Zügen  festgehalten,  wenn  der  ursprüngliche  Aasgang  ver- 
gessen ist.  Nur  aus  der  ehemaligen  Cicl.clverschalung  ist  es  zu  er- 
klären, dass  es  in  der  Lieberoser  und  Schiepziger  Gegend  Häuser 
giebt,  bei  denen,  trotzdem  sie  vollständig  aus  Backsteinen  erbaut  sind, 
nocii  immer  die  oberste  Spitze  des  Giebeldreiecks  mit  Brettern  be- 
kleidet ist 

Ebenso  zögernd  treuut  man  sich  auch  von  den  alten  märkischen 
Strohdächern,  die  sich  namentlich  wieder  an  den  sächsischen  Häusern 


Üigiiizeü  by  i^üOgle 


Die  Bftnerohinfler  in  der  Mark. 


31 


in  ihrer  nnvermiiiderteD  Grösse  erhalten  hahen.  Der  Walm  ist  hier 
allgemein  noch  fiblich,  wenn  er  anch  unter  Benntznng  des  Dach* 
geschosses  zu  Wohnzwecken  etwas  zusammensohrompft  (Gr.  Wootz 
Abb.  77).  Die  dem  Winde  allzu  sehr  ausgesetzten  Angriffspunkte  sind 


TT.  GroM-Woots. 


TBL  Beiahow. 


«lurdi  ^Wlndiatten"  geschützt  orler  aucli  wie  in  der  Lausitz  durch  eine 
Art  Strohummantelung,  bei  der  Hohlziegel  offenbar  als  Vorbild  dienten 
(Heichow  Abb.  78).  Besondere  Sorgfalt  erheischt  natürlich 
die  Firstbindung  (Abb.  (>9  u.  7*.l),  die  von  wagerechteu  Latten 
und  sorgfältig  ^t  l>uudenen  Strohschaaben  erzielt  wird,  die 
aber  häufig  durch  kreuzweis  mit  einander  verbundenen  Holz- 
kloben in  wenig  kunstreicher  (Itstalt  (Abb.  11,  "JOj  27,t28u.5'J),      TO,  ThefM. 
oder  auch  durch  einen  zweiten  aber  verkürzten Strohniantel  er- 
setzt wird.  In  zierlicher  Weise  ist  dieses  Bindungsprinzip  in  Mödlich  durch 
flu  Gestpll  von  IlnlzklaTTiinern  erreiclit  worden,  die  teilö  mit  wagerediten 
Latten,  teils  mit  einer  den  ganzen  First  begleitenden 
oberen  Ab.sehlu.>^slatte  in  \'erbiiuiuug  stehen  (Abb.  tiüj.  i\f 

Tn  wendischen  Ge^endrii  ist,  wie  schon  Len- 
liiiger  hervorhebt,  das  Scläudehluch  einheimisch, 
das  jedocli  dem  Ziegeldadi  fast  gi'widien  ist.  Nur 

au  den  Kirciien  trifft  mau  uorli  finzeliie  Ucste  dieser  ^     „. . 

80(  HAolieli. 

urwüchsigen  nnd  bodf'nständiycn  Kunst.  Nach  diesen 
zu  ni'teilen,  bevorzugte  mau  in  der  Mark  ein  kleineres  Format  als  in 
Midlu  lieren,  sächsisclien  und  schlesi.scheu,  Strichen,  ileut  ist  ilas  alte 
Wendenhaus  last  durchgehends  mit  Stroh  gedeckt.  Was  Leutinger  von 
dem  Schiefer  er/iihlt,  kann  man  mir  auf  städtische  Hänser  }>«^ziehen,  da 
mir  Id  der  ganzen  Mark  nicht  ein  einziges  altes  Bauernhaus  mit  dieser 
Dachdeckung  vorgekomnieu  ist. 

Die  Formen  der  Giebelverzierungeu  können  unschwei'  in  zwei 
Gruppen  untergebracht  werden.  Bei  der  einen,  die  durch  zwei  ge- 
kreuzte Wiudlatten  entstanden  ist  wie  bei  der  anderen»  hauptsächlich  in 
der  Nenmark  und  hier  auf  Laubenbäusem  stets,  auf  anderen  wechselnd, 
vorkommenden  Art,  welche  von  einem  senkrechten  Brett  gebildet  wird, 
ist  der  technische  Hergang  derselben  Art  (Abb.  81  n.  82).  Das,  bezw. 
die  Bretter  werden  je  nach  der  Form  ausgeschnitten,  so  dass  ein 
geleimtes,  genageltes  oder  überliau[)t  ein  zusammengesetztes  Giebelzeichen 


32 


fiobert  MiaDce: 


Mum<So rfm,a.   Xüy*tnJUiun.  ZiejtUi  AaaeK  Btfhlt  qukrt.  ß^forxMitAle, 


iTd  dt'cktfiJorj'.  t/äcUckttiolejf.   tJa<iicktndofJ'.    lufolttudoffmUtrlin.  Woltertctoi^. 


^lAeriek.        X£r^trtrA*      X^'fAtru^,       XifHrifk.  AiH-l^»tf9W, 

81.  Qi»lwli»i«hn. 


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Die  Ban  nbloMr  in  der  Muk. 


33 


vennieden  wird.  Während  aber  im  fibrigen  Deutschland  bestimmte  Bilder 
in  örtlichem  Znsammenhange  vorlcommen,  haben  wir  in  der  Marie  eine 
ganze  Reihe  von  Bildzeichen,  die  wahrscheinlich  auf  nnr  wenige  Urformen 
zorQckgehen,  die  sich  aber  im  Laufe  der  Zeiten  zn  unbestimmten 
omamentalen  Gebilden  verflfichtet  haben.  Der  Pferdekopf,  im  west- 
lichen und  nördlichen  Deutschland  so  h&ufig  vorkommend,  ist  bei  uns 


1.  Qross-Olieoick«  bei  Potadam.  2.  Deagleioben.  3.  Li»pe  bei  Oderbarg.  i.  Lieberoaa.  6.  Raaea. 
H  Smtcb  b«i  Lsffow.  7. «  8  MMlicb.  9.mttUa(Pxigait«.)  iatt.U.lUdlielu  18  Hmii|idotf  ».H. 

L  V.  2.  Orönz  (Uckerniark ;v  Zil^kerifk  ii.  n    i  Pertikow  ^Uckermark).  5.  Falkenhagen  (ürkor 
auwk).  tx  Sobwaneberg  (Uckermark).  7.  Stenzig  bei  Droaaeu.  8>  Oranow  bei  DroMen.  9.  Lagow 
b«i  DroMtB.  10  bte  U.  DmIimI  b«l  Landsb«rg  ».  W.  IL  0«a»li«i«a  b«i  Ttltow.  W.  Falkmtnild« 

fVelMmSfit).  17.  Hfttilel.pn  irrliprmnrk).  19.  nertikow  (IVkermnrk).  90 bia 22.  Kuhz 'rckWMWk)* 
ABl  Borger-Kaapeu  läpreawald).  -M.  ijelohüw  bei  Lagovr    86.  bia  'JSi.  Zorndori. 

9  Ut  80k  Wraehew  (N«am»*lK)> 

an  den  ])rignitz.sclien  Dieleiihäusern  zu  üuden.  Nur  zweimal  lialio 
icli  ihn  südlicher  nacliweisen  können,  an  der  Rauener  Ziegelei  bei 
Fiir.^tenwalde  und  —  wunderliarei-  Weise  wie  bei  JUeriien  die  Köpfe  nach 
innen  einander  zugekehrt  —  in  Hennigsdorf  a.  II.  Zahlreicher  sind 
andere  liildungeu,  unter  denen  besonders  zwei  Typen  hervortreten:  der 
Hall  nun  köpf  vorwiegend  an  den  Häusern  des  Spreewaldes  und  ein 
ä«hr  stilisieiier,  den  mau  seiner  heutigen  Erscheinung  uadi  vielleicht 


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34 


Robert  Mielke: 


als  Hasen-  oder  Hundskopf  deuten  kann;  wenif^tens  lassen  die  bis- 
weilen herausgearbeiteten  Füsse  auf  einen  Vierfüsser  schliessen.  Daneben 
konmieu   rein  ornamentale  Bildungen   vor,  denen  man  irgend  einen 


»3.  RAtlnitz.   (S.  Abb.  44.) 


tierischen  Ursprung  nicht  mehr  ans<'heii  kann,  die  aber  doch  wohl  nur 
als  Verkümmerungen  solcher  Formen  aufzufa.^sen  sind,  wie  es  sich  durch 


84.  Zichow.  (S.  Abb.  43.) 


eine  Reihe  von  Übergängen  ergiebt.  Nicht  selten  trit^'t  man  auch  zwei 
verschiedene  Sinnbilder,  von  denen  das  eine  wohl  eine  ungenaue  und 
nachträgliche  Ergänzung  ist.  Die  andere,  senkrecht  stehende  Gruppe 
der  Giebelfiguren  geht  nicht  auf  Tiervorbilder  zurück,  sondern  i.<t  eines- 
teils aus  Blumen,  teils  Symbolen,  wie  dem  Kreuz,  entwickelt;  viel- 


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Die  Bauembäiiser  in  der  Mark.  35 

leicht  ist  auch  ein  llauszeichen  hier  uud  dort  uuter  der  Form  ver- 
borgeu.*) 

Zum  Schluss  dieses  Abschnittes  sei  auch  der  Farl)e  noch  gedacht. 
Dass  das  Fachwerk  im  Norden  der  Mark  vielfach  rot  gestrichen  wird, 


Sö.  Frnukenf'örtle  i.«.  S.  Iii. 


86.  Kemoiti  (b  S.  18). 

ist  bereits  erwähnt.  Früher  soll  man  dazu  Ochsenblut,  das  übrigens  auch 
bei  der  Zubereitung  der  Dreschtenne  keine  unwesentliche  Rolle  spielt, 


•)  Bei  Ziegeldächern  fallen  die  Giebelzeichen  natürlich  fort.    Doch  kann  man 
sich  von  den  Vorstellungen,  dass  hier  eine  Figur  fehle,  nicht  ganz  frei  machen,  uud 


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36 


Robert  IGelke: 


gebraucht  habea*  Heute,  wo  man  nicht  mehr  so  farbenfreudig  ist, 
zieht  man,  wenn  überhaupt,  ein  gedämpftes  Braun  vor.  Die  Füllungen 
werden  übereinstimmend  weiss  gestrichen;  nur  vereinzelt  wird  eine 
gelbliche  Farbe  angewandt  Im  Umkreise  Berlins  scheint  vor  einigen 
Jahrzehnten  sich  auch  eine  bläuliche  Farbe  vorübei^hend  eingefübi;^ 
zu  haben. 


m.  Bei«bow. 


5.  Hanslaschrifteii. 


Nicht  alle  IIaii.siiisclirifti>n  koDiicu  liier  vPvöflR'ntlicht  werden,  sondern 
nur  i'inzolno,  dio  durch  die  darin  ausgcspruc  In  no  Anschauuu«;  i'iiio 
volkstünilicbe  (.1  nimlcinpfiiKhiiii;  Itekiiiidon.  Diu  Heimat  dor  Tnselirit't 
ist  w  ieder  da.s  Gebiet  des  Sa(  iihaiises,  die  Frignitz,  in  ilt  i  sie  von  deru 
Bauernhaus  schon  sehr  früh  in  die  städtische  Architektur  gedrungen  ist 
(Wilsnack,  Kyritz,  Wusterhaaseu,  Perleberg,  aus  dem  15.  Jahr- 
hundert). Wo  sie  die  Greiizi  n  dieser  T.niidscliaft  überschreitet,  ist  sie 
schon  vollends  als  Moiunnentalschril'i  auf  ilie  öflentliche  Architektur 
überge;;a Ilgen  (l'reuzlauer  Gerichtsgebäude:  Irae  Malurinii  Svnt  — 
MDCCXX  —  Laudes  Justitiae;  oder  Strassburg  i.  U.  Rathaus:  Wer 
kann  es  machen  überall,  duss  es  jedermann  gefall?)  Nur  inj  Süden  der 
Mark,  in  der  Lausitz»  finden  sich  Spuren,  dass  die  im  Erzgebirge  nicht 
unbekannte  Sitte  auch  nach  Norden  sich  verloren  habe;  sie  schränkt 
sich  jedoch  auf  Namen  und  Jahreszahl  ein.  In  der  Mittel-  wie  Neu- 
mark habe  ich  bisher  Reste  irgend  einer  Hausinschrift  nicht  entdecken 
können. 

Die  Insihi'il'i  bdindet  sich  über  dei-  1  »iflriitliiii-  uder,  wenn  sio  an 
einem  trankischüu  llaubu  ersciieint,  Uber  dem  grossen  Thor  und  ist 


so  ißt  man  uianchmal  auf  wunderliche  Gedanken  geraten,  um  doil  irgend  etwas  anzu- 
bringen.  So  ftm>\  ich  einmal  einen  iroschnitzten  Vo;,'el,  ein  anHer  Mal  einen  aus  Blech 
geschnittenen  Keiter  luid  Pferd,  einuml  Bogiir  iu  der  Niederlausitz  die  Gipsbüste 
ansei«  alten  Kftiaert  Wilhelm  anf  der  GiebekpitceL 


^  kj  i^uo  uy  Google 


Dia  Baucrnbäaser  in  der  Mark. 


37 


iiu'ist    in    llaeher,    t'rlialn'ucr    latcinisclit'i-    (»dci'   uotisr-litT   Sdirifl  ge- 
•stliriitzt.    Ab  und  zu  sind  aiuli  AnfariL;   und   Endo  mit   einer  Kusette 
oder  suiistigem  Ornament  verziert  (AM».  '~^^^). 
Ursprünglich   mag:  sie  wohl,  wie  an  andrer 
Stelle  aus<iefiilirt  ist,*)  wie  das  (1  it'helzeiclien 
ein  Schutzzeiehen  f^ep^en  Scliaden  jeder  Art 
gewesen  sein;  davon  fi;el»eu  aus  der  Mark  je- 
doch nui-  wenige  Kunde,  die  an  der  erwähnten  Modiiob. 
Stelle  augefiiiiii;  sind.  Meistens  sind  sie  dem 

Gesangbuch  oder  der  Bibel  entnommeD  and  können  als  Geleitwort  des 
Erbauers  gelten,  der  seinen  wie  seiner  Ehefrau  Namen  und  den  Tilg 
ihrer  Ehe  genaa  angegeben  hat.   Zu  den  gebräuchlichsten  gehören: 

In  Gottes  Namen  fang  ich  an,  was  mir  zu  thun  gebühret»  mit 
Gott  wird  alles  wohlgethan  und  glücklich  au^L<  fuhrest. 

Mödlich  1796. 

oder: 

Sing,  bet  und  geh  auf  Gottes  Wegen,  verriebt  das  Deine  nur 
getreu  und  trau  des  Himmels  reichem  Segen,  so  wird  er  bei 
Dir  werden  neu;  denn  welcher  seine  Zuversicht  auf  Gott  setzt, 
den  verlässt  er  nicht.  Mödlich  1820. 

oder:* 

Gott  macht  die  dürren  Borge  nass,  er  kleidet  Blumen,  T^aub  und 
Grass;  für  seine  Müh'  ist  nichts  zu  klein,  er  w  ird  auch  mein 
Versorger  sein.  Mödlich  1703. 

Auch  bekannte  Sprüche,  in  denen  eine  Anspielung  auf  Bauen  ent- 
halten ist,  sind  nicht  selten: 

Ich  gründe  meine  Zuveröiciit  auf  dich,  o  Gott,  und  wanke  nicht. 

Seedürf  171)7. 

Wir  haben  gebaut  auf  festen  Grund  Gott  lasse  uns  noch  lange 
gesund.  Wer  riott  vertraut  hat  wol  gebaut  im  Himmel  uml 
auf  Erden.  Wer  sich  verlasst  auf  Jesu  Christ,  der  kann  nicht 
zn  Schanden  werden.  Lenzen  1732. 

Wo  Gott  die  Hand  dir  reget,  zur  Arbeit  Grund  selbst  leget,  da 
fügt  er  Segen  bei,  wenn  er  davon  sich  wendet,  wird  uiclit  das 
Werk  vollendet,  ob  noch  so  klug  der  Meister  sei. 

Tacken  1857. 

Auch  direktes  Auiufeu  Gottes  ist  nicht  selten: 

Gedenke  mein,  mein  Gott  in  vesten.  Amen. 

Seedorf  1792. 


*)  Moiutahefte  der  Ges.  f.  Ueimatk.  d.  Muk  Brandenburg,  1H98,  8.  28«. 


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38  Robert  Mielke: 

oder: 

Der  Herr  segne  und  behate  Dich  vor  allem  Unglnck  und  UbeL 

Mödlich  1626. 

oder: 

Gott  sieh  Auf  Dieses  Hans  In  Gnaden  Bewahr  es  vor  allem 
Schaden.  Mödlich  1784. 

Dann  kommen  auch  kurze  Sinnspiüche  vor  wie: 

Tracht  stets  danach  was  recht  Obs  schon  nicht  lobet  jeder- 
mann. Seedorf  1799. 

Oder  es  wird  Bezug  auf  ein  geschichtliches  Ereignis  genommen: 

Was  mich  hat  geniubt  der  liruud  wird  ersetz  durch  Gottes 
Hand.  Seedorf  1797. 

Erbaue  wass  zerstöret  und  wass  die  Gluth  verheret,  Ersetze 
diesen  Brand,  so  wolh»n  wir  von  neuem  uns  deiner  Güte  freuen 
und  ehren  danckbar  deine  Hand.        Gross-Wootz  1811. 

Es  Jiessen  sicli  diese  Sprüclie  fortsetzen,  doch  möge  dirs  wenige 
genügen,  du  sie  hier  ja  nur  soweit  in  Betracht  kommen  sollten,  als  sie 
für  die  Erscheinung  des  märkischen  Bauernhauses  von  Wert  sind. 


6*  Litteratur. 

Eine  eigene  Litteratur  über  das  märkische  Banemhaas  kann  es 
wohl  nicht  gut  geben,  doch  wird  das  Haus  hin  nnd  wieder  von  Schrift- 
stellern erwähnt,  bei  denen  man  solche  Erwähnung  nicht  vorweg  ver^ 
mutet  Erst  in  den  letzten  Jahren  ist  mit  dem  Wachsen  der  Gesamt- 
litteratnr  des  Banernhanses  auch  häufig  das  der  Mark  in  den  Kreis  der 
Betrachtung  gezogen;  dämm  ist  eine  Znsammenstellung  dieser  Orte 
vielleicht  an  dieser  Stelle  nicht  überflfissig: 

Helmold,  Chronik  der  Slaven:  U*  a.  eine  allgemeine  Nachricht  über 
Fachwerk-Hütten  der  Shiven. 

Leutinger,  T(ipno;rajiliia.  Gie]>t  eine  ziiticneiide  aher  wohl  mehr  das 
städtische  Wohnliaus  berücksichtigende  Uhiurakteristik  des  Ausseren. 

Ideria n  in  seiner  ca.  1650  erschienenen  Topogi'aphie  enthält  brauchbare 
Abbihlungen  einzelner  Häuser  (Arnswalde,  Boytzenburg,  Fürsten- 
walde, Wulfshagen,  Frankfurt  a.  0.) 


L/iyiiizeü  by  Google 


Die  BanemhftoBer  in  der  Hark. 


39 


Beckmann  hat  in  dem  1.  Teil  S.  387  eine  Reihe  von  Yerordnnngen 
snsammengestellt,  die  Schornstein,  Dach  nnd  Baumaterialien  be- 
treffen und  einige  nicht  anwichtige  Veründerongen  einleiteten. 

Dominikas,  Ans  dem  siebenjährigen  Kriege.  Tagebach  des  prenssisdien 
Masketier  Dominikas.  München  1891.  Charakterisiert  a.  a.  das 
wendische  Baaernhans. 


Angnst  Meitzen,  Das  deotsche  Hans  in  seinen  volkstümlichen  Formen. 
Berlin  1882.  In  dieser  Schrift,  die  das  Stodiam  des  Bauemhaases 
in  neuerer  Zeit  wieder  einleitete,  teilt  der  Verfasser  für  die  Mark 
nar  einzelne  Verbreitangshemerkangen  mit. 

Rudolf  Henning,  Das  deutsche  Haus.  Strassburg  1882.  Behandelt 
die  Marie  nur  insofern,  als  er  ihre  Heuser  im  Zusammenhang  mit 
denen  der  umgebenden  Provinzen  Pommern,  Posen,  Westpreussen 
erwähnt. 

Karl  ^i'liiifor.  Deutsclie  13auzt'itun<;.  188,'].  Sp.  138.  Abdruck  eines 
Vortrages,  der  zum  ersten  Male  die  technische  Seite  der  Eiit- 
wickelnng  behandelt. 

Bergan,  Inventar  der  Bau-  und  Kunstdriikinrilcr  der  Mark  Branden- 
burg. Enthält  AbbiUhmg  eines  Spreewaliilnm-t  s  und  eines  Tiauben- 
hauses  aus  Linum,  S.  r)(H>,  und  einiger  Bauernni(»l)el  \<hi  dort. 

Zeitschrift  des  Vereins  für  Ethnologie,  Anthropologie  und 
Urijesrbichte.  In  <len  Verhandln  nu-en  ist  das  märkische 
Bauernhaus  oft  und  gründlich  besprochen  worden,  zum  Teil  mit 
Abbildungen. 

W.  V.  d.  Schulen  bürg.  188(\  8.  27— 2t>,  2iM.  Lausitzer  Wendenhaus, 
.lentsch.  1884.  S.  4:54— l^^P).  Lausitzer  Wendenhuus. 
R.  Virchow.  188(5.  S.  42(»  fg.  8ächsisches  Haus  der  Lenzer  Wisdie. 
VV.  V.  d.  Schulenburg.  1  ssi;.  S.  12-'  — 144.  Lausitzer  Wendeahaus. 
M.  Müschner.  1887.  S.  '.IS — 1(15.  Lausit/.<'r  \\ fiidenhans. 
Alfred  G.  Meyer.  1890.  S.  ö27 — öJiU.  Laubenhäuser  des  Oder- 
bruches. 

M.  Plüsch ner.  18HI.  S.  )J2.'>.  Lausitzer  Wendenhans. 
W.  V.  d.  Schule  nl.ii  rg.  18')M.  S.  \4\K  ( ;i(4M4liguren. 
Jentsch.  Korrespundenzblatt  für  Anthro|iul(>gie.    lS',i;l.  S.  Vl4.  Ergänzt 

frühere  Mitteilungen  über  das  Wendenhaus  der  Niedei  lausitz. 
Hans  Lutsch,   Wanderung<'ii  durch  ( )st-I)eut>5rliland  zur  Erforschung 

volkstüniliclier  Bauweise.  Mit  d:?  Holzschnitten.  Berlin  18ö().  Bildet 

ab  und  erwähnt  u.  a.  ein  T^aulieiduius  ans  Zichow. 
Ernst  Priedel.    Bär.    1887.    S.  0.    Das  letzte  Bauernhaus  mit  Stroli- 

dach  in  Berlin. 


40 


Robtrt  Mielke. 


Robert  Mielke.  Zeitsdurift  des Temns  fftr  Yolkskonde.  1892.  S.  ia4bl8 
141.  U.  a.  das  Äussere  der  sftcbsisclieit  Häuser  in  Rohrbeck. 

Ders.  ArohlT  der  Cresellscbaft  tSar  Heimafknnde  der  Mark.  Band  I. 
1893.  S.  104^126.  Versucht  eine  Schilderung  und  eine  Entwickelung 
des  Bauernhauses  der  Mark  zu  geben. 

Gustav  Albrecht  Bär  XX.  1894.  S.  492.  (M.  Abb.)  Giebt  ein 
Bild  Ton  dem  PfEurrhanse  In  Dallgow. 

Ders.  Berl.  Neueste  Nachr.   1896.  No.  152.  Über  dasselbe  Haus. 

Robert  Mielke.  Yolkskunst.  1896.  S.  53  n.  f.  Einzelne  märkische 
Baaemhäoser  in  Abbildungen. 

Ders.,  Das  Bauernhaus  der  Nuthe  -  Ni^pliiz  -  Niederung.  Baugewerks- 
Zeitung.    1898.   S.  1376-1377.   Mit  Abbildimgeu. 

Haus  Lutsch,  Neuere  Veröffentlichungon  über  das  Bauernhaus  in 
Deutschland,  Österreich-Ungarn  und  in  der  Schweiz.  Berlin  1S97. 
Eine  Zusammenstellung  aller  etwa  in  den  letzten  10  Jahren  er- 
schienenen Veröffentlichungen.  Daneben  in  der  Einleitung  eine  sehr 
beachtenswerte  Übersicht  der  Punkte,  die  bei  der  Forschung  zu 
beachten  sind. 

Robert  Mielke,    Der  Neidkopf.     Monatsblati  der  „Brandenburgia". 

18'.)8.  S.  286—294.  Im  Zusammenhange  mit  anderem  auch  einzelne 

Hausiuschriften  aus  der  Mark. 
Ernst  Priedel.    Kbda.    1898.    S.  327—882.    Ergäiizim-on  dazu. 
Ewald,  Das  Wendische  Wohnhaus.  Der  Bär.   1899.  8.341.  (M.  2  Abb.) 
W.  V.  d.  Schulenburg.    Monatsblatt  der  „Brandenburgia".    1899.  S.  27. 

Schildert  unter  Bezugnahme  auf  die  volkstünüiche  Sprache  die 

Technik  der  Lehm-Fachwerke. 


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Spuren  tektonischer  Kräfte 
in  dem  Nicdcrlausitzer  Vorlande. 


Spuren  tektonischer  Kräfte 
in  dem  Niederlausitzer  Vorlande. 

Von  Eduard  Zache. 


Mit  2  Tftfelii,  ;  einer  KtttenaldiM  nnd  einein  Profil  im  Text. 


Mit  dem  N;ii)i*  u  dos  Niederlausitzer  Vorlandes  möchte  ich  deD 
Abschnitt  der  Mark  bezeichnen,  welcher  im  Osten  b^enzt  wird  von 
dem  Thalzuge  der  Neisse  and  Oder,  im  Norden  von  dem  B(Tliner  Thal, 
im  Süden  von  der  Niedenmg  dos  OI»oren  Spreewaldes  nebst  der  De- 
pression hinüber  zur  Neisse  und  im  Westen  von  einem  Streifen,  welcher 
den  Unteren  Spreewald  sowie  die  Seeen  um  Storkow  und  die  Einebnung 
neben  den  Ranenschen  Bergen  umfasst 


Gliederung  der  Landschaft 


Ein  Blick  auf  die  Kartenskizze  lehrt  sofort  die  eigenartige  Gliederung 
dieses  Abschnittes  kennen.  Fast  durch  die  Mitte  desselben  zieht  sich 
eine  Depression,  welche  das  Thal  der  Spree  oberhalb  und  unterhalb  von 
Beeskow  und  im  Anschluss  hieran  nach  Süden  hin  den  Grossen  Schwieloch- 
See  nebst  einigen  kleineren  Seeen  beherbergt  Hierdurch  entsteht  auf 
der  östlichen  Hälfte  ein  langer,  breiter  Rucken  längs  der  Neisse  und 
Oder,  während  auf  der  westlichen  Seite  ein  zusammenhängender  Rücken 
fehlt,  da  hier  durch  ein  westöstlich  gerichtetes  Stück  des  Spreelaufes 
ein  grosseres  nördliches  und  ein  kleineres  südliches  Plateau  heraus- 
KBSchnitten  wird. 

Die  grosse  Nordsüdrinne  setzt  sich  nicht  bis  zur  Spreeniederung 
nach  Süden  hin  fort;  daher  bildet  sich  um  den  Grossen  Schwielochsee 
ein  Becken,  dessen  Böschung  auf  der  West^  und  Südseite  bis  zum 


*)  Pie  Tafeln  sin  !  atmeferti-'t  nach  FbotQgnphien  des  Obeiprimaoen  des 
•AndfMa-KealgjnniuuBiamB  Max  ärabski. 


44 


Eduard  Zache: 


Plateaurand,  auf  der  Ostseite  bis  zur  Wasserscheide  des  östlichen  Rfickens 
sich  erstreckt  und  sich  auf  dem  rechten  Ufer  der  Spree  auch  auf  der 
Nordseite  noch  verfolgen  lässt.  Der  Grosse  Schwielochsee  ist  daher  das 
Sammelbecken  für  alle  Fliesse,  Bäche  und  Gräben  dieser  sfidlichen  Hälfte. 

Mit  der  Horizontalgliedemng  hängt  auch  die  Gestaltung  der  Höhen- 
Verhältnisse  zusammen.  Die  höchste  Erhebung  findet  sich  auf  dem  öst- 
lichen Abschnitti  dem  Fnnfeichener  Rucken,  und  erreicht  in  dem 
Hutberge  bei  Fönfeichen  162  m  Meereshöhe.  Nach  Süden  flacht  sich 
das  Gelände  ganz  allmählich  ab  und  doch  behält  es  in  der  Homoer 
Spitze  noch  102  m  Meereshöhe.  In  diesem  Abschnitt  entwickelt  sich 
eine  reiche  Gliederung.  Er  beherbergt  in  seinem  nördlichen  Teil 
das  Schlaubethal,  welches  neben  der  Wasserscheide  hinläuft  und  aa 
seinen  Rändern  im  mittleren  Stück  noch  100  m  Meereshöhe  besitzt. 
Westlich  daneben,  parallol  mit  dem  Schlanbethal,  erstreckt  sich  noch 
eine  zweite  Rinne,  dci  ou  Kiinder  im  mittleren  Lauf  noch  80  in  Erhebung 
über  dem  Meercsspio^^'l  haben,  und  endlich  folgt  im  Ci runde  die  Spree, 
iud)en  welclicr  der  Plateanrand  in  der  Höhe  von  J^eskow  55  bis  60  m 
Meeresliölie  l»esitzt. 

Nach  Südon  llnclit  sicli  das  Gelände  allmählich  ab,  so  dass  in  der 
Wellniitzer  Spitze  auf  der  nüidlichen  H<älfte  über  100  m  und  auf 
der  südlichen  wenig  unter  100  m  I']rhebuiig  über  dem  Meeresspiegel  vor^ 
banden  sind.  Die  Wellmitzer  Sjiitze  findet  nach  Süden  ihre  natürliche 
Grenze  in  einigen  liiichen  und  Fliessen,  welche  Guben  gegenüber  in  die 
Keisse  munden.  Sie  besitzt  in  ihrem  Ilinterlande  eine  Anzahl  von 
zusamnienliiuii^enden  Seeeii  und  eine  licihe  von  Schluchten,  welche  an 
ihrem  Nord-  und  Südrande  zum  Oder-  und  Neissethal  hinabführen, 
während  ihr  mittlerer  Teil  und  der  Rand  weuig  zerrissen  sind. 

Nach  Süden  linifl  der  Mücken  in  die  Hornoer  S]>itze  aus.  Sic 
ist  £(:inz  frei  von  S<  lilucliten  un<l  Tiialern  un<l  besitzt  zur  \eisso  hin 
«  ine  deutliche  Böscliuiig,  wiihrend  sie  sich  zum SpreetUai iu  der  Xauei-schen 
i'urst  ganz  allniiililirli  einebnet. 

Auf  der  westlichen  8eite  der  Bee>ko\ver  Spree  liefet  das  Beeskow- 
Fürstenwalder  Blateau.  Es  wii'd  ]iall»inselartig  \on  der  Sju'ee  uinflossen 
und  l)estelit  in  seiner  Nordspitze  aus  einei*  aussejiritL;ten  llüi;*'lhiiid>chaft, 
dem  Kauen  -  Petersdorfer  Tertiärkern.  In  ihm  erreiclien  dio 
Ivauenschen  Ber«;«  14S  ni  und  die  Dul>ero\v-J)ert;e  145,0  ni  Meereshoho. 
Diot's  llüfi^idlaud  dehnt  sich  imch  Süden  hin  aus  bis  /ur  Mitte  devS 
Scharuiiitzel-Sees.  <  »stlich  devseltien  trifft  nniu  Ilöheu  Ins  120  m  und 
N\  est  lieh  bis  'J4  in,  während  der  JSpicgel  des  Öchurniützel-See»  30  m 
hoch  lie^t. 

Nach  Süden  schliesst  sich  hieian  auf  der  Ostseite  des  Sees  die 
Buckower  Stufe,  ein  mehr  elienes  (leinet  ohne  llinnenbildunp:,  das 
bei  dem  yeuauuten  Dorfe  So,6  m  Meerebhölu!  besitzt  und  .sich  ganz  ail- 


uiyiiizeo  Dy  Google 


Sporen  toktoniseher  Krifte  in  dem  NiedeitMuitf  er  Vorlende. 


45 


mählich  zom  Spreethal  abdacht,  wo  es  bis  anf  55  m  ungeföhF  ge- 
fallen ist. 

Auf  der  südlichen  and  westlichen  Seite  des  Scharmützel-Sees  legt 
sich  die  Alt-Schadower  Forst  vor.  Die  höchsten  Erhebungen  finden 
sich  hier  in  der  Umgegend  der  Seeenkette,  welche  die  südliche  Fort- 
setsnng  des  Schannützel-Sees  ist;  hier  treffen  wir  an  einer  Stelle  KM)  m 
Meeresbölie  and  an  einer  anderen  1(M>  m.  An  dem  Yorspmng  bei  Alt- 
Sebadow  beträgt  die  Erhebung  <)9,H  m. 

Den  Abschluss  eiKllicii  naeli  Sütli'ii  bildet  das  Becken  um  den 
Grossen  Schwielocb  -  See.  Während  der  Spiegel  des  Grossen 
Schwieloch-Sces  42  m  hoch  liegt,  steigt  das  Geliinde  nach  allen  Seiten 
hin  ganz  allinähiich  au,  so  dass  es  am  Westrande  bei  l'ret8chen  78  m, 
im  Marienberge  bei  Lübbeu  liU  ni,  am  Südraude  im  Straupitzer  Wein- 
bei^c  89  m,  nach  Osten  in  der  Lieberoser  Forst  112  und  lüS  m  und 
bei  Reicherskreuz  1)8  m  erreicht.  Am  Nordraiide  des  Beckens  finden 
sich  bei  Gross-Muckrow  123  m  und  uälier  zur  Spree  bei  Weichensdorf 
61  m  Meereshöhe. 


Geologische  Beschreibung. 


1.  Der  FUnfeichenep  Rfieken. 

In  dem  schmalen  Streifen  zwischen  der  OI>eren  Schlaubc  und  dem 
Oderthal  liegen  die  IxWli^ten  Eihebuugen  des  uanzeii  Abschnittes.  Es 
sind  das  ilie  l(>2  m  liuiieii  Uutberge,  von  dent  ii  <l<'i'  eine  dicht  bei  Fiint- 
eichen  und  der  zweite  km  siidlich  des  Dorfes  liegt.  Die  Abtlacliung  des 
Rückens  zum  Ran<le  hin  ist  nach  allen  Seiten  eine  gleichmässig«'.  Im 
Osten  hat  der  Plateaurand  bei  Schönfliesf?  noch  12(1  m  und  im  Norden 
bei  Riessen  85,8  m  ^Sleereshöhe;  ebenso  vcrhiilt  es  sich  mit  der  Neigung 
zum  Schlaubethal,  denn  an  der  Kante  desselben  sind  in  der  Nähe  von 
BreuLsdorf  noch  100  und  120  m  fiber  N.N.  vorhanden.  Nach  Süden  hin 
flacht  sich  das  Gdände  ganz  allmählich  ab.  Vor  dem  Nordostahhang 
des  Rfiekens  liegt  eine  3  km  breite  Vorstufe  von  ca.  40  m  Meereshöhe. 
Sie  beginnt  bei  Läwitz,  nnd  ihr  Ostrand  zieht  sich  fiber  Ffirstenberg, 
\ugelsuug,  Zlltendorf  und  Krebsjauche  bis  zur  Sfidostspitze  des 
Lebnser  Plateaus.  Dieses  Vorland  schneidet  überall  mit  einer  deutlichen 
Böschnng  gegen  das  Oderthal  ab,  die  besonders  schrolf  unterhalb  Fürsten- 
berg  ausgeklagt  ist.  Das  Oderthal  hat  in  der  Nachbarschaft  dieser 
Stadt  eine  Höhe  von  28  m  fiber  N.N.  Der  Übergang  des  Plateaus  zur 
Vorstufe  ist  ähnlich  ausgebildet  wie  fiberall  sonst  in  der  Mark,  wo  Höhe 


46 


Eduard  Zache: 


und  Niederung  aneinanderstossen.  Das  Plateaa  endet  in  sanften,  hall>- 
kegelförmigen  Kuppen,  zwischen  denen  flache  Schluchten  hinabführen, 
welche  an  der  Grenze  beider  ihr  Ende  erreichen,  so  dass  die  Yorstnfe 
ganz  eben  ist 

Den  gtM  »lugischen  Kern  des  Ffinfeichener  Rückens  bildet  das  TerÜftr- 
vorkommen  von  Schönfliess.  Durch  die  Grube  j.Pr&sident*'*)  sind  hier 
wichtige  Aufschlüsse  geschaffen  worden,  welche  die  Schichtenfolge  vom 
obersten  Tertiär  zum  untersten  Diluvium  anschneiden.  Es  sind  vier 
Sättel  im  Brannkohlengebirge  angetroffen  worden,  welche  ein  wenig 
nördlich  der  Chaussee  Fflnfeichen— Schönfliess  beginnen.  Die  Sättel 
gehen  nach  Norden  etwas  auseinander,  so  dass  der  westlichste  beinahe 
in  der  Richtung  S. — ^N.  mit  geringer  Abweichung  nach  O.  und  die 


Profil  Sattelt  d«r  Braunkoliltnfrvb«  «FrAsfde&t*. 

•  NocdiaelM  GtMhtoli«  dweh  Bi»iiB«iMaateia  T«i]dtt«k;  »  wfawtr  OUrnoMnand; 
«  BravBkohlwflfts;  4  L«tt«B|  •  FmmsMkd  «ad  Ltttaii. 

Figur  1. 


Übrigen  in  der  Richtunj;  SW.  —  NO.  streiclien.  I>er  westliebste  ist  der 
nmfangreiehste  und  flachste,  während  Nveiter  na<  U  Osten  die  Aufrichtung 
immer  steiler  wird.  Cr  am  er**)  sagt:  »Die  Ablagerung  zeigt  sich  in 
parallelen  Faltungen  in  einem  Stioiclu'u  von  NNO.  in  SSW.  Das  Ein- 
fallen der  bekannten  Sattelflügel  nach  beiden  Richtungen  geht  von  40  " 
bis  zur  Saigerstellung  und  zum  Üboi-schlag.**  Das  Profil  (Fig.  1)  geht 
durch  den  westlichst»'n  Sattel  der  östlichen  Grupi)e  und  zwar  in  der 
Richtung  NW.— SO.  Den  Kern  des  Sattels  bilden  Formsande  und  Letten, 
dann  folgt  das  Brauukolilenflöz,  welches  von  Letten  eingeschlossen  ist, 
und  über  diesen  lagert  weisser  Quarzsand,  der  von  einer  Schicht  nor- 
discher Gesclüebe,  welche  durch  Braimeisenerz  verkittet  sind,  bedeckt 
wii*d.  Der  Brauneisenstein  bildet  über  den  Gesi  lüebeu  eine  30  cm  starke 
Schidit  und  besteht  aus  Kugeln  von  ungefähr  2  cm  Dui'chmesser.  Über 
dem  Brauneisensteinflös  folgt  ein  heller,  brauner,  sandiger  Thon.  Die 

*  Herrn  Berginspektor  Krause  danke  ich  hier  nodli  etiund  ]i«nUcb  fCür  die 
gOtige  Fübruni:  nu<l  <lie  ErklArmig  »Kt  Aufschlüsse. 

*•)  Cramcr,  BtUrage  xur  Gescliichte  des  Bergbaus  der  Provini  Brwdenbuig. 
Y.  Hell,  a  61 


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Sporen  tdctookcher  Krifto  in  dem  Nlederlantitser  VorUmde. 


47 


nordischen  Geschiebe  bilden  ein  dichtes  Pflaster  anf  der  Sohle  des 
Bnuineisensteins  nnd  bestehen  aus  grossen  nnd  kleinen  Steinen.  Dieses 
Geschiebepfiaster  mit  dem  Brauneisenstein  ist  an  mehreren  Stellen  auf- 
geschlossen nnd  macht  überall  die  Bewegungen  der  Flöze  mit 

Der  braune  Thon  Aber  dem  Eisensteinflöz,  der  also  Diluvialthon 
ist,  hat  die  Farbe  des  Geschiebelehmes;  er  ist  weiter  in  einigen  Ziegelei- 
gruben am  Ost^Rande  des  Fflnfeichener  Rückens  aufgeschlossen,  z.  B. 
in  einer  Grube  südlich  der  Chaussee  Schönfliess— Fünfeichen  dicht  neben 
dem  Dorfe.  In  dieser  Grube,  hart  neben  der  Kohlenbahn,  streicht  der 
Thon  von  Ost  nacli  West  und  fällt  nach  Norden  anter  einem  flachen 
Winkel  ein.  Die  Abhänge  südlich  der  Chaussee  bestehen  bis  zur  Spitze 
aas  diesem  Thon.  An  dem  Eingang  zur  Grube  wird  er  überlagert  von 
einein  feinen  weissen  Sand,  dessen  Schichten  dasselbe  Einfallen  haben. 
Dieser  Sand  bildet  die  Nordabhänge  der  Sclionfliesser  Schlucht.  Südlich 
der  Chanssee,  weni^^e  hundert  Meter  ins  Plateau  hinein,  befinden  sich 
noch  andere  Ziegeleigrnben  in  demselben  Thon.  In  einer  derselben, 
deren  Wand  von  Nord  nach  Süd  \  erläuft,  sind  deutliche  Stauchungen  im 
Thon  zu  erkennen.  Dei'sdbe  hellbraune  Thon  ist  auch  noch  an  der 
Nordostecke  des  Plateaus  bei  der  Pohlitzer  Mühle  aufgeschlossen. 
Am  nördlichen  Eingang  der  Grube  wird  er  von  feinem  weissen  Sand, 
der  Glimmerplättclien  enthält,  unterlagert.  Die  Gi'enzschicht  beider  fällt 
unter  flachem  Winkel  nach  Süd  ein.  Weiter  ins  Plateau  hinein  und  in 
einem  höheren  Niveau  steht  derselbe  Thon  in  einer  zweiten  Grube  zu 
Tilge.  An  anderen  SteHcn  habe  ich  den  Thon  in  f^iösscreni  Umfange 
nicht  melir  aufgeschlossen  gefunden.  Es  ist  aber  wahrsdieinlicli,  (hiss 
»1er  Rand  südlich  von  Schöjifliess  noch  eine  f^iüizf  Strecke  entlang  aus 
«liesem  Material  besteht.  Jedenfalls  niaclit  es  den  Kindnick,  als  ob  die 
Gehänge  der  Schlucht,  in  wel(  liei-  die  (  liaus.see  Fürstenberg-Diehlü  zum 
Plateau  hinaufführt,  aus  diesem  Tlion  j-icli  aufbauen. 

Auf  dem  Plateau  bestellt  der  Hoden  ans  IVim  in  weissen  Sand, 
offenbar  ist  es  derselbe  Sand,  welcher  bei  Scliontliess  dfii  Tlion  bedeckte, 
alst)  Unterster  Sand.  Der  Boden  ist  sehr  arm,  und  es  liegen  grosse 
Schläge  brach.  Die  Steine  fehlen  auf  dem  Acker  gänzlich.  Das  Gelände 
ist  hier  1  Ib  m  hoch.  Diehlo  liegt  in  einer  weiten  und  tbu  hen  Mulde. 
Nordwestlich  des  Dorfes  hebt  sich  ein  Hügelznir  deiitlieli  heraus,  dessen 
Südspitze,  der  Wonden-Berix,  DU  m  Meereshühe  besitzt.  Seine  Kujipe 
ItesUlit  aus  grobem  kiesigen  Sand  mit  Steinen,  während  an  der  Böschung 
abwärts  sich  die  Steinbestreuung  ganz  allmählich  verliert. 

Der  Weg  von  Diehlo  nach  Fünfeichen  ist  verhältnismässig  fest,  was 
offenbar  von  dem  feinen  Korn  des  Sandes  herrührt.  Die  Steinliestreuung 
ist  nur  massig.  An  einer  Stelle  trifft  mau  in  einem  Wegeeinschnitt  den 
fernen  Sand  nnd  an  einer  zweiten,  in  einer  Depression,  den  braunen 
Thon.  Das  Terrain  ist  fast  eben  und  der  Boden  sehr  nnfinichtbar.  Erst 


^  ij .  .-Lo  Ly  Google 


48 


Bdiuupd  Z«ch6: 


kurz  südöstlich  vor  Fünfeiclien  wird  die  Steinbestreanog  deutlich.  Es 
findet  sich  hier  eine  flache  Gmbe  im  scharfen  kiesigen  Sand  mit  Steinen. 
Die  Terrainhöhe  beträgt  148  m.  Westlich  von  Fünfeichen  ragt  der  mehr- 
fach erwähnte  Hutberg  empor.  Der  südliche  Ausläufer  desselben  ist 
unbewaldet  Wenn  man  sich  ihm  vom  Dorfe  her  nähert,  beginnt  die 
Steiubestreuung  und  der  Weg  führt  dur«  h  scharfen  Sand.  Der  llutberg 
selber  besteht  aus  feinem  weiss«  !!  Sand  imd  trügt  ein«  1  m  starke  Kappe 
ans  gelbem  kiesigen  Sand,  der  dicht  p^espickt  ist  mit  Steinen  bis  zur 
Faustgrösse  und  der  .s<>  fVst  verkittet  ist,  dass  er  eine  senkrechte  Wand 
bildet.  Östlich  von  Fünfeichen  ist  noch  ein  /weiter  Aufschluss  vor- 
handen, es  steht  neben  der  Chanssee  ein  verfallenei-  Ziegelofen  und  da- 
hinter findet  sich  ein  brauner  Thon,  welcher  eine  Kappe  von  Kies  trägt. 
Die  näliere  Frii gebung  ist  sehr  steinreich,  M  Ülu  i  nd  weiterhin  feiner  Sand 
oline  Steinbestieuung  den  Boden  bihiet.  £s  ii»t  also  hier  eine  ähnliche 
Ausbihlung  der  Kuppe  wie  im  Wonden-lierge  vorlianden. 

Aus  den  Beobachtuiigoii  geht  hei'vor,  dass  in  (hui  sclinialen  Sti-eifen 
des  Plateauraudes  nöi-dlich  und  südlich  von  Schonfliess  das  Diluvium 
bis  auf  die  uiiteisteii  Schichten,  den  Ti!on  und  Sund,  weggewaschen 
worden  ist.  Die  Abtragung  erstreckt  sich  abei-  iim-  auf  die  näcliste  Uiii- 
gel)ung  der  Störuni^^szone,  deren  Kein  (luicli  die  l^ln/siittel  bezeichuet 
wii'd.  Hieraus,  sowie  aus  der  Concordanz  von  Diluvium  und  Tettiiir 
folgt,  dass  die  Faltung  sich  eist  am  Knde  der  Eiszeit,  jedoch 
vor  dem  Kiutritt  der  Abschmelzperiode,  zugetragen  liaben 
kann. 

Nördlich  von  Fünfeichen  auf  dem  Wei^e  nach  Uiesseu  findet  sich 
kiesiger  Sand  mit  guter  SteinlMstieiumg.  und  am  Weuc  sind  Gruben  ini 
kiesigen  Sand  angelegt.  Sobald  das  Cleliinde  >ich  gegen  die  Schlucht 
des  l'lantliesses  iiin  zu  senken  beginnt,  hört  die  Steiubestreuung  so  gut 
wie  gänzlich  aut  und  es  i!eri'scht  feinei-  weisser  Sand.  Weiter  nordlich 
in  eint'!'  Ilachen  Senkung  des  (lelandes  steht  in  einer  Grube  Geschiebe- 
lehm zu  Tage.  Auf  dem  Acker  daneben  liefen  mir  wenige  Steine.  Erst 
dort,  wo  das  Gelände  zum  Hei-liiiei-  Thal  hin  zu  fallen  anlTmgt,  wird 
die  Steiubestreuung  lebhafter.  Ein  We^eeiust  Imilt  l»ei  der  Hohe  1'21  m 
geht  durch  scharfen,  grauen  Sand.  Die  Abdachung  zum  Berliner  Thal 
ist  yanz  allmählich,  und  die  Schluchten  sind  weit  und  flach.  Auch 
hier  steht  noch  einmal  Geschiebelehm  an,  sonst  herrscht  scharfer, 
gelber  Sand. 

Am  nordöstlichen  Abhang  des  Plateaus,  kurz  westlich  vor  Pohlitz, 
findet  man  auf  einem  breiten  und  flachen  Yorsprung  des  Plateaus  in 
einer  Grube  festen,  gelben  Geschiebelehm  mit  zahlreichen  Steinen.  Der 
Nordeingang  von  Pohlitz  fuhrt  durch  einen  Einschnitt  aus  feinem,- 
thonigem,  gelbem  Sand.  Am  südostlichen  Ausgange  dieses  Dorfes  ist  ein 
ü  m  hoher  Sandberg  angeschnitten  mit  scharfem  kiesigen  Sand.  Die 


j  _  L^d  by  Google 


Spuren  toktonischer  Kräfte  in  dem  Niederlausitzer  Vorlande. 


49 


einzelnen  Scliichten,  wt^lclie  sich  durch  ihr  Korn  und  ihre  Farhe  deutlich 
von  einander  abheben,  stellen  in  dem  ganzen  Aufscliluss  seukreelit. 

Die  Vorstufe  neben  dem  Plateau  besteht  aus  scharfem  kiesigen 
Sainl  mit  Steinen.  In  der  Nnlie  des  Plateaurandes  bei  Schöntliess  und 
Polilitz  ist  der  Hoden  (lentlicli  biaun  gefärbt  und  etwas  fester  als  weiter 
ab.  In  der  Umgegend  der  Pohlitzer  Seeen  und  unterhalb  derselben  linden 
sich  Dünen,  während  oberhalb  dieser  Stelle  der  Bodeu  ganz  eben  ist. 
Die  Unfruchtbarkeit  dieser  Vorstufe  ist  sehr  gross. 

Wenden  wir  uns  nun  der  Betrachtnog  des  östlichen  Schlaaberaudes 
zn.  Bei  Miillrose  dacht  sich  das  Plateau  ganz  allmälilich  zum  Berliner 
Thal  ab.  Die  Ufer  des  MüUroser  Sees  sind  niedrig.  Der  Boden  des 
MüUroser  Vorsprnnges  besteht  aus  Unterem  Sand,  der  nur  wenig  Steine 
trägt.  Erst  weiter  nach  dem  Innern  hin,  etAva  in  ITöhe  der  Unter- 
försterei, geht  der  Weg  du  ich  festen  Oberen  (leschiebelehm,  wodurch 
sich  auch  die  Steinbestreuung  im  Walde  «'rklärt.  Das  Gelände  ist  eben. 
Am  Westausgango  von  Tschernsdorf  führt  der  Weg  durch  scharfeil 
Sand  zur  Höhe  hinauf.  Auf  derselben  bildet  ein  lehmiger  Sand  mit 
Steinen  die  Decke,  liei  dem  Dorfe  ist  eine  Ziegelei  im  Betrieb,  welche 
den  Geschiebelehm  verarlieitet,  wie  er  in  einer  flachen  Grube  zu  Tage 
tritt.  Auch  südiicii  des  Dorfes  herrscht  ein  lehmiger  Sand,  in  welchem 
die  Feldfrüchte  gut  gedeihen.  In  dem  Walde  südlidi  von  Tschernsdorf 
fehlen  die  Aufschlüsse.  Es  liegen  gi'osse  Blöcke  auf  der  Oberfläche, 
und  der  Weg  geht  au  einer  Stelle  durch  Geschiebelehm,  s<uist  scheint 
der  Sanii  vorzuherrsclien.  Dieser  Teil  der  Neuzeller  Klosterforst  (Block  I) 
ist  ein  prachtvidler  Eichenwald. 

Nördlich  der  Chaussee  Fünfeichen — l^i-etnsdorf  läuft  das  Planfliess. 
Es  ist  das  einzige  umfangi-eiche  Thal,  welches  zur  Sc]daul)e  hinabführt; 
es  ist  tief  ausgewaschen  und  besitzt  steile  Wände,  an  denen  der  Sand 
blossgeh'gt  ist  Südlich  desselben  ist  der  Obere  Gescliiebelehm  an  einigen 
Stellen  in  ^lo-serem  Umfange  aufgeschlossen.  So  z.  B.  imrd westlich 
von  Fünfeichen,  wo  ihn  der  Weg  nach  Müllrose  anschnei<let.  Hier 
wächst  auch  ganz  ausgezeichnetes  (letieide.  Zwischen  dem  Planfliess 
und  dein  Kl.  Tre[>|H'l-See  tindet  sich  auf  dem  Kücken  auch  Lehm.  Der- 
selbe ist  am  wcstlichcTi  Ufer  in  heller  Ausbildung  angetrotfen  weiden. 
Die  Ufer  des  Sees  haben  mehrere  (Quellen,  welche  entwedei'  eisenhaltig 
sind  oder  einen  weis.sen  Schaum  al»>t'izen.  Am  Seeufer  geht  der  Lehm 
uach  unten  bezw.  nach  Osten  in  blauen  Thon  über.*) 

Zwischen  Fünfeichen  und  Brenisdorf,  sobald  der  Abfall  zum  Sehlaube- 
thal begiuut,  geht  die  Chaussee  darcb  festen  Oberen  Gescliiebelelim  von 


Nach  gfltigen  Angftben  des  Herrn  Foritmeisten  Reuter,  wofflr  ich  hiermit 
noch  einmal  danke. 

4 


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50 


Kiluard  Zache: 


rötlich  gelbi'i-  Farln-,  und  dor  Acker  in  der  Nachbarscliaft  ist  sehr  stoiii- 
reicli.  Am  Nordausgange  vom  Bremsdorf,  dort,  wo  der  Weg  durch  einen 
Einsclmitt  aus  der  Senke  mit  dem  Dorfe  zur  Höbe  binauffulirt,  ist  der 
Untere  Sand  angeschnitteD,  es  fst  ein  scharfer  kiesiger  Sand.  Westlich 
von  Bremsdorf  sber  sind  mehrere  gaie  Einschnitte  im  Oberen  Geschiebe- 
lehm vorhanden.  Gleich  hinter  dem  Dorfe  läuft  die  Chanssee  durch 
festen,  braunen  Oberen  Geschiebelehm  mit  Steinen.  Sobald  der  Abfall 
zum  Schlaubethai  deutlicher  \drd,  nehmen  die  Aufschlüsse  im  Geschiebe- 
lehm eine  noch  grössere  Länge  an.  In  dem  letzten  Aufischluss,  dem 
Kranichberg,  dicht  vor  dem  Schlaubethal,  bildet  der  Obere  Geschiebe- 
lehm die  Kuppe  des  Berges  und  darunter  liegt  scharfer  Unterer  Sand. 
Dieselbe  Erscheinung,  dass  sich  der  Geschiebelehm  auf  der  obersten 
Kante  neben  dem  Schlaubethal  erhalten  hat,  zeigt  sich  auch  bei  der 
Kieselwitz -Mühle.  Nach  dem  Innern  zu  ist  hier  der  Acker  mit 
Steinen  dicht  bedeckt  Das  Gelände  ist  neben  dem  Schlauberande 
weithüglig  bis  eben  und  besitzt  eine  Erbebung  von  über  100  m 
Meereshöhe. 

Das  Schlaubethal  liegt  auf  der  breiten,  flachen  westlichen  Böschung 
des  Fünfeichener  Ruckens,  die  sich  gleichmässig  bis  zum  Spreethal  fort» 
setzt.  Infolgedessen  treffen  wir  auf  dem  linken  Ufer  der  Schlaube  in 
der  Nähe  des  Randes  von  Nord  nach  Süd  folgende  llohenzahlen:  OJ^,  70, 
84,  91,  99,  100,  112.  Nach  Westen  iViUt  das  Gelände  ganz  allmählich 
weiter,  bis  es  neben  der  Spree  auf  einige  (30  m  lieraligegangen  ist. 

Fikr  die  Gliederung  der  Landschaft  von  Wichtigkeit  ist  eine  zweite 
Rinne,  welche  in  3  kin  Abstand  westlich  parallel  mit  dem  S<  lilaubethal 
sich  erstreckt.  Sic  beginnt  im  Süden  mit  dem  Krüger-See  bei  Gross- 
Muckrow  uimI  geht  übci*  ävn  Schröder-,  Möschen-,  Chossewitzer  und 
Klinge-See  durch  das  Ülse-Fliess  zum  Ölsener  See,  welcher  sich  nach 
Norden  hin  in  zwei  Arme  gal)elt.  Der  westliche  Arm  entlässt  das  Olse- 
Fliess  zur  Spree  und  der  östliche  verliert  sich  nach  Norden  allmählich 
in  eine  flache  Rinne.  Das  Gelände  zwischen  dieser  Rinne  und  der 
S<  hlaiibe  liegt  in  der  oberen  Hälfte  lUÜ  m  hoch  und  in  der  unteren 
bU  m. 

Am  Nordrande  des  Plateaus  ist  liier  ein  deutliches  Vorgebirge  uus- 
geju'ägt.  Es  wird  gebildet  von  dem  S*),4  ni  bnlien  Dachsbergo  und  dem 
|()1*,()  m  hohen  Zeisig-Iii  ige,  während  <)i<  lif  nelu  n  der  Spree  imcIi  der 
Scliwarze  lieig  mit  TS  m  zu  »lennen  ist.  Her  Hoden  dieser  Berge  ist 
weisser  Sand  mit  Stfinbestieuung.  Doch  schreilit  Bergiiaus  von  den 
beiden  Dörfern  Ragow  und  Merz:  ^Ragow  hat  auf  der  Höhe  leh- 
mii^en  Sandliodeii  und  Merz  hat  sandigen  Tjehmboden,  «larunter  ^^ergel 
und  in  dei-  Niederung  einen  Ininiusreiclien,  schwarzen,  sehr  ergiebirren 
Boden".  Bei  Gruuow  geht  die  Niederung  ganz  unmerklich  in  das 
Plateau  ül>er. 


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SparsD  tektoniicher  Kräfte  in  dem  NiederiaiudtBer  Vorland«. 


51 


In  (lor  Umgegeinl  von  Grunow  trifft  man  Geschiebelehm,  so  fiilirt 
z.  B.  der  Wog  zur  ( »Iseiior  Mühle  südlich  des  Dorf«»s  durch  Oberen 
Geschiebelehrn ;  dcrsellie  steht  auch  in  einer  (Jrube  auf  dem  Mühlberg 
zu  Tage,  und  weiter  geht  östlich  des  Dorfes  die  Chaussee  zur  Brems- 
d<u-fer  Mühle  in  einem  langen,  2  m  hohen  AHf^;(•llhlss  <lurch  Oberen 
Geschiebelehrn.  Auch  in  <1<m- Umgegend  von  Damniend orf  sind  lichui- 
lager  voihanden  und  werden  in  Ii  Ziegeleien  ausgelieutet.  Die  Chaussee 
nach  Clruu(»w  schneidet  am  Ostran<l  der  Si  lducht,  welche  den  (Usener 
See  nach  Norden  fortsetzt.  Oberen  (Jesciiiebelehm  an,  welcher  von 
Unterem  Sand  imterlagert  wird.  Endlich  hat  auch  der  westliche  Aidiaug 
des  Schlaubethaies  neben  der  Bremsdorfer  Alüble  eiueu  Aufsclilusä  im 
Oberen  Geschiebelehm  aufzuweisen. 

Die  Abbaiige  des  Schlaultethales  bestellen  gänzlich  aus  Untei-eni 
Sand,  denn,  obgleich  im  Grunde  des  Thaies  Wege  angelegt  worden  sind, 
so  haben  dieselben  doch  nirgends  den  Unteren  Geschiebelehm  an- 
geschnitten. Die  Neigung  der  Gehänge  ist  oft  sehr  steil.  Das  Schlaube- 
thal  begiüDt  oberhalb  des  Wircheu-Sees  mit  eiuem  schmalen  Wiesengruud, 
dessen  östliches  Ufer  steil  und  hoch  ist.  An  dieser  Stelle  ist  die  west- 
liche Böscbnng  des  Thaies  angeschnitten,  sie  besteht  ans  scharfem  Sand. 
Neben  der  Böschung  liegen  zahlreiche  Steine.  Da  die  Abhänge  des 
Schlaubethales  sowie  dessen  nähere  Umgebung  dicht  bewaldet  sind,  so 
fehlen  weitere  Anfschlfisse. 

Erst  der  Anfang  der  Nachbarrtnne  bietet  solche  dar.  So  s.  B.  der 
Chossewitser  See.  Derselbe  besitzt  ein  steiles  östliches  Ufer,  während 
das  westliche  fast  ganz  flach  ist.  Am  westlichen  Eingang  des  Dorfes, 
das  anf  dem  steilen  Abhang  neben  dem  See  liegt,  findet  sich  im  An&tieg 
der  Geschiebelehm  angeschnitten.  Ein  zweiter  Anfschlnss  ist  am  Sdd- 
ansgang  des  Dorfes  vorhanden.  Hier  ragt  eine  steile  Wand  ans  (Geschiebe- 
lehrn empor,  welche  bis  zum  Seespiegel  hinabreicht.  Auf  der  Höhe  über 
diesem  Anfschlnss,  östlich  neben  dem  See,  herrscht  kiesiger  Sand  mit 
zahlreichen  Steinen.  Diesen  Lagerungsverhältnissen  nach  darf  man  den 
Geschiebelehm  wohl  als  Unteren  Geschiebelehm  ansprechen. 

Yon  dem  Fünfeichener  Kücken  bleibt  nnr  noch  der  schmale  Streifen 
bis  zur  Spree  für  die  Beschreibung  übrig.  Das  Terrain  flacht  sich  all- 
mählich weiter  ab  und  wird  ganz  eben,  so  z.  B.  in  der  Umgegend  von 
Reudnitz  und  Sclnu  eberg,  wo  es  62  m  Meereshöhe  erreicht.  Nördlich 
hiervon  breitet  sich  die  weite  Niederung  des  unteren  Ölse-Füesses  mit 
47  m  Meereshöhe  aus.  Sobald  man  östlich  neben  Beeskow  das  Plateau 
erreicht  hat,  ist  der  Boden  ein  sandiger  Lehm,  und  erst  weiter  nach 
Osten,  wo  der  Wald  beginnt,  wird  der  Boden  reiner  Sand,  doch  treten 
auch  in  ihm  noch  lehmhaltige  Partien  auf,  die  als  Acker  dienen.  In 
einer  Grube  km  westlich  von  lleudnitz  steht  scharfer  kiesiger  Saud 
ZU  Tage.   Bei  Kroüs  Hof  ist  der  Boden  sehr  sandig,  und  es  ündeu  sich 

4* 


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52 


EdoMd  Zaohe: 


oinige  Steinhaufen.  In  einer  Grnbe  nördlich  von  Olsen  stellt  ü^iit  ge- 
schichtetor  scharfer  Unterer  Saml  an.  Gross-  niifl  K  Icin-Hi  icsoii 
liegen  in  einer  tlarhen  Depression  mit  saiidi^oiii,  aber  doch  fruchtiiarein 
Boden,  Südlieh  der  Dörfer  gegen  den  Bahnhof  Weiclieusdorf  hin  liiidet 
sich  eine  dünne  Tjehnidocke,  wie  eine  fhu^he  Grulu»  leint.  Die  Feld- 
frürlite  stehen  sehr  ^ut,  »iiid  Itei  dem  Vorwerk  Weicheusdorf  werdeu 
Zackerrübeu  iu  einem  leliuiigeu  Öande  gebaut. 


2.  Die  Wdllmltzep  Spitze. 

Die  Grenze  gegen  den  Fünfeichener  Rürken  beginnt  liei  iia\\  itz  iwid 
streicht  nördlich  von  Möbiskrnge  und  südlich  von  Kobbeln  V(n'bel  über 
Treppelu  bis  zum  Anfang  des  Schlai»l)ethales.  Nördlich  dieser  Grenz- 
linie linden  sich  noch  Höhen  von  150  ni  und  südlich  derselben  nur  noch 
solche  bis  12U  ni  Meereshrdie,  obgleich  sich  auch  noch  einzelne  Kii}H)en 
darüber  hinausheben,  z.  B.  der  Hutberg  bei  Ossendorf  mit  ltiü,(j  m 
Meereshöhe. 

Nördlich  von  Läwitz  ist  die  Stelle,  wo  das  Fürsten  berger  Vorland 
neben  dem  Plateau  seinen  Anfang  nimmt  Vom  Lawitzer  Grande  aus 
fuhrt  nach  Norden  der  Wog  auf  das  Vorland  hlnanf.  Ülrar  der  Solile 
des  Lawitzer  G-rondes  steht  neben  dem  Wege  im  Einschnitt  Geschiebe- 
lehm  an.  Er  ist  hart,  hellbraon  and  mit  Steinen  gespickt.  Über  ihm 
lagert  ein  gut  gescliichteter  Sand,  welcher  in  seinen  tieferen  Schichten 
Idesig  ist  nnd  nach  oben  hin  feiner  wird.  Dieser  Sand  bildet  die  Ober- 
fläche des  Vorlandes,  das  hier  eine  Meeresfaöhe  von  .50  m  besitzt.  Es 
ist  wohl  kein  Zweifel  darüber  möglich,  dass  wir  es  hier  mit  Unterem 
Geschiebelehm  nnd  Unterem  Sand  zn  thnn  haben.  Auf  der  westlichen 
Seite  des  Hohlweges  steigt  das  Platean  empor;  auch  hier  liegt  an  der 
Basis  Unterer  G^chiebelehm  nnd  über  diesem  ein  sehr  sandiger,  brauner 
Thon  bis  znr  Spitze  der  vordersten  Bergknppe.  Geht  man  nach  Läwitz 
hinein,  so  finden  sich  an  der  Böschung  noch  mehrere  schöne  Aufschlüsse. 
Immer  ist  in  ihnen  in  der  Höhe  des  Thalweges  der  Untere  Geschiebe- 
lehm  angeschlossen  und  unter  ihm  an  einigen  Stellen  ein  weisser  Sand 
mit  Gllmmerplättchen.  Über  dem  Unteren  Geschiebelehm  liegt  ein  ge- 
schichteter, grol)er,  rötlicher  Sand.  Der  Untere  Geschiebelehni,  dessen 
Unterkante  wellenförmig  gebogen  ist,  zeigt  im  Tunern  Stauchungs- 
erscheinungen.  Ein  zw«  it.  ]•  selir  schöner  Aufschluss  liinlet  sich  in  dem 
Hohlwege,  welcher,  etwa  in  der  Mitte  des  Doifes  beginnend,  zum  Weissen 
Berge  emporführt.  Dicht  hinter  dem  Dorfe  nach  einer  geringen  Erhebung 
wird  der  Untere  Ceschieljelehm  angeschnitten.  Derselbe  ist  sehr  ungleich 
ausgebildet,  obwohl  er  Geschiebe  führt^  treten  in  ihm  doch  Partien  mit 


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Bptaaea  tekUmU>cher  Kfftfte  in  dem  Niederiausitaer  Vori«nde. 


53 


deutlicher  Schichtung^  auf,  daneben  finden  sicli  Nester  aus  Kies  und 
Gesdiiebeu,  die  sehr  gestaucht  erscheinen.  Unter  dem  Gescliiebelehin 
liegt  ein  scharfer  kiesiger  Sand,  welcher  in  seinen  Schichten  '_r1i  ii  hfiiUs 
Unruhe  zeigt.  Citer  dem  Unteren  Geschiebelehui  folo^t  in  dem  Hohlweg 
eine  10  cm  starke  Schiclit  eines  kiesigen  Sandes  und  darüber  V«  m  Thon, 
der  in  thonigen  Sand  übergeht;  dieser  wird  nach  oben  immer  schärfer, 
bis  er  echter  Mauersand  geworden  ist.  Ein  solcher  Maaersand  bildet 
den  l)ei  weitem  grössten  Teil  der  Biischung.  An  (U'r  Phiteaukante  wird 
er  unregelmiissig  geschichtet  und  scliliesst  Kiesnester  und  GenUlhaufen 
ein.  Auf  äov  S]»ifze,  die  den  Namen  „Weisser  Berg"  fülirt,  herrsclit 
weisser  8and  mit  Stcinbestreuung.  Letztere  ist  namentlich  auf  dem  Ab- 
hang zur  Sclilucht,  welche  nach  Dielilo  liinaufTührt,  sehr  ausgesprochen. 
Vom  Weissen  Berge  mit  83,H  m  Meeres liolie  hat  man  einen  prachtvollen 
Eiubliek  in  die  Landschaft,  l^ange  und  gut  ausgebildete  Schluchten 
schaffen  reiche  Abweclishmg  in  dein  Plateau.  Auf  der  Höhe  l»ei  Läwitz 
ist  die  ganze  Flur  bestellt:  (Tetreidi  leider  und  Kartoffelschläge  wechseln 
miteinander  ab,  soweit  tlas  Auge  reicht. 

Die  Thalgehänge  der  grossen  Schlucht  von  Läwitz  nach  Diehlo 
zeigen  in  ihren  unteren  Ti'ilen  einen  ausgesprochen  Inaunen  Faibent(»n, 
während  nach  der  Spitze  hin  di(>  weisse  Farbe  sich  einstellt.  Diese 
unteren  Partien  besteliiMi  aus  festem  LelnnlMMlen  mit  guter  Steinlx'streuung. 
Aus  dem  VorlierrscluMi  des  Lehmimdens  folgt  wohl,  dass  tler  Untere 
Gescliiebelehin  eine  grosse  Mächtigkeit  besitzt:  dieser  Sclduss  wird  noch 
bestiitigt  durch  die  AulVclilüsse  im  Hohlwege.  In  diesem  steht  er  an 
bis  zur  Wegegabel  Möbiskruge — Dieido.  Und  erst  oberhalb  dieser  Gabel 
tritt  der  scharfe  Untere  Sand  auf,  der  dort,  wo  er  kiesig  ist,  gut  aus- 
geprägte diskordante  Parallelstniktor  besitasi  Sobald  der  Hohlweg  fast 
die  Höbe  erreicht  hat,  und  er  nur  noch  schwach  eingeschnitten  ist»  be- 
stehen dl6  Binder  ans  Oberen  Geschiebelehm.  Anch  das  Ackerland  neben 
der  Strasse  ist  solcher,  und  auf  ihm  steht  das  Getreide  sehr  gut.  Der 
Obere  Geschiebelehm  hält  sich  hier  anf  der  Höhe  mit  102  m  in  einer 
ziemlichen  Ausdehnung  und  nur  in  der  Nähe  der  Schlucht  Möbiskruge — 
Lawits  wird  der  Boden  sandig.  Der  Sand  bleibt  herrschend  bis  kurz 
vor  Möbiskruge,  wo,  ein  wenig  nördlich  des  Dorfes,  der  Boden  lehm- 
haltiger  wird.  Es  treten  hier  in  ihm  zwei  deutliche  Solle  auf.  Guter 
Gescbiebelehm  steht  in  dem  tiefen  Einschnitt  zu  Tage»  welcher  von  der 
Höhe  zum  Dorfe  im  Thale  hinabführt  Anch  in  dem  Wege  Möbis- 
kruge^Diehlo  fiQhrt  auf  der  Höbe  ein  Einschnitt  durch  Oberen  Geschiebe- 
lehm. Ober  diesen  eben  beschriebenen  Abschnitt  bringt  Berghaus*) 
einige  Notizen:  „Im  Neuzeller  Stiftsgebiet  finden  sich  einige  Spuren  von 
heidnisdien  Begrabnissen.  So  bei  Nenzelle,  Schlahe,  Möbiskruge,  Well- 


*)  Berghaas:  Umdbncfa,  1.  Bd.  8.  IW, 


54 


Eduard  Zacbe: 


iTiitz,  Brt'slai^k.  Alle  diese  Orablifigel,  deren  es  bei  Bre^lagk  ehemals 
nicht  mehr  als  00  gab,  sind  mit  grossen  Steinen  belegt  Bn<l  den*  ganze 
Landstrich,  der  den  gebirgigen  Teil  der  Niederlausitz  ausmacht,  ist  ein 
Fundort  zahlreicher  VersteincroDgen  meist  mit  Kalk  und  Feuersteinen. 
Möbiski'uge  liegt  in  einem  freundlichen  Thal  zwischen  flachen  Hfigel- 
reihen,  und  diese  Höhen  sind  sehr  reich  an  Geschieben,  ohne  dass  sie 
ein  eigentliches  Lager  bilden.  Ebenso  oft  finden  sich  die  Geschiebe  im 
Walde,  wenn  man  den  Hutberg  übei*sch reitend,  nach  Kieselwitz  und 
dem  Schlaubethal  geht,  und  die  Feldmark  von  Cobbeln,  wcdche  mit  der 
von  Möbiskrage  grenzt,  ist  ebenso  steinreich  als  diese.  Wie  zahlreich 
die  Geschiebe  gewesen  sein  müssen,  lässt  sich  schon  daraus  ermessen, 
dass  man  im  Stande  gewesen  ist,  auf  der  Feldmark  Bresinchen  die 
meisten  Feldwege  und  den  Gubener  Herweg  über  Gross-Breesen  nod 
Grunewald  zu  pflastern." 

Westlich  von  Möbiskruge  mündet  der  Cobbel-Grund  in  das  Möbis- 
kruger  Thal.  Es  ist  diis  eine  breite  und  tiefe  Schlucht  mit  steilen 
Rändern  und  kleinen  Neben  Schluchten,  die  sich  weit  nach  Süden  hinzieht. 
Unweit  der  Ausmündung  liegt  neben  dem  Rande  eine  Ziegelei,  welche 
Oberen  Geschiebelehm  verarbeitet.  Der  Südrand  der  Möbiskruger  Sciducht 
ist  schroft'er  als  der  Nordrand.  Unter  den  Kuppen,  welche  ihn  l»e- 
gleiten,  ist  der  Hutber;^  1 18  m  hoch  luid  besteht  aus  Unterem  Sand,  der 
mit  Steinen  dicht  bedeckt  ist.  Am  Sildansgange  von  Möbiskruge  steht 
im  Thal  in  einer  Grube  feiner,  thoniger,  gut  geschichteter  Unterer  Sand 
an,  der  auch  in  dem  Hohlweg  nach  Cnmro  aufschlössen  ist,  wo  er 
in  halber  Höhe  durch  Oberen  Geschiebelehm  überlagert  wiid.  Auf  dem 
Plateau  selbst  herrsclit  dagegen  wieder  der  Sand.  Derselbe  hält  sich 
bis  Cumro  und  wird  gelegentlich  auch  steinig.  In  der  Schlucht,  welche 
nacli  Cumro  hinabführt,  stellt  dersell)e  feine  Sand  an.  Er  ist  gut  ge- 
schichtet, und  es  wechseln  in  ihm  dunkle  und  helle  Streifen,  von  denen 
die  ersteren  nur  schwach  sind.  Dieser  Sand  erhält  sich  in  der  ganzen 
Länge  der  Schlucht  bis  zum  Dorfe  hinab,  so  dass  er  sehr  mächtig  sein 
muss.  Erst  am  unteren  Ausgang  von  Cumro,  in  der  Höhe  der  Thal- 
sohle, ist  fester  Unterer  Geschiebelehm  aufgeschlossen,  der  von  Sand 
imterlagert  wird.  Die  Geschiebelehinwand  ist  8  m  mächtig.  Noch  weiter 
thalwärts  zwischen  Schlaben  und  Neu-Zelle  ist  das  Liegende  des  Unteren 
Geschiebelehms,  ein  weisser  Sand, aufgeschlossen.  Untta*  dem  Geschiebelehm 
ist  zwischen  diesem  und  dem  Sand  eine  Übergangsstufe  vorhanden,  da  unter 
dem  Geschiebelehm  zunächst  starke,  hellbraune  Thonschichten  auftreten, 
zwischen  denen  schmale  Sandstreifen  eingeschaltet  sind,  während  tiefer 
hinab  die  Thonschichten  schwächer  und  die  Sandschichten  stärker  werden, 
bis  die  Thonschichten  endlich  gänzlich  verschwunden  sind.  In  Schlaben 
ist  der  Untere  Geschiebelehrn  noch  einige  Male  angeschnitten,  ebenso  an 
einem  Abhang  zwischen  Neu-Zelle  und  dem  Bahnhof.  An  letzterer 


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Spaten  tdLtonischer  Kittfle  in  dem  Niederiaveitser  Yoriande. 


55 


Stelle  bildet  er  eine  6  m  hohe  Wand  und  liegt  anf  Sand,  über  dem  auch 
jene  Zwischenstufe  auftritt. 

Sädwestlich  von  Mübiskruge  fol^eu  die  Feldmarken  von  Oobbeln 
und  Treppein  mit  sehr  sandigem  Boden.  Erst  südlich  von  Treppein, 
wo  das  Gelände  ganz  eben  ist,  \\  'm\  I  i  Boden  besser,  und  am  Woge 
liegen  einige  grössere  Blöcke  sowie  Haufen  von  Steinen.  No(  Ii  weiter 
nach  Süden  ändert  sich  auch  tüe  Configuration  der  Laiidsc  lial't.  l]s  lässt 
sich  eine  gewisse  Ähnlichkeit  mit  einer  Moräneulandscluift  lierausfinden. 
Der  >fittelpunkt  dieses  Gebietes  ist  der  Abschnitt  zwischen  Henzen- 
dorf,  Göhlen  und  Baliro.  Schon  in  dorn  Strich  westlich  von 
Henzendoi-f  tritt  Geschiebelehm  auf,  and  die  Oberfläciie  trägt  reiche 
Steiubestreuung.  Am  Nordausgange  von  Renzendorf  steht  in  einem 
tiefen  Wegeeinsclinitt  bis  zur  Oberkante  5  m  mächtig  Oberer  Goschiebe- 
lehra  zu  Tage.  Auf  der  ge<;eiuiberliei?eiulen  Böscliuni?  ist  gut  geschiditeter 
Sand  angeschnitten.  Das  Dorf  selber  liegt  sehr  malerisch  tief  im  <!i  imdo 
neben  einem  See.  Die  Gebäiido  sind  <»ft  föi-inlicli  iii  den  Bei'gabhang 
aus  Gescliiebelehni  hineiiigebaut.  Die  Ställe  und  Scheunen  bestehen  aus 
Feldsteinen.  Gegen  Bahro  Inn  herrscht  wieder  Sand  nut  Steiubestreuung. 
Am  Südeiiiiiange  dieses  D(»rfes  verarb«'iti't  eine  kleine  Ziegelei  den  Oberen 
Ge^i  liit'belelini,  welcluu'  in  einer  flachen  Grul)t'  ausfeilt,  Audi  nördlich 
von  Ossendorf  ist  dei-  Boden  ein  harter  Leliin,  während  der  Hutberg 
(lübjb  ni)  südlich  des  D<i|-fes  aus  Sand  besteht. 

Der  Plateau-Rand  südlich  von  Neu-Zelle  biegt  scharf  nach  Osten 
vor  und  bildet  bis  Wellniitz  genau  die  Foitsetzung  des  Oderrandes 
auf  dem  rechten  Ufer  der  Neisse.  Die  höchste  Ki  liebung  ist  der  Ilutberg 
südlich  von  Sti-eicbwitz  mit  DJ1),()  ui.  Während  lii  r  Plateau-Uand  in  der 
Um^-egeiul  von  Neu-Zelle  durch  tiefe  Schluchten  zerrissen  ist,  bleibt  er 
iu  <ler  Umgegend  des  Wellmitzer  Vorwerkes  arm  an  Schhu  Ilten  und 
besitzt  6i{  m  Meereshohe.  Westlich  von  W'ellniitz  breitet  sich  eine;  freie 
Hochfläche  aus,  deren  Boden  aus  Oberen  Gescliiebelehm  bestellt.  Östlich 
vor  Streichwitz  hebt  sich  ein  deutlicher  Hfigelzng  heraus,  au  dessen 
Fuss  weisser  Sand  zu  Tage  tritt,  während  nach  dem  Gipfel  hin  der 
Weg  doreh  Greschiebelehm  geht  Die  Steinbestrennng  ist  mässig.  Die 
Spitze  des  Grroske-Berges  ist  Geschiebelehm.  Streich witz  liegt  am  Hände 
eines  weiten  Thalzuges,  in  dessen  Grunde  der  Eahnkox)febach  'Ober 
Schwerzko»  Cumro,  Schlaben  und  Neu-Zelle  zur  Oder  flieset.  Auf  der 
gegenüberliegenden  Seite  der  Depression  sieht  man  auf  der  Höhe 
Ossendorf.  Im  Dorfe  Streichwitz  und  südlich  desselben  auf  dem  Wege 
nach  Börnsdorf  steht  Oberer  Geschiebelehm  an.  Der  Hutberg  neben 
Streichwitz  ist  ein  isolierter  Kegel  mit  steiler  Böschung  aus  festem 
Oberen  Geschiebelehro,  und  die  Oberflache  trägt  reichlich  Steiubestreuung. 
östlich  dicht  neben  ihm  ragen  einige  niedrigere  Sandberge  empor.  Nach 
Süden  Iftsst  sich  der  Geschiebelehm  bis  Börnsdorf  verfolgen  und  ist  in 


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56 


Ediuurd  Zache: 


einigen  Einschnitten  sehr  schdn  anfgeechlossen.  Die  Steinbestrenang  ist 
mässig.  Bei  Börnsdorf  beginnt  mit  einigen  kleinen  Seeen  die  Rinne, 
welche  nach  Norden  zur  Oder  bei  Nen-Zelle  nnd  nach  Sttden  xnr  Neisse 
bei  Gaben  führt.  Anch  südlich  von  Börnsdorf  ist  noch  Geschiebelehm 
vorhanden,  sobald  aber  die  Heide  beginnt,  hört  er  auf  und  erscheint 
erst  wieder  südlich  derselben  gegen  Drewitz  hin.  In  der  Nachbarschaft 
dieses  Dorfes  herrscht  lehmiger  Sand.  An  seinem  Sfidausgang  befindet 
sich  eine  tiefe  Grube  im  Unteren  Sande.  Auf  der  Höbe  ist  der  Boden 
wieder  lehmiger  Sand  mit  Steinbestrenang^  doch  hält  er  in  dieser  Aus- 
bildung nicht  lange  aus,  nämlich  nur  bis  zur  Hälfte  des  Weges  nach 
Lauschitz.  Im  Inneren  dieses  Dorfes  sowie  an  seinem  Nordausgange 
ist  Oberer  Geschiebelehm  angeschnitten,  und  es  ist  ein  grosser  Haufen 
von  Blöcken  aufgeschichtet.  Auch  die  Umgegend  von  Sembten  verrat 
Geschiebelehm  mit  Steinbestreuung,  derselbe  tritt  noch  in  der  Umgegend 
von  Steinsdorf  hervor  und  erst  östlich  des  Dorfes,  wo  das  Gelände 
nach  dem  Rande  hin  zu  fedlen  beginnt,  wird  der  Boden  sandig. 


3.  Die  Hornoer  Spitze.  * 

Als  die  südliche  Fortsetzung  des  Fünfeichener  Rückens  ist  die 
Homoer  Spitze  anzusehen.  Die  Erhebung  über  den  Meeresspiegel  hat 
sich  ganz  allmählich  auf  93,  89  und  80,5  m  abgeflacht,  und  nur  an  der 
äussersten  Südspitze  sind  noch  102  m  vorhanden.  Die  Oberflädie  ist 
ganz  eben.  Längs  der  Bahn  Guben— Peitz  zeigen  die  Einschnitte  nur 
scharfen  kiesigen  Sand.  „Weiter  an  der  Neisse,*  sagt  Berghaus,*) 
„am  linken  Ufer  des  Flusses,  ist  die  hochgelegene  Gegend  von  Tauben- 
dorf  und  Gries  en  bis  gegen  Homo  der  Fundort  kleiner  und  grosser 
Geschiebe,  die  hin  und  wieder  kleine  Lager  bilden.**  Die  Spitze  bd 
Homo  flacht  sich  nach  Heinersbrück  ganz  allmählich  ab,  während  sie 
zur  Neisse  eine  scharfe  Böschung  besitzt  Westlich  vor  Homo,  wo  die 
flache  Böschung  für  eine  kurze  Strecke  in  eine  energische  übergeht, 
steht  Oberer  Geschiebelehm  an,  der  mässig  Steine  führt.  Auch  neben 
dem  nördlichen  Ausgang  von  Homo  findet  er  sich  wieder  und  erstreckt 
sich  noch  bis  Griesen.  Neben  diesem  Dorfe  ist  der  Rand  eingeebnet, 
so  dass  er  beackert  wird,  während  der  Steilrand,  der  sonst  herrscht, 
bewaldet  ist.  Nördlich  von  Griesen,  wo  das  Gelände  nur  80  m  Höhe 
besitzt,  ist  der  Boden  sandig,  und  in  einer  flachen  Grube  ist  scharfer 
kiesiger  Sand  aufgeschlossen.  Nach  Taubendorf  hin  erhält  sich  dieser 
Sand.  Es  ist  hier  südlich  des  Dorfes  wieder  ein  schroffer  Yorsprung 
vorhanden,  während  weiterhin  die  Böschung  verschwindet,  um  noch 


*)  ik  a.  0. 1.  Bd.,  a  199. 


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Spuren  tektoaUcbur  Kräfte  in  dem  Niederluu^iuer  Vorlaude. 


57 


einmal  in  Höhe  von  Kerkwitz  steiler  zu  werden  und  zwar  so  schroff, 
dass  sie  keinen  Wald  mehr  trägt.  In  der  Umgegend  von  Kerkwitz  trifft 
man  wieder  den  Uotereu  Sand  an  der  Oberfläche.  Derselbe  bildet  aach 
bei  dem  Bahnhof  Kerkwitz,  m  stark,  die  Decke  eines  Lagers  von 
DQnvialthon,  welcher  6  m  mächtig  ist.  In  einer  Tiefe  von  2  m  sieht 
steh  durch  das  Thonlager  eine  schwache  schwarze  Schicht,  welche  im 
frischen  Znstande  zähe  wie  Pech  ist  nnd  die  beim  Trocknen  fest  wie 
Steinkohle  wird.  Das  Thonlager  hat  eine  grosse  Ausdehnung,  es  erstreckt 
sich  bis  unter  den  Bahnkörper  nnd  westlich  noch  ein  Stflck  ins  Land 
liinein.  Unter  dem  Thon  ruht  wieder  scharfer  Sand.  Die  Tauern  sehe 
Forst  ist  ganz  eben,  und  die  Eisenbahn  Peitz— Lieberose  sdmeidet  nur 
seharfen,  gelben  Sand  an. 


4.  Der  Rauen-Petendorfer  TertläPkeni. 

Die  Rauenschen  Beige  sind  der  nördlichste  Vorsprung  unseres 
Gebietes  und  ihr  höchster  Gipfel  liegt  147,7  m  dber  dem  Meeresspiegel. 
Die  Rauenschen  Berge  schildert  Girard*)  folgendermassen:  „Dieser 
kleine  Gebiigsstock  hat  seine  höchsten  Punkte,  die  sich  bis  circa  450  Fuss 
erheben,  in  seinem  nördlichen  Rande  nnd  fällt  von  dort  allmählich,  in 
vielen  kleinen  Wellen,  nach  Süden  ab,  während  nach  Norden  zu,  fast 
ohne  Absatz,  die  Berge  gegen  die  vorliegende  Ebene  abschneiden.  Deut- 
liche Rficken,  fortlaufende  Thäler,  wie  man  sie  parallel  dem  Streichen 
erwarten  könnte,  finden  sich  gar  nicht,  es  sind  nur  kleine  Mulden  oder 
Kessel  und  flach  gewölbte  Kuppen,  die  mit  einander  wechseln,  selten 
emen  grösseren  Höhenunterschied  als  60—80  Fuss  zeigend.** 

Nördlich  vor  den  Rauenschen  Bergen  lagert  noch  eine  schmale 
Terrasse  nnd  dahinter  folgt  erst  das  Spreethal.  Diese  Terrasse  besitzt 
aach  nur  eine  ganz  geringe  Längsansdehnung.  Am  deatlichsten  aus- 
geprägt ist  sie  zu  beiden  Seiten  der  Chaussee  Furstenwalde-Rauen.  Die 
Chaossee  steigt  hier  ans  dem  Spreetlial  auf  einem  Damm  und  durch 
einen  Einschnitt  zum  Plateau  hinauf.  Westlich  neben  der  Chaussee  ist 
die  Böschung  auf  eine  kurze  Strecke  bcsnndcrs  scliarf  ausgeju'ägt. 

Für  die  Gliederung  des  Geländes  ist  noch  das  Thal  wichtig,  welches 
die  Rauenschen  Berge  von  den  Soldaten-liergen  (110  m)  trennt  und  das 
den  Petersdorfer  See  beherbergt.  Das  Thal  erstreckt  sich  vom  Spree- 
tlial bis  zum  Sc]iannütz(>l-S(M'.  riirni  d  sagt  an  derselben  Steile  von 
dicsom  Thal:  „Es  ist  niclit  unwahrscheinlich,  dass  gerade  diese  be- 
deutende Hebung  jene  Spalte,  die  bei  Petersdorf  beginnt  und  nach  Süden 
fortsetzt,  sowie  wahi  scliemlich  auch  eine  grosse  Verwerfung  der  Schichten, 
hervorgebracht  hat." 


Die  Norddeutficiiü  Ebene.  Berlin  1865.  8.  178. 


i^iijM^cj  L,y  Google 


68 


Eduard  Z«ohe: 


Der  Kern  der  Raaenschen  Beige  ist  das  Braunkohlengebirge.  Die 
AafschlfiBse  zeigen  aber  häafig  gerade  die  Grenzschichten  zwischen 
Tertiär  nnd  Quartär.  Beachtenswert  scheint  es  zu  sein,  dass  alle 
nmfangreicheren  Aufschlüsse  auf  der  Östlichen,  d.  h.  der  Petersdorfer 
Seite  liegen,  während  die  der  westlichen  unbedeutend  sind. 

Da  die  Berge  dicht  bewaldet  sind,  so  fehlen  im  Innern  die  Anf> 
Schlüsse.  £8  sind  dort  nur  ganz  kleine  vorhanden,  wo  der  Bergbau 
Einbrüclie  veranlasst  hat,  und  in  ihnen  steht  scharfer,  gelber  Diluvial- 
kies  zu  Tage.  Auf  der  südöstlichen  Abdachung  sind  einige  neue  Wege 
angelegt  woi*den,  diese  führen  gelegentlich  durch  grobkörnigen  tertiären 
Qoarzsand,  vorlierrschend  ist  aber  dor  |?raue  Diluvialsand  und  nur  ver- 
einzelt lindtit  sich  auch  Geschiebelehui  mit  zahlreichen  Steinen.  Grossere 
Geschiebe  triift  man  reiclilich.  Am  häufigsten  sind  die  Aufschlü.sse 
nördlich  von  Petersdorf.  Iiier  war  bis  vor  kurzt-m  eine  grosse 
Ziegelei  im  Betrieb,  und  noch  jetzt  sind  zahlreiche  Kies<,Mubeii  dort  zu 
linden.  In  einer  dersell)en  liegt  auf  einem  weissen  Quarzsand  mit 
Glimmer  ein  groher  Kies  mit  Geröll,  der  P/j  m  mächtig  ist.  Darauf 
folgt  ein  thoiiiger  Saud  mit  melireren  2 — 1  cm  starken  Lagen  einer 
Eisenscliale  und  hieiüber  eine  Schicht  von  feinstem  Sand.  An  einer 
anderen  Stelle  ragt  unter  einem  Winkel  von  45"  eine  Elli})se  aus  scharfem 
Sand  mit  ring-  imd  wellenförmiger  Lagerung  der  S(;lii(hten  in  eine 
Partie  aus  Kies,  Gerollen  und  Blöcken  von  nordischer  Herkunft  liinein. 
Au  der  einen  Seite  hat  sieh  neben  der  Ellip.se  in  dei-  Kies-  und  Geröll- 
sehicht  ein  Stück  festen  Geschielu-lehms  erhalten,  der  als  Vorsin  ung  aus 
der  Wand  der  Grube  hervorragt  und  nai  h  ohen  hin  allmählich  in  jene 
Kies-  und  Geröllmasse  übergeht.  Das  Auffallige  aber  ist,  dass  die 
Geröllscliieht  au  einei'  Stelle  in  einer  fast  senkrechten  geraden  Linie  ab- 
schneidet und  hier  an  eine  Partie  von  wohlgeschichtetem,  feinem,  gelbem 
Sand  stösst,  welcher  deutlielie  diskordante  Fluidalstruktur  zeigt. 

Die  noch  zu  i)esclireibenden  Auf.>clilüsse  liegen  wenig  nordlich  des 
Mundloches  des  Petersdorfer  Stollens.  Hier  findet  sich  ein  Einschnitt, 
in  welchem  zu  unterst  ein  feinkörniger  Glimmersand  (Formsand)  auf- 
tritt>  über  diesen  folgt  Geschiebelehm  und  darüber  kiesiger  Sand. 

Ganz  in  der  Nähe  dieses  Auftchlosses  ist  ein  zweites  Profil  frei- 
gelegt. Die  Längs  wand  der  Grabe  läuft  ungefähr  von  SO.  nach  NW. 
An  der  südöstlichen  Ecke  der  Grube  steht  dicht  über  der  Sohle  ein 
weisser,  glimmerreicher  Sand  (Formsand)  an.  Derselbe  schneidet  nach 
oben  mit  einer  Eisenschale  von  4  cm  Stärke  ab.  Darüber  lagert  Concor- 
dant  ein  grauer  Diluvialthon,  welcher  die  Verwerfung  des  liegenden 
Sandes  mitmacht,  so  dass  er  in  der  nordwestlichen  Hälfte  der  Grrube 
die  Sohle  bildet.  Der  DUuvialthon  ist  6  m  mächtig.  Der  Thon  und  der 
Sand  fallen  unter  ganz  flachem  Winkel  nach  Südwest  ein.  In  der  Sohle 
der  Grube  iLann  man  auf  eine  ganze  Strecke  hin  die  Eisenschale  ver- 


Sptureo  tektoiuBcher  bifte  in  dem  NiederUtwitzer  Vorlande. 


59 


folgen.  Die  Decke  des  Diluvialthones  wird  gebildet  von  einer  dünnen, 
eisenschfissigen  Eiesscbicht,  und  über  dieser  folgl  noehmals  8  m  xn&chtig 
auf  der  südöstlichen  Hälfte  der  Grabenwand  ein  Kies  nnd  auf  der  nord- 
westlichen ein  Sand,  der  nach  oben  hin  immer  feiner  wird.  Beide  Boden- 
arten schneiden  in  einer  scharfen  und  senkrechten  Linie  nebeneinander 
ab.  AnflfoUend  ist  in  diesem  Au&chluss,  dass  die  Verwerfungen  des 
liegenden  Diluvialthons  sich  nicht  in  den  hangenden  Kies  hindn  ver- 
folgen lassen,  nnd  dass  aber  aneh  die  Trennnngslinie  swischen  Eies  und 
Sand  sich  nicht  bis  in  das  Liegende  fortsetzt 

£ine  dritte  Grube  zeigt  baumknchenartigeu,  braunen  Formsand  und 
darüber  Diluvialkies.  Dieser  Kies  mit  grobem  Sand  ist  uiiregeliiiä.ssig 
geschichtet  und  schliesst  zahlreiche  Geschiebe  ein.  Das  grdsste  der- 
selben hat  wohl  einen  Inhalt  von  1  cbm. 

Etwas  liöher  dt»n  Abhang  hinauf  ist  noch  ein  viertt-r  Aufschhiss 
vorhiiudeii.  Auf  der  Suhle  tritt  Furiusand  horvor  und  (hiiübiT  laj^ert 
Diiuvialthon,  welcher  von  scharfem  Sand  bedeckt  ist.  Alii'  Gebirj^s- 
glieder  fallen  unter  schwucliem  Winkel  nach  W.  ein.  Auch  in  dieser 
Grube  ist  eine  deutliche  Verwerfung  zu  erkennen,  welche  alle  Schicht- 
glieder durchsetzt.  Die  Spiiinghöhe  derselben  beträgt  allerdings  nur  l  m. 

Während  die  eben  beschriebenen  Gruben,  welche  noch  im  Innern 
der  Kauen-Pett'rs(l(»rfer  Bcrjj^i-  liegen,  vornehnilicli  das  Diluvium  zeigen, 
so  dass  die  tertiären  Sclueiden  nur  t'l»en  ang»'sclinitten  sind,  ti'itt  in  den 
rundlichen  Aufschlüssen,  die  sich  neben  der  l'etersdorfer  Strasse  linden, 
das  Tertiär  fd)era]l  zu  Tage.  Die  Bergabhäuge  über  den  Gruben  be- 
stehen aus  kiesigem  Sand  mit  Gerollen. 

Kurz  nördlich  des  Dorfes  Petersdorf  ist  ein  grosser  Autsclduss 
vorhanden.  Die  Grube  erstreckt  sicli  ungt  friln  |taralb'l  mit  dem  Petcrs- 
dorfer  See  von  SW.  nach  NO.  Man  orktMint  di  iiüich,  dass  hier  ein 
flacher  Sattel  abgebaut  ist,  der  sicli  in  der  Ivichtung  der  Grube  erstreckte 
und  dessen  Fliigcd  nach  SO.  und  NW.  einlielen.  An  der  nordöstlichen 
Querwand  der  Grube  sielit  man  die  Kuppe  des  Sattels,  sie  bestellt  aus 
dem  choknladonfarbigen  Tertiär,  das  tlachwellenartig  zusammengeschoben 
ist.  Auf  den  Wellenbergen  des  tertiiiren  Kerns  liegen  zahlieiclie  Ge- 
schiebe, während  auf  dem  östliciien  Schenkel  nach  aussen  liin  die  dihi- 
viale  Decke  zuerst  aus  Kies,  dann  aus  Sand  und  schliesslieli  aus  Thon 
besteht.  Bevor  die  (Jrube  angelegt  war,  befand  sich  hier  ein  flaclier 
Rücken,  dessen  Ausläufer  noch  zu  erkennen  sind.  Auf  dem  nord- 
östlichen Vorsprung  des  Rückens  ist  eine  Grube  im  grollen  Kies  an- 
gelegt, der  hauptsächlich  aus  weis.sein  Quarz  besteht.  Nicht  weit  von 
dieser  befindet  sich  eine  zweite  Grube,  auch  auf  der  Kuppe  des  Kückens, 
in  welcher  fester  Geschiebelehm  ansteht.  Auch  dieser  enth&U  die  weissen 
Quarzite. 


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60 


Eduard  Zaohe: 


Dort,  wo  die  Petersdorfer  Strasse  aus  den  Bergen  heraustritt,  steht 
in  der  Höhe  der  Spreethalsohle  das  chokoladenfarhene,  baamknchen- 
artige  Tertiär  zu  Tage  und  fällt  nach  W.  ein,  wenn  anch  etwas  steiler 
als  an  anderen  Ortlichkeiten.  Die  Abdachung  zum  Spreethal  zwischen 
der  Petersdorfer  Strasse  und  der  Petersdorfer  Senke  zeigt  kiesigen  Sand, 
der  in  zahlreichen  Graben  angeschlossen  ist  Die  Abdachnng  ist  eine 
ganz  aUmähliche,  sowohl  die  zum  Spreethal  als  anch  die  zar  Peters- 
dorfer Rinne.  Nnr  dort,  wo  das  Dorf  Petersdorf  liegt,  ist  der  Abhang 
schroff.  ^ 

Die  Ausbildung  des  Geländes  an  der  Vorstufe  nOrdlich  von  Hauen 
haben  wir  schon  besprochen.  Die  dort  erwähnte  Terrasse  besteht  aus 
Geschiebelehm  mit  sehr  vielen  Geschieben,  wie  ein  Ackerstück  zei^e, 
auf  welchem  die  „ausgebuddelten^  lagerten.  An  der  Böschnng  der 
Terrasse  neben  einem  Gehöft  ist  eine  kleine  2  m  tiefe  Jielimgrube  an- 
galegt  worden.  Auch  der  Boden  in  der  nächsten  Umgebung  des  Ge- 
höftes besteht  aus  Geschiebelehm.  Nach  Westen  erstreckt  er  sich  bis  zur 
Kauenschen  Ziegelei.  Unter  dem  Geschiebelehm  tritt  an  der  Böschung 
lüos  liervor,  der  bis  zur  Sohle  des  Spreethaies  reicht.  In  der  Nälie 
der  Ranenschen  Ziegelei,  wo  die  Terrasse  schon  im  Abnehmen  begriffen 
ist,  ist  eine  Kiesgrube  im  groben  Kies  angelegt,  der  gut  geschichtet  ist. 
Unter  dem  Kies  liegt  ein  weisser,  scharfer  Sand  mit  einzelnen  Gliininer- 
plättchen.  Der  Berichen-lierg  westlich  neben  Rauen  ist  magerer  scharfer 
Sand.  Das  Dorf  selber  liegt  in  einem  flachen  Thale,  in  welchem  der 
Boden  etwas  lehmhaltig  ist.  Klöden*)  hat  die  Ausliildung  des  Ge- 
ländes und  die  Zusammensetzung  des  Bodens  an  dieser  Stelle  schon 
beschrielien. 

Auch  in  den  Duberow-Bergen  auf  der  östlichen  Seite  der  Peters- 
dorfer Senke  finden  sich  Aufschlüsse.  In  einem  derselben  liegt  auf 
dem  chokoladenfarbigen  Förnisand  eine  4  cm  starke  Schicht  aus  gelb- 
braunem .scharfen  Sand  mit  Feuersteinen  und  hierauf  ruht  ein  V-j  m 
mächtiger,  heller,  sandiger  Thon  mit  wenigen  nordischen  und  weissen 
l^iiarzkieseln,  und  darüber  folgt  endlich  ein  grauer,  scharfer  Sand  mit 
zahlreichen  nordischen  kleinen  Kieseln.  In  einem  zweiten  Aufschluss 
unweit  des  ersten  fehlt  die  sandig-tliunige  Zwischenschicht  und  es  lagert 
auf  dem  Tertiär  eine  Schicht  grösserer  Fiii(llin;;e  im  Kies  und  darüber 
folgt  alsdann  der  .scharfe  Sand,  doch  nun  ohne  Steine.  In  eiiirm  di-itton 
Aufschluss  endlich  bildet  ein  Diluvialkies  mit  grösseren  Blocken  die 
Decke  des  Tcrliiirs. 

Die  Abdachung  dieser  nöi-dliclien  Kui>j)eii  nadi  Süden  ist  sandig; 
doch  tritt  für  eim«,  kurze  Strecke  auf  dem  Wege  zwischen  Neu-  und 
Alt-Golm  ein  besserer  Bodeu  auf.    In  der  nächsten  Umgebung  dieser 


*)  Beiträge  V.  Stck.   1832.  S.  69  fl. 


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Cfptnen  tektonischer  Krifte  in  dem  MiederiauaitMr  Voriande. 


61 


beiden  Dörfer  herrscht  Sand,  und  bei  Ait-Golm  tritt  Steiubestreuimg 
hinzu. 

Südlich  von  Alt-(iolni  lieben  sich  die  Lauseberij^e  deutlicli  heraus: 
auch  sie  beistehen  aus  sehr  unfruchtbarem  Sand.  Dieser  sclüechte  Unden 
setzt  sich  fort  Iiis  in  die  Sandfichten  und  die  Pieskowsclie  Heide.  Südlicli 
der  letzteren  ist  der  Boden  auf  eine  kurze  Sti'ecke  besser  geworden, 
doch  tritt  bald  wieder  oder  Sand  hervor. 

Die  Nachbai.schaft  von  WilnieisdcMi  ist  scharfer  kiesiger  Saud, 
und  erst  nach  der  Grenze  von  Ilartennsdorf  hin  wird  der  Boden 
lehinhaltiger  und  steinreich.  Westlicli  von  ITarteunsdoif  im  Walde 
herrscht  öder  Sand,  und  es  liegen  einige  grosse  Blocke  neben  dem  Wege. 
Auch  in  Hai-tennsdorf  sind  gro.sse  Steinhaufen  lu'ben  der  Dorfstrasse 
aufgeschichtet.  Westlich  von  Wilmersdorf  ragen  die  xVlaunberge  deutlich 
aus  dem  Cli'Unide  empor.  An  ilu'em  O.stabhange  linden  sich  einige 
beachtenswerte  Aufschliisse.  Am  i'ii^se  des  Berges  ist  eine  Grube  mit 
gut  geschichtetem  kiesigen  Sand  vorhanden.  Sobald  der  W'eg  zu  steigen 
beginnt,  tritt  Geschiebelehni  auf  und  ein  rötlich  brauner  Kies.  Sie 
lagern  neben  braunem  Tertiär.  Dieses  Tertiär  bildet  in  Hohe  der  Stra.sse 
eine  Art  Absatz.  Darüber  erhebt  sich  die  Spitze  des  Berges,  welche 
aoB  einer  12  m  hohen  Wand  TOn  OeBchiebelehm  bestellt,  der  einen  deut- 
lichen Stich  ins  Schwarze  besitsst 

Iditten  im  Felde,  2  km  östlich  von  Pieskow,  ist  eine  Thongnibe 
vorhanden.  Es  ist  ein  fetter,  branner  Thon,  der  bis  zur  Oberkante  der 
Grabe  heranreicht  Etwas  näher  an  den  Scharmtitzel-See  heran,  hart 
an  der  Strasse  Pieskow— Alt-Golm,  ist  eine  Grube  im  Geschiebelehm 
angelegt.  Die  Wände  derselben  sind  4  m  hoch  nnd  bestehen  aus  festem, 
hellbrannem  Geschiebelehm  mit  grossen  nnd  kleinen  Geschieben.  Die 
Terrainhdhe  betragt  hier  ungefähr  61  m. 

An  dieser  Stelle  fQgt  sich  nun  der  Scharmützel -See  in  die 
Landschaft  ein.  Er  ist  10 Vs  km  lang  nnd  Vjt  km  breit,  mithin  1575  ha 
gross.  Sein  Spiegel  hat  eine  Meereshöhe  von  36  m,  so  dass  bei  einer 
Tiefe  zwischen  12  nnd  30  m  hier  eine  Differenz  von  ca.  150  m  zwischen 
dem  Seeboden  des  Scharmützel-Sees  und  der  Spitze  der  ftauenschen 
Beige  vorhanden  ist  Er  ist  fast  seiner  ganzen  Ausdehnung  nach  von 
steil  einfallenden  Ufern  umschlossen.  Auf  der  westlichen  Seite  ist  das 
Steilufer  deutlich  ausgeprägt,  während  auf  der  (»stlichen  neben  dem  Ufer 
noch  Platz  für  einige  Dörfer  ist.  Ausserdem  ist  hier  zwischen  Pieskow 
und  Biensdorf  eine  niedrige  Terrasse  neben  dem  Seeufer  vorhanden. 
Grössere  Schluchten  und  ])edeutendere  Flie.sse,  die  zum  See  hinabfuhren, 
fehlen  gänzlich.  Am  Nordende  des  Sees  befindet  sich  ein  breiter 
Wiesengrund,  der  Wierich,  welcher  mit  der  Petersdorfer  Senke  zusammen- 
hängt Am  ö.stlichen  Ufer  in  der  Nähe  des  Dorfes  Pieskow  liegt  eine 
verlassene  Ziegeleigrube,  deren  Sohle  und  Wände  ans  chokoladefarbenem 


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62 


Edawrd  Zache: 


Tertiär  bostchon,  das  von  eiiitM'  sc-hwaclu'ii  Oih  ki'  aus  fcsti-m.  Itrannciu 
Gf.schiebclclnn  bedeckt  wird.  Bei  Dit'Tis<l<»i'l'  ist  s:lt*icbfalls  eine  Ziegelei 
iin  Retrieb.  llire  (Jnibe  befindet  sicli  ;iuf  dein  IMatoau,  ein  ansehnliches 
Stück  vom  Ufer  entfernt.  Auch  hier  liefert  das  Tertiärgebirge  das 
Material  für  die  Ziegelei.  Die  Schichten  des  Tertiiir.s  sind  sehr  go- 
«luetsciit  und  verschobe'ii.  ( leh'<;(Mitlicli  tiiidfii  sich  Linsen  aus  inilcb- 
weisseu,  erbsengrosseii  Quaizkörnern.  Die  Decke  des  Tertiärs  ist  ein 
2  ni  mächtiger,  fester  Geschiebelehni,  der  auch  sandig  wird.  Zahlreiche 
Findling»  liegen  neben  der  Grube.  Das  Gelände  ist  hier  ziemlich  koapiert. 
Nicht  weit  von  der  Grube  eutferut,  gegen  den  See  hin,  darchschneidet 
die  Feldbahn  das  Tertiär,  das  hier  zn  Tage  ausgeht.  Wiederum  ein 
Stück  näher  zum  See  heran  wird  von  der  Feldbahn  brauner  Eies  mit 
zahlreichen  Steinen  durchschnitten.  Der  Kies  wird  allmählich  sandig. 
Sobald  das  Gelände  zum  See  hinab  deutlicher  zu  fallen  beginnt,  erblickt 
man  in  dem  Einschnitt  grosse  Yerstanchnngen,  an  denen  auch  das  Dilu- 
vium beteiligt  ist.  Auf  der  Sohle  des  Durchstiches  findet  sich  das 
Tertiär,  über  ihm  lagert  ein  heller  Sand  und  zwischen  beiden  ein 
schwaches  Lager  von  gelbem  Kies  mit  Geröllen.  Die  Decke  endlich 
bildet  ein  sandig  -  kiesiger  Geschiebelehm,  der  nach  oben  hin  rein 
sandig  wird.  An  der  Böschung  des  Plateaus  giebt  es  noch  einen  letzten 
Aufschlnss.  Auch  hier  sind  grosse  Störungen  ausgebildet.  Zu  nnterst 
liegt  das  Tertiär,  und  darüber  folgt  eine  graubraune,  gleichförmige,  un- 
geschichtete  Masse,  in  welcher  einzelne  Kiesel  stecken.  Hierüber  lagert 
ein  gelber  kiesiger  Sand,  welche  sackartig  in  das  Liegende  hineinragt. 
Die  Decke  des  Ganzen  ist  endlich  ein  Geschiebelehm,  welcher  seinerseits 
an  zwei  Stellen  sackartig  in  die  Unterlage  eingreift.  Die  Abdachung 
zur  Terrasse  ist  scharfer,  kiesiger  Sand  mit  Steinen.  An  anderen  Stellen 
des  Abliniiges  geht  der  Geschielx  Idnii  bis  zur  Krone  des  Absatzes 
hinab.  Wo  die  Pagewässer  den  ( iescinebelehm  angegrififen  haben,  liegen 
die  Steine  sehr  dicht.  Dort,  wo  die  Terrasse  nicht  ausgeprägt  ist,  geht 
der  Geschiebelehm  <loch  bis  zur  Mitte  der  Böschung  hinab.  Hinter 
Diensdorf,  wo  der  Weg  nach  Harten iisdnrf  in  die  Höhe  steigt,  steht 
an  der  Böschung  das  Tertiär  an  und  an  der  Obi>rkaute  GeBchiebelcluo. 
In  einiger  Entfernung  vom  Rande  nach  dem  Innern  zu  besteht  der 
Boden  aus  chok(dadenfarbenem  Tertiär. 

Es  finden  sich  nun  auch  auf  dem  westlichen  Ufer  einige  Aufschlüsse, 
in  denen  eine  innige  Verbind nnii:  von  Tertiär  und  Quartär  zu  bectbachten 
ist.  Den  ersten  Aufschlnss  trillt  man  in  der  Sill)erberger  Ziegeleigrube. 
Die  (irube  liegt  unweit  des  Doniiiiiums  Silberberg  auf  einem  flachen 
Rücken,  etwa  öon  ni  westlich  vom  Seeufei-.  l)ie  (Irnlie  eistreckt  sich 
in  ihrt-r  Liingsausdehnung  von  Ost  nach  West,  und  ihre  Längs  wände 
zeigen  das  Tertiär.  Es  sind  deiitlicln^  l'ioz«!  vojhanden,  die  aber  arg 
zerrissen  und  zusammeugesckobeu  siud.  Kurz  vor  dem  westlichen  Ende 


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Spuren  tektonischer  Krftfte  in  dem  Niederlausitzer  Vorlaade. 


68 


<l(»r  (trübe  hüvt  das  chokoladenfin  I>eiu'  Tortiiir  an  Ix-iden  Längsseiten 
ilor  (irube  iilöt/lich  iicIuMi  eiiici-  srnkreclitt'n  lAiuv  auf  (Tafel  1),  und 
liififtT  dieser  folirt  das  lielllti-aunc  Diliivimii,  so  dass  die  westliche.  Quer- 
wand der  Clrubt'  aus  diesem  besteht.  Das  Dihivium  bildet  eine  feste, 
senkrechte  Wand.  Es  ist  ein  sehr  kiesiger  und  sandiger  Gesehiebelelmi. 
Die  Wand  ist  hier  an  ihrer  hüch.»;ten  Stelle  7 — 8  ni  hoch.  Das  Tertiär 
reicht  in  dem  ganzen  Aufschlnss  und  auch  nach  dem  See  hin  bis  an 
die  Oboi*flädio  des  Geländes.  Nur  an  einigen  Stellen  hal)en  sicli  in  ih  n 
Falten  des  Tertiärs  schwache  Reste  von  Dihivium  erhalten  und  zwar 
sind  dies  rötblichbmnne,  thonige  Sande  mit  grossen  und  kleinen  Steinen. 
Die  Yerwerfnng  zwischen  Tertiär  und  Dilnvium  verläuft  im  magnetischen 
Meridian,  d.  h.  in  Nordsüdrichtung  mit  einer  Abweichung  von  lü«  nach 
West  bin.  « 

Hart  am  Seerande,  am  Fnsse  des  Bullenberges,  in  der  Hdhe  von 
Silberbei^i  ist  eine  zweite  Ziegelgmbe  im  Betrieb.  Es  wird  hier  ein 
gat  geschichteter  Dilnvialthon  von  brauner  Farbe  gestochen.  Die  Sohle 
der  Grube  liegt  in  der  Höhe  des  Seespiegels.  Die  Zugehörigkeit  des 
Thons  zum  Dilnvium  bestätigen  einmal  die  kleinen  Schmitzen  von  rotem 
Manei*sand,  die  sich  in  ihm  finden,  und  sodann  die  Oberreste  von 
Diluvialtieren,  die  auf  seiner  Oberkante  gelegen  haben.  Über  dem 
Thon  liegt  ein  gut  geschichteter  scharfer  Sand.  Die  Schichten  im  Sand 
und  Thon  laufen  horizontal.  An  der  östlichen  Seite  der  Grube,  parallel 
mit  dem  Seeufer,  hört  der  Thon  plötzlich  neben  einer  senkrechten  Linie 
auf,  so  dass  der  Abschnitt  zwischen  der  Grube  und  dem  See  aus  Sand 
besteht.  (Tafel  II.)  In  der  nächsten  Nähe  dieser  Grenzlinie  ziehen  sich 
die  Thonschichten  und  auch  die  hangenden  Sandschicliten  ganz  allmählich 
ans  der  horizontalen  Lage  ein  wenig  nach  unten  lierab.  Die  Sandschicliten 
in  dem  Abschnitt  zwischen  der  Thongrube  und  dem  Seeufer,  die  durch 
einen  Abzugsgraben  aufgeschlossen  sind,  haben  in  der  Nachbarschaft 
der  Thongnibe,  etwa  2  m  breit,  eine  hellchokoladenbrauue  Farbe  und 
sind  energisch  gestaucht,  während  sie  weiter  ab  von  der  Grube  bis  zum 
Ufer  hin  völlig  horizontal  bis  flach  muldenförmig  liegen.  Auf  der  Ver- 
werfungsspalte hat  sich  eine  Eisenschale  ausgebildet.  Aber  auch  vor 
der  westlichen  Wand  der  Grube  schneidet  der  Thon  mit  einer  scharfen 
Linie  neben  dem  Sand  ab.  In  der  Mitte  der  Grubenwand  sind  die 
untersten  Sandschichten  über  dem  Thon  durch  eine  Kluft  unterhrochen, 
die  ungefähr  20  cm  breit  ist  und  mit  ungeschichtetem  Sand  ansi;efüllt 
ist.  Die  Sandschichten  sind  neben  der  Kluft  leicht  emporgewölbt  und 
sonst  nicht  weiter  gestört,  Autdi  di»-  liegenden  Thonschichten  sind 
nicht  verändert  worden,  ebenso  wenig  wie  die  Saudscliichten  über  der 
kleinen  Kluft. 

Am  Fusse   des   Da<hsberges,  2  km   nördlich  von  Silberberg,  ist 
ein  üacber  Autäcliluä.s  vorhanden,  welcher  das  chokuiadeufarbene  Tertiär 


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64 


Eduard  Zache: 


zi'igt.  Aucli  die  Feldmark  von  Reichenwalde  besitzt  Ackerstück«, 
die  aus  Tertiärgebirge  bestehen. 

Endlicli  ist  üocli  ein  letzter,  grosser  Aufschluss  durch  die  Siiarower 
Ziegeleigrube  au  der  Nurdspitze  des  Schannützel-Sees  geschaften  worcb'n. 
Auch  in  dieser  wird  das  Tertiär  ausgel>out('t.  Man  i^^clanst  in  die  Grube 
durch  einen  Einschnitt  im  diluvialen  Sand«'  mit  dcutlicli  ausgi'j»rägt('ii 
horizontalen  Schichten.  In  der  Hölic  der  Wcusohle  lic^t  ciiu»  Schiclit 
ans  Kit's  und  grösseren  Gondlen.  Der  Weg  läuft  ungefähr  von  Ost 
nach  West,  und  die  Grul>e  stösst  mit  ihrer  Längeuausdehnung  leclit- 
Nvinklig  dagegen.  An  der  östlichen  Tiiingswaud  der  Grube  erblickt  maa 
diclit  über  der  Solile  das  Tertiär,  kenntlich  an  einem  schwachen  Flöz; 
darüber  lagert  ein  liellgraner  Thon  und  über  diesem  das  Diluvium,  ein 
gelber  scharfer  Sand  mit  einzelnen  grüsM  ien  und  kleineren  Geschieben 
an  der  Basis.  Das  Diluvium  macht  alle  Faltunm  n  des  Tertiärs  mit. 
Die  Schiciiten  lallen  unter  25'*  nach  Osten,  d.  h.  zum  See  hin,  ein.  Auf 
der  westlichen  Wantl  der  Grube  tritt  nur  das  Tertiär  auf,  in  welclicni 
niehrere  Flöze  au.sgebildet  sind. 

Ich  halte  die  Linien  in  den  Zigrli  igruben  (Tafel  I  u.  II)  für  Ver- 
werfungen und  möchte  hierau>,  >o\vie  aus  dei"  liolien  Lage  des  Tertiär- 
gebirges zu  beiden  Seiten  des  Sees  den  Schluss  ziehen,  da.ss  der 
Scliarmützel-See  ein  Graben  ist,  der  durch  die  Schmelzwässer 
des  Inlandeises  nur  wenig  erweitert  worden  ist. 

Nördlich  von  Silberberg  erreicht  das  Gelände  94  m  Meereshölie. 
W'  stlich  des  Gutes  findet  sich  eine  flache  Depression,  hinter  welcher 
nach  Westen  gegen  Reichenwalde  zn  das  Gelände  wieder  bis  8()  m 
ansteigt  Aof  dem  Keichcnwalder  Abhang  herrscht  ein  lehmiger  Sand, 
der  ganz  ausserordentlich  steinreich  ist.  Je  mehr  man  sich  der  Höhe 
nähert,  desto  sandiger  und  steiniger  wird  der  Boden.  Auf  der  Höhe 
ist  der  lleichtum  an  Steinen  ganz  überraschend  gross.  Unweit  der 
Strasse  Silberberg — Keichenwalde  ist  eine  Kiesgrube  angelegt.  Sie  enthält 
einen  gelben  Kies  mit  zahlreichen  Steinen  und  unter  diesen  namentlich 
Feuersteine.  Auch  der  westliche  Abhang  der  Kujipe  ist  thoniger  als 
die  Spit/e.  Der  Sand  mit  den  Steinen  herrscht  bis  Kolpiu  hin  und 
ebenso  südlich  bis  Storkow. 

Kurz  nordöstlich  vor  Storkow  lanfen  zwei  parallele  HflgelzQge 
hintereinander  hin,  die  ans  gleichförmigem  Sand  ohne  Kies  und  Steine 

bestehen,  so  dass  sie  ganz  das  Aussehen  von  DfinenzQgen  haben,  woftbr 
auch  der  dürftige  Forstbestand  spricht. 


Sparen  tektonischer  Kriffee  in  dem  medeiUHuitacer  Vorlande. 


65 


5.  Die  Buckower  Stufe. 

Ad  das.  soeben  geschttderte  Gebiet  mit  dem  Tertlixkern  schliesst 
sich  nach  Süden  ein  flaches  Gebiet,  in  welchem  der  Geschiebelehm  in 
grösserer  Ansdehnang  anfbitt  IHe  Grenze  beider  Sti-iche  verlanft 
ungefähr  in  der  Linie  Diensdorf,  Wilmersdorf,  Pfaüeiulorf,  Sauen. 

Einifi^  Aufschlüsse  hat  die  Sanensche  Ziegelei*)  am  Spreerande 
geliefert.  Die  Ausschaclitunp^en  gehen  in  der  Richtung  Nord— Süd  in 
das  Plateau  liinein.  Es  ist  folgendes  Profil  freigelegt  und  in  den  Grund- 
zfigen  auch  durch  Bohrungen  im  Innern  gefunden  worden.  Zu  oberst 
findt'n  sich  5 — 8  m  Oberer  Geschiebelehu),  darunter  2*/2  m  Thon  und 
alsdann  Sand  und  Kies.  Der  Thon  beginnt  am  PhittMuraude  als  eine 
wenige  Centimefcer  starke  Scliicht  und  nimmt  narh  dem  Innern  hin  an 
Mächtigkeit  zu,  indem  er  bald  stiirker,  bald  schwacher  wird  und  niemals 
!i'  m  übersteigt.  Er  ist  ni<  lit  horizontal  gelagert,  sondern  steigt  und 
fällt  in  mehreren  Hachen  Wellen,  die  senkrecht  zum  Plateaurand  vor- 
laufen. Au  einigen  Stellen  ist  der  Geschiebelehm  fast  senkrecht  f^cgcn 
den  Thon  gepresst,  oder  der  Thon  ist  in  eine  Anzahl  kleinerer  Falten 
zusauHiiengedrüekt.  Am  Rand«'  ist  er  sandig,  im  Innern  wird  er  fetter 
und  besteht  aus  zwei  deutlich  erkennbar»'n  Partien,  einer  schwarzen 
oberen  und  t-iner  braunen  unteren.  Auch  diese  beiden  sind  ineinander- 
f^eschoben.  Erst  weiter  im  Innern  boren  die  Staueiumgserscheinungen 
auf.  Der  Sand  unter  dem  Thon  iiat  alle  Faltungen  mitgemacht  und 
seine  oberste  Lage  ist  ein  schwacher  eisenhaltiger  Sandstein.  Der  Obere 
Geschiebelehm  zieht  sich  in  heller  Ausbildung  bis  PfalVendorf.  In  den 
Sclduchten  ist  er  weggewasclu-n.  Auf  der  Oberfläche  lagern  reichlicli 
Blöcke.  Der  Obere  Geschiebelehm  lindet  sich  auch  in  der  Nachbarschaft 
des  Dorfes  Saiitri  und  südlich  desselben  bis  über  Görzig  hinaus.  Erst 
kurz  nördlich  von  (!  ross-Kietz  tritt  der  Untere  Sand  in  dem  Ministeilx'ig 
in  einer  grossen  Kiesgrul»e  zu  Tage.  Der  Acker  ist  in  seiner  Nachl»ar.><  huft 
sandig  nnd  sein  stiinreich.  Auch  Berghaus  erwähnt,  dass  die  Feld- 
marken von  Cunersdorf,  Sauen,  Hartensdorf,  Görzig  und  Gro.ss-Rietz 
mit  Steinen  dicht  bestreut  sind.  Südlich  und  westlich  von  Pfaffendorf- 
Lamitsch  tritt  Gesckiebeiehm  auf,  doch  besteht  Erachts  Heide,  welche 
sieh  ungefähr  bis  4  km  südlich  von  Lamitsch  erstreckt,  aus  Sand,  der 
stellenweise  Steine  enthält  Erst  in  der  Nähe  von  Herzberg  tritt  der 
Obere  Geschiebelehm  wieder  auf  und  ist  am  Ostausgaug  des  Dorfes  in 
einem  2  m  hohen  Au&chluss  angeschnitten.  In  dem  Abschnitt  zwischen 
dem  Scharmfitzel-See  und  Glien ike  tritt  Sand  mit  Steinbestreuung  auf. 
Im  Dorfe  steht  an  einer  Stelle  sehr  kies-  und  steinreicher  Oberer 


*)  Ich  verdanke  Ilerrn  Ingenieur  Ahrens  und  Herrn  Betriebsfahrer  Schamann 
die  wertvoDen  Aoakflnfte. 

5 


66 


Ediuad  Zsehe: 


Gösch iebelehin  an,  während  sich  an  einer  zweiten  Stolle  scharfer,  gelber 
Sand  lindct.    Das  Terrain  ist  hier  sehr  eben.    Die  Schlucht,  welche  im 
Herzberger  See  ihren  Anfang  nimmt,  hat  steile  Ränder,  und  ein  Wege- 
einschnitt, der  zu  ihr  hinabführt,  zeigt  Oberen  Geschiebolehm.  Derselbe 
hält  sich  bis  Ahrensdorf  nach  Süden,  und  es  tinden  sich  hier  sehr 
viele  Steine  auf  dein  Acker.    Auf  der  östlichen  Seite  der  Schlucht  bis 
Herzberg    herrscht   Sand   mit  Kieslagern.    Erst   zwischen  Ilerzberg 
und  Lindenberg  findet  sich  Geschiebelehm  mit  Steinen.  Zwischen 
Tiindenberg,    Buckow  und  Falkenl)er<>   tritt  der  Geschiebelehm  in 
grösserem  Uintange  auf  und  beherbergt  zahlreiche  Steitie.    Diese  Dörfer 
bilden  den  Mitteljuinkt  des  Abschnittes,  und  hier  «'rreirht  das  (ieliinde 
eine  Meereshöhe  von  S()^9n  m.    Östlich  von  Herzberg  ist  der  Boden 
sandig  mit  guter  Steiiil)estreuuug,  während  wieder  westliefi  von  Klcin- 
Rietz  Geschiebelehni  auftritt,  so  z.  B.  im  (Juell-Berge.    Auch  bei  dem 
Amte  Birkholz  ist  eine  Grube  im  Olteren  Geschiebelehni  vorhanden. 
Ferner   spricht  die  ausgedehnte  Weizenkultur  in  der  Umgegend  von 
Bornow  ebenfalls  für  die  (liite  des  Bodens.    Der  Illing-Berg  zwischen 
liorntiw  und    lauclie   besteht  aus  Unterem  Saml   mit  Steiubestreuung. 
Noch  um  Tauche  herrscht    der  OI)ere  Geschiebelehm    und  in  einer 
(trübe  südlich  des  Dorfes  ist  er  3  m  mächtig  aufgeschlossen.    In  der 
Wand  der  Grul)e  tinden  sich  im  Geschieljelehni  Si  luiiitzen  von  feinem 
^(dbeu  Saud  bis  zu  Ii  dm  Stärke.    Den  Geschieln  lL'hiii  trifft  uuiu  noch 
bis  nahe  zum  Spreerund  heran.    So  besteht  der  Boden  südöstlich  neben 
der  Chaussee  Cossenblatt  —  Giesensdorf  aus  lehmigem  Sand,  und 
auch  südlich  von  Stremmen  ist  noch  Geschiebelehni  augeschnitten.  Erst 
in  noch  grösserer  Nähe  des  Spreethals,  z.  B.  in  der  Sabroder  Forst, 
femer  bei  Kohlsdorf  und  in  der  Umgegend  von  Beeskow  tritt  der 
Untere  Sand  in  grösserer  Ausdehnung  hervor. 


6.  Die  Alt-Sehadower  Porst. 

Nach  Westen  schliesst  sich  an  die  Bnckower  Stnfe  ein  ausgedehntes 
Sandgebiet  an.  Es  wird  begrenzt  im  Norden  vom  Scharmfitzel-See  nebst 
den  Storkower  Seeen  und  im  Sfiden  von  der  Spree.  Das  Gebiet  um- 
fasst  die  Königlich  Alt-Schadower  Forst,  die  Schwenower  Heide  und 
die  Storkower  BQrgerheide.  Herrn  Forstmeister  Dieckhoff  verdanke 
ich  die  folgenden  interessanten  Angaben  Qber  dieses  Gebiet:  „Die  höchste 
Erhebung  ist  der  Biockberg  (III  m).  In  der  N&he  des  Spring-Sees 
werden  lüü  m  erreicht  und  nicht  weit  hiervon  in  der  Nachbarschaft 
des  Wotzen-Sees  81  m.  Am  nördlichen  Rande  neben  dem  Grossen 
Glubig-See  ist  das  Gelände  71  m  hoch;  dieselbe  Flöhe  wird  auch  ungefähr 
in  den  übrigen  Teilen  bewahrt.  Die  höchste  Lage  wird  daher  durch 


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Spurea  UkUsnSmikat  Krkfbe  in  dem  NiederUiuitier  Toriande.  67 


die  Seeenkette  ansgexeicluiet,  denn  im  Osten  bei  Schwenow  sind  62  m 
und  im  Westen  bei  Bugk  64  m  gemessen  worden.  Die  Ufer  des  Spring-, 
II elang-  und  Glnbig-Sees  sind  sehr  steil,  ansserordentUch  steile  Bösebungen 
weisen  ancb  die  Brächer  auf,  welche  in  dem  Dreieck  Spring-,  Melang- 
nnd  Wotzen-See  liegen,  und  eines  anter  ihnen,  das  Teofels-Lnch,  hat 
eine  Böschung,  welche  z.  T.  45o  betrftgt.  Der  Boden  in  der  Forst  ist 
fiberall  Sand.  Im  Westen,  östlich  der  Linie  Krummer  See,  Lange  See 
und  Lumpa-See  ist  derselbe  äusserst  unfruchtbar,  nach  Osten  zu  wird 
der  Sand  etwas  besser,  frischer,  hnmoser;  Lehmlager  sind  bisher  nur  im 
Norden,  in  dem  Dreieck  Grosser-Glubig-^ee,  Oriesen-See  und  Schar- 
mützel-See einige  aufgefunden  worden,  im  Süden  davon  bis  Alt-Schadow 
scheinen  sie  ganz  zu  fehlen.  Der  Wald  liistelit  ausschliesslich  aus 
Kiefern,  im  Westen  von  erbärmlichstem  Wuchs,  im  Osten  tu  sser  werdend, 
und  z.  T.  mit  Wachholder-  und  Farnkraut-,  Erd-  und  Heidelbeci  imterholz. 
Alte  mäclitige  Eichenstubben  beweisen,  dass  früher  hier  den  Kiefern 
Eichen  beigemisclit  waren.''  Ein  kleiner  Aufschluss  ist  an  der  Nord- 
spitze des  Tiefen  Sees  ▼orhanden;  es  ist  hier  neben  der  CliauBsee  an 
mehreren  Stellen  ein  brauner  Kies  mit  Steinen  angeschnitten  worden. 
In  der  Umgebung  von  Limsdorf  ist  der  Boden  unü'uchtbarer  Sand. 
Einen  sehr  wichtigen  Aufscliluss  habe  ich  in  der  Nälie  von  Schwenow 
gefunden.  Wo  der  Bhibber  Grund  in  den  Drobsdi-See  mündet,  ist  die 
Böschung  vcrhältnisinässip:  steil,  und  es  Ist  hier  an  zwei  Stellen  in  der 
Thalsohle  ein  Geschiobelelnii  angeschnitten.  Am  Fusse  des  Hiiubcrberges 
ist  derselbe  4  ni  niächtijj:  blossgch-gt  und  über  ihm  liegt  eine  10  cm 
starke  Schicht  von  Kies  und  (ieröll,  die  wieder  von  einer  1  m  machtigen 
Las^e  von  geschiehtetem  Sand  iM'deckt  ist.  Hinter  dieser  Stelle  anl"  der 
H«ihe  bis  Cossenblatt  hin  herrscht  Sand,  der  stellenweise  lelunlialtig  ist. 
Es  ist  daher  wohl  kein  Zweifel,  dass  jeuer  Geselüebelelini  Unterer 
Gescliiebelehm  ist.  Die  westlichen  Ufer  der  beiden  Cossenblatter  Seeen 
sind  sehr  flach,  und  kurz  vor  dem  Dorfe  ist  eine  Grube  im  gut  ge- 
schichtetem Unteren  Sand  angelegt. 

Am  Westrande  der  Alt-Schadower  For.st  liegt  Körigk;  das  Gelände 
erreicht  hier  72,1  m  Meereshöhe.  Südlich  vor  dem  Dorfe  ist  Oberer 
Ge.schiel>elehni  angeschnitten,  der  etwa  4  ni  niäclitig  ist  und  nach  oben 
in  sandigen  Lehm  übergeht.  Trotzdem  besteht  der  Boden  in  der  Um- 
gegend des  Dorfes  aus  scharfem  Saud.  Südlich  vor  Bugk  fallt  das 
Gelände  ganz  allmählich  zu  der  grossen  Kette  von  Seeen  in  der  Um- 
gegend von  Storkow,  die  in  einer  weiten  Ebene  liegen.  Die  Ufer  der 
Seeen  sind  ganz  flach  und  der  Boden  ist  sandig.  In  der  Storkower 
Bürgerforst  herrscht  derselbe  unfruchtbare  Sand  ohne  Steinbestreuung. 


6* 


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68 


Edaard  Zache: 


7.  Das  Becken  um  den  Grossen  Schwieloch-See* 

In  dem  Abschnitt  westlidi  neben  dem  Grossen  Schwieloch-See 
finden  sich  einige  umfangreiche  Niedemngen,  z.  B.  die  zwischen  Ressen 
und  Mitt Weida,  in  welcher  Torf  gestochen  wird,  and  die  ausgedehntere, 
welche  sich  westlich  der  Linie  Biebersdorf  -  Krogan  —Wittmannsdorf 
erstreckt  Letztere  liegt  47  m  hoch  und  wird  vom  Landgraben  ent- 
wässert Die  beiden  höchsten  Erhebungen  zwischen  diesen  Niedenmgen 
sind  der  Grosse  Finkarge  bei  Wittmannsdorf  mit  79,6  m  und  der  Grosse 
Leuthnerberg  mit  83,2  m.  Aber  auch  westlich  von  der  Niederung  des 
Landgrabens  erhebt  sich  das  Terrain  neben  Pr  et  scheu  noch  einmal 
bis  zu  77,6  m  in  dem  Pretschener  Weinberge.  Hier  hat  sich  auf  einer 
kurzen  Strecke  die  Pretschener  Spree  ein  Dorchbmchsthal  zwischen 
steil  einfallenden  Abhängen  ausgewaschen. 

Das  Gelände  auf  dem  rechten  Ufer  der  Spree  sudlich  Gossenblatt 
steigt  allmählich  in  flachen  Wellen  an  und  zeigt  östlich  von  Wittmanns- 
dorf  einen  etwas  konpierten  Charakter,  weil  hier  bis  Wiese  eine 
Högelkette  sich  erstreckt,  in  welcher  der  Grosse  Finkarge  die  be- 
deutendste Erhebung  ist  Mehr  nach  dem  Innern  zu  wird  das  Gelände 
weitwellig.  Es  geht  ganz  allmählich  in  die  Niederang  über,  so  dass 
die  Grenze  völlig  undeutlich  ist  Der  Boden  besteht  am  Spreerande  aus 
scharfem,  gelbem  Sand  ohne  Steinbestrenung  und  ist  sehr  unfruchtbar; 
die  gfrauen  Flechten  haben  ihn  dicht  überzogen  und  die  schmächtigen 
Elefern  oft  völlig  eingesponnen,  so  dass  viele  abgestorben  sind.  Sobald 
aber  auf  halbem  Wege  zwischen  Cossenblatt  und  Wittmannsdorf  der 
Boden  sich  etwas  hebt,  wird  er  kiesiger  und  lehmhaltiger;  auch  Steine 
stellen  sich  ein.  In  der  Nähe  von  Wittmannsdorf  ist  der  Acker  gut, 
und  es  steht  in  einem  Wegeeinschnitt  Oberer  Greschiebelehm  an.  Ähnlich 
verhält  es  sich  mit  dem  Boden  der  Feldmarken  Leuthen,  Bfickchen, 
und  Gröditsch.  Hierüber  äussert  sich  auch  Berghaus*)  folgender^ 
massen:  „Der  Boden  von  Leuthen  ist  wellenförmig  und  sehr  ungleich, 
meist  aber  Mittelboden.  Von  gleicher  Beschaffenheit  sind  die  Feld- 
marken von  Bnckchen  und  Klein  Leine,  nur  dass  letzteres  in  einer  ebenen 
Fläche  liegt  mit  einem  kleinen  See,  der  nach  dem  Orte  genannt  wird.* 

Auf  der  anderen  Seite  der  Niederung  ist  die  merkwüidige  Erhebung 
bei  Pretschen  schon  erwähnt,  diese  tritt  deutlich  von  Süden  her  aus  der 
Niederung  heraus;  in  dem  tiefen  Pass,  welchen  die  Pretschener  Spree 
sich  ausgewaschen  hat,  steht  an  den  Gehängen  bis  20  m  mächtig  ein 
hellgelber,  scharfer  Sand  zu  Tage,  der  durchweg  von  gleichmässigem 
Eom  und  gleicher  Farbe  ist  Nach  Nordwesten  zum  Neuendorfer  See 
flacht  sich  das  Gelände  in  mehreren  Terrassen  ab  und  wird  später  ganz 


*)  Landbuch  n.  f.  w.,  Bd.  III,  8.  650. 


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Sparen  tektouiscUer  Kräfte  iu  dem  MiederlauaiUer  Vorlaude. 


69 


eben.  Immer  aber  herrscht  der  Sand,  welcher  in  der  Nähe  des  Sees  zu 
Danen  angehäuft  ist  und  völlig  gleichiuässig  im  Koru  und  ohne  Stein- 
beatreaung  ist 

Während  die  eben  besohriebene  nördlklie  Hälfte  des  Abschnittes 
dnrch  die  Fliesse  und  Niederungen,  welche  zur  Spree  oder  zom  Grossen 
Schwieloch-See  f&hren,  gegliedert  erscheint,  ist  der  ganze  sfldliche  Rand 
ein  einheitlicher;  es  liegen,  wie  schon  angedentet,  hier  die  höchsten  Er- 
hebungen nnd  damit  hiingt  auch  die  bessere  Beschaffenheit  des  Bodens 
zusammen.  Derselbe  ist  ein  lehmiger  Sand.  Von  Batzen  sagt  z.  B. 
Berghaas*]:  ^Oanz  anf  dem  Plateaa  gelegen  hat  es  nichts  desto 
weniger  einen  guten,  ertragsfahigen  Boden.*  Der  Straapltzer  Weinberg, 
welcher  als  ein  deutiicher  Kegel  erscheint,  ist  gegen  das  Spreetfaal  ganz 
flach  eingeebnet,  während  er  nach  Norden  zu  etwas  steiler  einfallt  Im 
allgemeinen  ist  der  gesamte  südliche  Abhang  ein  ganz  sanfter,  und  die 
Schlachten  sind  flach  und  unbedeutend.  Sobald  man  dagegen  nach 
Norden  hin  in  die  Niederung  hinabsteigt,  wird  der  Boden  sandig.  So 
z.  B.  bei  Sackro,  hier  steht  an  den  Gehängen  des  Ressener  Flieeses 
scharfer,  kiesiger,  gelber  Sand  zu  Tage.  Die  Steinbestreuung  ist  massig, 
lind  die  Steine  fehlen  z.  B.  neben  dem  Wege  gänzlich.  Ein  echtes  Sand- 
gebiet liegt  siidlirh  der  Chaussee  Gr.  Leine  — Sikadel,  es  ist  hier  ein 
selir  trauriger  Boden,  die  Steine  treten  zurück,  nur  selten  findet  sich 
ein  Haufen  derselben.  Derartig  bleibt  der  Boden  bis  Goyatz  und  zum 
Gr.  Schwielocli- See  hinab.  Südlich  von  Goyatz  heben  sich  iit')M>n 
dem  See  einige  deutliche  Sandhügel  ab,  und  aucii  das  andere  Ufer  fallt 
im  Baben-Berg  bei  Jessern  steil  ein.  Am  westlichen  Ufer  findet  sich 
bei  Zaue  nocli  ein  besonders  hoher  und  steiler  Vorsprung,  der  das 
Pfarrhaus  und  die  Kiiche  trägt,  und  etwas  weiter  nordwärts  ein  zweitor 
in  der  Zauer  Heide.  Sonst  sind  die  Ufer  fladi,  und  stellenweise  schiebt 
»^icb  ein  \v»'itt's  Vorland  in  den  See  hinein.  Uberall  herrscht  in  der  Um- 
gebuny^  des  S(!es  der  Sand,  und  iioi"  Niewisch  auf  <ieiii  östlichen  Ufer 
hat  bessereu  Hoden.  Der  Se(^  selber  besitzt  eine  j^anz  aiisscK irdentlich 
unregelinässige  Gestalt  mit  zahlreichen  Buchton  und  Ilalhiiiseln.  Seine 
IIaui)terstreckuDg  gelit  von  Süden  nach  Norden,  in  dieser  misst  er  S'  a  km, 
während  an  der  breitesten  Stelle  bei  Zaue  die  Ufer  2'  a  km  von  ein- 
niider  entfernt  sind.  Nach  von  dem  Borne**)  ist  er  118^  lia  g^'oss 
un<l  nur  20  m  tief.  Die  bedeutendste  Depression  S(dl  iu  dem  südlichen 
Zii>tel  zu  linden  sein,  welcher  durch  eine  weit  vorgeschobene  T^andzunge 
fii.-it  ganz  von  dem  Uauptsee  abge.schnitten  ist,  so  dass  er  beinahe  einen 
besonderen  See  bildet,  welcher  den  Namen  Bonnue  führt.  In  dem 
breitesten  Teil  tauchen  aus  der  Wasseriläche  einzelne  flache  Inseln  empor. 


*)  a.  a.  O.,  Bd.  III,  S.  m-2 

**)  Die  Fisctierei- Verhält nisse  des  deutecbeu  Reiclies.   Berlin  1882.   ä.  223. 


70 


Eduard  Zache: 


nnd  mehrere  Untiefen  verraten  sich  durch  das  unter  doni  Wasserspiegel 
hervorleuchtende  Griin  der  Wasserpflanzen.  Das  Ackerland  erstreckt 
sich  fast  überall  bis  an  den  Wasserspiegel  hinab,  und  es  ist  schon  vor- 
gekommen, dass  bei  plötzlichem  Steigen  des  Sees  die  Getreidefelder 
unter  Wasser  gesetzt  worden  sind.  Vom  Swiett-n-See  aus  steigt  das 
Terrain  ziemlich  scharf  zu  den  Swieteii-Bergen  an,  auf  denen  der  Boden 
besser  ist;  weniger  energisch  fallen  die  Swieteu-Berge  zum  Spreethal  ab. 

Nach  Westen  schliessen  sich  hier  die  ausgedehnten  Forsten  der 
Herrschaften  Lieberose  und  Straupitz  an,  in  denen  die  Oberfläche 
sehr  koupiert  ist.  In  der  Umgegend  von  Klein  -  Liebitz  sind  einige 
bemerkenswerte  Höhen  festgestellt,  so  von  UKl,  108  und  112  m.  Der 
Grospe  und  der  Kleine  Mocho-See  haben  niedrige  aber  steile  Ufer.  Erst 
in  der  Nachbarschaft  von  Butzen  wird  der  Boden  mehr  eben,  und  noch 
weiter  südlich  liegt  die  Wasserscheide,  da  der  Byhlner  See  nach  Norden 
zum  Schwieloch-See  entwässert.  Eine  hall)(!  Stunde  südlich  von  Liebe- 
rose  bei  dem  Dorfe  Hohlbrunncn  führt  Girard*)  eine  Stelle  mit  einem 
vortrefflichen  Lehm  an.  Von  H  \  lilen  sagt  Berghaus**):  „Die  Felder 
sind  gleichfalls  von  guter  Beschatlenheit."  Byhleguhre,  das  schon 
am  Rande  des  Spreewaldes  liegt,  hat  nach  Berghaus  „auf  den  Höhen- 
feldmarken nur  leichten  ISorh  n".  Der  ausgedehnten  Forsten  wegen  fehlen 
die  Aufschli'isse,  doch  spricht  die  AafforstUDg  wohl  deutlich  genug  für 
den  geringen  Wert  des  Bodens. 

Der  Strich  östlich  neben  dem  Gr.  SchwieLoch-See  ist  der  inter- 
essanteste des  ganzen  Abschnittes;  durch  die  grosse  Zahl  von  Bäclien, 
welche  in  den  See  flieesen,  ist  der  Boden  in  zahlreiche  kleine  Plateaa- 
inseln  geteilt,  welche  von  melir  oder  minder  ausgedehnten  Niederungen 
umsäumt  werden.  Von  den  Bächen  ist  das  Lieberoser  Mühleafliess  der 
bedeutendste.  In  seinem  oberen  Laufe  bildet  es  ein  tief  au^ewaschenes 
Thal,  welches  von  der  Eisenbahn  Frankfui't— Peitz  in  einem  hohen 
Damm  überschritten  wird.  Hier  ist  es  noch  eng  und  besitzt  steile 
Ränder,  bis  Lieberose  dagegen  hat  es  sich  schon  derartig  erweitert,  dass 
dieses  Städtchen  in  ihm  Platz  hat;  ausserdem  ist  es  noch  geteilt,  so  dass 
es  in  seiner  Mitte  einen  flachen  Hügel  einschliesst;  die  CM-liänffe  sind  in 
diesem  Teile  völlig  eingeebnet  Östlich  neben  Lieberose  ündet  sich  eine 
Hohe  von  98  m.  Eine  ausgesprochene  Rinnenform  zeigt  auch  der  benach- 
barte Schwansee.  Er  ist  schmal  und  tief  eingesenkt,  und  seine  Fort- 
setzung zum  Gr.  Schwieloch-See  bildet  das  Möllener  Fliess.  Beide  Thäler 
nehmen  ungefähr  an  derselben  Stelle  ihren  Anfang.  Diese  eigentümliche 
Herausbildung  der  Landschaft  ist  schon  BergUans***)  aufgefallen,  denn 


*)  Die  norddeutsche  Ebene  a.  g.  w.  Berlin  1866.  8.  176. 

*♦)  a.  a.  O.,  Bd.  III,  S.  662. 
♦••)  a.  a.  O.,  Bd.  III,  S.  632. 


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SpofMi  lektoniBeher  Krifte  In  dcp  NiederiMiBitaw  Voiltnde. 


71 


er  schreilit:  „Die  Gegend  um  Ullersdorf  ist  bemerkenswert;»  indem 
hier  tiefe  Kesselthäler  mit  schmalen,  steil  eingesenkten,  langgezogenen 
Schluchten  und  pralligen  H(>hen  abwechseln,  ähnliche  Terrainfonnen  nach 
Mochlitz."  Auch  das  Nordufer  des  Mochlitzer  Sees  ist  selir  steil  und 
hoch.  Diese  Ausbiiduni^  der  Landschaft  erklärt  sich  aus  den  H«»lien- 
verhältnissen,  aus  denen  hervorgeht,  dass  in  der  Abschnielzporiode  hier 
eine  gi'osse  Menge  Wasser  zusanimeiigeströnit  sein  niuss,  denn  die  llölien- 
zahlen  steic;»'!!  strahlenförmig  in  der  Richtung  der  Rinnen  an  bis  sie  in 
einem  Nveiten  Kreisl)<)gen  das  Maxiinnm  erreichen.  In  der  Umgegend 
von  Lieberose  beträgt  die  Höhenhige  einige  7ü  ni.  Nach  Süden,  Süd- 
osten und  Osten  hin  fällt  die  Wasserscheide  etwa  mit  der  Kreisgrenze 
zu.sammen,  es  werden  hier  in  der  Staakuwsclu  u  Forst  1)0  und  98  m 
erreicht,  auch  im  Osten  und  Nordosten  treten  in  der  Pinnowschen  Forst 
98  m  auf,  während  neben  Reicherskreuz  in  dem  Spitz-Berge  12)5,4  m 
gemessen  worden  sind.  Wie  das  Vorherrschen  des  Kiefernwaldes  lehrt, 
besteht  hier  der  i^oden  vornehmlicli  aus  Sand.  Der  flache  Rücken  im 
Thale  bei  Lieberose  bietet  einen  15  m  liohen  Abhang  dar  aus  scharfem 
granen  Unteren  Sand  mit  guter  Schichtung.  Derselbe  tritt  in  ganz  iiim- 
licher  Ausbildung  in  den  steilen  Ufern  des  Schwansees  zu  Tage.  Die 
Aekorflächeii  von  Mochlitz  und  Leeskow  zeigen  ihn  ebenfalls  and  fast 
immer  mit  ausgeprägter  Steinbestranung;  in  den  genannten  Dörfern  ist 
die  grössere  Zahl  der  Oebände  aas  Feldsteinen  erbaat,  und  in  der  Dorf- 
strasse liegen  grosse  Haufen  von  ihnen  aufgestapelt  oder  begleiten  die 
Wege.  Auf  der  Hälfte  zwischen  Lieberose  und  Mochlitz  steht  in  einer , 
flachen  Kuppe  heller  Oberer  Geschiebelehm  an.  Zum  Mochlitcer  See 
ist  die  Abdachung  überall  sehr  aUmfthlich  und  besitzt  ein  breites  Vor- 
land neben  dem  See.  Nur  das  Nordende  des  Sees  hat,  wie  schon  erwähnt, 
an  einer  schmalen  Stelle  ein  steiles  und  hohes  Ufer.  In  der  Umgebung 
von  Leeskow  und  Reicherskreuz  ist  der  Boden  sandig,  steinreich 
und  eben,  w&hrend  sich  erst  nach  Nordosten  zu  einige  flache  Hügel  aus 
dem  allgemeinen  Niveau  herausheben;  auch  östlich  von  Reicherskreuz 
gogen  die  Wasserscheide  hin  macht  sich  eine  ausgeprägte  Conpiertheit 
bemerkbar.  Im  Süden,  in  der  Staakowschen  Forst,  ist  der  Boden 
ganz  eben. 

Das  durch  den  Möllener  Graben  und  das  Lieberoser  Mühlenfliess 

herausgeschnittene  kleine  Plateau  hat  nur  eine  Höhenlage  von  ca.  f)0  m. 
Auf  der  Höhe  deeselben,  in  der  Mitte  zwischen  Lieberose  und  Trebitz 
findet  sich  in  einer  Grubt-  t»in  sehr  sandiger  Oberer  Geschiebeleiim  mit 
vielen  Steinen.  Die  Grube  liegt  in  einer  Anschwellung  des  Bodens  und 
in  der  Naelibarschaft  iierrscht  scharfer  Sand.  Kurz  neben  dem  Süd- 
rande des  Plateaus  ist,  ebenfalls  in  einer  Anschwellung,  eine  zweite 
Grube  im  Oberen  Geschiebelehm  vorhanden;  derselbe  ist  .'i  m  mächtig, 
von  hellgelber  Farbe  und  sehr  fest   Endlich  ist  in  dem  Einschnitt,  in 


72 


welchem  die  Cliaussee  in  das  Liebcroser  Thal  hinabführt,  abermals 
Oberer  (Josehiebelehm  (>  m  miU'htij?  aufgeschlossen. 

Zwischen  dem  M«illener  Fliess  liei  Friedland  und  der  Sjiree  liegt 
(  in  flaehes  Plateau,  da.ss  in  der  Südspitzo  57  m  erreicht.  Es  besteht  in 
.seiner  ganzen  Ausdehnung  ans  Sand  und  flacht  sich  .sowohl  zur  Spree 
als  auch  zaiu  Grossen  Schwieloch-See  ganz  allmählich  ab. 


Eine  kimt'tim'  m'olot^ischo  Kartierung  des  behandelten  Gebietes  wird 
zu  der  vorstehendt  ii  Skizze  eine  gro.sse  Anzahl  von  Berichtigungen  und 
Krganzungen  bringen,  deshalb  erscheint  es  vielleicht  gewagt,  wenn  ich 
aus  meinen  Beobachtungen  den  Schluss  ziehe,  dass  an  dieser  Stelle 
tektonische  Kräfte  thätig  gewesen  sind  und  dass  die  Herausbildung 
der  Landschaft  nicht  einzig  anf  die  Vergletscherung  mit  ihren  manuig- 
fiEUihen  Begleit-  und  Folgeencheimmgen  znrftckzaführen  ial  Ich  will 
hier  nicht  entBcheiden,  welche  der  beechriebenen  Störuugeu  tektomsdien 
und  welche  glazialen  Ursprungs  ist  Am  wahrscheinlichsten  ist  es,  dass 
beide  derartig  in  einander  gegriffen  haben,  dass  eme  scharfe  Abgrenxung 
ihrer  Einflusssphären  nnmöglich  ist  Überwiegend  aber  scheint  mir  der 
Euifluss  tektonischer  Kräfte  bei  der  Entstehung  des  ScharmQtzel-Sees 
gewesen  xn  sein,  denn  die  Verwerfnngslinie  in  der  Ziegeleigrube  bei  dem 
Dominium  Silborbeig  (Tafel  I)  gehdrt  zu  den  schönsten,  die  ich  ge- 
sehen habe. 


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Tafel  I. 


Verwerfung  in  der  Zicgeleitrrulic  auf  der  Höhe  bei  Silberberg 

am  Scharmützel-See. 

a.  Tertiär  (Brannkobiengebirge).  —  b.  Diluvium  (Moränengebirge).  —  c.  Verwe^^ung^linie. 


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Tüf^'l  Tl. 


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ARCHIV 

DBB 

„BRANOEMBURGIA" 

GESELLSCHAFT  FÜR  HEIHÄTKUNDE 

DER 

PROVINZ  BRANDENBURG 

Zü 


Unter  MItwirkuiig  des  MärJüsdieii  FroYinzial-Miueums 

herausgegeben 
vom 

OtnUiöhaftt  -  Vontittdt. 


6.  Band« 


Berlin  1899. 

Druck  lud  Verlag  Ton  P.  Stankiewicz'  Baebdrackerei, 
BembnrgeratrasBe  14. 


Inhalt 


Die  Strausberger  Stadtachnl«  1430—1818. 

Seit« 

r.    Die  Schule  vor  der  Reformation  fU.'iO  — 154<>'   8 — 9 

II.   Die  Schule  uacb  Emfülirung  der  Reformation  bis  zum  Beginn  des 

aOjllulgeii  Krieges  (IMl—ieSM)   9-86 

HL  Die  Schule  wihiend  des  80  jibiigan  Krieges  (1026—48)   86-42 

IV.    Verfall  der  Schule  (1648-1740)   A2—GS 

y.  Beformversuche.  Neue  Oiganisation  der  Schule  (1740—1818)   09—113 


Bhemalige  Kammereigüter  Strattsbergg. 

I.  Richardsdorf  und  KunekeDdofff   115—118 

II.    Kähnsdorf   118—144 

III.  Wolföüial   144—161 


äachregister.  —    acht  rag. 


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Die  Strausberger  Stadtschule. 

B^trilge  rar  Oesehichte  des  miridsdieii  Bcliiilweseiui  (1490—1818). 

B.  Seiffert 


Die  Straiwberger  Rats-  oder  Stadtschale  hat  sich  nicht,  wie  andere 
städtische  Anstalten,  mit  denen  sie  in  früheren  Jahrhunderten  auf  gleicher 
Stnfe  gestanden,  zn  einer  Oelehrtenschule  ausgebildet,  vielmehr  ist  sie, 
dem  bescheidenen  Bedürfnis  der  von  je  her  mühsam  erwerbenden  Ein- 
wohnerschaft entsprechend,  eine  einfache  Bürger-  oder  Elementarschule 
gewesen  nnd  geblieben ;  keiner  ihrer  Rektoren  hat  sich  in  der  Pädagoge 
so  hervorgethan,  dass  seiner  in  einer  Geschichte  derselben  auch  nur  in 
einer  bescheidenen  Fussnote  hätte  Erwähnung  geschehen  können,  und 
von  all  den  Tausenden,  die  auf  dieser  Schule  die  ersten  Früchte  der 
gelehrten  Ausbildung  gepflückt  liabon,  sind  nur  <^anz  v(M*einzelte  Persön- 
lichkeiten in  ihrem  späteren  Beruf  zu  oinci-  <?t'\vissen  Bedeutung  gelangt. 

Es  könnte  duher  wohl  etwas  bedenklich  erseheinen,  vor  anderen 
als  Lehrerkreisen  die  (leschichte  einer  solchen  schlichten  Lehranstnlt  zu 
entrollen,  wenn  nicht  eben  zugleich  eine  I'üUe  interessanter  Einzelheiten 
sich  einflechten  Hesse,  welche  kennen  gelernt  zu  haben  für  jedi-n  Freund 
der  heimischen  Geschichtsforschung  die  Mühe  des  T.cscns  doch  vielleicht 
lohnt.  Denn  wenn  irgend  eine  kommunale  Einrichtung  zn  einem  Riick- 
schluss  auf  den  in  der  joweiligon  Verwaltung  herrschenden  Geist  und 
die  allgemeine  Gesinnung  der  Bürgerschaft  einen  l^erechtigten  Anlass 
und  zuverlässigen  Massstah  giebt,  s«»  ist  es  die  Schule,  die  durch  TiCiter, 
Lehrer  und  Zöglinge  n:i(  li  beiden  Seiten  liln  die  engste  Füidinig  hat; 
unter  gunstigen  Verhältnissen  ui  i leiht,  uiitei-  der  l'ngunst  derselben  leidet 
sie,  ist  bald  Gegeiistand  ;ill-eiti-er  Fin-^orLie  und  Teilnnhme,  bahl  (h'r 
bejammernswerte  Zankapfel  heltigen  l';irteigetrielu'S ,  somit  nicht  bloss 
von  den  äusseren  S(  Iiiek^nlen  der  Stadt  at»liäny:ig,  sondern  aucli  von 
der  iruieren  Entwit  klmit4  de^  ( iemeiinvesens,  nnd  insofern  immerhin  iln'e 
spezielle  Geschichte  ein  Stücklciu  der  allgemeinen  Kulturgeschichte 


*)  Ot  L.  QMkio,  Gesch.  d.  GymosBiiiiiia  m  Stendal,  8.  VI.  ~ 
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1 


2 


Man  wird  dieser  Beliauptuug  um  so  unbedenklicher  beipflichten  können, 
als  man  in  Räcksicht  zu  zielien  )iat,  das8  die  sogenanuto  „Uniformienuig'* 
der  vaterländischen  Schulen  seitens  des  Staates  doch  eigentlich  erst  seit 
Beginn  dieses  Jalirliuiidci  ts  und  nur  ganz  alhnählich  in  Angriff  genommen 
und  durchgeführt  worden  ist;  während  heut  die  Scliulen  einer  Gattung 
infolge  der  nivellierenden  Staatsaufsicht  sich  gleiclien  wie  ein  Ei  dem 
andern,  mögen  sie  in  grossen  oder  kleinen  Städten,  in  Kultorcentren 
oder  fenial)  von  den  grossen  Verkehrsadern  liegen,  —  bis  zu  dem  ge- 
*  nannten  Zeitpunkt  hatten  die  G<'meinden  einen  relativ  freien  Spich  aum 
in  der  Ausgestaltung  ihres  Scliulwcscns,  den  ilinen  weder  Visitationen 
noch  R<'glenients  einzuscliiäiiken  vermochten,  und  daher  erhielt  sicli  die 
den  lokalen  Vcrliiiltnissen  augt'|)asste  Eigcnait  einer  Schule  oft  länger, 
als  im  Interes8(^  ihrer  Entwicklung  lag.  Aus  eben  diesem  Grunde  ist 
es  aber  auch  wünschenswert,  dass  überall,  wo  die  Geneiüftheit  städtischer 
Behörden  es  gestattet,  die  alten  Akten  der  Rathäuser  nach  solchen 
Schulnacliricliten  aus  früheren  Zeiten  durchforscht  werden;  jede  neue 
Veröffentlichung  kann  dem  Geschichtsfreund,  wie  dem  Fachmann  nur 
willkommen  sein.  — 

Die  folgenden  Blätter  wollen  und  können  keine  lückenU>se  Ent- 
wicklungsgeschichte der  Strausbeigei-  Stadtschule  darstellen,  dazu  reicht 
das  vorhandene  Archivmaterial  nicht  aus:  sie  wollen  vielmehi-  nur  alles 
Wissenswerte  über  die  Persönlichkeiten,  die  an  ihr  wirkten,  iitx  r  die 
Tnstituti(men,  die  in  ihr  Geltung  hatten,  und  die  Aenderungen,  welche 
im  Laufe  von  vier  Jahrhunderten  mit  ihr  vor<>:ingen,  lediglich  unter 
Zugrundelegung  der  l^uellen  behandeln  nnd  dem  Staube  der  Vergessen- 
heit entreissen.  Es  wird  darunter  sich  manches  linden,  was  schon 
anderwärts  geschildert  worden  ist,  vielleicht  aber  auch  einiges  Neue, 
was  der  Beachtung  wert  erscheint,  trotz  der  spezifisch-lokalen  Färbung 
allgepoeineres  Interesse  beanspruchen  darf  und  als  Beitrag  zur  Geschichte 
der  märkischen  Schule  gelten  kann. 

Um  die  benatzten  Quellen  genauer  zn  bezeichnen:  die  wdtaos 
wichtigste  ist  ein  Verzeichnis  der  Rektoren  und  Konrektoren 
(Kantoren),  welches  mit  dem  Jahre  1548  beginnt  nnd  bis  zum  Jahre  1740 
reichend,  von  der  Hand  des  Diaconns  Johann  Andreas  Hundert- 
mark (Cmark)0  in  lateinischem  Text  angefertigt  nnd  mit  deutschen 
Nachträgen  versehen  worden  ist.  Die  Fortsetzung  desselben  bis  1825 
rQhrt  von  dem  Direktor  Perlitz')  her;  was  derselbe  sonst  in  seiner 
handschriftlichen  Stadtbeschreibnng  aber  die  Schule  bringt,  beschränkt 


")  War  von  1737—41  in  Strausberg,  ging  dann  als  ArchicUaconus  nach  Bernau, 
WO  er  1704  stojb.  f'bcr  seine  goschiflitlichen  .Sainnu'lfirhfiU-ii  \<'rtrl  F!sclih;u"h  Tlist. 
pol.  Beytrüge  178:?,  II.  S.  301;  ich  worde  auf  ihn  in  eini  r  Kritik  iler  ytr;iusb<  r^M-r 
Historiographeu  zurückkuuimen.  —  '*)  Näheres  Ober  ihn  s.  Julihefl  1898  der  Branden- 
boxigi«,  S.  114  Aom.  4  — 


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Die  Strauaberger  Stadtschule. 


8 


sich  auf  einige  Magistratsprotokolle  aus  der  Zeit  des  dreissigj uhrigen 
Krieges  und  eine  Schilderung,  wie  dieselbe  am  1835  beschaffen  war. 
Sternbeck,  Beiträge  mr  Clescbichte  der  Stadt  Strausberg  (Abt.Kirche  etc.X 
hat  gleichfalls  das  Verzeichnis  TervoUständigt  (bis  1878),  den  Hnndert- 
markschen  Teil  jedoch  ans  Unkenntnis  des  Lateinischen  mehrfach  falsch 
wiedergegeben;  sonst  befsMst  er  sich  nnr  mit  den  Elnkflnften  der  Eirchen- 
bedienten  genauer  (S.  181 — 89),  auch  hierbei  laufen  ihm  mancherlei 
Irrtfimer  unter.  Bei  Fischbach,  Hist.  pol.  Be}  träge:  Diplomatische 
Geschichte  der  Stadt  Strausberg,  Berlin,  bei  Unger  1788,  II.  Teil,  habe 
ich  nur  wenig  gefunden,  desgleichen  in  dem  Beokmannschen  Naoh- 
lass  ftber  Strausberg,  welcher  im  Geheimen  Staatsarchiv  aufbewahrt 
wird.  Alles,  was  sonst  das  städtisdie  Archiv  ttber  die  Schule  enthalt» 
ist  von  Perlits  ebensowenig  benutzt  worden,  wie  von  Stembeck,  und 
doch  findet  sich  darin  so  vieles,  was  der  Mitteilung  werth  ist:  Urkunden, 
Yisitationsabschiede,  Zeugnisse,  Bittschriften,  Schulordnungen,  Regle- 
ments u.  V.  a.:  ich  habe  dieselben,  soweit  ich  sie  verwertet,  wort-  und 
scbriftgetreu  wiedergegeben.  In^eweit  andere  Arbeiten  über  Schul- 
geschichten  zum  Vergleich  herangezogen  worden  sind,  ist  aus  den  An- 
merkungen zu  ersehen. 


L  Die  Stransberger  Stadtschule  vor  der  Reformation  (1540). 

Die  Entstehuii«;  der  Sti  ;iiisl)('r<»('i-  Sta(lts(  Imle  lässt  .sich  in  Er- 
mangelung eines  iirkiiii(llicli<Mi  Nncliw oises  an  keim'  bestimiiit»»  .lalireszahl 
knüpfen.  Man  kann  hei  dw  iinini'ihin  hefU'utcndfn  Stellung,  weh-ln? 
Strausberg;  während  des  14.  .lalu  himderts  innerhalb  des  Bundes  der 
inittelnüirkischen  Städte  einnainn,  —  es  p^ehörte,  soweit  sich  aus  dem 
Anteil  an  den  genieinsaniou  Pflichten  und  Lasten  urteilen  lässt,  zu  den 
mittelgrossen  Gemeiüdeu*)  —  sowie  bei  den  maunigfaltigeii  uahen  Be- 
ziehungen zu  Berlin,  dessen  „incorporirtes  membmm"  es  seit  dem 
15.  Jahrhundert  war,  durchaus  nicht  ohne  weiteres  die  Terrautung  von 
der  Hand  weisen,  dass,  wie  in  andern  städtischen  Dingen,  so  auch  auf 
dem  Gebiete  des  Schulwesens  der  Rat  dem  Beispiele  des  grösseren  Ortes 
gefolgt  sei  und  schon  frühzeitig  für  das  Bildungsbedürfnis,  wenn  auch 
nur  der  Patrizierf'amilien,  durch  Gründung  einer  lateinischen  Schule 
gesorgt  habe.  Sehr  zum  Nachteil  der  älteran  Stadtgvtschichte  sind  leider 
viele  Urkunden  bei  der  Eroberung  und  Zerstörung  der  Stadt  durch  die 
•Pommemherzöge  und  Dietrich  von  Qnitzow  im  Jahre  1402  vernichtet 
worden  oder  abhanden  gekommen^),  so  dass  ich,  um  meine  Vermutung 

')  Vgl.  Eiedol,  Cod.  dipl.  Braadbg.  I,  11  S.  OC  No:  95.  —  *)  Angelua,  Aonal. 
loL  179.  — 

1* 


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4 


nur  emigenDaBsen  zu  stfitsan,  daranf  famweisen  will,  daes  seit  1254  ge- 
lehrte Dominikanermönche  in  Strausberg  angeseeaen  waren,  die  aUdi 
gewiss  gern  bereit  gefunden  haben,  ihre  Kräfte  in  den  Dknst  einer 
solchen  Lehranstalt  zu  stellen. 

Aber  auch  wenn  man  diese  Annahme  nicht  gelten  lassen  will,  so 
steht  doch  immerhin  fest,  dass  schon  mehr  als  hundert  Jahre  vor 
Einführung  der  Reformation  eine  Schule  in  Strausberg  wirklich 
bestanden  hat.  Die  Pergamenturkunde  N(t:  87  des  Ratsarchivs'),  vom 
24.  Februar  U.'id,  laut  welcher  ein  Priester  Nicolaus  Meltsack  mit  den 
Einkünften  des  bereits  1419  gestifteten  Roraten-Altars')  belehnt  wird, 
bestimmt,  dass  bei  der  Abhaltung  der  diei  l'tlichtmessen  der  Schnl- 
meistor  und  die  beiden  Küster  dem  Priester  helfen  soUen,  wofür  ein 
Schock  Groschen  nach  Verhältnis  an  die  (Jehülfen  zu  verteilen  sei: 

„Derne  Sclioh'meystere  To  Strutzeherg^h  sali  man  alle  jar 
ghewen  dry  Scliillinp^h  ')  giosscheu  —  vp  wynaciiten.  Dar  de  Schole- 
mesteie  vore  To  kore  sollen  sdiikken  iille  \v»'ke  ghelik  Twy<<e  Ses  scho- 
lere,  d»'  Singhen  kouen  ,Cibiiiiit'  des  dumedaghes  [von  dem  hüghen 
lycliaiiio  Christi],  des  Sunnauen«les  ,Rorato'  [myt  aller  werdicheyt  des 
gesaiif^hes].  Des  dinstaglies  Bcyde  kostere  Sollen  singhen  myt  dem 
Altaristen  alleyne  selmysse  (To  tröste  allen  Elenden  seien  vnd  de  dar 
vorstoruen  synt  vt  der  Roraten  Bruoderschap]." 

Diese  erste  Erwähnung  eines  Schulmeisters  und  seiner  Scluiler  steht 
also  in  unmittelbarem  Zusammenhang  mit  der  Gründung  eines  litur- 
gischen Kirchenchors,  der  lv«»raten-Brüderscliaft,  denn  Mitglieder 
„nicht  van  getwanghe  noch  gehorsam  med  werdidieit  des  sanghes  dynti-n", 
sondern  „so  oft  ymand  ynuycheit  hadde."^)  Aber  uicht  alle  Schüler 
werden  beim  Gottesdienst  verwendet,  sondern  nur  „die  singen  können**, 
d.  h.  solche,  die  vermöge  ihrer  guten  Stimme  und  musikalischen  Be- 
anlagung  zur  An^hruug  derartiger  liturgischer  Wmshselgesänge  geeignet 
nnd  braachbar  waren:  diese  heraoszasuchen  and  anasnbilden  nnd 
wöchentlich  zweimal  in  der  Kirche  za  dirigieren  geh(^rte  zn  den  schal- 
nnd  kirchenamtlichen  Obliegenheiten  des  Scholleiters.  0ass  derselbe  die 
Besoldung  für  diese  Th&tigkdt  vom  Bat  als  dem  Patron  der  Kirche  nnd 
des  Roratenaltars  erhielt,  mithin  nicht  im  Dienst  nnd  Lohn  des  Altaristen 
stand,  verdient  aasdrflcklich  betont  zn  werden*). 

')  Bei  Riedel  a  n.  O.  I,  VI  Strau«lM  rg  No:  44.  —  »)  Pei^.  ürk.  Xo:  ^3.  Riedel 
a.  a.  O.  I  12  No:  32  iat  an  mehreren  Stellen  ungenau  kopiert.  —  Scbilling  =  12.  — 
*)  Dafür  gewtthrle  Ihnen  die  OonflrmeUon  des  Biecbois  St^baa  von  Brandenbnig  einen 
40tflgigen  Ablese:  Nichitomhias  noe  omnilms  ChristifideHlnie  vere  eooleeslB  et  oontritis, 

qui— missis  de  corpore  christi  in  quinüs  feriis,  Rorate  de  best«  virgine  maria  in  sabbate 
Et  pro  «It'fiinPt!!*  in  terriis  feriis  interftieriiit  Easque  devote  audierint  Ac  intra  rinaflibet 
earundem  quintjiie  pater  noster  Et  quinque  Ave  inaria  devote  dixerint,  Quadragüita 
dies  indnlgenciaruni  de  omnipotentis  de!  misericordis  conflsl  miseilcoitttter  indalgemas. 
—  ^  VgL  dssn  L.  Qoetse  «.  s^  O.  a  at  — 


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Die  StnuisbergAr  SUdtsobole. 


5 


Die  nächstfolgende  Notiz,  welche  Fischbuch  ^)  oft'eiibHr  den  Hundert- 
markschen  Excerpten  entnommen  hat,  stammt  aus  einem  verloren- 
gej[^ngenen  Kämmereibach  nnd  ist  in  die  Zeit  nach  löl2  zu  setzen: 
^Nota,  quod  Rector  Scholae  annuatim  habebit  seuiit{uatuor  Sexagenas') 
grossorum  ab  anti  [pliane]  ,salve',  «juae  singulis  diebus  ab  eo  cum  suis 
debet  decantari  hora  qnarta,  similiter  pro  eisdem  pccuniis  deb«'t  singulis 
diebas  dominicis  praeter  vesperas  ab  eo  fieri  circnitus  pro  animabus 
cantando  ,AbRolve'  et  post  circuitum  in  choro  dehct  aiitiphuiie  cantare 
de  corpore  Christi  ,0  sat  ruui'  et  tandem  singulis  dominicis  diebus  sub 
silencio  summe  misse  debet  ab  eo  decantari  ,0  adoranda  trinitas'  com 
ceteris  versibas."  Die  hiernach  nea  hinzntrelendeB  kirchlichen  Gesänge 
and  Messen  sind  gleichfalls  aof  fromme  Stiftangen  smrflcksaflUiren,  eine 
sogenannte  „Muriengilde',  welclie  sieh  die  fiiierliclie  Ausstattung  der 
vielen  lIurieBfeste  besonders  ssnr  Aufgabe  machte  >X  luul  eine  Messe  von 
der  belügen  Dreifaltigkeit  ^  am  Boratenaltar. 

So  gesduebt  denn  in  der  That  in  diesen  ältesten  imd  ttnzigen 
mftaindliohen  Nacbricbten  des  Scbnlmeistm  nur  insoweit  Erwfthninig» 
als  er  mit  smoem  Sängercbor  im  Dienst  der  Kirche  steht;  hierans  aber 
folgern  an  wollen')^  dass  »seine  Fnnktionen  recht  eigeotiich  kirchliche 
waren  nnd  selbst  der  Unterricht,  welchen  er  den  Knaben  erteilte,  bei- 
nahe nur  auf  das  Einfiben  lateinischer  Gesänge  gerichtet  war^,*i8t  denn 
doch  wohl  ein  verkehrter  Standpunkt  Wenn  man  anch  angeben  mflsste, 
dass  das  kirohUehe  Interesse  zuerst  die  Grfindnng  einer  Schule  verlangt 
habe,  —  wie  sollte  man  sonst  geübte  jugendliche  Sänger  haben  be- 
schaffen können?  so  stand  doch  Kirche  nnd  Schule  nur  durch  diesen 
Sängerchor  allein  in  Verbindung,  die  Schar  der  übrigen  Schüler  dagegen, 
die  in  dem  Kiroheogesang  untauglich  waren,  konnte  nach  dem  WortLant 
dar  Stiftang  keine  Verwendung  im  Kirobendlenst  finden;  für  diese  fehlte 
dann,  wenn  wirklich  die  Vorbildung  zum  litorgischen  Gesang  der  „fast 
einzige'*  Endzweck  der  schulmeisterlichen  Tbätigkeit  gewesen  wäre,  jede 

•)  Biat.  pol.  BeytrUge  1783,  U  S.  370.  —  Ist  entacbiedeu  verecbrieben  fflr 
mMoB,  SehSlmge,  dem  d«r  Posten  „3'/,  schilL  Salvengbengelt^  ist  ftart  In  jedem 
Jftlnsnig  des  KftmmenllMiches  1680—46  (KB.  1680)  nndnrdsber.  —  *)  Haeh  Hntdert- 

mark  bei  Fiachbach  a.  a.  O,  8.  370:  „Nba  Orifti  gebort  vefftelnhondert  vnd  IUI  .Tar 
deas  Mandages  na  Exaudi  (20.  Mai  1604)  Gschin  yss  ynnigher  Andechtigt-r  vnd 
wenligher  Her,  £r  Simon  Perlitx  —  beth  vth  ynnichbeit  vnd  vmme  ssiner  ssilen 
HiUdMH  to  bedenchen  gegewenn  XII  Sdioek  to  lawe  vnd  Em  der  Hemmel  Konig- 
kjnme  masien,  deee  saUMghen  gtydeiu»  nemelieh  vnaeer  linen  Fhnren  ehi  Anfngk 
vnd  anbewen  to  ssindfae"  (ein  Ratsprotocoll).  —  *)  rerg.-lJrk.  49  vom  2.  Mai  1512 
(Riedel  a.  a.  O.  No:  79V  ,,Tlio  linlpp  vnnd  to  troptlie  Allen  vorstom-enn  guldebulcn 
vnnd  cristlowigen  ssilenn  Bssundorn  yn  niher  lossbyiliinge  nmd  orwerdichheit  gades 
dess  Almechtigenn,  der  hilligeun  Driualdicheit,  vnnd  to  cruu  vnnd  lawe  sainer  Bene- 
digedeim  Müder  Maiism  hebben  wy  —  to  vuneeem  Roimten  altaie  8  schock  Jeriiges 
tynsses  —  gegewen*^,  um  aUe  Sonntage  ehie  Messe  von  der  helKgen  Dielfsltigkcit  sb* 
rabshon.  ~-  •)  Wie  Stembeek  8.  182  thnt  — 


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6 


Yeranlassang,  sich  in  die  Lehre  und  unter  die  Zuchtrute  eines  Kirchen- 
dieners zu  b^ben,  dem  sie  bei  der  Ausübung  seines  eigentlichen  Berufes 
doch  nur  lästig  fallen  mnssten.  Nein,  es  ist  ebenso  selbstverständlich, 
wie  es  auch  durch  die  Notizen  des  ältesten  Stadtbuches  (1580-^)  er- 
wiesen wird,  dass  in  der  Schule  ausser  dem  kirchlichen  Gesang 
religidser  Hemorirstoff  aller  Art,  soweit  er  für  die  Jugend  und 
die  Laienwelt  damals  für  zulässig  erachtet  ward,  und  mindestens  Latein* 
lesen  und  Lateinschreiben  gelehrt  wurde,  vielleicht  auch  die  Anfänge 
der  Rechenkunst;  jedenfalls  also  verlangte  der  Rat  von  vornherein, 
dass  neben  der  religiösen  Unterweisung  auch  den  Anforderungen,  die 
das  praktische  Leben  an  den  Menschen  stellt,  nach  Möglichkeit  UccImuTig 
getragen  wurde.  Was  könnte  wohl  dentlichn-  dafür  reden  als  die  That- 
sache,  dass  sofort  bei  der  ErötTiiung  der  Frankfurter  Universität  (1506)  vier 
Strausberger  Jünglinge  dorthin  zogen,  um  dem  Studium  obzuliegen,  und 
dass  bis  zum  Jahre  1542  noch  III  andere  ihrem  Beispiel  gefolgt  sind? 
Wo  anders  sullten  diese  ihre  Vorbildung  genossen  haben  als  bei  dem 
Schulmeister  der  Stadt?  (lenule  denjenigen  Familien  der  Stadt,  :nis 
denen  sich  das  Katskollegiuni  lUircli  Kdojitation  ergänzte,  musst«  vor 
allem  (hiran  geleiten  sein,  dass  die  tolgcmlen  (ienerationen  zu  dem  künf- 
tigen Amt  die  iirttii;i'ii  Kenntnisse  erwarlx-n,  und  daraus,  dass  auch  nach 
der  Ket<»rÄiati(m  dieser  Zn<;  zum  aka<lenii.schen  Studium  noch  lange  nicht 
erkaltete,  ergiebt  sich  zur  ( icwisshcit,  dass  nicht  etwa  ausschliesslich 
die  l)ümLnikaner[>atrcs,  s(ni(i('rn,  wenigstens  nach  1542,  einzig  und  allein 
der  Schulmeister  die  Anfangsgründe  einer  gelehrten  Bildimg  in  die 
jugendlichen  Cieniiiter  gepflanzt  hat^). 

')  Ich  habe  als  eine  zur  YerroUständigung  der  Schulgi  sc-hicbte  durchaus  er- 
forderliche Arbeit  angesduM:,  die  Frankfurter  rniversitiUsmatrikel  t  F.M  )  (ed.  Friedlaender) 
nach  dieser  Richtunir  hin  iür  Strausberu  und  (zuni  ^'l'r^:leil•l^ i  ff\r  die  umhegenden 
Orte  des  Obür-Btuxum  zu  excurpiereu  und  bringe,  da  »ich  eine  zweckmässigere.  Ver- 
wertung des  gewonnenen  Materials  kanm  erwarten  lAast,  daher  hier  als  Anhang  daa 
VeneiehniB  der  Stndoaten  mit  Bexnerkongrai  Aber  ihre  Familie  besw.  ihre  spätere 
Launjabn.  FM.  1500:  Georgius  Schinerer.  Johannes  Lintholtz  [«ein  Bruder  Benedictus 
war  löJH  iO  rt  i^ieretiiior  Bürgermeister,  die  Familie  angesehen  und  begütert,  starb 
aber  nach  dem  aujalirigen  Kriege  aus}»  Frater  Mattheuä  Krafft  et  Frater  Martiuus 
Bartholomei  dedenint.  ambo  decem  groosoa,  alios  remisi  propter  denm  et  aanctiun 
Dominicum,  quia  Mendicantes.  Amhrodns  Martini.  Martinas  Carpentariiis  [spltter 
Altarist  und  zuletzt  Stndtsohrelber  in  Strausberg,  f  1540].  —  1508.  pater  Michael 
Zcolner  de  FranrkfonUs,  lector  Monasterii  Straussbergensis  ordinis  Predieatorum. 
Nicolauä  WuUisch.  —  1510.  Mattheua  Schoubegk  [später  AltariHt  in  Str.  und  1512 
Geistlicher  in  Bukow],  Petma  Heines  [Hans  Hentse  Bargenneister  1530—37].  —  1611. 
Wdfgangos  Smede  [Merten  Smed  Batshenr  1680  if|.  Mattheos  Ebd  [cf.  Bekloren*Ver- 
zeichnis  sub  1].  —1517.  Jacobus  Heutz.  lieburiuH  Lindecke,  —  1510.  Andreas  Sydow. 
Matthias  Schreter.  —  15l'0.  Petrus  Neumnnn.  —  Nifohni«  et  .ToachimuR  Lyntholt 

fratres  [Söhne  des  Bcnedictus.  Nicolaus  wurde  r.iirL'er  ui  Wismar;  Joachim,  D.  J.  U. 
starb  1571  als  „Cb.  G.  zu  Brandenburg  Rath  und  Canzler  im  Geistlichen  Ck>usistorio 
sn  OOln  aa  der  Spree;  cf.  Angelus  Ann.  f.  SIS],  —  1628.  fxiter  Fabianns  FvÜmjißt, 


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Die  Stransbeiger  Stadtschule. 


7 


Die  soziale  Stelliinj?  «Ics  Scluilnit'isters  war  nun  froilicli  damals 
in  Stniusberg  noch  eine  ehciiso  traurige,  wie  dies  aus  andern  Orten  ge- 
meldet wird^);  uns  ist  es  schier  unmöglich,  uns  in  diese  Vorstellung 
hineinzuversetzeu,  dass  der  damulige  .Tugendbildncr  nielit  viel  anders 
behandelt,  nicht  eben  höher  geachtet  wurdf  als  ein  fremd  zuziehender 
Gewerbetreibender,  Meister  oder  Geselle,  der  gegen  Wochenlohn  arbeitet. 
Un<l  doch,  die  Art  seiner  Annahnu',  die  Dauer  seines  Dienstverhältnisses, 
der  luiulige  Wechsel  der  Personen,  deren  Namen  aufzuzeichnen  man  nicht 
einmal  der  Mühe  wert  hielt,  all  die  vielen  kleinen  Bemerkungen,  wie  sie 
uns  in  dem  alten  Kämmereibuch  (KB  lö^O)  so  handgreiflich  entgegen- 
ttttten,  lassen  gar  keine  andere  Deutung  und  Auffassung  zu.  Irgendwelche 
Beamten-^nalität  hatte  er  nicht,  weder  eines  Staats-  noch  Stadtdieners, 
▼eigebens  wird  man  vntor  den  Ansgabetiteln  dieser  Zeit  die  Überschrift 
«Dem  Sehnlmeistor^  Sachen;  w&farend  die  Stadtknechte,  der  Ziegelmeistor, 
selbst  Meistor  Dietrich  oder  Hans,  der  Scharfrichtor,  ihre  mit  dem  voll- 
ständigen  Namen  bezeichneton  Rubriken  ausfüllen,  mnss  man  das,  was 
dem  Schuimeistor  gereicht  wird,  nntor  den  „gemeinen  Aasgaben** 
kümmerlich  heraaslesen  nnd  zosammenstoUen. 

Wird  der  Schnhneister  zam  Dienst  angenommen,  so  verabfolgt  ihm 
der  Rat  ein  Handgeld,  nnd  dann  gilt  der  Vertrag  auf  ein  Jahr  abge- 
schlossen. Nach  Ablauf  des  Jahres  wird  ihm  einfach  der  LaoQ^ass 
gegeben,  wenn  er  nicht  schon  vorher  selbst  den  Staub  der  Stadt  von 
seinen  Ffissen  geschüttelt  hat,  oder  er  wird  durch  ein  abermaliges  Geld- 
geschenk für  ein  weiteres  Jahr  verpflichtet  Wenn  die  Stelle  nicht  gleich 
wieder  besetzt  werden  kann,  behilft  man  sich  auf  einige  Zeit  mit  dem 
Oberknster  und  bewilligt  ihm  für  „die  Wartung  der  Schüler"  eine  ausser- 
ordentliche Vei^utung.  Dem  Neuanziehenden  schickt  man  einen  Wagen 
entgegen,  am  seine  Habe  anzufahren,  mit  dem  Scheidenden  begnügt  man 
sich  geschäftemilssig  abzurechnen^). 

1629.  JobamiM  Uatholte  [«sUurb  ohne  Weib  and  Kind«!**  Angetus  ebemd].  ^  1685. 

Andreas  LinthoUz  [erbte  des  Vaters  Güter  und  war  1&55  der  reichste  Mann  der  Stadt: 
Stfrnbeck  S.  7.  1571  wurde  er  StadtHchrviber  und  Zieseuieißter,  kam  dann  in  den 
Kat  und  starb  löÖ7  als  regierender  Bürgermeister].  —  1538.  Benedictus  iSchmitli.  — 

1510.  Gregoriufl  Eb«L  WShrend  dessdbeik  Zeitraum«  studierten  in  Slnuikfart  nie: 

Alt-Landsbeis  1,  Wrieaen  11  (?),  Nenstadt-EbeiBwalde  0,  Freienwalde  4,  Buckow  6, 
Bernau  32,  Müncheberg  27,  Seelow  IH,  WemeOCbeu  1;  aus  dvn  Dörfern  des  Ober- 
barnim  ü;  aus  den  adligen  Gesclilecbtern  derer  v  Rärins  1,  v  Pfuel  3,  v.  Tlaten  1, 
V.  Knhel  1.  Die  Greifswalder  Matrikel  ((  JM.)  nennt  iu  dieser  Zeit  aus:  Strausberg  0, 
Mflncbeberg  3,  Bernau  3,  Wriezen  -J,  i  rciouwalde  3,  Eberswalde  7,  Buckow  1,  Wer- 
neachen  1.  —  *)  s.  B.  Kflkelban,  Beitrige  sur  Qeach.  d.  Kgl.  BealpfogymnaaittmB 
BO  Otterndorf;  Programm  1892.  8.  18.  —  KB.  1636:  4  gr  dem  Schwimeiater  dranck- 
gelt  geben,  der  ist  angenommen  worden.  153.'.:  ']  pr.  vortert,  als  man  den  scliule- 
meistfr  fnr  lcr  aniiiim.  ir):?2:  1  Ü  dem  awerkoster  dct  In«  ■lic  Schiller  pewardet,  dieweil 
men  keinen  scbulemester  gebat.  1538:  12  gr  dem  fnreiuaune  geben,  der  den  Schule- 
maiater  von  Buckow  herfarte.  1587:  1  achock  dedimoa  dem  Schulmeister  vp  nddiaelia 
ala  er  abaogt  vnd  im  ayn  Teidinat  gahr  -voniagt  das  er  Ein  Ersamen  rada  bedanckt.  — • 


8 


So  niodrig  seiue  Stellunjj^,  so  kärglich  ist  sein  Lohn.  Der  Rat 
iK'Soldet  iliii  nur  für  seine  Leistiinficon  beim  Messg^esanfi;',  wie  bereits  er- 
wähnt, mit  i;ilirlieli  gr:  für  seine  Müliwaltuiig  im  Schulunterricht 
müssen  ilim  die  Si-luilknaberi  jeder  vierteljährlich  einen  (tr<>s<d!en  Schul- 
geld (Precium,  Didac  Ii  um)  mitl»i  in^en,  während  der  Hat  genug  zu  leisten 
glaubt,  wenn  er  ihm  das  Schulliaus,  welches,  wie  meist  überall,  in  der 
Nähe  der  Kirche  und  des  Kirchhofs  lag,  zu  Unterrichtszwecken  und  als 
Wohnung,  auch  den  winzigen  „Schulgarten"  zur  wiitschaftlichen 
Ausmitznng  überlässt,  die  Baulichkeiten  notdürftiii  in  Ordmmg  hält*), 
für  Heizung  soigt  und  allenfalls  ihm  eine  ausnaliiusweise  Beihilfe  in 
Gestalt  eines  Jahrmarktsgroschens,  einer  Axt  zum  llolzhauen  u.  a.  ge- 
währt^). Dass  die  Kirchenkasse  dem  Schulmeister  in  dieser  Periode  ein 
festes  Gehalt  gezahlt  hätte,  wird  nirgends  ei'wäliiit,  nur  von  den  für 
Taufen,  Trauungen  und  lA-iehenbegangiiisse  fallenden  Accidenzieu 
erhält  er  einen  aliquoten  Anteil.  Es  liegt  klar  auf  der  Hand,  da^s  hier- 
von auch  der  bescheidenste  Mensch  nicht  leben  konnte,  selbst  'wenn 
etwa  —  das  ist  aber  durch  keine  Nachricht  bestätigt  —  schon  damals 
die  Einrichtung  eines  Freitisches  bei  der  Bfirgerschaft  bestanden  haben 
sollte.  So  war  denn  der  Schulmeister  auf  Nebeneinnahmen  ange- 
wiesen, gleichviel  wodurch  er  sie  verdiente,  und  er  griff  zd,  wo  sie  zu 
haben  waren,  ohne  zu  fragen,  ob  seiner  Würde  dadurch  Abbruch  ge- 
schah oder  nicht  Zunächst  sachte  er  seine  Schreiblcunst  zu  verwerten; 
wir  finden  ihn  wiederholt  erwfthnt  als  stellvertretenden  Stadtschreiber, 
dessen  Einkflnfte,  gegen  die  seinigen  gehalten  beinahe  forstlich  zu  nennen^ 
ihm  naturlich  von  dem  ehrbaren  Rate  nicht  vorenthalten  wurden.  So- 
dann suchte  er  seine  musikalischen  Ffthigkeiten  und  den  von  ihm  ge- 
schulten Sängerchor  auch  ausserhalb  des  Kirchendienstes  zur  Greltong 
und  Verwendung  zu  bringen.  Dazu  boten  wohl  namentlich  die  Hoch- 
zeitsfeierlichkeiten  der  reicheren  Bflrger  eine  willkommene  Gelegen- 
heit; ob  auch  zur  Entfaltung  seiner  geselligen  Talente,  ynH  ich  dahin- 
gestellt sein  lassen;  wäre  es  ein  Verbrechen  gewesen,  wenn  er  sich  nach 
wochenlangem  Fasten  auch  einmal  einen  guten  Tag  gemacht  hätte? 
Femer  war  es  feststehender  Brauch,  dass  er  alljährlich  einmaldem 


')  KB  iriiiO  mul  1637  Au8l)esserung  des  Mauerwerks,  ir>:U  »les  Padics,  1^:1  Be- 
schaffung einer  lafel,  1537  eines  Tisches,  1637  und  1642  Eiusetzen  nmicr  Fenster, 
1&35  Papier  zu  dentjelbeu,  163b  neuer  Kachelofeu,  Weissen  der  Stube  u.  a  m,  — 
*)  KB  1680:  1  gr  dem  8cb.  »m  gaden  dinstag  (dem  Ostenn«^}.  1687:  4  ^94  vor 
ein  echs  die  der  Stadtschreiber  vberich  gelobt  dem  seh.  vfl  der  Schale.  —  *)  AUe 
Vierteljahr  2  Schock  „Quartal-fjold",  für  jede  Katssitzung  4  4  „Hausgeld",  ausserdem 
„dranckgelt  von  schössen,  zisen,  wulwage,  kagein  und  8tedegelt''  (in  Summa  jährUch 
10—12  Schock).    KB  1631:  '/g  ^         ^c^*-  8*  h.  Cise  ward  heuwegh  gefuret. 

1687:  Va  fl  dem  seh.  Tom  JHwMdel.  1630:  >/,  ü  dem  sch.  geben  von  der  OMtoe 
Trinitatis.  47t     dem  sdi.  sin  Tordinat  alM  men  dio  lanth  kawfllon  hat  anaagaben. 
1682:  6  gr  hanagdt  dem  Sch.  voaeÜML  — 


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IMe  Stnn^iger  Skadtschole. 


9 


Rat  mit  seinen  S&ngern  «aufwartete*,  nämlich  bei  „der  depositio 
dominornm  oder  der  vorsettooge*'^  Wenn  die  JahresrechnnDg  anf  Triam 
Ki'giim  (6.  Januar)  geschlossen  und  dann  vom  Rat  und  den  Yertretwn 
der  Bürgerschaft  geprüft  worden  war,  fand  einige  Woclien  hernach  die 
offizielle  Üborp:ab(3  der  „ Regie ru  11  gsgeschäfte*  an  die  bisher  „ruhende* 
Uälfte  des  Ratskolleginms  statt;  daran  schloss  sich  allemal  eine  ebenso 
feierliche  wie  opulente  „Collation",  deren  Speisezettel  aus  einigen  Jahren 
erhalten  ist  und  Zeugnis  ablegt  von  dem  verwöhnten  Gaumen  der  ehr- 
würdigen Herren  und  ihren  gesunden  Und  weiten  Magen  Verhältnissen. 
Bei  der  Festtafel  im  Ratssaal  erschien  regelmässig  der  Schulmeister  mit 
dem  Schülcrclior ,  um  das  frohe  Malil  mit  heiteren  Weisen  zu  würzen; 
dafür  erhielt  er  zum  Lohne  einen  ,Orth",  d,  h.  8  Groschen^). 

Aber  nicht  nur  auf  Bestellnng  machte  er  Musik;-  auch  ungebeten 
kam  er.  Dreimal  im  Jahr-')  zog  er  in  der  Stadt  umher,  von  Thür  zu 
Thür  (daher  Ostiatiin-Sin^('Ti\  in  Sturm  und  Kälte,  Regen  und  Schnee; 
:]  bis  4  Tage  lang  mussten  die  bedauernswerten  Schüler  mittrotten  und 
singen,  damit  die  Bürger  sich  ihres  Lehrers  erinnei-ten  (daher  Recor- 
dation)  und  ihm  ans  Bannlierzigkeit  eine  milde  (labe  verehrten,  eine 
Zubusse  zu  .seinem  kiirgliolien  Lolm!  Dies  liettelsingeu  ist  wohl  das 
ti-aurigste  nfficimn  des  damaligen  Schulmeisters  gewesen  und  —  leider! 
—  Jahrhunderte  laug  eine  erniedrigende  Schmach  des  Lehrerstandes 
geblieben.  —  — 

Das  wäre  alles,  was  ich  an  Nachrichten  über  die  Schule  der  katho- 
lischen Zeit  gefunden  habe. 


IL  Die  Schule  nach  BlnfAlunuig  der  Refennatioii  tiie  znm 
Beginn  dee  50)a]irigen  Krle^  (1541—1626);  die  Kirchen-  and 

SehnlWeitationen« 

Angelus  (Hreviarium  S,  135)  berichtet  über  die  Kinführung  der 
neuen  Lehre  in  Strausberg:  „Mittwochs  nach  Dorothea  [{).  Febr.]  1Ö41 
ward  zu  Straussberg  für  einen  Lutherischen  Prediger  angenommen  Herr 
Mattheus  Schütze  Strausbergeuöiä.    Und  dieser  ,  war  der  erste,  so  die 


*)  Sterubeck,  welcher  in  seinen  Beiträgen  zur  Stadtgeachicbte  S.  5B  an  den 
„nnwiateiideifc*'  Sebalnkdfteni  jener  Zeit  kein  gutes  BSrcben  läwt,  sie  „riatameieter 
nif  Hodwdten  ond  anderen  Sdimana-  and  IMnkgelagien"  achilt»  lieet  ans  dem  Worte 

„Orth"  die  Bedeutung  „Platz"  heraas  und  meint  :  „Heut  wfUrde  man  sapcn,  «Kr  Schul 
meister  hat  iiiioh  seiner  Voralion  das  Recht,  zu  Neujahr  mit  dem  liolicu  Rathc  si<  h 
toll  und  voll  zu  trinken,  denn  anders  thaten  s  unsere  guten  Vorfahren  nicht",  .laja, 
SO  wird  manchmal  Lokalgeschichte  geschriehenl  —  *)  Auf  Burchardi  (11.  October), 
Martini  (11.  Norembei^  mid  Neiijahr.  Waim  das  Beeordieren  aolgekoamien  ist,  Iftsst 
sidi  nidkt  bostünnen.  — 


10 


B.  Seiffert: 


Latherische  Lehr  allhie  anfieng  zu  predigen  in  dfiSantlicher  ▼enamlang'' 
Auf  Gnmd  der  kumärkischeo  Kircbenordnung  fanden  dann  1541  and 
1542  Tisitationen  der  Kirchen-  und  SchulverhältniBse  statt;  beim  ersten 
Mal  war  der  Bischof  Matthias  von  Jagow  persönlich  zugegen die 
Yisitatoren  von  1543  werden  nicht  genannt,  sind  aber  jedenfalls  General- 
snperintendent  Jacob  Stratner  und  Probst  Georg  Bnchholzer  gewesen. 
Man  begnügte  sich  zunächst  damit,  die  Einnahmen  und  Ausgaben  der 
Eirchenkasse  zu  fixieren,  wie  sie  sich  nach  Einziehung  verschiedener 
Altäre  und  Stiftungen  für  die  Zukunft  zu  gestalten  hatten,  irgendwelche 
positiven  Vorschläge  zu  Neueinrichtungen  sind  urkundlich  nicht  nach- 
weisbar. Es  findet  sich  nur  eine  ^Registratur  gehaltener  Visitation  der 
pfar,  hospitalen  und  des  klosters,  auch  aller  andern  lehen,  bruder- 
schafi'ten  vnd  guttvr  zu  Strausbergk  sontags  nach  vincrula  petri  (6.  August) 
anno  1542'^,  kein  eigentlicher  „Abschied*^  im  Archiv  Vor. 

In  dieser  Registratur  heisst  es  nun  vom  Schulmeister:  „htit  sein 
behausung  auff  der  schulen  vnd  15  fl^  vom  radt  haus,  das  er  die  stadt- 
Schreiberei  vnd  schule  versorge,  vnd  dan  alle  accidenda,  so  von  der 
Stadtschreiberei,  dem  gericlit  vnd  der  kirchen,  auch  den  Jungen  in  der 
scbulen  [gefallen],  vnd  gybt  ein  jeder  Junge  alle  ((uarthal  1  gr.  In  der 
kirchen  alter  hadt  e)ir  von  jeder  tbudteu  leicbe  3  gr.  Vnd  so  vfit  ehr 
mit  zu  radt  haus  goliet,  so  bat  [erj  4  ^  vnd  jerlicb  ein  oi*tt  in  versett- 
zung  des  radts**.  Eine  Antlening  in  don  iMiikünften  des  Schulmeisters 
ist  hierin  insofern  zu  bemerken,  als  das  „SalveregineDgelt''  in  Fortfall 
gekommen  ist  —  das  Vermögen  des  Roratenaltars  wurde  von  der  Kirche 
eingezogen  oder  richtiger  der  Kirche  überwiesen  — ,  dafür  aber  ein  be- 
^Mnnntcs  (Jehalt  für  den  Schulunterricht  und  die  Stadtschreil)erdienste 
aus  der  Käniinereikasse  gezahlt  werden  soll :  eine  Besoldung  aus  der 
Kircheiikasse  frlilt  auch  hier  noch.  Diese  Fi'stsetzung  kann  jedoch  nicht 
lange  gegolten  haben,  da  der  bisherige  Aitaiist  Martin  Zimmermaua^) 


')  Angelus  irrt  iu  der  Jahntubl,  auch  im  Becktiinnnschen  Naclilass  steht 
fälacblich  1541.  Die  ersten  Ztihlangcn  an  den  Diakonus  Schatze  wer  lt  n  im  Kit.  1540 
verzeieliiR't.  —  •)  Heinrich  Scliinidt,  knrtze  Einleitung  zur  l'.raii'leiiburgisohen 
Kuchi-ii-  und  Reformatiouähifitorie  (Berhn  lll>i}  ä.  205;  vergl.  uuch  „De»  Kurf. 
Joh.  Oeoig  vom  Kudenboig  Agende^  Viaitatioofl-  und  OonrätoriatordnuDg  (Beiün 
1648)  EinL  8.  IX  —  *)  Kb.  1611:  „den  Bischof  oftcb  BerUn  gefOrefc.  1542:  2  fl 
vnd  20  gr  Zu  tranckgolde  den  Visitatoren  vnd  Secretario  gegebenu.  8  gr  dem 
Bürgermeister  linthult  vor  eyn  pert  die  visitatores  tofureii  vp  hiurenti  \W.  August). 
—  *)  Kia  fl  ^  32  gr.  —  Vou  ihm  heisst  es  bei  Beckiuunn,  Nachlass,  Abschn. 
Vm:  „hat  einen  Aobati  von  atterband  Begebenheiten  bm  dieser  Stadt  an  mach^i 
angefangen  and  anno  1648  Ooneept.  Mariae  (8.  Decb.)  dem  damaligen  Bath  dedieiiet, 
ist  aber  im  ntiehäten  Jahre  1649  an  der  Feste  gestorben,  und  haben  nach  der  Zeit 
andre  die.«e  Arbeit  einigormassen  continuiret".  Herr  Oberlehrer  Piper  ^Berlin)  und 
ich  stimmen  in  der  Ansicht  überein,  dass  dieser  von  Zimmermann  begonnene,  von 
andern  Stadtscbreibem  fortgesetzte  nAubats"  identisch  ist  mit  dem  Cbronicon  manu- 


Di«  Stnuud>ecger  SUültecfaale. 


11 


den  Posten  des  Stadtoclureibers  noch  1542  aberoalun  and  bis  zu  seinem 
Tode  (r649)  verwaltete,  mifhin  dessen  Einkfinfte  wieder  in  Abzug  ge- 
bracht wurden«  Erst  mit  dem  Jalire  1549  wird  der  Ausgabetitol  „dem 
Schulmeister*  ein  ständiger,  es  ist  hinzugesetzt:  „bekomt  theilss  vom 
gemeinen  kästen  seyne  besoldnng,  theUss  vom  Rahthause  seyn  gewisses 
jargelt  zu  hftliSi»,  auch  (seit  1564)  für  das  positiff  zu  schlahen*)  —  die 
Cresamteinnahme  schwankt  zwisdien  2  und  6  Schock  j&hrlich. 

Dennoch  bedeutet  dieses  Jahr  einen  entschiedenen  Wendepunkt  für 
die  Stransherger  Schule:  es  brachte  ihr  einen  zweiten  Lehrer. 

In  dem  bereite  erwähnten  Lehrerverzdchnis  führt  Hundertmark 
(Spalte  n,  Baccalaurei  aut  si  mavis  Gantores)  Folgendes  aus:  „Primi 
Baccalaurei  fit  mentio  in  anno  1550.  Non  quidem  nomen  quod  ei 
fuerit  adeo  certus  sum,  Interim  tamen  me  non  erratumm  arbitror,  si  ex 
sequentibus  libri  ecdesiastici  Nomen  Marc!  habuisse  conjidam:  1  Schock 
hat  Andreas  Eorte*)  von  wegen  Marxs  des  Schueldieners  empfongen 
auff  Natiuitatis  Christi  anno  L.  Nam  per  vocem  Schueldiener  hic  non 
alium  quam  Baccalaureum  intoUigi  ex  se  constat,  quia  Rectores  dicnntur 
Schulmeistere,  nec  vox  Schüldiener  ante  dictum  1550  annum  invenienda. 
Quid?  quod  nomen  Baccalaurei  ipsum  inter  hujus  anni  expensas  sit  ex- 
pressum;  sine  dubio  autem  erit  Bartholomeus  Wittstodc,  qui  in  altero 
Begistro  ejusdem  anni  dicitur  Locate,  ad  quod  credendum  eo  magis 
adducor,  quia  cum  expensae  Locati  non  exprimuntur,  etiam  Baccalau- 
reoram  nulla  fit  mentio.  In  libro  Ecdesiae  post  R^ctoris  expensius  haec 
leguntur  verba:  „Dem  Locaten  Baitliolmes  Wittetock  1  Scli  M  k  von 
Ostern  bis  Joliauuis  vernugt."  Ab  hoc  Baccalauro  usque  ad  Fuleman- 
num  1556  nullius  locati  fit  mentio. 

In  der  Sache  selbst  hat  Hundertmark  Recht,  Locat  und  Bacca- 

lau  reu  s  sind  doppelte  Bennennungen  des  zweiten  Lehrers,  des  Gehülfen 
för  deu  Schulmeister;  nur  hätte  er  auch  das  alte  KäninuTeihuch  nach 
dieser  Richtung  hin  befragen  sollen,  dann  würde  er  gefunden  haben, 
dnss  unmittelbar  nac)i  der  K in  ) len Visitation  von  1542  ein  solcher  er- 
wähnt wird ]rh  glaube  nicht  fehlzugehen,  wenn  ich,  statt  eine  auf- 
follende  plötzliche  Mehrung  der  Schüler  als  Veranlassung  zu  dieser  Er- 
weiterung der  Schulen  anzusehen,  vielmehr  dieselbe  auf  eine  dii-ekte  An- 


scriptum  Str:tiiHbergensc,  welchcH  Mag.  Angelus  sowohl  in  seinem  Broviariam,  wie  aaeh 

in  den  Ainiuk'8  als  (iuelle  wiederholt  citiert.  — 

')  Nach  dem  Wochenbuch  dos  Gemfinenkastens  (15'»3  — (!:'.)  erhiüt  er  nln  Ijidi 
nioderator  9  Schock.  —  »)  Der  Nachfolger  Martin  Zimmermanns,  noch  15t>8  im  Amt.  — 
')  Kb.  1543:  1  gr  dem  gesellen  von  der  schulen  (locaten)  tom  gotzHpemiingk  [Gottes- 
plennig,  Handgeld  oder  Almoeen]  6  poat  JhvocftTit  [1&  Febraar]  and  1M4:  1  fl  dem 
locaten.  —  6  fl  dem  bacchalirien  gegeben  vp  §yu  Ion  ala  Em  Byn  E.  Badt  i^abetb 
hatb  for  ein  iav.  — 


12 


reguiig  oder  Anordnung  der  Visitatoren  zurückführe,  als  die  berufen 
und  verpflichtet  waren,  „die  Schulen  in  allen  Städt<'n  und  Murkteu 
wiederum  einzurichten,  zu  reformieren,  bessern  und  notdüi'ftiglich  zu 
verseheil  und  erhalten",  und  eine  Teilung  der  Schüler  in  zwei  „Haufen" 
als  dringend  erforderlich  eiachteten  Zunächst  freilich  ist  der  zweite 
Lehrer  nur  eine  vorübergehende  Erscheinung  gewesen,  1543,  44  und 
1566,  erst  von  1564  an  war  seine  Stelle  regelmässig  besetzt').  Sein 
VerhältnisB  znm  Schalmeister  moss  in  dieser  ersten  Zeit  (bis  1574) 
als  ein  untergeordnetes  angesehen  werden. 


Unter  dem  16.  Oktober  1558  zeigte  der  Earffirst  Joachim  II  dem 
Rate  an,  dass  die  „  vorige  Visüaiion  m  Strausberg  Reyteriret*  werden 
solle:  „Wie  dan  bemeltte  vnsere  visitatores  Dinstags  nach  Blartini 
[15.  Novbr.]  kegen  den  abendt  bei  ench  ankommen,  Ynd  die  folgende 
tage  Boichs  also  ausrichten  werden,  Begem  demnach  gnediglich  wollet 
ewrem  Pfarrer,  Caplan,  Schnlmeistem  ynd  andern  Kirchendienern,  anch 
den  Torstehem  des  gemeinen  Kastens  bei  ench  dessto  seitlicher  vor^ 
melden,  Ynd  des  vorwamen,  neben  ench  gefost  m  sein,  alle  vnd  Jede 
Jrhe  vnd  der  Kirchen,  anch  des  Kastens  gebrechen,  Bechenschafit  vnd 
mangell  Jnhen  alssdan  znberichten,  vnd  fnrtEnbriogen,  domit  sie  die  bei- 
legen vne  endern,  Anch  ferner  Richtige  ordnnng  vnserm  benheliche  nach 
darinne  schliessen  vnd  machen,  anch  durch  einen  Abscheidt  publidren 
mögen  .  .  ein  solcher  Abschied  ist  aber,  wenn  anch  wirklidi  die 
Visitation  stattgefunden  haben  sollte,  im  Archiv  nicht  mehr  vorhanden. 


Die  nächste  allgemeine  Kirchenvisitation  fand  statt  auf  der  Grund- 
lage der  Visitations-  und  Konsistorialordnnng  von  1573;  wie 
dieselbe  in  Strausberg  verlaufen,  und  was  inbesondere  betreffs  der  Schul- 

Verhältnisse  festgesetzt  worden  ist,  davon  giebt  der  vom  Generalsnperinten- 
denten  Andreas  Musculus  und  dem  Secretarius  Joachim  Steinberch  unter- 
zeichnete Abschied  vom  31.  Oktober  1574  ausführliche  Nachricht, 
nämlich: 

„Von  der  Schule.** 

„Der  Schulmeister  soll  zur  jährlichen  besoldnng  haben  15  fl  aus 
dem  gemeinen  kästen,  5  fl  vom  Ratiie. 

Vnd  nachdem  vnser  gn.  herr  —  —  den  Visitatoren  auferlegt,  weil 
S.  Gh.  G.  herr  vater  hochiöblicher  Gedächtnis  Michel  Dameroes  söhn 


•)  cf.  Raumer,  Gesch.  der  Pädagogik  I  153:  nach  dem  Schulplan  in  Mclanchthons 
Visitationsbüchlein?  —  ■)  Der  Aii^;ftbetitel  „dem  Baccftlmuiiu'*  etWM  mehr  als 
8  Schock  j&hrlich. 


Die  Straiuberger  StadUchule. 


13 


dasgeiatlidie  lehenErasmi*)  zum  Stadio  Terliehen  vod  S.  Ch.  G.  solches  con- 
iirmirt  ynd  bestätigt  hatten,  das-  sie  anstatt  des  wispels  körn,  so  von 
diesem  lehen  im  gemeinen  kästen  aUUer  geschlagen,  1  schock  darein 
verordnen  sollton,  da  aber  der  kästen  allhier  dermassen  arm,  das  sie 
schwerlich  einen  Kirchendiener  daraus  besolden,  viel  weniger  die 
Kirchen,  Schnlen  vnd  pfarr  Leute  tiinn  können,  die  Vorsteher  auch  nicht 
wissen,  wo  sie  das  Schock  von  den  Besitsem  des  lehens  erlangen  sollten, 
Also  haben  die  Yisitatoren  verordnet,  das  der  Schulze  m  Gmnow  oder 
der  besitser  desselben  hofes  nnn  hinfliro  dem  Schnlmeistor  alhier 
6  Sohelfel  roggen  anstatt  des  officianten  geldes  entrichten  solle,  darüber 
aedi  die  poesessores  desselbigen  geistlichen  lehens  weiter  nicht  beschweret 
werden  soUen. 

Dem  Cantori  2  fl  ans  dem  kästen,  16  fl  von  E.  Erbaren  Rath. 

Das  Precinm  vnd  andre  accidentalia,  so  von  den  ftmeribns'), 
hochzeiten  vnd  kirchgaoge  der  Sechswöchnerinnen  gefalhni,  item  was  sie 
am  'abend  Bnrchardi,  Martini  vnd  nenen  Jahrest!igt>  ersingen  sollen 
sie  wie  bishero  gebränchlich  gewesen,  gemessen  und  theilen. 

Ynd  soll  der  Rath,  wie  vor  alters  hergebracht,  brennholtz  zur 
Schnlen  geben  vnd  fthren  lassen,  damit  sie  deshalb  keinen  Maugel 
haben  mögen.  V 

YfkI  weil  den  Schnldienern  vermöge  Revisionsordnung  auf  hoch- 
zeiten zu  gehen  verboten '),  soll  ihnen  vor  die  Brautniesse  Thuler 
gegeben  vnd  darüber  soll  von  ihnen  niemand  beschweret  werden''),  es 
Wörde  denn  Jemand  ilmen  aus  gutem  willen  mehr  geben. 


')  Ein  altes  Kirchlehen,  das  nach  eiuer  Urkunde  Ludwigs  des  Älteren  vom 
10.  Juni  ISSii  schon  seit  langer  Zeit  bestand  [Biedel  I  12  Straoeberg  No.  7]  and  Ton 
«inem  MnwMbeiter  Bttiser  Johionea  Tvebos  mit  7  Sehoek  weniger  S'/i  Sehilling  üb 
HelMngaD  im  Dorfe  Gmnow  fundiert  war.  [vgl.  Karolingisches  Landbuch  ed.  Fidicin 
(1856)  8.  7d— 91,  iiikI  Finchbach,  Stat.  topogr.  StH(lte}»es(  hreibungen  der  Mark  Branden- 
burg (178C)  I.  1  ö.  478.]  Der  Inhaber  des  Lehens  bezw.  der  Altarist  war  gehalten, 
von  seinen  Einkünften,  die  nach  der  oben  angefahrten  Registatur  von  zusammen 
8  Wispel  8  8eheffd  Boggen  und  1  Wwp»  SO  Mhff.  Hafer  animaehten,  1  WitptU  ak 
■og.  Offidantengeld  an  die  Pmhwil'anBn  abcafflhren.  Um  einen  Tot«chlag  su  büsscn,  trat 
QeoigTrebus  durch  Urkunde  vom  28.  Juni  151.»  [Riedel  ebenda  No.  S()|  das  Patronat 
flbpr  den  Krasmusaltar  an  den  Kurf.  Joachim  I  ;ib,  welcher  nach  dem  Tode  des 
letzten  Altaristen  Job.  Schoner,  das  Lehen  in  eiu  UiüversitÄtsstipendium  umwandelte, 
und  die  Höbe  dee  Ottiiantengeldee  anf  1  Sehoek  feeteetste.  Iietsterea  wnxde  nach 
^«neliiedenüielien  Sbreiligiceiien  aof  Gmnd  einee  KammergerichtsabBchiedea  von  1595 
dmeh  einmalige  Zahlung  von  25  Tld.  an  die  Kirchenkasse  abgelöst.  —  Dnmerow  war  Kurf. 
Brandenbnrgischer  Protonotarius.  8.  auch  Stembeck  8.  74.  —  *)  V.  u.  K.  Ordnung 
(1816)  S.  101.  —  *)  Das.  8.  123.  —  *)  Die  allgemeine  Unterhaltung  der  Schule  wird 
dem  Rat  lur  PtUcht  gemacht  ehend.  a  121.  —  *)  Ebcod.  a  123»  wo  ab  Entechldl- 
gnng  ein  Orte-  ['/«]  oder  Thaler  naeh  Vermögen  dee  Brlntigama  beetinmit  wird.  — 
•)  Sbend.  a  lOL  — 


uiyiiizeo  Dy  Google 


14 


B.  Seiffert: 


Der  Magister  vnd  Cantor  aljer  soll  sich  vusei's  giuidigstfii  lieirii 
cliristlicliori  Kirrlifii-  vnd  \isir;iti<>?is-Onliiung  orlmlten  vnd  die  Jugeud 
vpntni<,^c  dtTsellicn  zu  (lottes  t'rkeimtius.s  vnd  furcht  vud  zughdch  in 
hiti'iiiisclieii  gesiingcn '),  guten  Künsten  vnd  .Sitten,  mit  allem  treuen 
fleisse  erziehen  vnd  viiftTriclit  vnd  sich  alh'r  Secten  uussscru  vnd  ent- 
lialten,  wie  denn  auch  der  ]d'arrer  vnd  Katii  s(»nderlich  darauf  erkundi- 
K^nn^  h'gen,  vnd  da  es  gespürt  vdcv  befunden,  diejeuigeu  von  stund 
liires  Dinstes  entsagt  werden  sollen 

Vnd  thun  die  Visitatores  /u  Insjtectoren  dieser  Scliule  ver- 
ordnen den  {»farrer  vnd  caplan  alliier,  des^lficlitii  die  regierende  Bnrger- 
iiH'ister,  etzliche  des  Raths  vnd  Stadlsclnvil)er,  auch  aus  der  gemeine, 
so  der  pfarrer  vud  Ehrliare  Rath  vor  tüclitig  dazu  erachten  *),  auf  diese 
Schule  treulich  zu  sehn,  das  die  Jugend  fleissig  institairt  vnd 
nicht  mit  verdächtiger  lelir,  auch  bösen  sitten  corrumpirt 
vnd  depravirt,  sondern  in  den  fundamentis  Theologiae,  in 
Göttlicher  schrift  gegründet,  ohne  Corrujiteln  christlicli  vnd 
ehrl»arli(  Ii  erzogen  werden,  auch  die  lajteiuiöcheu  Gesänge  iu 
der  kirclien  bleiben  mögen. 

Weichergestalt  es  auch  weiter  in  dieser  Schule  zu  lialten,  sollen 
sich  die  luspectores  neben  dem  jifarrcr  viui  Schulenieister  einer  be- 
ständigen Schulordnung  ')  Inhalts  der  Visitations-Ordnung  vergleichen, 
auch  der  Schulemeister  vnd  si  ine  gehülfen  auf  sol che  Schul  Ordnung 
iu  gelübde  vnd  pflichten  genommen  werden. 

Von  der  Jungfern  Schule. 

Als  auch  v.  g.  Ii.  in  seiner  Ch.  Gn.  Visitation»  Or<liring*)  von  den 
Jungfern  Schulen,  dieselben  in  S.  Ch.  G.  städten  anzurichten  meldung^ 
vud  befelilich  gethan,  soll  alliier  eine  Jungfern  Schule  angerichtet 
vnd  die  Scliulmeisterinne  vom  Erbarn  Rath  mit  freier  wohnong  vnd 
etlichen  fudern  ludtz  aus  gein(»inor  Stadtheide  versehen  werden,  damit 
der  armen  sowohl  als  der  reicln'n  töchter  darin  zu  Gottes  furcht,  zucht 
vnd  erbaikeit  erzogen  vnd  mit  dem  juTcio  uiclit  übersetzt  werden  mögen, 
die  vermögenden  sollen  des  winters  aucli  ein  fuder  lu)ltz  geben  vnd  sich 
sonst  gegen  der  Schulmeisterimie  nach  geätalt  ihres  fleises  mildiglich  er« 
zeigen. 

Welcher  gestalt  vml  mit  was  th-isse  ilinen  die  Jugend  in  der  Jungfern 
Schule  zu  instituiren  gebühret,  das  werden  sie  ans  dem  büchlein  so 
der  Herr  Su  j>erinten  d  ens  im  I)ruck('  xcr  fertigen  lassen,  ersehen, 
wie  dann  flie  Visitatures  «icr  Schulineistt  rinn»'  hicnnit  thun  auflegen,  sich 
in  regirung  der  Jungfern  Schulen  des.selben  büchleius  endlichen  zu  vorhalten. 

1)  a  lai  tmd  122.  >)  8.  12L  —  ")  Ebeoao  war  auch  die  Scfanl-AnliiehtBb«- 
hfirde  in  WriflMm  a.  0.  ztiHiunmengesetst  cf.  Büttger,  das  Sa1>conrectorat  der  Wrieiener 
Schule.  Frognunm  1891.  —  ')  V.  n.  K,  0.  S.  m.  —  •)  Eheud,  8.  m 


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Sbausboger  Stedtaehnto.  15 

» 

Vom  Oq^uusten. 

Weü  96  albier  ein  Positiff  der  Kirchen  hat,  soll  der  Erbar 
Rath  deine,  so  daranff  schlegt,  j&rlich  6  fl  geben,  vnd  die  Vorsteher  mit 
der  Zeit,  wenne  sich  der  kästen  an  einkommen  mehret,  anch  etliche 
golden  nach  ihrem  yermdgen  dasu  legen,  damit  Gott  sn  ehren  vnd  der 
Kirchen  znr  sier  solche  Orgel  möge  geschlagen  werden. 

Von  den  Palsauten. 
Damit  die  Schüler  in  ihren  Stndiis  nicht  mögen  gehindert  werdeu, 
oder  sonst  keine  geföbrlichkeit  daraus  entstehen  möge,  also  sollen  die 
Vorsteher  nach  gelegeaheit  des  Kastens  sich  befleisigen,  Polsanten  zn 
▼erordnen,  die  das  lenten  wie  in  andern  Städten  bestellen  mögen'}. 


—  Wenn  wir  nnnmehr  der  Frage  näher  treten  wollen,  welche  Be- 
dentnng  dieser  Abschied  ffir  die  Schule  und  ihre  Lehrer  hatte,  so  werden 

wir  hau|)tsächlich  diei  wesentliche  Punkte  hervorheben  müssen.  Der 
erste  derselben  betrifft  <Ias  gegenseitige  Verhältnis  der  beiden 
Lehr«^r,  der  zweite  ihre  Stellung  zu  dem  neugeschaffenon  Schnl- 
niifsichts-KoUeginm,  der  dritte  die  Begründung  einer  Mädchen- 
schule. 

Der  Rektor  (Magister)  steht  [hinsichtlich  ssiner  Gesamtbesoldnng 
seitens  des  Rates  und  der  Kirche  fast  auf  gleicher  Stufe  mit  dem  Gantor» 
wie  der  Baccalaureus  fortan  meistens  heisst,  well  ihm  der  Gesangunter- 
richt der  Schalknaben  and  die  Leitang  des  Kircheachors  als  spezielle 
Amtspflicht  Übertragen  ist;  von  den  Nebeneinkünften  aas  kircMichen 
Funktionen  und  vom  TvtMordieren  ist  ausdrücklich  bestimmt,  dass  sie 
unter  beide  geteilt  werden  sollen.  Hierdurch  dürfte  offenbar  angedeutet 
werden,  und  spilteri»  Vorgänge  bezeugen dies  zur  Genüge^  dass  beide 
nicht  im  Verhältnis  des  Vorgeselzten  zum  Untergebenen  stehen,  —  da* 
von  ist  nuvh  in  dem  Abschiede  mit  keinem  Wörtchen  die  Rede,  — 
sondern  dass  beider  Rechte  und  Pflichten  dieselben  sind  (daher  coUegae); 
die  unausbleibliche  Folge  davon  musste  sein,  dass  ein  jeder  von  ihnen 
in  erster  Linie  nur  für  seine  eigenen  Interessen  besorgt  war  und  sich 
um  den  andern  nur  insofi'rn  kümmerte,  als  es  eij^enen  Nachteil  zu  ver- 
hüten galt.  Erst  in  viel  s])äterer  Zeit  begegnen  wir  manchmal 
einem  gewissen  Zusammenhalten  (h'i-  K<illegen.  niid  anch  da  nur 
aus  materiellen  neweggriindt  n :  dazunuil  al)cr  ging  ein  jeder  noch 
seinen  eigenen  Weg  nach  seinem  'Jnf<hinken,  unil  das  üliertrug  sich  auf 
den  Unterricht.    Von  einem  eiuliuitiicUeu  b>trcbeu  nach  einem  gleichen 


*)  Auch  zu  Calcantendiciistcu  wurden  nicht  grössere  Leute,  8on*lcm  bchulknaben 
verwendet,  wie  am  Kb.  1664  tn  ersehen  ist:  „  8  gr  dem  jungen,  der  die  beige  am 
poaitttf  hob,  vff  ein  vierteljabr*'. 


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16 


B.  Seiffert: 


Ziele  war  keine  Rede'),  jedem  lag  nur  seine  Klasse  am  Herzen,  be- 
sonders trug  dazu  bei  die  Institution  des  rrivatuutürriclits von  dem 
wir  weiterhin  noch  h<»reu  werden. 

Bisher  entbehrte  dieStliulo  jeder  Kontrolle,  waren  die  Lehrer  jeder  Ver- 
antwortlichkeit über  ihr  Thun  und  Treiben  in  und  uiisserliall)  der  Schule 
überhoben,  soweit  sie  nicht  etwa  mit  den  Bürgerstatuten  in  Konflikt 
gerieten.    Dieser  Unordnung,  die  iii(  ht  ohne  Rückwirkung  auf  die  Schul- 
zucht und  die  Gesittung  der  Siliuljugend  bleiben  konnte,  sollte  ein 
Riegel   vorges(rhoben   werden.     Wenn  man   nun   auch  die  eigentliche 
Quelle  des  Übels,  die  Terptliclitung  der  Lehrer  und  des  Schülerchors 
zur  Teilnahme  an  Leichenbegängnissen,  Hochzeiten  und  anderen  Festlich- 
keiten, bei  denen  oft  genug  die  natürliche  Achtung  der  Schüler  vor 
ihren  Lehrern  Schiffbruch  gelitten  haben  mag-'),  nicht  imstande  oder 
nicht  willens  war  zu  verstojtfen,  so  war  man  wi'nigstens  benitiht,  die 
Unregelmässigkeiten  im  Unterricht  [iuih'ui  der  Nachlässigkeit  und  Ptlicht- 
vergessenheit  eines  Lehrers  die  uralte  Neigung  der  lieben  Jugend  zu 
möglichst  vielen  Ferien  auf  halbem  Wege  bereitwilligst  entgegenzukommen 
pflegte]  für  die  Zukunft  nach  Kräften  einzuschränken.    Zu  diesem  Zwecke 
erfolgte  die  Einsetzung  eines  Kollegiums,  welchem  die  Lehrer  in  ihrem 
Unterricht  and  ihrem  ansserarotlichen  Verhalten^)  zu  über- 
wachen und  die  Schüler  in  regelmässigen  Zeitahschnitten  auf 
ihre  Kenntnisse  hin  zu  examinieren  zur  Pflicht  gemacht  und  das 
Recht  verliehen  wird,  „die  Schulgesellen  ilires  Arotes  zu  erinnern  oder 
desselben  g&nzlich  zu  entsetzen";  zu  dem  gleichen  Zweck  wird  die  Ver- 
einbarung einer  „beständigen  Schulordnung"  dringend  empfohlen, 
auf  welche  jeder  Schulkollege  in  Eid  und  Pflicht  genommen  werden 
soll.    Eine  solche  hat  sich  zwar  nicht  erhalten,  doch  kann  man  an- 
nehmen, dass  sich  dieselbe  gem&ss  der  Konsistorialordnung  nicht  allein 
über  die  äusseren  Schulverhältnisse,  die  Zeit  des  Unterrichts,  das  wohl- 
anständige Verhalten  von  Lehrern  und  Disclpeln  in  Sitte  und  Kleidung, 
sondern  auch  über  Inhalt  und  Methode  und  Ziel  der  Studia  des  Weiteren 
verbreitet  haben  wird  -'^). 

Die  eigenfliche  Seele  dieser  „Schulprovisoren*''')  war  natürlich  der 
Pfarrer,  welchem  deswegen  der  neue  Amtstitel  „Lispector**  verliehen 
wird,  „damit  er  nicht  allein  auf  seine  Kirchendiener,  sondern  auch  auf 
die  benachbarten  pfarrer  der  dorffer,  so  allhier  visitirt  worden,  fleisig 


*)  Vgl.  dasn  L.  Goetse  «.  «.  O.  a  12t.  —  *)  Deraelbe  &  30.  —  *)  L.  CNotse  a.  a 
0.  S.  37—89.    Die  ViaitationsordBiug  begründet  das  Verbot  betrefliB  der  Teilnahme 

Jer  Lehrer  an  Hnrlizcitm  fS.  1'23):  „weil  die  Erfahrung  gicbet,  dass  die  Schulmeister 
und  ihre  G»'scllen  (hin  h  chis  rancketiren  in  Hochzeiten  und  sonst  <lie  Jugoml  nicht 
wenig  versäumen."  —  V.  u.  K.  0.  S.  124.  —  *)  Kbend.  S.  121,  124  1.  -  *)  Wie  sie 
Mch  noch  heisBen,  cf.  KllMhan  a.  a.  O.  SL  31.  — 


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StranslMvgttr  BtadtBohde. 


17 


sdien  vnd  das  Tngepührliclie  ab^nden  vnd  verbaten  helfen,  damit  sich 
nicht  widerwertige  lehr  ynd  Secten  einsdüeichen  mögen.*' 0  hier- 
dnrch  dem  Inspektor  eine  nngehenre,  unberechenbare  Waffe  gegen  ihm 
missliebige  Persdnlichkeiten  in  die  Hand  gegeben  war,  wird  man  nicht 
ableagnen  können;  denn  obgleich  „die  Schulmeister  und  ilire  Gehülfen 
liicht  nadi  Gunst,  sondern  wegen  ihrer  Geschicklichkeit  und  tauglichen 
Wandels  angenommen"  werden  sollten*),  so  lag  doch  die  Gefahr  nicht 
so  weit  ab,  pädagogist  Ii  tücliti«,^'  Elemente  gegen  unbedingt  Rechtgläubige, 
die  nur  nötig  hatten,  ihre  völlige  Übereinstimmung  mit  dem  herrschen- 
den theologischen  System  durdi  Unterschreiben  der  KonkordienformeL '} 
zu  bezeugen,  sehr  zum  Nachteil  des  Schulwesens  hintanzusetzen:  der 
Heuchelei  und  Liebedienerei  ward  Thür  und  Thor  geöfiiiet,  Streitigkeiten 
zwischen  Geistlichen  und  Lehrern  infolge  der  Verschiedenheit  des 
religiösen  StandpuJiktes  konnten  nicht  ausbleiben. 

Dio  Errichtung  einer  Mädchenschule  endlich  ist  als  ein  er- 
freulicher Fortschritt  im  städtischen  Schulwesen  anzusehen,  denn  bis  zu 
diesem  Zeitpunkt  wuchsen  die  Mädchen  ohne  jeden  öffentlichen  Unter- 
richt auf,  nur  die  wohlhabenderen  Familien  konnten  sich  den  Luxus 
der  privaten  Unterweisung  leisten.  Dieselbe  erscheint  jedoch  nicht  als 
ein  an  die  Knabenschule  angegliederter  Bestandteil,  sondern  als  eine 
selbständige  Anstalt,  dem  Bektor  der  Stadtschule  stehen  keinerlei  Be- 
fugnisse in  derselben  zu. 


Der  letzte  grosse  VisitationBabschied  vom  26.  Mai  1600,  unterzeich- 
net Ton  „Joh.  V.  Eotteriz,  Hof-  und  Eammergerichtsrath,  Ghzist.  Pelargus, 
der  Heyligen  schrillt  Doctor,  Generalsuperintendent  und  Professor  zu 
Frankfurt  a.  0.,  Joh.  Koppen  dem  Jüngern,  „D.  L  ü.,  Churf.  Rath  und 
des  GeisÜ,  ConsistorU  zu  G61n  a.  d.  Spree  Priksidenten  und  dem  Secretär 
Erhardt  Heyden'*  enthält  folgende  auf  die  Schule  bezfl^che  Stellen: 


*)  Kaeh  dam  Abrchied.  —  >)  V.  n.  K.  O.  8.  121.  -  ')  Im  Jahr  1677  wnideii 
elmllidie  Oeistlidie  md  Lehrer  sur  Unteracbrifl  der  Konkordienfbrmol  verpfliehtefc 
0  CU  OOtM  a.  a.  0.  S.  23).  Die  Aoagabe  der  Fonnula  Concordiae  von  Christ.  Hcineccitts 
(Leipzig  1708)  bringt  in  einem  besonderen  Anhanpre  die  Namen  der  „Theologen,  Kirchen- 
und  Schuldiener,"  welche  dies  gethau  haben.  Auf  S.  25  heisst  es:  „In  aede  —  d.  i, 
Inspektion  (Superintendentor)  —  Stnoasberj^k;  1.  Georgias  Cmgerua  [Pfturrer  an  der 
St  Haiienkfrdtel  3.  Chrlatophoras  Wulflos  [KapeUan  daselbst].  B.  Petma  Thiden 
[Magister].  4.  David  Schmidt  [Cantor].  5.  Martinus  Ilabenicht.  0.  Gregorius  Frölich. 
7.  Joannes  Engel.  8.  Sebastianus  Redhch.  0.  Georgin»  Fiibor.  10.  Henriens  Zange, 
11.  Thomas  SciiroederuH  [1501  Cantor].  12.  Joaunea  Wulffius.  Franciacua  Henckel. 
14.  Fabianufl  Thiden  [Pastor  in  Wegendorl,  vorher  1572—76  ßektor  in  Str.J. 
16.  Jounes  Stoebxttitis.  16.  WencealAiifl  Stephamw  [6—16  Pastoren  in  den  Dörfern 
der  DiOeese].  —  et  auch  Angelus  Aon.  f  oL  877. 

A.  S 


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ig'  B.  Seifflert: 

„Itztgodachte  herrn  Visitatores  seindt  vnter  andern')  auch  dieses 
orts  alhie  in  Stranssber^k  ankommen,  luiben  die  nienerell  der  Kirchen, 
Schulen  vnd  Hospitals.  Ix^ncbenst  andern  vorgehenden  streiligkeittcn  in 
Ceremunieu  vnd  Keligionssachen  für  die  liandt  genommen,  und  dieselben 
nach  genügsamer  verhoi-  vnnd  erkuudigung  vorabscheidet. 

1.  Pünetiis  Keligionis.  —  —  —  S.  Cli.  G.  wollen,  das  —  —  die 
reine  vnuerfelschte  lehr,  des  alleinn  sehligmacheiulen  worts  Gottes,  wie 
es  in  denn  prophetischen  vnd  apostolischen  schrititcn,  den  drt^yen  Syni- 
bolis  Apostolorum,  Nicenischen,  vnd  Atliaiiasy  in  der  Augspurgischen 
Confession  anno  p.  dreissigk  Keyser  Carolo  dem  fiinfVten  zu  Angspnrgk 
vbergeben,  der  darauft'  erfolgten  Apologi,  S('liinalkitl(li>(  lien  Artickeln, 
Catechismo  Lutheri,  vnd  den  Ciiristlichen  Coiu  ordieu  buch,  ao.  p.  acht- 

zigk  publicirt,  begriffen,  aiift'  dt-n  Cantzeln,  vnnd  in  den  Schulen  

ohne  einigen  fitapistischcu  antinoniischen  Caluinistischen,  odci'  andern 
wiedrigen  .Irrtliumb,  gehandeltt,  getrieben  vnd  gehandthabet  werde: 
Das  auch  eine  iede  geistliche  Person  autt"  solche  wabre  reine  Lehr  —  — 
nicht  allein  von  dem  iiern  Generali  Superattendeuten  zu  Franckfurtt 
an  der  Oder  ordiuii-et,  besondern  auch  S.  Ch.  G.  vnd  deeo  Itodüoblichen 
vorEltem  Ezempell  nach,  di«  Formolam  Goncordiae,  alss 
YDsers  ChriBtUchen  glaabens  mitt  herts  vnd  mfindt  Acceptiret  vnd  vnter- 
sefarieben,  damit  vmb  bo  vidi  mehr  einhelliger  Consens  vndt  einigkeitt 
in  Christlicher  lehr  erhaltten,  vnd  vmb  so  viell  weiniger  geczenck,  vnd 
Disputationen  wieder  die  Augspurgische  CSonfession  vnnd  schrifften  des 
tewren  Mannes  Lathen  erroget  werden  mochten. 

Aldieweill  dan  nach  fleissiger  besehener  Examination  vnd  erknndi- 
gung  befunden,  das  der  P£Bu*herr  benebenst  dem  Diacono  vnd  Schul- 
gesellen» wie  auch  alle  Dorff  Pfarren,  zu  dieser  Inspection  geborig, 
benebenst  dem  Rath  vnd  gemeiner  burgerschafiR;  allhie,  der  vorbenanten 
reinen  lehr-  —  ~  ohne  vorerwente  oder  andere  Jrthume  —  —  gleich- 
förmig anhengig  vnd  zugethann,  Der  Pfarher  auch  sambt  den  andern 
Kirchen  vnd  schuldienern  der  formulae  Goncordiae  mehren- 
theilss  vnterschrieben,  vnd  die,  so  es  biss  anhero  noch  nicht 
gethan,  Jtzo  bei  wehrender  Tisitation  ihre  nominagleichfalss 
pure  et  cathegorice  .derselben  gegeben.  So  seindt  die  Hern 
Yisitatores  der  lehr  halber  allendthalben  mit  ihnen  woll  zufrieden  ge- 
wessn.  

Soll  derwegen  an  Gh.  G.  stadt  E.  E.  Rath,  auch  dem  Pfarhern 
alhie  hiemitt  aufferlegt  vnd  befolen  sein,  ob  solcher  wahren  reinen 

lehr  steiff  vnd  vest  zu  haltten,  vnnd  mit  sonderm  ernst  dahin  zu 

sehen,  das  alle  diener  des  Ministery  nebenst  den  Schul- 


')  Ifl  Wriecen  wareu  bie  am  April  1600;  cf.  Bdttger  a.  a.  0. 


Die  Strausberger  SUdtachtüe. 


19 


gesellen  ingi'saiiihtt  vnd  sonders  bei  derselben  lehr  bleiben, 

dieselbe  auff  den  Cantzeln  vnd  in  den  Schulen  rein  vnd  vn- 

uerfelscht  mit  vleis  ohne  einigen  Jrthiimb  treiben.  

—  —  Soll  die  Epistell  vnd  das  Euangeliuni  tiuiu  Altar  deutzsch, 
vnnd  nicht  mehr  lateinisch,  damitt  es  der  gemeine  mau  verstehen 
könne,  abgesungen  vnd  gelesenn  werdenn.  

Zur  fruhemetten  soll  hinfuhro  alzeit  vrab  funff  vhren  eingeleatett, 
viui  wan  nach  dem  Inuitatorio,  commiiniter  ein  Psalm  auf  die  Hohen- 
festage  gesungen,  alssdan  das  Euang»  Uuin  deutzsch  abgelesen  werden, 
vnnd  daraufi'  das  Te  Deum  laudamus  vom  Organisten  vnnd  Schulern n 
wechselsweise  celebiii't,  vnnd  aufs  sclileuigst  alss  muglich  gekurtzt 
werden.  — 

Zur  Hohmesspredigt  soll  nach  sieben  vliren,  etwan  vrnb  halb- 
wege  achten  eingeleutett  werdenn,  vnd  der  Pfarher,  nel»en  dem  Schul- 
meister vnd  Organisten  ihre  gesenge  vnd  Ceremonien  ')  sonderlich  aber  die 
l>redigtt  also  anstellen,  das  vnib  zeheu  vhr,  die  gautze  üuhmesspredigt, 
mit  der  Communion  volubracht  sey.  —  — 

"2.  De  Reditibüs  Ecclesiasticis.  Das  ins  patronatiis  oder  Kirchen- 
lehen iüt  allein  v.  g.  h.  dem  Churfiirsten  zu  Brnndenburgk  zu  stendigk 
—  —  Den  Diatduuin  aber,  oder  die  Capelehne,  wie  anch  die  Schul" 
gesellen  vnd  den  Küster  zu  vociren,  sti-het  beim  Rath  vnd  Pfar- 
hern  zugleich.  Vnd  weill  in  annehnmn^  sohMier  Personen  die  priuat 
aft'ectus  vn<l  fauor  oftmals  mehr,  alss  gutt,  zu  doniiniren  pflegenn,  dahero 
dan  kumbt,  das  mehrenteils  vntuchtige  vnd  vriqualificirte  Personen  an- 
genonuuen  vnd  bestellet  werden,  So  soll  der  Rath  hinführe  mitt  den 
Pfarren,  vnd  der  Pfarrer  hinwie<lerinnb  mit  dem  Rathe  daraus 
notturfftig  zuuor  conimuniciren,  vndt  nienumd  ohne  eines  oder  des 
andern  vorwissenn  angenommen,  Introduciret,  oder  aucli  abgedauckt 
werdenn.  —  — 

—  Sonsteu  soll  an  Accidentien  sich  kein  diener  der 
kirchen  oder  schalenn  mehr  sunehmenn  Tnterstehenn,  alss 

wie  die  ▼eneidiiittsseiiQ  beivorwartt  aassweisenn,  

,»Den  Schnlmeisteni  ist  vernmge  voriges  Vis.  Äbscheides  vergounett, 
dreimahl  im  iahr  vor  den  Thfiren  heramb  so  singen:  alss  aufs 
new  iahr,  aoff  Martini,  vnd  Borchardi,  Jngleichen  ist  ihm  anch  von 
ieder  Brantmissenn  zwo  silbergrosohenn  zum  selben  mahll  gewOliget, 
welches  aber  alles  ein  zeithero  nicht  gehaltten  oder  gegeben  worden, 


*)  Dm  Bingen  Iftteinischer  Ueder  Ist,  wie  manche  andere  Qehianetw  des  kaibo* 
KSdMB  Ootteedieosteii  noch  huge  fai  Btranabeig  beibehalten  worden;  erat  in  einer 

kf.  ConfirmatioD  vom  19.  März  1052  wird  allgemein  angeordnet,  „daa  anatadt  des  viel- 
fältigen latein  Bingens  in  den  Kirchen  des  Sontags  an  denen  Ctrtf^n,  wo  es  noch  L'obreuch' 
lieben,  leine  TeuUsclie  S&oge  aus  Doctor  Luthers  gesangbuch  gesungen  werden  aollen.** 


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20 


Baramb  wollen  die  henm  ytsitatoree  diese  Pnact  hiemiit  renonirt, 
▼nd  denn  Schahneistern  das  ymbsingen,  wie  auch  diebrandtmesseo  vmb 
Jtztbenanite  gebuer  biemitt  vergönnet  vnd  zogelassen  haben, 

Was  aber  die  Schule  an  ihm  Selbsten  betreffen  tliut,  ist  dieselbe 
mit  zweien  schulgesellen  besatzt,  die  nuch  zur  zeitt,  nach  gelegeu- 
heit,  tur  genugsanib  erachtet  werden, 

Sollte  aber  die  Schule  kuufftiger  Zeitt  durch  Gotte.s  Segen  au 
Knaben  zunehmen,  So  wirtt  E.  Erbar  Ratli  darauff  verdacht  sein,  da- 
mit diesen  beiden  ein  tertius,  der  zugleich  die  Custerei  in  der 
Kirchen  mit  bestelle,  Adjuugiret  würde. 

Vnd  weil  das  Examen  bei  der  Jugendt  viell  nutz  schafft,  so  soll 
der  Pfarher  mit  Zuziehung  des  Kadts  i  er  lieh  aufs  wein  igst  zw  ei  mahl 
Examen  lialtten,  vnd  dahin  sehen,  dass  die  Jugendt  recht  vorgfeijangen, 
die  repetitiones  vleissig  getrieben,  vnd  dabeueben  alle  vnordjiung  in  der 
schalen  abgeschafft  werden  möge. 

Wie  dan  die  SchnlgeseUen  hiemit  auch  ermahnet  sein  sollen,  ihres 
Ambtes  vnd  der  schulen  mit  gebnerlichem  vleisse  abznwsrtten,  der 
Jogendt  mit  guten  ezempeln  vorzagehen,  vnd  sich  sonsten  kegen  mennig- 
lichen, alss  ehrlichen  lenten  woll  anstehet  vnd  gebueret,  znueihaltton,**  

Das  beiliegende  Verzeichnis  der  „Ordinary  Einnahmen  und  Aus- 
gaben des  Kirchenkastens  1600*'  bezeidmet  als  Besoldung  des  Schul* 
meistere:  ,»Auss  der  Kirchen  8  Schock  vnd  2  fl  wegen  Dameross, 
vonn  Erbam  Rath  4  gute  fl.  Die  acddentia  so  gefallenn:  Auff  Bur- 
chardi  vnndt  llartiniO  vnib  zu  singenn  bringet  mehrer  theils  zu  samen 
30  sg  zu  zeitten  auch  ettwas  mehr.  Jedes  vierteil  Jahr  gibt  Jeder  Knabe 
1  sgr  so  viel  Knaben  sein,  tregts  gemeiniglich  alle  viertel  Jahr  1 
seindt  dess  Jahres  4  fl.  Eine  Leiche  zubegraben  1  sgr  Singet  man  tar 
der  Thuren  1  sg  6  ^  Vonn  der  finster  Metten')  zu  singen  6  sgr  Vom 
Rath,  auss  der  Kasten  3  sgr  vnd  Ein  wachs  Licht  von  3  ViertelL 

„Der  Baccalanrius  zu  Straussbergk  hatt  Jerlich  einkommea 
wie  folgett:  16  merckische  fl  vonn  einenn  Erbam  Rathe,  2  merck.  fl 
auss  der  Kirchenn,  1  Merck,  fl  alle  quartall  predum,^)  bissweilen  auch 


')  Der  diitte  Recordationstcruiin,  Neujalii,  ist  hier  merkwürdigerweise  aus- 
gelassen, obwohl  er  im  Abschied  selbst  crwilhm  wird.  —  ■')  Daraus  ist  zu  bt-rechnen, 
dass  in  jeder  der  beiden  Klassen  etwa  3ü  ächUier  gewesen  sein  mtissen;  diese  Zahl 
«tlinmt  sn  den  Perlituebeii  Angaben  tau  dem  Ende  dea  18.  Jahrirandeite,  wo  Stnrns 
beig  irieder  etwa  ebeneorid  ]^wohner  gehabt  hat,  wie  vor  dem  SOJthrigen  Krieg.  — 
*)  Die  Finstennette  oder  Dustenuette  scheint  ein  Überbleibsel  des  vorreformatoriscben. 
Salvesingens  zu  sein;  nach  der  späteren  Benennung'  Passionsgeld  (172])  kann  man 
Bchliessen,  dass  in  den  I'assiünswochen  regeUuätmige  Abendandachten  stattfanden 
(cf.  Perlitx;^  besonders  auch  um  Cbarfreitag.  — 


^  ij .  .-Lo  Ly  Google 


Die  Stratubeiger  StadtBchnle. 


21 


weiniger.  1  Tbl  vngefelir  auch  woll  weiniger  iedes  raalil,  wenn  man 
auf  Burchardi  vund  Martini  ostiatim  singett.  6  ggr  vonn  E.  E.  Rathe 
Item  8  ögr  anss  der  Kirchenii,  Item  ein  Waclis  Liecht  von  8  Vierteil 
auss  der  Kirclienn,  wenn  man  die  dustermettenn  *)  singett.  G  sgr  venu 
E.  E.  Rath  vürsetzuuggelt. 2  sgr  Jarmarcktgeldt, ')  bissweilenn  auch 
wriiiiger,  Weichs  In  die  fuuffmahll  im  Jahr  gesthicht,  1  sg  2  .f  vom 
funere,  ^)  wenn  für  der  Thür  gesungen  wirdt,  wenn  aber  nicht  gesungen 
wirdtt,  Ein  sgr," 

Da  das  Organistenanit  in  der  Folge  gewöhnlich  vom  Schuhneister 
verwaltet  wurde,  seien  aurli  dessen  Einkünfte  erwähnt:  „Dem  Orga- 
nisten auf  jedes  Vierteljahr  Iii,  von  dem  Borchwalde '')  1  fl  28  gr.  vnd 
von  den  Kawelen  liiiider  dei-  lieideu  2  fl  U  gr"  (jährlich  also  8  fl  ')  gr).  — 

—  Der  Abschied  enthält,  wie  man  sieht,  kaum  etwas  wesentlich 
Neues  ausser  der  Andeutung,  dass  der  Rat  bei  waclisender  Schülerzahl 
noch  einen  Tertiaiius,  einen  dritten  liehrer,  anzustellen  bedacht  sein  solle. 
Diese  Bemerkung  ist  dahin  zu  ergänzen,  dass  man  bereits  seit  1590  da- 
mit Versuche  gemacht  hatte,  wie  aus  dem  Hundertmarkschen  Lehrer- 
verzeichuis  und  einigen  Notizen  der  Kechnungsakten  zu  entnehmen  ist; 
1599  war  die  Stelle  nicht  wieder  besetzt  worden,  erst  lf)16/17,  spätere 
Versuche  (nach  1740)  scheiterten  an  dem  Unvermögen  der  Bürgerschaft^) 

Die  übrigen  Festsetzangen  betreffs  der  Accidenzien,  der  Lehrer- 
wahl  und  der  Schulexaraina ')  sind  nur  als  „Renovation"  der  Bestim- 
mungen von  1574  zu  betrachten,  welche  infolge  trauriger  Zeiten,  die 
über  die  Stadt  hereiugebrodieu  waren,  teilweise  ausser  Gewohnheit 


■)  Siehe  Seite  SO  Amnerimiig  9,  —  *)  Qemedi  eehaint  die  VerpflichtoDg, 
mit  dem  Slogercbor  bei  der  Veticiaung  «ifsawartm,  mal  den  Cantor  flbergegaageii 

zu  sein.  —  ')  Dies  hat  spftter  auch  der  Rektor  erhalten  —  •)  Nach  dem  Abschied  fanden 
die  Begräbnisse  „vmb  xwolff  vbren"  statt,  «las  ,  teufen  allezeitt  vmb  zwo  vhr*';  die 
Hochzeiten  „gingen  auff  den  Montagk  Mittag  an"  und  dauerten  2—3  Tage.  —  *)  Das 
iat  ein  alter  BurgwaU  «ot  der  WendeiiBelt^  der  in  der  NIhe  der  SintimilUe  svbdien 
dem  B6lieW'  imd  Flngeraee  gelegen  Ist  und  noch  heut  diesen  Namen  fObit. 
*)  Hnndcrttnark  nennt  folgende  Tertiani:  1590  Gregorius  Neuendorff.  1594  Petrus  Jenger. 
1595—7  Greg.  Neuendorll.  1697—9  Martinus  Schäfferus  Bemoviensis,  sustinuit  can- 
toriH  pro^^nciam  usque  1599.  Dieser  M.  Sch.  wurde  von  E.  E.  Rath  wegen  seines 
Fleisiies  reichlich  beschenkt.  Deinde  usque  ad  161G  annum  Munus  Tertiani 
veeatit  1616  Joh.  HolEmaon,  Tizit  adhne  hie  1618.  1616—17  Theod.  Hoflmann, 
de  qao  tempore  Oflfdam  Tertiani  in  totum  vacavit.  —  Kb.  1500  erwähnt  ^eidi> 
falls  einen  Tertianus.  ir)92:  des  Tertiani  gcrethlein  von  Boyerstorf  geholet.  1597 
12  gr  Gregorio  Niegendorff  dem  T<>rtiano  i  ntrichtet  wegen  eines  gesanges,  so  er  dem 
Rathe  zugeschrieben.  —  Vgl  auch  Kükelhan  a.  a.  O.  S.  16.  —  ^)  Eine  einzige  Notiz 
dea  Kh.  1M6  erwifant  daa  Scholezamen;  „1  fl  den  bdden  festem  vnd  den  Schulge- 
aeüen  verebtt  tnoetdiüMkent  ale  daa  Examen  in  der  adrale  mit  den  acholem  iat  ge- 
halten worden";  femer  beschwert  sich  der  Rat  1605  beim  Konsistotiumi  daaa  der  In* 
qpektor  Friedrich  keine  Schnleyamina  abhalte.  Stexnbeck  &  32,  — 


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22 


B.  Seiffert: 


kamen :  ich  meine  die  Pest  von  1598.  Über  dieselbe  berichtet  ein  un- 
bekannter Chronist dessen  An&eichnungen  dem  Beckmannschen  Nach* 
lass  angeheftet  sind: 

„Anno  1598  erhob  sich  abermal  aUiier  in  Strausberg  eine  grosse 
Pest,  \rorinnen  zngleidi  der  weitberfihmte  Chronologos  M.  Andreas  Engel 
den  9.  Aagusti  mit  weggeraffet,  obiit  autem  sine  prole  simnlqne  tota  ejus 
femilia  extincta  est  —  [womit  jedoch  höchstens  sein  Gesinde  gemeint 
sein  kann,  denn  die  Witwe  überlebte  ihn]  —  lieget  begraben  znr  rechten 
im  Gewölbe  gegen  Eingang  des  Schlklerchors,  allwo  sein  Leicbenstein 
anf  hoher  Ch*  DchL  Befehl  ausgehoben  und  nunmehr  fOrm  Altar  auf- 
gerichtet steht  Es  sind  aber  durch  diese  pestUenzialische  Gi£ft  alhie 
dahingerissen  worden  825  Menschen  und  sind  also  auf  den  13.  Jnly  vor- 
gedachten  Jahres  öffentlich  begraben  worden  30  Personen,  die  andern, 
so  heimlich  beerdigt,  zu  geschweigen/* 

Ausser  dem  PfiEurer  starb  auch  der  Diaconus  Wolff,  so  dass  der 
Schulmeister  und  Cantor  allein  eine  Zeitlang  den  Gottesdienst  und  andre 
kirchliche  Funktionen  verrichten  mussten.*)  Wie  die  Schale  darunter 
•  gelitten  haben  mag,  kann  man  sich  leicht  vorstellen,  in  solchen  Pest- 
zeiten ging  eben  alles  drunter  und  drüber.  — 

Von  anderweitigen  SchnlDachrichten  aus  dieser  Periode  sind  noch 
zwei  Punkte  bemerkenswert,  der  Freitisch  (h  i  Lehrer  und  die  Auf- 
führung von  Schulkoinödien  vor  dem  liohen  Rat. 

Wann  die  Sitte  dos  Freitisches  oder  der  Reihenspeisung 
d.  h.  der  Brauch,  dass  die  Lehrer  bei  den  Eltern  ihrer  Schüler  nach 
einem  bestimmten  Turnus  Mittagsgaste  waren,  sich  in  Strausberg  ein- 
gebürgert hat,  kann  deswegen  nicht  mit  Sicherheit  bestimmt  werden,  weil 
weder  in  den  Abschieden,  noch  sonst  davon  l»islier  die  Kedf  war. 
Aus  eben  diesem  (irunde  aber  ijehort  «Icr  Freitisch  au<  Ii  nicht  zu  den 
Accidentien,  wie  das  Recordations-,  .Jahrmarkt-  und  Schulgeld,  sondern 
er  muss  zusniniiKMiliän^eii  mit  einer  TjeistuiiL!:  <U'r  Lt'hrer,  die  ausserhalb 
ihrer  t'igentliclicii,  tiltentlicln'n  Schultliätigkcit  lag  und  für  die  sie  auf  diesem 
Wege  entsclnulii^t  sverdcn  s(»llt»'n,  un<l  das  war  der  Priv  at  u  nterricht, 
den  sie  —  seit  wann,  ist  el»enfalls  unentschieden  )  —  einigen  Kindern 
nach  dem  öÖ'eutlichen  Unterricht  zu  eiteileu  pflegten,  sowold  Vormittags, 


')  Inspektor  Pape,  der  1710  f.  (\&a  Materiul  für  Beckmann  sammelte,  nennt  ihn 
einen  alten  verständigen  Borger.  —  *)  Nach  Kb.  IbUtS  erhielt  der  Unterkapellan 
[SebaatiMi  FiiedricbJ  9  fl,  Bmccalaureiis  Hatth.  Kind  und  Kantor  Mtriin  Sehftler  je 
2  Tbl.,  der  Oigairiat  1  Tbl.  „wegen  dei  Sterbens".  Stembeck  8. 80  Anm.  ~  *)  L.  Goetee 

erwähnt  S.  36  die  scholae  privatae  gleichfalls  erst  nach  1000.  —  •)  1614:  3  fl  12  gr 
dem  Newen  Cantor  ehe  er  Tische  bekommen  verzert,  Ißl8:  4  ü  9  gr  Andreas  Schnstor 
[Richter  und  Stadtschreiberj  das  er  deu  Kector  Ern:jt  üertling  neben  seinen  Jungen 
[d.  h.  muHMT  den  FreitiadMO,  die  er  für  diaaen  au  gewähren  hatte]  )i2  Mahlzeiten  jede 
m  8Vi  gr  geapeiset  —  Stambeok  8.  182.  — 


Die  Straosbeiser  Stadtsdiol«. 


28 


als  Nachmittags,  wie  wir  noch  sehen  werden.  Es  waren  das  keineswegs 
Nachhülfestunden  nacli  heutigem  Be<?riff,  sondern  ein  regelrechter  Unter- 
richt wie  der  öflfentliclie,  mir  dass  eben  eine  beschränkte  Zahl  von 
Kindern  daran  beteiligt  war,  eben  die,  deren  Kitern  bereit  waren,  den 
Lehrern  in  gewissen  Zwischenräumen  Freitisch  zu  gewähreu;  eine  weitere 
Vergütung  in  Geld  ist  erst  später  hinzugekommen. 

Die  ersten  Notizen  des  Kämmereibuclis,  aus  den  Jahre  1()14  und 
n>18,  bekunden  aber  zugleich,  diiss  von  vurnherein  den  betreffenden 
Eltern  auch  gestattet  gewesen  mu.ss,  den  Freitisch  mit  Geld  abzulösen 
und  dass  anfangs  der  Rat  diese  Gelder  zu  einem  Fonds  ansainuielle,  um 
in  Notfallen,  wie  den  untenangeführten,  einzuspringen.  Anfangs 
scheint  diese  Ordnung  beide  Teile  befriedigt  za  haben;  bald  jedoch 
stelltien  sich  mancherlei  Unzntrftgliehkeiten  ein,  su  denen  a]lerding>  das 
Betragen  der  Tischgaste,  insofern  es  nicht  immer  den  Regeln  der  Massige 
keit  und  des  Anstandes  entsprochen  haben  mag,  wohl  die  hanptsftch- 
HcliBte  Veranlassung  gewesen  sein  dürfte,  ausserdem  anch  der  Unmut 
Einzelner,  denen  die  Speisepflicht  lästig  wurde. 

Perlitz  teilt  folgende  darauf  bezügliche  BatsprotocoUe  mit: 
„Am  16.  November  1621  klagte  die  Bürgerschaft,  dass  die  Schul- 
gesellen  beim  Abspeisen  sich  gegen  ihre  Tischherren  ungebührlich  be- 
trügen, worauf  geschlossen,  dass  es  der  Rath  vor  diesmal  überstreichen 
will,  sollen  aber  vermahnt  sein,  dass  sie  forthin  beizeiten  von  ihren 
Tischherm  au&tehen  und  sich  unstrafbar  verhalten,  widrigenfalls  der 
Remotion  (!)  gev^rtigen,  indem  der  Rector  [und  das  war  gerade  ein 
geborener  Strausberger]  gestanden,  dass  sie  sich  vom  Trunck  fiber- 
nehmen lassen.'* 

„Am  1.  Februar  1624  wurde  auf  geführte  Beschwerde  der  Bürger- 
schaft festgesetzt,  dass  die  Speisung  der  Schulgesellen  nachbarlich  in 
der  Bürgerschaft  herumgehen  und  die  Fischer  denjenigen,  an  wem  die 
die  Speisung,  Fisclie  vor  andern  lassen  soll.  Die  Schalgeselleu  aber 
sollen  in  der  Sjjeisung  keinen  vorbeigehen."*) 

„Am  8.  Novemiter  1()24  wurde  wegen  der  Schulgesellen  die  neue 
Ordnung  gemachet,  dass  ein  jeder  Bürger  <|uartaliter  statt  der  Si)eisung 
2  gr  6  ^  geben  soll;  der  sich  hier  wieder  setzet,  soll  des  Käthes  Strafe 
gewartig  sein. 

Das  hatte  aucli  seine  Sciiattenseite,  da  es  anscheinend  den  Lehrern 
überlassen  blieb,  sich  das  Krtstgeld  von  den  Bürgern  —  offeid^ar  nun- 
mehr allen  —  selbst  einzufordern,^)  viele  derselben  sich  aber  weigerten, 
und  das  mit  Recht.  So  blieb  denn  die  Frage  vorläuüg  in  der  Schwebe ; 
wir  werden  ihr  noch  oft  begegnen.  — 

*)  D.  h.  nicbt  muser  der  Reihe  zu  Tisch  kommen.  —  ^)  Kb.  1G25:  11  fl  17  gr 
(lern  Cantori  Torgestreckt,  weU  «r  von  der  BOfgemobaft  das  Kostgeld  nicht  eiswingm 
können.  —  • 


^  ij .  .-Lo  Ly  Google 


24 


B.  Seiffert: 


Bezütclicli  der  Schulkomödien,  welche  in  den  Jahren  1560  bis 
in  den  Rechnung;8akten  erwähnt  worden,  steht  nur  soviel  fest,  duss 
sie  in  der  Fastnachtszeit  vor  dem  Rate  aufgeführt  wurden;  es  wird 
aber  nur  v'm  einziger  Titel  genannt,  aus  wclclieni  man  auf  den  Inhalt 
des  Stückes  schliessen  kann,  „das  Spiel  von  Susanna'*;')  der  häufige 
Wechsel  der  Lehrer,  von  denen  sich  nicht  jeder  zu  solcher  „Kuustleistnng" 
eignen  mochte,  ermöglichte  nur  dann  und  wann  eine  Auffülirung;  immer- 
hin bleibt  es  charakteristisch  für  die  Zeit  allgemeiner  Geuusssucht  uud 
PiracIlfUdbe,  die  sich  bis  in  die  untersten  Schichten  des  Volkes  verbreitet 
hatte,  dass  selbst  die  Schule  in  diese  Strömung  einbezogen  wurde  und 
die  Schnlkollegen  eine  Ehre  dareinsetzten,  auch  ihrerseits  znr  Ergotz- 
lichkeit  nnd  Belustigung  „eines  hochedlen  Patrons"  beizutragen.^)  Sie 
stellten  sich  dadurch  anf  gleiche  Stnfe  mit  allerhand  fahrendem  Volk, 
das  nach  Ausweis  der  Akten  dem  Rate  eben&lls  solche  Spiele  „vor- 
jdkeln*'  oder  „mit  Figoren  tractiren**  mnsste.  — 


Ich  komnu'  mm  zu  den  Persönlichkeiten  der  Lelirer  selbst. 
Sie  sind,  wie  das  Verzeichnis  beweist,  alle  ohne  Ausnahme  studierte 
Herren  gewesen,  Theologen,  die  nach  Absdlvirung  des  Uni- 
versitiitsstudiums  einige  .Iah i  e  dem  Schulamt  widmeten, bis  ihnen 
Glück  oder  Würdigkeit  zu  einer  Pfarrstelle  verlialf.  Niclit  als  End- 
ziel ihrer  akademischen  Ausbildung  betraciiteten  sie  das 
Rektorat  und  Cautorenamt,  sondern  nur  als  ein  Übergangs- 
stadium zum  geistlichen  Stande:^)  diese  Anschauung  blieb  bis  in 
das  gegenwärtige  Jahrhundert  massgebend.  Daraus  erklärt  sich  znr  Ge- 
nüge die  merkwflrdige  Thatsadie,  dass  in  der  Zeit  von-1542 — 1818,  also 
in  276  Jahren  nicht  weniger  als  58  Rektoren  und  54  Konrektoren  amtirt 


*)  Kb.  1506:  2  Ü  den  Schuldieneru  voreliret,  wie  sie  dus  6pieil  von  SuBanna 
gespielett  hmben,  Dinstags  nadk  Eitomihi  (FaatDacht).  1572: 1  schock  4  gr  TOr  1  Tonne 
Mei,  welche  oMai  dem  8chQ«]mei«ter  geschenkt  hat,  das  er  ein  «piel  bi  den  faetd- 

abenth  gespielt  hat.  158^S.  3  fl  11  i?r  för  1  fas8  l)ier,  so  die  Schulgesellen  bekommen, 
alss  sie  die  Comedia  gespii  lft  -  ')  Kin  „Auszug  Wass  hv.y  der  Commission  f<>  Ao.  inis 
den  3  July  Von  Hern  liuigemeister  Strassburg  Vndt  Bg.  Georg  Jalmen  jaus  Berlin] 
deliberiret  worden"  besagt  zwar  unter  Funkt  21 ;  „Soll  die  Zebrung  bey  der  Versetz- 
QQg  gants  abgeachaliet  Vndt  jeder  Bathaperaon  12  gr  in  Ihren  heaaeni  lavoraehreo 
gereidinet  werden,  die  Schnlgesellen  belangent,  ihnen  die  Tbl.  So  Sie  Vor  diesem  bey 
der  Vorsetzunjj  gehabt  wegen  des  geringen  solari  (Solds)  noch  ixcfoli^'ct  werden;'*  aber 
schon  Kb  1619  bemerkt:  ..:!  Tbl.  den  SchuelkoUegen  auf  der  Cuiumedia  von  Susanna 
am  31.  Marty",  auch  IGJu  „warten  die  SchuelkoUegen  in  der  Versetzung  (Iti.  Februar) 
mit  den  Schneiknaben  auf*  ao  dass  die  etwaa  scharfe  Bemerlcnng  dea  Stadt* 
schr^beia:  „dass  SSn  Borge  Ifetoter  oder  Rath  dem  Andorn  nicht  beiaen  irird,  sondern 
es  nur  Vf  selten  der  bürgere  Vbel  ableuft",  ganz  gerechtfertigt  erscheint.  —  •)  V||^, 
L.  Qoetse  a.  a.  0.  S.  81.  Fanlaen,  Gesch.  ü.  gelehrten  Unterrichts  S.  891  u.  407.  — 


Die  StniiMbeiger  Stadtachide. 


26 


haben;  von  diesen  sind  5  Rektoren  und  8  Konrektoron  im  Amt  ge- 
storben, von  17  Rektoren  und  IH  Konrektoren  \visseu  wir  über  itire 
\v('it«*re  Laufbalni  nichts;  somit  verbleiben  -l*'»  Rektoren,  von  denen  'U  zu 
Ciei^>tli('hen  befördert  und  in  den  Rat  gi  wählt  wurdeD,  and  26  Kou- 
röktoren,  von  (ienen  10  zu  «Mnem  Pfarramt  {^^elanm^ten. 

Nach  dem  Archivniutcrial  und  den  in  der  Vorrede  erwähnten 
Matrikeln  liabe  ich  das  Huiidei-tmark-Perlitzsche  Verzeichnis  verbessert, 
wo  es  nötig  war,  und  ergänzt,  wo  es  anging,  um  ein  möglichst  voll- 
ständiges biographisches  Bild  zu  bieten;  diese  Zusätze  sind  eingeklammert. 

Memoria  Scholae  Rectomm  Cantornmqoe  p08t  ielicem 
Dr.  Latberi  Reformationem,  omni  cura  ex  doonmentis  qaae 

asserjvantor  im  Curia  eruta. 
A.  Rectores  1543-1622. 

1.  Mattliias  Ebel,  1543—48,  wahrscheinlich  ein  Verwandter  des 
Pfarrers  an  der  St  Marienkirche  .Toliann  Ebel  [welcher,  1012  als  Aliariat 
des  Roratenaltars  genannt,  sich  bei  Eiofübnmg  der  Keformation  xar 
neaen  Lehre  bekannte  und  1547  starb]. 

2.  Andreas  Körte  Stransbergensis,  accessit  auf  Jobanais  1548, 
war  an  der  Schule  bis  im  folgenden  io4y.  Jahr  gewesen  und  zwar  nacb 
Estomihi  [anfangs  März]  abgezogen.  Er  setzte  hierauf  seine  Studia 
weiter  fort  auf  der  Universität  Frankfurt  an  der  Oder  und  wurde  laut 
Academischer  MatricuP)  im  gedachten  1549.  Jahre  daselbst  inscribiret 
[Noch  in  demselben  .lalir  oder  155Ü  berief  ihn  dt'r  l'at  in  die  Stelle  des 
an  der  Pest  verstorbenen  Stadtschreibers  Martin  Zimmoi-maTin,  welche 
er  bis  zu  seinem  Tode  bekleidete.  Neben  seinem  Amt  betrieb  er  einen 
Handel  mit  Materialwaareii  und  ansehnliche  Ackerwirtschaft.  ^)] 

I).  Joachimus  Reling,  geboren  zu  Bernau,  zi)g  I54b  auf  die 
Universität  Frankfurt  a.  0.')  Auf  Ostern  des  154^).  Jahres  trat  er  hier- 
selbst  das  Rektorat  an,  legte  aber  selbiges  im  folgenden  .lahre  wieder 
nieder,  promovirte  zu  Fraukturt  in  Magistrum  pliiloso])hiae  und  wurde 
darauf  zum  Prediger  nach  Radestock  unter  der  Fraukfurtischen  luspec- 
tion  berufen,  wos»*lbst  »  r  starb. 

4.  Jürgen  Schenk  1551 — 2,  scheint  bereits  1550  Rektor  gewesen 
zu  sein.  Er  wurde  im  1552.  Jahn'  an  des  nach  Berlin  an  S.  Nicolai 
Kirche  vocirten  Sjücgi'lbergs  ■)  Stelle  zum  liit-sigen  Diacunat  conliruiiret. 
Er  hört  aber  noch  mit  eben  liiesem  .lalir  ;iuf,  und  weiss  man  niilit,  ob 
er  gestorben  oder  aber  zu  weiterer  Beförderung  gehinget. ') 

')  Perg.  Urk.  49  (Riedel  I  12  No.  79\  F  M  1511  nennt  einen  Mattbeuw  Ebel 
aus  Strausberg.  —  ')  F  M  l.'itO.  —  Sternbeck  S.  17.  —  *)  Zusammeu  mit  seinem 
Bnider  Thomaa.  F  M  1546.  —  ')  Augustin  Spiegelberg  aus  Potsdam,  1544  in  Witten- 
beig  immatrikniiit  (Hirk.  FbvBcboogen  XIV.  1878  „die  mlikiflchen  Studenten  anf  der 
Unhreiritat  znWittenberg"  von  L.  Goetze.  —  ")  F  M  1569  erwähnt  einen  C  brist. ipliorua 
Fineenui  Stranabfligenais,  das  konnte  sein  BnAui  aein.  — >  Kb.  1669:  Er  Jnigen  ecbenck.  — 


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26 


0.  Barthplomeas  Peters  er  wirti  vemnithlich  der  von 

Forstenberg  sein.*) 

6.  Erasmus  Beier,  1553^54  auf  Johannis  Baptiste,  dieser  wd 
wohl  der  Schulmeister  von  Zehdenick  sein.  Wurde  von  hier  anno  1554 
zom  Predigts-Ambt  nach  der  Inspection  Neustadt-Ebersvalde  berufen. 
[Eb.  1563—54]. 

7.  George  Dreger  Bernaviensis  1554  bis  auf  Estomihi  1555. 
[F  M  1552.  Eb.  1555]. 

8.  &f  artin  Gnewicko w  Gransogensis  [studierte  mit  seinem  Bruder 
Ertmannns  snsammen  F  M.  1552]  1555  bis  auf  Estomihi  1557.  Er  kam 
von  hier  zum  Diaconat  nach  Belitz.  Nachdem  er  einige  .Tahie  diiselbst 
g^e Wesen,  wnrdo  er  nach  Absterben  des  ersten  Evangelischeu  Thumb- 
Predigers  zu  Uavelberg,  Herrn  Dionysii  Buchows,  so  ao.  1561  ange- 
nommen war,  an  dessen  Stelle  erwelilet,  welches  Ambt  er  aucli  noch 
ao.  1")SS  rühmlich  verwaltet.  In  diesem  Jahre  hat  er  über  das 
Absterben  Hei  rn  Christuphuri  von  der  Schulenburg,  Canonici  und  Yice 
Senioris  der  StiÖ'ts-Kircheu  zu  Havelberg  eine  Leichen-Predigt  gehalten, 
so  zu  Berlin  im  grauen  Closter  durch  Nicolaum  Volten  gedruckt  und 

ITeiiTi   Küster  wolverdienten  Con  —  Rector  sehen-)  Gymnasii 

(•oiiiiniiiiiciret  er  fast  am  End,  wann  er  kurtz  cherheit 

sowol  junger  als  alter  dic^itMu  Leben  bestraftet,  folgend  —  — — 

gebraucliet:     „In  summa,  spricht  er,  .sind  anders  nicht,  als  die 

Hüner    im    K  Schweine  auf  den   Kotfen,  deim  —  selbst 

immer  »'ins  l)eini  aiKhM  ii  —  -  —  und  wird  doch  gleichwol  von  den  and  

die  essen  immer  für  sicli  wefj^,  simr  wol  und  p^uter  dimr,  bi.s  die  Neige 

an  sie  körnet,  auch  in  dieser  Welt  immer  einer  n:\ch  den»  andern 

daliin  gerückt,  der  eine  sanft,  der  and  und  ist  docli  gleichwol 

niemand,  der  es  achtet,  wenn  einer  zur  Erden  i»estetiget,  so  ist  man 

 mals  fröhlicher,  als  wenn  er  auf  die  Welt  k^nibt."    NB.  Nach- 

hero  ist  er  von  hier  weg  mich  Broddin  unter  dem  Havclbergisclion  Dohm- 
Capitul  gezogen,  woselbst  er  bey  gelialtener  Visitation  die  Formulam 
Concordiae  zum  audermahl  uutersehriebeu.    [Kb.  lööö]. 

9.  Petrus  Pulemann  lö57  —  Johannis  l')!)!»  [ein  Strausberger, 
war  vorher  Cautor.  Nach  Niederlegung  des  Lehi  amtes  scheint  er  Bürger- 
nahrung getrieben  zu  liaben,  das  Scliü.ssregi.ster  von  1Ö7Ö  bewertet  sein 
Grundstück  auf  141)  Schock.    Kb  l.')",!].:») 

in.Thomas  lleutz  Fürsten\v;il(iensisir)r,0_Gl\  [F  M  l^i'Ar.  Heintze.] 
11.  Martinus  Bösicke  Joliaiiuiö  löl)2— 04.    [aus  Zerbst?  Stern- 
beck  S.  119.  Kb. 

')  K1>  ir».'2.  —  ")  An  den  punktirten  Stellen  i.'^t  *1h8  Manuscript  defekt.  — 
^)  Ein  LltuiM  l'ulniaun  wurde  Bürgermeister.  F  M  1570  nennt  einen  Melchior  F., 
1573  einen  Matthaeus  F.,  der  mit  Andreas  Engel  zugleich  inscribiert  wurde.  —  S.  Cftll» 
tovQn  No:  1.  — • 


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Die  Strausberger  Stadtschule. 


27 


12.  Augustin  Wegenn  Strausbergensis  1564—66.  Patricias 
natus  Patre  Jacobo  Civitatis  consule,  qui  nt  in  eius  vita  observavimus 
in  Oderam  prope  Sedimim  snbinersus  ibideniquo  sppultus  est.  [Der 
Vat«r  heisst  in  den  Kb.  immer  „olde  jacub  wedigt  u''.  AVo  Augustin  W. 
stodirt  hat,  habe  ich  niclit  ermitteln  können.  Er  war  musikalisch  und 
versah  das  Organistenamt.j -). 

13.  Thoraas  Schmidt  Spandoensis  1566—71.    [FM  1560.  Kb.l566]. 

14.  Stephanas  Klewitz  1571.  [FM  1594:  Balthasar  El.  Strana- 
bergensU.  Eb.  1671]. 

15.  Fabian  Thieden  Rhefeldenais  Mesomarchicas  1672'-76. 
YocatuB  e  achola  nostra  ad  mimas  Pastoris  in  pago  Wegendorff,  coi 
Qsqne  ad  mortem  praefiiit,  qaa  occnbnit  ao.  1600.  yid.  Notitia  Pastomm 
libro  cnidam,  qui  asservator  in  templo  Wegendorffiano,  inscripta.  [Als 
solcher  hat  er,  ^ie  oben  bereits  bemerkt,  1577  die  Eonkordienformel 
unterschrieben,  mrd  er  auch  im  Beokmannschen  Nachlass  erwähnt 
Er  masB  der  Lehrer  des  Mag.  Andreas  Engel  gewesen  sein.  Eb.  1573]. 

16.  Petras  Tbiden  Strausbergensis  1576—84.  M.  C.  Gottschling 
in  Rebus  Praeceptormn  Neo-Brandenburgens.  p.  10  et  11  de  M.  Petro 
Thiden  sequentia  refert:  IX.  M.  Petrus  Thidenlns  fhit  Reotor  ao.  1685—86. 
Jam  anno  1584  Patrononim  beneficentia  adjutus  Magistri  in  Philosophia 
titulo  honorator:  an  vero  Rector  etiamtanc  temporis  ezstiterit,  certo 
afifiimare  non  possam.  Aliqnotles  posthac  Senatorio  dono  ornatos  legitar, 
cum  Discipulos  actibus  oratoriis  pablice  exercuisset.  —  Er  kam  von 
hier  nach  der  Newenstadt  Brandenburg  zum  Rektorat,  welches  er  auch 
noch  1585  verwaltete;  seine  Ehefrau  hiess  Anna  Beumichen,  so  annoch 
1601  na(  h  seinem  Absterben  am  Leben  war.  Er  hatte  dem  Magistrat 
im  .Jahre  lo8l3  ein  Capital  von  850  fl  vorgestreckt^),  worüber  nach  der 
Zeit,  alss  solche  Post  der  Kirche  zu  Brandenburg  cessirt,  viel  wieder- 
willen  mit  dem  Hath  hierst-lbst  vorgegangen.  [FM  1573.  Er  unterschrieb 
während  seines  Strausber^er  Rektorats  die  Konkordienformel.  In  den 
Beiträgen  zur  Gescliichte  derSaldria,  Brandenburg  habeich  iim  zu 
meiner  V'erwunderun^  verniisst.  Er  muss  1599  gestorben  sein,  denn 
erst  von  da  ab  quittirt  seine  Witwe  über  den  Empfang  der  Zinsen,  nach 
ihr  der  Brandenburger  Rat]. 

17.  Andreas  Engel  Strausbergensis  Patricias  1584 — 86.  Scholae 
Neo-Brandenburg;  Conrector  ao.  1587  inauguratus.  Conf.  ( belehrten 
Lexicon  pag.  164.  Schultz  de  claris  Marchicis  Dissert:  Schlicht  liorariun 
Subsecivar:  Part.  I  pag.  144  sqq.  Güsterus  in  collectioue  Opusculorum 

*)  Von  defartigtD  Arbdtmi  Htnnderimaiks  iit  nielite  im  ArobiT  ta  fladen.  — 

")  Kb.  1565:  .,1  scliock  42  gr  dem  Schulemeister,  das  er  das  positiff  an  den  beigen  gebcflaeit 

vfi'l  ein  ppgitter  ilruinb  gctiiarht  lisift,"  —  Steht  in  dem  AiitenstOck  „Kchnldonwerk 
des  Ratha"  verzLnciinet  --  Kin  Petrus  Tliitien,  ytruusbergentiia,  ist  1584  in  Wittenberg 
immatrikoUrt  worden,  (WM,  ed.  Friedländer  U.)  daa  ist  wohl  sein  Sohn  gewesen?  — 


28 


B.  Seiffert: 


Histo riain  Marchicam  illustr.  P.  1  pg.  19.  —  NB.  Er  hat  nacli  seinem 
selbstoigenen  Zeugniss  in  Talmla  Genetbliaca  0  Jahr  lang  an  der  Schule 
zu  Sti'aussberg  und  in  der  Neuenstadt  Brandenbui'g  gestanden.  Ab 
anno  lö92Inspe(  t()r  Strausbergensis  dioecesis,  pe.ste  obiit  1 598  d.  9.  Augusti. 
[FM  1573  depositus  non  iuratus,  postea  iuravit.  Bevor  er  1592  das 
Strausber^er  Pfarramt  antrat,  war  er  einige  Monate  als  Hülfslehrer  am 
(Jymuasium  zum  grauen  Kloster  in  Berlin  thätig^).  —  Als  14  jahriger 
Knabe  verlor  er  Eltern  und  Geschwister  durch  die  Fest  und  scheint 
infolgedessen  eine  beträchtliche  Erbschaft  angetreten  zu  haben; 
wenigstens  gehörte  auch  er  zu  den  Gläubigern  des  Rates,  welchem  er, 
wie  Thieden,  350  fl  lieh.  Über  seine  Persönlichkeit,  besonders  aber  seine 
Bedentang  ids  mftrkisoher  Qironist  wird  eine  dernnftchst  in  der  Branden- 
bnrgia  efschüntnde  Arbeit  des  Herrn  Oberlehrer  Pieper-Berlin  sieb  des 
Mehreren  verbreiten,  welcher  vorzugreifen  ich  keine  Yeranlassong  habe. 

—  Sein  Grabstein  steht  rechts  hinter  dem  Hochaltar,  s.  oben  8.  22. 

18.  Matthias  Schlichthawer  Lichensis  1586.  [FM  1580 
M.  Schlichtoveros]. 

19.  Joachimns  Westphal  1587—91.  (Stottinensis  nach  FM  1582]. 
Conf.  Gelehrten  Lexicon  pg.  1522.  NB.  Im  Jahre  1600  hat  dner  dieses 
Nahmens  als  Prediger  xn  Voltskendorff  und  Polcho  anter  dem  Alt  Stetti- 
nischen Arobte  gestanden,  welcher  bey  dem  Leichbegängniss  Herrn 
Johann  Friedrichs,  Hertzogen  in  Ponmiem,  mit  za  grabe  gefolget,  wie 
die  Leichpredigt  beEenget*). 

20.  Elias  Elettenberg  Straasbergensis  1591—93.  Natas  patre 
Jacobo  Eoelesiae  nostrae  Diacono.  [FM  1578  non  inravit]^.  Anno 
1593  d.  21  Jnnii  vocatnr  ordinatnrqae  Diaoonns  Freyenwaldensis,  id 
quod  docent  Indices  Ecdesiastici  Berolin:  ad  Divum  Nicolai  de  hoc  anno. 
Praefuit  ibidem  huic  muneri  nsqae  ad  annum  1598. 

21.  SebastiannsLnckow,  Alagdeborgensis  159ä— 95.  (FM  1590: 
Lacke]. 

22.  Mag.  Hieronymus  Schiukopff  1595 — 98.  Gebühren  zu 
Gotha  in  Thüringen  ao.  1565.  Sein  Yater  war  Hier.  Schinkopff,  ein 
wolangesehener  Bürger  und  Riemer  daselbst.  Er  legte  in  dem  Gymnasio 
seiner  Vaterstadt  unter  dem  damaligen  berülunten  Rektor  Wilken  den 
Grund  zum  Studieren  und  zog  ao.  1587  auf  die  Universität  Wittenberg, 
woselbst  er  folgenden  Jahres  ölfentlich  zum  Magister  Philosophiae  creiret 
wurde.  Ab  anno  1598  Joliannis  diaconus.  [Als  solcher  blieb  er  bis 
lt)17,  doch  wegen  heftiger  Zänkereien  mit  dem  Inspektor  Andreas  Püttius, 

*)  Heidemann,  Gesch.  des  grauen  Klosters  zu  Berliu  S.  13] ,  nennt  ihn  unter 
den  KoUegen  des  Jahres  1691.  —  *)  Kb.  1687:  „des  newen  sebnhneigtera  geretlein 
Ton  franckfurt  geholet. "  —  ■)  Sternbeck  8. 100  bemeriEt,  dass  nach  dar  Notis  Kb.  1586 

—  die  Rechnungsakten  l^Tü— S'C  fehlen  jetzt  —  diesem  Elias  Kletteiibcrg  eine  Summe 
Geldes  zur  Beförderung  seines  Studiums  vom  Batbe  geschenkt  worden  sei. 


Die  8tniiftb«rg«r  Stadtiehnla. 


29 


die  besonden  um  1612  zn  Beecbwerden  nnd  weiÜ&iifigeii  Untersudiimgen 
ffthrteii,  legte  er  1619  sein  Amt  nieder  mid  übernahm  die  Pforre  in 
Jahnsfelde  bei  Mfincheberg,  wo  er  hochbetagt  starb.  Eine  seiner  Töchter 
war  mit  dem  sp&teren  Rektor  Winzerling  verheiratet]. 

23.  Martinns  Campen  Straosbergensis  1598—1604.  [FBC  1583 
depogitns,  inravit  1592]  postea  1609  in  Magistratnm  reoeptns,  ab  ao.  1610 
jndBK,  1613  consnl,  ao.  1627  obüt^. 

24.  Joachimns  West hovins Perlebeigensis-HiarchicnB  1604—10. 
Katns  1580,  zog  ao.  1601  anf  die  UniTersitat  Frankfort  [FM  1601],  wo- 
selbst ihm  der  Magistrat  die  Yocation  zuschickte.  Wurde  1610  zum 
Fredigt-Ambt  nach  Grossen  Macheno  und  Gramsdorff  von  denen  Herrn 
von  Flanssen  beruffen. 

25.  Ambrosias  Hoppe  Straosbergensis  1610-13  [FM  1590], 
deinde  pastor  in  pago  vicino  Kehfelde,  wo  er  bald  darauf  starb 

26.  Laurentius  Enstachius  Palaeo-Landsbergensis  161B — 15, 
deinde  pastor  vocatus  in  pagum  Petersliagen  et  Eggersdorf  usqne  1644, 
quo  morte  abiit  [d.  8.  Januar*)]. 

27.  Martinns  Lisegan«:  Spanduvionsis  IfJIo  [FM  l()04;  M.  Leisen- 
gangus  Don  inravit],  desinit  1616.  Anno  [1616]  ad  munus  Concionat: 
in  pago  Wegendorff  prope  Palaeo-Landsberg  vocatus,  cui  adhuc  1628 
praefait. 

28.  Georgias  Rülichius  Teniplint'nsis  1616  [FM  16UI  non  inravit 
per  aetatem,  dann  1615].  1617  ad  pastoris  munus  vocatus  in  pagos 
Hohenlinow  et  Tornow. 

29.  Petrus  Arn isaous  sive  Arent^jehe,  \Vi  itzijnsis  1617  [FM  1611], 
\<>catus  e  schola  Kuppiueusi,  eodem  anno  munere  se  abdicavit.  Kenuu- 
ciatus  hoc  eodem  ao.  1617  Pastor.  [Wohin?  Sterubeck  S.  IUI  meint, 
nach  Wriezen]. 

30.  Erne.stus  Hettlingius  1618  [FM  16U1:  David  et  Ernestus 
Herlingk  Mittenwaldeuses  per  aetatem  non  iurarunt]  de  sehola  [»atria 
Mittenwaldensi  vocatus,  die  20.  Mart.  introductiis  ).  Patriam  atque 
parentem  ejus,  Virura  ibidem  Consularem,  Mag.  Xitol.  Ticutliinger ' ) 
Conimentar:  üb.  LYI  praedicat  sequenti:  ,Mitteii\valduni,  civita.s,  nostris 
studiis  benigno  at<[ne  amice  favens,  in  ((ua  David  Hettlingius  Consul, 
omnium  studiorura  Patronus  et  Mecaenas,  ex  antiqua  et  nobili  Hetlingo- 

')  Siehe  auch  Ahschnitt  III.  —  *)  Perlitz:  ,.Au8  diesem  angehängten  —  ins  kann 
man  ersehen,  daas  hier  die  Zeiten  eintreten,  wo  man  sich  durch  solche  SUbenundung 
ein  gelehrteres  Ansehen  geben  irollte''(l).  —  *)  Ein  Ratsherr  Casper  H.  starb  1001.  — 
*)  Kseh  dem  Aidisag  des  Bedcnuuinschen  Nachlasses.  FM  1682  nennt  einen  OhrisÜ* 

anns  Eustachius  PalaeoIsadsberga-MarchicuH,  non  iuratua.  —  ')  Eb.  1618  erwähnt 

die  .Tntroducirung  des  neuen  Rectoris  Annisaeus"  und  Hnttinpiiis.  —  Einem 
Magister  Balthasar  L.  verelirt  der  Hat  nach  Kb.  1595  ein  Cieldgcschcuk,  „das  er  dem 
Käthe  etwas  gediuckts  liatt  zuguscliriebeu' .  Solche  Dedicationen  regnete  es  damals 
fOnnUch.  —  S.  aodi  S»  88  Anm.  4. 


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30 


B.  SfliffurC: 


mm  in  Helvetia  famOia,  cajos  etiam  Mnnstenis  memimt,  oriimdiis,  cam 
amplissimo  Senatoram  aetema  lande  dignissimonmi  ordine  hoc  agit,  at 
Inntriiim  effloreat  in  secnra  felidtate,  crescat  in  felici  augmento,  in 
conaervata  gloria  persistat  Semper  ex  omni  parte  beatnm  et  jnia  Deo 
grata  atqne  jncnnda  dvibnsqne  saintaria  procedant.  loc.  eil  pg.  53. 

31.  MarcuB  Blesendorpb  1618—22.  Natns  in  Praefectora  — 
anf  dem  Amt  und  Hansa  -~  Wantskow  sita  in  Dncatn  M ecUenlnirgiGO, 
Pfttre  Georgio,  Pastore  animarom  ibidem  fidelissimo  [FM  1602:  Israel 
et  Marcüs  Bl.  Neobrandenbnrgenses  fratree,  pneri  non  iorarnnt].  Anno 
1615  d.  29.  Jnlii  nomen  sunra  dedit  Academiae  Wittenbergensi  in  eaqne 
stodiomm  cnrsn  feliciter  absolute  ad  mimus  Rectoris  Straosberg:  vocator, 
quod  cum  per  quadriennium  fidelissime  administrasset  —  desinit  anf 
Marien  1622  —  [scheint  er  das  Amt  des  kurfürstHchen  Ziesemeisters 
erhalten  zü  haben],  in  consulem  Civitatis  1632  eligitur,  1635  camerarins, 
1636  judex,  1639  consul  dirigens,  eodem  anno  obiit*) 

[Von  ihm  sind  noch  folgende  Schriftstücke  im  Archiv  erhalten: 

a.  Gedruckte  Bescheinigung  des  Rektors  der  Frankfurter 
Universität  Setsems  fiber  Biesendorfs  anf  Grund  einer  Prfifnng 
erfolgte  Immatrikulation: 

Rector  Academiae  Francofortanae  (Hiereroias  Setserus, 

Philosophus  et  j.  a.  Doctor,  nec  non  Institutionum  Imperialium 
Professor  Ordinarius  p.)  '•')  Omnibus  hasce  lecturis  et  auduris  [sie!] 
salutem.  Ut  qnos  ad  laborem  et  periculum  accipiunt  castra,  non 
passim  aut  temere  oblatos  adsumunt,  sed  fastidiose  legunt:  sie 
quos  ad  disciplinam  et  vitae  hamanioris  cultuni  Musae  sascipiunti 
probari  primum  a  Magtstris  volunt:  nt  accepto  indolis  idoneae 
et  tolerantiae  symbolo  in  namei*os  Phoebeiorum  militnm  referan- 
tur.  Atque  eo  quidem  consilio  ritas  initiationis  sacroruni  litera- 
riorum  non  ea  levitate,  (pia  plerique,  nimis  leviter  ctnisent,  a 
sapicntissimis  receptus,  a  gravissiinis  probattis,  a  doctissiniis  et 
studiosissiinis  iisuri)atus  est,  ut  in  nostra  quidein  Academia, 
siciit  fen'  in  (juihiisvis  optime  constitutis  alijs,  jura  Universitatis 
nemiiii  per  dcpositionis  —  ut  vocant  —  exainen  iion  probato 
cominunicontur.  Cum  vero  apud  nos  etiam  (Marcus  Blesendorflf 
Neo-Braii(lrliiirgüusis)  examirii  isti  so  subieei'rit,  et  non  coutem- 
nendum  ini^vnij  et  doctrinae  spccinifn  pro  aetatis  couditione 
ediderit,  in  civiuui  uostrorum  censuni  ouni  adscrijisimus:  et  jura 
illi  a  .siimmis  priucipibus  concessa  sciontos  pi  udentesque  communi- 
cavinius.   Quod  iudicio  praesentium  omnibus  testastum  cupimus: 


*)  Nach  einem  von  Bürgermeister  Andreas  fijcbuflter  (f  mit  dem  Motto 

„Supra  crepidam  sntor  ne  jodioei''  begonnenen  YeneidiniB  der  ^MAapmmtm,  weld^es 
Perlita  gerettet  bat.  —  ^  Pm  hi  ()  Stehende  ist  geacfarieben.  — 


Die  Stratiflbeiger  Stadtodnde. 


31 


quas  pleniorU  fidei  causa  Rectoratos  nostri  sigillo  confirmanimas, 
datas  Francofiirti  ad  Viadram  Mense  (Maiüo)  Die  (20.)  Anno 

(1608)« »). 

b.  Matrikt'l  von  der  Universität  Wittenberg: 

„Acadeniiao  Wittcbei'gonsis  Recton;  Valeutino  (iiiil;  Forstero 
J.  U.  D.  et  Protess;  |»nh!ir(».  Nomen  suum  lep:itinif  iirofcssus, 
nuinero  disceutiuiii  doctriimm  coelest^m  et  artes  Ilcclesiae  vitae- 
que  hiinianae  uecessarias,  postqnani  obedientiain  legibus  Acade- 
•  •  miae  sancte  praestandam  proinisisset,  ad8crij)tus  est  (Marcus 
Blesendorphius  Neobrandeburgo  -  Megalopolit:)  Id  (|Uod  literis 
hisce  Academiae  sigillo  pnblico  nmiiitis  testanuir,  quae  dabaiitur 
Wittebergiae  die  21)  niensis  Julij  Anno  a  uato  Christo  MDCXV". 

c.  Ein  Zeugnis,  welches  ilim  der  Rat  über  seine  vierjährige 
Wirksamkeit  im  Rektorat  ausgestellt  hat: 

,,\yir  Bürgermeister  vndt  Rahtmaone  der  Stadt  Straussl>ergk 
Geben  mit  entbietang  vnser  Schuldigen  ynd  geflissenen  willigen 
Diensten  Allen  ynd  Jeden  dieses  offenen  Brieffes  Ansiehtigen, 

woUmeineudt  zuuernehmen,  Das  vor  vns  bey  versambleten  Rahtte 
erschienen  der  Ehrbar  Wollgelerter  Ehr  Marcus  Biesendorff 
itziger  Zeitt  vnser  J^cliuelen  Rector,  berichtende,  wie  ihme  zur 
vorstehenden  veihoHten  gelegeidieitt  srhrill'tlicher  Schein  seines 
Wandels  vnd  verlialtens  bey  vns  vonnötten,  Denselben  ihiiie  vFiter 
Vüseru  Stadt  Siegell  mitzutheilen  fleissiß:  gebetten,  Wau  nun  an 
dehme,  das  wir  vor  vier  .laiiren  liey  erledigtem  Kectorat  vnser 
Schneien,  wolbenanten  Marciini  Jilesendorff  eines  Pfarhern  Sohn 
zur  Wantsche,  auff  voriienier  Leiitte  Commendatiou  vociret,  der 
sich  auch  dazu  bestellen  vnd  biss  dato  gel>rauchen  lassen,  seine 
aubeuolene  discipnlos  mit  reinem  ( iotteswortte  vnd  in  freien 
Ktlnsten  fleissig  intbrmiret,  sich  •»fitere  in  Predigen  Exerciret, 
auch  sonst  fromb.  Ehrbar  vnd  friedtsamb  erwiesen,  also  das 
mau  sich  vber  ihme  garnicht  zubeschweren,  sondern  do  es  seine 
gelegenheit  were,  Ihn  lenger  bey  vnser  Schneien,  auch  woU,  wo 
es  nott,  am  Predigtampt  gerne  befördert  sehen  möchten,  Der- 
wegen  weiU  wir  die  vnserigeu,  vornehmlich  die  wolbedienten, 
SU  ihren  Besten  subefordem  so  schuldig  als  geueiget,  haben  wir 
ihme  solch  begehrte  Testimoninm  gönstiglich  mitteilen  wollen, 

Gelanget  demnach  an  alle  vnd  Jede  Steude,  erfönleriing 
nach,  so  mit  diesem  vnserm  offenem  Schein  ersuchet  werden 
möchten,  vnser  dienst  vnd  fleissiges  Pitten,  dieselben  wolten 
diesem  vnserm  Schein  wahren  glauben  zustellen,  Ihme  vor.andem 

'}  Anch  die  Hatrikd  fttr  Beinen  Bmder  Inrael,  v<m  gleichem  Datam,  ist  erhalteb. 


^  ij .  .-Lo  Ly  Google 


32 


alle  günstige  befördemiig  Vorschub  yndt  Aufüiahme  erweisen, 
Tnnd  dieser  vnser  Intercessionsclirifi't  ^)  einpfindlicheD  geniessen 
lassen,  Dasselbe  wollen  wir  vmb  einem  Jeden  in  dergleichen 
ynd  andern  fällen  zaerwiedem  geflissen  sein, 

Uhrkundtiicb  .  .  .  Aetom  Siranssbevgk  am  26.^  Septombris 
Ao.  621.  — 

d.  Eine  Salvagnardia^  vom  6.  November  1637  „f&r  S.  Ch,  BchL 
Ziesemeistem,  wie  anch  Richtern  der  Stadt  Stranssbeiffk  Marcoss 

Blesendorffen  Man  soll  in  bemeldtes  Zlesemeisters  .... 

Behansnng  kein  Quartier,  es  geschehe  anf  wass  Weise  vnd  vnter 
wass  praete3ct  es  wolle,  nehmen,  ihn  anch  mit  vnreohtmässiger 
Contribation,  exaction,  Brandschatsnng,  Plaggerey,  Plünderung, 
Begehmng  einiger  An-  vnd  Yoispannnngen,  viel  wemiger  Ab- 
nehmnng  der  Pferde,  Viehes,  Getreydichs,  vnd  andrer  Mobilien, 
weder  vor  sieh  selbst  keinesweges  beschweren,  noch  andern 
solches  zuthnn  gestatten,  sondern  ihn  vielmehr  hierbei  vnd  damit 
er  die  ihm  anbefohlene  dienste  vnpertnrbiret  vnd  in  Frieden  be- 
stellen möge,  schützen  vnd  handhaben  

B.  Baccalaurei,  Cantores  1566—1624. 

1.  Pt'trus  Pnlmanu,  1556  vocatus  auf  Ostern,  suocessit  ao. 
.se(iueuti  Freitags  nach  Oatharinen  Martine  Gnewickow  in  Reotorata 
[Bekt.  % 

2.  Martin  US  Sieben  Bernburgensis  1564  [FM  1552]  desinit  ao. 
1566  Fest.  Michael:  conf.  Gelehrten  Lexicon  pg.  1055.    [Kb.  1564—66]. 

M.  JacobusBrabaut  1566  Fest.  Mich,  vocatos  desinit  ao.  seqn. 
Fest.  Mariae  Annunc.  [Kb.  1507],  quem  sequitor 

4.  Thomas  Schroedcr  Strausbergensis  1567  [FM  1561J  qulFest 
Job.  huj.  anni  desiuit.  Eodem  tempore 

5.  Kr  asm  US  .SchustfMMis  löf')?,  desinit  1572  [wurde  dann  1573 
Stadt^clireiber,  trieb  auch  Braunahrung  und  versah  1574  noch  das 
Oi'ganistenamt')  Kb.  1567—71]. 

6.  Laurcutius  Horn  Pesnicensis  [FM1Ö67]  1572  Simonis  et  Jude 
accessit,  ao.  se»].  desinit.    [Kb.  1572]. 

7.  Jacob  US  Schwartzkopf  f  Bricensis  [FM  1567]  1573  vocatus 
Annune.  Mar.,  desinit  1574  Fest.  ann.  Marie.    [Kb.  1573]. 

S.  Jacol)Us  Dirberg  1574. 

0.  David  Schmidt  Nauwensis  1576.  [FM  1574:  non  iuravit,  dedit 
nihil,  pauper  et  miser;  unterschrieb  1577  die  Konkordienformel.   Es  ist 

0  Fflrsprache,  Empfeblungsbriet  *)  Schntsbrief,  Geleitabriet  —  *)  Kb.  1674: 
„1^  fl  fön  Oigeböhlagen  auf  ein  vierte  Jahv  Aamiis  schiuteri  ynMOg  alter  flehnele- 
meister".  — 


Digiti^üG  by  Lj^jy-^L'^ 


DI«  StaMubMgar  Stedtoidniltt. 


33 


nicht  eruchfÜGb,  ob  er  bis  1686  im  Amt  geblieben  oder  eine  Vakanz 
des  Gantorats  eingetreten  ist]. 

10.  Petrus  Hoppe  ADgermuDdensis  1586—93'). 

11.  Bartholomaeus  Andreas  [Strausbergeiisis,  FM  lö',)l]  lö^Ji, 
desinit  1594  Crucis,  quo  anno  Pastor  Eccles.  Gartziiieusis,  Diacouu.s 
Ecclesiap  Strausbergeiisis postea  1603  Bucoviensis  conatitutus  est, 
postea  pastor  ibidem  et  vixit  adliuc  lOlT. 

12.  Matthaeus  Kindt  Strausl).Mf?ensis[FM  159l>J  1594— 118.  [Jm 
Sterben"  wurde  er  zum  Subdiaconat  befr»rdert,  aber  l)ereits  IIUJÜ  wegen 
eines  Exeesses  beim  Abendmahl  seines  Amtes  entsetzt.  Später  bekam 
er  die  Pfarre  in  Prädickow] 

13.  Paulus  Wo  de  II  11  Solt  vvcdelensis  1599 — KiUl.  Er  wurde  von 
hier  nach  Berlin  als  Baccalaureus  des  Gyninasii  im  p:raueu  Closter  be- 
nifen,  alwo  er  an  die  30  Jahre  gestanden  und  endlich  ao.  lliiiU  d.  14.  Juny 
gestorl)en  und  daselbst  in  der  Closterkirche  begraben  worden.  S.  Kirchen- 
Register  zu  St.  Nicolei,  item  Murt.  Diterici  Berlinische  Kloster-  und 
ScUolhistorie  pg.  359  [und  lleidemann  a.  a.  0.  S.  140]. 

14.  Ambrosius  Hoppe  Strausbergensis  [FM  1590]  1602—10» 
deiade  rector  [Kekt.  25]. 

15.  Joacbimus  Hesse,  natus  Gardelegiae,  vocatas  e  cantorata 
Neostadio-Eberswaldensi  bnc  ad  idem  mnnns  iöiO,  mortans  ao.  seq.  1611 
die  15.  Jannarii. 

16.  Johannes  Götzke  Strausbergensis  [FM  1602]  1611  [starb  an 
der  Pest,  Stembeck  S.  104]«). 

17.  Georgine  Willebrandt,  Leontinos-Marchicns,  accessit  1611 
e  Francoiurto,  seq.  ao.  mens.  Mari  avocatos  hinc  Perlebergam. 

18.  Casparus  N.  1612,  eodem  anno  a  mnnere  remotos  —  ent- 
mrlanbet  —  per  Oonsnles. 

19.  Jacobns  Bier,  Boetzensis  videtur,  lölS-^H.  Ist  vielleicht 
ein  Sobn  Joachimi  zn  Berlin  1596  oder  Bartholomei,  Predigers  zu  Stendal 
and  Borstel  nnter  Tangermünde  1600. 

20.  Ambrosius  Müller,  latme  Mylius,  Navena-Marchicus,  lf)14, 
abüt  Joh.  H)i7  Neoruppinum  ad  Cantoratum,  cui  et  adhuc  anno  1619 


')  FM  15-'^4  enväbnt  nur  einen  Lucas  II.  ;uih  AngerniHnJe.  —  *)  AnfFallender 
Weise  fehlt  B.  Andreä  in  der  Keibe  der  Strausberger  Diucouen,  sowohl  bei  Perlitz  als 
bei  Btombeck ;  auch  Beckmanns  Naclilasa  nennt  ihn  nicht:  ich  möchte  die  Hundert- 
nukadra  NMluri<dit  al«  die  snverlUaigere  beibehalten,  da  Pmiits-Sterabeek  ancb  sonat 
IrrlGmer  in  Peraoiialfragcn  begehen.  —  •)  Beckmanns  Nachlass.  —  *)  Seine  !Matter, 
die  Witwe  des  Diaconas  Gcoiirins  Götzke  B/Uzoviensis,  dessen  latciTiiscbe  Onlinations 
urkonde,  Frankfurt  d.  12.  Is<)vl)r.  15^1,  im  Arehiv  erhalten  ist,  scheint  nach  Strausbeig 
dbergesiedelt  zu  sein.   FM  1G09  führt  einen  Andreas  G.  aua  Strausberg  auf.  — ■ 

A.  8 


34. 


euin  pniefuisse  docet  Fridericus  Baxe  in  labilaeo  Ecclesiae  re.sonant; 
Scliola  Kiiji|.imMis:  ])i>;  211  §  14,  immo  adbuc  ao.  Iü27  superfuit,  quod 
probat  cannen  ab  i|)SO  confectiiin. 

l^K  Jobaiinps  Wagnerus  e  scliohi  l'(»ntaiia  1617 — -'2. 

22.  iJaiiicl  Ii  olle  e  scliola  Buckowieusi  11)22 — 23  [war  s])ater 
Bositzcr  (It's  FiHMliaust's  am  Kloster  iiiid  hatte  woj^oii  der  ihm  aufge- 
bürdeten l\  1  i(  uxlastcii  viel  Streit  mit  dem  Kate.    cf.  Steriibeck  S.  lUö]. 

23.  Barth  uld  US  Brau  dt  iü23 — 24,  vocatus  ex  Belitz. 


Um  einen  Anhalt  fär  die  Beurteilung  der  Frage  zu  gewinnen,  ob 
denn  nnii  die  Sdiule  dieser  Periode  etwas  geleistet  habe,  lasse  ich  als 
zuverlässigsten  Massstab  du  Yerzeichnis  der  Strausberger  Schfiler  folgen, 
welche  nach  beendigter  Vorbildung  in  den  Jahren  1544»  1626  auf  die 
Universitäten  Frankfurt  a.  O.  und  Greifs wald  gezogen  sind. 

1.  Frankfurter  Studenten  aus  Strausberg  [nach  FMJ  1544 — 1622. 

1544:  Joannes  Seei^ei-.  p.  at-t.  iuramentum  n«m  praestitit. 

1549:  Andreas  Korthe  [s.  Hekt.  2,  £in  Hans  Kouhe  war  1^)37  Rats- 
herr; der  regierende  Bürgermeister  Paul  K,  starb  1549  an  der 
Pest]. 

1552:  Joannes  Boel.  Steiihanus  Strenger*)  [nach  Beckmanns  Nachlass 

lölil) — 77)  Pastor  in  Rüdersdorf,  wo  er  starbj. 
ir)(')l:  Thomas  Schröder  [Kant.  4]. 
löOO:  .Toarhimus  LevenVieri^k.    Bartholomeus  Klein. 

1507:  Petrus  Schutte  (wohl  ein  Solm  des  ersten  lutherischen  Diacoims 
und  nachherigen  Pfarrers  Matthäus  Schütze,  der  1563  starbj. 
Blasius  Bodicker. 

15('>H:  David  Fabricius  ])auper.  Thomas  Behi-ebohm. 

1501):  Martiuus  Faltricius. 

1570;  Melchior  Piilemann  [s.  Rekt.  '.).  Ein  Johaini  Pulinann  war  151)5, 
ein  llans  Fulmann  1575 — 151IH  rej^iereiider  Bürgermeister],  l'etrus 
Metkow.  Beuedictus  Wiprecht  lEin  Bürgerm.  Mattheus  Wiprecht 
starb  lljOlj. 

1571:  Otto  Schutz,  ])uer,  iuiavil  et  cuniplevit  prorectore  Origano  lOlKiQ 
[Sohn  des  .Stadirichters  Martin  Schütze,  der  1(jü8  als  Bürgermeister 
starb]. 

1593:  Valentinus  Henkel. 

1573:  Andreas  Engel,   non  iuravit   [Rekt.  17j.     Augustinus  Gorus. 

Mattihaens  Pulmannus.  Petrus  Thiden  [Rekt.  16]. 
1574:  Martinus  Wiprecht  Petrus  Andraeas.  Petrus  Wernitins. 

M  Die  FM  bat  die  beiden  Eamiliennamen,  wohl  Teraebentlich,  mU  einander 
vertai}flcbtt  — 


Die  Strausberger  Stadtscbale. 


35 


1575:  Tliobias  Andreas.    Joachimus  Lintholtz    [Sohn    des  Bürgerinst 

Andreas  liintholz]. 
1577:  Mattheos  Dregerus  [cf.  Bekt.  7]. 

1578:  Valentiiiiis  Belendorf.   Tobias  Barne.   Elias  Elettenbergk,  non 

iuravit  [Rekt.  20]. 
1579:  Thomas  Metsdorff.  Ohristophorns  Pincerna  [s.  zu  Rekt.  4]. 
1581:  LanrentiiM  Vos.  Jacobns  Gericias  [Walff  Oerieke  1544—75  BOrger- 

meister],  iuravit  1591. 
1582:  NicolaDS  Gericins  [wurde  1603  Ratsherr,  1604  Bflrgermeister  und 

starb  1613]. 

1683:  Martinfis  Eumpen,  iuravit  ao.  92  [Rekt.  23].    Andreas  Lam. 

Jaoobns  Hofman  [s.  auch  oben  unter  Tertiani]. 
1584:  Andreas  Pauli.  Abrahamus  Geritins.  Jonas  Meizdorff. 
1586:  Wol^ngns  Schrdtems  [cf.  Kant  4]. 
1587:  Adamus  Praetorius. 
1588:  Andreas  Flotener. 
1590:  Ambrosius  Hoppe  [Kant  14.  Rekt  25]. 

1591:  Bariilolomeus  Andreas  [Kant.  11;  die  Familie  Andreas  war  reich 
und  angesehen;  Jeremias  war  1596—99,  Antonius  1599 — 1600, 
Tiucas')  1004—14  Bürgermeister]. 

1592:  Mattliaeiis  Wiprecht    Matthaeus  Kindins  [Kant  12].  Martinus 

Geritius.    Bartholomaens  Liibenaw. 
1593:  Andreas  Schmit.    [Andreas  Fabriciiis  1606  Ratsherr,  starb  1626 

als  Bürgermeister].    Matthias  Lindebergins.  — 
1594:  Balthasar  Klovitz  [s.  zu  Rekt.  14].    Petrus  Tragerus.  Andreas 

Grosskopf.    Daniel  Riitenig.    Joachimus  Tegeloffms. 
1505:  Georgius  et  Joannes  Laiiib  fratres  [Job.  Lambinus  KUKJ  Kämmerer]. 
1596:  Petrus  Hannovins.    Matthaeus  Roseuthal.    Jacobos  Schusterus 

[Sohn  des  Krasmus  Sch.  Caut  ö  ?]. 
1599:  Ertmaiiniis  Kan. 
Ifi(X):  Jacobus  Haube.   Georgius  Andreas. 
lOOl :  Christopliorus  Schmidt. 

16U2:  Martiüus  Ilencejus.  Jacobus  Mattheus.  Joannes  Götzke,  complevit 

et  iuravit  ao,  11)07  [Kaut.  IB]. 
ir)ü3:  Casparns  Tliidenius,  iuravit  KJll  [s.  z.  Rekt.  Iß], 
li){\4:  Georgius  Hasse.  —  KiUÖ;  Erasmus  Geritius,  iuravit  lt)i4. 
1(>Ü8:  Joachimos  Spiegelbergias.   Andreas  Neander. 

')  Beckmaim  NachL:  „Dieser  bat  dem  Inspector  Sebastian  Frlediielk  viele  imbes 
tenebricoMS  erwecket,  anoh  tanqaam  importona  Bana  mit  seinen  aculeods  ao  Viperlds 

Dicünncnlis  endlich  so  weit  gebracht,  dass  er  1607  ab  ofAcIo  ronioviret  worden.  Dem 

Bürgermeister  aber  ist  poena  talinnis  widt'rfahren ,  indem  er  wieder  von  seinem  Amte 
deg^adiret,  und  endlich  sein  Keichthum  zerronnen  und  in  grosser  Armotli,  da  er  sich 
fast  das  Brot  erbetteln  müssen,  gestorben''.  — 

8» 


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B.  Seiffert: 


lß09:  Andreas  Götzke.  —  UilO:  Jeremias  ADdreas.  —  1611:  Joannes 

Nicolaus. 

1614:  Petrus  Ludicke,  non  iuravit  propter  aetatem.  [1623—38  Diaoönns, 
dann  bis  1658  Pfarrer  und  Inspector.  Sein  BÜd  hängt  in  der 
Sakristei  der  Marienkirche  mit  der  Inschrift:  Est  et  erit  in  Deo 
Christo  spes  et  salns  mea].  Joannes  Setiems. 

1615:  Georgias  Fabricius.  Christiamis  Fiibriiius,  non  iuravit  [Rekt.  85]. 
Simon  i'asclia.  [Bendix  Pascht',  seit  1608  im  Rath,  starb  1615 
als  BürgernicistiT].    Bartholoinaeus  Lange. 

1618:  Abrahamu.s  SorodHi-us.  [ßartliol.  Schröder  161U  Ratsherr,  1()2T 
Bürfj^t'niu'istcr.  |m  st«  obiit  den  [).  Okt.  1687].    Joachiinus  Liudow. 

1611):  Matthäus  Kindt  [s.  zu  15H2].  —  1620:  Abrahanius  Golpius. 

1621:  Elias  Lemmichius.    Jacobus  Fabricins  [s.  sa  1Ö93J.  Thomas 

Hulsekoppius. 
1622:  Matthaeos  Dabercovius.  Jobannes  Scoltetus. 

Im  ganten  92  Studenten,  die  auf  80  Jahre  zu  verteilen  sind,  — 
eine  stattliche  Zahl,  ein  Beweis  ftir  den  Wohlstand  vieler  städtischen 
Familien  und  das  frische,  freudige  Streben  nach  Bildung,  zu  deren 
Förderung  die  Lehrer  an  der  Schule  nicht  wenig  beigetragen  haben 
müssen  >). 

2.  Greifswal  der  Studenten  aus  Strausberg. 

Die  Greifswalder  UuiversitiitsinatrLkd  nennt  aus  diesem  Zeitraum 
nur  zwei  Stiausberger-),  1()21:  Martinus  Abiahaiiius  Goltze  ^trutiuuion- 
tauus  und  1<>2I):  Zacharias  Schuitze  Struutsbergensis,  gratis  iuscriptus 
et  quia  puer,  non  juravit 


in.  Die  Schule  wUirend  des  SOjahrii^eii  Krieges. 

Die  trübseligen,  folgenschweren  Zeiten  des  d  reissitrjährigen 
Krieges  beginnen  für  StiMusWcig  mit  dem  daiire  ItiL'C).  Welch  grosses 
Elend  damit  über  die  unglücklichen  Einwohner  hereingebrochen  ist,  lässt 
sich  mit  ein  paar  Worten  nicht  schildern;  um  des  Jammers  ganze  Grösse 


')  Wahrend  dieser  Zeit  studierten  dort  ans:  Bernau  225,  Buckow  fvO,  Ncustadt- 
Eberswalüe  U3  —  die  Matrikel  Itost  aber  nicht  erkennen,  wieviel  davon  auf  Neu- 
stadt «.  D.  und  Neoatadt  L  8cbL  entbllen  —  Ereienwalde  48,  Alt^Landsberg  6,  Manche- 
beig  97,  Sedow  38,  WiieMo  —  dnselü.  Trcaeabri«tsea?  —  IM,  den  DOfllem  dM 

Oberbarnim  49,  den  adligen  Familien  v.  Barfuss  0,  v.  Krummensee  6,  Pfnal  14| 
V.  Röbel  11.  —  ')  Aus  Bernau  4,  Wrieren  3,  Freienwalde  6,  den  andern  genannten 
Orten  p.  keinen.  —  Die  Wittenberger  Matrikel  I,  l.")0-2-<in,  nennt  uu8  Benum  11, 
Alt  Landäberg  1,  Müncbeberg  1,  Wriexen  2,  Bollensdort  I,  liruuow  1.  — 


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Die  Struisbeiger  SUdtocholo. 


87 


zu  verstehon,  bedai-f  os  einor  gründlichen  Yertit'fung  in  das  Aktoilr 
material,  das  jenen  traurigen  .Jahrzehnten  entstammt'). 

Infolije  der  ^erlitttMien  vielfaltigen  Durchziiere,  Märchen,  Einquar- 
tierungen und  Plünderungen,  Contrihutionen  und  Exactionen"  wuchs 
die  Not  von  Jahr  zu  .Tain',  wurde  der  Verfall  immer  fühlbarer  und 
gewisser  und  die  Bevölkerung  zur  Verzweigung  getrieben.  In  Scharen 
zogen  die  liürger  fort,  um  den  Kriegsgi'eueln  und  Kriegeslasten  zu 
entgehen,  unter  den  Zurückbleibenden  hielt  die  Pest  wiederholentlich 
eine  grausige  Ernte  2);  die  im  Jahre  ltj43  noch  vorhandenen  27  Bürger 
(die  Ratspersonen  mitgerechnet)  gingen  ernstlich  mit  dem  Gedanken  um, 
satnt  und  sonders  mit  Sa(  k  und  Pack,  mit  Weib  und  Kind  von  Haus 
und  Hof  zu  wandern  und  die  wüste  Stadt  zu  überlassen,  wem  sie  ge- 
falle. Betrng  doch  der  Gesamtschaden  von  \i}'2^ — l'ö  na(  Ii  einem  „speci- 
ficirten  verzeigni.ss,  was  diesem  Stetlein  an  Contributiouibus  vnd  andern 
vielfeltigen  gebens  auftgcgangen,  so  kegen  der  Kriegs-Canzley  ein- 
geschicket",  nicht  weni^t  r  als  44 '27 8  Thl,  und  l()4)}  stand  an  unbezahlten 
Schössen  und  „wachenden  Zinsen''  die  anständige  Sunnne  von  24  U47 
Thalern  als  Rest  an.  Dieser  „elende  und  agonizirende  Zustand  des 
armen,  ausgemei'gelten  Stetleios''  wurde  allerdings  von  mehreren  kur- 
föntlicben  Eommiflsarien  gebührend  anerkannt,  —  wer  aber  h&tte  in 
der  Zeit  der  allgemeinen  schweren  Not  wirksame  Hülfe  bringen  kdnnen? 

Es  ist  ganz  selbstverständlich,  dass  anch  die  Schule  unter  den  an- 
gedenteten  Drangsalen  schwer  zn  leiden  gehabt  bat,  dass,  wenn  die 
kriegerischen  Aktionen  Freund  oder  Feind  in  die  Mauern  der  Stadt 
warfen  und  zusammendrängten  und  Kriegsrecbt  und  Landsknechts- 
Übermnt  alle  Bande  der  Ordnung  sprengten'),  Wochen  und  Monate 
lang  der  Schulnnterricht  unmöglich  gewesen  ist;  und  doch  —  es  ist  zu 
verwundern  —  hat  die  Schule  mit  ihren  Lehrern  ihr  kümmerliches 
Dasein  währenddem  gefristet,  und  nur  in  den  Jahren  1638--42  war 
weder  ein  Rektor  noch  ein  Kantor  vorhanden,  vielleicht  auch  keiner  zu 
erlangen,  so  dass  der  Pfarrer  Christian  Faber  in  Wesenthal,  ein  geborener 
Stransberger  und  von  1628^31  Rektor,  sich  der  verwaisten  Schulkinder 
mitleidig  erbarmte  und  die  vices  rectoratns  et  cantoratus  während 
dieser  4  Jahre  versah.  Einige  zeitgenössische  Aufzeichnungen  mögen 
zum  Beweise  dienen. 

Stadtschreiber  Kalle^),  der  einen  „Aufsatz"  über  die  Eriegsereig- 
nisse  1626—28  im  Archiv  niedergelegt  hat,  erzählt  von  den  Greueln, 

')  Dasselbe  ist  vm  mir  bereits  vollständig  vi  i  arbeitet  und  harrt  mir  der  Druck- 
legung in  dieser  Zeitschrift.  —  ")  Von  222  Bürgern  waren  1028  nur  noch  9ü  „im 
Qaartier,  1G38  gar  nur  2U  Borger,  „von  dfliiai  7  mit  der  Pert  infldret".  —  '/  „Aveh 
der  TogehoTBun  abo  vlrarhandt  genommen,  Dms  Kdne  Paritton  mehr  erfolgen  tbatt". 
—  «)  Er  wurde  1647  Stadtschreiber,  1660  Bichtcr  und  starb  1679:  aeine  fleiaaigen 
Arbeiten  haben  groesen  Wert  Ittr  Stranaberga  Oescbichte.  — 


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88 


die  gelegentlich  der  nülitärischeii  Beitreibung  eines  Kriegssteaerrestes 
durch  ein  Kommando  d(>s  Biirgsdorflfschen  Regiments  (Brandenburger!) 
in  den  Teigen  des  10. — 14.  November  1026  begangen  worden  sind:  „Was 
diese  Kerle  in  mittelst,  weil  sie  hier  gelegen,  vor  Übermutb  und  Muth- 
willen  verübet,  ist  k:iuiii  zu  glauben,  denn  sie  bei  dem  worthaltenden 
Bürgermeister  Martin  Gumpen  dessen  Ehefrau  neuerlichen  in  fJ  Wochen 
kommen,  ein  solch  Unfug  mit  Verf^iessung  des  Bieres,  Fluchen  und 
Gotteslästern  gi'triclK'ii,  dass  kein  Mensch  bey  ihnen  in  der  Stuben 
bleiben  dürfen.  Da  der  Leutnant  Clement,  dem  es  geklaget,  ihnen  gemach 
zu  thun  untersagen  lassen,  seiud  sie  fast  ärger  worden,  hal>eii  in  der 
Stuben  ihre  Musqueten  geladen  und  gesagt:  sie  wolteu  dem  alten  Schelm 
—  salva  tarnen  honoris  ipsius  —  3  Kugeln  zii<^k'ich  durchs  J^üb  schiessen, 
dessen  Concipient  selbst  gesehen  und  geh<>ret,  ihm  hernach,  da  noch  so 
viel  erlauget,  dass  sie  ander  Quartier  bckoniinen,  auf  den  Abend  die 
Fenster  ausgeschlagen.  Von  Bier,  so  sie  vergossen,  hats  gleich  in  der 
gantzen  Stuben  und  Tisch  und  Banken  übt-r  und  über  geschwommen, 
lu  summa,  es  hat  dieser  eluliche,  und  um  <lieser  Stadt  wolilverdiente 
Mann  von  diesen  Buben,  weil  er  von  ihnen  bey  der  Nasen  herumgetreckt^ 
grosse  Schmach  erlitten."  — 

Als  Wallenstein  zum  zweiten  Mal  ("ilV-'*  Juni  IH'JR)  in  Strausberg 
weilte''),  —  er  zog  dann  weiter  nach  Stralsund,  —  nahm  er  selbst  sein 
Quartier  beim  liürgermeister  Johann  Ble.sendorf,  einem  Verwandten  des 
ehemaligen  Rektors  Marcus  Biesendorf;  aus  seinem  zahlreichen  Gefolge^) 
logierte  ein  Herr  v.  Vogadria  bei  „HaFis  Ulrich  Cantori"  und  des  Herzogs 
Vetter,  Obrist  v.  Wallenstein,  bei  ,Martiu  Lebmanns  Witwe',  der  Mutter 
des  naehmaligen  Cantors,  der  daanunal  noch  in  Frankfurt  stndierte. 
Demnach  wnrden  die  Lehrer,  wie  alle  andern  Bürger,  mit 
Einquartierung  belegt. 

„Den  13.  Novbr.  1683*^,  meldet  Stadtschreiber  Andreas  Schuster» 
„Ist  Strausberg  Von  den  Kayserlichen  Soldaten  vnd  Sonderlich  von  des 
Winsesi  So  zu  Berkenwehrder  bey  S])ando  burtigfc,  sein  Regiment  — 
Nachdeme  die  Bürger  Sich  znr  Wehr  gesets  —  erobert  vndt  2  Tage 
nach  einander  geplündert  haben  gantz  Ynrnenschllch  gehanset,  franwen 
vndt  Juogfrawen  geschendet,  Viele  Lenthe  bis  auf  den  Todt  beschedigt, 
die  auch  drum  gestorben,  wie  sie  dann  weder  Kirche  noch  Schalen 
versehohnet,  sondern  alles,  was  sie  gefunden,  weggeraubetV- 


')  nOUm  reotor  BchoIae<<.    Beckmanns  NadblaM;  «Dea  26.  Decembiis  m,  687 

ist  der  Ehrcnveste  und  Wolgelnhrtc  Herr  Bflrgeniieister  Martinus  Gumpen,  nachdem 
er  18  Jahr  im  Raht  gesessen,  in  dem  Herrn  sehlig  entschlafen".  —  ')  Zuerst  am 
7/8.  November  1G27  auf  der  Eückreiäe  nach  Böhmen.  —  *)  Uenau  bei  Beckmaim  auf- 
geführt.  —  *)  Wie  es  dabei  dem  Pfarrer  «md  Inspector  Andreas  Pttttius  ergangen, 
schildert  er  sehr  bewegUcb  in  einer  Httschrifl  an  den  Knrfaiaten  d.  ao.  1635:  Well 
dann  Ich  Tor  sweyen  Jahren  von  den  Keyseilichen  Orabaten  viplOtsUch  vbeiMien, 


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Die  Stratisbeiser  Stadtschule. 


89 


Im  Miliz  l()^i7  bittet  „Fridrich  Aiulress,  ( ■antor  Schohie,  bey  diesen 
Clagn<li''ii  Zeiten  inörbte  ih'V  ]h\t\\  seine  besoidung  dtM^h  in  etwas 
ji!>trat;ou tlaniit  vr  Weib  und  Kinder  eiiialten  Ixöiine.  Es  seien  ihm 
zwar  tViiif  Tlialer  versprociicii  wordtMi,  als  er  sie  al)er  „niifhebeu*' wollte, 
seien  .•-ie  liereits  zur  Kontribution  verwandt  worden. 

Der  iieklur  .Mattliäus  S<-hreil»er  verabscliiedet  sich  mit  folgendem 
Brief  vom  20.  Juli  Ki.'JS:  ^Sonsten  ist  es  in  allen  Städten  vnd  auch  hie 
gebreuchlicli  wie  billij?,  dass  wen  Ein  ('(»lleu^a  der  Schuleii  ablochet  vnd 
der  Innterbliebeudo  seine  vices  veriiclitet,  auch  sein  Salarium  lodert 
gentzlicli.  Vnd  das  würde  mir  in  alle  wege  keine  gerechtigkeit  auch 
nicht  abschlagen,  das  ich  iiemlich  die  IT  Wochen  nach  des  Herrn 
Cantoris  [des  el»engena nuten  Fridi-ich  AndressJ  Todt,  da  ich  in  der 
Kiichen  gesungen  vnd  aufgewartet,  wie  geziemet,  dessen  Salarium  fodern 
thete.  Sölten  die  Herrn  im  Mangel  sein,  dann  will  ich  mit  der  Hällfte 
Geduhlt  tragen,  nur  tlass  sie  mir  wenigstens  4  Thl  10  gr  zustellen 
möchten,  da  ich  in  warheit  nicht  itzo  eines  Hellers  Herr  bin. 

Und  wünsche  dieser  Stadt  vnd  gemeine  Schutz  vnd  Segen,  teglich 
sie  aucli  in  meinen  gebet  mit  einschliessend,  ({ott  wolle  sie  zu  diesei' 
gefehrlich  bösen  zeit  für  allen  vnglück  »ind  weiteren  ruin  gnedig  vnd 
viitterlich  bewahren.  Dergestalt  es  wegen  der  pest  nicht  so  ge- 
fehrlich,  ich  mich  in  einer  Valetpredigt  liette  schüldiger  Ehren  wollen.** 


A.  Rectores.  1622-l(j44i. 

32.  Jacobus  ühle  1622— 24. 

33.  Clemens  Lachmund  1(124 — 215,  natus  patre  Adamo  Pastore 
Bergensi  et  inatre  Anna  Köpkeus.  Anno  l(>2r>  pastor  Richnoriensis*) 
coDstitutus. 

34.  Johannes  Styrius  H)26— 27,  Scholae  antea  Mittenwaldensis 
Rector.  Vocatus  abhinc  anno  H)2T  ad  Dignitatem  Pastoralem  Zinndorf, 
ubi  de  eo  plura.  adbuc  anno  1035  fuit  [und  starb  nach  Beckmanns 
Nachlass  1045J. 

die  Huaqoeten  alsfort  aalE  die  Bntt  gesetst  und  100  Rtbal.  nntzion  bcgcret,  oder 
mich  auS  der  stelle  ersehieaaen,  oder  gefangen  hinwegfflhren  vnd  vbel  tractiren 

wollen  ynd  der  Alhnochtige  Gott,  durch  cim  n  Bfliger,  niii  h  wimderbarHoli  aus  ihren 
ben<1en  errettet,  Seiiul  Sie  in  ineine  i'fan wohnnni:  mit  luiulTen  ein^'L-tuileii,  Stmlier- 
.stuben,  Keller  vnd  Kamiuern  autTj^ebrocbeii,  Kist»  ii  vnd  Kasten  zerbawen,  vnd  zwey 
tage  uacheiiiander  mir  allen  Vorratl»  au  Silber,  yuld,  Kleidung,  leinen  geriilhe,  auch 
8  Wiapel  habero  vnd  l'/a  Wsp.  geraten  binweggenoinmen,  vnd  dermaaeen  atugeplnndert, 
das  nicht  viel  vbrig  blieben,  vnd  Ich  dahero  in  easaerater  armuth  geratben,  leihen, 
'borgen  vnd  kinder  j^elder  auft'  Zins  nenien  müssen,  vnd  niicli  in  meinem  alter,  mit 
niein<-m  Wcibo  vnrl  funfT  Siibnen,  .so  leb  zur  Sebule  balle,  weL^  n  sotbaner  nOnUcrung 
vnd  meiner  geringen  bcsuldung  niebt  notturlliiglich  erhallen  kann  .  .  .  ."  — 

*)  Beekm.  Maehl.  erwtthnt  einen  Prediger  Lachmund  in  Prädikow,  der  vor  1030 
im  Amt  war.  Tielleicbt  ist  dies  derselbe  Clemens  L. 


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40 


B.  Seiffert: 


85.  Christian  US  Faber  alias  Schmidt,  Straiisher^^ensis  [FM  l(>ir) 
Chr.  Fabricius  iion  iuravitj  1028 — 31,  post  1031  pastor  in  Wesendahl, 
[cf.  Rekt.  4ü]. 

86.  Martin  US  Breslow,  Quilitzeusis-Mesomarchious  [FM  1615 
M.  Bre.sler  c.x  agru  Quilitz  put'r]  lt)81 — 32,  abhinc  ad  Dinconafum  Buco- 
vienseni  anno  \ihV2  vocatus  est,  quo  vcro  iiiunen'  nitro  relicto  Pastor  iu 
Hermersdorf  et  Wulcko  anno  l()3ö  cunstitutus  il»i(kMn(int'  biennio  post, 
uenipü  anno  1037  peste  confectus  obiit  cum  omnibus  domesticis.  vid. 
Christ.  Colhardi  Aram  Enchar: 

[Über  ihn,  sowie  den  gleiclizcitig  amtirendon  Kantor  Martin  Lehmann 
beschwerte  sich  der  Inspektor  ITittins  beim  geistlit  heu  Konsistorium, 
weil  sie  mit  ihren  Singsrhülern  bis  nacli  Gusow,  einem  •")  Meilen 
von  Strausberg  entfernten  Hinf,  zu  einem  adligen  Begräbnis  ge- 
wandert seien.  Au  und  für  sich  scheint  die  holio  Behörde  gegen  die 
Sitte  der  Lehrer,  mit  dem  Chor  aucli  auss«  rluilb  dvr  Stadt  zu  wirken, 
nichts  eingewendet  zu  haben,  nur  um  deswillen  untersagt  sie  ihnen  dies 
Gebahren,  „weil  Gusow  zur  Inspektion  Müncheberg  gehöre",  sie  also 
gewisseruiasscn  über  ihren  Heziik  hinausgegangen  waren').  Gleichzeitig 

—  und  das  sind  wohl  die  andei wt  itigen  gegen  sie  erhobenen  Vorwürfe  — 
wird  ihnen  eingeschärft-),  „in  der  Kirchen  —  darinnen  der  Kector 
den  Gantorem  mit  zu  bestellen  sich  nicht  entbreclien  könne  —  zur  An- 
hörang  der  Predigt  bis  zünn  Ausgang  derselben  zn  verbleiben 
nnd  nicht  vorher  daraus  sich  hinweg  zu  machen,  denn  solches 
gereichet  zum  Ärgerniss  der  andern  Zuhörer,  insonderheit  der  Knaben, 
welchen  sie  billig  mit  gutem  Ezen)pel  vorzugehen  nnd  dieselben  bevorab 
unter  der  Predigt  in  guter  Disciplin  zu  erhalten.  —  Bei  den  Tisch- 
herren sollen  sie  sich  nicht  zn  lange  aufhalten  und  wider  die 
Gebuhr  beschwerlich  sein,  sondern  die  Mahlzeit  und  das  lange  Sitzen 
abbrechen  und  sich  bei  Zeiten  wieder  in  die  Schule  begeben,  damit  d»- 
von  die  Knaben  nicht  versäumt  werden  mögen,  sie  auch  selbst  desto 
ftlglicher  ihren  Studiis  und  Meditationibus  in  ihrer  Lection  abwarten 
können.  —  Und  weil  derselben  Leute  Kinder,  bei  denen  die  Schul- 
GoUegen  gespeiset  werden,  privatim  und  sonst  viel  gratis  pflegen  insti- 
tuiret  zu  werden,  so  sollen  sie  es'aoch  nachmals  nicht  anders  halten 
und  von  den  Tisebherren  wegen  der  Privat-Institution  ihrer 
Kinder  nichts  fordern');  Wörde  aber  Jemand  ihnen  aus  gutem 
Willen  dahero  etwas  verehren,  mögen  sie  solches  mit  Dankbarkeit  wohl 
annehmen  und  kann  ihnen  solches  zu  thun  nicht  verboten  werden  

37.  Ludovicns  Glasingius  1638,  d.  11.  April.  1634 mortem obüt 

')  über  solche  Landleichen  s.  Götze  S,  185.  —  »)  Bescheid  vom  28.  Februar  1639. 

—  •)  Dadurch  wird  der  oben  näher  begründete  Zusainmeuhang  swiBCbeo  dea  Frei* 
tiflchen  der  Lehrer  und  dem  sog.  Privatunterrichte  bestätigt  — 


üiyiiizea  by 


Die  Stmoibeiger  SUidtsehide. 


41 


38.  Ghristianas  Eil ertus  BeesoovieiiBis  1635^87,  deinde  diaconns 
Mfinehebeigeiisis.  —  Er  erblickte  das  Licht  dieser  Welt  za  Bescköw  den 
].  July  1609.  Sein  Herr  Vater  war  Johannes  Eüertns,  Prediger  zu 
Menendorff  und  Berckenbrfiok  nnweit  Ffirstenwalde,  die  Mutter  hiess 
Margaretha  Dudeodea.  Nachdorn  er  in  seiner  .Tngendt  ileissig  studiret, 
so  wurde  er  im  23.  Jahre  seines  Alters,  uehuilicli  ao.  Uh\2  zum  Rectorat 
zu  MüJichebiTg  vociret,  welchem  er  auch  bis  11)35  treulich  vorgestanden, 
da  ihm  von  E.  E.  Rath  hierselbst  die  Yocation  zu  eben  dem  Amt  über- 
schickt  wurde,  welches  er  aber  länger  nicht  als  2  Jahr  vorwaltet, 
roassen  er  1037  im  Torgedachten  Müncheberg  zum  Diaconat  einhellig 
berufen.  Nachdem  er  solche  Bedienung  gantzer  30  Jahre  rühmlich  ver- 
waltet, so  wurde  er  nach  AWsfcibon  Herrn  Jacobi  Jüterbocks  zum  In- 
spector  daselbst  conlinniret,  starb  Kilo  Dom.  Exaudi  aet.  Man 
siehet  annocli  in  der  Kirclie  zu  Müncheberg  neben  dem  Fenster  hart  am 
Altare  sein  Portrait  in  Leln'nsgrüsso,  da  er  in  der  rechten  Hand  ein 
Buch  und  in  der  linken  eine  Citrone  hält,  über  ihm  stehen  folgende 
Worte:  „Christiamis  Eilertns  Natus  Rcseuviac^  anno  KH)',)  d.  1.  July 
Patre  Johanne  Eilerto  Pastore  aniniaruni  Neodortii  eis  Fiirstenwaldiam, 
Matre  Margaretha  Dudendea,  educatns  et  institutus  in  scliola  j)atria 
Furstenwaldensi,  Custrineusi,  Spandov  iensi  et  in  academiaFranckl'urtana 
Vücatus  auuo  1()32  a  Senatu  Munchebergensi  ad  oftieiuui  Rectoris  Scholae, 
Anno  ll)3(i  a  Senatu  Straussbergensi  ad  ideni  Kec  toris  Scholae  Officium, 
Anno  ir)37  a  Senatu  Munchebergensi  ad  Diaconatum  et  tandein  ibidem 
anno  H)(j7  ad  Pastoratum  et  luspectoratum.  Ih-natus  Muik  licherg  auuo 
1675  die  10.  Mai  uftatis  suae  »iü.  anno,  cujus  memoria  in  benedictione". 

31^  Matthaeus  Schreiber  1037-38. 

4C).  Interim  1638 — 4'J  rectoi'atu  fuugebatur  pastor  Wesendahleusis 
Paber  [Rekt.  35]. 

41.  Matthias  Ki.tlie  Palaeo-Landsber-ensis  [FM  1637]  1042-40, 
sein  Vater  Petrus  K.  war  Bürgermeister  daselbst.  1046  nach  Cöpenick 
zum  Rectorat,  1047  zum  Prediger  nach  Wendisch  Crossen  berufen,  circa 
annnm  1653  Pastor  fuit  Stulpe. 

B.  Cantores.  1024—1044. 

Zwischen  1024  und  1()27  scheinet  noch  ein  andrer  cautor  gewesen 
zu  sein  [wird  Kl».  1(52")  erwähnt]. 

24.  Johannes  Ulrich  1027-31  [FM  1011:  ein  J.  Ulrich  Wrie- 
censis?],  tum  cantor  Landsliergensis^). 

2ö,  Martinas  Lehmann  1031,  filius  Martini  Tj.  Pastoris  in 
Petershagen fuit  us<[uo  1035,  quo  anno  vocatus  abhinc  ad  Pastoratum 

')  Ich  habe  seinen  Namen  in  FM  nicht  flnden  können,  —  ^  (Tachde,  Gesch. 
der  Stadt  Alt  Landsberg,  Halle  18Ü7,  S.  331  crwUhnt  ihn  noch  1045.  —  •')  Nach  Beck- 
mum,  Materialien  im  Nachlass,  war  dieser  von  1518  bis  1615  im  Amt  und  senior  der 
Stimuibeiger  fiispeetion.   Er  starb  1616  in  Wegendorf  bei  seinem  Sehtdegersohn.  — 


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42 


B.  SeiffiBitt 


Gonersdorffiensem  sab  Tnspcctione  Writzensi.  Erat  Manchebergae  natos 
[Fhl  I61<>].   vid.  Dr.  Colbardi  catal.  Patricior:  Mfinchberg:  doctoram. 

26.  FridericusAndreael63.5->B8[FM  1624:MQnchbef^n8i8]  obüt. 
Post  mortem  eins  officium  Cantoris  Tidetor  vacasse  osque  l<i42. 

27.  Nicolaas  Valentini  1643^44.  — 1644—49  vacasse  videtur.  — 


Zar  Universität  Frankfurt  gingen,  nachdem  10  Jahi'e  lang  (1022 
l»is  H)3*2)  kein  Scliüler  dorthin  entlassen  worden,  in  der  Zeit  von 
bis  1(>48  nur  U  Strausbeiger,  dann  trat  wieder  eine  Pause  ein  bis  1649. 
Diese  11  waren  nach  der  FM: 

1632:  Christophoms  Eeroovins.    Adamns  Krause.   Joachimns,  Sanmel 
und  Andreas  Pöttins  [die  Söhne  des  Inspectors]  omnes  non  inra- 

nint  [die  letzten  beiden  aber  1639]. 
1634:  Martinas  Schultz.    Andreas  Stackius. 

1638:  Andreas  Sehuster  [Solin  des  gleichnamigen  Büi-germeisters]. 
l(^8^^:  Christiamis  i^reusnitz  [Sohn  des  Pastors  in  Predickow?')]. 
1<)4():  Joacbimus  Lelnnannus  [Solm  des  Catitors?]. 
1643:  Hieronymus  Otto  [Sohn  des  Apothekers  Tobias  0 ;  er  wurde  1651 
Cantor»)J. 


IV.  VeHall  der  Schule,  1648-1740. 

Der  „grosse  Krieg"  war  zu  Ende,  der  Friede  weiiiiistens  ofli/ii-U 
verkündet.  Doch  noch  lauire  iiieht  kehrte  Ruhe  un«l  (  h  inim^  ein,  d;izii 
waren  die  Wunden,  aus  denen  (his  Land  hlutete,  /u  ^ellwer,  und  die 
Obrigkeiten,  welche  berufen  waren,  „neues  Leben  aus  d.  ii  Kuinen"  zu 
erwecken,  hatten  fast  übermenschliche  Aufgaben  zu  l»e\s altii;en.  — 

„Dofern  aber  der  liebe  Gott  glück  Vndt  st  iren  Zum  Stadt  liegenient 
geben  soll,  So  Würde  dass  al  lernoi  iuste  Sein,  ilas  Kirche  Vndt 
Schulen  besetzt  Vndt  erhalten  wiinlen'",  so  lautet  eine  Stelle  aus 
dem  „ \  nvorgreiflliclieii  Vfsatz,  Wodurci»  Die  Stadt  Straussberg  Vndt  dns 
Kathaus  in  so  hohen  Scluildeu  gerathen,  Vnndt  wie  demselben  ohne 

')  Peckiiiaiin  Na^  liI  erwilhnt  finen  solchen  aus  deni.srlben  Jiihr.  —  Wahrend 
des  oOjähr.  Krieges  siudirleu  in  Frankfurt  aus:  Beraau  L'l,  I>uckow  0,  Ncustaiit  übers- 
walde23(?),  Freienwaide  21,  Alt  Landaber};  2,  MOncbeberg  10,  SeelowT,  WrietenSO^?), 
den  Dörfern  des  Ob.  Baniim  4»  Biesenthal  2,  Oderberg  5,  v.  Barfaaa  2,  t.  Kninunen- 

see  1,  V,  Röbel  4,  V.  Pfuel  12.  —  GM  nennt  nur  1  ans  WrieziMi,  ;>  aus  Froionwaldo. 
j  wird  in  den  Prnzessakten  v.  Pfuel  contra  Hat   zu  J^tratissli.  i.:   l')44  — 47  be- 

haui'tet,  duöb  tlie  slreitiKC  Obligation  „nicht  ihres  Stadts<din-iher9  oder  einziires  Kat8- 
herru,  so  daniahlst  (lG'-'9)  Vorbanden  gewetseu,  Sündern  blons  des  von  Pfuhlen  Vatem 
8eL  sewesen  pnecepton.  oder  Kinder  Schalmeistera  handt"  gewesen  eeL  — 


Di(ji>  by  e^ 


Die  Stnmsbeiger  Stadtschale. 


48 


gefahr  in  etwass  wie<ler  gehultfeii  werden  koiit«'**').  In  einer  Suppli- 
cation  von  \i')^)2  khigt  der  Rat  nocli,  „dass  wir  keinen  Capellan 
halten  vnnd  viisere  bediente,  Kectorn,  Organisten,  Stadt- 
8chreil)or  u.  a.  viel  Jahre  hero  nicht  zu  erhalten  gewust"; 
docli  als  1B54  die  kurfürstlichen  Kommissarien  erschienen,  um  in  drei- 
tiigiji^er  angestrt'rn^ter  Arbeit  die  al)hrilfebedürftigen  Mlssstiiude  des  Gemein- 
wesens festzustellen  und  die  Grundsätze  der  ferneren  Stadtvenvaltung 
zu  bestimmen-),  konnte  bereits  in  den  grossen  Kecess  aufgenommen 
werden:  „Mit  den  Schneien  hat  es  eine  zimbliche  richtigkeit". 
Ausserdem  werden  darin  nur  noch  zwei  Fra^^en  erledigt,  die  Reihen- 
speisung und  die  Mädchenschule,  nämlich  dahin:  „Damit  aber  die 
Schuolgesellen  ihre  Tische  desto  gewisser  liaben,  vnd  ohne 
Sawersehen  ihnen  der  Bissen  Brodt  gereicht  werden  möge,  wird  die 
desfalss  angofange  Ordnung ')  hiemit  coulinniret.  —  So  viell  die  Mä- 
dicbeu  Schneie  antrifft,  ist  dieselbige  zue  des  Kunstpfeiffer*)  Bartho- 
lomaei  Grünings  besseren  vnterhalt  ihme  aufgetragen  worden,  die  Er, 
laut  bestallung  vom  31.  Marty  1653  mit  fleiss  vnd  allen  Trewen  be- 
obachten soll;  vnd  soll  daMogegen  Ghristiaii  BehreDd  seine  Jangfero 
Sehnle  abschaflbn  *'^),  bey  vormeidnog  des  Ralits  willkfierlichen  straff*'.  — 
Irgendwelche  andere,  auf  den  weiteren  Ansbau  oder  die  innere  Um- 
gestaltung der  Stransberger  Schnleinricbtung  bezügliche  Verordnungen 
ans  der  Zeit  von  1648—1740  oder  auch  nnr  dahinzielende  Bestrebungen 
sind  in  dem  Archiv  nicht  vorhanden;  nicht  einmal  vom  Könige  Fdedrich 
Wilhelm  I.,  dessen  praktische  Fürsorge  fSr  das  Tolksschnlwesen  aus  so 
zahlreichen  Erlassen  [1719,  15,  17,  18,  22  und  1786]  rfihmlichst  hervor^ 
leuchtet,  findet  sUsh  ein  speziell  auf  Strausberg  berechneter  Erlass  von 
besonderem  Interesse;  in  dem  Rathäusslichen  Reglement  vom  2.  August 
1739,  welches  in  die  immer  mehr  verlotterte  Ratswirtschaft  wieder 
etwas  Zug  und  Ordnung  brachte,  heisst  es  nur  mit  dfirren  Worten: 


')  Eine  tachüge  Arbeit  des  Bichtets  Martin  Schwanbeiuer  und  SUdtscbreibers 
Kalle,  wdche  dem  Reeeae  von  1664/6  stellenweiee  wOräich  tu  Grande  gelegt  worden 

ist.  —  *)  Die  Revision  fand  am  29/31  Mflrz  1051  statt,  der  vom  Grossen  Kuifürsten 
unterzeichnete  Commissions-Recess  ist  vom  "0.  Novhr.  lOi.Cy.  Per*.'  Vrk.  No:  00 
[Riedel  T,  12  No:  lOO],  -  ')  Ans  einem  Bittgesuch  vom  \  \  AuKUbt  liiiUi  i^dit  hervor, 
dass,  wer  keinen  lisch  geben  wollte,  4  gr  an  die  Lehrer  zahlen  musstu.  „Davon", 
behaupten  de,  »können  wir  nicht  leben".  —  S^e  Töchter  leiteten  den  ünteiricht 
(nach  dem  obenangezogenen  Entwurf}.  —  Der  erste  Kunatpfeifer  wird  Kb  1624  et- 
wahnt,  wonach  demselben  8  Thl.  „zu  Instrument  zu  kauffen  vorgesetzt"  werden  und 
«eine  Besoldung  15  11  beträgt.  Zu  Neujahr  bläst  er  vr»r  der  Katsstnlie  —  ')  Ein 
Tendant  zu  solcher  unbefugten  Ausübung  einea  Amtes  und  Berufes  erzahlt  Beckmauns 
KacUaaa:  „daae  rieh  ein  gewfeaer  Zaehariaa  Rautenhog  nach  dem  80  j.  Kriege  abeque 
vocati<me  fai  Welaickendorf  ala  Pfarrer  eetste,  doch  nach  dem  einstimmigen  Urteil 
alter  Leute  durch  unordcntlichea  Leben  die  Pfangdflbde  verwahrlosete  und  sich 
achlieaalich  nach  Schwedisch  Pommern  begab^. 


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44 


B.  Seiffert: 


„Soll  das  Magistrats  Colk'gium  der  Kirchen  und  Schulen  Bestes  überall 
observiren,  zu  gehöriger  Zeit  exainina  anstellen,  auch  tüchtige  Subjecta 
jedesmal,  da  ihnea  das  jus  Patronatos  zustehet,  sowol  im  Predigtamte 
als  in  der  Scholen  erwählen'*.  Eben  diesem  Mangel  an  obrigkeitUdier 
Bevormuadung  und  Anregung  muss  man  es  zuschreiben,  dass  der  Rat, 
der  ohnedies  durch  die  llcgelung  der  städtischen  Übelstände  genug  in 
Ansprach  genommen  war,  sich  zufrieden  gab,  wenn  er  die  Schule  nur 
in  dem  altgewohnten  Gleise  erhalten  konnte,  dass  man  eben  alles 
beim  Alten  liess,  ohne  der  Frage  näher  zutreten,  ob  diese  oder  jene 
Einrichtung  nicht  besserungsföhig  und  -bedürftig  sei.  Wenn  die  Be- 
hauptung richtig  ist,  dass  der  grosse  Krieg  Deutschland  um  ein  Jahr^ 
hundert  in  seiner  kulturellen  Entwicklung  zurückgebracht  hat,  —  auf 
dem  Gebiete  des  Schulwesens  hat  sie  wenigstens  Recht,  sonst  hätte  man 
mit  der  Beseitigung  so  manches  vermorschten  Brauches  schon  damals 
gründlich  vorgehen  müssen.  Kümmerlich  und  mühselig  schleppte 
sich  die  Schule,  wie  sie  durch  die  Bestimmungen  der  Abschiede  von 
1574  und  1600  in  ihrer  äusseren  und  inneren  Beschaffenheit  festgelegt 
Mar,  ein  ganzes  Jahrhundert  lang  dabin');  in  stumpfer  Gleich- 
gültigkeit verhielt  sich  die  Bürgerschaft,  die  mit  ihrer  eignen  Not  zu 
kämpfen  hatte,  gegen  Scluile  und  Lelirer,  sah  wohl  gar  auf  letztere  wie 
auf  „überflüssige  Manier,  die  nur  von  ihrem  (der  Bürger)  Geld  lebten** 
mit  Missachtung  herab;  der  Magistrat  konnte  daher  auf  die  Unter- 
stützung derselben  nicht  rechnen,  wenn  er  auch  vielleicht  die  gute 
Absicht  gehabt  hätti>,  den  billigen  Vorstellungen  der  Lehrer  um  Besse- 
rung ilirer  kärglichen  Besoldung  Gehör  zu  geben:  kurz,  die  Schule  war 
foi-tan  das  Aschenputtel  der  städtischen  Verwaltung.  Mit  welchen  Ge- 
fühlen da  mancher  Lehrer  an  die  Erfüllung  seiner  Amtspflichten  ging, 
die  ihm  bei  den  teuren  Zeiten  kaum  das  lii'be  Brot  einbrachte,  das  mag 
man  den  ,, klassischen"'  Bericliten  Wiiizerliiii;s,  Fliedersdorfs  u.  a.  ent- 
nehmen, die  an  Deutlichkeit  und  Draätik  nichts  zu  wünschen  übrig 
lassen.  — 

Zuvor  jedocli  will  ich,  um  zu  zeigen,  diiss  selbst  dringeiul  not- 
weiuiii^e  Forderungen  aus  Mangel  an  Mitteln  nicht  erle<ügt  werilen 
konnten,  mitteilen,  wie  beinahe  ein  neues  Schuihaus  gebaut 
worden  wäre. 

Das  Scliulhaus  war  schon  seines  liulien  Alters  wegen  sehr  baufällig, 
hatte  auch,  wie  die  meisten  (lebiiude  infolge  des  Krieges  arg  gelitten. 
Am  11.  Au<;ust  Kiin  laste  <«in  fiirclitlfarer  Nord\M  st  stürm -)  mit  Hagel- 
>vetter  über  die  Gegend  hinweg,  der  grossen  Scliudeu  an  der  £rnte  und 

')  Cf.  L.  Götze  S.  114.  —  Dor  Rektor  David  Winzerling  hat  denselben  be- 
schrieben und  in  Druck  ausgehen  lasseu,  wie  G.  G.  KUater  Bibliotheca  üibtor.  Braud. 
(1743j  S.  S19  f.  berichtet.  — 


1 


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Die  StnuMborser  Stadiadrale. 


45 


den  Hausern  anrichtete,  „den  man  in  vielon  Jahren  nicht  verwinden 
können,  ja  jedermann  gemeinet,  dass  der  Hüclisto  mit  seinem  Gerichte 
hereinbrechen  werde,  dafis  also  die  Feder  nicht  vennöp^end,  solchen 
Sturm  und  Jammer  f>enugsahm  an  den  Tag  zu  lef»en".  Da  die  kurfürst- 
lichen Räte  Gossel  und  v.  Wedell  persönlich  feststellten,  dass  „die  noch 
übrige  Ilauptkirche,  Schule,  Pfarr^ebewde  und  Kalitlinnss  zum  unter- 
gange gautz  geneidet,  wozu  der  newlichst  alda  entstandene  ungewöhn- 
liche grosse  Ilageistunn,  wie  der  ohrten  Landtkündig,  nicht  wenig  ge- 
holfl'en,  in  dem  gleichs  in  andern  gebewden  auch  geschehen,  die  Dächer 
und  fenster  also  verderbet,  dass  Sic  eilende  reparation  vonnöliten  haben 
Und  dann  die  Einwohm-re  des  vei  niögons  nicht  sein,  bey  diesen  Landes- 
Itescliwerungen  etwas  herzugeben",  geiieliniigte  der  Grosse  Kurfürst  am 
5.  Deceniber  l()ö!),  dass  zu  diesem  Z\vc(  k  „nicht  allein  in  der  Kesiden- 
tien  in  der  Kirchen  zur  heyligen  Dre\  faltigkeit  und  den  aiulern  Kirchen, 
sondern  auch  in  den  andern  Städten"  eine  Kollekte  gesammelt  wnrde. 
Der  mit  einer  Vollmacht  zum  Empfang  der  Gaben  ausgestattete  Bürger 
Toliias  Ludwig  scheint  aber  nicht  viel  heinigelmicht  zu  haben,  denn  der 
Bericht  des  Kammergerichtsadvokateu  Paschasius  Trüstedt  über  die  bau- 
lichen Zustäude  in  Strausberg  vom  Jahre  KiTO  schliesst  ebenso  trostlos: 
„Kurz,  in  der  ganzen  Chur  und  Mark  Brandenbarg  ist  kein  so  elender 
Ort,  als  Straasberg)  der  endlich  gar  zu  einem  Steinhaafen  werden  möchte". 
Wenn  nun  auch  der  Rat  in  dem  Recess  vom  23.  Januar  1682  behauptet, 
dass  er  „die  von  verkanflten  Hftnsem,  Äckern  und  Wflstangen  anÖg;e- 
kommenen  Gelder  zu  reparimng  der  Pfan>  nnd  Schnel-Geb&wde  mit 
angewendet''  habe,  so  wird  durch  persönliche  Aufzeichnungen  der  Lehrer 
genfigend  dargetban,  dass  man  sich  immer  nnr  mit  der  allerdürftigsten 
Flickarbeit  begnügen  liess.  Cantor  Schwanh&user  klagt  in  einer  Zu- 
schrift vom  14.  August  1712:  ,,£s  hat  der  ungestQhme  Wind  schon  vor 
langer  Zeit  sich  unternommen,  eine  freye  passage  durch  eine  mir  an- 
gewiesene Gammer  zu  nehmen,  wodurch  er  mir  bishero  grosse  incommo- 
diteten  Temrsachet,  dass  ich  gewünscht,  er  nehme  seine  passage  vorbey; 
so  muss  ich  leyder  mit  Augen  ansehen,  wie  er  dieselbe  zu  erweitem 
suchet,  und  so  weit  um  sich  greiffet,  dass  es  das  Ansehn  gewinnet,  als 
wolt  er  mir  meine  gantze  reiterade  (!)  in  Stube  nnd  Gammer,  durch 
EinreissuDg  der  Mauren,  und  Wegnehmung  der  alten  Fenster,  abschneiden, 
und  also  mein  gantzes,  mir  zugeeignetes,  vormahls  gewesenes  Rector- 
Logiament^)  zu  bewohnen,  mir  verl)ieten.  Da  nun  aber  der  kalte  Winter 
heramuüiet,  und  ich  vor  mich  keine  andre  Wolinung  absehen,  hier  aber 
auch  unmöglich,  wofern  es  nicht  'geendert  wird,  znmahlen  auch  der  von 
Uhr  alten  Zeiten  her  gestandene  Offen  seinen  £infaU  dräuet  und  mir 


>)  Der  S«etor  idiemt  deswegen  lieber  eine  Privatwohniing  betogen  nnd  adne 
Dienatwohnnag  fflr  den  Konrektor  sor  Disposition  gestellt  sa  haben.  — 


46 


B.  SeÜEert: 


mit  Bauch  und  Solimaaeh  za  plagen  ^Tillens,  l&nger  wohnen  kann:  Als 
.  .  .  Da  nnn  zn  gleicher  Zeit  anch  die  Predigerh&nser  so  hanfUlig 
waren,  dass  ihre  gänzliche  Emeaerong  für  nnnmgänglich  nötig  erachtet 
Würde,  80  unterhandelte  man  gelegentlich  einer  Revision  der  rathftas- 
lichen  Rechnungen  durch  königliche  Kommissare  mit  diesen  über  eine 
staatliche  Beihfllfe  zn  diesen  Nenbant^n.  Punkt  11.  der  Resolution  vom 
24.  December  1712  besagt  darüber:  «Nicht  minder  consentiren  und 
approbiren  S.  KgL  MaJ.,  dass  die  Schule,  worin  zng^eidi  anietzo  des 
Rectoris  Wohnung  und  auf  dem  Kirchhofe  gantz  allein  stehet,  welches 
aber  gleichfals  sehr  alt  und  bauf&Uig  ist,  abgebrochen  und  dahingegen 
das  denen  beyden  Prediger  Häusern  nechst  gelegene  Hauss  des  Tuch- 
machers Andreass  Schusters  angeschaflFt  werde.  Wann  nun  auf 

sothanes  angekaufiles  Hauss  die  Schule  mit  einem  bequemen  auditorio 
vor  die  studirende  Jugend  unten  an  der  Erde,  und  zwar  nicht  nach  der 
Seite,  wo  die  Prediger  wohnen,  sondern  nach  der  andern  seite  angeleget, 
darinnen  auch  vor  dem  rectore  2  Stuben  und  2  Kammern,  1  Küche  und 
1  Speisekammer,  wir  auch  1  Keller,  und  vor  dein  cantore  ebensoviel 
bequemlichkeit  angefertiget,  auch  der  Hoft*  und  gartenplatz  untor  die 
beyden  gleich  getlieilet  werden  mnss,  So  ist  alsdan  mit  der  bissherigen 
alteu  Schule,  und  der  dabey  liegenden  ¥rüsteu  Bürgerstelle,  der  Kiroh- 
hoff  zu  erweitern,  und  darauf  zu  ewigen  Zeiten  nichts  mehr  zubauen, 
sondern  derselbe  dergestalt  regolair  einzuschrenken,  damit  desto  mehr 
platz  zu  Beerdigung  der  Todten,  und  weil  sonsten  kein  sonderlicher 
Marcktplatz in  der  Stadt  vorhanden,  bey  —  Gott  verhüte  —  ent- 
stehender Feuersgefahr,  gelegenheit  seyn  möge,  wohin  die  Bürgerschafft 
das  ihre,  so  zu  retten,  in  Sicherheit  brinccen  können.  Damit  auch  I  J. 
der  Magistrat,  Kirche  und  Bürgerschafft  zu  solclieii  consentirten  aubau 
derer  rredigerhäuser  sanibt  Scliulc,  rectoris  und  cantoris  Wohnung, 
desto  eher  gelangen,  alss  liaben  S.  Kgl.  Maj.  bey  dem  von  ilinen  an- 
gezeigten unvermof^en  allerguädigst  gewillitjet,  dass  zu  .solrlien  Behuef 
Einhundert  Thl.  auss  der  Straussbergschen  Accise-Casse -)  von  dem 
dortigen  Eiiiiuhnier  nach  und  nach,  wie  es  der  Gassen  Zustandt  leiden 
will,  bezahlet  werden,  nicht  weniger  auss  denen  Rüdersdorffscheu  Kalck 
Bergen  der  nühtige  Kalck  geschencket  seyn  solle,  als  wovon  ein  Über- 
schlag zumachen  und  gehörig^'n  olirts  die  ordre  zusuchen". 

Die  Anweisung  zu  dieser  lieihiilfe  gesrliah  nm  20.  Januar  1718, 
die  Bitte  um  Erlaubnis  zu  einer  Tiandeskollekte  wurde  dagegen  abge- 
schlagen; so  hat  sich  denn  der  Mafcistrat  mit  (h  in  Bau  Zeit  gelassen, 
erst  1720  sind  die  beiden  Predigerhiiuser  allein  fertig  geworden  und  das 


')  Das  ahe  Rathaus  stand  mitten  auf  dem  Markti)latz  [rf,  AngeUis  Ann.  f.  311."|, 
Ro  da^a  letzterer  allerdin;;»  nur  sehr  klein  und  beeiigt  gewesen  soin  kAun.  —  *)  Die 
AcciBü  wurde  1080  in  ätrausberg  eingeführt.  — 


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Stmuberger  Stedtaehnle. 


47 


auch  nur,  nachdem  man  mit  Genehmignnp;  der  Regienmp:  „7  kurtze 
Stücke  Land  servato  juris  ordine  plus  licitanti  auf  2')  Jahre  wieder- 
käurtich  au  heimische  Bürger  alieiiiret'',  um  die  noch  fohlenden  "2()() 
Thaler  zu  bekommen.  Das  Schalhaas  aber  ist  uicht  gebaut 
worden. 

Dies  wird  bestätigt  (hirch  des  Pfarrrrs  Fabricius  Zeugnis  aus  dem 
Jahre  1741:  „Die  Sciiule  auf  dem  Kirc  lihofe  ist  ein  altes  Ge- 
bäude", sowie  durch  die  Bittschrift  des  Konrektors  Friderici  vom 
17.  October  174'^,  der  folgende  Scliilderung  von  seinei'  Woluiung  entwirft: 

„Es  sei  nur  ein  Herd,  eine  einzii^^'  Wohnstübe,  deren  Dielen  die 
Luft  «lurclisti'eichen  Hessen,  deren  Wainlc  Ljanz  löcherig  seien:  eine 
Kaiunur  sei  nicht  vorhanden,  im  niedrigen  Alcoven  könne  niemand 
sciilafen,  weil  dei^selbe  nicht  fest  mit  dem  Hause  verbunden  sei,  daher 
der  Schnee  zur  Winterzeit  liandhoch  dnrcbdrintre.  Der  Schornstein  sei 
schon  melirmals  ausgebrannt,  also  feuergetahi  lieh.  Wie  sehr  hätten 
schon  seines  Vorgängers  Kinder  darunter  zu  leiden  gehabt!  Die  älteste 
Tochter  habe  den  Fluss  am  Fuss,  wt'kber  alljährlich  aufbreche,  die 
zweite  sei  beinahe  ihres  völligen  Verstandes  beraubt  und  könne,  «d>wohl 
schon  8  Jahre  alt,  noch  nicht  fertig  reden;  die  jüngste  liege  beständig 
siechhaft  darnieder.  „Das  macht  alles  der  Mangel  der  nötliigen  Wärme 
vor  solche  kleine  Würmer.  Woferne  bey  Küchlein  ein  erwünschter 
Wachssthnm  erfolgen  soll:  So  muas  hierzu  die  Wärme  der  Gluckhenne 
das  meiste  bey  tragen.  —  Ein  Kind  meines  seeligen  Antecessoris  ist  eins- 
mahlen  In  einer  Nacht  in  seiner  Unreini^eit  gantz  eingefroren  (!)  aus 
denen  Betten  herfürgezogen  worden  .  .  —  Das  Schnlhans  moss  also 
zu  dieser  Zeit  in  einem  schauderhaften  VerfiiU  gewesen  sein. 


Das  Interesse  f&r  diese  Periode  wendet  sich  nm  so  lieber  den 
Persönlichkeiten  der  Lehrer  zu^  über  welche  uns  ausser  dem 
Hundertmarkschen  Verzeichnis  reichliches  Aktenmaterial  zur  Verfügung 
steht. 

A.  Kectoren  lt>46— 174ti. 

42.  David  Winzerling  1646—69,  antea  cantor  In  Münchebeig. 
Er  war  ans  Eyssleben  gebürtig.  Anno  1629  zog  er  auf  die  Universität 
Leipzig.  Anno  1633  wurde  er  zum  Gantore  der  Mfincheberglschen 
Schale  vociret,  welches  Amt  er  auch  in  die  13  Jahre  rühmlich  verwaltet. 
Doch  ging  es  ihm  eben  allerdings  nicht  nach  Wunsch  und  sonderlich 
auf  die  letzt:  denn  er  war  im  Ausgang  des  164").  .Talires  bereits  zum 
Prediger  nach  Heinerslorfl'  wnrklich  desii^nii  vt;  der  dam  ahlige  Inspector 
aber  zn  Mäncheberg,  Herr  Jacobus  JüterlnK  k,  war  ihm  nun  contrair 
und  brachte  es  soweit,  dass  ihm  sein  Sohn  Godoiredns  vorgezogen  worde 


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48 


B>  Scifbrts 


und  dieser  gnto  Mann  zarückstehen  mnsste,  dahero  er  anch  nicht  länger 
zu  Müncheberg  bleiben  wollte,  sondern  die  Vocation  zu  hiesigem  Rectorat 
im  folgenden  1646.  Jahre  gantz  gerne  annahm.  Hat  seit  1646  bis  1650 
die  Yiccs  Cantoris  mit  vorwaltet.  Mit  was  Fleiss  und  Mühe  er  dieser 
ihm  übertragenen  Bedienung  vorgestanden,  davon  wollen  wir  ein  mehreres 
zu  scirioin  wolverdienten  Ruhm  in  iinsonii  unter  Händen  habenden  wercke 
anführen  NH.  Post  obitnni  ipsiiis  vacavit  Kectoratus.  Seine  Ehefrau ') 
Anna  war  eine  Tochter  dos  olienials  hierselbst  gewesenen,  nachmalen 
aber  nach  Jansfelde  gezogenen  Diaconi  Herrn  Mjig.  Hieronynii  Schin- 
kopfs  (s.  Rekt.  No:  22),  mit  welcher  er  am  gedachten  Orte  ao.  16.']5 
d.  H.  Juny  öffentlich  vertrauet  worden  und  Kinder  gezeuget,  als  Theo- 
doram,  Dorotlieani,  Davidem,  Mariam.  Nachdem  er  in  die  23  Jahre  der 
Schule  treulich  vorgestanden,  starb  er  den  4.  Novbr.  lt)69.  Er  hat  sich 
durch  verschiedene  Schrifften  bekannt  goinacht,  welclie  wir  zu  seiner 
Zeit  am  gehörigen  Ort  erzoidon  wollen,  ausser  diesen  hat  er  auch  in 
Manuscripto  hinterlassen  AEnigniata  acroaniatica  Sacra,  d.  i.  ein  geist- 
liches Biblisches  Riitzel  Büchlein,  darinnen  die  fürnehmsten  Historien 
und  Biblischen  Geschichten  in  400  anmahtigen  Ratzein  oder  Ratzel 
Fragen  vorgestellt').  Dieses  Manuscr.:  bat  er  kurtz  vor  seinem  Tode 
dem  Ohurf.  Rath  Herrn  Martin  Friedrich  Seideln  zugesandt,  dass  er 
es  jemande  snm  Verlag  recommendiren  möchte,  damit,  es ,  zu  seinem 
Gedächtniss  möchte  gedruckt  werden.  Es  hat  sich  aber  Niemand  ge- 
funden, der  es  umbsonst  thun  wollen.  Dannenhero  gedachter  Herr  Seidel 
solches  ao.  1687  den  21.  Octobr.  seiner  Bibliothec  einverleibet,  in  deren 
Gatalogo  [Berlin  1718]  es  sub  No:  9  Msctor.  in  8^  recensiret  ist:  In 
itzt  angeführten  Yolnmine  sind  nur  200  biblische  B&taelfragen  vorhanden 
und  20  weltliche  Rätsel,  nebst  einer  Zugabe  von  5  auch  weltlichen 
Rätseln.  Die  Inventiones  sind  gut,  die  Yerse  aber  nach  art  der  damaligen 
Zeiten  beschaffen.  —  J.  Phil.  Jacobi  kurtse  Nachricht  von  gelehrten 
liännem.  ^ 

Winzerling  giebt  in  einem  Geendi  an  den  Rat  vom  5.  Februar  1663 
folgende  höchst  interessante  Schilderung  seiner  traurigen 
Lage: 

„Ich  liabe  geduldt  getragen  und  immer  gehoffet,  es  werde  einmal 
besser  werden ;  es  wird  aber  immer  elender  und  kümmerlicher  .  .  . 
Ich  will  aber  anfänglich  solenniter  protestiret  haben,  das  Ich  E.  £.  W.  W. 
Raht  hiermitt  nichts  verweisen  oder  etwa  schimpfflich  fürgeworffen 
haben  will,  sondern  das  Ich  nur  meinen  Elenden  und  kümmerlichen 

0  Dieselbe  utuss  eine  Zeit  lang  die  Mädcheusciiulo  gehalten  haben,  wocn  ihr 
der  Bat  ein  Hans  flberwiefl,  dessen  Besttser  während  des  30  jlhr.  Krieges  verschwunden 
war.  Stembedc  a.  a.  O.  190.  —  ')  [nSO  anstatt  nnnfltser  Oeschwfttie  bey  ehilieher 
Lcate  Zusammenkunfft  xn  gebraachen"].  Aach  G.  G.  Kflster  a.  a.  O.  erwlhnt  dies 
Werk. 


TK»  BbMaAvg»  Stadtacimle. 


49 


Zwtaiid  (welclien  Sie  bislier  vielleicht  selbst  nicht  so  eigentlich  ffir 
andern  vielen  AmbtBgeschäfften  beobachtet  haben  mögini)  Ihnen  hiermitt 
zu  gemfihte  habe  führen  wollen^.  —  Er  stehe  allein  da,  habe  17  Thaler 
EinkofDunen,  vom  Rath  !>  thl.  S  gr,  vom  Kasten  8  Schock  [ä  1  thl.  8  gr]. 
DaTOn  solle  Holz,  Licht»  Witsche,  ßetthiger  und  Kleidung  beschafft 
werden,  doch  reiche  nicht  zu.  Für  Holz,  «daminb  Bich  meiner 
Collegen  keiner  jemals  kümmern  dürfen'',  habe  er  von  Michaelis  bis 
Ostern  8  Thl.  gebraucht,  Licht  koste  jährlich  6  ThL  —  »Aoff  mein 
BetUager  habe  Ich  swar  Jährlich  nicht  viel  können  wenden,  sondern  in 
groben  zerrissenen  vnd  geflickten  Betten  liegen  müssen.  Der  Seelige 
Herr  Inspector*),  als  Ich  mich  einstmals  des  Bettlagers  halber  beklagte, 
hat  vor  recht  vnd  billich  erkannt,  das  mir  die  Herren  Kasten  Vorsteher 
jährlich  2  Thl.  zii  hülffe  geben  solten,  weil  Ich  nicht  geringer  were  alss 
mein  herr  Collega,  der  seyn  frey  bettlager  hette*'.  — 

«Wovon  8oU  man  nun  etwas  an  den  Leib  snerhaltung  der  gesont- 
hfiit  wenden,  oder  wenn  man  kranck  wird,  zn  wiederbringung  der 
gesnntheit,  sonderlich  wenn  man  mitt  all  lagerhafttip^  wird  vnd  dem 
Medico,  Apotecker  vnd  Balbierer  geben  muss,  welches  diejenigen,  so  in 
Schulen  lange  gearbeitet,  wenn  der  Schulstaub  sich  bey  Ihnen  beginnt 
zu  regen,  thun  müssen. 

„Die  Kecordationes  sollen  jährlich  10  Thl.  bringen:  davon  gehet 
mir  mehr  als  die  hclffte  vflf  arme  Studenten,  arme  Selnilcr,  Exulanten, 
handwerckspursche  vnd  andre  arme  leute,  welche  mich  keinmal  über* 
sehen,  sondern  noch  woU  eher  besuchen  als  andre,  derer  offt  manchen 
Tag  woll  6,  7  oder  8  part  kommen.  Die  andre  helffte  gehet  voUent 
auf  weis  seng,  hemden,  überschieße,  Schu  vnd  strümpffe. 

„Femer  ist  noch  fibrig  das  Schul  precinm,  davon  oütermals  kaum 
die  helffte  gar  langsam  ynd  einzeln  einkdni1)t,  welches  anders  nichts  ist 
als  eine  zubnsse  zu  den  tischen,  die  zum  öÜ'teren  mangeln.  Denn  wie 
kümmerlich  es  etlicli<>  .Tahre  hero  mitt  den  Tischen  sugegangen,  vnd  wie 
offt  Ich  vnd  mein  Herr  collega  [ßaiiiiigartj,  der  nanmehro  in  Bucko  ist, 
ferias  Esuriales  haben  celebri ICH -)  müssen,  das  ist  Ihnen  ohne  mein 
erinnern  ziemlicher  massen  bekaut  Idi  habe  für  2  Jahren  nurten  notirt, 
dass  vns  die  tische  so  oflt  gemangelt,  dasa  vns  in  einem  Jahre  lü  thl. 
speise  gelt  aussen  blieben,  welches  wir  traun  haben  zubflssen  müssen, 
wenn  wir  nicht  haben  hunger  leiden  wollen.  — 

.Wovon  bekömbt  man  nun  ein  ehrlich  Kleid,  das  man  mitt  repa- 
tation  f&r  ehrliche  leutte  gehen  dai^,  vnd  respect  vnd  Autorität  bey  den 
Scbfilem  in  der  Schule  erhalten  kann? 


')  Petnu  LüUicke,  s.  Sfeudentcu  zu  1614.  —      Mit  GaJgenhumor  statt:  Uuugep 


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so 


„Dis,  eben  dis  ist  allewege  mein  grösster  Kummer  gewesen  vnd' 
bloibet  noch  der  grösste,  siutemahl  Ich  nicht  mehr,  erdencken  kann,  wo 
das  herkommen  soll,  weil  zur  Kleidung  nicht  wenig,  sondern  viel  ge- 
boret, soiHltM-Iich  wenn  auch  eiu  Mantel  zum  Kleide  soll  geschaffet 
werden.  Daher  kömbt«,  diiSH  Ich  mich  so  lange  mit  Einem  Mantel  vnd 
lunein  Kleide  behelflVn  uiuss:  den  dünnen  löcherichten  Mantel,  den  Ich' 
ietzo  noch  habe,  den  ti*age  ich  nun  ins  K^.  Jahr:  das  Kleid,  darinnen 
Ich  noch  täglich  in  die  S<'lmlo  gehe,  ins  8.  Jahr.  Denn  wenn  ich  dies 
Kleid  8  oder  4  Jahre  getragen,  habe  Ich  müssen  lassen  wenden  vnd 
hernach  noch  ein  Jahr  *>dor  drei  tragen,  biss  es  löchericht  vnd  dünne 
worden  vnd  im  wiiiter  nicht  mehr  wider  die  Kelte  schützen  können, 
dalieru  es  denn  auch  k(inibt,  das  man  in  so  dünnen  vnd  geringen 
Kleidern  in  der  Kelte  schaden  an  der  gesuntheit  nehmen  vnd  zuweilen 
mitt  all  lagerhaffti^  worden  muss.  Ich  hette  bey  diesem  kalten  winter 
eine  warme  mutze,  dass  liiinpt  für  der  kelte  zu  Itewahren  so  noht,  als 
einen  rock  oder  Mautel,  aber  ich  muss  es  wegen  mangel  des  geldes 
auch  lassen  anstehen  vnd  mich  mitt  einer  alten  abgetrageuen,  so  Ich 
12  Jahre  gehabt,  behellten. 

Wenn  Ich  sehe,  wie  CoUegen  vnd  .Schulbediente  in  andern  Stätcn 
sich  so  stattlich  vnd  ehrlich  kleiden  können.  Ich  aber  hier  in  ('»,  offt  in 
8  Juhieu  kaum  ein  schlecht  vnd  gering  Bürger  Kleid  von  meinen  Ein- 
kommen zeügeu  kan,  so  muss  ich  von  hertzeu  seüü'tzen  vnd  heimlich 
weinen. 

Nun  mu.'^s  Ich  zwar  viel  der  bösen  zeit  vnd  der  grossen  bedrengf- 
uüss  dieses  ortes  zuschreiben,  weswegen  Ich  auch  allewege  gedult  ge- 
tragen vnd  in  diesem  fall  gerne  mitt  gelitten,  alleine  wenn  Ich  gleich 
woll  entlich  betrachte,  wie  lange  Ich  in  dem  vugesuuden  Schulstaube 
tanqnam  in  pistrino*)  —  Fanctio  scholastica  dora  est  provinda. 
Ghemnitins  —  ani  harten  vnd  schweren  Joch  der  Schularbeit  gezogen: , 
wenn  ich  auch  betrachte,  wie  Ich  neben  dem  15  V<  Jahre  an  des  Diaconi*) 
Stelle  vmb  ein  schlechtes  vnd  geringes  habe  helffen  predigen. vnd  olfter- 
mals  80  offt  vnd  viel,  alss  wenn  Ich  eine  eigene  dorfl^farre  gehabt  hette, 
sonderlich  bey  dem  alten  Herrn  Inspectori  Seeligen,  da  Ich  offt  4  Wochen, 

')  Stampf-  oder  Tretmühle,  —  ')  Das  Diaconat  war  in  Ermangelung  der  er- 
forderlichen Mittel  von  1641-  56  unbesetzt  ,  wie  auch  der  Recess  1054/6  besagt.  1056 
sollte  die  Schule  wiederbesetzt  werden;  dazu  meldete  sich  unter  andern  Bewerbern 
ein  Johannes  Seiffert,  welchen  der  Chf.  Brand.  Consist.  Bath  und  Superintendent  tn 
Gflstiin  (31.  Jan.  1666)  W.  D.  Festeltg  snm  DUconna  ond  Bector  empfaU:  „Ind«m  er. 
erstlicli  etliche  Jahr  alliier  scbolam  noslram  frequentiret,  die  fundamenta  in  pietato, 
Unguis  et  artibus  wdl^nlt^iret,  den  Cborum  Musicum  rtHmilich  rogiret,  homach  auf  der 
Acadeiiiia  in  Leipzig  t^eine  sludia  PbilüSophica  et  TbeolüK'ica  mit  fleiss  tractiret,  vber- 
daiss  alhier  vnd  in  der  liachbarschafft  etUche  Mal  erbawliche  predigten  löbUch  ab- 
geltet» aneh  in  »tSoMm  Leben  imd  wandd  dch  iedeiieik  vmttHlidi  vnd  ffiedfeilig 
«neiget**. .  Kieht  er,  aondem  TobiM  Schänder  mirde  gewlUit.  — 


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Die  Slimiuibeig«r  StiidtBeliiileL 


61 


venu  eir  krank  gewesen,  continue  nach  einander  nicht  allein  predigen, 
sondern  anch  die  Betstonden  halten  vnd  noch  ofit  selbst  daza  Singen 
nifiasen  —  der  Schularbeit  nichts  benommen,  wenn  Ich  schon  in  der 
Sehnl  aUem  gewesen  —  das  Ich  aach  von  so  vieler  vnd  harter  bemühnng 
als  vielen  reden,  nngra  vnd  predigen  dne  mptoram  in  peritoneo  et^)  — ^  — 
bekommen  vnd  daher  vngesond  worden  vnd  bleiben  mnss  —  wie  denn 
dahero  anch  meine  schwache  spradie  vnd  schwadie  stimme  entlich 
kommen  ist.  — 

Wenn  ich  anch  betrachte,  vne  Ich  bey  solcher  schweren  arbeit  alt 
und  schwach  worden  bin,  entlich  noch  gednppelte  arbeit  tragen  vnd 
verrichten  mnss  vnd  von  aller  dieser  arbeit  vnd  einkommen  nichts  ifSat 
mich  gebracht  moeh  kfinflRig  für  mich,  bringen  kan,  davon  Ich  in  meinem 
alter,  wenn  Icli  nicht  mehr  fortkommen  könte,  einen  Zehrpfenni^  haben 
möchte:  Wenn  leb,  sag  Ich,  solches  alles  betrachte  vud  bedencke,  so- 
gerahte  Ich  auff  selir  wunderliche  gedancken  vnd  habe  oflftea  eine 
jämmerliche  Klage  heimlich  bey  mier  zuführen,  vnd  habe  ebendaliero 
entlieh  auch  in  diese  Klägeschrifft  ausbrechen  müssen  vnd  s(>lhi<re  meinen 
Herrn  Patronen  za  lesen  Ubergeben  dienstfleissig  bittende,  Sie  wollen 
solche  nicht  allein  erw^n,  sondern  mier  auch  in  denen  stücken,  die 
mich  am  meisten  afficiren  vnd  darinnen  Ich  am  meisten  noht  leide,  zn 
hül£fe  kommen*,]  — 

43.  44.  Ton  1669  bis  1G79  war  das  Rektorat  mit  dem  Eantorat 
verbunden  [s.  Kant.  34  u.  35].  Ab  anno  1679  vacabat  rectoratos 
nsqne  1088. 

45.  Johannes  Müllems  1()88,  antea  conrector,  iam  anno  16B9 
Diaconns  in  oppidum  Neustadt  vocatns. 

46.  Martinns  Müllems  1690. 

47.  Ephraim  Friedlieb  Jftterbock  1691,  würde  1698  als 
Frediger  nach  Friedersdorf  [bei  Selow]  berufen^  [Während  seiner 
Amtszeit  war  das  Eantorat  nnbesetst  Darfiber  beklagte  sich  die  Bürger- 

22.  6 

Schaft,  wie  Punkt  ü  des  Recesses  vom  jzr"^  ^^^^  andeutet. 

„Wegen  der  Gemeinen  Stadt  anlagen,  alss  Gaplan-Wächter-Tisch- 
geldt  der  Scbull  Collegen  und  dergl.,  ist  die  Bürgerschafft  nicht  hdher 
zu  Collectiren,  alss  würcklich  ausgezahlet  werden  muss,  und  dass  quantum 
unter  ümiBn  S&mbtlich  einzutlieileiK  W^ferne  aber  einer  oder  luider  in 
abgebung  seines  antheils  seümig  sein  würde,  kann  Magistratui  nicht  ver- 
virehret  werden,  die  Obrigkeitliche  Handt  zu  biehten,  und  auf  gehoi'sahmcs 


•)  D.  L  Brach  im  Bwiefafeli,  da«  mite  Übel  ist  unleserlidi.  ~  •)  £r  verwattete 

daa  1663  vacante  Kantornt  mit  —  'i  Auch  dieser  beklagt  sich  über  den  Mangel  an 
Holz  und  Speisegeld.  Ex  scheint  ein  äoJba  oder  Jffinkel  des  MOnchebeiger  Inspecton 
gewesen  su  sein.  — 

** 


52 


J0a  EWBran: 


ersuclien  die  restanten  per  viam  ezeeaiioius  beymtrelben.  Vnd  weiln 
bey  diesen  Pnnckt  die  Bürgerschafit  sich  beschwehret,  dass  nur  ein 
Schullberr  anietzo  vorhanden,  so  aber  onmöglich  die  Information  der 
Jugendt  alleinc  gehörig  respiciren  könte,  und  deslialb  verlanget,  dass 
noch  ein  Scholl  College,  welchen  auch  dass  Orgelspiel  in  der  Kirchen 
anvertrauet  werden  möchte,  angenommen  würde,  zu  dcs'^oTi  gehalt 
sämbtlicb  contribuiren  wolten;  Alss  wirdt  ihnen  solches  billig  verstattet, 
Wobey  jedoch  in  Ooiisideration  gekommen,  dass  dem  Bnrgemeister 
Lüdicken,  welcher  bissher  die  Orgel  versehen,  sein  davon  biss  ietzo 
gehabten  geiialt  in  ansi  liung  seines  hohen  alters  ad  dies  vitae  zulassen**. 
—  Punkt  21:  „Dass  Holtz  zur  Schule  muf5s  der  Pensionarios ')  lant 
Contracts  anführen,  und  wil  Magistratns  Ihn  dazu  anhalten"".] 

48.  Samnel  Fabridns  1699—1707,  konnte  organd  pneomaticö 
Indere,  wnrde  als  Prediger  nach  Wemenchen  vodret  —  \Er  mnss  seine 
Heimat  in  Werneuchen  gehabt  haben,  denn  von  dort  aus  schickte  er  seine 
Bewerbung  uro  das  Rektorat:  , 

Nobilissimi,  Amplissimi  atque  Gonsultissimi  Patron! ,  Fautores 
aestumatissimi.  Etsi  vestra  mihi  nondum  satis  sit  cognita  fides  atque 
benevolentia,  tarnen  has  ad  vos  dare  sustinui  literas,  quas  nt  in  optimam 
accipiatis  partem,  est  quod  subnusse  rogito.  Audivistis  me  nuper.  Vir! 
Nobilissimi,  publice  condonem  habere,  audivistis  et  me  Organo  pneu- 
matico  ludere,  quod  grata  agnosco  mente,  utinam  voluntati  vestrae  a 
me  satisfactum!  F^ci  quod  potoi  et  quidem  enm  in  finem,  ut  me  Vobis 
totom  commendarem  atque  traderem.  Elzponam  haeo  audadus.  Yacabit 
apud  Vos  Sparta  Scholae  seu  officium  Rectoris,  quod  Vobis,  Fautores 
optimi,  non  est  obscurom. 

Rogo  Vos,  quaesoque  magnopere,  ut  ista  provinciola,  si  Deo  vobis- 
qae  placuerit.,  in  nie  couferatur.  Gerte  qaicquid  hinc  Diguitatis  accedet, 
id  omne  in  Vos  rednndabit.  Videbor  postea  non  tantum  esse  vobis  oneri, 
sed  etiam  honori.  Res  haec  est  in  Vestris  manibus,  Vos  eam  fadli 
negotio  in  effectum  dare  potestis.  Sic  illa  vitae  meae  stotio  erit  studiosae 
juventuti,  quod  Deum  solUdte  posco,  fructnosa  et  votis  meis  aocommo- 
data.  Grati  animi  tesseram  jam  tum  alacerrime  pronütto,  memorisque 
mentis  adeo')  symbolum  hac  ipsa  epistola  offero,  depono.  Quodsi  tam 
benigna  fata  forent,  ut  ipsa  offidosa  retributione  Vobis  assurgere  possem, 
o  quam  gauderem!  quam  laetus  trinmpharem!  Interea  pro  vestra  salute 
Coelum  predbus  defatigabo  indefessis,  ut  Vos  quam  diutissime  servet 
Valete  et  si  me  vestro  favore  et  benevolentm  dignum  judicatis,  deinceps 
quoque  amare,  fovere,  tueri  pezgite.  Script  If icro-Bemaviae  die  Lau- 


*)  Der  Paefater  des  ehemallgea  Klmmeraivorwerl»  WeUrthel,  aadHcfa  der  Stadl 
am  MaiieiibMg  gelegen.  —  •)  Hier  bat  er  einen  Anker  gemalt  — 


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Sie  StrmoflMigar  Stadtachole. 


58 


rentii  Ao.  1699.  Nobilissiinomm  Nomiimm  V.  obsciN  antia  indefessus 
servitiis  promtisßimuä  Coltor  Samuel  Fabricius  S.  S.  Thcol.  Studiosus.  — 
Seine  Bernfangsnrknnde,  die  älteste  des  Archivs,  lautet: 
^Demnach  durch  Scliickunf?  des  Allerhöchsten  unser  bisher  ge- 
wesener Rector  H.  Ephraim  Friedrich  Jfiterbock  zum  Prediger  nacher 
Friedei-sdorf  vociret,  wodurcli  dann  hiesiges  Rectorat  vacant  woi-den, 
T^iis  aber  eipnet  und  gebühret  solclie  Stelle  mit  eiiK  p  \vold(|ualificirten 
Person  hinwiederüm  zuersetzen;  Als  haben  wir  nach  fleissiger  delibera- 
tion  und  einhelligen  Bewilligung  unsers  Inspectorls  Herrn  Christiani 
Pai>e,  den  Tlerrn  Samuel  Fabricium  S.  S.  Theol*  Stadiosnm  zu  unsern 
Schul-Rectorem  zuberuffen  unter  uns  beschlossen.  Vociren  demnach  ihn 
hiermit  zu  solchem  Ampte  in  Nahmen  Gottes,  nicht  zweifflende,  dass 
er  sich  in  Frwefjnnp:  dieser  ordentlichen  Vocation  williglich  gebrauchen 
lassen  und  dahin  sp|u>n  werde,  dass  die  hiesige  Jugend  sowohl  in  pietate 
und  inoribus,  als  in  litoris  niüglichstes  fleisses  untcrriditet  werde.  Dafür 
soll  Ihme  auch  seine  irehörige  besoldung  und  fürfallende  areidentia, 
Innhalts  beygelegtei  Specitication  vom  Octob.  an  ^egi-ben  nnd  ausgezalilet 
werden.  Wann  er  in  seinen  nohtwendigen  Gc-schäften  verreisen  will, 
hatt  er  solclies  sowohl  dem  regirenden  Bürgerm.:  als  Tnsjtecfori  anzu- 
deuten. Wir  sind  ihm  aucli  s(mst  zur  möglichsten  willfahrnng  und  Be- 
förderung geneigt  und  erbötig.  Gegeben  aufm  Rahthause  zu  Straussberg 
den  12.  Octobr.  1009".  —  Nach  der  Sj>t'(  ilii  ation: 

„Ist  des  Herrn  Rectoris  zu  Str.  Einkommen  jährlich  wie  folget: 
15  fl.  märkisch  aus  der  Kirche,  ö  tl  aus  der  Rahthäussl:  Cännuerey. 
8  Tbl  12  gr  an  drey  auf  luciae,  ((uasi  und  rrnci<  [l'l  Dec,  Sonntag 
nach  Ostern  und  14.  Septb.]  fallende  Frey  Ziesen.  12  thl  aus  der 
Kirchen  Kasten  wegen  der  Oi£rel^  so  ihme  ad  Interim  zu  spielen,  bey- 
geleget  worden.  <)  gr  empfanget  er  von  einer  TTochzeit  weiii'ii  des 
spielens,  hergegen  bekommt  der  Cantor  die  andern  (>  gr,  so  des  Singens 
halber  gegeben  werden,  daferne  aber  obige  b  gr  von  dei-  Orgel  künftig 
fallen,  müssen  beyde  Schul  ( 'olleren  sich  die  andern  (i  gr  tlieilen.  Von 
den  4  Recordationibus  bekommt  er  aut  h  sein  halbes  Antheil.  l)ie  be- 
stehende Martini  Retordation  wird  dem  Cautoii  wegen  seiner  mühe  itzo 
allein  gelassen.  Von  einer  Schulleiche  wie  gebrauchlich.  2  gr  Schul- 
geld von  jedweden  Knaben  jedes  Vierteljahres.  1  gr  Marcktgeld  in 
beyden  grossen  Märckten,  auf  die  wochenniärckte  aber  nur  0  ^.  Solches 
haben  sie  sich  auch  zu  tlieilen.  —  Nebst  dem  liatt  er  frey  logeament 
und  Betten  auf  der  Schule,  imgleicheu  einen  fi  eyeu  Tisch  bey  der  gantzeu 
Bürgerschaft".  *) 

>)  BauMriMDiwert  lama  ist  die  Verdoppelang  des  Sebnlgddea  gegenüber  der 
BetUnumiDg  tod  ItOd,  die  Ztemfceiheit  und  das  Freibett;  et  ichetnt  sleo  Wincmdings 
bewei^be  Klage  etwas  gefluchtet  m  beben.  — 


54 


B,  Seifert: 


4U.  >ratthaeus  Sommer  1707 — 9,  der  in  Vngarn  zu  hause  ge- 
hört uud  sich  als  einen  wegen  der  Religion  Vertriebenen  nennt.  Er  war 
•'in  selir  unruhiger  Mann,  der  mit  dem  Magistrat  und  Inspector  selir 
viele  Ziiiikt'icion  hatte,  und  weil  er  vermutete,  dass  die  vom  Inspector 
Pape  gegen  ihn  aiiooijeliene  Dennnciation  niclit  gut  au.stallen  möchte, 
legte  er  1709  seineu  Dienst  nieder  und  ging  nach  Berlin.  —  Uber  seine 
Per.son  und  sein  Auftreten  haben  sich  interessante  Aktenstücke  erlialten. 
Unterm  2.  Decbr.  1706  bewarb  er  sich  von  Berlin  aus  um  das  Rektorat, 
darin  heisst  es:  „ —  Was  massen  ich  leider!  nebst  meinen  Eltern,  fast 
von  Jng«nd  auf,  grausame  Verfolgungen  der  Religion  wegen  in  Ungarn 
ansssteben,  auch  hemaehmahls  nach  absoMiten  stadinm  zu  Berlin  nnd 
Franckfurth  an  der  Oder,  bey  meinem  Rectorat  nnd  OrganisImidienBt 
in  der  Eayser^  und  Ednigi.  ältisten  Ungarischen  BergStadt  Dälln,  der^ 
gleicheil  aberroahl  mit  Weib  ond  Kind  habe  erfohren,  und  von  dar  nach 
Schlesien,  von  dannen  aber,  weil  denen  Exnlibns  alle  befSrdenmg  dnreh 
scharffe  Kayserl:  Verordnung  versaget  ist,  hierher  nach  Berlin  mich 
begeben  mfissen.  Und  bin  ich  nunmehro  durch  so  viele  Pressuren  in 
solchen  Znstand  gesetzet,  dass  ich  nechst  Gott»  .Cäiristlichgesinneter 
Hertzen  erbarmendien  Hülffe  höchst  vonnöthen  habe  .  . 

Zu  seiner  Empfehlong  lag  ein  Brief  des  Steuerrathes  Calow 
bd,  der  ihn  einen  Mann  von  gottesfOrchtigem  Leben  und  Wandel  nennt 
;,Seine  Gelehrsamkeit  ist  alhier  überall  und  Insonderheit  bey  denei^ 

')  Im  Arcbiv  befindet  sich  folgendes  gedruckte  „Rescript  An  das  Kayser-  und 
Königliche  Ober-Ampt  in  Schlesien,  Das  Rehgions  Exercitium  betreffend,  Nebst  bey- 
gefOgten  Vergleichs-Puncten,  Zwischen  Ihr.  Kayserl.  und  Königlichen  Schwedischen 
Muj.  Muj.  ptoaentirt  den  11  Sept.  1707,  Beriin,  Dnickts  Johann  Lorents.  S^»".  Erst 
darch  dlei  Beseiipt  wurde  den  Protestuten  Selüeriens  S^vts  und  Bedit  gewlhit, 
ei  htOBBt  im  §  1:  .Diejenigen  Kirchen  und  Sclmlen  in  den  FürstenthOniem  Lignits 
Bricc,  Mfln-^lerberg  iind  Oelsen,  wie  auch  zu  Bresslau  und  in  den  fibrigen  Städten, 
Vorstildten  und  Dörffern,  welche  nach  dem  Westphälischen  Frieden  sind  wegtfcnommen, 
oder  den  Römisch-CathoUschen  eingerüumet,  oder  nur  versperret  worden,  sollen  in  den 
Stand,  worinnen  de  sur  Zeit  des  gedachten  Frieden-Scfaluases  gewesen,  wieder  gesetset, 
nnd  denen  Augspuigisehen  Confcssions  Verwandten  mit  allen  ihren  Bechten,  Frey- 
heiten,  Einkttnfften,  liegenden  Gründen,  und  allen  dazu  gehörigen  Gütern,  innerhalb 
eines  halben  Jahres  zum  höchsten  oder  auch  eher  wieder  einperfluniet  werden". 
§  2:  rDenta  ClthstUchen  Gemeinden,  welche  aufgebauete  Kirchen  haben  bey  den 
Mauren  der  Städte  Schwidnits  Jsuer  und  Ologau,  sott  nicht  aleiB  freyslehan,  so  viel 
Prirater  m  halten,  wie  viel  rar  Venichtong  des  Gottesdienstes  genug  aeynd,  sonden 
auch  zur  Erziehung  der  Kinder  neben  den  Kirchen  Schulen  zu  haben,  und  aufs  neue 
anzurichten".  §  3:  ..An  «lenenjenigen  Oertem  aber,  nlhvo  die  öffentliche  f'bung  der 
Beligiou  Augsp.  Conf.  Verwandten  verboten  ist,  soll  niemand  verboten  seyn,  seinen 

Gotlesdisiisl  biedEoh  nnd  in  der  Stille  in  seinem  Uause  za  verrichten,  und  seine 

Kinder  answertigen  Schulen  seiner  Belifl^on  oder  sn  Hanse  privat  —  PKaeeeptoribus  In 
die  Information  zu  obcrgcben".  §  8:  Durch  gans  Sehtesien  sollen  irii«liin  xand  Schulen 
—  —  n^ii^ft^hro  Tiieht  mehr  wegpenoramen,  sondern  mit  ihren  Pastoien  und  Schul* 
CoUegen  erhalten  und  gescbützet  werden**.  — 


INe  Stnunbevger  Stadtschule. 


66 


Ministeriis  hckand,  und  hat  gute  Wissenschaft't  und  fundamentale 
Cognition  in  musicii«!,  so  dass  ich  porsuadiret  bin,  dass  (hirch  dessen 
Berufung?  der  Stadt  und  der  anwachsenden  .Tui^end  bestes  menklich 
werde  befördert  worden  .  .  Nachdem  er  sich  wührend  der  Weihnaclits- 
feiertage  hatte  auf  der  Orgel  und  Kanzel  liorcn  lassen,  trat  er  im  Mai 
1707  sein  Amt  an.  Die  Schul verhältniRse  fand  er,  wie  es  sclu'int,  sehr 
im  Algen  liegend  und  in  dem  redliciien  Bemühen,  Wandel  zu  schaflen, 
]»at  er  den  Magistrat  um  seine  Unterstützung,  indem  er  ihm  i^.luni  1707) 
anzeigte,  dass  der  Conrektor  Schwanheuser  seines  Amtes  durchaus  un- 
.pünktlich  walte  und  zu  giitsserer  Pflichttreue  augehalten  werden  müsse. 
Dadurch  aber  verfeindete  er  sich  nicht  bloss  diesen,  S'^ndern  auch  dessen 
Verwandtschaft,  worunter  ein  Katsherr,  und  es  kam  zu  höchst  ärgei- 
licben  Auftritten  in  dei-  Schule  und  Kirche.  Ebensowenig  wusste  er 
sich  mit  dem  Insi)ector  Pape  zu  stellen;  derselbe  wandte  sich 
•schliesslich  direkt  au  den  König  um  Schutz:  Sommer  sei  unruhiges 
■Gemütes,  suche  das  Ministerium  und  den  Magistrat  untereinander  in 
Uneinigkeil  und  Missverstilndnis  zu  setzen,  donegire  dem  Inspector  alle 
Folge  und  Respekt,  molestire  ihn  in  seinem  Amte,  sei  nicht  bemüht, 
specimina  seiner  Treue  und  seines  Fleisses  zu  zeigen,  zanke  beim  Ge- 
brauch des  heiligen  Abendmahls,  verbreite  unchristliche  Calamnien  über 
ihn  o.  8.  vv.,  alle  diese  Ungehörigkeiten  möchten  demselben  sub  poena 
remotionis  untersagt  werden.  Dem  mit  der  Untersuchung  des  Streites 
beauftragten  KonsiBtorialrat  übersandte  Sommer  eine  geharnischte  Ver- 
teidig u  n  gs  s  chrif t  xn ,  ans  welcher  besonders  folgende  Stelle .  hervor- 
zuheben ist:  .... 

„Wann  Ichs  nach  des  vorigen  Rectoris  offtmahlige  Vor- 
■mahnnng,  mit  dem  Inspectore  gehalten,  und,  wie  ers  gethan, 
.mit  ihm  Gastereyen  besucht,  vor  Mittage  Thee  getrnncken, 
von  Mittag  biss  Abends  gepotzelt,  bey  der  Toback-Ffeiff  nnd 
Biefkrng  gesessen  nnd  die  Schul  zu  3  biss  4  Tagen  an  den 
^agel  gehängt  hätte,  da  die  Schttler  indessen  in  der  Schul 
Kegel,  blinde  Enh,  Ball,  Pinckebinck  gespielt,  zum  Fenster 
-rauBB  und  rein  gestiegen:  so  wäre  ich  ein  guter  Rector  ge- 
wesen, und  hätte  mir  alles  haarklein  müssen  bezahlet  werden, 
wie  dem  vorigen  Reotoii;  ja  ich  wäre  pro  rostris,  ans  et  focis  gerühmet 
*und  gelobet,  nnd  endlich  bey  den  Superioribus  bestens  recommendiret 
und  höher  befördert  worden,  nti  mihi  proroissum  erat,  ob  ich  schon  das 
maledictum  propheticum,  das  Senfftzen  der  Eltern  und  Kinder,  nnd  ein 
bösB  Gewissen  auf  den  Halss  geladen.  Da  wäre  alles  gut  gewesen. 
Denn  was  Inspefstores  und  Priester  reden^  ist  alles  war,  der  arme  ga< 
meine  Mann,  der  nichts  vom  Gesetz  weiss,  ist  verflucht  Joh.  7  V.  49. 
Nun  ich  das  meine  redlich  gethan  (obgleich  der  Inspector  biss 
über  die  Okcen  in  der  Schuld  steckt),  so  muss  ich  angeklagt,  ver- 


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56 


B.  Seiffert: 


schwärtzt,  verdammt,  verfolgt,  Verstössen,  belof^cn  und  be- 
trogen seyn,  Quare?  avrc;  ;>*>a.  Und  ist  nicht  zu  verwundern,  da^s 
keine  Chi'lstlicho  Seele  erkennen  will  den  Tin^^er  Gottes  hierinn:  wie 
uenilioh  Gott  länger  nicht  hat  zusehen  und  solch  nialum  nicht  verborgen 
bleiben  lassen  wollen.  —  Nun  ich  will  lieber  mit  gutem  Gewissen  mein 
Brodt  für  den  Thuren  betteln  als  mit  bösem  Gewissen  in  einem  hohen 
Amt  sitzen  .  .  Er  bitte  daher  um  eine  anderweitige  Stelle  und  gelobe 
anoh  fererhin  Treue  und  Geduld  an. 

Wie  die  Verhältnisse  sieh  weit«  znspitsten,  schiSdiert  eine  vom 
Magistrat  entworfene  „Instrnetio  wegen  der  mit  Herrn  Matth* 
Sommern  am  11.  September  1709  angesetzten  Verhör*,  in  deren 
erstem  Teil  ihm  Schuld  gegeben  wird,  das  Orgelwerk  gänzlioh  Terdorben 
SU  haben;  dann  heisst  es  weiter:  „Was  seinen  Lebenslanff  betnfit,  so  hat 
er  sich  im  Anfange  seines  Rectorats  in  sdnem  Leben  recht  sitsam  und 
wohl  aa%efahret,  auch  bey  seiner  Information  sich  treu  und  fleissig  er- 
wiesen, so  dass  das  Ministerium,  der  Magistrat  und  die  gantse  Bfirger- 
Bchaflft  mit  ihm  wohl  zufrieden  gewesen.  Nachdem  aber  der  Gaator,  so 
▼om  Podagra  inoommodiret  ist,  nicht  allemahl  in  der  Kirchen  sein  Ambt 
mit  Singen  verrichten  können,  und  dannenhero  yom  Bectore  verlanget 
worden,  das  Singen  in  der  Kirche  zugleich  zu  bestellen,  hatt  er  solches 
zwar  anfangs  etlich  mahl  fiber  sich  genommen,  nachgehends  aber  sich 
dessen  gewegert,  Er  wäre  des  Cantoris  Junge  nicht,  dannenhero  in  der 
Kirchen  viele  Unordnungen  entstanden,  und  der  Prediger  selbst  singen 
müssen.  Dieser  sein  Eigensinn  hatt  sich  t&glich  bey  ihm  vermehret,  und 
als  bey  dem  Schul  Examine  der  Rector  allerhand  anzilg^che  Redensarten 
wieder  den  vorigen  Rectorem  und  gegenwärtigen  Cantorem  ausgestossen, 
sind  diese  beyde  CoUegen  in  Beyseyn  des  Ministerii,  Magistrats  und 
vieler  von  der  Bürgerschafft  in  solchen  Zanck  gerathen,  welcher  zwischen 
ihnen  knmn  hatt  können  gesteuert  werden. 

^Dieso  Verbitterung  hatt  auch  täglich  zugenommen,  dass  auch  der 
Rector,  da  er  mit  dem  Ca ntore  zugleich  zum  heyligen  Abendmahl  gangen, 
in  der  Kirche  beym  Altar  zu  zancken  sieli  nicht  entblödet,  wodurch  dum 
bey  denen  andern  Communicanten  nicht  ein  geringes  Ergemiss  verur- 
sacht worden. 

„Gegen  den  Herrn  luspectorem  hat  er  sich  auch  sehr  importun  er- 
zeiget, dass  auch  dieser  genöthiget  worden,  über  solche  des  Rectoris  ira- 
]»ortunitaet  beym  Hodipreisslicben  Consistorio  zu  klagen,  da  dann  der 
Kector  durch  einige  Verordnungen  vom  Hochpr.  Consistorio  auch  cum 
Comminatione  Remotionis  zur  Besserung  angehalten  worden,  welche  er 
aber  e:ni'  srlilecht  respectiret,  keine  besserung  bezeiget,  sondern  immer 
eigensinniger  und  ärger  worden,  Gestalt  er  dann,  da  der  Magistrat  in 
Curia  zwischen  den  luspectorem  inid  }^'^torem  Einigkeit  zu  stifften  sich 
bemüht,  der  Kector  keine  Vorsteliungeu  annehmen  wollen,  sondern  auf 


Die  Straoftberger  Stadtachole. 


67 


den  ge^euwürtigen  Inspectorem  zu  schinälien  nngofangcn,  und  in  seinem 
Eigensinn  davon  gelauffen.  Und  obgleidi  solche  Verdriesslichkeit  a1>or- 
malil  l»eym  Hochpr.  ( '<insistorio  geklagot,  die  Parten  gegen  einander  mit 
ihrer  Nothdurft  gehoit  t,  die  Streitigkeiten  (hirc]i  einen  Abschied  ver- 
glichen und  aufgelioben  worden,  so  liatt  doch  der  Rector  diesen  Abschied 
nicht  Ith  gerin^'^sten  respectiret,  noch  demselben  sich  gemäss  bezA'iget, 
ungeachtet  er  auch  uachgeheads  dui'ch  schärlYere  liescripta  hierzu  auge- 
halten  worden. 

„Und  als  der  Herr  Inspector  in  ao.  17(IH  wegen  des  Rectoris  wiechn* 
ihn  verübten  Insolentien  eine  Commissiuu  beym  llociipr.  Consistorio  aus- 
gebeteu,  und  der  Herr  Dr.  Schnaderl)acli  und  Herr  Steuerrath  Cah>w 
committiret  worden,  diese  gantze  Sache  gründlicli  zu  untersuchen,  hoch- 
geraelte  Herrn  Commissarii  aucli  nlhier  in  Curia  den  Jnspectorem  und 
Kectorem  vor  sich  citirct,  hatt  der  Uector  diese  beyde  Commissarien  ver- 
worffen,  mit  den  Worten,  sie  wären  parteiisclie  Leüte,  Er  woRe  sich 
unpurteysche  Commissarien  ausbitten,  und  ist  also  der  Rector,  ohn  ferner 
Wortwechseln,  impoi*tun  ans  der  Stoben  und  davon  gegangen,  diiss  also 
diese  CommissioD,  so  dem  Herrn  Inspectori  nicht  geringe  Unkosten  ver- 
nrsadiet»  fimishtlosB  abgelanffeii,  und  der  Bector  nach  wie  vor  in  semem 
nnordentlichen  Wesen  fortgefahren  und  dem  Inspectori  lantor  Yerdruss 
verorsachet 

«Mit  dem  Gantore  hatt  er  jeder  Zeit  in  Streit  gelebet,  ihn  auch  in 
ao.  1709  bald  nach  dem  nenen  Jahr  wegen  des  Neüjabr  herümsingens 
in  der  Scholen  vor  der  Schul  Jugend  nach  angefangenen  Zanck  ttber- 
lauffeo,  zu  Boden  geworffen,  jämmerlich  zuschlagen,  auch  fast  alle  Haare, 
aussen  Kopfe  gerauffet,  bey  welcher  Addon  ihm  dann  seine  Ehefrau 
trefklich  secundiret,  so  dass  der  Gantor  auch  am  Hanbte  loediret  worden 
und  in  etlichen  Tagen  nicht  vom  Bette  kommen  können.  Bey  geschehener 
Untersuchung  aufin  Bathhause  hatt  der  Rector,  da  vom  Gantore  begehret 
worden,  ihn  zu  arretiren,  Gaationem  juratoriam  praestiret,  bevor  diese 
Sache  abgethan,  nicht  zu  entweichen,  solches  jurament  aber  auch  nicht 
gehalten,  sondern  davongegangen.  —  Nachdem  nun  endlich  dem  Herrn 
Hoff  Fiscal  Yoswinckeln  vom  Hochpr.  Gousistorio  aufgetragen  worden, 
wieder  diesen  unruhigen  Rectorem  eine  Inquisition  anzustellen,  dieser 
auch  einen  gewissen  Tag  pro  Termine  angesetzet,  und  hierzu  den  Rec- 
torem citiret,  hat  dieser  die  Inquisition  nicht  abwarten  wollen,  sondern 
bevor  der  Hoff  Fiscal  anhero  kommen,  sein  Rectorat  resiginret,  und  si(  h 
davon  gemachet,  womit  also  die  Stadt  diesen  eigensinnigen  Kopf  loss 
•worden. 

„Schliesslich  haben  wir  no(  h  dieses  erinnern  wollen,  dass  der 
Rector  bey  seinem  Abzug  nllerliaud  Pasquille  an  Tburen  angeschrieben 
und  damit  eiii-liche  lieute  schimpflich  angegriffen,  woraus  sein  bosshaffties 
Gemfith  er  noch  letztens  zuerkennen  gegeben. 


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58 


B.  Seiffert: 


NB.  Der  vcilauftVnc  Rcctor  Soiriiiu-r  liatt  eben  auflf  den  Sonntag 
MiftH'i  icuRl.  Duiiiini,  da  das  Evanffcliiiiii  vom  guten  Hirten  und  Miethlinp^ 
eikläret  wird^  hiesige  Schul  Jugend  verlassen,  und  ist  als  eia. Mietling 
davon  geflogen". 

Von  Berlin  aus  hat  er  noch  meliiere  Briefe  um  sein  rückständiffos 
Salurium  ^geschrieben ,  schliesslich  den  Map^istrat  deswegen  verkla^^t  und 
Execution  bewii  kt  ;  später  sclieint  er  seineu  Unterhalt  durch  Musikunter- 
richt erworben  zu  haben,  denn  er  unterzeichnet  stets:  Stud.  et  Musicos.  — ] 

50.  Johannes  Ernestus  Ribbach  1709—12;  er  erliielt  nach 
seines  Vatt  rs  To(k'  das  hiesige  Diaconat,  worauf  er  schon  1710  adjuDgiret 
war,  [und  ötarb  niclit  1722,  sondern  ist  dem  Inspectori  im  Zossenschen 
zur  Si'ite  «:^esetzet  uod  daselbst  Ai'chidiaconus  worden.]') 

öl.  Fridericus  Fabricius  1712 — 22  [Sohn  des  früheren  Rektors 
S;nniiel  F.  s.  No:  48],  darauf  zum  hiesigen  Diaconat  beiördert,  sp&ter 
riarrer  und  Inspector  1780 — 7y.^.-)  — 

[Als  er  noch  in  Halle  studierte,  wurde  ihm  das  Rektorat  über- 
tragen: dafür  l)edankte  er  sich  in  folgendem  Briefe  (vom  28,  August  1711} 
au  den  Consul  jierpetuus  et  .Iudex  Joliann  Richter: 

„Vir  Nobilissime,  Amplissime  at((ue  Consultatissime,  Domirie  Patrone^ 
omriibiis  iiominibus  colende.  —  Octaviis  volvitur  annus,  ex  (|Uo  Sdiola 
dci  i  liri;i  vestra  alia  discendi  causa  sahitavi  loca  .  vocor  pi*aeter  omnem 
s]ieiri  in  Scholam  vestram  ad  siilMMUKhim  Rectoris  officium,  (piod  ex 
literis  Vocatoriis  mihi  transmissis  ]iers])exi.  Cui  id  adscribam?  Sumino 
Deo,  cujus  Providentia  id  factum  esse  mihi  persuadeo,  nec  minus  Tibi 
celeriscjue  in  Civitate  vestra  Fautoribus.  Tild,  Vir  Nobilissime,  tautuin 
debere  existimo,  <|u:nitum  persolvere  difficile  est,  ct)llocasti  in  me  per- 
nmlta,  immo  iiimnueiabilia  cum  Tuis  benelicia,  utinam  Vobis  inserviendi 
milu  detur  (»ccasiol  cum  tamen  haue  jam  no?i  lud>eam,  Deum  precibus 
dt'tatigabo  imh-fessis,  ut  Vester  sit  et  maueat  Protector,  Quae  a  m« 
desiderantur,  pro  viribus  exe(|ui  couabor,  totusque  in  id  iucumbam,  ut 
Rectoris  in  me  collati  Oflicii  Vos  numpuim  jxu'uiteat.  Hoc  abs  Te,  Nob. 
Domiiie  I*atrone,  peto,  ut  pristinam  Tuam  erga  me  Yuluutatem  con.serves 
jiorroque  comrnendatum  hal»eas  Nul».  Amplissimique  Tui  Nomiuis  obser- 
vantissinuim  Cultorein  ..." 

52.  Christianus  Eustacliius  1723—46  [ein  Verwandter  des 
consul  dirigens  Peter  Siegfried  Pape].  1736  w&hlte  ihn  der  Magistrat 
zum  Diacouus;  weil  er  aber  trotz  seiner  Studien  in  Halle  nicht  die 
eifurderltchen  Zeugnisse  hatte,  resignlrte  er^).  Er  mu^  174()  gestorben 
sein  [cf.  Rekt.  oB  Zusatz]. 

')  Stemb«ck  S.  M  u.  Beckmanns  NachUus.  —  *)  Btembeck  8.  60.'  —  *)  8tom> 
beck  S.  55.   Einen  Ohrist.  EoBtachiiu  erwibnt  Beekmums  17acld«M  1711  als  Pxedifsr 

von  Reichenbeiig.  — 


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Die  Stmubeiger  SUidtachiile. 


59 


B.  Cantoren   1650 — 1741. 

28.  Caspar  Schönjahu,  Magdcburgensls  Saxo.  Er  kam  KiöO 
allererst  von  der  Universität  und  hielt  um  dieser  Bedienung  seihst  auf 
din  Jahr  lang  an,  worin  Ihme  denn  nndi  E.  E.  Rath  gi*atificirte ; 
nach  verflossenem  Jahr  nahm  er  mens.  Mart.  1()51  seinen  Abschi»'«]  und 
wurde  darauf  zum  Cantore  an  der  Scliule  zu  Münclieherg  bestellt.  — 
[Das  ist  nicht  ganz  genau,  denn  er  ging  zunächst  nach  der  Uuiver- 
sitiit  Wittenberg  zurück,  um  seine  Studien  zu  vollenden, 
worüber  er  in  einem  interessaiitfii  Briefe  nrt  den  Stadtschreiber  Kalle, 
dessen  Freundschaft  er  gewonnen,  ausfühi  lieh  iM  i  ichtet: 

„Jesum!  Votum.  Meinen  freundlichen  gruss,  gautze  willige  Dienste, 
anwünschung  aller  Glückseligkeit  zuvor.  Ehrenvester,  Vorachtbahrer  vnd 
Wohlweiser,  Insonders  grossgönstiger,  geneigter  Herr  vnd  sehr  Werther 
freund  Herr  Christian  Calle,  Demselben  auss  wollmeinender  guter  atVec- 
tion  bey  gegen  werf  iger  Gelegenheit  meinen  anitzo  kläglichen  muI  vor- 
ächtlichen  poenal  stand  zu  significiren  kau  ich  keines  weges  vorbey. 
Vnd  berichte  also  dem  Hern,  Wie  dass  ich  also  halt  von  Straussbergk 
ab,  ohne  eintzige  seumung  mich  nacher  Wittenbergk  begeben,  woselbst 
ich  nun  mein  poenal  Jahr  (durch  Gotteshülfe)  auf  15  Wochen  noch  gut 
gevexiret  aussgestanden,  es  kostet  Mir  dasselbige  einen  zimlichen  pfennig, 
sintemahl  ich  keine  Woche  geringer  20  gr.  zukommen  kan,  da  i(  h  doch 
nur  in  die  communitet  gehe  vnd  sehr  schlecht  gespeist  werde,  Meine 
habitation  betrefFent,  so  habe  ich  auffem  CoUegio  majori  nebst  noch  einen 
Studioso  eine  stube  vud  kammer  gemietet,  wo  vor  ich  jahrliciie  4  thl 
solviren  muss.  Über  dass  so  florlren  alhie  die  stndia  Therilogica  auss 
der  jnassen  vohl,  mdchte  wfinschen,  Ich  könte  8  oder  4  jähr  alhie  ver- 
bleiben vnd  meiiien  stndüs  invigiliren,  wird  aber  solches  nicht  lenger  alss 
diess  eine  jähr  geschehen  können»  racio  die  weil  mirs  an  sumptibus 
Diangelt,  den  ich  ja  keinen  heller  oder  ptV  iinig  ex  patria  haben  lau,  die 
weil  meine  Eltern  schon  vor  14  Jahren  gestorben  vnd  nichts  hinter  sich 
gelassen,  den  etliche  morgen  landes,  welche  doch  hentiges  tages  sehr 
wenig  gelten,  bin  derowegen  beschlossen,  widefamb  einen  Cantor  dinst 
anff  3  oder  4  jähr,  so  lang  biss  ich  ad  altiora  gelangen  kan,  anzunehmen, 
entweder,  in  meinen  patria  aat  quocunqne  gentinm  sit,  möchte  also  gerne 
Avissen,  wie  es  vmb  *)  ....  Schale  bestellet,  ob  sie  einen  Gantorem  haben 
oder  nicht.  Ynd  ob  der  Herr  Rector  mein  gewesener  CoUega*)  noch  . . . . 
oder  ob  er  etwa  einen  Pfardinst  bekommen,  gelangt  derowegen  mein 
frenndlichs  vnd  höchstes  bitten  an  den  hochgeehrten  Herrn,  Er  wolle 
liiir  doch  die  faVor  erweisen  vnd  bey  erster  gelegenheit  solches  zu  wissen 
thnn.  Hiemit  wird  dem  Herrn  anch  bey  gefdget,  wie  dass  ich  an  den 
Herrn  Richter^  Ewers  orts  schon  2  nu^  schreiben  abgehen  lassen  ein 

*}  Die  Stelle  ist  abgerioeen.  —  *)  Wiaseiling.  —  ')  Martin  Schwanheuser.  — 


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60 


B.  ficillnt: 


mabl  Latteinisch  vnd  .zum  andern  mahl  ientsch,  habe  aber  aoff  keins 
antwort  bekommen,  kan  also  nidit  mssen,  wie  ich  das  verstehen  sol, 
ob  etwa  die  schreiben  nicht  fiberlieffert  oder  wie  es  sein  mag.  Hie  mit 
thae  Ich  den  Herrn  vnd  seine  liebe  haoss  zierde  in  den  Schnts  des  All- 
mächtigen befehlen,  zugleich  bittent»  den  Herrn  Inspectorem,^  Herrn 
Richter,  Herrn  Peter  Wegener  vnd  letzllch  gewesene  Speise  Herrn  meinent 
halber  zum  Allerfreundlichsten  zu  grflssen.  Vnd  dass  ich  mich  noch- 
mahlen am  allerherzlichsteu  bedanke  vor  alle  erzeigte  Wohlthaten.  Etiam 
atque  etiam  valeant.  datnm  Witebergae  8.  decembr.  Ao.  1651.  Taus  nt 
nosti  Caspar  Schönjahn  S.  S.  Theoiogiae  stadiosos. 

NB.  Ich  erwarte  in  sehr  kortzen  von  dem  Herrn  antwort*  [Weiteres 
s.  No.  30.] 

29.  Hieronymus  Otto,  1651,  patre  Tobia  ApoChecario  Strans- 
bergensi  [FM  164:iJ,  1652  cantor  Bemoviensis,  deinde  1654  pastor  in 
Zepernick,  nbi  adhac  posteri  eins  eodem  mnnere  fhngontor;  obiit  1706. 

30.  Caspar  Schönjahn,  1653  revocatos  ex  Ifflnehebeig,  cui 
primo  titnlas  Gonrectoris  concessns  est.  Weün  er  sieh  in 
Mflncheberg  schlecht  verbessert  sähe  and  ihm  nach  Resignation  Herrn 
Hieronymi  Ottonis,  seines  snccessoris,  hiesiges  Cantorat  von  nenem  auf- 
getragen wurde,  so  nahm  er  solches  nicht  nur  als  ein  Gon-Rectorat  init. 
1653  an,  sondern  verwaltete  es  auch  3  (?)  Jahr  lang,  wahrender  Zeit  er 
sich  denn  auf  Begehren  der  Bfirgerschafft  im  Predigen  alle  14  Tage, 
weiln  solches  dem  alten  Inspectori  Herrn  Petro  Lddecken  zu  schwer  fiel, 
hdren  liess.')  Nachhero  1655  wurde  er  zum  Prediger  nach  Jahnsfelde 
and  Trebnitz  beruffen,  von  wannen  er  zur  weiteren  Bedienung  an  die 
Kirche  zu  Selchow  im  Teltauischen  Creysse  gelangete,  fult  adhuc  ibi 
anno  1704.  Vid.  Christ  Kolhardt  Schul  Pred.  pg  46  und  Ära  Eucharist 

31.  Martin  Klingenberg,  S.  S.  Theol.  Stud.  Bucoviensis  1655 
[FM  1649  :  Munchb(>t  g(  nsis]  deinde  1657  ad  Ecdesiam  St  Mariae  Bero- 
linensem  vocatus. 

32.  Christianus  Pudor,  1657^9  [FM  1649  Gubena-Lusatus]; 
hinc  cantor  in  FQrstenwalde,  1663  hnc  revocatus  diaconus,  anno  1675 
mortuus.  Notitiam  satis  magnam  ad  hujus  viri  vitam  describendam 
habemas,  quam  ex  parte  Filio  adhuc  viventi,  Dr.  Theodore  Pudori, 
Pastori  Buchholtziensium  fidelissimo  debemus').  Ex  scriptis  ejus  sequentia 
typis  excussa  vidi:  Poetischer  Erquickstnnden  1.  Theü  oder  202  kurtze 
geistliche  Andachten,  Berlin  1669,  8^  Jesuslieder  oder  das  erste  Zehend 
geistlicher  Lieder,  Cölln  an  der  Spree  1670.  8^<^  Der  teutschen  Sprache 
Grundrichtigkeit  und  Zierlichkeit  ibid.  eod.  ao. 

')  Petrus  LOdicke  *»  Dafür  erhielt  er  12  SchofTel  Roggen  auH  der  RRtsmdhIe ; 
nach  Perlitz.  —  ')  Derselbe  wird  auch  in  Beckmanns  ^achlaäs  als  solcher  im  J.  1713 
erwUmt  — 


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Sie  SbmubMg«  Stadteobide.  61 

dS.  Georgias  Banmgari,  Golomensis  Marducns  1659  [FM1650] 
bat  ao.  1656  im  Cöllnischen  Gymnaslo  frenquentirei  Spedalia  vero  de 
eo  tarn  in  Curia  quam  apud  Rever.  Yinim  Dr.  Christ  Sohastemm  Pastorem 

olim  Closterfeldensiam  dignissimam  nunc  emeritam  non  sine  gandio 
deprehendimus.  Nahm  ao.  1662  das  Cantorat  so  Backe  an,  vnrde  aber  von 
dort  ao.  1(U)8  nacli  Landsberg  an  der  Warthe  zum  Cantor  beruffen  and  ist 
ao.  1683  daselbst  noch  gestanden.  —  1668  vacirte  das  Contorat,  worauf 

84.  Martin  Friedersdorf  1664  berafen  worde  [FM  1649Straas- 
bergensis].  Er  hat  nach  David  Winzerlings  Absterben  [1675]  propter 
adversas  post  bellnm  XXX  annomm  fortnnas  die  Vices  Rectoiis  bey 
s^em  Cantorat  mit  verwaltet.  Der  Rath  vocirte  ihn  [„in  erwegung, 
dass  der  Herr  nuhnmehr  in  die  zeheu  Jahre  vnserer  Scholen  mit  seinem 
guten  Rahme  vnd  der  Studirenden  Juf^ondt  sonderbahren  nutzen  vorge- 
standen, sich  aach,  wie  einem  Gottesfürchtigen  Cand.  Theologiae  gebühret, 
in  Leben  vnd  Wandel  allemahl  beaeiget]  1675  zam  Diaconas,  1688  zom 
Pforrer  und  Inspector.  — 

Bei  seinem  Amtsantritt  unterschrieb  er  folgenden  Revers: 

»Demnach  E.  £.  Rahtt  vnd  Inspector  der  Stadt  Straossbeig  mich 
Endesbenandten,  alss  einen  Patricinm  vor  andern  zn  der  vacurenden 
Cantoratstelle  ordentUcherweise  vocirt  vnd  beroffen,  Alss  verpflichte  ich 
mich  hiermit,  vnd  in  Erafft  dieses,  dass  in  solchem  Ampte  ich  mich  so 
wol  in  Kirdien  vnd  Schalen,  wie  es  einem  trefifleiasigen  Cantorn  gebührt, 
wil  bezeigen,  so  viel  dass  Kirchenamptt  betrifft,  so  wol  wenn  Predigten 
vnd  Bettstanden  gehalten  werden,  mich  meines  Amptts  zn  verrichten 
nicht  weigern,  Denen  Herrn  Patronen  gebührenden  Respect  zageben, 
vnd  wass  von  denenselben  vnd  Herrn  Diaoono  in  der  Schalen  der  Jugend 
smn  besten  erkandt,  vnd  mir  zu  verrichten  vorgetrairf'n  nxIkI,  mich 
koinesweges  zu  wiedersetzen,  sondern  vielmehr  gebührliche  folge  zn 
leisten,  wie  auch  mich  eines  friedfertigen,  stillen,  Grott  woilgefälligen 
lebenss  zubefloissigen,  vnd  dagegen  nlUv  streittigkeiten  vnd  wiederwillen 
anzurichten  mich  zu  enthalten     wie  auch  uichts  dess  minder  mit  meinem 

*)  Am  16.  September  deaselben  1664.'  Jahres  erschien  das  berühmte  knrfürst- 
Eehe  Edikt  flb«r  die  fltrelti^eiteii  swisdiai  Beformliten  mid  Lutheilachen;  jene 
worden  mit  den  Zanamen  OelriiiMeii,  SSwillgUaner,  Majestüt-Feinde,  Sacramentirer, 

Sacramentöchänder,  Manicbror  n  n  ,  lotztore  uiit  den  Bezeichnungen  Ubiquitisten, 
Flacianer,  Marcioniteu,  Pelagiancr,  Eutiohiaiier  u.  a.  von  den  Gepnern  verunglimpft. 
Beide  Teile  wurden  nunmehr  zur  Tolerantia  Ecclesiastica  ermahnt  und  den  ^beyder- 
seHlgeQ  Gkiperiiiteiideiiteii,  bupectom,  Pröpsten,  Pfurem  Tnd  Predtgem,  endi  Beetoran 
md  GoDegen  bey  den  Schoiea  bey  Torraeydmjg  der  Bemotion  von  ihrem  Ampte,  «och 
dem  befinden  nach  anderer  animadversion  und  Bestraffung  gnädigst  und  ernstlich  an- 
befohlen, dass  ein  Theil  den  andern  mit  solchen  vnd  andern  Zunamen  durchaus  nicht 
verunslimpfeni  noch  auch  obberdhrte  oder  dergl.  streitige  couscqucntien  als  ihre 
eigentliehe  Lehren  Ihnen  «nfbttrden  noch  beymessen,  am  aUerwenigsten  aber  anff  die 
raatail  biiBf«D  loBe  Bataenhir. 


62 


Herrn  Collegen,  dem  Herrn  Rectom,  vnd  Tischgeeellen  mich' firiedlich 
smbegehen,  vud  demselben  allen  gebührlichen  Respect  zugeben,  vnd  in« 
Snmma  mich  also  zuverhalten,  dass  nebest  Gottes  flvlffe  keiner  &ber< 
mich  Klage  führen  soll. 

„DaiVrn  al)er  diesem  allen  von  mir  entgegen  gelebet  werden  solte,* 
so  doch  durch  göttlicher  Hülffe  nicht  geschehen  soll,  seint  meine  Herrn 
Patronen  laut  Visitation  Ordnung  1600.  roitt  Rechte  befuget,  mich  za- 
entarlaaben ,  vnd  dem  Verbrechen  nach  zn  gebührender  Straff  ^nziehn, 
darwieder  weder  ich  noch  andre  seyn  sollen  vnd  wollen, 

„Zum  vcsten  Halten  habe  ich  diesen  Revers  vnter  meiner  eigenen: 
Hand  E.  E.  Rahtt  wolbedacht  aussstellen  wollen,  Gesehen  in  Straussberg 
den  lieben  Neuen  Jaluss  Tag'  des  anflehenden  Jalirss". 

Derartii^e  Reveise  sind  fortan  regelmässig  bei  jeder  Neubesetzung 
einer  Lehrerstelle  vollzogen  worden;  bemerkenswert  darin  ist,  dass  aus- 
drücklich der  Rector  als  Vorgesetzter  des  Kantoi-s  bezeichnet  wird, 
während  bisher  von  einem  Subordinationsverhälljnis  zwiscben  beiden 
nirgends  eine  Andeutung  zu  finden  war. 

Auch  Friedersdorf  hat,  dem  Beispiele  Wiuzerliugs  folgend,  einen 
Bericht  an  den  Magistrat  abgefasst,  der  sich  aber  ausser  über, 
seine  persönliche  Lage  auch  über  die  allgemeinen  Verhält-  - 
nisse  der  Schule  verbreitet: 

„Wohlehrenveste,  Grossachtbare,  Wolweise  und  Wolgelahrte,  in- 
sonderss  Hochgeehrte  Herren,  Hochgeneigte  Patronen  und  mächtige  Be- 
foderer.  —  Deuenselbeu  ist  ihrer  von  Gott  verliehenen  weissheit  nach 
gnuü;sain  bewust,  wie  nothwendig  und  nützlich  die  Schulen  seyn,  denu 
toUuntur  Scholae,  tollitur  omne  honestiun  de  genere  humano,  sagt  iener 
gelahrte  Mann.   Dannenhero  sie  auch  iederzeit  darauff  bedacht  gewesen, 
hiesige  ihre  Stadtschale  mit  tQchtigen  und  trenfleissigen  Praeceptoribus 
zn  versehen,  damit  die  liebe  Jugend  so  wol  in  Gottesfiircht,  alss  im. 
lesen,  schreiben,  singen  nnd  andern  Eflnsten  möchte  nnterwiesen  werden, 
haben  auch  für  deroselben  nothdürftigen  unterhalt  fleissig  gesorget^ 
Zweifeln  auch  nicht,  sie  werden  sich  noch  femer  deroselben  annehmen' 
und  mit  nothwendiger  Sustentation  versehen,  damit  nicht  beydes  die 
Praeceptores  von  ihrem  fleissigen  informiren  beydes  auch '  die  Jagend ' 
vom  studieren  abzuweichen,  vrsach  gewinnen  möge,  sintemal  dieselbe' 
sich  oft  hören  lesset:  Es  ist  besser  ein  Handwerk  lernen,  oder' 
sich  des  Ackerbaws  befleissigen  4ils8  studieren,  denn  die 
Handwerckssgeselien  and  Ackerknechte  bekommen  ia  nicht* 
nur  t&glich  ihr  essen  nndtrineken,  sondern  aach  so  viel  tohki, 
davon  sie  sich  zur  nothdnrft  kleiden  können,  welches  doch; 
oft  unsern  Praeceptoribns  mangelt,  Diesem  und  dergl.  abzdhelffen, 
habe  ich  das  feste  vertrauen,  meine  Hocbgeneigte  Herren  Patronen^ 
werden  sowol  solche  anstalt  machen,  damit  wir  iwseni  nothdfirltigea 


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Die  Stranabeiger  Stedtachtile. 


63 


uitorhalt  hf|ben  rodgen,  sonderlich  so  grossgOnsÜg  geriihen,  und  mich 
TOD  meiner  restirenden  besoldnng,  die  sich  noch  fast  über  20  ThaleR  be- 
Iftdft,  mit  etwas  bedencken,  denn  ich  mich  nicht  alleiD,  wie  einen  Schul- 
bedienten  anstehet,  in  kleidung  halten,  sondern  auch  armen  lenten,  so' 
afanosen  suchen,  und  mich  fast  täglich  begästigen,  otwn.s  mittheilen  muss» 
auch  den  Adjuvanten  im  Mosiciren  bissweilcn  eine  Ehre  znerweisen  mir 
billicb  snkompi 

^Yon  deii  Accidentien  kan  idi  solches  nicht  nehmen,  massen 
cfieselben  sehr  |;ering,  Ja  welche  an  andern  örtem  der  Cantorom  beste 
Accidentien,,  nemlich  der  firautmessen  nnd  Leichbegengnissen, 
zn  seyn  pflegen,  die  sind  hie  die  geringsten,  Denn  von  den  Brantmessen 
zn  singeil  habe  ich  noch  niemals  keinen  pfennig  bekommen,  werde  anch 
mcht  eins  daimmb  begrfisset,  diti  vrsach  ist  zweifelss  ohn,  weil  selbige 
wissen,  dass  ein  arbeiter  seines  lohns  werbt,  sie  würden  mir  vor  der 
mflhe  etwas  müssen  lassen  anbieten,  Solto'sicb  derowegen  ergeben,  dass 
ich  ohngefohr  in  der  brautmesse  nicht  zugegen,  hoffe  ich,  meine  Hoch-, 
geehrte  Herren  werden  mich  entschuldigt  halten, 

«WasB  die  leichbegängnissen  betrift,  wil  gar  eine  Unordnung  ein- 
reissen,  .denn  da  wird  kein  unterscheid  mehr  gehalten,  es  mag  viel  oder 
wenig  gesungen,  es  mag  eine  Leichpredigt  oder  keine  gehalten,  es  mögen 
zweene  oder  ein  Lied  vor  der  thur  gesungen  werden,  ich  bekomme  ein- 
mal so  viel,  alss  das  andre j  bissweilen  wol  gar  nichts, .  da  doch  die 
Vemunft  gibt,  dass  aüff  grössere  mfih  und  airbeit,  grosser  und  mehr  lohn 
zuerfolgen  pfleget,  Bitte  derowegen  unter  dienstlich,  meine  Hochgeneigten 
Herren  Patronen  wollen  doch  hierin  eine  richtige  Ordnung  madien, 
sonsten  ist  die  leichen  hin  zu  singen  sehr  verdriesslich  nnd  beschwerlich, 

,Weil  auch  in  zimlicher  zeit  kein  Examen  ist  gehalten 
worden,  und  doch  dieselbe  die  Jugend  zum  fleissigeren  lernen  aufzu- 
muntern nnd.  andere  Ursachen  halben  sehr  nfltzlich.und  nothwendig,' 
Alss  ist  mein  unterdienstlichess  bitten,  meine  H.  H.  Patronen  wollen  so 
viel  von  ihren  Ampts-  und  Hauss-geschäften  abrechnen  und  ihrem  be- 
lieben nach  ein  Examen  anordnen,  damit  so  wol  die  Eltern  ihre  Kinder 
desto  fleissiger  zur  schulen  gehalten,  alss  die  liebe  Jugend  zu  studiren 
mfige  angermtzet  werden. 

„Unterdessen  aber  liberschicke  ich  Sie  ein  verzeichniss  meiner 
Leetlonen,  so  mir  anfangss  mit  den  Knaben  zutreiben,  theilss  anbe- 
fohlen, theilss  der  Jugend  zum  besten  von  mir  selbst  zugethan  worden. 
Denn  meine  Anteoessores  haben  tftglidi  in  der'schulen  drey  stunden  auf- 
gewartet, ist  derohalben  von  mir  auch  nicht  mehr  begehret  worden.  Da-' 
noüit  aber  die  Jugend  nicht  mOchte  verabs&umt  werden,  habe  ich  noch 
eine  auff  mich  genommen,  und  warte  also  tftglich  nebst  meiner  Kirchen- 
acbeil  Vier  standen  in  der  Schulen  au£^  wie  meine  H.  H.  aus  dem  in-' 


^  ij .  .-Lo  Ly  Google 


64 


&  Seiltet: 


liegenden  Verzeichnisse  welches  ohn  beschwerd  durchznleBen  ich  dienstlich 
bitte,  erschon  worden, 

„Dass  aber  unter  unsorn  SchiUern  ihrer  viel  nicht  sonderlich  profi- 
ciren,  ist  die  schuld  nicht  den  Praeceptorib us,  sondern  theilss 
ihrer  selbst  eignen  laulheit,  theilss  ilireii  nachlessigea 
Schulgehon,  theilss  ihrem  stumpfen  ingenio  zuzuschreiben, 
Denn  etliclie  sind  vor  andern  von  dem  vielgütigen  Gott  mit  einem  weit 
schärffern  ingenio  aus  gna(k»n  begäbet,  Etliche  sind  so  faul,  djiss  sie 
auch  nicht  eine  einzige  lection  mit  güte  lernen,  noch  sich  zu  hause  üben 
wollen,  Viel  konniien  zwar  einen  tag  in  dio  Schul,  aber  bleiben  dagegen 
wohl  drey  wieder  zu  hause,  Andre  kommen  wol  gar  nur  des  Winters 
ein  Viertel  Jahr  hei-ein,  die  übrige  Zeit  über  verrichten  sie  der  Eltern 
Haussgeschefte,  Wass  dieselben  proficireu  mögen,  werden  meine  H.  H. 
ihrer  weisslieit  nach  selbst  urtheilen,  uad  derüwegea  deneu  Praeceptoribus 
die  Schuld  nicht  beymessen  .  . 

Einige  Jahre  später,  als  er  das  Rektorat  mit  verwaltete,  klagt  er, 
dass  ihm  lÜ  Tischherren  abgegangen  seien, ^)  viehi  der  anderen 
„lassen  es  bissweilen  etlichmahl  vorbey  gehen,"  ehe  er  etwas  bekomme; 
die  Accidentien  würden  auch  von  Tag  zu  Tag  geringer,  und  dabei  sei 
seine  Schularbeit  vermehrt;  „wass  sonst  ihrer  zweene  verrichtet,  rauss 
ich  itzo  allein  bestellen  und  mich  den  gantzen  tag  hindurch  mit  der 
nnbendigen  Jagend  schlagen  und  plagen  .  ,**  Als  ihm  die  Schalarbeit 
endlich  allein  zn  schwer  fiel,  betrieb  er  beim  Rat,  dass  das  Kantorat 
wieder  besetzt  wflrde.  Es  meldeten  sich  zwei  pairicil,  and  der  Rat 
beschlosB  dazu,  „bürger  Kinder  gerne  vor  frembde  zu  befordern, 
dofem  sie  norten  vors  Erste  Dozne  tüchtig  vnd  geschickt  Dan  hierin 
lant  Chorf.  Gonsistorialabscheides  (von  1600)  dieselben  nicht  nach  affecten, 
sondern  nach  dero  Eraditione,  damit  die  Schnl  wohl  versorget  werden 
möge,  gesehen  werden  solle.  Doznn  dan  anfangs  wie  Sie  Ihr  Stadium 
Academicnm  absolviret,  vfznezeigen  von  nothen.  2.  Die  Probe 
Ihrer  Mnsic  öffentlich  darzathon  vnd  ein  petitorinm  ex  tempore 
woranss  Ihre  Erudition  zu  ersehen,  vfieuesezen  schuldig,  3^  Einen  Revers 
aufzustellen  Sich  nicht  verweigern.  NB.  Weil  auch  bey  hiesigen 
Schulen  ledige  Persohnen  erfordert  vnd  Keiner  hieranff  eine 
Ehefrau  erhalten  kau,  als  soll  auch  Keinen  lenger  der  Tisch  alss 
so  lange  er  vnverheiratet  bleibet,  zuQgesagt  vnd  versprochen  werden 
Welches  auch  in  der  vocation  hineingerflcket  werden  soll,**  das  ist  aber 
niemals  geschehen.  — 

Friedersdorfs  Grabdenkmal,  ein  gewölbter  Schild,  ist  in  der 
N&he  des  Altars  der  Marienkircbe  eingemauert  und  enthftlt  folgende  In» 

>}  Am  «fatem  i^hieitigen  Batq^fotoeoll:  „Wegen  aHerbandt  grossen  Gontiiba- 
tioiwlMiehwerden  hat  man  bidiaro  nidit  absehen  meten,  wo  beaoldnog  and  Tla6he 
hergenommen  werdm  soUeD,  tamahlen  der  Knaben  «ach  nUAA  wa  viel  TOriianden  . 


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Die  Straosberger  Stadtacbnle. 


65 


Schrift:  „D.  0.  M.  S.  Allhier  Gleich  über  in  der  Erden  vorm  Altar 
lieget  Begraben  Tit:  Herr  Martin  Friedersdorff,  gewesener  Pastor  und 
Inspector  zu  Sti-aussber^  in  Patria  fast  in  die  13  Jahr,  auch  vorher 
Diaconus  lU  und  Cautor  13  Jahr.  Hat  inzwischen  zur  Ehe  gehabt  von 
Anno  Christi  1666  den  '2.  oct.  in  die  3  Jahr  Mariara  Tit.  Herrn  M.  Tobiae 
Schüsslers,  Hiesigen  Inspectoris  Tochter  and  mit  ihr  2  Kinder,  Dorotheam 
und  Tobiam,  davon  dieses  auf  6  wochen  selig  verstorben,  Jene  aber  an 
Tii  Herrn  Daniel  Heysen,  Hauptmann,  1688  den  28.  oet.  verheirafhet, 
und  ans  ihr  5  Kinder  Gross-Yater  worden.  Hernach  1670  den  6.  dec 
gehabt  Enphrosynen,  Tit  Herrn  Matthfti  Cofhy,  Pfarrers  zu  Beyersdorff, 
Tochter  Über  28  Jahr,  aber  ohne  leibes-Erben,  ist  gebosren  1636  den 
9.  Novb.  gestorben  1699  den  30.  Januar  und  beerdigt  den  8.  Februar, 
Seines  Alters  63  Jahr  11  Wochen  and  4  Tage.  Text  Lnc.  2  Herr  nnn 
lassest  dn  deinen  Diener  in  Frieden  fahren." 

35.  Godofredns  Schwanbenser  1675—79  [FM  1667  Strans- 
beigensis  non  inravit];  verwaltete  gleichfalls  die  Yioes  rectoratns  [1679 
bis  1681  war  er  Kantor  in  Att-Landsberg*),  dann  Rektor  in  Copenick 
und  daranf  Probst  zn  Mitfcenwalde.] 

86.  Johannes  Uflllerns  1680 — 87,  wurde  1688  rector  scholae. 

37.  Ifartinus  Fridericns  Lüdecns,  geboren  1661  [also  ein 
Strausborger]  1687—88. 

38.  Jeremias  Schüslerus  1688—91  [ein  Sohn  des  Magister  Tobias 
Schüssler,  der  1656— 58  Diaconus,  1658 — 87  Inspector  war],  qaomortans 
est.   1691 — 99  vacat  cantoratus. 

39.  Fridericus  Gottlieb  Schwanheuser  1699—1711  [GM.  1676, 
Strausberga— March.]  Dieser  hatte  mit  dem  gleichzeitigen  Rector  Sommer 
viel  Misshelligkeiten,  so  dass  es  einstmals  in  der  öffentlichen  Schule  zu 
einer  HaccollatioD  kam;  denn  da  der  Rector  recordiren,  der  Cantor  aber 
'wegen  schlechter  Witterung  dazu  nicht  stimmen  wollte,  fiel  jener  mit 
Hülfe  seiner  Frau  Gemahlin  über  diesen  her,  risspn  ihm  \4ele  Haare  aus 
und  haben  ihn  als  einen  ]>odagrisc]ien  und  chiragriselien  Mann  selir  ge- 
misshandelt.  Er  legte  seinen  Dienst  1711  nieder  und  wurde  ihm  sein 
Sohn  adjungiret. 

4C).  Friedericus  Gottiieb  Schwanheuser,  der  Sohn,  1711 — 19» 

Sein  Bewerbungsschreiben  vom  29.  Juli  lautet: 

„Vir  Reverenda  Dignitate  et  Eruditione  Chirissime!   Yiri  An)i»li.ssiini 

DoctUsimi  nec  non  Sapientissimi!  Fautores  et  Patroui  mei  plurimum 

honoraudi  et  observandi! 

Ilumanitas  vestra,  (^uae  decns  et  oondimontuni  est  caeterarum  vir- 

totum  niihique  satis  nota,  aditum  ad  Tos,  Ami>lissimi  viri,  mihi  facit; 

et  quoö  ferme  quotidie  verbis,  nunc  litteris  compello  paucis.  Date  veuiam, 

0  Oaehde  «^■»O.&sn.  - 


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66 


B.  SeifEert: 


Nobilissinii,  et  ij^oscite  •|u;ii'So  liht'i  tati  meae.  iw  dicam  audariae,  quam 
mihi  Hmnanitas  vestra  dat,  quo  tutins  ac  certius  in  manns  vostras  veiiiaiit. 
Nostis  riiiiii  Patroni  optimi  Arguniontum  sive  causam  .scribendi:  Dominus 
Parens  meus,  yv^h  dolor!  in  vincula  conjectns  est,  quae  ambas  ei  manus 
ac  pedes  valde  (umsti  iuxerunt.  Lictorem  si  quaeritis,  Viri  Sapientissimi, 
est  Podagra,  inorata  illa  Doctorum  contubernalis,  et  Chii  agra,  importana 
iila  nimis  studioruin  Oomes,  illa  pedes,  liaec  inaiius  invadit,  tenet,  occupat 
et  calamo  ferias  sa»;pis.sime  indicit  ad  phisculos  dies.  Imo  haec 'üpoa^na 
(■aiisatur,  ut  vix  ac  ne  vix  (piidoni  sui  iuris  et  pulvis  scholasticus  ei 
t'erme  odiosus  sit.  Filius  suni,  Fautoros  raei,  Patris  mei,  qui  officio  hoc 
scliolastico  fungi  uon  ineptus,  Filius  sum  Yestrae  urbis,  totus  vester  siim. 
Adsciti  noD  raro  exteri,  ipse  autem  domesticus  sum.  Res  haec  in  mana 
vestra  est,  et  volutas  et  facultas  robis  est,  me  ex  nniversis  evocaodi. 
Feto  ex  Vobis,  Patroni  optimi,  ni  me  hoc  dignemini  officio,  sancte  Ego 
promitto  me  non  solom  pium,  sed  et  diligentem  fore.  Qtu  interea  vester 
ero,  ager  ego,  sed  'dhyeHdkatxoi,  in  hoc  quicquid  nascetar,  id  omne  a  vobis 
acoeptam  feram.   Dens  T.  Om.    Vos  servet,  vestra  dirigat  consilia 

vestrisque  adsit  laboribns.  Vestmm  Deditissimns  atqae  Observan- 

tissimns  Servns 

„IVegen  seiner  guten  Conduite  nnd  satteam  habenden  Eradition, 
aneb  seiner  alibier  vielföltig  abgelegten  gaten  proben  halber  wurde  er 
znm  Gantorat  qaalificiret  und  tüchtig  befunden"  und  im  August  1711 
eingewiesen.  Er  starb  1719.  — 

41.  Daniel  Pape  1719,  Sohn  eines  Kotais')  in  Wrlesen,  welcher 
gleichfalls  hier  starb  1721. 

42.  Georgius  Henricus  Lossow  1722,  ging  nach  Bärwalde. 

43.  Johannes  Georgius  Tismar  1724,  vir  ob  Fgregiam  eni- 
ditionem  majori  Diguitate  (li<^nis.simus;  war  schon  1721  gewählt,  zog 
aber  wegen  ander weitig(>r  Beförderung  damals  nicht  gleich  an;  [wurde 
1727  Prediger  in  Görlsdorlp). 

44.  Joachim  Ehrenreich  Kirchner  1727,  welcher  1  der  starb  1741. 

Dass  die  Leistungen  der  Schule  während  dieses  Jahr- 
hunderts nicht  mehr  auf  der  ITöhc  standen,  wie  in  der  Zeit 
\*>n  der  Reformation  bis  zum  '?nj.  Krieg,  b<'weist  ;iin  augenfälligsten 
die  Thatsacho,  dass  die  Zahl  drr  Studierenden  eine  ganz  mini- 
male wird.  Mag  immerhin  der  mangelnde  Wohlstand  der  Bürger  eirnge 
Schuld  daran  gehabt  haben,  den  Hauptgrund  ei-blicke  ich  in  der  Unzu- 
länglichkeit dessen,  was  und  wie  es  in  der  Schule  gelehrt  wurde:  die 
von  ihrem  Beruf  nicht  el>en  besonders  begeisterten  Lehrer  werden  es 
auch  nicht  verstanden  oder  über  sich  vermocht  haben,  ihren  Zöglingen 
ein  reges  Streben  nach  weiterer  Ausbildung  einzuimpfen. 

>}  Firsnkf.  Matr.  1678.  —  '}  Fabridna*  Naefaiidit  in  Sefikmanns  NaehbuiB. 


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Die  Stxmnibmger  Stadtschule. 


67 


C.  Strausberger  Studenten  1041)  —        iu  Frankfurt. 
11)49:  Martinus  Friderstorff  [Kant.  34J. 

lf)50:  Johanaes  Kortios  [1672  Ratsherr,  1683  Buigermdster, 
starb  1714J. 

1654:  Fanliis  Hunovins.  Adam  Zimmennanii. 
1658:  Johannes  Hoppe. 

1660:  Ghiistophoms  Sdrasslems  [Sohn  des  Inspectors  Mag.  Tobias 
Schfissler,  später  Notariiis  pnblicns,  starb  1678  im  Alter  von  28  Jahren*)]. 

1667 :  Godfried  Schwaneiilieuser  uou  iuiavit  [uocli  einmal  1676  an- 
gesetzt; Kant.  35]. 

16()8:  Adamus  Schuitzios,  uon  iuravit  [ging  lli76  mit  Friedr.  Gottl. 
Schsvanhäuser  —  Kant.  89  —  zusammen  nach  Greifswald  (GM),  kam  aber 
1680  noch  einmal  nach  Frankfurt]. 

1692:  Gottfried  Cröger.  —  1713:  Christianus  Sie^fridus  Ileusinger. 

—  1725:  Daniel  Ehrenfried  Heusinger.  —  1734:  Ernst  Sigismund  Witte 
.  ...  in  Summa  12.  —  *) 

Die  Königliche  Verordmine;  über  den  Selectus  in^^iMÜoi  um,  welche 
dem  Mafristrat  1710  zur  Nacliachtung'  übermittelt  wurde,  war  demnach 
für  Straurfberger  Schulverlialtuisse  ein  längst  überwundener  Standpunkt. 

Als  Anhang  zu  diesem  Abschnitt  möchte  ich  noch  etwas  über  eine 
im  Jalir  1721  erfolgte  Neuregelung  der  Besoldungen  für  die 
Lehrer  hinzufügen.  Ich  kann  mich  allerdings  hierbei  nicht  auf  eigene 
Forschung  stützen,  überlasse  vielmehr  die  Verantwortung  für  die  Richtig- 
keit den  Sternbcckschen  Beiträgen.  Dieselben  berichten  (S,  53),  dass  vom 
16.  bis  IH.  Mai  1719  eine  Kirchenvisitation  in  Strausberg  stattgefunden 
habe,  und  zwar  durch  den  Probst  Porst,  Hof  fiscal  Schulz  und  Con- 
sistorial-Commissarius  v.  Monsberg,  und  eitleren  dann  (S.  181  — 199)  bei 
der  Besprechung  der  Einkünfte  des  Rektors,  Kantors  und  Küsters  eine 
„Matrikel  von  1721",  die,  wie  so  manches  andere  von  Sternbeck  noch 
Benutzte  —  z.  B.  auch  das  Mathäusliche  Heglenieut  von  1739  —  selt- 
samer Weise  nach  oder  mit  iliui  au.-^  di  iii  Archiv  verschwunden  ist.  Eine 
Zusammenstellung  der  zerstreuten  Andeutungen  ergiebt  als  Einnahme 

*)  Nach  «inem  in  der  Sakristei  der  Herienkircfae  bAagenden  MEhren  gededitnin 

AbB  gerichtet  von  dem  Ebrwilidigen  heizen  H.  Tob.  SohllaBleni  Sehlen  im  Hemi 

TefBcbidenen  Kindern.*  — 

*)  Bernau  30,  Biesentbal  7,  Buckow  20,  Eborswal.lt^  2=?,  Freienwftlde  31  ?),  Alt 
Landsberg  10,  MQnchebert;  38,  Oderberg  (5,  Seelow  10,  Wriezen  59  (?) ;  aus  den  Dörfern 
des  Oberbamim  löi  v.  Bariuse  4,  v.  Knimmensee  1,  v.  Ffuel  ö,  v.  riatun  6,  v.  Kübel  4. 

—  In  Cheifenild  etndirten  «la  Sbrmubeig  2,  Beman  8,  Wrieien  8»  Ah  Lendsberg  1, 
Bieiienthel  1,  Bnekow  1,  Oderberg  1  und  Ton  den  Heim  t.  Pfnel  2.  — 


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B.  Seilfertt 


1.  d«'s  Rektors:  Freie  Wohnnog  und  frei  Holz  (Iii  Klaftern),  5  fl 
Gelialt  und  statt  des  Freitisches  40  Thal.  Speisegeld  •)  aus  der  Kämmerei- 
und  (In-  Stadtkassc  ■'),  er  hatte  auch,  wie  jeder  Hauseigentümer,  „ein 
Schwein  frei  zur  Kicholiiiast.'*  -Die  Ziese-  und  Accisokasse  zahlt  ihm 
wegen  seiner  Steuerfreiheit  II  Thlr.  Jigr;  die  Kirchenkasse  15  fl  Gehalt, 
statt  eines  freien  Bettes  jährlich  4  Thh.,  für  Bettniachen  und  -Wäsche 
1  Till.  gr,  an  Stolgebühren  von  jeder  Traue  3  gr  und  ein  Brauttnch, 
für  ein«'  urossi'  Lcicln'  cT  3  ^,  für  eine  kleine  2  gr  2  ^j,  sowie  iL 
Wachs.  Von  jedem  Scliiilknaben  endlich  erhält  er  12  ggr.  didactnim 
odi'r  [uecium  und  ö  gr  Marktgeld,  sowie  die  Hälfte  dessen,  was  von 
den  vier  Recordationen  einkam. 

2.  (les  Kantors:  10  fl  Gehalt  von  der  Kanimerei,  2  fl  vnn  der 
Kirche,  alle  übrigen  Kompetenzen  wie  beim  Rektor,  doch  au.sserdem 
noch  für  jedesmal  Musicieren  in  der  Kin  he  an  Sonntagen  1  gr,  au  Feier- 
tagen 1  gr  6  ^  und  für  die  Dustermette  <)  gr  Passiousgeld. 

3.  des  Kftstere  (als  Uädchenlebrers):  derselbe  erhält  kein  Gebalt, 
sondern  nur  Scbnlgeld  and  zwar  von  den  grossen  ICftdchen  6  ^,  von 
den  kleinen  3  ^  wöchentlich;  bat  auch  keine  fireie  Wohnung,  sondern 
sein  eigen  Hans,  ist  aber,  wie  die  Geistlichen,  von  allen  borgerlichen 
oneribns  frei'). 

')  Sternberk  S.  ..durch  Ratßverordnunsr  vom  14.  Februar  1705  Ptngeführt 

und  in  der  Weise  unter  die  Bürger  veranlagt,  dass  pro  Quartal  von  einer  BrauBtelle  3  gr, 
Bflisentelle  2  gr,  Bode  1'/,  gr,  von  den  MiettbOiseiii  aber  1  gr  edioben  wurde."  ~- 

*)  Bat  (Magiatnt)  nnd  BOigerBcliafl  ftthrten  bis  sor  Stldteordniii^  bin  getreimte 
Kassen.  — 

^  Welche  Anforderangen  an  solche  ^Lehrer  im  Nebenamt"  gestellt  wurden, 
charaktt'riöiert  folgendes  Zeugnis,  das  sich  in  der  Aintsregistratur  zu  Buckow  findet: 
„Actum  Strausberg,  d.  29.  April  1739.  Auf  Erauchen  des  hochgräfl.  Amtsrahts  Wiesen- 
bafers  und  den  Herrn  Pastoris  in  Oartain  tit  H.  Maogebers  bab«  leb  Martin  K<lnigB- 
Stftdt,  gebürtig  in  Berlin,  eint  .s  SoMat>  n  Sohn  im  Wuisen-Hausse  daselbst  enogen, 
.M'l»  Jnlirc  :i!t.  der  das  Schneider  Hiindtwerck  gelernet  und  darauf!  gereiset  hat,  tentiret, 
<>\)  er  die  zum  Küster  und  Scludiuci.'iter  erforderte  Wissenschaft  besitzet.  Da  ich  denn 
folgender  gestalt  sein«  profectus  befunden  habe:  1.  Lieset  er  distincte,  lautt  und  ver- 
nebmlicb,  Bnebstabieret  aodi  recht  nnd  gut  2.  Im  Anfselilagea  der  Ö.  Bibd  nnd  wie 
die  Bücher  A.  und  N.  Testaments  aoff  einander  folgen,  ist  er  nicht  erfahren,  nnd  geflbt 
WIW  aber  sich  durinn  üben,  und  lernen.  3.  Den  Catecliiisiunm  Lutheri  hat  er  zwar 
den  Worten  nacli  inne.  an  dem  rechten  Verstände  de.«!^iÜHn  tthlet  es  noch  und  ist 
die  Heylss  Ordnung  von  der  Busse  und  Oiaubeu  ihm  wenig  bekannt.  Wiewohl  so  vitil 
erhellet,  dass  in  der  Jugend  erwobi  sey  angef&hret  nnd  nnterricbtet  worden;  benaeh 
ist '  bej  seines  Handwerks  Betrieb  ^eles  vngessen.  Er  (Terspricht  aber  unter  Gött- 
lichem Beystand  Fieiss  .i'  zuwenden  und  des  H.  Pastoris  Instruction  zu  folgen,  damit 
das  Vergessene  wieder  hergi-steilet  und  durch  firissige  Übung  er  ein  mehreres  noch 
dazu  lernen  möge.  4.  Sind  auss  der  Kechenkuust  das  1  mahl  eins  und  die  vier  Speeles 
ihm  bekannt  Von  seiner  Schreibart  liegt  die  Probe  biebey.  6.  Die  Art  an  singan 
gefiült  mir  wohl.  Weil  er  nach  den  anflgegebenen  Melod^n  fertig,  rein,  dentlieb  nnd 
helle  singet."  [Muss  von  Inspector  Frid.  Fabricius  —  8.  Bekti.61  —  anqgeetellt  ■sin.J 
Nach  einer  Sonntagsbeilage  der  Vossiscben  Zeitung.  —  ^ 


Die  Straosberger  Stadtochale. 


69 


V.  Retormyersnche.  If  eae  Organlsatloii  der  Schule.  174M>»-1818. 

Zunächst  blieben  noch  nach  wie  vor  Hie  nasseren  und  inneren 
SrliulvorhnUnisse  in  ihren  wesentlichen  Formen  und  Erseheiinmuen  die 
<;lei(  hi'H,  unveränderten.  Aber  wahrend  in  (h'ni  vorifj;:en  .lahrhuudert  sich 
ki  ijn'  Hand  regte,  um  zur  Förderung  des  SclnilwesoDS  irgend  etwas  Kr- 
spriessliches  zu  schaffen  und  namentlich  nach  Beseiti^ning  fast  mittel- 
alterlicher Zdptgebräuche  eine  neue  Grundlage  für  Reformen  zu  gewinnen, 
sehen  wir  nach  dem  Jahre  174(1  von  Zeit  zu  Zeit  nicht  mir  eifisichtige 
Männer  mit  Plänen  für  die  ümgestaltum^  der  Strausberger  Schule  be- 
schäftigt, Rektoren,  Inspuctoren  und  Bürgermeister,  sondern  können  auch 
bemerken,  dass  hin  und  wieder  sogar  in  der  Bürgerschaft  die  Ahnung 
aufdämmert,  dass  es  so,  wie  bisher,  nicht  mehr  weitergehe,  vielmehr 
etwas  Neues,  Besseres  geschaffeu  werden  [müsse,  was  dem  BedflrfDisse 
und  dem  Geist  der  Zeit  entspreche.  Wenn^nan  aach  die  Verwirklichung 
solcher  Reformpläne  vorerst  noch  auf  mancherlei  Hindemisse  stiess, 
schon  die  blosse  Thatsadie,  dass  man  dem  Schulwesen  überhaupt 
wieder  eine  gewisse  teilnehmende  Anf]ne[rksamkeit  zuwen- 
dete, war  an  und  für  sich  ein  erfreuliches  Zeichen  und  —  bonnm  voluisse 
sat  est.  Inwieweit  hierbei  das  Machtwort  Fridericianischer 
Regierungsweisheit  von  heilsamer  'Einwirkung  gewesen  ist, 
inwiefern  man  die  Anregung  dazu  auf  die  epochalen  Neuer- 
ungen auf  dem  Gebiete  der  Pädagogik  eines  Franke,  Hecker, 
Basedow,  Bochow  u.a.  zurückführten  darf ,  deren  weitverbreiteter  Ruf 
ohne  allen  Zweifel  auch  nach  Strausberg  seinen  Weg  gefunden  hat,  das 
zu  entscheiden  mag  der  zusammenhängenden  Darstellung  der  einzelnen 
Vorgänge  überlassen  werden. 

Zuvor  möchte  ich  aber  das  Lehrerverzeichnis  zum  Abschlass  bringen, 
welches,  wie  bereits  erwähnt,  für  diesen  Zeitraum  von  Perlitz  ergänzt 
worden  ist. 

A.  Rektoren  174Ü-1818. 

53.  George  Friedrich  Jaeobi  1746,  vorher  Konrektor  (No.  46)» 
kam  1755  als  Diaconus  nach  Freienwalde.  —  [Von  ihm  und  dem  Kon- 
rektor Sdianer  ist  eine  Äusserung  Über  Schulfeiern  (19.  März  1748) 
vorhanden:  ,Wir  bitten  den  Tag  des  Examinis  näher  zu  bestimmen,  in 
Absicht  des  Schulactus  aber  uns  bey  leibe  nicht  zur  Last  zu  legen,  dass 
wir  denselben  wegen  der  zu  dieser  Arbeit  vor  itzt  noch  untauglichen 
Beschaffenheit  unserer  lieben  Jugend  aufzuschieben  bitten  müssen;  zu- 
mahl  derselbe  nicht  bloss  zur  solemnitaet,  wi(>  der  im  Jubilaeo  vom 
seeHgen  Rector  Eustachius  geschehen,  sondern  den  Mutzen  unserer  Kinder 


^  ij .  .-Lo  Ly  Google 


70 


zum  Zweck  haben,  folglich  ihnen  zugleich  ein  £xercitiam  Oratorium 

sein  soll .  ')]• 

54.  Jobann  Friedrich  Pape  1750—59,  [FM  1749]  ein  Sohn  des 
ehemaligon  Yiiesigon  Dirt^ctors  Peter  Siegfried  Pape,  ist  von  hier  als  Pre- 
diger nach  Zinndorf  gekommen. 

[In  seiner  Bewerbung  nm  die  Rektorstelle  empfiehlt  er  sich  nnter 

Berufung  auf  seine  Familieuverhfiltnis.se:  „er  sei  Patritius  und  sowohl 
sein  Grossvater  habe  im  geistlichen,  wie  sein  Vater  im  obrigkeitlichen 
Amt  dieser  Stadt  bis  an  ihr  £nde  gestanden.** 

Das  Schu  Ige  bände  n.  s.  w.  schildert  er  1755  folgendermassen: 

„l.  Was  die  Schulst  übe  betrifil,  so  ist  das  Pflaster  (!)  dermassen  ans- 
getreten,  dass  nicht  allein  zu  verschiedenen  Mahlen  Kinder  darüber  ge- 
fallen, sondern  auch  selbst  ich  bin  schon  zweimahl  in  dieser  Gefahr 
gewesen,  so  dass  it  li  mich  kaum  noch  erhalten  können.  Die  Fenster- 
rahmen sind  so  verfault  und  getirechlich,  dass  die  Weiber  sie  iiicht  mehr 
scheuern  wollen.  2.  Der  Zaun  des  Hofes  ist  gefährlich.  Wie  aller  mensch- 
lichen Empfindung,  Wohlanständigkeit  und  heidburkeit  znwieder  die 
(^ommo<lite  auf  dem  Hofe  beschälen,  schäme  ich  mich  selbst  anführen 
zu  müssen,  und  ich  kan  aufrichtig  bezeugen,  wie  icli  weder  dertjleiclien 
unbeschreibliche  Unreinigkeiten  jemals  gesolien,  noch  weit  weniger  die 
Incoinmoda  davon  zu  ertragen  notluLr  f^i  luibt.  3.  Ein  Fach  im  Leiter- 
hause (Spritzenhaus?)  ist  ganz  einf;ctalleu.  Steine  und  allerhand  unnütze 
Dinge  fliegen  hindurch  in  deuijai'ten;  die  Gartenthür  ist  verfault  4.  Über- 
all regnet  es  ein."] 

55.  Joh.  Samuel  Krüger  1759 — ß?,  vorher  Konrektor  (49),  wurde 
hernaeli  zum  Diactfins  Itefördert.  [Sein  Einkftniinen  vom  Rektorat 
und  Or^^aiiistenamt  betrug:  1.  Speisegeld  jährlich  aus  der  Stadt  Casse 
40  Thl.  2.  aus  der  Cänmierey  3  Tbl.  13  gr,  3.  Holzhauer-  und  Eiahitzer 
Lohn  1  Till  18  gr.  4.  für  die  4  Recordati<»n('s  das  lixirte  douceur  von  U>  gi\ 
5.  Aus  (b'r  Kirelie  14 Thl  15  tn"  und  2  iL  Waebs.  (>.  An  Accidentien  von  einer 
grosseu  Leiche  )  4  gr,  von  einer  mittel  Leiche  3  gr  3      von  einer  kleinen 


')  Im  April  bitten  bei<lo  um  ein  licpouderes  Honorar  <1afür,  dass  sie  „nach  den 
Wünschen  des  MagistnitH  den  KiiKlvni  kleine  Beden  beigebracht  und  eingeübt  liaben  *. 

*)  Jener  aU  Inspector  1699—1729,  dieser  als  Consul  dirigens  et  judex  1710—46. 

^  Nach  dem  KOnigl.  Edikt  vom  17.  Febmar  1748  gab  es  damale  d  Klaae«!  toh 
Leiehfln:  „l.  Adlirhe.  i:  [ih  oder  Gewölbe  Leichen.  8.  Ganse  Kirchhofs-  oder 
bflrperÜch»'  und  ordinaire  Leichen,  so  nebst  Begleitung  säraintlicher  Prediger  und  der 
ganzen  Sciuile  und  völliger  Procot->'iun  zu  Grabe  getragen  werden.  4.  Halbe  Kircb- 
hotfö  Leicheu,  wo  nur  die  Diaconi  und  halbe  Schule  folgen,  ö.  Viertel  Kirchhoffs* 
Leichen,  wo  nnr  ein  Prediger  nebst  Cantore  tmd  weniger  Conende  mit  gehet."  „Mit 
Beobachtung  der  hiesigen  UmstAude*  hesümmte  der  Magistrat  am  S8.  Min  1748  die 
<;t  bnbren  fiir  KInsse  1  insgesaint  auf  30  Thl,  wovon  auf  die  Schulbedienten  und  den 
KüBt«r  ö  Thl  entfallen  sollen i  mit  den  abxigen  Klassen  Uess  man's  beim  Alten.  — 


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Die  Stnmabeiger  Stadtseboto. 


71 


Leiche  2  gr  6  ^,  von  einer  Trane  ind.  Tnch  5  gr.  7.  Als  Organtste  ans  der 
Eirdie  12  Tbl  nnd  1  ü  Wachs,  vor  eine  IVaue  incl.  Tnch  8  gr.  &  Das 
Schnlgeld  ivird  nach  der  alten  Observans  qnartaliter  gehoben.** 

Durch  den  allgemeinen  Notstand  während  des  siebenjährigen 
Krieges  und  die  zunehmende  Verteuerung  des  Unterhalts  —  Strausberg 
wurde  im  Oktober  1760  auf  Befelil  TschernitsclielTs  um  5210  ThixW 
gebmndsclint/.f  —  veranlasst,  kamen  der  Rektor  und  sein  Kollege  Krüger 
(Kant.  51)  beim  Magistrat  um  Erhöhung  des  Gebalts  und  Verdoppelung 
des  Seliulgelds  ein:  «alles  mnss  zwey  doppelt  so  bocli  als  vormahls  ge- 
zahlt >verden;  diejenigen  Eltern,  welche  ihre  zarte  SprossUnge  zn  ilirem 
wahren  Besten  zur  Schule  halten,  werden  sich  nicht  weigern,  das  gewöhn- 
licbe,  überdies  gar  geringe  Schulgeld  fortan  zu  verdoppeln."  —  Sie  wei- 
gerten sich  doch;  erst  tlurch  Regierungsverfüguiig  vom  24.  April  1764 
wurde  dasselbe  auf  0^  wöchentlich  erhöbt. 

Krüger  starb  nacli  öTjäriger  Dienstzeit  i.  .1.  bSlT.] 

51),  Tnl)ias  ^Vl'ber  [Strausbergensis  ITöJ,  stud.  theol.]  17b7 
zugleich  als  Adjuuctus  Miuiöterii  augesetzt,  wurde  1772  als  Prediger  nach 
liaselberg  berufen. 

57.  Gottfried  Ephraim  Crüger  177)i — 1S12,  ein  jüngerer  Bruder 
des  .lob.  Sanmel.  Er  hatte  in  Halle  studiert  und  wurde  aus  iStreitUerg 
hierher  berufen.  Er  versah  auch  die  Predigerstelle  beim  hiesigen  Land- 
ariiieiihause  und  starb  181i\  [Von  1S()8— 11  wurde  das  Kektörat  vom 
Diaconus  Kriesjel,  von  1812 — 18  vom  Diacouud  Leopold  Zesch  uebeo- 
auulicli  verwaltet.] 

B.  Gonrectoren  (Cantoren)  1741—1818. 

45.  Adam  Friedrich  Friderici,  cand.  theol.,  1741—43,  ging  als 
Gonrector  nach  Ffirstenwalde.  [Von  Pradikow  ans  meldete  er  sich  zur 
Musik  probe:  „Bisher  auf  vocal  Musiqne  mich  zn  legen  hat  sich  noch 
wenig  Gelegenheit  gefunden,  und  wird  ein  solches  durch  göttl.  Gnade 
und  ofltmahligere  Übnng  ausgebessert  werden.  Ich  habe  zn  dem  Ende 
eine  Cantate  ausgearbeitet,  welche  nach  erhaltener  Erlaubniss  an  den 
Kunst-Pfeiffer  Ihres  Orts  einige  Zeit  vorhero  zn  überschicken  willens 
wäre,  damit  durch  vorl&uffige  Übung  eine  desto  grossere  harmonie  ent- 
stehe. Anbey  habe  auch  dieses  gehorsamst  anszubitten,  dass  die  Orgel 
zugleich  zu  spielen  mir  vergönnet  werde,  um  alle  besorgÜche  mnsicalische 
Uneinigkeit  zn  verhüten  ..."  Er  wnrde  als  Conrector,  Cantor  und  Or- 
ganist berufen,  naclidem  er  zuvor  vom  Konsistorialrat  M.  Roloif  in  Berlin 
„zum  tenraniiue  sistiret  und  de  nudiore  n>(  (tmmendiret  worden."  — 

Sein  Vorgänger  Kirchner  hatte  eine  Witwe  mit  fünf  uiieiz<»ü:enen 
Kindern  hinterlassen,  die  sich  in  grosser  Not  befanden:  „Da  aber  dieser 

')  Perlits:  ,Di«  Braattfldier  In  natura  schaffte  der  Inapeetor  mr  Unden  [1729 
bis  1786]  ab«  weQ  er  sie  an  eompendie«  fud  * 


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72 


B.  SdfEert: 


casos  hier  noch  nicht  ezistireli,  dass  ein  Schnlherr  verstorben,  so  Familie 
hinterlassen**,  worde  anf  Beschlnss  des  llagistrats  (21.  Angust  1741)  „der 
Witwe  zum  sonlagement  ein  halbes  Gnaden  Jahr  biss  UidiaeUs 
accordiret,  und  ein-  vor  allemahl  fest  gesetset,  dass  es  pro  fotoro  dabey 
verbleiben,  and  wenn  dergleichen  kfln£ftig  vorkommen  möchte,  so  soU 
das  Sterbe  qaartal  nicht  gerechnet,  und  sodann  jedoch  noch  ein  halb 
Jahr,  wenn  eine  Wittwe  oder  Unerzogene  Kinder  hinterbleiben,  gerechnet 
werden,  in  der  Hoffimng,  dass  die  posteritaet  sidi  solches  gefallen 
lassen  werde.*^ 

46.  George  Friedrich  Jacobi,  ebenfalls  Oandidat,  1743,  erhielt 
1746  das  erledigte  Bectorat.  [8ein  Prüfangszengnis  vom  3.  No- 
vember 1743  lautet:  „Herr  Jacobi  ist  von  mir  examiniret  worden,  ich 
wünschte  dass  er  in  diM*  lateinischen,  Griecliischen  und  sonderlich  auch 
in  der  Hebräischen  Sprache  eine  mehrere  fertigkeit  erlanget  hätte.  Jedoch 
ist  es  alles  noch  so  bescbafTcn,  dass  er  zum  Cantorat  in  Strausberg  wohl 
kan  admittiret  werden,  weil  sich  in  selbiger  Schohle  schwehrlich  junge 
Leute  zur  academia  werden  praepariren  lassen.  Da  auch  Candidatus 
versprochen,  auf  dem  gelegten  Grund  weiter  fleissig  fortzubauen  und 
seine  Z<'it  und  Kräffte  wolil  anzulegen,  so  wünsche  dass  er  seinem  Ver- 
sprei'hoTi  und  meiner  gethanen  admomition  unter  t^öttlichetn  Bevstande 
möge  nachkommen.   J.  P.  Süssmilch  mpr."    Weiteres  s.  unter  Rekt.  53.J 

47.  Immanuel  Friedrich  Knoblach  1746,  ging  1747  als  Con- 
rector  nach  Wriezen. 

48.  J.  E.  Schauer  1747—48. 

49.  Joh.  Samuel  Kröger,  cand.  theo!,,  1749,  wurde  1751)  Rector 
(No.  55).  [Er  eutstanimt  wohl  der  Tastorenfamilie  in  Prädickow,  aus  der 
ein  Michael  KiöO — 1704,  danach  Gotthilf  —  1741  bei  Beckmann  erscheint. 
Konsistorialrat  Süssmilch  in  Berlin  attestierte  ihm;  „Der  Candidatus 
theol.  J.  Sam.  Krüger  hat  sich  mit  einem  praesentations  Scli reiben  von 
einem  Ilocliedlen  Magistrat  der  Cliurinärkisciieii  iniuiediat  Stadt  Straus- 
berg bey  mir  zur  exploratiou  gestellet.  Nachdem  ich  dieses  gt  th.iti  und 
ihn  zu  diesem  kleinen  Srhulamt  hinlänglich  befunden,  so  habe  die  Ehre 
ihn  mit  diesem  attestat  dei-  admissabilitiit  zu  remittiren." 

50.  Joh.  Carl  Arndt  1759,  wurde  „wegen  vennuthlich  begant^n'nen 
stupri"  17()1  flüchtig.^)  [Im  Namen  des  Königs  wurde  unterm  19.  Ai)ril  17(»1 
verfügt,  „da.ss  seine  Revenuen  vom  Ta-e  seiner  Eut weichung  an  gerechnet 
in  Beschlag  genommen  werden  sollen,  massen  derselbe  bis  ausgemachter 
Sache  cum  eifectu  ab  officio  suspendiret  worden.  Den  Vertretern  soll 
vom  Suspensions  quanto  ein  douceur  verwUliget  werden." 


')  Merkwürdiger  Weise  war  ein  Jahr  zuvor,  am  16.  Mai  17CU  ein  Kgl.  Edikt 
6nchi«iMii,  qWie  derer  Frediger  und  Schnllebrer  VeiBehen  imd  Ezcewe  imtenDcfaeti 
auch  aoleb6|  nach  befindenden  Umstinden,  beatrafet  werden  oollen.*  Darin  beisil  es: 


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Die  Strauusb«rger  Stadtschule. 


73 


51.  Gottfried  Ephraim  Orfiger  1761—78  [s.  Rektoren  57]. 
pOnrch  Königlichen  ErlasB  vom  8.  Septb.  1763  wurde  er  „in  j>uncto 

antecipati  conoabitns  —  seine  Frau  gebar  sieben  Wochen  nach  der  Hoch- 
zeit —  mit  10  Thl.  sor  Wittwenkasse"  bestraft,  nicht  aber  dem  Antrage 
des  Magistrats  gemäss,  an  einen  andern  Ort  versetzt.] 

52.  Jac.  Sigismund  Fr.  Fincke  1773--77  wnrde  als  Prediger 
'  nach  Neustadt  bemfen.  — 

[Sein  Lebenslauf:  ,,Lectoribns  Saintem  x)lurimam  dicit  Jacobus 
Sigismnndus  Fridericns  Fincke.  Liceat  Leetores,  yitam  meam  Vobis  ali- 
qaantolnm  exponere.  Natns  snm  patre  verbl  dinini  ministro.  Piacnit 
dininae  sapientiae  me  in  primis  pneritiae  meae  annis  hoc  vitae  fnlci- 
mento  et  solatio  esse  destitotam:  qno  fSactnm  est,  nt  plnrimam  vitae 
partem  in  Qrphanotropheo,  qnod  Halae  floret^  eg^rim.  Novem  annos  ibi 
inter  orphanos  versatns,  in  eadem  litteramm  nniversitate  Halensi  scientÜs 
addiscendis  theologicis  me  totnm  dedi.  Hinc  actis  tribns  fere  annis 
pastor  quidam  Behrendsias  me  in  scholam  snorom  priaatam  vocanit. 
Coetoi  Christianoram  D.  Lntherum,  verae  religionis  instanratorem,  se- 
quentinm  adhaereo.  Oaeternm  benenolentiae  fauoriqne  Yestro  me  com- 
mendatnm  habeatis  rogo.  Valete. 

Ut  et  reliquum  scribendi  genos  cognoscatis,  dictum  quothiam 
Joannaeam  aliis  litturis  «  xprimere  Übet:  Also  hat  Gott  die  Weit  ge- 
Uebet  u.  s.  w.  ia  deutscher  Kursivschrift.J 

53.  Job.  Schneider,  cand.  theoL  1777,  welcher  [vom  Königl.  Ti-i- 
bonals-  nnd  Eammergerlchtsrat  Krüger  in  Berlin  empfohlen  ondj  1778 
in  dem  bairischen  Kriep:('  als  Bataillonsprediger  berufen  wurde. 

54.  Job.  Daniel  Moritz  1778—1819  [FM.  177(>,  Sohn  des  Pre- 
digers Daniel  Christian  Moritz  in  Zicher,  Neamark],  starb  18 19.  — 


„So  grossen  TOnflnit  die  Prediger  und  SchoUehrer  im  Staat  haben,  und  so  allgemeinen 

Nutzen  derselben  Dienst  verschaffet,  wenn  solcher  von  redlichen  und  wohlgesitteten 
Männern  geleitet  wird,  so  viel  ühel  entsteht  daraus,  wenn  in  dcrgl.  Ämtern  sich  solche 
Personen  befinden,  welche  selbst  sich  allerley  Lastern  ergeben  und  dadurch  bey  ihren 
G^einden  grosse  Ärgernisse  anrichten,  und  häufige  Nachfolger  ihrer  bOaen  ExMnpel 
nuchan,  wodnrdi  nnr  ontflehtiKa  nnd  piflichtTeigeaBeDe  Unterthaaen  gegen  Vneere 
allerhöchste  Person,  unsem  Dienst  nnd  die  vorgesetzte  Obrigkeit  erwachsen^,  und 
wird  demnach  bestimmt:  „1.  Alles  was  der  Prediger  utid  Scbullehrer  Amtsführung, 
Conduite,  Ohle  Lebensart  und  grobe  Vergehungen  butrifft,  bleibt  Ivdiglich  der  Cognition 
der  Consistorien  unterworfen.  2.  Diese  lassen  durch  den  Inspector  gründUche  Er- 
kimdignng  eiuiabeii;  kommt  dabei  niehta  herana,  ao  soll  die  Sache  auf  alch  beruhen 
bleiben,  im  andern  Fall  soll  der  Inspector  dem  Betreffenden  ernste  Vorhaltung  machen. 
3.  Durch  Zongenvomehmung  ßoll  der  Lebenswandel  festgestellt  [werden.  4.  Zu  ver- 
hängen sind  leichte  Geldstrafen  bis  zu  30  Tbl  ,  dann  Suspension  loco  poenae  bis  auf 
3  Monate.  5.  Translocation  oder  Bemotiou  ab  olhcio  ist  nur  nach  Anhörung  des 
Juatia-OoUeghuna  Yom  Oonaistorinm  an  verftlcen.  6.  Leibea-  und  Lebensatraffen  ver- 
bangt  allein  daa  JuatlacoUefl^um.  — 


74 


C.  Studenten  auf  der  Universität  Frankfurt  bis  1810. 

1748:  Carolus  SamueUs  Fabricins  [Sohn  des  Inspeetozs  Fabricins]. 

1749:  Joannes  Fridericus  Pape  [Sohn  des  Peter  Sigfrid  Pape  Neo- 
Marchicus  Zellinensis,  der  FM  1712  iminatriculirt  ist,  s.  Rektoren  54]. 

1758:  Johannes  Siegfried  Heller  [Sohn  des  Ratsherrn  Peter  Heller, 
der  1736  erkoren,  1743  Kämmerer,  1749  proconsnl  wurde,  auch  Zoll- 
einnehmer war  und  1772  resignirte]. 

1762:  Tobias  Weber,  stud.  tfaeol.  s.  Rektoren  66.  —  Job.  Ludovicus 
Fiidericus  Wolffius,  ior.  stud.,  Sohn  des  consul  dirlgens  et  Judex  Wolff 
(1746^72> 

1783:  Friedr.  Dan.  Burchard,  med.  stnd.,  Sohn  des  Chimrgns  in 
Strausberg. 

1800:  Clirist.  Friedr.  Moritz,  20  V«  Jahr  alt,  tfaeoL,  Sohn  des  Joh. 
Dan.  Äloritz,  Scholae  Strausbergensis  (jonrector,  auf  dem  Gymn.  Colon. 
Berolini  vorgebildet,  sine  testimonio  maturitatisJ) 


Die  Reformverauche. 

Am  14.  Mai  1747  petitionierten  Magistrat  und  Stadtverordnete')  an 
König  Fl  irdrich  II : 

„Ad        'Tl.  Allerdiirchlauchtigster  pp.  Nachdem  wir  bey  der  neulich 

aIlf^•('stpllten  Schulvisitutioii  walirgfnoniinon,  wie  os  schlechterdings  un- 
monlicli  sey,  dass  bey  dein  Zuwachs  der  Schuljugend,  welche  sich  auf 
1(K)  l)elaufeD  dürfte,  2  Schulbediente  solche  in  den  erforderlichen  Wi^s^n- 
schatten  beliörig  nnterriclifcn  können,  so  haben  \v\r  diesen  Unistand  mit 
denen  Stadlvcrordiieten  zu  Rathhause  überleget  und  vor  .sehr  nothwendig 
zu  seyn  erachtet,  unsere  Aufmerksamkeit  daliin  zu  richten,  wie  man 
auj  füs  liebsten  noch  den  ^5.  Schulco liegen  vociren  könne.  Da 
dann  die  Büri?ei schaft  sich  sogleich  resolviret,  dem  !{.  Schuibedienten  von 
denjeiijMCü  HM»  Tbl.,  welche  I].  K.  Maj.  wegen  des  Darlehns  der  200()Tbl.  ') 
der  hiesigen  Stadt  Ciis^e  iiihrlich  allergnädigst  accoidiret,  zu  seinem 
Unterhalt  alle  Jahr  '  Thl.  zu  gebeji.  Ob  ?mn  zwar  die  Bürgerscliaft 
ilurcb  den  olferirten  15c\lrag  ihr  Verlangen  bezeiget,  uns  zu  dem  inten- 
dirten  heilsamen  Zweck  beliülflich  zu  seyn.  so  sind  doch  sothane  5U  Thl 
nicht  zureiclieud,  den  3.  Schuibedienten  uothdürftig  zu  unterhalten, 

>)  Im  ganseii  7,  wlhrend  ans  Buckow  3,  Eberawalde  0,  Freienwalde  2,  Alt 

T-andsberg  8,  MttDCheberg  7,  Odeiberg  3,  Seelow  5,  Wriezen  14,  aus  den  Dörfern  dea 
<)berbarnini  30,  von  den  Adligen  keiner  mehr  in  Frankfurt  wftltrend  dieses  Zeitratnns 
studierten.  —  Die  Ureifswalder  .Matrikel  dieses  Abt^chnittes  nennt  ebenfalls  keinen 
Studiereudeu  aus  vurerw  ahnten  Orten.  —  '}  Ihrer  gab  es  seit  1Ö98  acht,  während  bis 
dabin  die  BOrgerscliaft  nur  dnrch  4  Viertelsbenea  (Berirkavontoher)  yertreten  wurde. 
—  *)  Ein  be8(HidereB  Aktenstack  lautet:  „Dem  König  vorgeschoeaenea  Capital  von 
120000  TliL  1744",  wosu  Stranaberga  Anteil  eben  2000  Tbl  betrug.  — 


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Die  Straiubeiger  Stadtschule. 


75 


Dahero  £.  K.  Maj.  wir  hierdnrc  h  alleninterthänigst  vorstellen  wollen, 
was  messen  der  Müller  PreoBSe  sicli  ad  Protocollnm  declanret,  wie  er 
I)«  roit  wäre,  1  Wispel  Roggen  jährlich  zur  Cäinmerey  za  gelien,  wenn 
E.  K.  M.  gemhen  wollten,  iiini  den  nenen  Mahlganp:  auf  srincr  Mülile 

allergnädip:st  zn  accordiren.  Der  dafür  alljährlich  fallende  1  Wispel 

Roggen  könnte  dem  3.  Schulcollegen  als  ein  pars  salarii  jfegeben  werden 
[stcitt  der  Accidentien  und  freien  Wolinung  solle  deisellx^  lö  Thl  «m- 
halteii].  Gleichwie  nun  unsere  hionintcr  heg'endo  Absichten  nichts  an- 
ders, als  das  Wohl  der  .Tiif^«'iid  zum  Aufj^ennierk  haben,  iinii  dann  die 
Bürgerschaftt  nichts  seliidicher  wünscht,  als  dass  diese  lieilsame  Sache 
bald  zu  Staude  koninien  niÖp:e,  unerwogen  der  eine  Schulc<»lh'uc  in  voriger 
Woche  nach  Wriezen  vocirt  ist,')  eintV>l^li(•ll  da  nur  ein  eiiizit-vr  Schul- 
cöllege -)  vorhanden,  dessen  Bemühungen  bey  der  Schul  Jugend  aUes  an- 
gewandten Fleisses  ungeachtet  den  gehörigen  Nutzen  niclit  verschafi'eu 
können:  So  leben  wir  der  gewissen  llolVnung  ,  .  .* 

Wie  Perlitz  in  dem  oKen  angctuhrten  Verzeichnis  der  Tertiani  be- 
merkt hat,  wurde  aus  der  Sache  nichts;  woran  sie  gesclieit«'it  ist,  liisst 
sich  mantrels  weiterer  Nachricht  nicht  bestimmen,  immerhin  alter  muss 
die  gute  Al'siclit  aruMkannt  werden,  um  so  mehr,  als  man  gh'ichzeitig 
in  der  zuversiciitlicheu  Erwartung,  dass  die  Königliche  ( leiiehmiguug 
nicht  ausbleilien  wenh',  sich  an  den  Entwurf  einer  neuen  Schul- 
ordnung machte,  durch  welche  nicht  allein  die  Thatigkeit  des  dritten 
Lehrers,  des  Baccalaureus,  in  feste  Beziehung  zu  dem  Stundenplan  der 
beiden  arulern  Kollegen  gesetzt,  «uidern  auch  auf  die  Beseitigung  der 
bemerkten  Cbelstände  Bedacht  genumnien  wird.  Diese  Schulordnung  luit 
folgenden  Wortlaut: 

„Wann  dem  Publico  in  allen  Ständen  höchst  daran  gelegen,  dass 
die  Schulen  als  seminaria  in  guter  Verfassung  gesetzet  und  in  guter  Oi'd- 
beständig  erhalten  werden,  als  hat  Mivgisti  at  und  Inspector  zum  Nutzen 
hiesiger  Schule  folgendes  lve<;lement  entwortlen,  als  welclies  denen  Schul- 
bedienten, sobald  darül)er  Küni^l.  alleignadigste  approbation  ein^^eholet 
worden,  um  sich  auf  das  genauste  danach  zu  achten,  soll  bekanudt  ge- 
macht werden. 

§  1.  Soll  die  vornehmste  Sorge  dahin  gerichtet  werden,  dass  hiesige 
Sehlde  jeder  Zeit  sowohl  mit  frommen,  als  auch  geschickten  und 
fieissigen  Int'ormatoril>us  versehen  werde. 

§  2.  Soll  nnt  aller  intention  daliin  gesehen  werden,  dass  die  Schul 
Cullegeu,  neb.st  einem  geistlichen  Wandel,  als  worin  sie  der 

')  Konrektor  Kuoblacb.  —  •)  Rektor  Jacobi.  —  ')  Fabricius  [s.  Kekt  51]  i»t 
wohl  ab  der  dgentliche  YeifiieBer  äioMB  Begjements  anmaelien:  jede&falla  luumte  er 
«US  semer  10  jlhrigen  Scbnlpraxis  die  Gebrechen  der  Stadtocfaale  besser  als  sonst  einer 
der  Batshens.  — 


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76 


a  Seillert: 


zaitrn  mit  «in  gut  exompcl  vorzugehen  h.aben,  sich  insheson- 

doro  t'i  ip«!  licli  uinl  \  orträglicli  mit  einander  betragen,  und  mit 
vereinigten  Kriiften  und  Jlertzen  ilen  vornehmsten  Entzweck  ihrer  Arbeit, 
/.n  befördern  sieh  eusserst  angelegen  seyn  hissen,  damit  Gott  geehret 
und  die  .luir'-fid  zur  Krkeimtniss  und  Fui'cht  Gottes,  hiornächst  aber  zu 
nützlieiien  W  issenschaften  anui  iVilii  t  wenle. 

§  SoUen  die  Schuibedieuten  insbesondere  der  Jugend  allen 
der  liuchsten  Obriiikfit  scliuldij^cn  respeet,  Liebt«  und  Furcht 
wohl  einpräiren;  hiernat  hst  da>s  sie  ihren  Elter?i,  und  denen,  so  ihnen 
zu  befelden  haben,  aucli  denen  l'redigern  und  al len  Vorgesetzten 
die  gel»ühren(ie  Ehrerbietung  «'rweisen,  sie  tleissig  dahin  anhalten. 

§  4.  Mit  i\en  Seiiulstunden  soll  es  inskiinftiire  so  gehalten  werden, 
dass  die  siimnitlielie  Schulknaben  des  Morgens  um  7  Uhr  ohu  Unter- 
scheid, es  sey  Sommer  oder  Winter,  sich  in  der  einen  Ciasse  versaninu  lu, 
bey  wclclien  sich  Kector  oder  Conrector  alternative  hinfüro  einfindet. 
Hat  der  Uector  die  erste  Stunde  in  der  Woche,  so  conÜnuirt  derselbe 
mit  der  infonnation  biss  1),  währender  Zeit  der  Cantor  in  der  kleineu 
Glasse  informiret,  faiemftchst  seine  publi«|ue  informat:  in  der  kleinen 
Glasse  biss  10  abwartet.  —  Wenn  Gantor  die  erste  Stunde  in  der  Woche 
hat,  so  infonniret  er  ebenmässig  biss  9,  alssdann  Rector  biss  10  mit  der 
Information  fortfährt.  —  Baccalanreos  informiret  gleichfalls  des  Vor- 
mittags biss  10  Uhr,  ~  Des  Nachmittags  von  12  biss  1  Uhr  h&lt  Gantor 
die  gewöhnliche  Singstunde,  um  1  Uhr  hält  Rector  seine  publlijue  Infor- 
mation und  Gantor  von  2  biss  3.  Baccalanreas  informiret  wiedemm 
publice  von  12  biss  3. 

§  5.  Die  Ferien  sind  auf  alle  Weise  einzuschränken.  In 
den  Hundstagen  sollen  nur  2  Nachmittage  ansser  den  Mittwoch-  und 
Sonnabend-Nachmittagen  in  der  Wochen  zu  Ferien  ausgesetzet  und  keine 
längere  Zeit,  als  in  dem  Galender ')  steht,  dazu  genommen  werden.  Wie 
denn  auch  die  8  Tage,  welche  beym  Anfang  der  Hundstage  zu  Ferien 
bi^shero  sind  gemacht  worden,  gantzUch  wegfallen.  Die  privat  infor- 
mation  muss  nach  wie  vor  in  den  Hundstagen  abgewartet 
w^erden,  weilen  die  Schulcollegen  dafür  insbesondere  bezahlet  werden. 

Das  sogi>naunte  Recordiren,  welches  gleich  nach  Michaelis, 
Martini  und  dem  neuen  Jahr  seinen  Anfang  nimmt,  muss  höchstens 
innerhalb  8  Tage  geendiget  u<M-deu,  damit  die  Jugend  unnöthiger  Weise 
in  der  informafion  nicht  aufgehalten  werde. 

§  (j.  Stilte  einem  Schidci'lb  iren  unvermeidliche  Hiudemiss  vorfallen, 
dass^er  etliche  Stunden  nicht  iuformiren  kunte,  so  muss  er  die  Kinder 

')  Der  erste  Kuleuder  wird  im  Stadtbucb  15i^9  erwähnt  und  kostete  3  ,ag.  — 
*}  Die  vieite  Recordatioo  su  OFcgorii  (12.  Hin)  sdieint  eine  log.  Zugabe  geweMn  ma 
sein;  Sternbeck  meint,  sie  sei  172 L  eingeführt,  de  findet  flieh  soeb  in  KrOgMS  Be- 
rafang  1759,  jedenfalle  wollte  man  sie  jetst  als  flberflassig  beseitigen.  — 


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Die  Stniubeiser  Btadtoehole. 


77 


desialss  nicht  müssig  sitzen,  viol  M  t-iugt  r  dieselben  anseinancler  gehen 
lassen,  sondern  den  andern  Collcgen  bitten,  seine  vices  so  lange  zu  ver- 
gehen. Däfern  ein  oder  der  andre  aber  anf  einen  gantzen  Tag  anszu- 
reyspii  nöthig  hätte,  als  weiches  ausser  denen  Ferien  niclit  leicht  za 
verstatten,  so  hat  er  sich  persönlich  bey  dem  ITerrn  Insi»ector  zu  uu'klen 
und  mnss  ohne  dessen  Vorwissen  und  Besorgung  seines  Amtes  bey 
schwerer  Verantwortung  nicht  verreisen. 

§  7,  Die  .Sehulcoliegpn,  wenn  sie  ihr  \int  in  den  öffentlichen  Stunden 
verrichten,  sollen  sich  in  or  d  e  n  1 1  i  c  liei*  K  1  c  i  d  u  ni;  e  i  n  Ii  n  d  e  n ,  hier- 
nüchst  müssen  sie  die  Schüler,  in  specie  die  grus.sten  dahin  anhalten, 
dass  sie  in  der  Scliule  mit  reinlicher  Kleidung  erscheinen. 

Die  Schule  soll  sauber  gehalten  und  zu  nichts  andrem  als 
der  Information  der  Jugend  gebrauchet  werdfu. 

§  8.  Und  damit  docentes  und  discentes  sicli  des  ;^t>tt liehen  I>ey- 
standes  und  Segens  zu  versprechen  haben,  so  muss  jederzeit  der  Anfang 
in  der  Information  mit  Singen,  Beten  und  einem  llauptstück 
ans  dem  Catechismo  gemachet  und  die  Information  ebeumüssig  mit 
Singen  beschlossen  werden. 

§  [).  Weilen  discentes  in  2  Classen  abgetheilet  sind,  so  müssen 
keine  in  der  grossen  Classe  genommen  werden,  welche  niclit  fertig 
lesen  können  und  den  Anfang  gemachet  halten,  den  Catechismnm  ohne 
Auslegung  zu  lernen.  Überhaupt  sollen  sich  docentes  nach  dem  ihnen 
mit  ersten  vorzulegenden  catalogo  lectionum  verhalten. 

§  10.  Wann  auch  an  der  deutlichen  und  reinen  Handschriflv  ein  sehr 
vieles  gelegen  ist,  so  sollen  docentes  mit  aller  Sorgfalt  die  Jugend  an- 
halten, dass  sie  nach  denen  in  der  Schule  befindlichen  Vorschriften 
accnrat  schreiben  lernen  und  selbigen,  so  viel  immer  möglich,  gleich 
an  kommen  sich  änsserst  befleissigen. 

§  IL  Docentes  sollen  keine  abgeschmackte,  (sondern  nütz- 
liche ezercitia  ihren  Schülern  dictiren,  viel  weniger  solche  mit 
niederträchtigen  und  unziemlichen  Unterredungen  aufhalten. 

§  J2.  Beym  Anfang  einer  jeden  Lektion  müssen  docentes 
knrtz  and  dentlich  denen  discentibnjs  eröffnen,  was  dasjenige, 
so  man  zn  tractiren  gesonnen,  vor  einen  Entzweck  habe,  damit 
selbige  das  Ufer,  wohin  sie  reisen  sollen,  sehen  können  und 
mehrere  Begierde  im  TiOmen  erlangen  können. 

§  Di.  In  Bestrafung  der  Jagend  sollen  sich  Informatores  aller 
unziemlichen  Hefftigkeit  und  Hitze  enthalten,  dahing<'gen  alle  väterliclie 
Mässigkeit  und  gehörige  Besch ei(K-nheit  gebrauchen,  jedoch  aber  durch 
allzagrosse  Gelindigkeit  und  Verzärtelung  der  Jagend  keine  Ursache  zum 
Klagen  geben. 

§  14.  Die  Schulbedienten  S(»lUn  mit  allei*  attention  duhiu  sehen, 
dass  die  Jugend  den  Gottesdienst  fleisslg  abwarte,  sich  insonderheit 


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78 


B.  Seifflert: 


in  der  Kirrho  still  und  riiliic  auf  führe,  don  Gesang:  mit  gebüh- 
render Andacht  verrichte,  sich  währender  Predif^jt  und  Gebet  alles  unnützen 
Geschwätzes  und  Muth willens  enthalte,  hinj^egen  auf  der  Predigt  fleissig 
Acht  habe,  das  Vornehmste  aus  der  Prediget  lielialte,  und  in  nächster 
Schulstunde  es  wieder  erziihle.  Und  sobald,  geliebt  es  Gott,  die  grosse 
Kirche  wieder  ei-bauet,  Süllen  sich  sowohl  des  Sonii-  als  Festtiiges 
die  Schulknaben  in  der  Schule,  wenn  geläutet  wird,  einfinden,  alsdann 
die  Sciiu h  ollegen  solbige  in  guter  Ordnung  nach  der  Kirche  begleiteu 
und  ebenso  nach  der  Schule  zuriicki>ringen  solh-n. 

§  15.  Die  Eltern  sollen  ihre  Kinder  fleissig  zur  Schule, 
Kirche  und  K  inderli'hre  ^)  scli  icken  und  sie  nicht  wie  das  tunnne 
Vieh  ohne  Zucht  aufwachsen  lassen,  als  worüber  Magistrat  und 
Inspector  nach  äusserstem  Vermögen  zu  halten  haben. 

§  16.  In  der  Gurrende  sollen  regulariter  keine  andre,  als  gantz 
arme  Bürgerkinder  angenommen,  auch  nach  3  Jahren  wieder  dtmit- 
tiret  werden,  damit  andre  arme  Kinder  zn  diesem  beneficio  auch  ge- 
langen können.  Die  Büchse,  worin  das  Greld  gesammlet  und  qaartaliter 
egalement  unter  denen  Correndarüs  getheilet  wird,  auch  wie  es  geschehen, 
nieder  geschrieben  werden  mnss,  so  soll  hinffihro  bey  dem  Herrn  In- 
spectori  abgegeben  werden,  als  welchem  lediglich  der  idlgemeinen  obser- 
vance  nach,  die  distribntio  der  gesammelten  Geldern  zukomt  Und  weil 
anf  die  gute  Erziehung  dieser  armen  Kinder  haaptsächllch  zu  sehen  ist, 
so  soll  ihnen  von  den  SchutcoUegen,  noch  sonst  von  jemand,  keine 
weitere  Last  auferlegt  werden,  als  welche  Magistrat  und  Inspector  gut 
heisset. 

§  17.  Diejenigen  Schnlknaben,  welche  wegen  Tum-  oder  Träg- 
heit oder  andrer  Umstände  halber  die  zumStudiren  gehdrige 
Geschicklichkeit  nicht  haben,  sollen  bey  Zeiten  davon  ab- 
und  zur  Erlernung  einer  ehrlichen  Profession  angehalten,  sel- 
bige auch  nicht  weiter  als  vornehmlich  im  Christenthum,  Schreiben, 
Lesen  und  Rechnen  unterwiesen  werden. 

§  18.  Der  Rector  muss  insonderheit  dafür  sorgen,  dass 
alles  in  der  Schule  richtig  zugehe,  mithin  dahin  sehen,  ob  seine 
Collegen  zur  rechten  Zeit  in  die  Schule  kommen,  und  ob  sie  mit  ge- 
hörigem Fleiss  inforniii«'?!.  Findet  er  das  Gegenthcil,  so  muss  er  den 
Collegen  desfalls  besclieidentlich  erimuM  ii,  und  falls  der  andre  sich  nicht 
daran  kehret,  solches  alsdann  dtnu  Herrn  Inspector  melden,  wie  dann 
dieser  wenigstens  einmal  in  der  Woche  in  der  Schule  gehen  und  zuhören 

')  Eine  karfürstl.  Verordnung  vom  18.  Uctober  1660  „wegen  der  Beichte,  Leich- 
predigten, Beaocbung  der  Snuikeii  und  Catediismiulebre''  bestimmte,  „daas  die 
beranwaelueiide  Kinder  nadi  geschehinw  gnngMunen  tmtaniolitang  snfOident  von 
dem  Pfarrer  der  Gemeine  bey  Öffentlicher  predigt  deigestellet  ond  dATUif  mm  Abend- 
mahl vexstattet  wtfden  aoUea.*^ 


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Die  Stniubeiger  Bfeadtodrale. 


79 


moss,  wie  darinnen  informiret  werde,  auch  die  discentcs  oxaminiren,  ol» 
ne  dasjenige  bereits  gelernet»  was  su>  von  Rechts  wegen  wissen  sollen." 

Dies  Kegleinent  ist  zwar  ohne  Datum  und  Jahreszahl,  aber  die  An- 
deutung über  die  Reparatur  der  Kirche  ^)  und  die  Anstelluiifj  eines  ßacca- 
laureus  stellt  ausser  jeden  Zweifel,  dass  es  zwischen  1747  und  1749  ent- 
standen sein  und  in  enge  Verbindang  mit  der  genaDoten  Petition  gebracht 
werden  mnss.  Unter  den  Missständen,  gegen  welche  sich  die  Ordnung 
richtet,  steht  die  Ferienfrage  obenan,  d.  h.  die  ungerechtfertigte  Gewohn- 
heit der  Lehrer,  die  Dauer  der  observanzmftssig  schulfreien  Tage  über 
Gebühr  willkürlich  auszudehnen.  Die  ärmere  Bevölkerung  war  freilich 
froh,  wenn  sie  recht  oft  und  lange  ihre  Kinder  zu  gewerblichen  Hülfe- 
leistnngen  (Spulen,  Hüten  u.  a.)  gebrauchen  konnte,  tmter  einem  Schul- 
zwang litt  ihr  Verdienst;  aber  die  einsichtigeren  Eltern,  deren  Kinder 
auch  den  Privatunterricht  besuchten,  hatten  ein  Recht  zu  klagen,  wenn 
die  Schulzeit  beschnitten  wurde,  und  so  kommt  dieser  Punkt  immer  und 
immer  wieder  zur  Erörterung,  so  oft  es  sich  um  Abstellung  von  Miss- 
st&nden  handelt.  Im  übrigen  basieren  die  positiven  Vorschriften  auf 
den  früheren  Visitationsabschieden  von  1674  und  1600;  §  17  ist  demKgl. 
Edict  über  den  Selectos  ingeniorum  (25.  August  1710)  entnommen;  in 
§  11  und  12  erblickt  man  unschwer  eine  Anh-hnuns:  an  die  Ideen,  welclie 
an  den  Ilecicersclien  Schulen  -)  in  Berlin  praktisch  verwirklicht  und  durch 
allerhand  Lehrbücher  (insbesondere  die  Hähnschen)')  weiteren  Bereisen  zum 
Yerstäuduig  gebracht  wurden. 

I)  Am  16.  Juii  1746  tnl  tm  Watwttnhl  den  Kirehturm,  warf  £nopf  und  Fahne 

herunter  und  veruraachto  einen  Brand,  der  lange  verborgen  blieb,  endlich  aber  glQcklicb 
gelüKrbt  wurde.  Erst  1749  war  die  ■Reparatur  beendigt;  der  Knopf  ward  unlfr  ?r<»SHer 
Feierliclikeit  aufgesetzt,  (das  Gedicht,  welches  dabei  deklamiert  worden  ist,  bcündet 
sieh  nodi  im  Archiv).   Vergl.  auch  Stembeck  8.  125.  — 

*)  Der  Ertara  vom  29.  April  1764:  « Weilen  Wir  in  Gnaden  verordnet  haben,  dass 
ftr  weiterer  Beförderung  derer  sich  bey  der  Hecketldien Bealschnle  nllbicr  findenden 
geschickten  Inforuiiitions  Subjectorum  mit  Flei.ss  ^'osorget  Avenlen  soll,  als  habt  ihr 
denen  Magistraten  eures  Creyses  sofort  bekannt  zu  machen,  wie  Wir  gerne  sehen 
werden,  wann  sie  in  FftUen,  da  dieselben  Patroni  sind,  bey  Erledigung  der  ächuläuiter 
TOT  anderen  auf  die  bey  gedachter  Kealschnle  vorhandene  fähige  Snbjecta  reflectiren 
werden,  da  defgestait  die  Schulämter  im  Lande  mit  tflchtigen  Personen  besetzt  werden 
If  ninfn"  —  wurde  auf  dem  Strausberper  "Mafristrat  zur  Nacljachtung  Obcrsandt,  doch 
ibi  k.'iu  Fall  der  Befolgtin^  bekannt.  Ebenwo  wurde  (20.  ifovbr.  1705)  die  Lotterie  zum 
Besten  der  Berliner  Kealschule  waim  empfohlen.  — 

*)  Qotse  8.  128:  «Die  Sehfller  sollen  auch  die  Ordnung  des  Lehrstoffs,  «io 
eines  auf  das  andre  folget  and  mit  ihm  verbanden  sei,  ersehen  können."  —  UnlAngst 
veröfifentlichte  Prof.  Beyschlag  einen  bisher  ungedrnckten  Brief  Friedrichs  des  Grossen, 
woraus  folgende  Stellen  hierher  passen:  „Nur  muss  die  Methode  des  Unterrichts  ein 
bisacben  reformiret  werden,  damit  die  jungen  Leute  besser  lernen  .  .  .  Die  autores 
dessid  mflssen  anch  alle  ins  Deatsche  flbersetzet  werden,  damit  die  jungen  Leute 
eine  idte  davon  kriegen,  was  es  dgentüch  ist»  sonsten  lernen  sie  die  Worte  wohl,  aber 
die  Saehe  nicht .  . 


uiyiiizeo  Dy  Google 


80 


B.  Seiffert? 


Entscbieden  neu  ist  die  Einrichtang  der  Gurrende,  aber  trotz  des 
guten  Zwecks,  den  man  damit  verbinden  wollte,  ebenso  hässlicli.  Eine 
Um&ndemng  des  alten  Singcliois^)  kann  ich  in  ihr  nicht  finden,  denn 
die  Recordationen  wurden  dadurch  gar  nicht  betroffen  oder  gar  anf- 

f^ehoben,  sie  war  vielmehr  nnr  ein  garstiger  Aoswuchs  der  Bettelei,  die, 
wie  in  den  Recordationen  von  den  Lehrern,  fortan  wocheotUch  zweimal 
von  armen  Schülern  betrieben  und  als  Einnahmequelle  angesehen  wnrde. 
Es  konnte  nicht  ausbleibeo,  dass  die  Geringschätzung,  mit  welcher  man 
diesen  armen  Rt  ttelsängem  einige  Pfennige  in  die  Büchse  warf,  schliess- 
lich auch  bei  den  Recordationen  mehr  und  mehr  zum  Ausdruck  kam, 
und  die  nrsprünglich  vielleicht  geachtete  Institution  immer  tiefer  herab- 
würdigte. 

Ob  die  neue  Orrlnnng  wirklich  die  Kgl.  Bestätigung  erhalten  und 
Geltniig  erlangt  hat,  ist  nicht  zu  bestimmen  ;  das  aber  steht  fest,  dass 
man  auf  die  in  ihr  niedergelegten  Grundsätze  auch  später  noch  mehrfach 
zurückgegriffen  hat.  — 


Nach  Beendigung  dt  s  7  iriliri^-^eii  Krieges,  noch  iin  Jahre  1763,  erliess 
der  grosse  König  das  benihuite  G  e  neral-Landscliuli  egienieut  mit 
seinen  26  inhaltschweren  Paragraphen  für  die  gesamte  preussische  Mo- 
narchie; das  Edikt  vom  20.  December  1764,  jenes  ergänzend,  verfügt: 
„Da  Wur  seit  Antritt  Unserer  Regierung  die  Verbesserung  der  Schulen 
in  unseren  Staaten  allerhöchst  selbst  zu  einem  besonderen  Augenm«^ 
jederzeit  genommen  und  deshalb  vor  einiger  Zeit  in  Ansehung  der  Schulen 
auf  dem  Lande  ein  General  Schul  Reglement  publidren  lassen,  so  ist 
auch  in  Erwägung  der  genauen  Verbindung  guter  Schulen  mit  der  Auf- 
nahme des  Staates  Unser  so  gnädiger  als  emster  Wille,  dass  die  Stadt- 
schulen gleichfalls  in  die  bestmöglichste  Verfassung  gesetzt 
werden  sollen*.  Dem  Magistrat  wurde  dies  mit  der  Weisung  über- 
schickt, «alle  Scbulbediente,  die  angenommen  oder  zur  Ascension  ver- 
stattet  werden,  vor  Erteilung  der  Vocation  beim  Ober-Oonsistorium  zu 
präsentiren;  anch  mnss  das  Wahlprotoooll  jedesmal  vom  Inspector  mit 
unterschrieben  sein**. 

„Da  in  der  Strausbeiger  Schule  aber  doch  nur  im  Lesen,  Schreiben, 
Rechnen  und  dem  Catechismns  unterrichtet  werde*",  sollte  für  die- 
selbe (Rescript  vom  20.  September  1764)  durchaus  das  Landschul- 
reglemeut(l)  massgebend  bleiben,  auch  die  darin  vorgeschriebenen 
Bücher  eingeführt  werden.  — 


*)  Vgl.  Oetse  &  121.  Die  Konende  ghig  erat  gegen  1880  «in. 


Die  Stransbeiger  Stadtaehnle. 


81 


Schon  drei  Jahre  später  finden  wir,  dass  bei  der  Introdnction  dee 
Rectors  Tobias  Weber  im  Juni  1767  die  Bdigersdiaft  wiederum  die  Ge- 
legenheit ergreift,  nm  sich  öber  die  bisherige  Schulverfassung  zu 
beschweren  und  darum  zu  bitten^  dass  eine  fleissigere  Visi- 
tation der  Schule  aiip^eordnet  werde,  „sonst  könnten  sie  sich  zu 
dem  oHiölitcn  Schul^^di!  nidit  v  i  tclien".  Sie  beklagen  sicli  übuv  fol- 
gende Missbriiuclio:  „1.  Wiinlrn  die  Singestnnden  sehr  schlt'cht 
ahgCNviirtet,  imh'in  der  lk»i-r  Conrector  ei-st  nach  V»  1  Uhr  iu  der 
Schule  käme,  da  die  Stunde  doch  um  12  Uhr  ihren  Anfang  nehmen  soll. 
2.  Würden  die  Seim lt>:ebäude  sehr  ti n ordentlich  gehalten  und 
viel  unverantwortliche  Ferien  gemachet,  so  vor  diesem  nicht  ge- 
wesen. 8.  Ware  seit  einiger  Zeit  die  Gewohnheit  von  den  Schulherren 
eingeführt,  dass  in  den  Recordations-Wochen  gar  keine  Schule  gehaltefi 
wüido,  da  doch  vorhin  des  Freitags  uinl  Sonnabends  sei  int'orniiret 
\vor<ien.  4.  Habe  die  Büriri  i>-('liaf't  aiii^emerket,  dass  in  denen  .1  hohen 
Festtagen  ganze  Wochen  i^ar  Ueiiif  Sciude  gehalten  würde,  welche  Be- 
wandtniss  es  nur  mit  der  Betwoch.' ')  habe.  5.  Sei  lun-  seit  einiger  Zeit 
die  unerlauhtt'  Gewohnheit  eiii^i  führt  worden,  dass  wenn  eine  Leiche 
sei,  keine  I'rivatstuiideii  i^t-lialtcii  würden,  da  doch  die  Bürü:erscli:ift  die 
Privatstunden  besonders  ln'zalib'ii  iiiiisse.  (>.  Sei  jederuiäuniglich  bekannt, 
dass  vor  diesem  in  tlen  '2  '^i<»^v\\  Märkten  der  Tai:  nachhero  ganz  frei, 
in  den  3  kleiin'Ti  ^tinktni  aber  nur  '  Tatr  frei  gewesen  sei;  nuimuOir 
al»er  iiful  seit  ->  In  kiii  tzer  Zeit  wäre  die  Gewohnheit  eingeführet,  dass 
oiuit'  l  i  >(  liit  d  dei"  Tag  nach  den  ö  Märkten  ohne  Information  ge- 
blifbi'ii.  7,  Wiirdin  die  llundstag»'  zu  weit  ausgedeiiiit  und  zwar  auf 
0  ^^(n•ll.•n,  da  Ii  vor  diesem,  wie  der  Culeuder  besagt,  4  Wochen 
llundstage  gewe.sen  waren.*  — 


Wie  bereits  früher  auseinandergesetzt  wurde,  war  aus  dem  i.  J.  1712 
konsentierten  Selm  1-Neu bau  nichts  geworden;  man  liatte  sich  nur  mit 
Reparaturen  beholfen.  Das  ist  aber  wohl  endlich  nicht  weiter  mehr 
möglich  gewesen,  denn  es  berichtet  der  Magistrat  in  gehorsamster  Vor- 
Stellaog  der  Sa<  hlaiio  und  mit  der  Bitte  um  obriuki  itliche  Genehmignng: 

„Wie  bereits  aktenkundig,  ist  InesigfS  Orts  das  zeitherige  kloine 
Schulgebände,  worin  besonders  nur  die  Knaben  infoniiiret  w^'rden,  von 
dcnnassen  kleinem  Umfang,  dass  nicht  eimmd  der  gehörige  Platz  zur 
intorniatiou  der  Knaben,  noch  weniger  zur  Wolmunu  d<'i'  beiden  Schnl- 
Lehrer(I)-)  vorhanden,  die  Mädchens  Sciude  aussi  rdcm  noch  in  aedibus 
priuatis  gehalten  werden  müssen,  und  desslialb  zeitliero  tlieils  vor  des 
Conrectors  Wohnung:  eine  anselinlielie  Mietlie,  auch  die  K ü>ter\\ < dinung 
neb.st  Mädchens -Schule  ebenfalls  gemiethet  werdeu   müssen:  So  hat 

')  Oharwoche.  ~  *)  Dtoaem  Aasdnick  begegnen  wir  hier  mm  ersten  Mal. 
A.  0 


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82 


Magii-^liatiis  sich  iu  der  uiiimi^äiiglicUen  NotUweudigkfit  versetzt  gesellen, 
1>ei  denen  öffentliclien  Licitutions  Terminen  des  hiei-selbst  zu  verkaufenden 
Clostei  -G  0  Ildes  und  Pertineutzii'U  solches  zum  Behufe  der 
Schule  an  sich  zu  kaufen  .  .  .  Gleichzeitig  hatte  auch  der  Genei*al- 
lieutenaiit  und  Kriegsininister  von  Wedell  dein  Könige  darüber  Vortrag 
gt'liaiten  und  dessen  Eihiuluiis  zur  Veräusserung  des  dem  i^otsdanier 
Waisenhaus  seit  UM  gehörenden  alten  Klosters  ausgewirkt.*)  So  wurden 
denn  „die  baufälligen  Gebäude  zur  Schule  tiptii-t",  und  diese  neue  (!) 
Austalt  am  29.  Oktober  1772  feierlichst  eingeweiht,  wobei  für 
die  Mahlzeit  der  Behörde  30  Thlr.  draafgiugeu  uud  an  die  Kinder  Pretzelii 
und  Schalbtteher  (für  praeterpropter  15  Thlr.)  verteilt  worden. 

I>er  damalige  Bürgermeister  Mertens,')  der  in  eben  diesem  Jahr 
ins  Amt  getreten  war,  hatte,  gleichviel,  ob  ans  Unkenntnis  der  Verhält- 
nisse oder  ans  selbstgefälligem  Machtbewnsstoein,  es  verabsänmt,  sich 
mit  dem  Inspector  Hanses*)  sowohl  wogen  des  Schnlbanes  nnd  einiger 
Eirchenreparatnren,  als  auch  namentlich  wegen  der  Neubesetanng  des 
durch  den  Abgang  des  Tobias  Weber  vacant  gewordenen  Rektorate  in 
gebflhrendes  Einvernehmen  zn setzen,  nnd  so  beschwerte  sichHanses 
um  Ostern  1773  beim  Könige:  ^1.  Dass  Mertens  die  sdt  Michaelis 
erledigte  Schalstelle  so  lange  unbesetzt  gelassen  habe^  wodurch  die  Jugend 
sehr  versäumt  werde.  2.  Dass  er  ohne  seine  Zuziehung  einen  Gandidaten 
zum  Conrector  und  Gantor  bestinmit,  auch  zum  Examina  sistiret  habe, 
ehe  das  Gantorat  für  vacant  erld&rt  nnd  das  Rectorat  nach  der  Verord- 
nung vom  20.  December  1764  wieder  besetet  worden  sei  3.  Dass  er  die 
Probelection  aaf  einen  Tag  lege,  ohne  vorher  den  Prediger  a^u  Rsthe  ge- 
zogen zu  haben.  4.  Dass  er  nach  schriftlicher  Bitte  des  Inspectors  um 
Aufschub  der  Probelection  dennoch  mit  Zuziehung  des  Diacouus  die 
Probe  veranlasst  habe.  5.  Dass  er  den  Gandidaten  zwar  Probe  lesen, 
aber  nicht  habe  singen  lassen,  6.  Dass  er  sich  der  unanständigsten 
Schreibart  gegen  ihn  bediene,  wenn  er  ihm  vorwerfe,  in  pflichtvergessenen 
und  naseweisen  Terminis  an  den  Magistrat  geschrieben  zu  haben,  und 
ihn  sogar  mit  einer  Suspension  ab  ofücio  bedrohe.  £r  bitte  um  eine 
eclatautü  satisfaction." 

Zwar  suchte  sich  der  Magistrat  mit  allerhand  Redensarten  zu  recht- 
fertigen, aber  die  köuigl.  Kegieruiig  stellte  sich  aul'  die  Seite  des  UeiTU 

Siehe  Julibeft  1806  dieser  Zettschrift  a  157.  —  Das  Schraibaii  dee  Königs, 
Fotsdam  d.  12.  Febr.  1772  lautet:  „Mein  lieber  Generallieutenant  p.  Bey  denen  Mir 
in  eurem  Bericht«  vom  10.  d.  von  dem  alten  Clostergebilude,  \Yelche8  das  hiesige 
Waysenhaass  bei  Strausberg  besitxet,  angezeigten  Umständen  bin  Ich  wohlzufrieden, 
das  SQlebes  dar  dortigon  Bargersdiafl  vor  700  Thlr.  flberhneii  werde  und  kOimt  ihr 
derselben  demnach  dieses  GebKode  vor  sottianem  Gebot  nur  soschbigen  nnd  abatsabett 
lassen.  Ich  bin  euer  woliIafTectionirter  König.  —  Friederich."  —  *)  Nach  einer  hand- 
Hcbriftlichen  Notiz  in  deui  Magistrats-Excinplar  der  Fischbacbscben  Geschichte  Strans* 
berga  von  1783.  -  ">  1772-70,  -  *)  17W-180Ö. 


^  ij .  .-Lo  Google 


Die  Sbmtwbeiter  Stedtscbtilei. 


88 


Inspectors  Hanses  und  verfSgto  unterm  8.  Juli  1773:  »Durch  eure  mit 
vielen  unbeBcheidenen  und  snr  Saehe  nicht  gehörigen  Einetrenungen  an- 
gefüllte Yorstellung  vom  25.  Juni  er.  habt  ihr  ein  ordnungswiedriges 
Verfahren  darnm  nicht  ahsukehren  vermocht,  dass  der  Inspector  zur 
Wahl  des  Rektors  nicht  ziigraogen  worden,  welches  euch  hiermit  ernstlich 
yerwiesen  wird*  Es  soll  zwar  mit  der  Ansetzung  des  Rectors  sein  Be- 
wenden haben,  aber  der  Conrector  darf  nicht  angestellt  werden,  da  er 
eich  im  Examen  nicht  schicklich  genug  bewiesen  hat.*'  Dem  Inspector 
Hanses  scheint  indessen  hauptsächlich  daran  gelegen  zu 
haben,  dass  derCourector  Crüger  nicht  dasKektorat  erhalte, 
weil  er  ihn  dazu  nicht  tauglich  hielt;  seiner  persönlichen  Ein- 
wirkung ist  es  daher  wohl  zuzuschreiben,  wenn  die  Kgl.  Regierung  am 
21.  Okt.  177;5  unter  stillschweigender  Annullierung  der  letzten  Verfügung 
den  Mai^istrat  auffordert,  ^zu  dem  schon  über  Jahr  und  Tag  erledigten 
Rectorat  uiif>:esäumt  ein  gescliicktes  Subjekt  zu  praeseutiren,  damit  die 
Schule,  weiclier  der  Conrector  nicht  vorzustehen  vermag, 
nicht  gantz  in  Verfall  gerathe."  In  seiner  Erwiderung  berief  sich 
der  Magistrat  -.inf  die  V>ereit.s  genehmigte  Wahl  des  Conrectors  zum  Rector; 
„es  vacire  nur  das  Courecturat.  Übrigens  sei  ihre  Schule  gar  nicht 
in  Verfall,  das  könne  nur  aus  animosite  falsdi  geschildert 
sein."  Einen  Monat  später  liielt  der  Caudidat  Fincke  „in  der  Stadt 
Closter  Scinil«'"  seine  Pi obelection. 

Es  muss  aber  doch  etwas  Wahres  an  der  Darstellung  des 
Inspectors  Hanses  gewesen  sein.  Zunäch.st  steht  nämlich  fest,  dass 
durch  die  Übei*siedlung  der  Schule  iu  das  alte  Klostergebäude  nicht  nur 
kein  Vorteil  erzielt,  sondern  im  Gegenteil  eine  durchaus  schädlich 
wirkende  Änderuni^  des  Scliulplanes  nötig  ge wo i'den  war.  Sei 
e^,  dass  mau  den  au^n  iiblicklichen  Zustand  doch  mir  als  einen  jirovi- 
sorischen  ansah,  oder  dass  die  Mittel  nicht  gelangt  hatten,  genug,  es 
war  nur  ein  einziger  grösserer  Schulraum  hergestellt  worden, 
iu  welchem  beide  Lehrer  ihre  beiden  Klassen  unterrichten 
mussten.^)  Wie  sie  das  angestellt  haben,  ohne  die  Schüler  in  ihren 
Fortschritten  wesentlich  zu  hemmen,  ist  kaum  su  erdenken. 

Femer  ist  verdächtig,  dass  im  Jahre  1779  plotilich  eine  soge- 
nannte ^Winkelschule^  in  Strausberg  auftaucht,  fiber  deren  Kon- 
kurrens allerdings  nur  der  „Klister  Oabriel  Prawitz,  Schulhalter  der 
^dcheuschule"  sich  beim  Ifogistrat  beklagt:  »Es  hat  ein  Oandidat 
Johann  Friedlieb  Rücken  eine  Schule  angelegt,  wo  er  aus  meiner  Schule 
etliche  und  30  Kinder  an  sich  gezogen,  dadurch  mir  wöchentlich  ein 
Gulden  Nachiheü  zugefügt  wird,  so  dass  ich  selbst  manchen  Sonnabend 
nicht  mehr  als  8—10  Groschen  Schulgeld  habe  und  dabei  die  Woche 


*)  Mach  Fiachbecb. 

6* 


84 


B.  Seiffert: 


ül)er  die  Stühe  aul"  mciiK»  Kosten  Ikmzoti  iiiuss.  Wenn  mir  «Iciin  dio 
Mädclionschule  in  iiumiumi  Matricidti  verseil  rieben,  ich  anch  meinen  Dienst 
an  dir  ;]7  Jahr  «h'rj^cstalt  verwaltet,  dass  man  mit  mir  zufrieden  ge- 
we.sen,  und  die  gautze  Zeit  über  ^licinals  eine  Klipscliuie  Nvedci-  ('riaul)t, 
noch  erelialten  worden;  So  moihir  docli  (hifüi-  gesorgt  werden,  dass  dem 
p.  liücktMi  das  Schuh'h'.iltcii  uiit*'rsagt  wcivh»  .  . 

T)er  (hdnii  hiuti  iidc  lies»  hluss  des  Magistrats  wurde  dem  Herrn  mit 
dem  Hinzufügen  bekannt  gegeben,  „dnss  es  ihm  übrigens  unbenommen 
Ideibe,  sowold  für  sich  als  durch  seine  Frau  Eheliebste  ^)  Privat  Infor- 
mationes  ausser  den  öflFentliclien  S(  )iulstun(h>n  untl  in  sob  hen  Dingen  zu 
unterricliten.  web-lie  in  (dVentlichen  Scliuh^i  nicht  niderrichtet  würden." 
Statt  sicli  jedocii  bei  dieser  Weisung  zu  beruhigen,  ging  liücken  vielnu'br 
mit  einer  Beschwerde  direkt  an  den  König,  in  welcher  er  vorgab,  d;1ss 
„er  bei  der  Invasion  der  russischen  Kriegsvölker  grösstentheils  um  sein 
Vermögen  gekommen  und  daher  gezwungen  sei,  schlecht  und  recht  seinen 
Unterhalt  durch  Unterricht  zu  erwerl)en.  Mehrere  befreundete  Fanülien 
hätten  ihm  ihre  Kinder  anvertraut".  Numnehr  aber  Hess  der  Magistrat 
die,  wie  es  sclieint,  auf  die  Frau  genommene  Rücksicht  fallen  und  stellte 
in  seinem  Bericht  fest,  „dass  Kücken  ehedem  als  Postschreiber,  Actuarius 
\md  öconomieschreiber  auf  einigen  Ämtern  gedient  habe,  wobei  er  sein 
Brot  besser  hätte  erwerben  können,  wenn  er  nicht  so  nachlässig  und 
sorglos  gegen  sich  nnd  seine  Familie  gehandelt  hätte.  Seine  Schule  sei 
in  der  That  eine  Winketechnle  . .  nnd  demgomäss  vdrd  wohl  anch  die 
obrigkeitliche  Entscheidung  gefallen  sein. 

Endlich  bedenke  man,  wie  schwer  die  Unterrichtserfolge  bei  «leni 
durchaus  uu regelmässigen  Schulbesuch  der  Kinder  zu  leiden  haben  nnisste. 
Einmal  die  ganz  unberechenbaren  Leichenbegängnisse,  dann  die  regel- 
mässigen Unterbrechungen  an  den  Jahnnarktstageu  und  während  der 
Recordationen,^  die  selbst  den  Eltern  zn  wiederholten  Klagen  Veran- 
lassung gaben,  sowie  die  Gepllugenheit  der  Arbeiterbevölkerang,  ihre 
Kinder  meist  nor  dann  sam  Unterricht  zu  schicken,  wenn  sie  deren  Hülfe 
bei  Feldarbeiten  oder  sonst  im  Gewerbebetrieb  nicht  unumgänglich  nötig 
hatten  —  nach  einer  Frequenzliste  von  1787  besuchten  zvrar  zur  Wintor- 


')  Eine  Tochter  dea  1753  verstorbenen  Inspectora  Fubricius.  — 
*)  Im  Jahre  1778  entstand  ein  „Reeordationastreit"  swiachen  dem  Reotor  Ortiger 
und  dem  Conrector  Moritz.  Eraterer  hatte  ea  durcbgesetct,  daas  beide  Lohrer  beun 
Recordiren  abwechseln  sollten,  „damit  die  (lO  "0  Kinder,  welche  nicht  Bingen  können, 
derweil  von  dem  andern  unterrichti-t  würden";  luitürücli  dürfe  jeder  dann  daa  dabei 
cinkouimeude  Geld  behalten.  Bei  diesem  Verfahren  aber  meinte  der  Conrector  schlecht 
wegankommen  tmd  veriangte,  daas  ale  naeh  alter  Obaenrana  die  4  Becordatlonen  ge* 
mdDachaftfich  machten.  Der  Magiatrat  muaate  nch  ina  Mittel  legen  und  Teiglieh  beide - 
dahin,  daas  die  Altemation  im  Interesse  dea  T7nterrichta  bleiben,  der  Inhalt  der 
Sammdhachsc  aber  bei  jedem  einselnen  Umgang  geteilt  werden  aolUe.  — 


Die  Slratubeiger  Stadtscliule. 


86 


zeit  130  Kinder  die  Schule,  im  Sommer  aber  nur  ßO— 70(!)^)  —  allo 
diese  Missstäiide  niussten  ja  lähmend  auf  die  Lelirtliiitigkcit  und  AmU- 
treudigkeit  der  Lidirer  wirken,  man  konnte  sich  der  Notwendigkeit  einer 
diirchg:reitenden  Abänderuiic:  derselben  nicht  länger  verschliessen,  um  so 
weniger,  als  auch  seitens  der  Kcgiernng  auf  die  „Erweiterung  und  Ver- 
besserung des  gesainmten  Schul-  und  Erzielmngswesens  durch  P^insetzung 
eines  besonderen,  vom  Könige  unmittelbar  abhängigen Oher-SchulcolLegiums 
Bedacht  t^cnonnucn  wurde.-) 

Ein  günstiger  Zulall  kam  einer  derartigen  Altsicht  zunächst  äusser- 
lich  um!  sclieinbar  zu  Hülfe.  Die  Regierung  beabsichtigte  den  Bau  eines 
Landai  inen-  und  Korrektion^liauses  zur  Aufnahme  von  Vagabunden  und 
Bettlern  und  wollte  dazu  da-  K l<i--teiojiindstiick  erwerben,  welches  seiner 
Lage  wegen  besonders  geeiunet  erschien;  sie  erbot  sich,  der  Stadt 
ein  ueui'.s  Sch  ulgel)äude  hinzustellen,  wenn  sie  das  Klo.^ter 
wieder  an  den  Eiscus  abtreten  wolle.  )  hieser  Vorschlag  fand 
Beifall,  —  und  am  28.  August  ITSS  konnte  das  n  »mi  c  Sch  u ly:el»ä  ude, 
ilas  auf  dem  Grund  UTid  Boden  der  längst  veriaUenen  und  verschwun- 
denen Niculaikirche  errichtet  war,  au  Magistrat  und  Bürgerschaft 
übergeben  werden. 

Gleichzeitig  aber  machte  sich  Inspector  Hauses,  welcher,  wie  wir 
vorhin  gesellen  lialten,  von  dem  Minderwert  der  bisherigen  Schulleistungen 
durchdninuren  war,  mit  loltejiswertem  lüfer  an  die  Aufgabe,  den  Stun- 
denplan umzugestalten  und  die  Erfolge  des  Unterrichts  durch  Eiji- 
führujig  neuerer  Lehrbücher  zu  sichern.  Er  trat  zu  diesem  Zweck 
mit  dem  Magistrat  in  nähere  Unterhandlung  und  fand  namentlich  bei 
dem  einsichtigen  Stadtdirektor  Perlitz  nicht  nur  das  rechte  Verständnis 
für  seine  Pläne,  sondern  auch  werkthätige  Unterstützung. 

Noch  im  September  1788  wurden  auf  städtische  Kosten^)  fol- 
gende Bücher  angeschafft  und  verteilt: 

A.  Der  Rektor  Crüger  erhielt  zn  seinem  Gebranch 

1.  Dietrichs  Unterweisung  zur  Glückseeligkeit  nach  der  Lehre  Jesu 
(Berlin  1782), 


i        ■)  Dmol  besieht  sich  folgeiider  Eiian  vom  28.  Janoar  1788:  «yersehiedene 

'VVIlthe  auf  dem  Lande  nehmen  arme  Kinder  ohne  höhn  und  bloss  gegen  das  Ver- 
sprechen, p«'Il)i|.'e  zur  Schule  und  zum  Unterriclit  des  Predigers  anzuhalten,  bey  sicli  in 
Verjitiejiung  und  Dienst,  stellen  aber  die  Verbindlich  (!)  zum  Schul-  und  Religions- 
unterricht hiernächst  gaos  in  Vergessenheit,  branchen  die  Kinder  bloss  cn  ihrer  Ar> 
beit  und  laaseo  sie  ohne  aUe  Unterwelanng.  Da  dieser  Hiflabranch  so  viel  als  inOglicb 
abbestellet  werden  soll,  so  habt  ihr  darauf  sa  Beben  nnd  zu  \'igiliren,  dass  dergleichen 
amie  Kinder,  wenn  sif  da«  miite  Jahr  erreicht  haben,  einige  Tage  in  der  Woche 
wenigstens  im  Herbst.  \S  inter  und  Frühjahr  zur  .Schule  und  im  zehnten  Jahre  zum 
Prediger  geschafft  werden  .  .  .**  —  *)  Circulare  vom  ö.  November  1787.  —  ">  Vgl. 
JoUbeft  1898  dieser  Zeitsdxrift,  8.  168.  *)  Vom  .Buchbinder  H.  F.  Herfnrth,  Beriin, 
Nene  Fiiediicbstraase,  für  87  Tbl.  0  gr.  — 


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86 


R  Beiflert:  * 


2.  Heynatz,  deut'^clio  Sprachlehre  und  liehre  von  der  Interpuiirtion, 

3.  Desselben  Uaodbucb  zu  rlcbtiger  Verfertigaiig  schriftlicher 
Aufsätze, 

4.  Bü.schiugs  Naturgeschichte  mit  Kupfertafeln  und 

5.  Rafifs  Geo{*^raphit': 

ferner  für  dir  Schüler  der  oberen  Klasse: 

H.  Zwölf  Exemplare  des  Auszugs  ans  Dietrichs  Unterweisung  etc^, 

7.  Sechs  Exemplare  der  BiMischen  Geschichte  von  Feddersen^), 

8.  Acht  Exemplare  von  Kochows  Kiiiderfrennd '), 

1>.  Acht  Exemi)lare  von  Hiischings  Naturf»;e.schichte  (ohne  Tafeln), 
]{).  Acht  Exemplare  von  ScUrOckhs  Lehrbuch  der  allgemeinen  Welt- 
geschichte (Berlin  1784).») 

B.  Der  Konrektor  Moritz  erhielt 

I.  Weissens  iVBC  Buch  lllumiuiret, 

2.  Basedows  Neues  Werkzeu}^  zum  Lesenlehreii, 

3.  Treumanns  Erklärung  der  fünf  llaupt^tücke, 
sowie  für  die  Schüler  der  unteren  Kliisse 

4.  Zehn  Exemplare  des  Weissschen  AlUJ  Buchs,  nicht  illuminiret. 
Die  Zahl   der  Lehrstundeu  und    ihre  Verteilung   auf  die 

»  inzelnen  L  nterrichtsgegeustäude  wurde  (24.  November  17SS)  fol- 
gendermassen  festgesetzt. 

I.  Lectiones  für  die  erste  Klasse. 
Montag:       8 — *.)    wird  die  Sonntagspredigt  wi<'derholet  und  von 

y — 10  aus  einem  moralischen  liii  liM-lieri  Buch  ein  Capitel 
gelesen, auch  eine  biblische! ie.schiclite durchgenommen. 
10— n  Privatstunde, 
l — 3    Rechnen  und  Schreiben. 
3 — 4  Privatstunde. 
Dienstag:     8 — 9   Natni^eschichte.  ^ 
9 — 10  Geographie.  ^) 

10—11  Privatstimde. 
1—3  Schreiben  und  Rechnen. 
3—4  Piivatstimde. 
Mittwoch:  8 — ^9  Religion. 

9—10  Historie  des  Vaterlandes,  nehmlich  der  DentBchen 
und  des  Brandenboigischen  Hauses.^) 
  10—11  Privatstimde.  Nachmittags  frei, 

')  Diese  Lehrbttcher  wurden  aneb  auf  dem  BaMdomehen  PhUaathropintun  in 
Deaean  gebraucht,  vgl.  Banmer  Gescli.  d.  Pädagogik  3.  flL  408;  dea^  erwthiit  aie  das 

Programm  des  Gymna.'iinmB  in  Glflckstadt,  Ostern  1«92  No.  277,  S.  :]  n.  f?.  —  ')  Auch 
für  die  MiUlrlicnschule  schaffte  man  10  Exemplare  dieses  Abcbuches  an,  desgleichen 
Oberwies  man  dem  Küster  Prawitz  zu  seinem  Gebrauch  je  ein  Exemplar  der  unter 
A  6-0  und  B  1<^8  an^teffthrten  Bflcher.  —  *)  Die  Nmehifnhrttng  dieaer  dfei  üntw* 
ilchtafiUdier  entapcach  dem  Hecketsehen  Sehidj^an. 


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Die  fitnniabeiger  SUdtschnlB. 


87 


Donnerstag:  8—9 

Tieson  aus  einem  biblischen  Buch  und  eine  biblische 

Geschichte. 

9-10 

doiitscho  Gramm.itik. 

10—11  Privatßtunde. 

1—2 

Anweisnng  ziim  Bnefschreiben,  ingleichen  bchmbeu 

nach  Vorschriften. 

2—3 

Rechnen. 

3 — 4  Privatstunde. 

Freitag: 

8—9 

Naturgi'schichte. 

9—10 

Güogi'ajtliio. 

10—11  Frivatstiinde. 

1—3 

Schreiben  und  Rechnen. 

3 — 4  Privatstunde. 

Sonnabend : 

8—9 

»nsunterricht. 

9--1U 

Geographie. 

10 — 11  Privatstunde.    Naclnnittags  frei. 

NB.  Tu  den  Privatstunden  wenUMi  di«^  Lectionen  der  öfTentiichen 
Stunden  luich  Budürfniss  di'v  Kinder  wie(h'rholt,  denen,  die  lateinisch 
lernen  wuUen,  die  Anfangsgründe  dieser  Spraclie  beygebracht. 


n.  Lectiones  fißr  die  zweite  Klasse. 
Montag:       8 — 9    ABC,  Buchstuliircu,  Lesen. 

9 — 10  ein  Stück  aus  dem  kleinen  Catecbisnio. 

lÜ — 1 1  l'rivatstunde. 
1 — 3    Mit  den  Kleinen  dassollio  wie  früh  8 — 9,  mit  den 
Grös.sereu    kauu  der  Autaug  zum  Schreiben  und 
Rechnen  gemacht  werden. 
3 — 4  Privatstande. 
Dienstag,  Donnerstag  und  Freitag  ebenso. 
Mittwoch:    8—9  ABC,  Bnchstabiren,  Lesen. 

9 — 10  eine  leichte,  practische  biblische  Geschichte,  lachte 
Sprüche  zum  Auswendiglernen,  nachdem  ihnen  der 
wahre  Verstand  vorher  begreiflich  gemacht 
10—11  Privatstnnde. 
Sonnabend  ebenso.  — 

Alle  fibrigen  Bestimmungen  Aber  die  äussere  und  innere  Schul- 
ordnung wurden  endlich  nach  langen  Beratangen  im  December  1789 
folgendermassen  niedergeschrieben: 

»Da  die  hiesige  Stadt  ein  neues  Schnlgeb&ude  dadurch  erhalten  hat, 
dass  auf  die  Stelle  der  ehemaligen  alten  Elosterschule,  worin  nur 
ein  grosser  Schulsaal  zum  Unterricht  sämmtlicher  Schfller  befindlich 
gewesen,  ein  Armenversoigongshaus  erbauet  worden,  und  S.  Kgl.  lifajest&t 
dagegen  auf  den  ehemaligen  Eapellenplatz  das  neue  Schulhans  mit 


8b 


B.  äeiffert: 


ZWO  Schiilstulien  haben  erbauen  lassen,  mithin  da  nunmehro  in 
beiden  8eliulstul>en  zu<^lei{:li  Untcrriclir  ^(  j^ebeu  wird,  auch  in 
Ansehung;  der  Schulstunden  eine  ganz  andre  Einrichtung  ge- 
troffen werden  muss;  überdem  aber  auch  nach  Verhältniss  der 
jetsigen  Zeitumstände  eine  neue  Lehrmethode  einsofüren 
h^kshstnötbig  gewesen,  zn  deren  Erleichterung  bereits  auf  öffentliche 
Kosten  eine  Anzahl  neuer  zweckmässiger  Scholbttcher  angeschaft 
worden;  so  ist  in  Rdcksicbt  dieser  veränderten  Umstände  fol- 
gendes Schulreglement  abgefasst  und  eingeffirt  worden: 

§  J.  Schnlanfang  im  Sommer  wie  im  Winter  pi'äzise  um  VsSUhr, 
dergestalt,  dass  an  den  drei  ersten  Wochentagen  der  Herr  Rector  in 
seiner  Klasse  von  '^8 — 8  Uhr  mit  sämmtlichen  Schulkindern  von  beiden 
Klassen  ans  dem  nenen  Gesangbuch  ^)  ein  Morgenlied  oder  ein  paar  Verse 
aus  demselben  singet  und  hernach  den  Morgensegen  lesen  lässt.  Ebenso 
der  Herr  Ck>nrector  in  den  drai  letzten  Wochentagen.  —  Des  Nach- 
mittags liegt  dem  Herrn  Conrector  als  Cantor  ob,  von  'sl  bis  1  Uhr 
die  grösseren  Schüler,  zu  welchen  auch  die  sämmtlichen  Schuler  aus  der 
Klasse  des  Herrn  Rectors  gehören,  im  Singen  zu  üben. 

§  2.  Die  öffentlichen  Schulstunden  sind  in  jeder  Schnlklasse 
des  Vormittags  von  8  bis  lü  Uhr  und  des  Nachmittags  von  1  bis  3  Uhr 
zu  halten.  Ausser  diesen  öffeutlichen  Sc  hulstunden  hält  jeder  Lehrer  in 
seiner  Klasse  mit  seinen  Schülern  seine  Privatstnnden  und  zwar  des 
Vormitta^rs  von  10  bis  II,  des  Nachmittags  von     bis  4  l  Iir. 

§  8.  Zur  ersten  Klasse  f^elM'ii-cn  alle  diejenigen  Kinder  ohne 
Unterschied,  welche  erst  noch  das  AJJC,  das  Buclistabiren  und  das  l.esen 
erlernen  müssen,  auch  erst  einen  Anfang  im  Schreiben  und  Hecbuen 
roadien,  alle  übrigen  aber.ge!i<".rrn  zur  zweiten  Klasse. 

§  4.  Für  die  Lectionen  gilt  der  Katalogn  s  vom  24.  November  1788, 
wobei  die  angesehaflten  Schulbücher  zum  Grunde  zu  legen  sind, 

§  5.  Der  ScIjIuss  einer  Lection  wurde  bisher  durch  einen  Schüler 
angezeigt,  der  ausser  der  Klasse  auf  die  'riiurniulir  acht  geben  inusste. 
Da  dies  für  den  Scliuler  niclit  vortlieilliaft  war  ui)d  zu  Ix'griindeton  Be- 
schwerden der  Kitern  Anlasß  gegeben  hat,  soll  für  jede  Klasse  eine  Sand- 
uhr ange.scIiafVt  wenlen. 

§  i).  Wer  bloss  die  <">  f  IC  n  1 1  i  c  lien  Schulstunden  besucht,  zahlt 
wöchentlich  b  .j;  dei' Oi-duung  wegen  soll  das  Scli n  1  geld  viertoljiilirlirh 
mit  <■>  gr  abgelTdirt  werden,  welches  beide  Lehrer  unter  sich  tln  ilen. 
Dieselben  müssen  daiiiber  einen  Cataluguni  füren  und  persönlich  ab- 
rechnen, uiul  um  Stieitigkeiten  zu  vernieideu,  sich  nicht  das  Geld  durch 
Schulkiniier  zuschic  ken. 

Das  Schulgeld  für  die  Privatstunden  beträgt  gkichfalls  Ü  gr, 
wird  aber  nicht  gel  heilt. 

Das  iiu  Jahre  1780  erscbieueuc  verbesserte  Berliner  Gesangbuch.  — 


^  ij ,  ...o  Ly  Google 


Die  8tmu8beiiger  Stadtschnle. 


89 


ScIiiiltT  aus  anderen  Orten  he/ahlen  12  gr,  damit  wird  eS 
ebenso  gehalten  wie  mit  dem  for  die  öffentlichen  Standen  (d.  b.  also,  es 

wird  getlieilt). 

§  7.  Bisher  waren  zu  viel  Ferien.    Festgesetzt  wird; 

1.  An  den  5  .1  ahrin ärk ten  darf  nur  in  den  beiden  «grossen,  die 
auf  Pfingsten  und  Michaelis  fallen,  die  Schule  den  Jahrmarktstag  selbst 
nnd  den  darauf  folgenden  Dienstag  ausgesetzt  werden,  in  den  ä  übrigen 
kleinen  aber  nur  den  Jahrmarktstag  allein. 

2.  In  den  II u  ii dstageii  werden  f)  Wochen  lang  2  Naclimittage 
(ausser  Mittwocli  und  Sonnabend)  frcv  gegeben. 

H.  In  den  Fes  t  w  oc  Ii  cn .  die  auf  Ostern  un<l  Pfingsten  einfallen, 
werden  nur  bis  zum  Mittwoch  l'\'rit'n  erlaubt,  «b'u  noniii  r<tntr  muss 
schon  wieder  Schule  gehalten  werden.  So  ists  auch  mit  der  Wi  ilmachtS- 
wüi'lie  zu  halten,  wenn  Wrihnachren  im  Anfangt'  dei-  Woche  fallt. 

4.  W('i;('n  der  Fasten  predigten  und  -^o  n^o  u  a  u  n  t  e  n  Salve 
Stunden,')  wie  auch  der  Fasten-Examen,-)  wobt  v  die  Scbülei-  in  der 
Kirche  gegenwärtig  sein  müssen,  ingleichen  bey  den  öffentlichen 
Leichen,')  wird  darum  die  Schule  niciit  läuger  ausgesetzt,  als  solange 
solche  dauern. 

')  Perlitc:  ^In  der  Fasten  und  z^ur  in  der  Woche  oculi,  laetare  und  judica 

wcnlen  Freitags  <lio  äo^.  Snlvt'slunden  von  dem  Diaconns  <:elialton.  wozu  (los  Nacli- 
mittass  um  '.i  Uhr  mit  der  kleiru'ii  Klin  -klucke  eingeläutet  wird.  In  denselben  wird 
ein  Lied  gesangen,  von  dem  (ieistiiclien  eine  Stelle  aus  einem  Passionsbucbe  vor  dem 
Altar  abgietesen  and  darauf  wieder  ein  Vera  geaungen.  Nachher  aingt  der  Prodiger 
den  Segen  ab^  und  ein  «weiter  Vers  beacblieBSt  daa  Salve.* 

*)  Perlitz:  „Des  Montaga  und  Donnerstags  von  12  —  1  Uhr  hält  der  Diacomis  in 
den  Fasten  die  0  Kxnmiiin,  wnzu  mit  di  r  kU  im  n  Klingklocke  gelllutet  wird.  Dabei 
werden  die  Kinder  vor  dem  Altar  aus  dem  Chriäteuthum  examinirt.  Vorher  und  nacldier 
wird  gesangen." 

*)  Feriits:  „Die  Leichenbegängnisse  geschehen  hier  auf  folgende  Weise.  Es 
werden  die  Leichen  in  ^ifTentliche  und  stille  eingethi  ilt  (  Ulentliche  werden  diejenigen 
genannt,  wo  die  Boi'rilii:nnL'  mit  dem  nchtute  und  mit  der  Schule  entweder  zusammen, 
oder  auch  mit  dem  Geläute  allein  ge.si  lii.  lit.  Krstere  kann  mau  fn<,'Ii<>)i  in  trnuze  und 
luiibe  Leichen  unterscheiden,  liei  der  ganzen  werden  vor  den»  Trauerhause  ;j  Lieder 
gesangen  und  2  OoUecten  abgelesen,  bei  den  halben  Iiingegcn  singt  die  Schule  bloss 
ein  lied.  Diese  Öffentlichen  Sdinlleichen  geschehen  gemeinhin  des  Nachmittags  um 
1  Uhr;  vorher  werden  in  der  Stund»'  von  11—1.*  Uhr  drei  Pulse  gelilutet.  nu  1  um  1  Uhr 
wird  mit  der  kleinen  KliuL'klocke  ein  Zeichen  gegeben,  dass  sich  die  Sclmlr  nun  ein- 
finden solle.  Solche  begiebt  sich  auch  nun  mit  den  Sclmllehrern  in  Pn  ,  >  m  mi  nach 
dem  Leichenhause,  wo  nun,  wenn  es  eine  grosse  Leiche  ist,  3  Lieder  gt  suagun  und 
«wischen  dem  1.  und  2.  vom  Superintendenten,  swischen  dem  2.  und  3.  vom  Diaconus 
Kollekten  und  Bibelverse  abgelesen  werden.  Die  Lieiler  wilhlt  derCantor;  wenn  aber 
die  T,<  i'ltragenden  Holche  selbst  MiiliU  n,  müf^si  i;  sie  für  jedes  1?  t-T  an  die  Schullehrer 
bezahlen.  Nach  vollendetem  liiede  gehl  di«'  l.ei^llenl)roce.'^.'^iun  vor  siidi,  vurauf  die 
Schule  mit  den  Schullehrcrn  und  dem  Küster,  daim  die  beiden  Geii^tlichun,  hierauf 
folgt  die  Leiche  und  dann  die  Leidtragenden  mit  dem  Gefolge  miUmlichen  und  wdb- 
lichen  Geschlechts.  Dieser  Zug  geht  vom  Trauerhause  aum  Beerdtgungsplats  unter 


90 


B.  Seiltert. 


5.  In  den  Wochen,  da  recordirt  wird,  mtssen  am  Mittwoch 
die  Recordationen  geendigei  seyn*  Der  Donnerstag  ''■u^  Erfaolong 
zugestanden,  den  Freitag  aher  mnss  wieder  Schule  gehalten  werden. 

§  8.  Vor  allen  Dingen  müssen  die  Lehrer  ihren  nntergehenen 
Schülern  mit  guten  Boyspielen  vorgehen,  daher  sie  anch  alle  Gelegen- 
heiten znr  Uneinigkeit  unter  sich  seihst  niügUchst  za  vermeyden,  yiel- 
mehr  sich  friedlich  nnd  verträglich  gegen  einander  zu  he- 
tragen,  nnd  für  das  algemeine  Beste  der  Jngend  mit  gemein- 
schaftlichen Kräften  zn  arbeiten  haben. 

§  9.  Nicht  nur  die  Kenntnisse  sollen  dnrch  Erleninng  nüts- 
Ucher  Wissenschaften  erweitert,  sondern  anch  die  Sitten  derselben 
▼erbessert  werden.  Und  so  wie  die  Lehrer  selbst  in  ordentlicher 
nnd  anständiger  Kleidung  in  den  Schulstunden  erscheinen  müssen, 
80  haben  sie  auch  darauf  zu  sehen,  dass  die  Schüler  sich  reinlich  und 
ordentiicfa  halten. 

Ebenso  müssen  anch  die  Schnlstuben  reinlich  gehalten  nnd 
nur  zum  Jugendunterricht  gebraucht  werden. 

{  10.  Bey  Bestrafung  der  Schüler  müssen  sich  die  Lehrer  aller 
nnziemenden  Heftigkeit  und  Hitze  enthalten,  vielmehr  alle  väterliche 
Mässignng  gebranchen ;  wogegen  sie  aber  auch  auf  der  andern  Seite  nicht 
in  Ycrzärtelung  vei-fallen,  und  die  Unarten  oder  gar  Bosheiten  der  Schüler 
gänzlich  ungestraft  hingehen  lassen  müssen. 

dem  Odaate  aUer  Gloeken  aad  dem  Gesug  der  Sdnde,  wo  daon  bei  nnd  nach  «in* 
gesenkter  Leiche  noch  ein  pMur  Tiedenrerse  geanngen  werden.  In  Bolchen  I<(dchen- 

begnngnissen,  die  zwar  mit  dem  Geläute,  aber  nicht  ndt  IWlglnltnng  der  Schule  ge- 
schehen, hesteht  ein  besonderer  Vorrnp,  (]»>n  «.'oiiu'inhin  nnr  die  gemessen,  die  Ober 
dem  ordinilren  Börgerstand  erhol lon  sein  wollen.  Dat*  Sonderbarste  Ixierbey  ist,  dass 
bey  solchen  Ehrenleichen  nicht  mit  uliuu,  sondern  nur  mit  der  grossen  Glocke  geläutet 
wird  nnd  ansaer  den  gewCbnlichen  Leichengebtlhren  für  daa  Gelante  noch  beaondeie 
6  Tbl  cor  Kirche  und  1  Tld  an  die  Pnlaanten  bezahlt  werden  mosB.  Solche  Leichen* 
beerdigungen  pescliehen  Nachmittag:»  um  3  Uhr,  man  hat  aber  pchon  angefangen,  pie 
auch  des  Morgens  zu  verrichten.  Es  findet  dabei  weiter  keine  Feiorlichkeit  statt,  als 
dass  das  Leichengeiolge,  welches  sieb  im  Trauerhause  versammelt  und  vom  Küster  der 
Bangordnong  nadi  aufgefordert  wird,  die  Leiche  nnter  dem  Gelante  der  groaaen  CHodce 
hia  snr  Koheatltte  geleitet  nnd,  nadidem  die  Beerd^iang  geadidien,  in  Froeeaaion  Bich 
wieder  nach  dem  Sterbehaus  begiebt,  wo  aolches  mit  einer  Tasse  CafFee  oder  wohl 
gar,  wenn  es  recht  köstlieli  i«>t,  mit  Wein  und  Kuchen  regaUrt  wird.  —  Die  tjanT; 
stillen  Leichen  geschehen  ebenso,  wie  die  öffentlichen  Schulleichen,  bey  den  gewöhn- 
lichen Bürgersleuten,  jedoch  um  3  oder  4  Uhr  Nachmittags.  Daas  solches  kein  Zeichen 
der  Armoth  aejTi  widerlegt  aich  gleich  darana,  weil  jeder  noch  alle  Gebtthren  wie  bei 
den  öffentlidien  Liehen  beaaUen  mnas;  vielmehr  soll  diese  Verfabnmgsart  wohl  achon 
einen  feineren  Ton  verrathen.  —  Das  Tragen  der  Leichen  geschieht  von  den  Ge- 
werkern, von  welchen  auch  die  schwarzen  Leichentücher  hergegeben  werden,  welche 
von  Tuch  oder  Plüsch,  auch  gemeiniün  mit  dem  Gewerkswappen  prächtig  gestickt 
aind.  Je  nadi^ra  die  Ldche  bedentend  iat,  wird  die  Anaahl  d«r  Träger  gentmimen, 
bei  groaaen  Leidien  12  bla  16,  deren  jeder  4,  8,  anch  wohl  12  gr  erhalt  FQr  daa 
Leichentuch  wird  1  ThL  beaaldi  Daa  Leichenbitten  heaoigt  der  Kflater.  — 


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Die  Stnmtbeigar  Stadtschule.  91 

§  11.  Seine  Erkrankung  rauss  der  Lehrer  dem  Inspector 
anzeigen,  zu  Reisen  jedoch  beim  Director  und  Inspector  um  Urlaub 
anhalten,  damit  die  nöthigen  Vorkehriuigen  f&r  die  Schule  getroffen 
werden  können. 

§  12.  Auf  Ostern  und  Michaelis  findet  Examen  und  Ver- 
setzung statt.  — 

Es  ist  nicht  zu  1('U<;non,  dass  durch  diese  Bestimmungen  ein  be- 
deutsamer Schritt  vorwärts  gethim  wurde;  ganz  insbesondere  zeugt  die 
Einbeziehung  der  Realien  in  den  Unterrichtsplan  dafür,  dass 
man  cutschieden  gesonnen  war,  die  Stadtschul»>  nicht  in  dem  be- 
sclieidenen  Umfang  zu  belassen,  wie  ihn  das  General -Land- 
schul-Reglement  bezeichnet,  son<leru  vielmehr,  den  Anforder- 
ungen der  Zeit  eiil  s[)i  *'chend,  auf  ein  Niveau  zu  bringen» 
welches  zwar  von  dem  einer  Gelehrtenschule  ebensoweit  ent- 
fernt war,  wie  von  dem  der  Dorfschule,  wohl  aber  recht 
eigentlicli  den  Bedürfnissen  eines  aufstrebenden  Bürgerturas 
angepasst  sein  sollte.  Man  kam  nun  auch  jetzt  nicht  recht  vor- 
wärts; ob  aus  Mangel  an  Mitteln  allein  oder  auch,  weil  es  den  Lehrern 
an  der  erforderlichen  Energie  zur  Durchführung  der  Neueningen  fehlte, 
mag  dalüngestellt  bleiben:  vielleicht  wirkten  beide  Umstände  zugleich 
darauf. 

Zehn  Jahre  später  entspricht  allerdings  noch  im  ganzen  und  gi'ossen 
das  Bild,  welches  der  Magistrat  von  der  Schule  eutw  irft,  dem  Reglement 
von  1789.  „Da  Unsere  landesväterliche  Absicht  dahin  gehet,  eine  Ver- 
besserung der  stadtischen,  vornehmlich  der  eigentlichen  Bürger- 
schulen m  bewirken,  so  ist  zuvörderst  eine  genaue  Kenntniss  des 
gegenwärtigen  Znstandes  aller  Stadtscbnlen  notfawendig,  nnd  ob- 
wohl bereits  im  Jahre  1787  Tabellen  über  den  äusseren  nnd  inneren 
Znstand  der  Schnlen  eingereichet  worden,  so  kann  doch  vorausgesetzt 
werden,  dass  seit  dieser  Zeit  sich  manches  geändert  hat'';  mit 
diesem  Anschreiben  vom  15.  November  1798  wurden  dem  Magistrat 
Fragebogen  übersandt,  welche  Perlitz  persdnlich  folgendermassen  aus- 
fUlte: 

L  Tabelle  über  den  äusseren  Zustand  der  Schule. 

1.  ^^agistrat  ist  Patron  der  Schule. 

2.  Der  Inspector  führt  die  Aufsicht,  sonst  keiner')  im  speciellen. 

3.  Gegenwärtig  wirken  an  der  Schule:  a.  der  Rector  Gottfr.  Ephraim 
Crüger,  67  Jahr  alt,  3TJahr  im  Amt,  hatzullalle  studii't,  b.derConrectorJoh. 
Daniel  Moritz,  44  Jahr  alt,  20  Jahr  im  Amt»  hat  za  Franckfurtb  studiret 

*)  Die  durch  den  VisiUtionsabschied  von  1574  anbefolilene  Aufsicht  hatten  sich 
also  die  Hitgliedev  der  atidtisohen  Verwattnng  und  Bfligenchaft  Im  Laufe  der  Zeit 
abgelMlrt.  — 


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] 


92 


B.  Seilfert: 


4.  FixirtPr^  Gehalt  bezieht 

a.  der  Rector 

ausderEirchenkasse  14Thl.l5gr 
„   „  Stadtkasse     40  «   —  „ 
„  Cainnioreykasseo  «  5 


■9 

n 


„  Accisekasso     7  „    10  „ 


„  Ziesekasse 

zusammen   70Thl.  8gr 


b.  der  Conrector 
5Thl.  10gr[em8chl.  Freibett  u.  Wäsche] 
40  „  —  „  [statt  der  Freitische] 
11  „  -8  „  [Gehaltl 

7  ^  16  „  )  [wegen  ilirer  Befrei- 
1       ''1    ~     /  ung  V.  Staatsstenem] 


2^tWacbsstr. 


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66  Tbl.  (  gl  7  ..j 

6.  ZafüUigo  Eiiiküiitte  hat  (uacb  sechsjäbiigem  Durchscbuitt  bü- 
rüchuet) 

a.  der  Rector  b.  der  Conrector 

von  lii'iclien  mimI  TraiU'ii  .  .  .  lOThl. —  (i  Thl.  —  gr 

17  KlalU-r  üivuiiliolz ')  ....  18  — 

freie  Wolinung   20    „  — 

Schul-  und  Privat-vld   40    „  — 

Kecordatiunsgeld   '22  — 

8  U.  Wachsstricke   2    „  — 

als  Prediger  auf  dem  Land- 
armen- und  Invali(h>nhau8c  40  „  —  „  Motettengeld 
für  Aufgebote  n.Danksaguugen  2  „  —  „  [das  alte  Sal- 
als  Organist  in  der  Stadtkirche  12  „  —  „  veroginengeld?] 

zusaiiiuien  lIXiThl.  —  gr  105 '1hl.  Ki  gr -j 

6.  Jed«'r  Lehrer  hat  2  Stiihen,  l  Kannner,  1  Küche  und  Keller. 

7.  Der  l\('(  tor  ist  zugleich  Prediger  im  Landarmen-  und  fiiNaliden- 
liause  und  auch  Orgauibt  bey  dur  iStadtkircbe.    Der  Ci>m'ectür  ist  auch 

Cant«'i-. 

8.  Die  Scliiile  hat  2  Klas-;en. 

[).  Die  Sehlde  hat  2  Seliiilzimnu'r. 

10.  ( iegeii\v;ii  tiu  ;  1  )rcriiil>ei'  17'.IS]  sind  80  Schiller,  43  in  der  nhciv?^ 
87  in  der  unteren  Kiubse;  nach  üjährigeui  DurcliächiLitt  i)Ü — lÜU;  keiuu 
ausw  intiiren. 

11.  JOin  IJejierK  ium  (Frcitiscli,  Wohnung,  Stipendium  u.  s.  w.)  für 
Schüler  nicht  vorhanden. 


*)  Im  Depntatholz  Etat  1775  — 7G  ßteht:  Schule  und  Schulcullegen  10  Klafter 
Eicheti'  and  20  Klafter  Kienen-Brennholx.'*  —  *)  Vergessen  ist  bierbei,  d«M,  ,,weim 
gaiue  Mast  vorhanden  war,  beide  Lehrer  ebenso,  wie  jeder  bewohnte  Btliger,  nach 
01>-(Tvanz  uikI  iiueh  dem  .\pi>robati<>iisrrf-criiit  vom  10.  Anglist  17(!1  ein  ganzes  Scliwein 
frey  und  uneiitjrrldlich  l)*'kanien,  ausser  dem  HOterlohn,  so  wnehenwei.Sf  nocordiret 
wire".  iischbutb,  bist.  Beitrage  11  S.  436.  —  Ausserdem  erwübni  ijtenibeck  (S.  184 
und  187),  dass,  als  1772  die  Kaveln  erb-  and  eigentfimllch  den  BQigentdlen  ngelegt 
wurden,  aucb  Rector  und  Conrector  je  eine  solche  in  awei  Feldem  eiiiielten,  dieselb««» 
jedoch  in  Erbpacht  aasthaten. 


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Straasbeigar  Stadtschale.  93 

12.  Nicht  vorliniideii  Bii>liotiiok,  Natursliensammlung,  lusti'umente 
oder  Lehrmittel,  auch  kein  Fond  dazu. 

1.3.  Eine  Verbeeserang  der  Einkünfte  für  Schule  und  Leluer  vor- 
jetzt  nicht  zu  erwarten. 

II.  Tabelle  fiber  den  inneren  Znstand  der  Stadtschule. 

1.  Es  föngt  der  Unterricht  mit  dem  abc  an  und  geht  weiter  bis 
zum  Bnchstabiron  und  Lesen,  auch  werden  die  Schüler  im  Christenthum, 
Schreiben,  Rechnen,  Geographie  und  Historie  unterrichtet,  wie  auch  in 
der  Naturgeschichte. 

2.  Geschichte  und  Erdbeschreibung  wird  in  den  Privatstnnden  gelelirt. 

3.  Jeder  Lehrer  hat  20  ö£fentliche  und  10  Privatstnnden  wöchentlich 

zu  gebcD. 

4.  Sclmlbücher  (cf.  Verzeichnis  von  1788). 

5.  Kenntnisse  werden  bei  neu  aufzunehmenden  ächulcrn  nicht  vor- 

ausges«'tzt. 

6.  Die  Schüler  worden  naeli  den  F;ilii<;k('ite?i  versetzt. 

7.  Zur  Univeisität  worden  keine  Schüler  vorbereitet. 

8.  Alle  Jahre  i<t  Prüfung. 

D.  Fleissi«?en  Kindern  werden  bei  den  PrüfuDgen  zuweilen  einis:e 
kleine  Ergöty.Iiclikeiten  gegeben;  für  die  Ungehorsamen  wird  Stock  und 
Küthe  gebrauchet. 

A  n  ii  a  n  <?. 

Au-scr  der  Stadtschule  ist  nocli  eine  Nebensc  Ii  ul e,  worin  der 
K lister  Unterricht  iür  die  Mädchen  gioi^t    Gehalt  und  Emolumeute  des- 


selben sin<l: 

Aus  der  KiicliiMikasse   lÖ  Xhl.  —  H:r  —  ^ 

„      a    Aceisekasse   3    „  li<l  —  „ 

„      „    Ziesckasse   2    „  14„1U„ 

Freie  Wolinunu   lU    „  —   ^  —  „ 

(>  Klafter  Breunholz   6„  —  ^  —  ^ 

Schulgeld   50    „  —   ^  —  ^ 

Aecidenzien  •   .'17    „  1 1  —  » 

I  «  Wachsstoek,  '  ,      Wachslieht   —    „  21    „  —  ^ 

Cievatterbriefe   24    „  —  „  —  _ 

Stadtuhr  stellen   4    „  Hi«  —  „ 

Lautebrod  uml  -geld ')  von  der  iJürgei  seiiat't  .  14    „  12  „  —  „ 


  zusuuimen   1?0  Xlü.  22  gr  lU  ^ 

Nach  der  Matrikel  von  1721:  -Vor  das  Wettcr-Lautiii  Morgen  i  n  h  4  Uhr 
wie  auch  vor  das  Bett  fJIuck  schla^^en  des  MorKens,  Mittags  und  Ahends  In  kMimul  <t 
von  den  Ackeraleuten  jabrlicli  gegen  Keminiscere  ein  Bro«l  i  deren  0  7  auf  t  im  n 
Scheffel  geheni,  von  denen  Bürgern  aber,  die  nicht  acker  haben,  1  Gr.  *  .Sterubeck 
8.  193.  —  1772  erhielt  aach  der  Kflster  „wegen  Halteos  der  Mfldchenschale"  eine 
LandkaveL     Ebend.  8.  192. 


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94 


Bw  Soiffsrt: 


Die  an  das  Oberschulcollegiam  eingeroichten  Tabelien  scheinen  m 
eingehenderen  Bcratangen  Qbcr  die  „vom  Könige  selbst"  anger^te  Ver- 
besserung der  niederen  Schulen  geführt  und  Anregung  zu  genauerer  Be- 
Htiiniiiunp:  „einiger  darauf  Einfluss  habender  Punkte"  gegeben  zu  haben, 
so  insbesondere  „wef^en  Vertlioiluiig  des  Schulgeldes  unter  alle 
Glied (M-  der  Geraeine"  (21.  Oktober  1799).  Tlicizu  äusserte  sich  der 
Magistrat  (IVrlit/.):  „W  ir  halte  II  dafür,  duss  es  ausserordentliche 
Schwierigkeiten  machen  würde,  es  dahin  zu  bringen,  dass 
dieses  Schulgc  Id  von  sämmtlichen  Einwohnern  aufgebracht 
und  den  Lehrern  als  ein  Gehalt  gereichet  wird,  da  sich  vorzüglich  die- 
jenigen dagegen  sträuben  würden,  die  keine  Kinder  zur  Schule  zu 
schicken  haben.  Ebenso  würde  es  auch  viel  Mühwaltuug  und  Ab- 
rechnung verursachen,  wenn  diese  Beyträge  von  sämmtliclien  Einwohnern 
eingezop^en  und  immer  verliältnissmässig  vertheiiet  werden  sollten.  Diese 
Schwierigkeiten  werden  so  wie  liici-,  also  auch  im  allgeraeinen  eintreten, 
und  wenngleich  diese  Veranstaltung  auf  der  einen  Seite  sehr  gut  sein 
nmchte,  so  tritt  doch  auf  der  andern  Seite  das  Bedenken  ein,  ob  bei 
dieser  Einrichtung  der  Fleiss  und  die  Betriebsamkeit  der 
Lehrer  besonders  bey  den  Schülern  der  gemeinen  Volksclassen, 
wo  der  Unterricht  doch  nur  mechanisch  und  der  Fleiss  der 
Lehrer  nur  durch  lucrativische  Speculation  (!)  gespornt  wird, 
nicht  sehr  geschwäcliet  werden  mochte,  wenn  das  Schulgeld  in 
lixes  Salarinm  verwandelt  w'ird." 

Ebenso  ablehnend  verhielt  sich  der  Magistrat  gegen  eine  durch 
Verfügung  der  Königlichen  Regierung  vom  12.  Mai  1SII4  empfohlene  Ver- 
besserung der  Gehälter:  „Wenn  die  Vermögens-Umstunde  der  Cäinmerey 
die  Bewilligung  von  Gehaltszulagen  gestatten,  und  Ihi-  aucii  SdU  he  für 
städtische  Officianteu  anzutragen  euch  veranlasst  fin<let,  soll  die  Stadt 
bei  solchen  Anträgen  auch  auf  die  Verbesserung  der  unverhält- 
nissniässig  geringen  Besoldung  der  Gei.stiichen  und  ^chul- 
bedieuten  Rücksicht  nehmen."^)  — 


Allen  Bestrebungen  und  Absichten  der  für  das  Wohl  der  Schule 
wirkenden  Persöidichkeiten  wurde  l)ald  darauf  ein  schnelles  I'^nde  be- 
reitet durch  die  unseligen  Kriegsereignisse  18(M)/7.  Strausberg,  un- 
weit der  grossen,  nach  den  östliclien  Provinzen  führenden  Heerstrasse 
gelegen,  hatte  wiederum  .seinen  bedeutenden  Anteil  an  Durchmärschen, 
Einquartieiuugeu  und  allen  andern  schweren  Lasten,  welche  der  rück- 

')  Im  September  1802  hatte  das  Obcrconsistorium  aus  den  Überschüssen  der 
StftdtokMse  26  Tbl  „SchidTWbcMerongseelder'*  cesehickt)  wovon  dem  Beetor  lA,  dem 
Konraktor  10  TbL  aberwieaen  woideii.  — 


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Stranaborger  Stadtschnle. 


95 


sicbtslose  Franzosenkaiser  dem  tief  gedeinüti^cn  TiUnde  auferlegte/)  zu 
tragen.  Für  die  Schule  traten  selbstverständlich  damit  liiiuli^e  Störnugeu 
ein,  namentlicli  aber  wurde  der  Unterricht  sehr  empfindlich  beeinträchtigt, 
nachdem  der  Schnlraum  zur  ebenen  Erde  in  ein  französisches 
Lazaret  liatte  umgewandelt  werden  müssen,  welches  bis  zum 
Juli  1808  darin  verblieb.  Die  Klasse  des  Konrektors  Moritz  wurde  von 
diesem  in  seiner  eigenen  Wohnung  unterrichtet.  Welcher  Behandlung 
mitunter  die  älteren  Schulmädchen  seitens  der  einquaiüerten  Soldaten 
ausgesetzt  waren,  scliildert  ein  Brief  (1807)  des  Konrektors  an  den 
Bürgermeister  Fubel:  „Was  ich  befürchtet,  kommt  noch  ärger,  als  ich 
geglaubt.  Es  versammeln  sich  bei  dem  liei  mir  einquartierten  Sohlat 
viele  andre,  die  so  roh  sind,  dass  sie  den  Kindern,  die  bei  meiner  Frau 
nähen  und  stricken  lernen  und  schon  14  und  15  Jahre  alt  sind,  in  meiner 
Gegenwart  [in  unerhörter  Schanilosij^keit  naclistellen].  Auch  der  Knaben- 
stube verschonen  sie  nicht;  gestern  sind  ilirer  s'h  Iis  in  derselben  gewesen, 
wodurch  die  Kleinen  alle  heraus  und  mit  einem  Geplärr  auf  der  Strasse 
herumgerannt.  Wie  kann  man  das  wolil  (  ine  Christenschule  nennen,  wo 
Unzucht  die  Freiheit  haben  süll?"^)  —  Das  Urteil  des  Suj>erintendenten 
Küster  aus  Berlin,  „die  Stadtschule  sei  äusserst  gesunken,  man 
müsse  durchaus  auf  Mittel  sinnen,  wie  ihr  endlich  wieder  aufzuhelfen 
sei",  ist  zwar  hart,  aber  jedenfalls  begründet  und  zutreffend  gewesen, 
besonders  wenn  man  bedenkt,  dass  der  leitende  Rektor  ein  alter  Mann 
von  77  Jahren  war.  Noch  in  deinselbeii  Jahre  (Juli  18U7)  fand  gelegen tlic  h 
der  Einführung  des  neuen  Diaconus  Job.  Gotttr.  Kriegel  eine  gemeinsame 
Beratung  mit  dem  Magistrate  statt,  wobei  unter  Küsters  Vorsitz  und  auf 
Grond  seiner  guten  Yorschläge  die  Gesichtspunkte  erörtert  wm'den,  nach 
welchen  bei  der  «Schulreform*  zu  verfahren  sei.  Die  weitere  Aus- 
arbeitung des  Beformplsnes  flbemahm  der  gleichzeitig  berufene  Inspector 
und  Superintendent  Krüger.  '■')   Der  Magistrat  hatte  allerdings  mancherlei 


*)  Nahflvca  in  des  Veifttaeis  „8traub«is  in  dw  VttauMtaM  «ad  den  FraflMitt- 
kritgan"«.  —  Hne  „Des^pution  tob  den  begiUndeten  Anfordcnningaa  der  PriY«t* 

Personen,  Commonen  und  Institute  an  das  französische  Gouveniecient''  vom  26.  Mai  1811 
giebt  die  Gesamtforderung  der  Stadt  Strausberg  auf  43619  ThI.  10      11     an,  „wovon 

nur  884  gezahlte  Tafelgelder  und  Cantonnementsvergtttung  abgezogen  werden  konnten. 

')  Auf  dem  Kückmarach  aas  Ostpreusseu  kantounierte  das  5.  bairische  Inf.-Iitv 
ghnttat  vom  16.  Oktober  bis  6.  November  1S07  in  der  Stadt  —  Am  4.  Februar  1808 
eifizig  der  Befehl  der  Kriegs*  und  Domftnenkammer,  „dass  maa  die  Schallehrer  fortan 
bei  EinqnartieniDgen  möglichst  in  soolagiren  habe.  — 

')  Wir  Feldprediger  eines  nach  dem  Tilsiter  Frieden  aufgelAsten  Regiments  gc 
wesen.  —  Tber  die  Versorgung  dieser  plötzlich  aus  dem  Auit  entlnsseneii  Feldprediger 
bestimiiiti-  eine  Kgl.  Cabinets  Ordre  vom  Ifi.  December  lbU7  [aus  dem  ^Cii<  nlnie  vom. 
14.  Januar  IbUb  au  sämmtUcbe  Laudrathe  und  Magistrate  in  der  Kurmark  uud  in  dem 
diflisatts  der  Elbe  bdegenen  Antheil  von  Megdeborg"]:  „1.  dass  nur  adcbe^  welche 
bereits  7«  8  mid  mehre  Jahre  dienen,  als  Frediger  vomigsweise  versorgt,  ausserdem 


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96 


B.  Seiffert: 


BodiMikfii  geltend  zu  luaclii'u,  die  zu  ülicrvvindLMi  Schwifrigkoitc»  be- 
i'oitoto,  «leim  von  Melirlastcn  \\(»Ilt('  uuui  Ihm  den  traurif;en  Zeit\ erlialt- 
ni<s('ii  nichts  wissen.  \Va<  snllr«'  mit  dt-in  alten  Rektor  •j^escliehen ? 
W  lirdc  ein  j^M'nicinscIiaftlirlH  s  l  Mtcn  iclitm  von  Knaben  und  Mädclieii, 
wie  man  es  br:il>^irlititit(',  nit  lit  Sitte  nml  Znebt  getiilirdcn?  Würde  der 
Küstt'i*  mit  t'iiii>r  dci-ai'tim'ii  Xi  iii »i dnunjjf  auch  zufrieden  sein?  Das 
waren  die  IIa  u  p  1 1  Va  'j:*'U  —-  und  sie  w  urd  e  n  t^^fl  ö  .s  t ,  uo<-li  „  mit  t  en 
unter  dem  Tiommeiwi  riiei  und  J'rom  |»e  te  eseli  niel  t  er  fran- 
zösischer Ei  n (|  u  a  rti  erun  T>ie  t<rris>te  Scliwierigkeit  wurde  da- 
durch bc-citi<j;t,  dass  Krieffel')  unter  \  er/iclitb'istunj?  auf  ^Tractauu-nt, 
Ein« ihnneiite  uiul  Accidcnticn  ",  die  dem  Emei'itus  verldeilien  sollten,  das 
Ivcktorat  mit  dem  Uiaeonat  zu  verbiiitlen  sicii  bereit  erklärte  uud 
nur  da>  Sehul<;ehi  beanspruchte. 

8(t  enlstand  denn  der  trrosse  Ori^anisationsplaii,  der  darauf 
dem  Ol)erconsistorium  untcrlu  eitet  uud  vüii  demselben  unter  dem  15» Sep- 
tember 180b  best^itigt  wurde.-) 

1  Ali.^chiütt. 

Begriff  der  Schule  nebnt  dem  dabey  aiizastelleiidou  Personale. 

s  1. 

Die  Stadtschule  m  StnuiBberg  ist  eine  Bfirger-Schnle:  dieser  Be- 
griff hestiiumt  sogleich  die  Lehrgegenstände,  die  id  der  Anstalt 
stattfinden  und  ganz  ausgeschlossen  bleiben  müSBen. 

Lesen,  Schreiben,  lie(  hnen,  Relitiionsunterricht  bis  zur  wirkliehen 
Conlirmation  der  ( 'ateclnimenen,  und  soviel  (I eo  «jraphi  e,  Geschiclite, 
insbesondere  Naturgeschichte,  als  auch  der  aufgeklärte 
Bürger  bedarf,  sind  die  Haupi gegenstände  des  Unterrichts. 


aber  auch  abwechselnd  geschickte  und  verdiente  Scbulluhrer  zu  Predigerstellen  be- 
fördert  werden  sollen;  dagegen  aber  2.  jangwe  Feldprediger  vorerst  auch  als  Schul- 
lehrcr  angestellt  werden  können,  nm  aich  dadurch  einer  weiteren  BefOrdarnng  werth 
au  machen  

')  Er  edm  ilit  an  lU'ii  Ma^:i>trnt:  ..Ich  liolTc  ih  v  Scluilr  mit  Nutzen  vorzustehen, 
da  dic'si'lho  «Iuris  u'invjss  t  ine  l'iiirichtuni.'  erhalten  \vir«i,  wodurrli  das  jetzige  Stfiniper- 
werk  derselben  uiithorcn  und  ein  vernünltiges  Ganzes  werden  kann".  Perlitj!,  hierüber 
etwas  Tcrschnuidt,  ersuoht  den  Superintendenten:  „Er  möge  doch  dem  jungen  Mann, 
dem  Herrn  Kriegel,  die  jedem  Menschen,  besonders  den  Geistlichen,  so  heilsame  Be> 
ßclieidi'iduMt  aneniiifehli  n,  damit  er  neiiie  Aufl>lilhungen  iiiassii.'e"' ;  dieser  aber  ont- 
KchnMi'^'t  -l  itifr:  jüiiKfren  AnitMhnidt'r  damit,  .  dass  er  fich  in  Ihili*'  urwrthnt  habe,  die 
vertscliieilenrn  <  »bjecte  unter  einen  allgfuieim'n  « icsiclitsiHuikt  zu  l^riugeu,  uiu  die  Über* 
sieht  des  Ganzen  zu  erleichtern."    (Jb  Perlitz  nun  überzeugt  war?  — 

^  Jedoch  mit  der  Bedingung,  ^datis  auch  diu  Grammatik  der  Muttersprache  uud 
Kopfrechnen  unter  die  Lehtgegenfltiinde  mit  anfgenomnien  werden  mOsae.**  (gea. 
V.  Scheve).  — 


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Die  8trfta«berg«r  Stadtscbnle. 


97 


Ainiit'rkuiig:  Kann  für  die  Knaben,  die  von  hier  zu  gelclirtfii 
Selnilen  ülKTzui^clicn  bostimiiit  siiul,  einiger  U nt e rri rli t  im  Latein 
lind  tVir  diese  sowohl,  als  auch  für  die  T<»chtci-  der  Honoratioren 
einiL-^iT  Uiiti  rriclit  im  Französischen  ertheilet  werden,  so  ist  es 
zweck  niassiig,  eigentlicli  aber  gehört  es  nicht  iu  den  Augrif  einer  Bürger- 
Schule. 

§  2. 

Die  ü:anze  Anstalt  \vii*d  in  Klassen  uhp^ctheilet.  Eine  jede  der- 
selben li;if  ihren  ei«^enen  lielner,  dem  die  sj^eeielle  Aufsi<'ht  über  diesellie 
anvertraut  ist.  ^)  Keiner  ist  abei*  in  Anseliunj^  de,»  L'nteri-i  i  h  ts 
in  >eine  Klasse  allein  {gebunden,  sondern  ein  jeder  lelirt  in  allen 
'.i  Ivlassen  in  den  ^Vissens<•lla^ten,  denen  er  besonders  gewachsen  ist,-) 
so  wie  es  der  jedesmalige  Lectionsjdan  ei'fordert.  Klasse  T  st^dit  unter 
Anfsiclit  des  Ilectors,  II  des  Cimrectors,  III  des  Kiisters.  Der  Küster 
war  Idsher  Mädchenlehrer ;  diese  Scinile  wird  mit  d  e  r  S  tad  tsch  u  le 
Ncrbunden,  so  dass  alle  Kinder  iu  der  öft'entlichen  Schule  unterrichtet 
werden  müssen. 

§ 

Da  Uector  C'iiiger  ifi  den  Ituhestand  gesetzt  zu  werden  verdient, 
>o  tritt  der  zeitige  Diacunus  Ki'iegel  in  seine  Stelle  iui<l  das  liechtrat 
bleibt  mit  d<'m  Diaconat  lür  die  Folge  auf  immer  verbujiden. 

ir  Abscimitt. 

Besondere  Rechte  uud  Pflichten  des  bei  der  Schule  aogestellteo 

Fers(mals, 

§  1. 

Alle  3  Lehrer  haben  gleiche  Amtspflichten 

1.  in  Absiebt  auf  die  ihnen  zugetheilte  Klasse  und  die  ihnen  nach 
dem  Lectionsplan  obliegenden  Lehrstand en.  Erstere  müssen  sie  als 
eine  ihrer  besonderen  Aufsicht  anvertraute  Abtlieilung  des  ganzen  Insti* 
tnts  ansehen,  weshalb  sie  dem  Rector  und  Ephorus^)  der  Schule  ver- 
antwortlich bleiben.  Letztere  müssen  sie  nach  dem  Lectionsplan  halten 
und  dazu  in  einer  anständigen  Kleidung  und  zu  rechter  Zeit  da  sein, 
damit  die  Kinder  nie  ohne  Aufsicht  bleilien,  auch  nicht  eher  schliessen, 
als  es  durch  die  Schulordnung  bestimmt  ist. 

2.  gegen  einander  selbst  Da  nicht  ein  jeder  Lehrer  bloss  in 
seiner  Klasse  unterrichtet,  wie  es  bisher  geschehen  ist,  sondern  der 
Unterricht  in  allen  3  Klassen  unter  alle  Lehrer  gleichmässig  vertheilt 
ist)  80  haben  die  ä  Lehrer  noch  einen  Grund  mehr,  sich  der  genausten 

>)  Ordinaritis    -i  AI-m  dvi  Antaug  dcb  l'achlülireruyateiiil. 
*)  Der  Superiuteudeut  als  Localscbuliuspector. 

A. 


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96 


B.  Seiffert: 


Harmouie  zu  iK'tU'i.ssigen,  w«'il  einer  dem  aiidfrn  in  die  Hiinde  arluMten 
inuss,  \velcli«^s  ohne  eine  vollk<>inuieDe  cuUe^ialische  Kiiitracht  nie  mit 
einem  glückliclieo  Erfolge  gesciiehen  kann. 

Glaubt  einer  oder  der  andre  ge;£fen  einen  seiner  (JoUegeu  gereclite 
Beschwerden  zu  haben,  so  ninss  in  der  Seliule  vor  den  Kindern  nie 
davon  die  Rede  s-ein,  .sondern  sie  haben  sich  »'Jitweder  an  den  Ret  tor 
oder  IUI  d'  ii  Ephorus  der  Scliule  zu  wenden,  der  die  Sache  untersuchen 
und  aiü  uupartheiisch  bescheiden  wird. 

>^  3. 

Alle  Ptliehten  der  übriueii  I^ehrer  sind  aueh  Pflichten  des 
Rectors,  do(  h  hat  dieser  noch  gewisse  ihm  eigeuthümlicbe 
Hechte  und  Pflichten.    Diese  siud: 

1.  Er  ist  für  das  (.ranze  verantwortlich')  uinl  daher  l»efiiiif. 
über  die  Arlteiten  der  l>eiden  andern  Ijehrer  eine  j^ewisse  Aufsicht  zu 
füiiren,  mit  ihnen  die  dieserhall)  nothige  Rücksprache  zu  ueLlinen  und 
nöthigeufalls  dem  lOpliorus  davon  Anzeige  zu  machen. 

2.  Er  allein  hat  das  Recht  und  die  Pflicht,  die  neu  aufzu- 
nehmenden Kinder  in  das  Schul-Protocoll  einzutragen  und 
die  abdrehenden  zu  lösclieu,  Beiiles  geschieht  ex  (dTicio.  Die 
Eltern  b;t!M'n  also  keine  Befugniss,  ihre  Kin<ler  willkürlich 
diesem  oder  jenem  liehrer  in  Unterricht  zn  geben,  sondern 
müssen  sich  ledii;lich  an  den  Rector  wenden,  der  die  i^inder  prüft  und 
ihnen  ihre  Stelle  in  der  Schule  anweist. 

l).  lOr  allein  entwirft  den  Lectionsplan  für  ein  jedes  Semester 
und  legt  ihn  dem  Ephorus  zur  Prüfnno:  und  Genelnniguni;  vor.  Nur 
dringende  Gründe  kininen  eine  Abänderung  nothweudig  machen,  die 
gleichfalls  bestäti|jft  werden  muss. 

4.  Im  Falle  einer  Kranklu  it  oder  einer  andern  dringen»!  ii  Abhaltung 
eines  Lehrers  ordnet  er  das  luterimisticum,  dirigirt  das  öffent- 
liche Examen,  führt  die  neuen  Lelirer  ein,  empfängt  und  tbeilt 
das  Schulgeld  nach  den  darüber  bestehenden  Priucipieu. 

§  4. 

Die  beiden  bisherigen  Lehrer  haben  alh'  Jahr  4 null  einen  Um- 
gang mit  den  Schulkindern  gehalten,  der  unter  dem  Namen  der  Re- 
co rdation  bekannt  ist.  Da  der  Diaconus  als  Rector  der  Schule  zu- 
folge seines  Predigtamtes  diesem  Umgang  nicht  beywohnen  kann,  so  wird 
der  Conrector  Moritz  verpflichtet,  die  Recordation,  so  lange  der  Rector 
emeritus  Crüger  I-'bt,  allein  zu  verrichten  und  ihm  die  ihm  zukommende 
üäifte  der  Einuaiuue  davon  abzugeben.    Nach  dem  Tode  des  Kectors 


')  £iae  bisher  nie  geforderte  Veipflichtiuig.  — > 


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jOie  Stnuasberger  Stadteohuke. 


99 


Crüger  bekoinint  der  dritte  Lehrer  diese  Hälfte  der  Recordationsgelder, 
ist  aber  ancli  verlnmdeii,  bei  dem  jedesinaligeii  Umgaii({  mit  gegenwärtig 
2u  seia  oder  mit  dem  Conrector  darin  zu  altemiren. 

Bisher  ist  tler  llector  zugleich  OrgftQiüt,  und  der  Conrector  Caiitor 
gewesen.  Beide  Stelh'ii  können  füglich  in  einer  Person  vereinigt  werden. 
Da  aber  der  zeitige  Conrector  die  Orgel  nicht  spielen  kann  und  der 
Rector  seines  Alters  wegen  auch  dazu  nnfahiir  geworden  ist,  so  li;it  letz- 
terer den  Cantor  des  liandannenliaiises  zu  seiiu  iii  Substituten  aiii;enomnieu 
und  ihm  die  ausgesetzte  Organisten-Besoldung  bewilligt.  Bei  diesei-  [>ro- 
visorisehen  Einrichtung  soll  <'s  vorlaulig  sein  Beweiulen  haben.  Die  Be- 
soi'gung  des  Orgelspielens  bleibt  so  lange  eine  Pflicht  des  jiibiliiten 
Kectors,  bis  einst  nach  seniem  Tode  iu  dieser  Ab.sicht  eine  andere  Ein- 
richtung getroffen  werden  kann. 

IH  Ab.schnitt. 

Die  Vertbeiluug  der  Kinder  in  ihre  versdiiedetien  Klassen. 

§  1. 

Die  ganxe  Schule  ist  also  in  3  Klassen  abgetheOt  und  für  eine  jede 
ein  eigner  Lehrer  and  ein  eignes  Lehrzimmer  bestimmt 

Der  grosse  Lehrsaal  im  zweiten  Stockwerk  des  Schnlhaases  bleibt 
ffir  die  zweite  Klasse,  weil  diese  in  der  B^gel  die  zahlreichste  zu  sein 
pflegt  Der  zweite  grosse  Lehrsaal^}  im  nntem  Stockwerke,  der  bisher 
für  die  erste  Klasse  allein  bestimmt  war,  wird,  da  er  schwer  zu  erheizen 
ist,  vermittelst  einer  zu  ziehenden  Scheidewand  in  zwei  Zimmer  abge- 
theilt;  das  vordere  nach  der  Strasse  ist  für  die  ei'ste,  das  hintere  nach 
dem  Hofe  für  die  dritte  Klasse  bestimmt. 

§2. 

Knaben  und  Mädchen  bekommen,  wie  es  in  zahlreichen  Barger- 
schulen, die  ein  beschränktes  Local  und  ein  nur  geringes  Personal  haben, 
nicht  anders  gut  möglich  ist,  in  allen  3  Klassen  einen  gemein- 
schaftlichen Unterricht.  Jedes  Geschlecht  sitzet  indessen  auf  ab- 
gesonderten Bänken,  so  dass  bei  der  beständigen  Gegenwart  des  Lehrera 
keine  von  den  Unordnungen  zu  besorgen  ist,  um  deren  willen  man  gegen 
das  Beisammensein  beider  Geschlechter  in  den  Lehrstunden  so  manches 
einzuwenden  hat.  Und  da  hinter  dem  Schulhause  zwei  von  einander 
abgesonderte  Hofräume  vorhanden  sind,  so  wird  jedem  Geschlecht  sein 
eigener  Hofranm  zu  seinen  Naturbedürfnissen  angewiesen  und  auf  die 
Beobachtung  dieser  Ordnung  streng  gehalten. 


>)  Der,  ^ie  erwähnt,  in  ein  fnuuOsische«  Lasaret  wibrand  des  Kiiegea  otoge- 
WMuielt  worden  war. 

7* 


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100 


B.  Seifiert: 


Kein  Kind  i<\  iii>(  ri|iti<>iistahii>-,  welches  iiiclit  volle  Ii  .lalir  alt  ist. 

In  die  III.  Klas>t'  gi  li  it  ii  Knaben  und  Madciien,  die  in  dei-  ßncii- 
stabeu-Kenntni.ss  uiitenvieseii  werdt-n  und  auf  der  Schiefertafel  zu  sclireiben 
aufangfin. 

In  der  II.  Klasse  werden  sie  dann  so  lange  fortgeübt,  bis  sie  iu 
beideni  eine  ziemliche  Fertigkeit  erlangt  haben.  Hier  wurd  auch  der 
arithmetische  Unterricht  ertheilt  und  so  weit  fortgesetzt,  bin  ihre  totale 
Qualification  zur  ersten  Klasse  entschieden  ist. 

Das  12.  Jahr  wird  als  annus  normalis  für  die  erste  Klasse  an- 
genommen. 

§4. 

Da  die  Erfahrung  gelehrt  hat,  dass  diejenigen  Schulkinder,  die 
zum  catechetischen  Unterrichte  angenommen  werden,  der  mehrentheils 
im  Hause  des  Predigers  ertheilt  wird,  von  dieser  Zeit  an  den  öffent- 
lichen Schulunterricht  zu  vernachlässigen  angefangen  haben,  so  wird  fest- 
gesetzt, dass  die  Prediger  ihren  catechetischen  Unterricht  iu 
Zukunft  ebenfalls  im  Schulhanse  ertheilen  sollen,  theils  um 
hierdurch  dieser  Unordnung  vonsubeugen,  theils  aber  auch  um  den 
catechetischen  Unterricht  an  den  Religionsunterricht  in  der  Schule  an- 
zuknüpfen, ak  welche  mit  einander  zusammenhängen  und  ein  Ganzes 
ausmachen  müssen.  Auch  muss  es  auf  das  Gefühl  der  Kinder  für  die 
Schule  einen  günstigen  Eindruck  mac  hen,  wenn  auch  der  Prediger  seinen 
Unterricht  an  demselben  Orte  ertheilt,  an  dem  sie  in  den  sogenannten 
weltlichen  Dingen  unterwiesen  werden.  Zu  dem  Ende  bleiben  beim 
Schlüsse  des  Vormittags  -  Unterrichts  diejenifceii  Schulkinder,  welche 
Gatechumenen  sind,  in  der  Schule  zurück  und  einer  von  den  beiden 
unteren  Lehrern  ist  verl)unden,  so  lange  zu  bleiben,  bis  der  Prediger 
kommt. 

Die  Versetzung  der  Kinder  erfolgt  allemal  nach  dem 
öffentlichen  Schulexn  nieii.  Der  Kector  vollzieht  sie,  nachdem  er 
dem  Ephorus  ein  Verzeichniss  der  zu  versetzenden  KiTidci-  zur  Bestäti- 
gung vurgelef»!  bat.  Bei  der  Auswahl  derselben  dar!  durchaus  nicht 
auf  die  Wünsche  der  Eltern  Ivü(^ksicbt  gfuninitien  werden, 
sondern  der  Hectitr  verfügt  darin  na»  h  --  iner  Selbsibeurthcilnng,  auf 
die  hier  um  so  eher  gebaut  werden  kann,  da  er  selbst  in  allen  Klassen 
unterrichtet  und  daher  mit  der  Q,ualiticatiou  eines  jedes  Individui  genau 
bekannt  sein  kann. 

IV.  Abschnitt.  Schulgeld. 

Dasselbe  fliesst,  um  Liioi(lmnii<  zu  vcniirulen,  von  allen  Kindciii 
(einschliesslich  des  Privatgeldes  vierteljahrlich  i'2  gr.)  in  eine  gemeiu- 


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Die  Strausberger  Stadtschule. 


101 


sc  h  aft  1  i  cIh^  Schiilkasse,  doron  Bestand  nntor  alle  drei  T^flircr  /.»i 
glt'K  In  n  ratis  vt'i  t heilt  wcrdi'ii  soll.  Hie  Kinder  der  III.  Klasse  zalilen 
nar  die  Uiilfte,  da  bei  ilmeii  die  Privatstunde  wegfällt. 

Der  Kectür  sainnu-lt  an  jcdeni  JSonn.! i n  tul  (his  Sclndt^eld  ein.  Die 
Naunni  der  restirenden  Eltern  werden  am  Ende  jedes  Vieteljalns  in 
einem  Verzeiehniss  an  den  Magistrat  eingereichet  nnd  die  Schuldigen 
durch  obrigkeitliche  Zwangsmittel  zu  ihrer  Pflicht  augehalten. 

Anmerkung:  Anch  das  Einheitzegeld,  welches  jedes  Kind  mit  1  gr 
bezahlt,  wird  an  den  Rektor  abgeliefert 

§8. 

Nach  Ablauf  eines  jeden  Monats')  legt  der  Rector  den  beiden 
andern  Lehrern  die  Recbunng  des  eingegangenen  Schulgeldes  vor  nnd 
vertheilt  es  gegen  Quittung. 

§4. 

Für  die  Kinder  unvermögender  Eltern  soll  entweder  ein  Fonds 
der  Cämmerey  als  Hilfsquelle  ermittelt  werden,  oder  vom  Ober-Gon- 
sistorinm  die  Erlaubniss'  zu  einer  vierteljährlichen  Gollecte  nachgesucht 
werden,  deren  Erträgpnisse  in  die  Schnlkasse  Iiiessen. 

§  5. 

Ein  etwaiger  Ausfall  rofisste  von  allen  8  Tiehrern  zu  gleichen 
Theilen  getragen  werden,  indem  die  Kinder  in  Ansehung  ihres  Unter- 
richts darunter  nicht  leiden  können,  dass  ihre  Eltern  zu  arm  sind,  um 
das  Schulgeld  zu  entrichten. 

V.  Abschnitt  Schulferien. 

§1. 

^Folgende  Ferien  sind  und  bleiben  in  Zukunft  gesetz- 
mässig: 

1.  die  Weihnachts-  und  Neujahrsferien.  Schluss  vor  dem 
sog.  Heiligen  Abend,  Anfang  am  Tage  nach  Neigahr.  Ist  letzteres  ein 
Freitag,  so  fängt  die  Schule  erst  am  nächsten  Montag  an. 

2.  die  Oster ferien  von  Mittwoch  vor  Ostern  bis  Donnerstag  nach 
dem  Fest. 

3.  die  Pfingstferien  von  Freitag  vor  bis  Donnerstag  nach  Pfingsten. 

4.  die  Hundstagsferien;  von  Anfang  des  Juli  bis  Mitte  August 
fallen  die  Lehrstunden  an  zwei  Nachmittagen  (Dienstags  und  Freitags) 
ans.   Auch  cessirt  die  Schule  während  der  ganzen  letzten  Jnliwocbe, 


>)  Am  9«  Ootober  1808  eigisg  das  CHicnlare,  du»  „alle  GcbaHaiahlongw  an 
PvofeflSOreD,  Lehrer,  Geistliche.  Kirchenbediente  and  andre  darauf  angewiesene 
Personen  fortan  in  nionntliohcn  Ratia  und  awar  am  Ersten  des  Monats  prae- 
auiiierando  geschehen"  sollen.  — 


102 


B.  Scifferi: 


damit  die  Lehrer  allenfalls  Zeit  ge^vinnen,  während  des  Sommers  eine 
kleine  Reise  zn  machen. 

5.  an  den  Jahrmärkten  fällt  der  Unterricht  nur  am  Tage  des 
Jahrmarkts  selbst  ans. 

§  2. 

Die  vierteljährlichen  Recordationen»  die  als  pars  salarii  für 
die  beiden  Lehrer  anzusehen  sind,  machen  Qaartalferien  nothwendig, 
dieselben  mflssen  aber  möglichst  eingeschränkt  werden.  In  der  Regel 
können  die  Recordationen,  die  am  Montag  anfangen,  am  Mittwoch  be- 
endigt sein.  Weil  aber  die  Witterung  dies  zuweilen  unniöglich  macht, 
wenn  man  auf  die  Gesundheit  der  Kinder  einige  Rücksicht 
nehmen  will,  so  wird  festgesetzt,  dass  die  Recordationen  allemal  vier 
Tage  dauern  sollen.  Am  Freitage  muss  die  Schule  wieder  angefangen 
werden. 

\L  Abschnitt.  Arbeitsschule.*) 

§  1. 

Ein  llaiiptrrfonicrni.s.s  in  der  Uildiinn  des  \s fibliclien  (Teschit'(hts 
ist,  du  SS  die  Mädchen  ausser  der  Selmlwi.s^enscliaft,  die  sie  mit 
den  Knaben  gemeiiischaftlicli  erlernen,  aucli  nocli  in  allen  Hand- 
arbeiten unterNviesen  und  geübt  werden,  in  denen  .sie  zn  ihrer 
künftigen  Bestinnnnng  eine  g^ewisse  Fertigkeit  erlangt  haben  müssen. 
Es  wird  daher  mit  der  Lehi-schiüe  in  Strausberg  auch  noch  eine  Arbeite- 
scbule  verbunden. 

§  2. 

Da  das  Locale  kein  eigenes  Zimmer  zu  diesem  weiblielien  Unter- 
richt gestattet,  auch  die  Madchen  (s.  Abschnitt  III)  während  der  Lehr- 
stunden nicht  abkommen  köuueu,  uin  die  Arl)eitssclmle  zu  besucheu,  so 
würden  bloss  die  Vormittagsstunden  von  U — 12  Uhr  nnd  im  Sommer 
die  Nachmittagsstunden  von  4 — 5  Uhr  und  ausserdem  das  ganze  Jahr 
hindurch  der  Nachmittag  des  Mittwochs  von  2—4  Uhr  gewählt  werden 
können.  In  den  3  Sommermonaten  Jnnius,  Julius  und  August,  in  denen 
die  Schule  frOh  um  7  Uhr  anfängt  nnd  nur  bis  10  Uhr  dauert,  wärden 
6  Stunden  mehr  zu  den  weiblichen  Arbeiten  gewonnen  werden. 

§  3. 

Da  kein  eigener  Fond  vorhanden  ist,  ans  dem  die  Lehrerin  der 
Arbeitsschule  besoldet  werden  könnte,  so  muss  diese  Anstalt  auf  sich 


M  Gegen  die  EiiirichtuDg  einer  solchen  InduBtrieechnle,  vokq  die  Bcgienmg  er- 
mnntertei  hatte  rieh  Periits  noch  1792  «blehnmd  verhalten,  mit  der  Begrflndnng: 

„Pretens  fehle  es  an  Mitteln  daiu;  im  flbrigen  Wörden  die  Kinder  hier  schon  von 
Jni^'end  an  zur  Arbeitsamkeit  und  insonderheit  zur  Spinnerei  angehalten,  da  der 
gröüste  Tbeil  der  Einwohner  aus  Tuchmachern  bestehe  er  scheint  nicht  recht  ver- 
standen zu  haben,  worum  es  sich  dabei  handelt.  — 


-  :       Ly  Google 


Die  Straaaberger  Stadtschule. 


103 


selbst  gebaut  werden  Das  Schalgeld  fär  die  Arbeits-Schfllerinneii  fltesst 
zwar  mit  in  die  allgumeine  Schulkasse,  wird  aber  bestimmt,  der  Lehrerin 
ein  gewisses  Gehalt  anzuweisen.  £in  jedes  Kind  entrichtet  wöchentlich 
1  gr.  Die  Näh-  und  Strickarbeiten  bringt  ein  jedes  Kind  mit  und  nimmt 
sie  auch  wieder  mit  hinweg. 

§4. 

Da  die  Arbeitsschule  sich  durch  sich  selbst  unterhalten  mnss,  so 
ist  sie  keine  der  Lehrschale  eigentlich  einverleibte,  sondern  nur  eine 
neben  ihr  extstirende  Industrie-Anstalt.  Sie  ist  indessen  mit  der  ersteren 
verbunden 

1.  durch  die  Gleichheit  des  Lehrorts, 

2.  durch  die  Theilnehmnng  an  der  Heizung  des  Lehrzimmers.  Aus 
diesem  Grunde  mtlsste  sie  auch  mit  dor  Lehrschule  im  Winter  gleiche 
Ferien  haben,  während  die  Sommerferien  dagegen  zum  Theil  ganz  weg- 
fallen würden, 

8.  durch  die  Entrichtung  des  Schaigeldes  an  die  gemeinschaftliche 

Schulk  a^Jse, 

4.  durch  das  öftentliclie  Sclmlexanton,  hei  dctn  nurli  die  Handarbeiten 
der  Mädchen  der  öffentlichen  Ansiciit  voiirelegt  werden  müssen, 

5.  durcli  di(^  Gleichheit  der  Aufsiclit,  indem  der  Koctor  das  Recht 
und  die  Pflicht  hat,  aach  die  Arbeitsschal«  zu  inspicireu.'' 


Mim  darf  wohl  unl)edenkli(  h  )»chauj>ten,  dass  dieser  Plan  von  1808 
auf  einer  unß:leich  höheren  Stufe  als  alle  früheren  Entwürfe  j^teht  und 
von  rühmlicher  Einsicht  in  das  Wesen  eines  Schulorganism us 
zeugt.  Die  frühere  rtlcichs^tellun^^  der  Tjchrer,  dies  Nebeneinander  im 
Amt,  wobei  jeder  nur  um  seinen  persönlichen  Vorteil  soi  i^te,  unbekümmert 
um  das  Gedeihen  des  Gnnzeii,  w«»  <2:et^en«eitiire  Keibungen,  rein  aus 
materiellen  Interessen  veranlasst,  iinaiislileiiilicli  waren,  nuisste  ein  ein- 
heitliches, einiges  Zii^ainmenwirken.  w<Min  nicht  ganz  ausschliessen,  so 
doch  /um  mindesten  nur  ausnaliinsweise  eruiugliclien;  die  Madchen  gar, 
ab-i'^ondert,  ohne  besondere  Aufsicht,  von  einem  mit  <i<T  dürftii^sten 
Vorbildung  zu  seiiMMii  TiChrberuf  ausgestatteten  Küstej-  unterrichtet, 
erschienen  wie  Schulkinder  zsvciten  Grades  —  da>  alles  sollte  nun  anders 
werden:  die  Schule,  Knaben  und  Mädchen  umfassend,  ein  einziges,  grubses 
Ganze  sein,  nacii  vernünftigen  Prin«  i[>ien  gegliedert,  von  einer  einzigen 
Perstinlichkeit  geleitet,  deren  ausschliessliche  Pflicht  und 
höchste  Aufgabe  es  ist,  für  »lie  gedeihliche  Entwicklung  und 
den  1  egelmässigen  Betrieb  der  Anstalt  zu  sorgen  und  dem 
Patron,  dem  Inspektor  und  der  Schulaufsichtsbehörde  gegen- 
über die  Verantwortung  zu  tragen,  die  aber  eben  darum  audi  mit 
grösseren  Befugnissen  ausgestattet  ist,  um  die  Ordnung  aufrecht  erhalten 


^  ij .  .-Lo  Ly  Google 


104  B.  ßeiSert: 

zn  können  unter  (l»'n  ihm  iintorstoUten  Tiehrpersonen,  wie  gf'Ren  die 
Eltern,  die  l)isbor  meist  gewohnt  waren,  persönliche  NViuisc  he  brti  i'rts 
drr  KInN<»'?uvahl  oder  der  Vers»'tzl)iirkeit  ihi-er  Kinder,  sclir  oft  gt'j^en 
(his  cigentliciiu  Bcstt^  derselhen,  oime  weiteres,  wie  wvwn  es  selbstver- 
stimdlich  wiiic,  von  dem  gefülligen  oder  zu  Ihuik  vfiidlichtctcn  T.i'hrcr 
lierücksiclititjt  und  gewälirt  zu  seilen.  .*>tniöe  Ordnung,  sUuiieb  Ueguueut 
—  üben  das  tluit  einer  ;iut"<t reitenden  Generation  not. 

Eine  unmittelbare  l-ul^f  dieser  „angefangenen  Urgauixilinu  fler 
Stadtschule'^  war  die  Wiedereinsetzung  eines  Schul voistandes, 
der,  aus  Biirgerdejiutiiten  bestehend,  neben  dem  Ephoius  seines  Auf- 
siciitsamtes  zu  walten  beiufen  ward:  zwei  Mitglie«ler  desselben,  welche 
„überzeugt  waren,  dass  die  Bildung  tier  Jugend  eine  ebenso  wichtige  als 
nOthige  Suii;.  für  uns  sein  muss",  betrieben  denn  sofort  (September  18ÜD) 
beim  Magistrat  die  „Förderung  des  begonneuen  Reformwerkes''  mit 
regstem  Eifer.   Doch  ging  es  damit  nnr  langsam,  sebrittwdse  ▼orwftrtB. 

Infolge  der  Einführang  der  nenen  Städteordnnng  (19.  No- 
vember 1808)  hatte  anch  die  Straasbergische  Stadtverwaltung  «dnen  ver- 
änderten CShiurakter  erhalten;  der  Idagistrat  durfte  nicht  mehr,  wie  bisher,  in 
den  meisten  F&Uen  über  die  Edpfe  der  Bürgerschaft  hinweg  etwas  be- 
schliessen  und  zur  Ausführung  bringen,  sondern  war  an  die  Zustimmung  der 
24  neugewählten  Stadtverordneten  gebunden.  Nun  war  aber,  wie  wir  wieder- 
holt zu  bemerken  Gelegenheit  hatten,  gerade  die  Schulfrage  dem  grosseren 
Teil  der  Einwohner  ein  Gegenstand  der  Abneigung  imd  den  Stadtver- 
tretern nunmehr  eine  willkommene  Veranlassung,  ihrer,  fast  mochte 
ich  sagen,  traditionellen,  Jahrhunderte  alten  Animosität 
gegen  den  selbstherrlichen  Magistrat  Luft  zu  macheh;  teils 
deshalb,  teils  aus  Unverstand  sperrten  sie  sich  daluT  gegen  alle  Mebr- 
fordernngen,  die  zu  Schulzwecken  an  ihren  Säckel  gestellt  wurden,  und 
hielten  sie  fur  überflüssig.  Von  dem  sonst  so  geridnnten  „frischen  Geist 
der  Wiedergeburt,  der  durch  das  preussische  Volk  ging",  war  iu  der 
Stransberger  Stadtverordneten-Versanuidung  das  gerade  Gegenteil  zu 
spüren  —  wenige  ausgenommen.  Es  steht  fest,  dass  vorlaulig  alle  ge- 
planten Änderui^n  abgelehnt  wurden,  nur  die  Vereiiiiunii«?  von  Rektorat 
und  Diaconat  ging  durch,  —  und  die  kostete  freilich  nichts. 

Als  daher  IHld  der  Diacomis  Kriegel  nach  Landsberg  berufen  wurde 
und  SujH'rint.  Krüger  befürwortete;  „I,  dass  der  neue  Kector  ein  studirter 
Mann  mit  Sprach-  und  musikalischen  Kenntnissen  sein  müsse,  der  auch 
ü)gel  spielen  könne:';  *2.  der  alte  Rector,  dem  fast  jeder  Hür^er  als 
seinem  ehemaligen  Lehrer  verptlichtet  sei,  die  alte  Wohnung  und  Garten 
noch  weiter  behalten,  der  neue  Reetur  dagegen  eine  Mietswohnung  in 
der  Nachbarschaft  i>ezieheu  solle,  wobei  ihm  3.  ausserordentlich  Holz 

')  .^Man  solle  sich  deswegen  an  den  OberconsiBtoriairath  Hecker,  Direktor  dM 
Kttnnftrkiwheii  Senoiiuucs,  wenden  od«r  die  Stelle  in  Zeitongcii  aoBtchniben.^ 


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Die  Strausbuiger  Stedt8<dnile. 


zn  bewilligen  sei;  dass  endlich  4.  nunmehr  die  grosse  Scbiilstabe,  in 
welcher  das  Lazaret  gewesen,  getrennt  und  neu  geweisst  werden  üidchte** 
—  konnte  man  sich  auch  zu  diesen  „geringen  ausserordentlichen  Mitteln" 
nicht  entschliessen;  der  1811  antretende  Diaconns  Leopold  Zesch  mnssto 
das  Rectorat  übernehmen.  — 

Doch  unbeirrt  dnrch  diesen  Widerstand  fuhr  der  Magistrat  fort, 
mit  lebendigem  Interesse  die  Schulangelegenheit  in  Fluss  zu  erhalten, 
weswegen  <äe  Kgl.  Eurmärkische  Regierung  nicht  umhin  konnte,  unterm 
Januar  IHU  speziell  dem  Bürgermeister  Fabel,  welcher  sich  bis- 
faero  bey  der  neuen  Organisation  des  Strausbergischen  Stadt- 
Bch u  1  Nv »'sens  mit  lobenswertln'TTi  GeirK'insinn  hctragm  und  sich 
zur  ßrfüideruiig  der  guten  Saclie  sehr  thätig  bewiesen  hat,  ihre  beson- 
dere ZutViedcnluM't  und  \V*'rthsclj;itzung  zu  erkenne  ZU  LicVK^ii". 

Wesentlicli  unterstützt  in  seinen  lie.sti  ebungen  wurde  der  Magistrat 
dureh  die  einsielitigen  Mitglieder  des  Srlnih  <  »i  >t:inde.s,  der  zuerst  aus 
dem  Postmeister  Haberkorn,  den  Fal»ri kauten  Martin  Kurtze  inid  ( "iirist. 
Samuel  Heller,  dem  Stadtchinirgus  Julius  und  dem  Apotheker  Jeusen 
gebiblet  und  )»estätigt  wurde:  noeh  wieiitiger  aber  war,  d;iss  dieser  Schul- 
vurstanil  durch  die  Ministerial-Instruktion  vom  20.  .luni  ISI  1  hiiisirlitlich 
seiner  Organisation,  seines  \\  irkuni;skrei-<  <  und  der  <  !es<  hafr^vi  rsvaltung 
in  die  Reihe  der  städtischen  I  [i  ii  t  :i  f  io  iie  ii  aiil'geiicuinien  wurde, 
woduich  seinen  Beschlüssen  und  Austuiirungen  eist  der  iniitli'  ln«  Cliarakter 
verliehen  worden  ist.'-')  Auf  nrund  der  alltreineineu  miniöterieUeu  lie- 
»timmuDgeu  entstaud  folgender  Eutwurt*  zu  eiuer 

Instruction  oder  Geschäftsordnung  des  Schulvorstandes 

zu  Strausberg. 

„Dem  Schulvorstand  liegt  es  ob,  für  <lie  geliöriije  Haiidliabnnii  der 
äusseren  Ordnung  und  für  die  genaue  Befolgung  der  JSchulver- 
urduungen  zu  sorgen. 

')  PerliU  überualuu  bei  Eiuiuliruag  der  älüdteordauug  das  Amt  des  Gerichts- 

direktors.  — 

Frohere  Verfügungen  hierüber  datieren  vom  V*.  November  1809  (Punkt  3: 
nBUdong  eines  Schulvorstandes  mit  dem  Prediger  als  Praeaee;  wo  mehrere  Prediger 

sind,  gehören  a\W  dazu:  unter  den  Fatnilienvütcrn  soll  winif-uiK  ein  Mn^M^*trata« 
mitglie«!  s«'in.  Für  (irn  Scliul vorstand  winl  fiiif  beewuleie  Jn>-i i ii>  !;> n  t'r^M'lion."  — 
Aus  dieäciu  öchriftetück  int  noch  burvorzuliebea:  „5.  Alle  Cunüiduttu  uiiktiben  sich 
einer  PrOfung  vor  d«r  Königlichen  Examinationa-Oonimisaion  nnterwerfen.  0.  Diese 
Prttfnng  ist  auch  bei  Versetxung  eines  Lehrers  nothwendig.  8.  Statt  der  Schnlcataloge 
sind  ToUstftndige  Schiill>«-ric-htü  ein/urciclicn,  in  weiclien  jecK-  Sclnile  nneii  ihrem 
ftnsseren  und  iimorju  Zti>land  so  ansi  hanlii  h  >!:ui^'> -ifllt  wird,  dass  d:i><  daiaiis  la-rvor- 
^ehende  Resultat  aln  iktsi«  für  den  weiteren  Ausijuu  dienen  kann.  T.ehrer,  die  sicli 
durch  Lebrtaleiit,  Tbüligkeit  und  Aintbireue  auszeichueo,  sowie  Prediger,  welche  sich 
um  die  Anshädong  der  Lehrer  und  Verbesserung  der  Schule  verdient  machen,  sind 


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106 


B.  Seifert: 


Er  empföngt  seine  Auftrage  von  dem  Saperintendenten  oder  Schal- 
inspeetor,  an  welchen  er  auch  fiber  das  seiner  Aufsicht  vertraute  Schal- 
wesen  su  berichten  hat.  Er  selbst  ist  die  nächste  Behdrde  der 
Schnliehrer  und  der  Schulgemeinde.  Letztere  sollen  ihre  etwanige 
Erinnerungen,  Klagen,  Wünsche  nnd  Beschwerffthrungen  nicht  beim 
Schnliehrer,  0  sondern  müssen  sie  bei  dem  Schnlvorstande  vorbringen, 
welcher  ihre  Anforderungen  näher  nntersuclit  und  erforderlichen  Falls 
dem  Schulinspector  zur  Beurtheilung  und  Entscheidung  vorträgt. 

Die  Schulvorsteber  versaninieln  sieb  monatlich  einmal, 2)  und 
zwar  am  ersten  Mittwoch  eines  jeden  Monats  Nachmittags,  entwedi  i-  in 
dem  Scbulzininier  oder  in  dem  Hause  des  Präses.  Fällt  auf  den  Mitt- 
woch ein  Festtag,  so  versammeln  sie  sich  an  dem  zanädist  folgenden 
Mittwoch.  (Die  Schullehrer,  wenn  sie  diesOT  Auszeichnung  würdig  sind 
und  die  Umstände  es  zuträglich  machen,  zu  Zeiten  mit  hei  den  Ver- 
sammlungen zuzuziehen,  bleibt  dem  Scbulvorj?tinide  überlassen.  Das 
Magistratsmitglied  hat  bei  persönlicher  Auwesenlii'it  den  Vorsitz.) 

Die  Schulvoi'stchcr  sorgen  geiiieiiischnftlicl!  für  di»»  o:ehörigc  V  nt«'»  - 
haltung  des  Schulgebäudes,  der  S(  Imlzunmer  und  der  ScIiullclinT- 
wohnung.  Sind  Rcjuiraturen  oder  neue  Bauten  erforderlich,  so  iniissen 
sie  diesellten  einleiten.  Was  die  Schulzimmer  betrifTt.  so  inüsseii  sie  ins- 
besondere darauf  achten,  ob  auch  die  vorges(  liriet»ene  Ordnung,  I'ünkt- 
lichkeit  und  Ueiiüichkeit  in  denselben  herrschen:  <»b  auch  alles  darin 
gehörig  an  seinem  Orte  stehe,  hange  oder  liege;  ol>  Hoden,  Wände,  Fenster, 
Tische,  Bänke  j».  \k  sauber  gehalten  werden;  ob  die  Schüler  nach  ihren 
Abtheilungen  ihren  rechten  Platz  einnehmen,  ob  auch  von  den  Schülern 


uamentlicli  luit  einer  besonderen  Charakteristik  iuif/iifiUir-  n  ''  Alle  IJerichlt-  (i(  r  Pre- 
diger und  Lehrer  müssen  durcli  den  Magi.stmt  an  die  Regierung  gelangen  ),  sow  ie  vom 
12.  März  1810,  worin  zugleich  über  die  Bildung  von  Scbulkassen  das  Weitere  an- 
geordnet wird.  — 

*)  Im  Juni  181S  machte  die  ScholdflpiiUUioii  flOentlicb  b^aont,  „die  Eltern  sottteo 

ihre  Beschwerden  nicht  beim  I>ebrer  in  der  Schule  oder  in  sdner  Wohnung,  eoodem 
bei  der  nächsten  monatlichen  Sitzunj:  der  Schul  ■  ConiTnission  nnhrincen "  —  Am 
(].  November  ISIS  schärtte  sie  nochmal  ein:  „Da  sich  ungeachtet  uiehrer  früherer 
Verordnungen  noch  immer  einige  Eltern  beikommen  Innen,  gegen  die  geaetaliche 
Ordnung  der  Scbnle  wahrend  der  Scbnlseit  in  die  Zimmer  der  Lehrer  an  dringen  und 
durch  unanständige  Reden  oder  sogar  durch  andre  ungebObrlicbe  Gewalt fliiiiigkeiten 
die  Lehrer  zu  heU  itliiit  ii,  ho  werden  i^innmtliche  Eltern  hiesigen  Ort.«  nochmals  ornst- 
Hcli  davor  ;rp^v•a^lt.•'  Hierzu  erging  uiit"rin  17.  December  lSi22  eine  Hegierungs-Ver- 
iUguug:  „1.  Das  Eindringen  der  Eitern  in  die  Schulummer  ist  unzulässig  und  muss 
poliseHieh  ebenso  beetraft  werden,  wie  jedes  Eindringen  in  fremde  Wolnrangen. 
2.  Injorüren  die  Eitern  bei  soloboi  Gelegenheiten  oder  sonst  die  Lehrer,  so  ist  das 
Jnstissache.  3.  Wollen  die  Eltern  über  das  Verfahren  der  Lehrer  lieschwerde  führen 
80  müssen  sie  sich  deshalb  an  die  Schulkommission  wenden.'  —  •)  Die  Ministerial. 
Instruktion  g  22  setzt  zwei  ordentliche  Zusammenkünfte  im  Monat  fest  und  zwar  auf 
dem  Bathhanse.  — 


^  ij .  .-Lo  Ly  Google 


■  -  -■ 


Stnoftbe^er  SUdtscbole.  107 

das  Schiilpf«ratlu',  der  Lt'lii'upparnt  und  dif  Scliiilziinfucr  bosrliädigt 
werden.  Aucli  luüsspii  sie  darauf  aufiiici  ksaiii  sein,  ol»  l.phrer  und 
Schüler  selbst  reinlicli  und  «udentlicli  in  der  Schule  ersclu-iiit  n,  uli  irf^crid 
eim'>  von  dfii  Kindern  eine  ansteckt-nde  Ki aiiklieit  »»der  ekelhafte  körper- 
liclie  Scluult'ii  an  sieh  liahf.  Beinciken  sie  ein  solches,  so  müssen  sie 
es  sofort  entfernen  und  den  Eltern  desselben  darüber  die  nöthige  Weisung 
geben.  ^) 

Auch  für  die  Ansriiaffunj^,  Unterlialtuntr  und  Vervoll- 
ständigung des  Lebrapparates  (Bücher,  Schiefertafeln,  Wandtafel  p.) 
haben  sie  zu  sorgen. ') 

Der  Schulvorstand  iiiuss  bei  seinen  Schul  Visitationen  darauf 
achten,  ob  der  Lectious-  und  Lelirpian  vorscliriftsmässig  befolgt  werde, 
im  Fall  der  V'emachlässigung  den  Srhullehrer  iirivatiui  daran  erinnern, 
tind  wenn  niehrnialige  Erinnerungen  fruchtlos  bleiben  Sölten,  dem  Schul- 
inspector  darüber  Anzeige  thun.  TMese  Sfirge  liegt  je«loch  voriu  lniili(  Ii 
dem  Prediger  ob,  welcher  deshalb  auch  wiH  liciitlicli  wi'uigsteus  einmal 
unvermnthet  die  Schule  besuduMi  un<l  dem  Untmiciit  beiwohnen  muss. 
Von  Zeit  zu  Zeit  muss  auch  der  ganze  Schulvorstanil  die  Schule  besuchen 
und  davon  in  dem  anzulegenden  SchulprotocoU- Buche  Meldung  thun.-) 

So  wie  der  Schulvorstand  die  lie(  ti(»nspl;in(^  füi'  die  TiChrer  von  dem 
Schuliii>in'ctor  em])fängt,  so  auch  alle  Wrui »iuurigen  und  Verfügungen 
in  betirtV  aller  lUn  igen  die  Schule  betreffenden  Punkte. 

Der  Schulvorstand  mu^s  über  die  ganze  Aujtsführung  und 
Auffuhrung  der  Schullehrer  die  Aufsicht  füliren  und  darauf 
.sehen,  dass  ihr  Lebenswandel  weder  der  (lemeinde,  noch  den  Schülern, 
noch  den  Predigei-u  an.^lits.sig  werde.  )  l^lieiiso  hat  er  abi'r  auch  darauf 
zu  halten,  dass  die  säuimtlicheu  Genieindeglioder  ihre  Pflichten  gegen  die 
Lehrer  gebiilirlichst  erfüllen. 

Dem  Schulvorstiinde  sind  lUMnatlich  die  Scliulbes  uchslisten  ein- 
zuhändigen, damit  derselbe  den  Schuliiesuch  dei-  Kinder,  die  Benutzung 
oder  Vernachlässigung  der  Schule  von  Seiten  der  l-dtern  daraus  ersehen 
und  deshalb  die  erforderliche  Nachfrage  und  Anzeige  thun  könne.  Die 
sämmtliche  Listen  werden  am  Schlüsse  eines  jeden  Jahres  an  den  Schul- 
inspector  eingesandt,  denselben  wird  ein  Bericht  beigefügt,  worin  der 
Schulvorstand  seine  etwanige  Bemerkungen,  Wünsche,  Klagen  und  Vor- 
schläge vorträgt,  v(ui  den  in  der  Schule  vorgegangenen  Verändeiungen 
Meldung  thut  und  zugleich  alle  diejenigen  Eltern  namhaft  maclit,  w«  lebe 
aller  Erinnerungen  ungeachtet  ihie  Kinder  gar  nicht  oder  zu  s>aumselig 


')  Min-  Instr.  §  16.  —  ■)  Ebend.  §  11.  -  •)  Eine  fHidpUnarStrafgewalt  Ober 

die  Lehrer  iat  der  Schulkommission  erst  durch  das  Regulativ  vom  29.  Juilftr  18M 
baigel^  worden,  doch  nur  besflgUcb  ihres  VerbAlteo«  im  Amt.  — 


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108  B.  SeiM: 

zur  Schale  schicken  und  deshalb  vor  die  Obrigkeit  gezogen  zn  -werden 

verdienen. ') 

Di(  SchuUehrer  dürfen  keinen  ganzen  Tag  die  Schale  aussetzen, 
aiK'li  bei  der  ^em  iindete.sten  Ursache,  ohne  dein  Präses  des  Schulvor- 
Standes  oder  in  Abwesenheit  oder  zn  grosser  Entfemung  desselben  einem 

der  SchnlvorsteliiT  davon  Anzeige  zu  thun. 

Der  Seliulvorstand  ordnet  das  jährliche  öffentliche  Schul- 
exanien,  lässt  die  Eltern  und  Schulfreunde,  wo  es  das  Schullocal  erlaubt, 
durcli  den  F^rediger  von  der  Kanzel  Sonntages  zuvor  dazu  eiidaden,  ist 
selbst  bei  dem  Examen  f^ciJ^enwärtif^,  fuhrt  dabei  die  Aufsicht,  sorgt  für 
die  Tnissere  Orduuug  ujid  protocolUi't  darüber  bei  der  nächsten  Ver- 
sammlung. 

Der  SchulvorstantI  muss  sicii  sorL-faltii;  iiacli  jcdi  r  (ii'lc^cnlit'it  um- 
sehen, die  sich  darbietet,  um  das  Seh  u  1  vt-rin  c  ii  und  die  Ein- 
künfte der  Lelirer  zu  verbessern.  Jiislusuüdeie  muss  bei  etwaigen 
GemeinheitstheiluDgen -)  daraufgehalten  werden,  dass  auch  der  Schule 
ein  gutes  Parcel  zugetheilt  werde.  Wenn  eine  Scliulstelle  vacant  geworden: 
so  muss  der  Schulvorstnnd  es  dem  Schulinsiiector  anzeigen,  damit  dieser 
die  Wiederbesetzung  einleite. 

Der  Yocation,  welche  der  neue  Schullehrer  erliiilt,  müssen  die 
Schulvorsteher  eine  genaue  von  ihnen  sell)st  unteix  hrieliene  und  unter- 
siegelte Specificatio n  der  mit  der  Stelle  verbundenen  Ein- 
künfte beifügen.  Die  Einführung  eines  neuen  Schullehrei's  soll  ent- 
weder durch  den  Schulinspector  oder  nach  dessen  Auftrag  durch  den 
Ortsprediger  in  Gegenwart  der  Schnlvotstoher  nnd  der  Cremeindejagend 
geschehen. 

Der  Präses  soll  die  sämmtlichen  Verhandlungen  des  Schulvorstandes 
leiten.  Er  hat  bei  den  monatlichen  Versammlnngen  den  Vorsitz,  fOhrt 
das  Protocoll,  besorgt  die  etwanige  Gorrespondenz,  berichtet  im  Namen 
des  Schalvorstandes  an  den  Schnlinspector;  Torzöglich  aber  soll  er  auf 
das  Innere  des  Scholwesens,  auf  die  Unterweisung,  Lehrmethode,  Schnl- 
ZQcht,  Befolgung  des  Lehrplans,  Weiteransbildnng  der  Lehrer,  kurz  auf 
alles,  was  auf  die  innere  Verbesserung  der  Schule  Einfluss  hat,  seine 
Aufmerksamkeit  und  Bemflhnngen  richten. 

Der  Rendant  hat  insbesondere  fOr  die  etatsmässige  Verwaltung  des 
Schulvermdgens  zn  sorgen,  zn  diesem  Behuf  muss  demselben  ein 
ordentliches  Lagerbuch  nebst  einem  Etat  übergeben  werden.  Auch  muss 


*)  Vielen  SIteni,  namentlich  der  änneren  BevOlkenuig,  bdiagte  der  allgemeine 
Schnliwaiig  nicht,  „sie  liielten  kaltblütig  ihre  Kinder  von  der  Schule  aarQck"  (1818) 

oder  ^hetzten  ^ii'  dm<  !i  allerhand  knlnkende  und  beleidigende  AusBerungen  gegen  die 
Lebror  auf,  ja  entzogen  dieselben  nach  cim-r  erhaltenen  gelinden  Scbulstrafe  gänzlich 
dem  Unterrichte"  (182G).  —  *)  D,  i.  wenn  Wald-  und  Landkaveln  oder  Wiesen  verteilt 
werden. 


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8tnuMberg«r  Stadtoehnle. 


109 


er  das  stellende  Gehalt  der  Lehrer  and  die  Schulgelder  erheben  und  an 
zu  regnlirenden  Terminen  das  za  bestimmende  Qnantam  gegen  qaitfeang 
an  die  Schnllehrer  auszahlen.  Er  legt  seine  Rechnung  vor  den  übrigen 
Scholvorstehem  and  dem  Präses  ab,  und  der  ganze  Vorstand  ist  fär  die 
Verwaltung  verantwortlich.  Die  abgenommene  Rechnung  wird  an  den 
Schulinspector  zur  Revision  geschickt,  welcher  eine  Abschrift  derselben 
der  Landesregierung  einzureichen  hat. ') 

Die  Amtsführung  der  Scliulvorsteln  r  soll  (>  Jahre  dauern,  mit  Aus- 
nahme des  OrtspnHligtM-s  als  Präses,  welcher  dioses  Amt  solange  behält, 
als  er  Prediger  der  Gemeinde  l»leil>t  and  kein  CTrund  vorhanden  ist,  das; 
Präsidium  einem  anderen  zu  übertragen.  Auch  soll,  wenn  etwa  der 
Kirchen-  und  .Schul patron  mit  unter  den  Schul vorstoUem  ist,  dieser  be- 
ständiges Mitglied  sein.  Es  sollen  aber  nicht  die  säinmtlichen  Schul- 
vorstt'li  r  /.ugloich,  sondern  jede.smal  mir  zwei  ausscheiden;  an  deren 
Stulle  die  bleibend(>n  Vorsteher  mit  dem  Präses  zwei  andre  beim  Schul- 
inspector in  Vorschlag  bi-iiificn.  -') 

Da  nur  solche  Männer  als  Schul  Vorsteher  angeoi-dnet 
werden  sollen,  welche  für  den  L''l<»r  der  Schule  interessi  rt  si  nd, 
vernünftige  Einsichten  IkiIhti.  in  einem  <;uten  Hufe  und  bei 
der  Gemeinde  nicht  in  Mis-ki  '  dit  stehen:  so  ist  mit  (iruud  zu 
erwarten,  dass  sie  das  ihnen  an\ <'it raute  elii-eii\ olle  und  wielili<_;v  Amt 
ndt  fri'wisst'Mliaftt'r  Trem?  verwalten  und  mit  Fr*'U(liL!;keit  allen  Kiiei-  uml 
alle  Mühe  auflneten  wenlen,  um  das  zur  Aufsicht  (iWcigebene  Schulwesen 
zum  Sogen  der  Gemeinde  zu  einem  immer  hühereu  Grade  der  Voll- 
kommenheit zu  erheben.  ; 


Dass  die  Strausliei'ger  Schulkommission,  zu  welcher  im  März  ISlii 
die  Stadtveit>rdueteu  aus  ihrer  Mitte  ex  ofticio  ein  Mitglied  (h'putierten, 
sich  ihrer  I'tlichten  voll  hewusst  war  und  sich  ihrei'  Aufgabe  mit  Geschii  k 
und  zunehniciHiciii  Erlolge  unterzog  und  entledigte,  bezeugt  ein  Schreiben 
der   „geistlichen   und  Schuldcputation   der  Kurniärkischen  Regierung^, 
d.  d.  P(4Mlam  den  24.  Oktober  ISll.    Dasselbe  bestätigt  die  bei  der 
Einführung  des  Diaconus  und  Rectors  Zesch  endlich  vollzogene  Vereinigung 
der  Kuaben-  und  Mädchenschule  und  fügt  hinzu;   „Wir  haben  mit  Wohl- 
gefallen gesehen,  dass  auch  die Schulkotumissiou  mit  lebendigem 
Eifer  alle  Mittel  anwendet,  am  die  der  besseren  Schal- 
Organisation  entgegenstrebende  Hindernisse  aas  dem  Wege 
za  rftamen  and  zor  Förderung  der  guten  Sache  krftfügst  mitznwuriken. 
Wir  können  nicht  umhin,  der  Schal-Kommission  hierfür  unsere  völlige 
Zufriedenheit  und  besonderen  Beifall  zu  erkennen  zu  geben,  indem  wir 


»)  Min.  Instr.  §  17—20.  —  ^)  Ebeud.  §  Ö.  -  *)  Ebend.  §  6  und  6. 


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HO 


Die  Strmitbeiser  StadtattWe. 


hoften,  dass  difselbo  in  ihren  rühmlichen  Bemühungen  eifrigst 
fortfahren  und  so  das  Ihrige  znm  künftigen  Wohl  der  jetzigen 
Generation  beitragen  werde.**  ^) 


Dit»  KriejyswojOfn  der  Jahre  1H12 — 15  setzt<'ti  vorläufig:  der  segens- 
rciclien  Wirksamkeit  dieser  vom  edelsten  Streben  iM^celten  Mminei-  ein 
Ziel;  als  aber  der  Friede  wiedei-  eiii^i  kehrt,  machte  man  sich  mit  frischer 
Kraft  an  die  Lösung  der  letzten  noch  schwebenden  Fragen,  wobei  mau 
in  dem  1817  neugewählten  Superintentlcuten  Dr.  Mann,  einem  Ritter  des 
eisernen  Kranzes,  einen  begeistei-ten  und  onergischen  Mitstreiter  erhielt, 
vor  dessen  Einflnss  sich  selbst  die  Stadtvertretung  willig  beugte. 

Vor  allem  galt  es,  mit  dem  alten,  nnzeitgeinnss  gewordenen  Zopf 
aufzuräumen,  iler  aus  di  r  -anzen  Arf  der  Leb  rerbesoldung  nocli 
immer  hervorguckte.  „Die  Lehrer  waren'*,  so  schreibt  Perlitz,  „vor 
dieser  Z»>it  so  elend  besoldet,  dass  sie  sich  auf  eine  fast  unanständige 
Art  ihren  Unterhalt  erwerben  mussteu;  besonders  aber  waren  das 


')  Auf  Grund  des  Edikts  vom  11.  Mtt»  1812  kam  seitens  der  Regierung  auch 
eine  Anfrage,  wie  denn  das  jOdische  Schulwesen  in  Strausberg  lieschnffen  sei 
Superintendent  KrfiL'r-r  referierte  darüber  also:  „1.  Die  hiesige  Judengomeindt'  hat 
eine  eigene  Schulauätalt,  die  auf  ihre  Kosten  unterhalten  wird.  2.  Solche  befindet  sich 
in  einem  swar  nur  BcUeofaten,  aber  der  geringen  Anzahl  der  Sclnilkinder  (6  Knaben, 
8  Hldchen)  angemeasenttn  Lokal,  welehea  sugieich  die  Wobnnng  des  Schullehren  ist. 
Zur  Heizung  desselben  liefert  die  Gemeinde  das  nöthige  Holz.  3.  Der  jetzige  Lehrer, 
welcher  47  Jahr  alt  ist,  hoisst  Jacoh  Loebel  Caro,  ist  ehedem  in  Grilt/.  bei  Posen 
ächuUehrer  gewesen  und  vor  l'/i  Jahren  von  der  hiesigen  Judengeuieine  Tun  dort  her 
verschrieben  worden.  4.  Er  bekommt  an  stehendem  Gehalt  24  Thaler  jlhiiidi  und 
wird  von  den  Familien  nach  der  Tour  gespeiset.  Sein  Schulgeld  und  «brige  Emeln- 
mente  betragen  ungefilhr  jährUch  6  Tbl  5.  Eigentliche  Fonds  xur  Unterhaltung  der 
Schule  sind  nicht  vi irlinivlt-n.  0.  Dit  f-t-hrer  ist  übrigens  ein  ganz  gemeiner  Jude,  an 
dem  ich  keine  wiwscn.sehaltliilie  Keuatnissc  wahrgenommen  habe,  der  nie  einige  Vor- 
bereitung zum  Schulamte  erhalten  hat,  von  Methode  u.  s.  w.  nichta  weiss,  sondern 
das  Schulehalten  so  gelernt  hat,  wie  unsere  Schneider  und  Weber,  die  deh  in  das 
Scholfacli  hineinwerfen  und  die  Sache  durch  die  praxis  gelernt  haben.  7.  Sein  Schul- 
nntcrrirht  ist  daher  ein  ganz  gewöhnliches  Machwerk.  Er  unterrichtet  die  Kinder  im 
I.e.scn  lind  Schreiben  und  zwar  bloss  jüdisch.  Deut-sch  lesen  und  Rclireilion  lernen  sie 
privatim  bei  christlichen  Lehrmeistern.  Vom  Kechueu  scheint  er  wenig  zu  wissen, 
daher  die  Kinder  der  wohlhabenden  Juden  auch  dieses  anderweitig' lernen.  8.  Er 
untenriditet  ttt^efa  6  Stunden,  hat  aber  bei  der  Gemeine  auch  noch  so  viele  andre 
Functionen,  dass  sein  Schulamt  gar  nicht  als  seine  eigentliche  IlanptbestimmuDg 
angesehen  werden  kann."  —  Auch  Fischbach,  Statistisch-topographische  Städtebeschrei. 
buugen,  17äU,  erwähnt  auf  ä.  429,  dass  „die  ö  ansfläsigen  Judenfamiliea  sich  einen 
eigenen  SchulnMiater  sum  UnterHcht  Ihrer  Kindw  und  snr  Anmdmmg  ihres  Gottes- 
dienstes" halten. 


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Speiseu  bei  <ieii  Bürgern  und  das Heramsingen ')  in  der  Stadt  Gebräuclie, 
weiche  das  Schul  loh  reramt  herabzawiirigen  drohten.''  Wollt«) 
man  also,  dass  die  Lehrer,  voa  deren  erziehlicher  Thiitigkeit  an  der 
heraoMrachsenden  Generation  man  alles  Heil  für  die  Zukunft  erhotTte, 
ihrem  Berufe  mit  Lust  und  Liebe  nachgehen  könnten,  so  mussten  die- 
selben materiell  unabhängig  werden  von  dem  mitleidigen  Wohlwollen 
oder  der  demütigenden  Gnade  der  Bevölkerung,  mussten  sie  als  Beamte 
hingestellt  werden,  die  unbekümmert  um  Gunst  <ider  Missgunst  der 
Menge  einfach  ihre  Pflicht  erfüllen  um  ilirer  selbst  willen,  nicht  ihres 
persönlichen  Vortheils  wegen.  Ferner  leuchtete  es  ein,  dass  3(X)  schul- 
j>flichtige  Kinder,  die  im  Jahrn  1R17  vorhanden  waren,  unmöglich  in 
nur  drei  Kla'^^»'n  iinterriciitet  werden  konnten;  es  wurde  also  notwendig, 
den  Schulorganisnuis  bis  zu  4  oder  ö  Klassen  zu  erweitern.  Die  Ver- 
waltung einer  so  vergrösseiten  Schule  erforderte  die  ganze  Kraft  eines 
Mannes;  Kectorat  und  Diaconat  mussten  also  wieder  getrennt  werden.-) 
Man  beschloss  nunmehr,  aussei-  dem  Kektui',  Konrektor  und  Küster 
noch  einen  juntren  Mann  zu  liestelleu,  „der  E?e^en  freien  Tisch,  freie 
Wohnung  und  eine  ^a'ringe  K'emuneration  helfen  könne."  l>iesem  Vor- 
schlage des  Dr.  Mann  stimmten  die  Stadtverordneten  zu,  nur  von  dem 
.,Heninis|n'isen"  wollten  sie  nichts  mehr  wissen.  Daun  wurde  mau  einig, 
alle  Nebeueiuküufte  der  Lehrer  zu  lixiren,  fortan  für  eine  jede  Stelle 
ein  bestimmtes  Gelralt  aus  der  Kämmereikasse  anzuweisen  und  die  er- 
tVirderlichen  Mittel,  soweit  sie  nicht  von  den  Kininiieivieinkünfteu  bereits 
früher  bereit  gestellt  worden,  duich  eine  Liiilage  von  der  gesamten 
Bürgerschaft  aufbringen  zu  lassen.  Auch  diese  neue  Schulgelder-Anlage ') 
fand  am  24.  December  1817  die  Bestätigung  der  Stadtverordneten. 

')  Vgl.  daia  GlMse  a.  a.  0.  S.  144.  In  dem  benachbarten  LandsbeiK  war  bereita 

dureh  Verfügung  vom  18.  September  1810  das  Recordiren  „als  unanstUndiges  Bettel- 
singeii*  beseitigt  norden.  Gaehde  a.  a.  O  S.  .339.  —  »)  Ueberdies  wurden  in  demselben 
Jahr  durch  Vertrag  mit  denen  v.  Pfuel  die  Pfarre  Gielsdorf- Wilkendorf  dem  ötraua- 
beiger  Diaconns  jcugelegt,  weswegen  Zeach  das  Rdctorat  niederlegte.  — 


Zu  dem  Schulgeld  sollen  steuem 

A.  Von  Qnmdatackan 

1.  267  BAigerhlUiMr  ind.  der  Mahlen  ä  12  gr  188  ThL  12  gr 

2.  92  Hufen  excl.  der  Predigerhufeu  ä  12  gr  46   „    "~  « 

8.  4  Wsp.  23  Schlf.  10  MU.  Aussaat  auf  Moxgenlttnder  und  Land- 
güter ä2gr   B„    28»  3-j 

4.  47  Vu  Morgen  Gartenland   8,.    22»  lOVin 

&  50Vb      n      Kaafwieaen    4^    22„  3» 

C.  68  Scheunen   6„     IQ  „    —  „ 

7.  13  Budenhäuser  incL  der  vor  der  Stadt  gelegenen  and  der 

Schönfärberei   8„  „ 

B.   Von  Gewerben. 

8.  200  Gewerbetreibende   I.  Klasse   50   „  ~~n    —  n 

9.  142           „             n.     ,    71   «  -  ,   -  » 


uiyiiizeo  Dy  Google 


B.  Seifierl: 


Das  Ocliiilt  für  (Ion  ivcktor  wurde  auf  4(KJ  Tlil.  fc,st«;<'srtzt;  (iasselbo 
lietnig  für  »leii  K(JiHvktur  200  Till.,  für  den  Küster  (dritten  Lehrer) 
110  Tili.,  für  den  vierten  12U  Tlil.,  für  die  Handarbeitslelirerin  endlich 
100  Till.;  alle  Accidenzien  ans  kirchlichen  Fanktionen  flössen  aber  fortan 
in  die  Känimereikasse,  desgl.  fielen  alle  Nebenemolumente  fort^  mit  Aus- 
nahme der  freien  Wohnung  für  den  Rektor,  sowie  des  Freiliolzes  för  ihn 
und  den  Konrektor. 

Trotz  der  verlialtnissniässi*:;  ;^i«ringen  Beiträge,  die  dem  Einzelnen 
aus  der  gleichinässigeu  Verteilung  der  Schullasten  erwuchsen,  konnte  sich 
ein  gewisser  Teil  der  Bürgerschaft  mit  dieser  neuen  Ordnung  der  Dinge 
nicht  zufrieden  geben.  Miinche  vermochten  überhaupt  nicht  sich  zu  dem 
Gedanken  aufzuschwingen,  dass  es  heiligste  Pflicht  einer  Gemeinde  ist, 
mit  allen  Kräften  und  nach  bestem  Wissen  und  Gewissen  für  die  Bildung 
der  Jugend  einzutreten;  andere  grollten,  dass  sie,  selbst  kinderlos,  die 
Kosten  für  fremder  Kinder  Unterricht  mit  bestreiten  helfen  sollten;  noch 
andere  verquickten  die  Schulfrage  mit  anderen  städtischen  Angelegen- 
heiten, in  denen  sie  der  Stadtverwaltung  gegenüber  Front  machen  zu 
müssen  oder  zu  dürfen  glaubten.  Genug,  noch  Jahre  lang  bestand  eine 
Oppositionspartei,  die  gegen  alles,  was  zum  Segen  der  Schule  beraten 
und  beschlossen  wurde,  ganz  unbegründeter  'Weise  aus  Böswilligkeit  oder 
Unverstand  ankämpfte  und  selbst  der  Regierung  gegenüber,  die  „sie  zur 
Ruhe  verwies  und  ermahnte,  den  Verfügungen  des  Magistrats  gehor- 
samlich  sich  zu  fügen*',*)  ihren  Widerstand  nicht  aufgab. 

Um  so  höher  ist  es  den  Männern,  die  nnbeirrt  in  dieser  Schnlfrage 
ihren  geraden  Weg  verfolgten,  anzurechnen,  dass  sie  treu  und  beständig 
an  dem  festhielten,  was  sie  für  die  Entwicklung  der  Schule  für  erspriesslich 
erachteten;  dank  ihrer  Energie  und  Behan*lichkeit  drang,  wenn  auch  nur 
ganz  allmählich,  die  Erkenntnis  des  wahren  Bildungsbedürfnisses  durch, 
und  damit  eroberte  sich  endlich  in  den  Gemütern  der  Einwohnei'schaft 


10.  41  Gewerbetreibende  III.  Kluse  3U  Tbl.  18  gr  ~  ^ 

11.  SS  TT  IV,  36   f    ~~  ft  n 

12.  1  -  V  1         rt  ^    -  « 

13.  79  Schutzvf rw arulfo,  wovon  1{)  ab^eliCMi.  weil  sie  pcIi'mi  ilircr 
(iewerbe  wegen  unter  den  betreffen'lrii  Cla-sen  stehen,  nnd 

hier  nur  noch  üü  bleiben  lU    «     20  „    —  „ 

C.  Von  Ämtern. 

14.  1068  Tbl  Gehalt  tod  Offliianten,  so  keinen  Commtinalbeitrag 

geben   2  „    15  „   10  ^ 

Ancb  die  Recordationsgelder  wur<l<  n  auf  die  Hauseigentbünter,  Budenbesitzer^ 
Mietabürger  und  Schutzverwandte  gleiclunüMig  verteilt;  es  kttm  auf  den  einselnen 
jährlich  J  gr  (j  4  bia  8'/j  4. 

')  VerfOgung  vom  Oi'tulicr  lsl>^,  — 

^)  Schou  lö23  wurde  die  Errichtung  einer  lUufteu  Schulstelle  beecblobsen. 


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Die  Btmwberger  Stadtscfauto. 


IIS 


die  Stadtschule  diejenige  Achtung,  die  ihr  gebührt,  die  ihr  aber  aeit 
Jahrhunderten  yersagt  worden  war. 

Was  hierzu  aber  ganz  besonders  beigetragen  hat,  war,  dass  man 
ffir  das  Rektorat,  den  Posten  des  verantwortlichen  Schulleiters,  auch  den 
rechten  Mann  fand,  der  es  verstanden  hat,  „durch  sein  rahmwfirdiges 
Beispiel  das  gesamte  Lehrerpersonal  zu  gleich  unermüdlicher  und  gewissen- 
hafter Arbeit,  wie  sie  ihm  eigen  und  ein  Bedürfnis  war,  zu  beleben* 
und  der  stetig  sich  entwickehiden  Schule  in  allen  Kreisen  der  Bevölkerung 
Anerkennung  zu  verschaffen.  Dieser  Mann  war  der  Rektor 

59.  Johann  Heinrich  Benjamin  Zschiesche.  >) 
Ebenso  tief  durchdnin^^en  von  den  heiligoii  Pflicliten  seines  schweren 
Berufes,  wie  ausgerüstet  nnt  hervorragender  }*ä(lagogischer  Tüchtigkeit, 
hat  derselbe  über  ■")()  Jahre  lehieud  und  leitend  an  der  Schule  gewirkt; 
die  überreichen  Elnningeu,  die  ihm  anlässlich  seines  -lOjährigen  Jubiläums 
dargebracht  wurden  (2.  Mai  18ü8),  waren  das  schönste  uud  beredteste 
Zeugnis  dafür,  dass  er  nicht  allein  die  volle  Anerkennung  der  städtischen 
Behörden,  sowie  der  Königlichen  Regierung  gefunden,  sondern  es  auch 
verstanden  hatte,  in  den  Herzen  ungezählter  Schüler  das  GefQhl  wärmster 
Dankbarkeit  und  liebevollster  Wertschätzung  zu  wecken  und  sich  über 
das  Grab  hinaus  zu  sichern.  Eine  Gedenktafel  in  der  Schule  und  die 
„Rector  Zschieeche- Stiftung^,  von  ihm  zur  Unterstützung  braver  und 
fleissiger  Sdiüler  bestimmt,  wird  noch  fernen  Generationen  seinen  Namen 
und  seine  Verdienste  verkündigen,  Er  starb  im  Jahre  1880,  als  hoch- 
betagter, ehrwürdiger  Greis,  dem  bis  zum  lezten  Atemzug  die  Schule 
das  Liebste  war,  als  einer  der  letzten  Veteranen  aus  dem  Befireiungs- 
kri^,  ein  treuer  Streiter  auch  im  Kampf  für  das  Blühen  und  Gedeihen 
der  Stransberger  Stadtschule. 


')  Am  17.  Oktober  1793  in  Cottbus  geboren,  iu  Berliu  auf  der  Parochialachole 
aad  deiDa  Gymnuliim  mm  graneii  KloBtar,  von  1806  mb  anf  dem  Stettlner  GymnMiiim 
TOigebildet,  folgte  er  1813  als  Primaner  dem  Rof  des  Vaterlandes  mid  KOol^  und 

focht  als  freiwillip'  r  Tjiger  des  Pommerechen  Qrenadierbataillons  hi  den  Schlachten 
▼on  Möckern,  Gross  Beeren,  Bennewitz,  Leipzig,  Hoohstraaten  uud  Oudenarde  mit 
solcher  Auazeichnung,  dass  er  zum  Leutnant  befördert  wurde.  Nach  dem  Feldzuge 
stodierte  er  in  Beiün  Philologie  wid  ÜMologie  wid  wurde  am  90.  Oktober  1618  als 
Bektor  in  StMoabeif  elngeffllurt  ~  Vgl.  Stenibeck  8.  108.  ~ 

A.  8 


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Ehemalige  Kämmereigüter  Strausbergs. 

B.  Seiffert 


Die  Oemarkimg  Strausbei^  ist  in  frfiheren  Jahrhunderten  grösser 
gewesen  als  jetst:  im  vierzehnten  Jahrhundert  gehörten  die  „Dörfer" 
Richardsdorf  und  Knnekendorf  zum  Kämmereibesitz,  von  1486  bis 
1617  zwei  „Dorfstatten**,  Gross  nnd  Klein  Efthnsdorf  genannt,  auf 
welchen  eine  Meieret  nnd  Schäferei  eingerichtet  nnd  unterhalten  wurde, 
und  von  1574  bis  gegen  die  Mitte  des  19.  Jahrhunderts  stand  unweit 
des  Marienbeiges  das  rathäusliche  Vorwerk  „ Wolfsthal*'.  Von  diesen 
Feldmarken  nnd  Ratsgütern  soll  in  nachstehenden  Blättern  die  Rede  sein. 

I.  Richardsdorf  und  Kunekendorf. 

Die  Urkunde  2  des  städtischen  Archivs  (Strausberg  d.  18.  Jan.  1354),  ^) 
laut  welcher  Markgraf  Ladwig  der  Römer  den  Ratmannen  und  der  Ge- 
meinde der  Stadt  Strausberg  die  freie  Rats-  und  Scliöftenwahl,  die  Zoll- 
gerechtigkeit  und  andere  Gefälle  bestätigt,  enthält  auch  folgenden  Passus: 
^ —  VortiiK  r  was  sie  haben  bynnen  ire  veltmai-^kf  bi  vnser  vorgenanten 
stat  an  hoitze  an  wassern  vnd  grase  an  garten  das  das  ire  sie,  als  sie 
das  vor  gebat  haben  vnd  bienamen  die  dori'fere  Rieliarstorph  vnd 
ku nekend or])h  ire  s allen  sin  mit  ahne  reclite  vnd  gnaden  als  sie 
is  vor  gehat  haben,  vnd  in  vor  geeygent  sin.**  Danach  muss  also 
vordem  ir^j^endwaim  d»M-  Rat  diosc  beiden  Dfufcr  erworben  haben  „in 
gemeiner  Stadt  Nutzen"  und  ihm  dieser  Besitz  uueh  sdion  früher  be- 
stätigt worden  sein;  ob  der  Erwerb  durcii  Kauf  stattgefunden  iiat  oder 
auf  den  Gnadenakt  eines  Markgrafen  zurückzuführen  ist,  mu8S  daliin- 
gestellt  bleiben,  doch  hat  die  zweite  Annahme  mehr  Wahrscheinlichkeit 
für  sich,  weil  sonst  siclu'rlirh  der  frühere  Besitzer  iu  der  Urkunde  er- 
wähnt worden  wäre,  wie  dies  zu  geschehen  pflegte. 

[Die  neben  den  ArcbivmateriKlieu  benutzten  Quellen  sind:  Fidicin,  Geschiebte 
dM  Oberbaniim  ~  derselbe:  da«  Earoüogiflche  Landbncb  —  Biedd,  Codex  diplom. 
BrandenbargeDOB  —  Fischbacb,  StstiBtigch'topograpbiscbe  StädtebeHcbreibung  der  Mark 
Brandenburg  1786  —  Perlitz,  Ms.  buriiss  looo  ,ier  Königlichen  Bibliothek  stt  Berlin  tt.  a.] 

i)  Cf.  Biedel  a.  a.  O.  I,  12.  Strausberg  No.  12. 

8* 


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116 


Ans  späteren  Andeutangen  geht  hervor,  dass  die  Feldmark  toü 
Richardsdorf  nicht  eben  bedeutenden  Umfang  gehabt  hat;  Fididn  nimmt 
es  an,0  Forlitz  meint  sogar,  beide  Dorfer  hätten  zusammen  nor  300 
Morgen  Land  ausgemacht.  Wir  werden  uns  daher  unter  diesen  „Dörfern" 
richtiger  wohl  nur  kleine  Vasallengflter  yoistellen  dürfen,  deren  erste 
Besitser  Richard  und  der  kleine  Kuno  Messen,  und  die  möglicherweise 
mit  Wohngebäuden  überhaupt  nie  besetzt,  sondern  von  den  anderswo 
ansässigen  Besitsem  in  Pacht  ausgegeben  waren. 

Wo  aber  haben  wir  diese  Dörfer  zu  suchen,  was  ist  weiter  aus 
ihnen  geworden? 

Von  Kunekendorf  meldet  das  Karoliugische  Landbuch:^  „Kuneken- 

dorf  iota  deserta.  Hemiiiigluis  etTyloRichenow  coluut  pro  uuno,  ad  servitiiim 
domiui  aliquot  matisi'*;  d.h.  e.s  war  1375  völlig  wüst  uud  einige  Hofen 
aus<,nMiomiiieii,  welche  zum  Dieiiät  des  Lainh  sherrcn  veriiflichtet  blieben, 
in  den  Be.sitz  der  Gebrüder  Reichenow  (nach  denen  ein  Dorf  ösÜich  von 
Prädikow  heisst)  bereits  übergegangen.  Daraus  und  aus  den  weiteren 
Schicksalen  der  Feldmark  schlicsst  Fidicin  mit  Recht,  dass  Kuuekendorf 
bei  Reichenow  gelegen  habe.  Er  sagt:-')  „K.  scheint  schon  damals  mit 
Reicht'iiow  verbunden  gewesen  zu  sein,  denn  mit  dicst'in  kam  es  an  die 
Familie  von  IVarfus  und  befand  sich  naeli  dem  Teiiungsakt^»  von  1485 
im  Besitz  des  Kuno  von  Bnrfns,  der  den  Kuiiikenddrf  mit  aller  Gerechtig- 
keit und  der  Sclinferei  zu  Kirlient)\v  imd  dem  Schal liol'  zu  seinem  Anteil 
erlialteii  sollte,  .b'dei'  Ilütner  zu  Kiehenow  war  veri)llichtet,  auf  den 
Kunikeudorf  jälirlich  5  Fuder  Mist  zu  fahren  [Riedel  XI,  429J.  In  keinem 
der  s[)äteren  llufeiuegister  wird  diesn-  Feldmark  weiter  gedacht.  Die 
liartus  blieljen  Iiis  ITTjS  in  Besitz  derselbi'U,  dann  wurile  sie  zum  Ritter- 
gut Reichenow  verkauft.  Kuch  1825  w'ird  sie  als  Vorwerk  mit  4  Ge- 
bäuden autijeführt,  in  welchen  25  Mensclien  Nvohnten,  seit  1841  fehlt 
sie  in  der  topographischen  Üliersielit  des  iü  i^ierungsbezirks.  —  Eine 
Niederung  westlich  vom  Dorf  Reichenow,  zwischen  diesem  und 
dem  Neuen  See,  heisst  noch  jetzt  das  „Kuui kendorfer  Lu(  ii.'' 
Dass  dies  frühere  Besitztum  so  weit  ab  von  der  Stadt  Strausberg 
lag,  darf  nicht  befremden,  nennt  doch  das  Laudbuch  auch  mehrere 
Strausberger  Einwohner  als  Eigentümer  von  Liegenschaften  in  Prädikow, 
Grunow,  Wilkendorf,  Wilmersdorf,  Gersdorf,  Beiersdorf  und  Frendenberg. 

T  

•)  Gesch.  dv'S  ( >b(  rbuniim  S. 

*)  S.  76.  Die  Matnki  l  des  I'.istuin.s  Brüinlenburg  nach  Probsteistühlen  geordnet 
—  Riedel  18  S.  418  —  ueunt  hinter  „Ötrutzberg  oppidum"  die  Dörfer  „Kunekendorp, 
Bieh«rttoip.<*  Beide  Dörfer  mflssen  flbrigeos  sehon  froher  wflat  gewesen  Min,  wenn 
auch  in  der  Urkunde  von         davon  nichts  steht;  denn  fOr  die  Zwlschenstit  Usst 

sich  absolut  kein  Ereignis  geltend  machen,  welches  zum  Untergänge  derselben  mit- 
'jewirkt  hal>en  .sollte.    Fidicin  nimmt  als  UrSftChe  die  VerheenUDgen  des  SChWMISMl 
Todeti  all.  cf.  Oberbaruim,  üauleitong  VI. 
*)  Oberbsmim  S.  49. 


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Ehenudige  Kftmimwreigflter  Stroasbeiss. 


117 


Rirhnrdsdorf,  meint  nun  Fidicin*)  weiter,  „hat  wahrscheinlich 
neben  Kimikendorf,  Reichenow,  Möglin,  Metzdorf  und  Batzlow  gelegen, 
die  Feldmark  ist  jedenfalls  nicht  von  bedeutendem  Umfang'  gewesen." 
Diese  Vermutung  muss  jedocli  als  irilümlich  bezeichnet  werden. 

Allerdings  wird  Richardsdorf  weder  im  Landbueh,  noch  im  Schoss- 
register  von  1451  genannt,  ebensowenig  aber  findet  sich  irgend  eine 
Andeutung,  dass  dasselbe  in  anderweitigen  Besitz  übergegangen  sei. 
Wir  müssen  daher  unbedingt  annehmen,  dass  es  bei  Strausberg  ver- 
blieben ist  und  durch  die  völlige  Versciunelzung  mit  der  übrigen  Ge- 
markuufi;  Sti-ausbergs  schon  sehr  früh  den  Charakter  und  die  Bezeich- 
nung einer  selbständigen  Feldmark  verloren  hat.  Eine  Erinnerung  an 
diesen  Vorgang  hat  sicli  jedoch  in  der  mündlichen  Überlieferung  er- 
halten, ja  bis  auf  den  iieutigeu  Tag  wird  behauptet,  die  Bürgerkaveln 
am  nordwestlichen  Ufer  des  Strau.ssee  nach  Gielsdorf  und  Wilkendorf 
zu  seien  früher  Dörfer  gewesen;  aber  auch  scliriftliche  Zeugnisse  lassen 
sicli  dafür  lieibringen,  die  freilich  Fidicin  nicht  gekannt  haben  dürfte. 
Es  bemerkt  nämlich  Magister  Engel,  der  märkische  Geschichtsschieiber 
aus  Strausberg,-)  zu  der  Urkunde  von  {'A'>4:  „dass  da  (seil,  auf  der 
Feldmark  von  Richardsdorf  und  Kunekendorf)  jetzund  die  Kageln  ge- 
macht werden  jenseit  dem  Strauss."  Hierauf  lege  ich  um  so  mehr  Ge- 
wicht, als  gerade  während  seiner  Amtszeit  die  Kavidfrage  in  der  Stadt 
äusserst  lebhaft  diskutiert  wurde  infolge  eines  Rezesses,  welcher  dui'ch 
Vermittelung  kurfürstlicher  Komnuesare  am  9.  December  1591  zwischen 
Bürgerschaft  und  Rat  errichtet  worden  war  und  unter  anderen  anch  die 
Bestimmung  enthielt,  es  sollten  sämtliche  Eaveln  den  Büigerhftusem 
erb-  und  eigentümlich  zugelegt  werden.')  Auch  Perlitz,  der  seine 
„Micrologieen*'  Über  Strausbergische  Verhältnisse  im  Jahre  1825  zum 
Abschluss  gebracht  hat,  giebt  der  überlieferten  öffentlichen  Meinung  in 
derselben  Weise  wie  Engel  Ausdruck,  desgleichen  Fischbach/)  der  die 
Materialien  zu  seiner  Stadtbeschreibung  vom  damaligen  Ma^strat  er- 
halten hat  Jede  mündliche  Überlieferung  erleidet  im  Laufe  der  Jahr- 
hunderte Umwandlungen,  sei  es,  dass  sich  allerlei  Dichtung  um  den 
ursprünglichen  Kern  der  geschichtlichen  Wahrheit  hemmkrystaUisiert, 
oder  dass  man  einen  schliditen  Vorgang  über  Gebühr  aufbauscht:  genug, 
an  der  Thatsache,  dass  der  obenbeschriebene  Teil  der  Bürgerkaveln  aus 

')  Ebenda  S.  öl. 

«)  Annales  fol.  157.   Breviarium  f.  G5.   Engel,  15G2  in  Straasberg  geboren,  war 
Rektor  der  Skadtaclrale  1684  —  1667,  dann  rem  1692  —  1698  Ffener  und  Inspektor. 
*)  Darana  wurde  aber  exet  im  Jahre  1772  wirklich  etwas. 

*)  a.  a.  O.  8.  45Ü.    An  Perlitz'  mehr  oder  minder  gewagten  Ausführungen  nber 
das  nmtinaaaliche  Ende  der  eheinaligfn  Dörfer  und  andcro  1  ra^jiLii  aus  der  alteren 
Geschichte  der  Mark  erkennt  man  luancbmal  den  sonst  so  niicliiernen  Veratandes 
menschen  kaum  wieder,  so  sehr  ist  er  in  gewissen  Vomrteiteii,  namentlich  über  Stiaiia« 
beigs  ehenialigen  ^i^Ockseligen  Ztutaad**  und  Grosse^  befangen.  — 


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118 


B.  Seiltet: 


finer  tVfiiulen  Feldmark  (mtstanden  ist,  darf  m<m  zwar  nicht  rütteln, 
nur  ist  es  völlig  aiisg:osrtilr)Sscn ,  dass  os  diejenige  von  Knnokendorf 
«gewesen  sei:  saj^en  wir  aber,  diese  Kavelländer  sind  die  ehe- 
malige Feldmark  von  Richardsdorf,  so  füllt  Engels  Na<-lincht  die 
Lücke  in  der  Fidieins(  lien  Foi  schiing  aus,  und  letztere  dient  dazu,  die  uralte 
örtliche  Üherlieferuug  auf  da^  rechte  Mass  geschichtlicher  Gültigkeit 
zurückzuführen. 

Ii.  Kähusdorf. 

Über  die  Lage  der  K&hnsdorfer  Feldmark  —  denn  nur  von  einer 

solchen,  nicht  von  einem  eigentlichen  Dorf  kann  auch  dabei  nur  die 
Rede  sein  —  sind  wir  genauci-  orientiert,  weil  sich  der  Name  nicht  allein 
in  einem  bestimmten  Revier  der  Pi(»tzeler  Forst  eihalten  hat,  sondern 
auch  für  ein  Einzelgehöft  am  Rande  dieses  Waldes,  im  Schnittpunkt 
des  Prötzel-Klosterdorfer  und  Pradikow-Strausbei^ger  Weges:  sonach  stiess 
dieselbe  direkt  an  die  Strausberger  Gemarkung  und  grenzte  an  die 
Felder  von  Wilkendorf,  Prötzel,  Prädikow  und  Klosterdorf. 

Da  Fidicin  mehrere  Urkunden  unberücksichtigt  lässt,  behandelt  er 
die  ältere  Geschichte  des  Kähnsdorf  nicht  vollständig,  auch  nicht  überall 
»utretfeiid;  um  daher  das  Sachverhältnis  zu  klären  und  definitiv  richtig 
zn  stellen,  wollen  wir  das  Urkundenmaterial  noch  einmal  durchgehen. 

Im  Landbnch  steht:  »Magna  Eenstorf  sunt  XXX  mansi,  qaoram 
Betkinns  Radow,  prefectus.  in  Stmtzberg,  cnm  fratribus  habet  X  ad 
cnriam,  Petze  Rudenitz,  civis  in  Stmtzberg,  cum  fratribus  XX  ad  curiam"; 

ausserdem  ist  in  dem  alphabetischen  R«'gister  n  u  li  ein  parva  Konstorf 
au%eführt,  doch  enthält  das  eigentliche  Verzeichniss  der  Güter  keinerlei 
weitere  Andeutung  über  <lasselbe.  Aus  dieser  ältesten  Nachricht  ent- 
nehmen wir  also,  dass  die  Feldmark  in  zwei  Teile  zei  tiel,  von  denen  der 
grössere  20,  der  kleinere  10  Hufen  umfasste,  und  dass  zu  jedem  dieser 
beiden  Dorfgüter  ein  üof  gehörte,  von  denen  5&  Jahre  später  nur  noch 
einer  vorhanden  war. 

Die  Unters(  lieidung  von  Gross-  und  Klein-Kähnsdorf  erhält  sich  in 
den  I  rkumlen  bis  14S7,  verschwindet  mit  1492,  wo  dem  Strausberger 
Rat  der  Erwerb  der  FeUhnark  vom  Kurfürsten  bestätigt  wird,  und 
erscheint  nirgends  mehr  in  den  Knnnnr'reibüchem  oder  Akten  des  16. 
und  17.  .Tahrhunderts.  Ich  bin  zu  der  Überzeugrmg  gekommen,  dass  es 
ein  Fehler  des  Landluiches  ist,  wenn  es  ein  Klein-Kähnsdorf  auftuhrt, 
das  als  noch  ausseihalb  der  30  Hufen  von  Gross-Kälmsdorf  liegend  zu 
denkeu  wäre,  und  behaupte  meinerseits,  dass  in  eben  der  Einteilang 


' )  8.  76.   Die  BistninsmAtrikel  yoa  1450  nennt  sie  „Kynstorp  magna  et  parm". 
Uiesa  der  altaate  Beaitaar  KObne? 


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EbflUDsligs  KlnumnigfttM  StnuiBbciSB* 


U9 


in  20  und  10  Hufen  der  Unterschied  von  Gross-  and  Klein- 

Kähnsdorf  ausgedrückt  wird. 

In  der  Zeit  von  1375  bis  1408  kam  die  Familie  Schönebeck  in  den 
Besitz  von  Gross-  und  Klein-Kähnsdorf,  verkaufte  al»er  in  letztgenanntem 
Jahr  dns  kleinere  Gut  an  den  Strausberger  Bürger  Hans  Colpyn,  dem 
Markgraf  Jobst  dasselbe  bestätigte:')  »Das  wir  — dem  Ersamen  hannes 
Colpyn  Burger  zu  Stniszberg  vnd  seynen  erben  —  leyhen  —  czwey 
stueken  geldes  In  dem  gute  zn  wenigen  kensdorff  bey  Struszberg 
gelegen  mit  allen  Iren  nuczbarkeiten  vnd  zugehorungen  gleicherweise 
als  sy  d ie  Schoneheken  bis  herczu  gehabt  vnd  besessen  haben  — 

Von  Colpyns  Sohn  Claus  kaufte  142'.*  Peter  Schönebek  der  Vater 
das  Gut  zurück;  der  Lehnbrief  des  Markgrafi'n  Johann  -)  sagt:  „ —  das 
wir  vnserm  lieben  getrewen  peter  Schön ebekeu  czwey  stin  ken  ueldes 
in  dem  gute  zu  wen  ij^i- ü  kensdorff  bey  Straussi>erg  gelegen  zu  einem 
rechten  niaiilehu  mit  aUen  ireu  nuirzen  vnd  zugehorungen  Als  die 
Claws  eOlpin  vnd  sein  fürfait-n  Innen  gehal)t  haben  von  dem- 
selben colpin  er  di««  gekaufft  -  ßahi  darauf  aber  niuss  Peter  Schöne- 
beck gestnrhon  sein,  denn  im  nächsten  Jalir  bestätiirt  ')  Markgraf  Johann 
seinem  Solm  Peter  das  väterliche  Erbteil  und  den  Ankauf  des  brüderlichen 
Anteils  an  Gross  -  Kähnsdorf :  ^—  das  w  ir  vnserm  lieben  getrewen 
peter  Schönebeken  purger  zu  Straussberg,  Siben  Unten  zu  grosssen 
kenst<jrff,  die  er  von  seinem  bruder  claws  Schönebeken  gekauft't. 
darza  dreyczehn  hüben  vnd  den  hoff  zu  grossen  kenstorff  in 
aUermass  als  das  alles  sein  vater  seliger  besessen  vnd  anff  jn 
g€  erbet  bat  zn  einem  rechten  manlehn  gelihen  haben  — Wenn  nun, 
wie  nicht  za  bezweifeln,  diese  Urkunde  den  eben  erfolgten  Antritt  des 
Yatererbes  beweist,  so  ist  aafTallend,  warum  des  ein  Jahr  mvor  zurück- 
gekauften Gutes  Klein-Kähnsdorf  keine  Erwähnung  geschieht;  es  mnss 
denmach  angenommen  werden,  dass  dasselbe  deswegen  nicht  zur  Ver^ 
erbung  gekommen  ist,  weil  es  zuvor  schon  wieder  veränssert  worden 
war.  In  der  That  erwerben  die  Brflder  Claus  und  Peter  Schönebeck 
1489  „czehn  hüben  landes  zcu  kenssdorff  gelegen  mit  allen  vnd  iglichen 
derselben  hüben  acker  zugehomngen  vnd  gerechtigkeiten,  alse  die  —  Tile 
kerckow^}  biss  her  Innegehabt  besessen  vnd  gnossen  hat,  zcu  einem 
rechten  manlehn  —  derselbe  TUe  kerckow  jn  die  obgeschreben  hüben 
uerkoufit  — " ;  0  wenn  diese  Hofen  zu  Gross-Kähnsdorf  gehörten,  dann 
wfirde  dies  die  Urkunde  sicherlich  ausdrücken,  wie  die  von  1430.  Ich 


•)  d.  d.  Berlin,  22.  November  UüH.  Perg.  Urk.  32.  cf.  Riedel  1, 12.  Strausberg  Nr.  19. 

^  Berlin  d,  .10.  JfimiHr  1429.  Perg.  L'rk.  85.  cf.  Riedel  1,  1-2.  Strausberg  Nr.  37. 
»)  Strau.Hbi  r-:  .1  Juli  1430.  Perg.  Urk.  30.  cf.  Riedel  I.  12.  Strausberg  Nr.  40. 
*.i  Nicht  ahar  auch  dessen  Vorfahren. 

*)  BefUtignng  dea  Markgrafen  Friedrich  .dea  Jttngeren",  Beriin  d.  26.  Nov.  1430« 
Perg.  Urk.  88.  Biedel  I,  12.  Straoaberg  No.  46. 


^  ij .  .-Lo  Ly  Google 


120 


B.  SeilCeit: 


ndime  sie  daher  für  Klein-Kähnsdorf  in  Anspruch  und  bin  dessen  um  80 
gewiaser,  als  in  der  nächstfolgendun  Urkunde  von  1442,  ohne  dasB  von 
einer  Neuerwerbung  die  Rede  ist,  Peter  Schönbeck  endlich  als  e  i  n  iger  Be- 
sitzer beider  Teile  genannt  wird*):  „Wir  Fridrich  —  Bekennen,  — 
das  wir  vnnserm  lieben  getruwen  peter  Schönembeke  Borger  in 
vnnser  Stat  Strnssborg  disse  hirnachgeschriben  dörffsteden  mitnamen  die 
wüste  dorffstede  genant  «grossen  kenstorff  vnd  die  wüste 
dorffstede  genant  lutcken  kenstorff  mit  ackern  andern  Iren  zu- 
gehorung^en  mit  den  pfulen-)  vff  den  veltmarcken  darselbst  gelegen  vnd 
mit  allen  gnaden  freiheiten  vnd  gerechtikeiten  So  er  die  vormals  von 
vnnserm  lieben  Hera  vnnd  vater  seligen  vnd  vnnserm  lieben  Bruder 
Marggrauen  Juhannsen  zu  rechtem  maolelme  Inugehabt  vnd  besessen 
hatt,  —  geliehen  haben  — 

Aus  dem  bisher  Gesagten  ergiebt  sich  also,  dass  die  Familie  der 
Schönebecks  nach  1375  Besitzerin  der  ganzen  Feldmark  gewesen  ist  und 
nnr  zweimal  vorabergehend  den  kleinen  Teil  von  10  Hufen  veraussert, 
aber  auch  wieder  zurückgekauft  hat 

Bemerkenswert  an  dieser  letzten  Urkunde  ist  der  Ausdruck  «wflste 
dorfstede"»  der  hier  zum  ersten  Male  erscheint  Fidldn  behauptet, 
dass  E&hnsdorf  schon  längst,  wahrscheinlich  um  die  Mitte  des  14.  Jahr^ 
hunderts  während  des  grossen  Sterbens  wüst  geworden  sei  Ja,  warum 
aber  erwähnt  dann  das  Landbnch  davon  nichts?  Warum  idcht  die 
Urkunden  von  1406,  1429,  1430  und  1439?  Wie  schon  angedeutet,  mnss 
der  Hof  von  Klein-Kähnsdorf  zwischen  1375  und  1408  verfallen  sein;  es 
handelt  sich  nnr  um  den  Hof  zu  Gross-Kähnsdorf,  der  1430  noch  steht 
1442  aber  auch  verschwunden  ist,  so  dass  die  Feldmark  nun  die  Be- 
zeichnung „wüst"  erhält.  Unzweifelhaft  ist  er  1432  durch  die 
Hussilen  zerstört  worden,  welche  auf  ihrem  verheerenden  Zuge 
durch  die  Mark  auch  Strausberg  samt  den  umliegenden  Dörfern  aufs 
schrecklichste  heimsuchten  •'),  so  dass  der  Markgraf  Johann  sich  veranlasst 
fand,  der  Stadt,  „die  sölichen  gröblichen  schaden  Als  von  der  verdampten 
ketzere  wegen  leyder  empfangen  vnd  genommen,**  *)  auf  6  Jahre  die  Orbede 


>)  Beriin  d.  22.  April  1442,  Feig.  TJrk.  4a  Bied«I  I,  12  Strausbeig  Nr.  51  ist 
nur  ein  Vennerk  des  karfflitUicfaeii  Lehacopials. 

*)  Sa  iat  mir  nnbegrelflichf  wie  Fididn  [Oberbaniim  8. 86  f  ]  d«nniter  die  Familie 

V.  Pfuel  verstehen  kann,  die  nach  seiner  eigenen  Angabe  fS.  70]  erst  ntkeh  1459  in 
den  Besitz  von  Gieli^^lorf  luid  Wilkendorf  gelangten.  In  dem  KaniTortng  yoo  1487 
steht  an  dieser  Stelle;  ^mit  den  watern"! 

•)  Engel,  Annal.  f.  210  und  Breviar.  S.  93. 

*)  Spandau  d.  10.  Juni  1432.   Perg.  Urk.  14.   Kiedel  I,  12  Strausberg  Nr.  42; 
emenert  am  6.  Juli  1436  cl.  Biedel  a.  a.  0.  Nr.  46. 


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EhemaUge  Kftmmerelgater  Stnuubeig». 


121 


von  40  Schock  gänzlich  za  erlassen  und  ffir  weitere  6  Jahr  anf  die 
Hälfte  zu  ennässigen. 

1468  starb  Peter  Schönebeck;*}  beide  Borfst&tten  erbten  seine 
3  Söhne  Simon  Lorenz,  Simon  Henning  nnd  Matthäus: ')  eine  weitere 
Teilnng  des  Grundbesitzes  mnss  1473  erfolgt  sein,  denn  neben  dem 
erneuten  Lehnbrief  ^)  für  die  genannten  drei  Brüder  findet  sich  bei  Riedel 
ein  Vermerk  des  Lehnscopials,  )  wonach  ausser  ihnen  noch  drei  Vettern 
die  Belehnung  mit  beiden  Dorfstätten  „zu  gesampt  vnd  trcwor  hntiflt 
empfangen,"  Peter,  Meus  und  Lorentz.  Man  scheint  bei  dieser  Auseinander- 
setzung 8  Teile  gemacht  zu  haben. 

Im  Jahre  1486  und  1487  ent&usserten  sich  die  Schönebeks  ihres 
mehr  als  hundertjährigen  Familienbesitzes:  der  Bat  von  Strausberg  and 
der  in  Prädikow  begüterte  Claus;  Barfus  erwarben  die  Ländereien,  jener 
6^/s  Achtel,  dieser  1'/«  Achtel  der  gesamten  Feldmark. 

»Alssdenn  vnser  liebe  getrewen  Borgermeister  vnd  Batman  vnser 
Stad  StmCBbeig  das  virdendeil  der  wüsten  veltmarck  czu  kenss- 
torff,  Als  kerstian  vnnd  Bartolomens  Schonenbeke,  vss  der- 
selben voser  Stad  Struczberg  geboren,  von  vnser  herschafft  czu 
leben  gehabt,  vmb  bessemng  willen  vnd  czu  nncz  der  Stadt  recht  vnd 
redlichen  erbliclien  gekauft  — ;  haben  wir  —  iren  nachkommen  vnser 
Stadt  Str.  solch  vir ten  teil  der  wüsten  feltmark  czu  kenstorff  vorberurt 


')  Nach  Riedel  a.  a.  0.  Nr.  60  verlieh  der  Kurfürst  Friedrich  am  4.  Februar  1442 
Miidi  udein  gotshuas  vmiMr  lieben  fnmwen  pfu^rchen  in  vnnwr  stad  cm  stnubecg 
gttl«8|B  vmb  anldi  notdorft  vnd  annndt,  dar  Innen  es  vanniltelBt  von  verderbnnge  der 
▼ertampten  kezerer  wegin  ist  komen",  zwei  Hnfen  I>flnd  iiu  benachbarten  Wesenthal. 

')  Auch  Claus,  sein  Bruder,  starb  in  diesem  Jahr,  wif  aus  folgendem  Erbstreit 
zwischen  der  Witwe  und  ihrem  Sohn  hervorgeht:  „Diderick,  vau  gots  gnaden  Bischop 
tho  Brandebofsh.  Ynaen  gtinatighen  grudt  touor,  Brsamen  Mewen  beanndeni.  Bie  vna 
▼nd  andern  vnaee  gnedig^en  herm  Maiggrauen  reden  iaa  geweat  Clawea  aehonebekin 
nagelathen  wedewe  vnd  hedt  vns  vndirricht,  wo  dath  Clawea  aehonebeke  eynen  son 
gelaten  hedt,  gnaiith  Simon  sc!ioni'l)cke,  dar  sie  si'  h  denne  mede  gnmthch  vor  loffl 
werdighen  luden  wol  entscheiden  liedt,  also  datli  sie  alle  schuldt  vnd  wederschuldt  to 
sich  nemen  schal  vnd  so  sollin  or  alle  erfguder  gefallin.  Ok  so  iss  etUch  koru  gessegedt 
TP  dea  aelwiiiben  Glawea  aehonebekin  nagelaten  lande^  wdeh  landt  lebn  iaa,  y«n  desa 
we^dn  denUth  lieh  eyn  aon  Simon  dea  selwighen  roggin  tho  Tndirthvn.  Vnaere 
raeynunge  is?«  awer,  dat  sodan  ropghc  nicht  lehn  sunder  erwe  iss,  nadem 
die  egede  dnina  geganpeu  iss,  alss  die  rechte  clerlich  vthwisen.  Worumme 
beghern  wy  van  Iw,  dath  gie  Juwen  borgher  Simon  Schönebeck  also  vndirrichten,  dath 
he  der  aehrigen  firawen  aodane  kom  fredeaam  lathe  volgbin.  ->  —  Datum  Berlin,  vp 
vnsem  hove,  am  aondai^e  na  PanChaleonia  [3L  JaU]  anno  1468.  Den  Eraamen  Boigher- 
meistem  vnd  Rathmannen  to  Stmtibeigb,  vnami  Uewen  beanndem."  cf.  Iföedel  I,  24. 
8.  448  Nr.  159. 

»)  Lehnbrief  vom  5.  März  I4G8.    Perg.  Urk.  41.  Riedel  I,  12  Strausberg  Nr.  67. 
*)  Perg.  Urk.  42  vom  14.  Oktober  1478.   Riedel  a.  a.  O.  Nr.  öa. 
*)  Riedel  I,  12  Stranabefg  Kr.  68. 


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122 


vpreij^ct  — ')  so  heisst  es  in  der  Bestätigan^  dos  Mark^^rafen  Johann 
vom  5.  März  1480 :  dass  aber  uiitor  dorn  „viertenteil"  —  es  niiiss  ein 
Schreibfell  1er  sein  —  nicht  ein  Viertel,  sondern  »vier  Teile"  zu  verstelieu 
sind,  geht  aus  der  Urkunde  von  1492  hervor. 

Nach  (l'-m  Vertrat:«'  vom  27.  März  14S7  verkaufen  dann  die  Gebrüder 
TiOrenz  Simon  imd  lleuiiiii;^  7, den  Er.sanien  H«»ri;enüeistern  vnd  Ratniannen 
werck  vjiud  fjremeynen  die  n\v  siiit  vnd  ewiglich  werdenn  mögen  der 
Stat  Strutzeberg  die  wiisteii  veltniai ckenn  met  nhamen  den  groteii 
k  e n  s t o r p  V n d  den  k  1  e i n e n  k e n s t u r p  m et  a  1 1  e n n  o r e n  t o b e h  o r i  n g c n 
awerstenn  vnd  ne d erste nn  ge richte nn  met  holtingen  eckeruGre- 
singen  waternn  vnnd  weidenn  dar  tho  eine  frie  Scheperie  vnd 
sust  met  allen  andern  nuttinp:en  vnd  gerechticheidenn,  nichti^nicht  vth- 
genamenn.  So  alse  dat  van  viinsen  oldern  vnd  vedderu  an  vus  ge- 
kamen Js  vnd  in  gebrukender  were  bisher  gehatt  hebbenu.  Die  ob- 
gemelten  wüste  veltmarckenu  holden  in  sich  achtdeil  darvan 
hat  Glaws  Barffte  anderhalff  deill  die  he  van  vnnsen  vedder  Mews 
Schonembeke  gekofft  vnd  ingeverenhat  So  blinet  der  StatStrntze- 
barg  Sonendehalff  deill.  —  Yor  Sodane  obgemelte  yeltmarcken  wn 
vor  bemrt  hebben  vns  die  Ergenante  —  wol  todaneke  gegenen  vnd  toge- 
uuge  betalet  dryvndesestieh  schock  groschenn  landsweringe — 
Merkwürdigerweise  hat  aber  die  Anflassnng  der  Feldmark  vor  dem 
Kurfürsten  erst  fBnf  Jahre  später  stattgefonden ;  die  Urkunde  vom 
29.  November  1492^)  rekapituliert  noch  einmal  den  Hergang  des  Ver- 
kaufs: nWir  Johanns  —  Bekennen  <~  Als  vnsr  lieb  getrewen  Bniger- 
maistr  vnd  rathmann  vnser  statt  Strausberg  Jn  vergangen  Jarn  vir  taili 
an  der  wüsten  veitmarken  zu  kenstorff  von  kerstian  vnd 
Bartolomeus  schonembecken  —  gekaofft  —  Haben  die  obgenanten 
—  von  Lorentzen  Simon  vnd  Hennig  bmdem  den  schonpecken 
drithalben  taill  an  der  obbeschriben  veltmarck  kenstorff  zu- 
sampt  eyner  schefereyen  —  gekaaft  —  die  vollständige  Bezahlung 
erfolgte  sogar  erst  am  1"?.  Feltruar  1498,  wie  ein  l)ei  Fischbach  ^)  auf- 
bewahrtes Ratsprotokoll  bemerkt:  „Anno  140<S  Dormerdach  ua  Valentin! 
geschin  is,  dat  dye  Krssame  Stadt  dem  Schönebeckenn  wol  tho  dancke 
vnd  wol  tho  willeuu  den  Keustorp  betalt  vnd  vornuget  het,  vnd 
die  ßetaiinge  geschin  iss  inn  Zcimon  Schönebeckenn  Uuss,  vnd  £r 
Bartolomäus  Sch.  enthphangheu  lietii  dy  Betalinge.** 


')  Riedel  l  l'J  Htmu^iterK'  No.  (is-  die  Verkäufer  wohnten  also  nicht  in  der  SUdU 
*i  Perg.  Urk.  44.  Riedel  a.  a.  0.  No.  7U. 

F«rg.  Urk.  4«  Riedel  «.  a.  O.  No.  72. 
«)  Bistoriech  poUÜBche  Beitrflge  1783,  U  8.  387. 


Ehemalige  KAmmereigater  Strauabergs. 


128 


Ixk  welcher  Weise  nun  hat  der  Rat  die  Feldmark  Kähnsdorf 
(Jcöostorph,  kinstorp,  keyenstorff,  kehenstorpf)  bewirtschaftet  nnd  genutzt? 

Als  Hauptgiund  für  den  Erwerb  derselben  ist  meines  Erachtens 
anzusehen,  dass  der  Boden  ausgedehnte  Lehmlager  enthielt,  die  bei  der 
Ziogelfabrikation  des  Rates  eine  wichtige  Rolle  spielten.  Welch 
schwunghaftes  Geschäft  mit  den  Fabrikaten  des  rathäuslichen  Ziegelofens 
in  einem  Umkreise  von  vielen  Meilen  betrieben  wurde,  habe  ich  an  andrer 
Stelle^)  auseinandergesetzt:  es  ist  bezeichnend,  dass  mit  dem  Verlust  des 
Kähnsdorf  auch  der  Ziegelofen  seinem  Verfall  entgegenging,  denn  auf 
den  eigentlichen  Strausberger  Hufen  fanden  sich  nur  vereinzelte  Nester 
nnd  danach  wollten  die  Bürger  ihre  Äcker  nicht  dorchwühlen  lassen. 

Die  sonstige  Verwaltung  und  Bewirtschaftung  der  Acker- 
iind  Waldfläclieu  wird  aus  den  Aofzeichnungeu  der  Kämmereibücher 
und  Rechnuugsakten  von  1530  bis  1625  ziemlich  klar:  die  Felder,  von 
denen  einige  besondere  BenoinuDgen  erhieHen,  —  so  „das  lange  feld  an 
prettzel,  die  beiden  felder  an  wilckendorpp  nha  der  ketelpfanne  vnd 
flachsberge,  die  beiden  mittelfelder  an  den  hohenberg**  wurden  an 
Bauern  von  Wilkendorf  und  Prädikow  in  Pacht  (Kornpacht)  ge- 
geben, die  näher  gelegenen  Ländereien  auch  wohl  an  Bürger  aus  der 
Stadt.  Die  Parzellen  richtig  zu  teilen  (tomethen),  sie  anszubieten  und 
den  einzelnen  Pächtern  anzuweisen  und  sonst  nach  dem  Rechten  zu 
sehen,  war  Sache  der  beiden  »Lehnherren**  ans  dem  Ratskoll«ginm, 
die  fnr  ihre  Muhwaltung  jährlich  je  zwei  Scheffel  Deputatroggen  bekamen. 
Der  Waldbestand  war  in  Reisigkaveln  eingeteilt  und  gegen  Biirzahlahg 
auf  je  ein  Jahr  gleichfalls  an  Bauern  in  Nutzung  ausgegeben.  Die  Ein- 
nahmen schwankten  natürlich,  oft  blieben  die  Pächter  im  Rückstand, 
man  erliess  auch  wohl,  wie  z.  B.  1556,  «den  halben  pacht,  weil  sie  hagel 
vnd  vngewitters 2)  halben  grossen  schaden  genommen";  im  Durchschnitt 
erzielte  der  Rat  jäbrlicli  an  Kampacht  Ii  Wispel  Roggen  und  1  Wissel 
Hafer,  wovon  vorweg  dem  Pfarrer  an  St.  Marien  18  Schettel  Roggen  und 
14  Scheffel  Hafer  als  sog.  Messkorn  oder  „Kornlohn'*  gereicht  werden 
mussten,  und  an  Lösegeld  für  die  „Rysskaveln"  2  bis  3  Schock  Groschen. 

Von  den  Gewässern  (Pfuhlen)  der  Feldmark  war  in  jenen  Zeiten 
„der  Schützensee''  noch  tischbar,  darum  wurde  er  an  einen  Liebhaber 
gleichfalls  verpachtet,  brachte  aber  nur  wenig  ein. 

Im  Jahre  ir)59  erscheint  plötzlich  in  den  Rechnungen  ein  „Meier 
auf  dem  Kensdorf",  ferner  geht  ans  einem  Kammergerichtsabschied 
hervor,  dass  der  Rat  1580  auch  eine  Schäferei  einrichtete:  von  den  ge- 


')  Yg^.  dea  Vei^aers:  »Des  Rates  ZiegeiMm  und  die  aog.  Kalkgereehtigkeit  der 
8Udt  Stnuubag«  180O. 

*)  YgL  ditm  Eogdft  Ann.  f  -  864  und  865. 


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124 


B.  Seiflert: 


nannten  Zeitpunkten  an  bleiben  denn  aaob  diese  Einnahme-  bezw.  Ausgabe- 
titel  bestehen.  *) 

Demniich  Hess  der  Rat  fortan  einen  gewissen  Teil  der  Tiändereien 
durch  den  Meier  zum  Nutzen  des  Rathauses  howirtscliafton.  der  Ertrag 
wurde  teils  bei  den  Stadt]>t(Mden,  die  zum  Dienst  des  Kurfürsten  tre- 
halten  werden  mussten,  verfuttert,  teils  ziii'  Tiöhnung  der  Stadtdieuer 
verwendet,  was  übri^  blieb,  an  die  Biirj^er  auf  Wunsch  verkauft.''')  — 

Der  Besitz  der  Feldniark  ist  aber  auch  eine  Quelle  vielfacher 
Verdriesslichkeiten  und  Streitigkeiten  für  den  Rat  f^^eworden,  die 
hauptsächlich  durch  unberechtigte  Ansprüche  der  adligen  Guts- 

*)  Es  liegt  ein  „Vertragks  Zettel''  von  1687  besagUch  des  Schäfers  TOr,  der- 
selbe lautet; 

„1587  Am  Tage  Michaelis  liat  E  E.  Rath  zu  Straussbergk  Valentin  Buaaewitzen 
vff  den  KenstorfT  drey  .Ihar  lanpk  vfs  dritte  zu  sitzen  ft\r  einen  scheffer  angenommen 
Vnd  gibt  Ihme  ein  Ruili  Jehriieh  zu  lohne  wegen  der  huetunge,  Andertbalben  Winapel 
Bocken,  Daxgegen  batt  Vahitiii  BusBewils  uigelobt,  dem  Bathe  160  heabt  Webnehaffe 
sa  sntreiben,  deren  aoU  ibme  ein  Rath  ihren  Antheill  aUs  hundert  heubt,  Jeder  henpt 
für  19  sgr.  thnt  79  thl  4  sgr  bezahlen.  Vonn  der  Wulle  vnd  dem  Mulcken,  so  vonn 
den  150  schaffen  gefallen  wirdt,  Weil!  von  der  WuUc  dem  Rathe  -J  tlieill  zukommen, 
Dz  Mulcken  aber  vonn  den  150  schaffen  dem  Käthe  gar  allcine,  Vudt  was  ein  Rath 
dem  Bcheffer  aleo  Jehriieh  beialeo  wirdt,  soll  Hüne  vfl  die  Heabtramme  der  79  Twin 
4  Bgr  gektirtst  werden.  Weilt  er  aber  aneb  biemeben  den  acker  vlelaig  beatellan  aoU, 
batt  Ihme  ein  Rath  das  erste  Ihar  die  saath  gerste  vnd  saath  liafer  vorzustreckni  zu- 
gesagt. Vnd  wen  er  Jngeaugstet  halt,  So  soll  er  dem  Rathe  das  vorgestrackte  Saath- 
koru  wieder  geben.  Wen  er  auch  dz  andre  Jhur  die  Wiutersaath  segen  wirdt,  will 
Jhme  ein  Batfa  den  Bocken  darni  ancb  vontrecken,  Vndt  wen  er  den  "Botskea  Jn- 
aogsten  wirdt,  so  sdl  er  dem  Bathe  den  vorgestrackten  Bocken  auch  wieder  geben. 
Dess  sn  mebrenn  glauben  habenn  sie  solchs  in  swey  anssgeschnittoien  Becesaen  vor* 
fassen  lassen.    Actum  zu  Straussbergk  Jlim  Jhare  vnd  tage  wie  oben  gemeldett." 

Was  der  Meier  erhalten  soll,  meldet  ein  Kilmmereibuch  von  1620:  „hat  4  fl  zu 
lolum.  7V,  Murgen  land  vter  das  rachtland  zu  winterkorne  vnd  4  Morgen  zu  Haller- 
bmd»  V,  sehlL  erbsen  sn  sehen  vor  s^er  eigen  sat,  1  Virt  Bflckgrflise  im  sehen  vor 
seiner  Sat»  %  sebf.  lein,  '/.^  sohf  hanffkorner,  1  fl  7  gr  zu  fische,  6  fl  11  gr  vor  ein 
AUsolioss  (?),  1  wsp.  13  schf.  Ro'^'acn  in-otkonie,  1  sclif.  gerston  ttt  gcdrenkc,  1  thl 
12  gr  zum  schwein.  4  thl  gersteii  zur  mastung,  5  virt  Salz." 

*)  In  einem  Rezeas  vom  9.  Dezember  1691  klagt  die  Bürgerschaft,  „dass  ihnen 
dem  Alten  gebraneb  nach,  Vndt  sondeilich  Zu  der  Zeit,  wen  das  Kom  beynottigk  ist 
der  Bath  kein  kom  Vom  Jeriichen  Zuwachs  Ans  der  May  erey  Zumessen  liatt  lassen 
Ein  Rath  Aber  hiorkcgen  die  beschwerunge  wegen  der  4  Pferde  so  sie  Churf.  G.  vndt 
sonRtt'ii  Ausfüttern,  Imgleichon  Auoh,  dz  sie  ihre  diener  Vntterhaltten  müssen,  Vor- 
gewendet.  Vndt  hierbey  auch  berichtet,  ob  gleich  Vor  der  Zeit  das  wenige  so  eie  der 
gemeine  Zuoorkeuffen  Vndt  Auszumesseu  gehabt,  vf  der  Cancsell  offendtlich  igt  Aus* 
gebotten  worden,  batt  sich  doch  niemandt,  der  sdchea  Znkanfl  begehrett  hette,  An- 
gegeben, Als  ist  dieser  Punkt  dahin  Verglichen,  was  ein  Rath  vber  ihre  Nottniflt 
Vbermass  ZuuerkaufTeii  IiaV^eu  wirdt,  dz  «ic  Vermöge  des  eingeführten  Alten  billichen 
gebrauchs,  Von  solchem  cint  n  Jeden  Scheffell  einen  sielber  groschen  wollfciler  Als 
der  gemeine  Kaufi  vfm  Marcke  ist,  der  Burgerschafft,  doch  vuib  bahre  bezahlungc 
sukonunen  Vndt  wen  ein  Bath  kom  also  vedassen  wtt,  das  er  sddies  sdtlicb  der 
gemeine  Buigerschaft  Von  der  Oaacsell  Anmelden  Uuisen  soll.*' 


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Ehemalige  Kämuiereigüter  Strausbergs. 


125 


iiacliliarii  Nfianlasst  wurden.  So  mnsste  im  Jährte  1528  (27.  Dezember) 
ein  Rezess  zwisclien  Claus  Barfus  von  Prädikow  und  dem  Hat 
geschlossen  werden,  welcher  die  beiderseitigen  Grenzen  und  Gerechtsame 
betreffs  der  Hütuug  und  Jagd  festsetzte;')  derselbe  lautet:  „Alss  sich 
errunge  geholden  twischen  den  Erbarn  fnnd  vestenn  Glansann  Barfft 
Erff^athen  to  Predikow  an  einem  vnnd  denn  Ersainenn  vnnd  Wysenn 
Borgenneisternn  vnnd  Ratmannenn  Werde  vnnd  gerne}  nde  der  Stat  Stmze- 
berg  am  andemn  Deüe  der  wfistenn  felttmarckenn  halwen  Eenstorp  ge- 
nanth,  ist  mit  beyder  Parte  fulbort  wetben  vnnd  WÜlenn  sulch  ermnge 
in  der  frenndtschap  beygelegt  entlich  vnnd  grondtlich  entscheidenn,  whie 
hima  folgeth,  alsso  det  gnante  Clanss  Barfit  vnnd  syne  Erwen  hebben 
vnnd  bebalden  willen  vnnd  sollen  denn  Acker  vf  dem  Eenstorp,  bewassen 
vnnd  vnbewassen  vann  der  groten  eyke  by  denn  flassberg  by  dem  wege 
so  von  PrGtzell  na  Wilckendorff  geit  vnnd  sodanne  die  grentze  entlangst 
bet  an  det  Wilckendorpsche  feldt,  whar  die  malhope  ein  vp  den  andern 
wisen  vnnd  wedder  van  der  vorgnanten  eykenn  an  inn  vnd  nesten  den 
Wilckendorpschen  wegk  entlangest  alss  die  Male  nacbwysenn  [bet  an  dat] 
pretzelische  feldt.  Dagegen  sollen  obgenannten  von  Strnsebefg  vnd  ehre 
nakomlinge  hebben  vnd  beholden  alles  was  tho  der  feltmarcke  Kenstorff 
geborett,  bet  an  dat  Predikowsche  Eyckholtt  vnd  von  dar  wha  denne 
die  male  anteigen  bett  wedder  an  dat  Protzelsclie  Eyckholtt  mit  allen 
gnaden  vnd  gerechtigheitten  also  -ic  det  gekofft  vnd  an  sicli  gebracht 
hebben  ladt  der  Kopbriefe  [darvberj  vtgangen,  Es  soll  audi  Glauss  Barfft 
syne  Erwen  vnnd  arme  leude^)  sowol  vp  der  vsin  Stnizoborg  feldt  des 
Kenstorps  als  syn  feldt  to  hüden  mechtig  sein  jedoch  iegiichen  die  dar 
ackern  ohne  schadenn.  Wehre  ock  ein  Raht  to  Struzebergk  oder  sunst 
jemandt  mit  des  Radts  vndt  der  stat  Fulbortt  vnnd  willen  vp  den 
Kenstoi'j»  eine  sche])oryo  vptoslan  willens,  soll  Ihm  die  hudun^e  vp 
beider  deile  ft^ldt  K(Mis;|(irjis  o(  k  vii^eliiiulert  gestadhct  werden,  desglicken 
soll  ock  ieglichc  Parti  vp  der  leltmarck  Kenstorp  nach  allerley  wiltbrath 
[to  jagenn  mechtig  sein.  By  vnd  vbei]  solcken  vordracht  sint  gewest, 
die  Erbarn  vnnd  vestenn  OttM  I  erniow  to  Klobbicke  hans  ßarftt  tho 
Bazelow  vnnd  Segenuuid  Borgi-stMi-p  tho  Pod<dtzke  gesethcn,  alle  vnd 
iegüche  j)uncte  disses  Recess  reden  vnd  gelowen  \Vy  vilgnantc^  Chius 
Barfft  vor  my  vnd  myne  Erwen  vnd  wy  Borgenneister  vnd  Ratmanne 
Werck  vnd  gemeynde  vor  vnss  vnd  vnse  nakomende  Borgeniieistere  vnd 
Ratmauue  der  stadt  Struzebergk  stetz  faste  und  vuiiorbrakeu  tho  holdende 
To  warer  Orkuude  hebben  wy  obgenaiulte  vnsere  Ingesigels  vor  viiss  vnser 
Erwen  and  nakomlinge  vnden  au  disseu  liecess  mit  [guder  witschapj 

*)  Nach  ebier  AbscbiUI  im  Axeblv,  di«  teilirdse  beschldigt  isl;  das  EhtgeUammerte 

enthält  meine  Konjektaren  an  iüokenhafteii  oder  imleMriicfaeii  Stdlen.  Die  ürinmde 

igt  b«i  Kiedel  nicht  aufgenommen.  — 

*)  Die  SU  Hofdienaten  verpflichteten  Kossäten  und  Tagelöhner. 


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126 


B.  Sfliffert: 


hangen  Istben  der  gegewen  ist  am  Sondage  awendt  Thome  Christi  ge- 
bort im  dnsent  funffhondert  vnd  acht  vnd  zwentragsten  jahr.**^)  Auf 
wessen  Seite  der  grossere  Vorteil  ans  dem  Vertrage  erwuchs,  ist  woÜ  klar, 
nm  so  dunkler  bleibt,  was  den  Rat  zn  so  weltgehenden  Eonzessionen  yer- 
anlasst  haben  mag,  namentlich  bezdglich  des  Jagdrechts,  worin  er  sonst 
so  empfindlich  war,  und  woran  aogenscheiDlich  den  Barfhs  am  meisten 
gelegen  gewesen  ist. 

G^einscbaftlii he  Grenzbesichtigangen  und  £rneuermigen  der Ureuz- 
zeichcn  (Nfalhope,  Malenstedc)  haben  von  Zeit,  zn  Zeit  ßtattgefnnden,  z.  B. 
mit  (it'ü  Barfus  1539,  1544,  „mit  den  pulen  wurde  die  Grentze  vnib 
wilkeudorpk  aafgemahlen*^,  d.  h.  neue  Grenzhaufen  f2:<'!nacht,  im  Jahre  1542. 

Das  fi  oundnachbarliche  Verhältnis  mit  den  Bai-fus  erlitt  lötiT  einen 
Stoss.  Balthasar  Barfus  hatte  eigenmächtig  einen  Schaf- 

stall  auf  seinem  Kensdorfer  Anteil  erbaut,  indem  er  in  willkür- 
licher Ansh'L;iiTin:  des  Rezesses  von  1528  annahm,  dass  ihm  dieselben 
Rechte  zustünden  wie  dem  Rat  von  Strausbei-g.  T.etztenT  liatte  merk- 
würdiger Weise  dazu  still  ucsch wiegen ;  und  so  fing  denn  Balthasar 
Barfus  ini  näclisten  .lahre  aucli  eine  Scheune  zu  bauen  an. 
Nuunielir  aber  eiiiob  <ler  Rat  Einspruch,  worüber  sich  seinerseits 
V.  Barfus  beim  Kurfürsten  l»eklagte: 

„  —  —  E.  (^hurf.  g.  kau  ich  nicht  vorhalten,  wie  von  Meinem 
hausse  predickow,  ein  irross  vierthel  weges  eine  feltmarcke,  keussdoiif 
genandt  gelegen,  an  derselben  feldtnuircke,  ein  Radi  zu  Straussbergk  zwei 
theil,  Icli  vnd  mein  brueder  Casper  von  Barfus,  den  dritten  tiieill,-)  an 
acker,  weide  gressunge,  huttunge,  holtzunge,  oberste  vnd  ui<lerste  gericlite, 
vber  vorwertte  Zeit  des  Rechten  vnnd  mensclien  gedencken,  ane  der  von 
Straussbergk  vnd  sonsten  Mennigliclies  vorliindei  uiige  i;ehal>t  vnd  noch 
habe,  woill  ich  al>er  vf  beruitter  feldtmarck  Stadtlichen  acker,  den  mir 
Meine  arme  leutte  bis  hero  beackert,  vnd  mir,  das  Korn  von  gedachter 
feldtmarcke,  vber  ein  gross  viertt«!  weges  nach  Predickaw  in  meine  scheune 
fiirren  müssen,  welches  den  armen  leutten  zw  weit  abgelegen,  Nbun 
woltte  ich  ihnen  derselben  beschwerunge  vnnd  dienste,  souiel  mir  Muglichen, 
leichtem  vnd  benhemen,  derohalben  ich  eine  seheune,  vf  genanttw  feldt- 
marcke, vnnd  auf  Meinen  grundt  vnd  bodan,  habe  lassen  aufbauen,  vnd 
dieselbe  aulzurichten  vnd  ferttigen  zu  lassen  im  vorhaben,  Dorein  kUk 
Ifein  korn  furren  vnd  vorwaren  kontte.  Domit  ich,  auch  die  arme 
leutte  sich  so  weitt  mit  dem  körne  nicht  schlepffen  noch  furren  dorffeo, 


*)  Darnntor  die  notwieUe  B^(laabigmig:  „Bus  diese  kegenwertifse  OopU  mit  dem 

rechten  vnd  wahrhaffÜgen  originnl  von  Worte  zu  Worte  gleieb  lautende  vbereinfltiinmet 
bezeuge  ich  [Carl  Ritter  au»B  l'iili.'itliclu r  maclit  vnnd  prt^wnlt  ofTenbalirer  Notarius  mit 
die»«  r  meiner  Iluud  |"  Die  KJamuier  luit  a1)er  Juli.  Audread  HimdertiuArk,  Batshenr 
1672  —  94,  auügestrichea  und  dafür  seineu  Namen  untergesetzt.  — 

*)  Kiehk  als  V«  vaA  Vi  m  vtnteben,  eondeni  Im  Sbine  dei  KmfvertngM  von  14S7. 


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Ehemalige  KAmmereigQter  Strausbergs.  j[27 

80  vormeindt  mir  ein  Radt  zn  Stramsbei^k  dasselbe  zu  hindern  vnd  za 
wehrenn,  wan  aber  zn  Rechte  vorsehen,  das  ein  jeder  auf  sein 
grnndt  vnd  bodem  bawen  möge,  vnd  aber  gedachtem  Rathe,  die 
schenne  an  dem  Ihren  zu  keine  vorhindemnge  gereicht,  alss  bitte 
E.  Chnrf.  g.  ich  vndertheniglich,  die  wollen,  erwenttem  Rathe  Jn  ernst 
vnd  bei  peen  hundert  thaller  £.  Ob.  g.  vnnachlesslichen  abzulegen, 
benellen,  das  sie  mir  —  kein  eintragk  thnn,  Sondern  die  Schenne  vn- 
uorhindert  aofrichten,  fertigen  vnd  bauen  lassen  — 

Unterm  18.  Juni  1567*)  erging  daher  an  den  Rat  der  Befehl, 
Wollett  snpplicanten  Die  Schenne  auf  dem  seinen  vngehindert  — 
bawen  lassen,  Do  Ihr  aber  bestendige  vnd  erhebliche  einrede  Jme 
solchs  zuhindern  bettet,  So  wollett  vns  solchs  förderlichst  anhero 
schrieftliclion  berichtenn  — 

Auf  den  Bericht  d«»s  Rates,  welclKin  sich  Caspar  Platen  aaf 
Prötzel  als  Nebenkläger  anschloss,  führte  Balthasar  Barfus  Fol- 
gendes ans: 

„Durchleuchtigster  —  —  Ich  habe  den  betVlili(  Ii  so  der  Radt  von 
Stranssbei^k  vber  mich  hatt  aus.s  g(>bracht,  vudertbenigk  entfan^enn, 
Vnd  in  ihrer  klageschrifft  so  viel  befundonn.  Das  sie  mich  zur  Vnpillig- 
keit  kegenii  ECfg  beschuldigen n  vnd  l»crichtenn,  Das  ich  itziger  zeitf  «»in 
schepferey  auff  dem  KenstorfV  bawe,  Damit  sie  niihr  zuuiel  tlmu,  Ich 
habe  den  schat'fstall  vor  zweien  iarenn  auft^ericlitet,  Do  niilir 
der  liadt  von  Stiiins.s!>ergk  nicht  das  geringste  wortt  hatt 
sagenn  lassenn,  Du  hast  es  niciit  tun  ii.  s.  w.  Do  ich  aber 
itzie;er  zeitt  meiner  hohen  nutt  nach  eine  suheune  Dar  l>ei 
bawen  lassen,  Das  ich  mein  Korn  so  weitt  biss  kegenn  prediko  niclit 
fuhrenu  darft',  .fcli  halje  es  sonst  eine  grosse  lialbe  meil  fuhren  inussenn, 
Welches  mihr  sonst  sehr  weitt  zu  fhhrenn  sei,  Dertweg^enn  wil  der 
Radt  von  StransslxTi^k  ein  vn nötigen  Vulust  mitt  milir  au- 
fangenu  vnd  mihr  das  bawen  auff  mein  grundt  vnd  iKMlem 
weh  renn,  Das  mihr  dan  genedigster  herr  nicht  ein  gerinuenn  Beschwer 
gil>ett.  Weiter  liericht  der  Kadt  von  Str.  in  ihrer  Kiai;«  srln  ifVt,  Das  mein 
brüter  vnd  ich  so  gar  ein  ticiängenn  anteil  an  der  \ fldtniaicke  habiim. 
Das  sicli  zur  besichtuiif^  w<»l  wirtt  seilen  lassenn,  was  wir  an  dem  Velde 
habenn,  ess  ist  so  geringe  nicht  wie  es  ein  Radt  machet,  Ess  kan  mein 
brüter  vnd  ich  zur  Winter  saet  ein  VI  Wispel  roggeuu  Darauff  seen, 
vnd  zur  Sommer  saet  ein  9  Wispel  baferuo,  Da  dennoch  grnndt  vnd 
bodem  zu  gehöret.  Auch  weiter  beriditeii  sie  alss  der  Radt,  ess  sei  ihre 
woleiicanfites  Lehngut,  welches  ich  ihnenn  nach  gebe,  vnser  vorelternn 
haben  ihren  anteil  auch  nicht  vmbsonst,  sie  habens  vmb  ihr 
gelth  auch  erkanffenn  mnssenn,  Vnd  ist  vnser  lehngut  sowol 


0  CMfln  a.  d.  SpfM,  tpdtags  nach  MedudL 


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128 


B,  Ssiffort: 


als  8  der  von  S  transsbergk.  Wir  haben  die  lehn  von  forstenn  zu  fiir^tenn 
Darftber  entfangen,  Welches  mitt  vnsem  Lehnbrieffen  za  beweisen  sei.  Anch 
haben  wir,  gn.  Ghf.  vnd  herr,  in  vnserm  vertrage  diese  artickel,  wie  sie 
hiernach  geschrieben  seint,  Ynd  stehet:  Ess  soll  anch  Clauss 
Barfften  Vnd  seine  armen  lente  anff  der  von  Str.  anteill  des 
kenstorffs  so  woll  alss  anf  sein  teill  zn  hotten  mechtigk  sein. 
Weiter  stehet,  Wo  auch  ein  Radt  von  S transsbergk  oder  sonst 
iemandt  ein  schepfereig  aufschlan  wnrde,  Welchen  iemandt 
ich  nicht  anders  zu  rechen  kan  alss  mein  bratern  vnd  mihr. 
Der  teill  an  der  veldtmarcke  liatt,  Stehet  anch,  ess  soll  ihm  auf 
beider  veldt  das  hättenn  vnuorhindert  gestatt  werdciu),  ess  sol  aber  der 
Radi  vinl)  den  volboi  th  begrusset  werdeu,  Dess  geleichenn  sol  anch  ein 
itzlich  luirt  nuoh  allerley  wildtbratt  auff  der  veldtmarck  zu  iagenn 
mechtigk  sein.  Vnd  verhofi'e  dass  diese  artickei  dem  Radt  nicht  so  viel 
zu  stettigk  sein  wie  sie  sich  es  wol  anmassenn.  Idi  kan  nichts  hv- 
findenn,  das  ihm  zutiegigk  sei,  alss  da.s  man  sie  vmb  den  voiborth  Ix  - 
grossenn  soltt,  gebijret  ihnen,  Dan  dauon  Das  man  ihm  zu  than  schul- 
digk  sei,  solchs  kan  sicli  in  der  haiideluug  beliandeln  la.ssenn,  Wie  icli 
nicht  hüflo  dass  ich  ihm  derwegeu  etwas  zu  tliun  [schiddigk]  sei.  Vnd 
pittc  ECtg  wollenn  in  diesem  mein  gnediy:stei*  herr  sein,  vnd  dem  Radt 
von  Str.  im  befehlich  auöerlegen  Das  sie  mich  mit  nu'in  liawuii  zu  fridenn 
lassenn,  Den  ich  bawe  auf  das  mein  veidtcheu  fast  in  die  hundert  iar 
sein,  das  es  vuser  vtneitcrnn  erkaufft  haben.  Diss  habe  ich  ECfg  zum 
Kegenbericht  —  nicht  konueuu  verhaltenu.  —  Baltzer  Barffss." 

Der  Ui*teilsäpruch  des  Kammergerichts  fiel,  wie  zu  erwarten,  zu 

Barfus'  Unsfunsteu  aus: 

.Jn  Supplicatiou  sut  lu'n  zwischen  Balthasar  Barfussen  zu  Predickow 
Supplicauten  au  einem,  vnnd  Caspar  Phithen  auch  dem  Käthe  zu  Strauss- 
bergk  supi>Ueanten  andersteils  —  Erkennen  wir  Joachim  v.  G.  gn.  — 
Wann  die  supplication  <h'r  formalien  halban  gleich  V>e>tendig,  das 
doch  der  Materialien  halben  von  dem  Sui»|>licanten  s'o  viel 
nicht  vorfüret,  das  er  des  auffbaweiis  der  scheuiien  vnd 
Meyerhoffs  auf  dem  Kenssdorff  befugt,  Derohalben  er  auch  die- 
selben Inhalt  vnserer  Rethe  abschiede  wider  abzuthun  schul  digk, 
von  Hechts  wegen  vrkundlich  —  Actum  Culn  a.  il.  Sp.  Mitwochs  am  tage 
Egidii  (1.  September)  anno  d.  ♦IS'';  nach  eiueni  zweiten  kurfürstlichen 
Befehl  vom  1''.  September  (Cüln  a.  d.  S]».  mitwochs  nach  Crucis  ao.  68) 
soll  or  „die  gebeude  ui'i  den  Kenstorff  oltbeniiten  vrteil  zn  volge, 
inner  viertzehn  tagen  nach  dato,  niderreissen  vnd  wegk- 
bringen  Mit  Vorwarnung,  Do  ess  in  der  frist  nicht  geschehe,  Soll  vflf 
ferrer  ansuchen  verorduuuge  geschehen,  dass  dieselben  gebeude,  durch 
vnsem  Landreiter  vnd  andere  so  ime  zugeordnet,  nidergerissen  werden 
Darnach  du  dich  zurichten  — * 


Ehemalige  Kämmereigüter  Strausbergs. 


129 


Nunmehr  bat  der  Verurteilte  wenigstens  um  einen  AufsclmU:  „Durch 
laut  htigster  —  ECt;;  gebe  ich  bericlittendt  zuerkennen  das  ich  den  mitt- 
wüch  nach  mattege  (22.  September)  ECfg  beffelicli  Hani))t  des  rates  von 
straasperch,  kasper  Barffis  Ynd  kasper  platt  eingelechte  suplication 
vntertenigklich  Endttpfangen  do  mich  dan  ECfg  aufferlegen  dass  ich  mein 
gebeuge  S80  ich  yff  dem  Kenstorff  vf  mein  Feldt  vnd  bodem  gesesett 
habe  vff  ein  eil  als  in  pfirzen  tagen  sol  apbrechgen  welges  mir  gnedigster 
her  beschedellich  vor  pfeltt  ist  der  orsachen  halben  das  ich  mitt  meiner 
winttor  satt  gar  fil  znthnn  habe  das  ich  es  vor  den  wintter  gar  schwerlich 
▼on  ein  ander  nemen  kan  er  ich  besehen  kan  so  ffeltt  die  kelde  ein  das 
man  sich  mitt  solger  arbeitt  nichtt  behelffen  kan  ist  mein  vntterteniges 
bitten  ewer  Ofg  wollen  mir  Ein  beffelich  an  die  von  straus- 
perch  mitteilen,  das  si  sich  an  die  gebau  nichtt  ffergreiffen 
so  mirs  rmmer  megelich  sei,  so  wil  ich  es  wider  vor  den 
winter  lassen  von  ein  ander  nemen  sso  es  von  keltte  wegen  nicht 
gesehen  kan,  so  wU  ich  es  vff  zukommende  ffasten  ganz  vnd  gar  hin 
wech  nemen  vnd  an  ander  ortter  bringen  dan  es  stett  nimandt  al  da 
zoschadeu  als  mir,  den  es  stett  vff  meim  äkker  ECfg  wollen  sich  genedigk- 
lieh  erzeigen      Balzer  Barffs.* 

Der  Enrffirst  wUlfahrte  seiner  Bitte  und  befahl  dem  Rat  (Cöln  a.  d.  Sp. 
am  Abendt  BOchaelis  —  29.  September  —  Anno  68):  —  „WoUett  mitt 
klegem  solange  so  es  immer  muglich  zwfriedenn  sein,  doch  euch  an 
enem gerechtigkeiten  vnschedlich,  alsdan n  w i r d t  er  sic  h  d e r m a s s e n 
kegen  ench  vorhallten,  das  Jr  each  darüber  hinfurder  nicht 
weitt  zwbeschweren,  —.***) 


Einige  Jahre  später  liören  wir  von  einem  Prozess  zwIscIumi  dem 
Rat  und  Caspar,  Reicbardt,  Claus  und  Valentin,  Gebrüdern  und  Vettern 
Barfässe  zu  Predickow  einerseits  und  Abraham,  Hans,  Isaak  und  Jakob, 
Gebrüdern  von  Platen  zu  Prötzel  andrerseits.  .Letztere  massten  sich 
nämlich,  weil  sie  zwei  Lehnhufen  vom  Kähnsdorf  innehatten,*)  zu  weit 
gehende  Gerechtigkeiten  auf  der  ü})i'i<i:en  Feldmark  an,  indem  sie  ihr 
Vieh  dort  hüten  Hessen,  auch  mit  dem  Netz  tischten.  Als  ihnen  nun 
einst  die  Barfuss  ilue  Garnnetze  al>pf;indeten,  beschwerten  sie  sich  beim 
Knnunt'rgericht  darüber  und  führten,  yanz  olme  Hechtsgrund,  auch  zu- 
gleich darüber  Klage,  „dass  der  Rath  vor  drey  .Jahren  eine  Scliäfferey 
ZU  mercklichem  Nachtheil  ihrer  Hütuug  aui}jg;erichtet''  hätte.    Der  Ab- 


')  Kin  „k.  f.  g.  Commisaftrias  Achatius  von  Brandtiuburgk  und  Magister  Juh.  Eis- 
leben Bechteamrilfc''  frird  «in  aaohen  iwiwdien  ym  vnd  den  Barfuuai  d«r  adulfevey 
halben"  im  Eämmeräbneh  1607  nnd  68  erwähnt  Letiterer  erhielt  fflr  „seine  Te^ 
mittlnng  wegen  des  Kenstorfs"  4  Tbl.,  und  apftter  ein  Fass  Bier  seinen  hocbtelt- 
Keben  ehren."  ~  *)  Wie  sie  dastt  gekomiMn,  tot  nicht  nnohweisbar. 

A.  9 


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130 


schied  des  Kammergenchts  (Cöln  a.  d.  Sp.  freitages  nach  Catharinae 
(28  Noveiniter)  Anuo  d.  583)  ging  dahin: 

„ —  Weill  genielter  Raht  vndt  die  von  Barfusse  so  viel  durch  Rricff 
vndt  Siegel  bescheiniget,  dass  das  eigeutliumb  der  feldttnarck  Kienstorff 
ihnen  zuständig  vndt  dass  der  Rath  befuget  eine  Schäfferej  anff- 
zurichten  vndt  zubauen,  so  sollen  sie  dabey  gelassen  werden,  vndt 
soll  ihnen  von  denen  von  Platen  kein  Eintrag  geschehen  Weil  aber 
denen  von  Platen  Ihr  angezogene  Hütang,  Holzung  vndt  fischerey,  weiter 
nickt  den  auff  ihre  zwo  hueft'en,  welche  sie  auff  Kienstorflf  von  Chnrf 
gnaden  zu  leben  tragen,  gestanden,  vndt  die  von  Platen  derselben 
vber  die  gantze  feldtniarck  befuegt  zu  sein  venneinen,  sollen 
sie  inner  Camniergerichts  frist  zu  bescheinigung  solcher  vorgowandteii 
possession  zum  beweis  (»rderiilieh  verfahren,  dem  g:egentheil  ilire  notturf't 
dawieder  vorltehalten,  worauff  den  ferner  wass  billig  verabseheidet  werden 
soll.  Mitler weile  aber  sollen  sie  von  allen  theileu  in  dem  gebrauch  wie 
sie  den  liergebracht,  gelassen  werden,  vndt  die  Netze  sollen  den  Platen 
von  den  Barfüssen,  doch  ihren  rechten  allenthalben  ohne  schaden,  wieder 
herausgegeben  werden,  vndt  sollen  sich  die  parte,  bis  zu  der  saclien  aus- 
wege  bey  meydung  dreyhundert  thlr.  Fiskalischer  Straße  gegeneinander 
friedlich  verhalten.    Uhrkundlieh  —  — " 

Allein  damit  war  die  streitige  Sache  noch  nicht  beigelegt;  auf  eine 
Su[)plication  des  Rates  und  der  „  iJarfusser'*  hin  verwies  der  Kurfürst 
Johauu  Georg -i  den  Platen  iln*  Verhalten,  das  dem  Kammeral)Schiede 
vom  JH.  November  1583  durchaus  nicht  entspreche,  und  diese  meldeten 
wiederum  von  allerhand  Tiiiitlichkeiten  der  Barfusser  zurück:  „ —  dass 
wir,  wie  die  Harfüsser  und  der  Rat  in  ihrer  Supplication  mit  der  Vor- 
klage kommen  und  uui^csiheut  berichten  dürfen,  mit  Gewalt  und  de 
facto  auf  der  Saat  sollten  halten  hüten  lassen  und  selbvierte 
zu  Ross  und  selbfünfte  zu  Fusse  mit  gewehrter  Hand  auf  sie 
gewartet  und  gehalten  haben,  daran  geschieht  uns  von  Snpplicanten 
Gewalt  nnd  Unrecht;  sie  werden  es  auch,  wie  Recht,  nimmermehr  Aber 
ans  ansföhren  und  darthnn.  Damit  aber  E.Cfg.  davon  gegründeten 
Gegenbericht  haben,  so  mfissen  wir  nntertliftnigst  vermelden,  dass  Claus 
Barfuss  verschienener  Zeit  nnd  nach  dem  Abschiede  ganz 
freventlich  zugefahren  und  unsern  Hund,  den  der  Schäfer  im 
Felde  bei  sich  gehabt,  erschossen.  Dabei  er  es  noch  nicht  bleiben, 
sondern  des  folgenden  Tages  sich  dergleichen  gelüsten  lassen  und  aber- 
mals nach  dem  andern  Hund  geschossen,  aber  dessen  gefehlet 
Dahero  dann  den  Schäfer  verursaoliet,  ihn  anzusprechen,  warum  er  ihm 
die  Hunde  totschösse.  Sind  auch  darauf  miteinander  in  Zank  geraten 
und  dieses  Vormittag.  Nach  Mittag  aber  neben  seinem  Bruder 

')  Nach  einer  CJopic  im  Archiv  vom  2b.  November  l()ü4. 

^)  Cölu  a.  d.  Sp.  ^litwocha  nach  Septuageaimae  {iii.  Jauuar;  Ao.  läB4. 


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Ehemalige  Kimmeraigflter  StranebeigB. 


181 


Richardeu  wieder  des  Orts  geritten  gekommen  und  desSchäfers 
Knecht  mit  Hagel  geschossen  und  dermassen  verwundet,  dass  er 
etzliche  T.age  zu  Bette  und  vor  den  Ärtzten  gelegen.  —  Nachdem  die 
Barfüsser  obberührtermassen  mit  nnserin  Schäfer  hausgehalten  und  den- 
selben verwundet,  dass  er  nicht  länger  bei  den  Schafen  bleiben  konnte, 
hat  man  zum  Schein,  als  liätten  ihnen  die  Schafe  Schaden 
augefögt,  sie  selbst  auf  die  Saat  getrieben,  und  wenngleich  die 
Schafe  ohne  einig  Hintreiben  vor  sich  selbst  auf  die  Sant  tr>^?^aTigen  wären, 
liätten  die  Barfiisscr  selbst  solches  damit  verursachet,  dass  sie  den 
Schäfer  derfjpstalr  vergewaltiget  \m<]  verwundet,  dass  er  bei  den  Schafen 
nicht  bleiben  koiiiicii.  —  An  diesfiu  ahrr  sind  die  Barfüsser  noch  nicht 
prsättit^^et  gewesen,  sondern  den  Marty  näclist  verflossen,  da  wir  zu 
Berlin  gewesen  nnd  kaum  eine  Stunde  wieder  zu  Hause  gewesen,  weiter 
zugefahren  und  unscrn  Schäferkneclit  mit  Gewalt  von  den  Schafen 
genommen,  mit  sich  nach  Prädikow  gefü'hret  und  gefänglich 
eingezogen,  alles  ans  lauter  Frevel  und  Mutwillen.  — "  Sie  erbitten 
Joachim  von  Schapelow  zu  Quilitz,  Christ.  Pfui  zu  Jausfelde  u^d  Mag. 
Erhardt  Scheubeiinn  zu  Kommissarien. 

„Auf  ilii-  unbet'uf;tt'.>  und  ungegrüudetes  Su}»i»li(  iivn-  wurde  ihnen 
nnterm  11.  April  1584  nochnials  der  Abschied,  ^andern  nie  lits  zu  ändern 
sei,"  mit  allem  Ernst  in  Erinnerung  gebracht,  sie  „s(dlten  vichnehr  mit 
dl  rem  Beweise  aufs  förderlichste  fortfahren,  dairdt  dieser  Irrung  abge- 
holfen werden  laot^e.'*  Unterm  Juni  1")S4  werden  sie  aufgefordert,  diesen 
ihren  Beweis  bis  Bartholomei  (24.  Aui^ust)  im  KaFninergericht  »'inzubringen. 

Von  dem  weiteren  Verlaut  des  Prozesses  zeugt  nachfolgender  Brief 

des  Uethtsanwalts  Johannes  Aisleben  an  den  Rat:  „  Erbare  Weise 

vnd  furneme,  günstige  herrn  vnnd  guete  freunde,  Ol»  ich  woU  Euer 
schreiben  von  wegen  Eurer  Zeugen  Wieuiel  derselben  sollen  furgestalt, 
vereydet  vnd  befh^^  werden,  SoUiches  mit  Hans  R(»beln ')  zu  reden, 
freittags  vor  dato,  spete  Abents  bekommen,  So  befinde  Ich  doch  darauss, 
weil  Ihr  nur  6  Zeugen  angeben  wollett,  kein  ander  vrsach,  den  das  Ihr 
den  Kaufbrief  vber  den  Kenssdorff  für  euch  habet  p.  Fs  müssen  aber 
die  Herrn  darauf  achtung  geben,  das  von  den  Platen  nicht  der  Eauff 
vnd  eigenthumb  des  grossen  Buers  vnd  der  Barfusse  Kenssdorffs.  Sondern 
die  gerechtigkeit  vnnd  gebrauch  der  höettung,  Weide,  Trifft,  Höltzung 
vnnd  Fischerey  gefochten  wirdi  Nun  kenne  Ich  der  Zeugen  keinen, 
Weiss  auch  derselben  gelegenheit  nicht,  Aber  mit  Erasmo  seligen^)  habe 
Ich  hierauss  dermaleinst  mfindtlich  geredet,  Ynd  auch  Jnn  schriflFten 
gewechselt,  Do  er  mir  vnter  anndem  etliche  sonnders  Namkfindig  ge- 

'i  Derzeit ii,'fr  Befifzer  des  Düniinikunerkluaters  in  Strausberg,  welches  er  1574 
von  Nickel  Spiegels  Witwe  erworben  hatte;  vgl.  Jalilieft  1888  der  „Brandenbargia" 
S.  145  fi.  - 

*)  B.  Sahnater,  1667  ~  72  Kantor,  von  lö72  —  84  Stadtaehreiber.  — 

9* 


^  ij .  .-Lo  Ly  Google 


132 


B.  Selffeit: 


macht,  Doran  viel  gelegen,  die  mösten  verhöret  werden,  Vnter  wellichen 
meines  behaltens,  der  Platen  Eltister  Zeuge  einer  war.  vndt  dann  noch 
Einer  des  Namen  mir  anssgefallen,  Welchen  gedächte,  Das  ein  Schefer 
auss  Zindorff  der  Platen  Schefer  von  Kenssdorff  abgetrieben,  Ynd  so  hart 
geschlagen,  das  er  wegkriechen  müssen,  die  Schaffe  aber  gepfändet, 
Vnndt  ob  woll  ein  Vogt  vnd  knecht  auss  PrGtzell  hinanss  kommen,  hette 
sich  gedachter  hirtte  anss  Zindorff  wieder  dieselbigen  gesatzt  vnd  auf- 
gehalten p.  Darauf  fornemlich  etliche  Sondere  Artickell  gericht  seindt. 
Dardurch  znerweisen  vnd  darznthnn,  Das  die  Platenn  keinen  gerfiiglichen 
besiez  noch  gebrauch  einiger  Hüettung,  Weide  oder  Trifft  gehabt  haben. 
Weill  auch  hernacher  Baltzer  Barfuss  seliger,  selber  der  Platen  Yatter 
die  Schafe  abzutreiben  gezwungen  hat,  sonst  vf  Tim  losa  brennen  wollen, 
Solliche  actus  prohibitorios,  das  man  Ihnen  keiner  hfiettung 
gestehen  wollen  zuerweisen,  Daran  Ist  euch  das  gröste  vnd 
meiste  gelegen.  Dammb  ettwa  10  oder  12  Zeugen  die  hiruon  vnd 
andern  Euren  Nottwendigeu  Artiekt-Iii  bericht  thun  können,  vf  Zeiclmon 
wollet,  darmit  ziu  sainnicii  stimmende  Zeugen  sein  nnx  Ilten,  Auss  wellichen 
vrsachen  auch  die  Reclitslerer  gctrewlich  raten,  selir  guet  sey,  Das  viel 
Zeugen  vorgestalt  werden,  Darmit  zween  )1  4.  vf  ein  Fuuct  stimmen  vnd 

zeugen  nifigen,  Datum  Perlin  Sonabents  nach  Septnagesimae 

(23.  Fel.ruar)  S'.«  — 

Ülii'i"  iluu  Ausgang  des  Streites  ist  mangels  eines  Kammergerichts- 
Absciiiedes  niciits  liestimmtes  zu  melden;  doch  ist  wolü  auzunebmen,  dass 
die  Plateu  im  Unrecht  geblieben  sind. 


Einen  andern  Vorfall,  der  sich  auf  die  Ausübung  der  Fischerei 
bezieht,  schildert  ein  Brief  Jürgens  von  Barfus,  »datum  predikow 
den  10  Juny  Ao.  —  Achtbahre  vndtt  wollweyse  guenstige  gute 

freunde  vndtt  Nachbarn,  Euwer  scbribeu  habe  Ich  Emi>fangen  darinnen 
ihr  vermeldett,  das  Ich  vor  achtagen  Kiiworn  Meyer  habe  Eine  Wade') 
vndt  Ein  Klein  netze  nehmen  lassen,  bin  Ich  auf  den  Nachmittagk  Ettwan 
vmb  >]  schlege  aus  der  heydo  gefnhren,  hatt  Euwer  Meyer  vom  Keiistorft' 
ahm  andern  Ende  gelischott.  Ha  iiabe  ich  zum  Krueger  viultt  meinen 
Diener  gesagtt,  sie  solten  hiiigoheu  vndtt  sehen  wer  Es  were.  Don  Ein 
Jeder  wolte  sicli  solclie  Fischerev  anmasscn  hal)e  ihn  aber  niciit  l)efülilen, 
das  sie  ilm  das  Zeuuk  nehnieu  sollen,  hatt  der  Krueger  die  TabelP) 
genommen  vndtt  sehen  wollen,  was  sie  vnr  fische  ge]ial>tt,  Ist  ihnen  des 
Meyers  Knechtt  also  baldtt  ihn  dii^  arme  i;('fallen  vndtf  beschwerliclie 
wortt  von  sich  gebeu,  £r  woltu  sich  uichtes  uelimeu  lubäcn.  Do  Ei-  mm 

'  )  Fin  grösserea  Nets  mit  einem  Sack  am  hinteren  £nde. 
*)  Ein  Kober. 


Ehemalige  K&mmerdgflter  Straoabeigt. 


133 


so  Imldtt  nicht  loss  lassen  wollen,  hatt  ihn  der  Kraeger  zw^y  ^fahll  mitt 

den  hiiclisen  spenner')  auf  den  rucken  geschhigen,  sonsten  Ist  ihn  aller 

warheit  keiner  Zuschhigen  nicht  angeruertt  worden,  darauf  sie  ihn  das 

Zeufrk  ;j:enoninieii,  Ist  des  Meyers  Kneelitt  oder  suhn  von  ferne  zu  mir 

gelautfen  kouiiiien  vndt  geschrien  ob  Ich  meinen  Dienern  befohlen  iiette 

wen  sie  Einen  jd'andten  I>as  sie  ihn  iioeii  darzu  sehlagen  muessen.  Habe 

Ich  geandtwortt  Er  niüchtte  Ks  woU  die  nach  geinachet  luiben,  do  der 

Meyer  Selbsten  mitt  zukommen  vndtt  gesagtt,  Icii  solte  Es  nur  dencken 

Es  sülte  mich  nicht  gescliencktt  werden,  do  Icli  L'eandtwortt  Das  weren 

Dreuwortt,  Man  wueste  woll  was  auf  solclieii  gesellen  i^ehocrte  Icli  hette 

vhrsache  genungk  das  Ich  ihnen  muciite  Ein  anders  sehen  lassen  da  Er 

seiner  Rede  bahltt  wider  /.urucke  konnnen  vndtt  gesagtt  Er  meinte  mich 

nicht  sondern  den  Krueger.  der  Kneelitt  <^der  (h^s  Meyers  söhn,   was  Er 

sey,  hatt  geschrien,  weill  Er  vns  gesehen.  Er  wolle  Es  den  Ivrueger  nicht 

schencken,  oder  wolte  den  KoptV  nicht  ti'agen,  habe  Ich  solch  zeugk 

auf  den  wagen  legen  lassen,  sie  betten  woll  andere  wortt  linden  können, 

Es  sollte  ihn  nichtes  genommen  sein,  wir  haben  die  fische  meistentheils 

darinne  gezeugett,  das  sie  vns  auch  Ein  Jeder  ausfangen  solte,  Ist  vns 

vngelegen,  Es  kau  Euwer  Meyer  die  fiissweido-)  mit  der  wade  woll 

f^egundtt  werden,  mitt  den  netzen  aber  solchs  wolte  Er  sich  EndthalteD, 

den  meistentheils  Ein  Kahn  darautf  stehet,  wen  Er  netzen  hette,  kannte 

Er  denselben  nehmen»  hette  Er  gutt  fischen,  den  Ich  gestern  habe  Selbsten 

Zeugk  daraaf  legen  lassen,  Ist  mir  solchs  diese  Nachtt  alles  aufgehoben, 

Einstfaeils  gar  wegk  genommen,  den  Kahn  vom  lande  abgestossenn,  kan 

Es  aber,  weil  Es  von  niemandts  gesehen,  keinen  zumessen,  wen  man 

aber  solchen  geselle  betroffe,  kuente  woll  Ein  ander  vngelucke  darauss 

Endtstehen  Ich  wehre  wohl  nicht  willens  Euwem  Meyer  das  Zeugk  aulf 

solche  wortt  wider  folgen  zulassen,  wie  woll  Es  mich  nichtes  nutze  wirdtt, 

doch  kan  Ers  auf  Euwer  bitten  woll  wider  bekommen,  vndtt  bitte  ihnen 

dahin  zuhalden,  das  Er  sich  solche  beschwerliche  wortt  mehr  Endtthalten 

mnchte  oder  es  kuente  woU  Ein  andermahll  anf  solche  wortt  schlege 

oder  ander  vngluck  darauss  endtstehen.  Ich  gleube  gar  woll  das  Ers 

Einen  Erbam  Radtt  gross  vorbrachtt,  Es  Ist  ihnen  aber  wie  Er  berichtt 

hatt  mitt  schlegen  kein  leidt  widerfahren.  Man  kan  auf  die  Erste  klage 

nicht  richten,  wen  der  Krueger  vndtt  mein  Diener  zur  andtwortt  kehmen, 

vifilichtt  koente  ihn  sein  berichtt  wider  legett  werden,  Diss  Ich  Euch  als 

meinen  freundtlicheu  lieben  Nachbarn  zur  andtwortt  melden  wollen,  vndtt 

bin  Euch  sonsten  nach  Vormuegen  zu  dienen  Jeder  Zeitt  willigk  Gott  ihn 

seinen  schütz  befohl  n  — 

Tin  Jahre  KilT   erklärten  sich  die  Gebrüder  v.  Barfus  bereit,  mit 

dem  liat  gemeinschaftlich  gegen  das  immer  mehr  überhand 

')  Ladeatock. 
>)  FtMsflidiffeL 


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134 


Bu  6«iffert: 


nohmende  unbefugte  Hüten  der  Ix  na  hbarten  Viehknechte 
vorzugehen:  „  -  Elirnueste,  Achttbahre,  VVohveyse  vndtt  Wohlgelahrtte, 
1>esonder8  gönstigf  lu  rrn  Nachbahrn  vnndtt  gute  Fit  unde.  Derselben 
schreiben  sub  Dato  24  April is  Ist  vnss  gepnrcndes  Insiuiiiret  Inhalts 
lesende  vernommen,  vnnd  fün:eii  E.  E.  in  Auttwortt  hinwieder,  Das  wier 
gar  nichtt  vngoneigtf,  nebeu.st  denselben  vmbzutreten,  Vndtt  vnser  aller- 
seits habendes  Jus,  wegen  der  hühtun^  vfl'  der  Kelinstorftischen  Feldtt- 
niiirckeu,  wieder  die  Clowstorftischen  Gielstorffischen,  vnndtt  Pretzlischen 
ir*'piircndes  Zu  dcfcndiren.  Inbetrachtuim-,  Wier  nun  Leider  Gott  «je- 
clagett,  geiuigsaiiil»  ctzliclit"  .Ihar  hero  niitt  schaden  erfiiaren,  was  itz- 
genieltte,  benachbaiirtte  lu;\ liosse  schofler  vnndt  Huhtsgesinde  vnss  do- 
selbstcn  vnircachti'ttcii  \  iflfeltiges  Vorwahrens  mitt  derselben  Viehe  vndt 
vnbHtViuli's  luilitti  M,  vtl'  der  Saahtt  vnudt  Weyde  Zugefügett:  Wolten 
dernweycn  E.  E.  vugeseunibtt  ein  srlireiben  an  die  Pfühle,  zu  Gielstorff 
vndtt  Pretzell,  wie  dan  auch  am  Anil>tschreiber  zu  Rüderstorff 
ergehen  lassen,  vnndt  Verwarnen  ihren  scheffern  vnndt  hühtts  Leutten, 
ingesanibtt  Zu  Vfferlegen,  das  sie  hinfürder  von  solcher  vnbefügten 
hühtung  al)estelien,  vnndtt  des  Kelinstorffes,  so  weitt  derselbe  in  seinen 
Reuir  begriffen,  sich  gentzlichen  Zu  eussei-n  vndtt  Zueuthalteu,  Oder 
vUen  wiedrigeu  Vahll,  die  Pfändung  vnndtt  andere  gepürende  mittell  Zu- 
gewahrtten,  gestaltt  es  auch  von  vnss  incontinenti  ef!ectuiret  werden 
soll.  —  —  Göttlicher  Protection  Empfehlende  signatum  Predickow  Den 
30  huius  auüo  1617.    Clauss,  Valtin,  Caspar  von  Barfus  nippria." 


In  diesem  Jahre  1617  mm  sah  sich  der  Rat  genötigt»  zur  Tilgung 
seiner  Schulden  oder  vielmehr  um  die  dringlichsten  Forderungen  seiner 
Gläubiger  zu  befriedigen,  bei  der  Städtekasse  in  Berlin  eine  grossere  An- 
leihe zu  machen  und  als  Unterpfand  die  Feldmark  Eähnsdorf  abzntreten. 

Eine  nach  den  alten  Eämmereibflcheru  gefertigte  Zusammenstellung 
der  „Rechenschap",  d.  h.  der  jährlichen  Einnahmen  nnd  Ausgaben  des 
Rates  von  1628  bis  1572  ergiebt  die  aufißlUige  Thatsache,  dass,  mit  Aus- 
nahme dreier  Jahre,  bis  1644  mit  ünterbilanz  gearbeitet  worden  ist, 
1644  sogar  mit  168  Schock,  während  von  da  ab  die  Einnahme  die  Aus- 
gabe Kfibertritt",  1564  sogar  um  42t>  Schock.  Wenn  man  nun  weiter 
berficksichtigt,  dass  von  1645  bis  1672  seitens  der  Stadt  nicht  weniger 
als  12  880  Schock  als  „Eriegssteuer,  gemeiner  Ffirstenschoss,  gemeines 
Htdfsgeld,  zur  ,,Mnnition  widder  den  Tfirken,  zu  den  Stedten  oder  zur 
Bezahlung  k.  f.  g.  Schulden"  an  die  Städtekasse  abgefährt  worden  sind,*) 
trotzdem  aber  jährliche  Überschüsse  erzielt  wurden,  so  ist  man  auf  den 

')  Demselben  uuterstand  die  Verwaltung  Klosterdorts. 

*)  Al«o  jibrlich  etwa  400  Schock;  m  waren  1566  :  828.  1&68:  1271.  1669:  1028 
1670:  890  Schock. 


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Ehemalige  Ktannmeigflter  Stiwuberss. 


185 


ersten  Blick  vprsnrht,  den  während  dieser  Zeit  im  Rat  befindlich  ge- 
wesenen Herren  das  Kompliment  zu  machen,  dass  sie  bedeutende  Finanz- 
genies gewesen  seien. 

Leider  aber  trifft  man  mit  dem  Gegenteil  das  Richtige.  Statt  die 
Steuerkraft  der  Bürger,  die  allerdings  mir  widerwillig  sich  zu  auss<»r- 
ordeutliciien  Auflagen  bequemten,  wie  sie  zu  Joacliims  II  Zeiten  nichts 
Ungewöhnliches  waren,  kraft  ihres  Amtes  in  Anspruch  zu  nehmen  oder 
auf  irgend  welche  erhöhte  Kimialimon  bedacht  zu  sein,  nahmen  die  Kats- 
herrn vielmehr  einfach  Darlehen  auf,  wo  sie  zu  haben  waren,  und  be- 
gnügten sicli,  unbekümmert  um  die  zukünftige  Rückzahlung  derselben, 
die  sechsprocentigen  Zinsen  ans  den  jährlichen  Eiunalimen  zu  bestreiten. 
Das  ziemlich  voluminöse  Aktenstück  „Scimhlenwerk  das  Rates"  enthält 
aus  den  Jahren  lörjll— KJll  nicht  weniger  als  O-J  Sciiuldverschreibungen 
über  5()  fl.  bis  BIK)  fl.,  insgesamt  7427  tl.,  3180  Reichsthaler  und  IH  Schock 
oder  etwa  1200Ü  fl;  „die  man  auft"  reute  genommen,  leihen  vnd  borgen 
müssen,  so  man  zu  gemeiner  notturft  vnd  ausgehen  iesi-lichen  belmf  ge- 
habt"; wie  viele  mögen  gar  nicht  in  das  Aktenstück  hineiugekunimen 
sein.  Man  sieht  also,  um  irgendwo  ein  Loch  zuzustopfen,  Murde  ein 
anderes,  grösseres  aufgerissen;  bei  diesem  Wirtschaftssystem  musste  die 
Käramerei  argen  Bedrängnissen  entgegensteuern,  und  die  Katastrophe 
erfolgte  1616/17,  als  immer  mehr  Gläubiger  von  dem  zins- 
säumigen  Rat  die  Auszahlung  ihrer  Hauptsummen  verlangten 
und  mit  geridiilieher  Beitreibung  drohten. 

Nunmehr  wusste  der  Rat  weder  aus  noch  ein  und  erbat  die  Hülfe 
des  Kurfürsten,  der  denn  auch  zunächst  die  Berliner  Bürgermeister 
Jacob  Strassburgk  und  Georg  Jahn  als  Kommissare  nach  Straus- 
berg entsandte^  „um  erknndiung  anzustellen,  wie  des  Rahts  doselbst 
Hausshaltung  beschaffen**.  Ihre  Relation,  d.  d.  Berlin  den  12.  Augusti 
Ao.  1616,  schildert  die  Sachlage  folgendermassen: 

n  Geben  E.  Ch.  G.  wir  vnterthanigst  Zuuomehmen,  das  wir 

nach  lautt  der  €k>mmission  —  den  21  vorwichenen  Monats  Jnly  kegen 
Abendt  zu  Strausberg  angelanget  ?nd  folgendes  Tages  Zu  fruer  Tage  Zeit 
der  Sachen  einen  Anfang  gemacht,  alle  Register,  Haussrechnungen,  vnd 
was  sonsten  mehr  Ybrkunden  hierczu  dienstlich  fleissig  durchgesehen 
vorlesen,  einen  Extract  darauss  gemacht  vnd  ein  gar  Kleglichs  er- 
bärmliches Wesen  gefunden» 

Dan  es  haben  gedachte  Rechnungen  vnd  Register  geben,  das  der 
BahtZue  Strausberg  den  allgemeinen  Städten  an  Retardaten,  schössen 
vnd  freuleinsteur,  ohne  die  New  hewilligte  ( 'ontribution,  die  sich  auf 
lOHö  Tlilr  1  sgr  8  ..j  beleutt't  vnd  (lorauf  sie  noch  nicht  einen  Heller  ein- 
gebracht 6097  Tbl  12  sg  10  ^  schuldigk.') 


')  Ein  Thaler  «  24  sg.  ^  em  Golden      17  ag. 


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136 


B.  Seiffert: 


So  sifuU  sie  an  Ziiissbaren  Heuptsummen  10874  fl  lU  gi'  11  ^ 
'l  liiiii  an  Tliali'in  7702  Till  20  sg  11  vml  daraaf  versessenen  Zinss 
S)4ij  fl  8  si,-  ()  Thun  an  Thaleni  67Ü  tW  10  .sg  ti  ^  wie  auch  den 
Mansionariis')  Zue  Tjebbiis  78  Thl  restirenden  Zins  schnldigk. 

l.st  also  »lie  gantzt"  schuldt  «les  Ivulits  Zue  Straus)»erg 
lo(')Jiy  Till  21  s^^  ^  worunter  utf  die  lleuptsuininen  Jehrlicli  Ziuss 
462  Thl  ;>  sf?  «icliun'ii. 

Vnd  ol>  woll  da  kfif<'ii  dci-  Haht  hev  der  Bürge rscthafi't  an  lietardntt- 
.schö.ssen  2132  Thl  11  sg  4  .|  vnd  l»ey  den  Stiidten  an  Anlagen  noch 
22*J(I  Thl  11  sg  4  Ihn  glei«  In  n  von  Lucas  Andreass  234  Thl  12  sg  so 
vff  einer  Mühlen  stehen  Zu  tujdern 

So  berichtet  doch  ein  Kahtt,  das  sie  sieh  von  den  Ketardatsrhössen, 
angesehen,  das  die  heii'-^cr  zerfallen,  die  Nahrung  gar  verschwunden,  die 
Rurgersehafft  mit  .lagtltlauften  vnnd  Abfuhren  vber  die  nuisse  beschweret 
wird,  nicht  500  fl  aufzunebnuMi  zugetrösten,  betten  also  zubeczalung 
obaugeregter  scliulden  2424  Thl  so  gewiss  zum  besten  Vnd  bleiben 
noch  13201)  Thl  21  sgr  9  vnbeczahlet. 

Zu  diesem  muss  der  Rnht  an  gewissen  ausgeben  230  Thl  vnd  an 
vngewissen  aufs  gelindest  gerechnet  453  Thl  Thuet  zu  sammen  082  Thl 
Järlich  wissen  vnd  haben, 

Wan  nun  des  Rahts  Jahrliche  intraden  aus  den  llausrechnungen 
Extrahirt  vnd  angelegt  we  rden.  So  kau  die  Haushaltung  bei  weiten 
dauon  nicht  bestellet  werden, 

Den  das  Einkommen  vomAckerbaw  g<'het  wieder  daruf,  was  vbrig, 
wirdt  auf  besoldung  der  diener  gewendet,  Ja  es  gebens  die  Hechnangen» 
das  man  domit  nicht  Zukommen  können  vnd  Jährlichen  Roggen  vnd 
Haber  gekaafft  werden  muss. 

Die  andern  Jährlichen  Hebungen  vom  Obersten  bis  vndersten  anfe 
genaweste  gerechnet  tragen  etwa  413  Thl  11  8g  5  ^  ans,  das  also  noch 
27U  Thl  saerreichnng  der  Jerlichen  Yncosten  mangeln  wollen. 

Wir  haben  Ihnen  Zwar  allerley  mittel  wie  man  die  270  Thl  anch 
Jerlichen  haben  könte  an  die  hanndt  gegeben,  hoffen  auch  wen  sie  Zne 
wercke  gerichtet  werden,  Es  soll  der  Rahtt  mit  der  hül£fe  des  all- 
me(  htigen  die  Ordinär  vndt  Extraordinär  aussgaben  von  den  Jerlichen 
hebangen  meistes  theils  bestellen  können,  Woher  aber  die  Jerlichen 
Zinsen  Znnemen  vnnd  endUch  di(>  Hauptsumma  abzutragt 
sehen  wir  ausser  Vereusserung  etlicher  Stadtgüeter  gar  kein 
mittell,  vn  d  vntfr  denen  keines,  so  sie  besser  entrahten  kdnten, 
als  die  wüste  i'eidtmarck  Kehenstorff 


')  cf.  Augusthett  1898  der  BrandenburgU,  8.  171  und  lÜO.  ~ 


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Ehemmllge  KAmmefeigflter  StrwiBbeigi^ 


187 


Hell  sie  ist  eine  Meillwegcs  von  der  Stadt  f^ele^en,  kan  daraus  niclit 
gciiiistet  noch  bcscliickct  werden,  Derowegen  sie  ausgetban  vaodt  etwa 
Jerlich  ....  Nviiispcll  Pensinn  giebet 

Derwcm  ri  liebst  ein  Hahtt  zu  Stniuspery  der  \  nfertlienif^sten  Zu- 
uei-sicht,  weill  sie  sieh  als  dureii  diess  mit  teil  audei-cr  gestalt  nicht  i'ctteu 
können,  l^.  C  h  f.  ( i,  w  c  rden  in  diegesuchte  aiieuatiun  der  wüsten 
Feldtniarck  Keiienstorf  gnedigst  willigen,  auf  welchen  tall  (ieu 
die  benachbarten  von  Adell  denen  sie  weit  besser  als  den  Strauspergi- 
scheii  geletccii  vnd  mehr  Nutz  als  sie  danon  luil»en  können  sich  darunib 
annehmen,  vnd  hernach  die  liandlung  wie  hoch  es  zubringen  geben  würde, 
Hette  man  hernach  wan  disstals  eine  gewissheit  mit  den  gleubigern  aucli 
abhandlung  zumachen,  vnd  do  die  Kaufsunima  ie  nicht  zureichen  solte 
auf  den  Eussersten  fall  auch  zuuereusserung  eines  weit  abgelegenen 
Sehes  zugreiö'eu,  Vnd  obwoU  auf  solche  wegu  der  Raht  zoe  Straosperg 
vnsers  eraehtens  ans  den  Schnldea  vnd  mit  Gtotteshftlfb  wieder  zu  Recht 
gebracht  werden  könte,  So  Stellen  £.  Ch.  G.  wir  doch  va  fernerem 
gnedigsten  nachdencken  vnd  Verordnung  solches  alles  vnterthenigst  an- 
beim.**  — 

Der  Kurfärst  gab  wohl  seine  Einwilligung  zom  Verkauf  der  Feld- 
mark; aber  es  fand  sich  keiner,  der  sie  kaufen  mochte,  nicht  einmal  die 
Barfnss,  denen  «sie  doch  am  besten  gelegen**,  konnten  sich  sa  dem  Er- 
werb entschliessen.  Ehe  man  nun  weiteren  Kat  schafiidn  konnte,  sollte 
bereits  die  Execntion  ergehen.  Deshalb  rief  der  Rat  schlennigst  die 
Hälfe  des  Knrforsten  an: 

„Dnrchlanchtigster  Ob  wir  woli  mit  allem  vleisse  vns  dohin 

bearbeitenn,  domit  den  Greditoren  so  vor  vnser  Zeit  ihre  gelder  zne  Bat- 
hause geliehenn,  Nach  mngUgkeit  Contentament  wiederfahren  möge,  Wie 
wir  dann  vf  E.  Chf.  g.  gnedigen  Consens  die  waeste  feldmargk 
Kenstorff  Nunmehr  durch  den  bey  hofe  bestaltenn  .Land- 
messer gebührlichen  ausmessenn  lassen,  vnd  bemühenn  Vns 
doranf  weiter,  das  der  Anschlagk  dorauf  vfs  eheste  ver- 
fertigett  werden  möge,  So  gehet  aber  doch  dieses  dabey  vor,  das 
eTner  vnndt  Andere  gleubiger  mit  der  erstenn  fuhren  wie  das 
Sprichwort  lautett  gedencket  vberzuefahren,  vnd  wollen  der  Com- 
missarien  Verhandlunge  oder  rechtliche  Verordnung  nicht  erwarten,  Haben 
dohero  vnterschiedliche  Pfandbefehliche  an  den  Landreuter  vfn  Ober  Bar- 
nims ansgewirckett,  der  mitt  dem  Schaff  vnd  andern  Vieh  dafon 
zueziehenn  vns  bedrewet,  dodurch  dann  alles  zum  desolat  wurde 
gemacht  vnd  diese  arme  Stadt  in  die  höchste  vndt  eusserste  vngelegen- 
heit  gesazt  werden,  Nun  ists  gleichwoll  ;m«Ieui,  das  wir,  so  in  gar  neu- 
lieben Jahren  zum  liahtstuel  gezogenn,  Au  diesem  vnwesen  keine  Schuldt 
haben,  Lucas  Andres^)  Erben  vnd  andere  so  vbell  administnret  ge- 

•)  BOfgonneittor  1604-14.  8.  vom  a  36  Anmerkmig. 


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188 


B.  Seiffeit  t 


bührete  Bolche  zanerandworten  Ynd  wurde  vnsers  geringen  erachteos, 
weill  es  ad  Concursum  Creditornm  imhmehr  sich  teglichen  veranlassett 

eioem  die  liülffe  in  praeiiKlicium  der  Andern  nicht  können  vecstadtett 
werdenn,  Sondern  vf  eines  Jedernn  lingolteno  Täqoidation  wnrde  der 
prioritet  wegen  vorhero  oino  «gebührliche  Verordimnge  müsson  eigeben 
wer  prior  vnd  potior,  Wir  wollen  auch  hoftVn  Nachdem  die  Ausmessung 
nunmehi*  erfolget  das  dor  Anschlag  oder  Tax  in  wenig  tagen  auch  ge- 
fertiget vnd  der  kauff  endweder  in it  Caspar  Barfften  oder  sonst 
anderenii  Anbelegenen  von  Adell  vortgengig  sein  solle,  Dorauff 
dan  die  Herun  Coinnilssai'y  So  E.  Chf.  G.  vns  gnedigst  verordnen  werden 
der  Prioritet  wegen,  wan  wir  der  Kaufsuin  gewis,  auch  dem  Wergk  seinen 
gebührenden  Ausschlag  leicht  geben  vnd  dem  Thuen  sclileunig  al)ehelfen 
werden,  Vnd  als  zu  solcher  Tageleistung  nicht  allein  Vncosten  erfordert 
werden,  Sondern  auch  Tnmittels  dem  Landrenter  mit  der  Execution  in 
ruehe  zue  stehen  billig  anbefohlen  wirdt;  Demnach  gelanget  au  E.  Chf.  g. 
vnser  vntertheniges  Fitten,  dieselben  wollen  dieser  bedrengten  Stadt  diese 
genade  widerfahren  lassen  vnd  von  den  bey  Damerowen  vns  gehörigen 
deponirten  geldern  zue  beforderung  der  Conimission  vnd  Tax  vns  funf- 
zigk  Thlr.  noch  abf(»l^en  vnd  hiei  iietrst  dem  Landrenter  vfm  Obern  Bar- 
nims gnedigst  inhibiren  vnd  befehll  tluin  lassen,  Das  er  keinem  Cre- 
ditori  zwischen  dis  vnd  Ostern  ob  er  gleich  befehliche  extra- 
hiren  würde,  die  hülffe  mittheilen  oder  vns  mit  der  Pfendiing 
oder  Immission  beirren  solle,  HofFenu,  das  wir  vnterdes  alles  durch 
die  Comniissiun  Zum  gebuerenden  Staude  bringen  vnd  die  Creditoren 
woher  sie  ihre  Zahlung  gewarten  sollen,  anweisen  lassen  wollenn,  Tun 
diesem  vnsern  billichen  suchenn  E.  Chf.  g.  Vns  gnedigst  erhören  wollenn, 
Vnd  wir  seins  in  gehorsamer  Vnterthenigkeit  bey  tag  vnd  nacht  Zuuer- 
dienen  schuldig  vnd  höchst  gevlissenn.  E.  Ch.  G.  Vnterthenigstc  Ge- 
horsambste  Burgermeister  vnd  Rahtmanne  der  Stad  Strauspergk."  — 

Nnr  mit  Mühe  erlangte  der  kurfürstliche  Rat  und  Bürgermeister 
Pasehe  in  Berlin^)  „einen  Schntzbefehlich,  domitt  biss  xnr  Vereusseruug 
der  feldtmarek  Kenstorif  die  Exeention  wider  euch  eingestellt  wfirde**, 
vorläufig  bis  Pfingsten.  Nach  einem  Protokoll  vom  29.  Juni  1617  kamen 
d^e  Kommissare  und  der  Rat  xu  dem  Entschloss,  znr  Zeit  von  einem 
Verkauf  noch  Abstand  zu  nehmen,  dagegen,  um  der  Stadt  wenigstens 
etwas  Ruhe  zu  verschaffen,  gegen  Verpfändung  des  E&bnsdorf 
eine  Anleihe  von  4000  Thl.  bei  der  Miitel-Uckermftrckischen 
und  Ruppinischen  Stftdtekasse  zu  erbitten.  Auch  hierzu  ward  die 
kurf&rstliche  Genehmigung  erteilt  und  alsdann  in  die  gütliche  Verhandlung 
mit  den  Gläubigern  der  Stadt  eingetreten. 

«Wir  Bürgermeister  vnnd  Rahtmanne  der  Stadt  Strausbergk  fuogen 
hiemit  menniglichen  nach  Standes  gebur  mit  Entbiettnng  vnsers  gmsses 

>)  Biief  vom  3.  April  1617. 


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Eheoudige  Ktaunenigftter  Stmnsbetgs, 


1S9 


ynnd  willigen  Diensten  za  wissen,  t)a8  wir  Vorhabens  yaser  des 
Rahtts  Schul  ih  nla&tsnm  Theill  abezutragen,  Derwegen  von  nötten 
mit  einem  ynnd  flcm  andern  Abrechnung  zuhaltten  vnnd  die  Ileoptver^ 
Schreibung  zu  revidiren,  Als  haben  wir  Zeigern  dieses  Abgef«M  tiget  vnseren 
Creditoren  diese  vnser  roeinang  anzudeutten,  Fitten  demnach,  die  Jenigon 
denen  wir  mit  Zinssgelde  verhaftet  vud  vnser  Hand  vnd  Siegell  in 
Henden  haben^  woltten  Ynnachlessig  mit  ihren  Heuptverschreibangen 
Zwischen  diess  vnd  kunfftigen  Froytagk  (8.  August)  bey  vns  zu 
Strausbergk  anlangen  vnd  dissfals  guetten  bescheidt  erwartten, 
Welches  wir  vnsern  Creditorn  wollineinend  anfuegen  wollen  -  Vhrkund- 
lich  mit  vnsern  Stadt  Secrct  besiegelt  Strausbergk  am  3  Augnst  Ao.  1H17." 

„Des  Durchlauchtigstenu  Hochgebornoiin  Fürsten  vndt  ilerrns, 
Herrn  Johann  Sigissmunden,  Marggraflfens  zue  Brandenburg  p  Wir  ver- 
ordentte  Conimissnrij,  Daniel  Klindt  Caniniermeister,  vndt  Jacob  Strass- 
burg  Bürgermeister  zu  Berlin  p  Entl)ietenn  allen  vndt  Jeden  eines 
Erbarii  Raths  der  Stadt  Straussbergk  Creditoren,  Vnsern  gruss,  Vndt 
willige  (Heilste,  vndt  fuegenn  euch  durch  dieses  offene  patent  zuwissen, 
Das  Höchstt>eda('htte  Dir.  Ch.  G.  Vns  gne<ligst  Committirct  Vndt  befohlenn, 
Nachdem  gedaclitter  Rath  vor  diesem  in  grosse  schulden  ge- 
rathenn  Vndt  daher  viel  Ciagens  wieder  Ihn  eine  geraume  Zeitt 
hero  getrieben  worden,  gleichwol  sich  daraus  nicht  brengen 
können,  entlich  aber  ein  stück  geldes  aufgebra(^ht,  Das  wir  vns 
förderlichst  eines  tages  vergleiclienn,  Ihre  glenbiger  darzu  beschei- 
den n,  mit  Ihnen  gütliche  handeiuug  pflegenn,  vndt  vns  bemühen 
sollenn,  wie  die  arme  bedrengte  Stadt,  aus  den  schulden 
wesenn  gerissenn,  Vndt  Ihre  Gleui)iger  auf  leidtlichen  wege 
contentiret  vndt  behandelt  werden  möchtten, 

Wan  dan  höchstgedachte  Ch.  G.  vns  gnedigst  aufgetragene  Gom- 
mission  wir  yns  vndtertlienigst  zu  effectuiren  schuldigk  erachttet, 

Gituren,  heischen  yndt  laden  wir  euch  Crafft  habender  Gommission, 
das  Ihr  den  Mittwoch  nach  Bfichaelis  wird  sein  der  1.  Octobris 
frtter  tage  Zeitt  allhier  zn  Berlin  anfn  Raihanse  in  der  Stedie 
gewelbe  in  der  Persohn,  oder  durch  e.nere  genolmechtigtenn 
mit  eaern  Liquidationen  gefast  erscheinet»  Der  gütlichen  handlung, 
so  Zwischen  gedachttem  Rath  zn  Straossbergk,  vndt  euch  furgenommen 
werden  soll,  beiwohnen,  yndt  euch  hierin  also  erzeigen  wollet,  Damit 
die  arme  Stadt  so  yiel  müglich  aus  den  bedrenglichsten  schulden  gerissen, 

yndt  wieder  zum  aufnehmen  gebracht  werdenn  möge,  Zu  Vrkundt 

—  Actum  Berlin  den  29.  Augus^  Anno  1617  p.  Jacob  Strassburgk  mpr. 
Daniel  Klindt  mpr." 

Über  die  Verhandlung,  die  mehrere  Tage  in  Anspruch  genommen 
zn  haben  scheint,  berichtet  die  Schuldverschreibung*)  des  Rates:  «Wir 

Abecbrift  un  Archiv. 


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140 


6.  SeUtorl: 


Börgermeistere*)  vndt  Rahtmannc  tler  Stadt  Straussber^k  lii«rmitt  vor 
vns  vnnd  vnsiM'f  Narlikomineii  am  Ralit  auch  sonsteii  Allennenniglichen 
vrkuiiden  vnd  bekennen,  Nachdem  vnser  Kahthaiiss  In  nicrcklicho  vnnd 
grosse  vngclegenlicitt  gerathen  vnnd  vnsere  Creditorn  mit  nclitii^kmacltiinfi: 
Ihrer  bei  \m  aussstelieuden  forderungen  in  vns  harte  gedrungen  vnnd 
wir  In  andre  wege  Keinen  raht  gewiist,  denn  d;is  wir  die  Mitteil  :Vcker- 
merckischen  vnnd  Ruppinisciie  Stiidte  liittlirhen  angefallen,  das  Sit-  vns 
vff  vnsere  Versicherung  die  Feldtmarek  Keenstorff  mit  Churfl.  conscns, 
Vier  Tausend  Taler  heu])tsumma  vmb  gebuerliche  v^erzinssunge ,  als 
Sechs  vom  Imndertt,  Vorsätzen  mochten,  Gestalt  Sie  dan  auch  solcbs  zue 
tliun  grossgunstigst  vurwilligett  haben, 

Das  nun  solcher  vorwilligunge  zue  volge,  ^v(>lgodachte  Mittel:  p 
Städte,  heutten  dato,  durch  dero  verördenten  Einnehmer,  hern  Sigmundt 
Wöltkeu  besagte  heu[)tsuiiHna  —  ausstzalen  lassen,  vnnd  wir  dieselben 
zue  vnsern  sichern  henden  bahr  ent{)faugen,  vnnd  alsof'ort, 
In  mehr  wolgemelter  Städte  Einnahms  gewclltt'  In  Ix'isein 
der  Chnrfl.  vero i*(le nten  herrn  C o ni niissu r i i' ii  vnter  vnsere 
Creditorn  distribuiret  vnd  aussgeteilett  haben,  dessen  thuen 
wir  oftt  wolgemeltte  Städte,  deroselben  Einnehmer,  oder  wehr  sonsten 
desswegen  mehr  (juitirens  vonnotteu,  solcher  wolaussgetzalter  Ileuptsumma 
der  4UUU  Taler  cum  renunciatioae  Exceptionis  Non  soluti  pi^aecis,  liier- 
mitt  bestendiger  massen,  oder  wie  es  sonsten  Im  Hechte  am  Crefttigsten 
geschehen  soll,  kan  oder  magk,  quidt  ledigk  vnd  loBS  sagen,  Gestalt  vvii* 
Ihnen  axusk  alsofort  bei  der  aasstzalang  vnsere  yerschreibang  —  auss- 
^geandtwortet  haben,  —  Ohne  einige  Argelist  vnd  gefehrde, 

Yrknndilich  haben  wir  dieses  mitt  vnserm  der  Stadt  Insiegel 
wissentlich  becrefitigett.  (Geschehen  Berlin  den  3.  Ootbr.  Ao.  1617.^ 


So  war  die  Stadt  zwar  einen  Teil  ihrer  Gläubiger  los  geworden, 
man  kann  aber  nicht  behaupten,  dass  ihre  Lage  sich  dadurch  gebessert 
hätte;  denn  Zinsen  mussten  nach  wie  vor  gezahlt  werden,  und  aus  der 
Bewirtschaftung  und  Verpachtung  der  Feldmarck  Kähnsdorf,  die  auch 
fernerhin  dem  Rate  oblag,  konnte  die  Summe  der  Zinsen  ffir  4üÜ0  Thl., 
—  240  Thl.  ~,  nicht  herauskommen.  Bis  zum  Jahre  1023  wurden  zwar 
die  Zinsen  abgeföhrt»  -  doch  erst  1026  — ,  von  da  ab  brachen  die  hoch- 
gehenden Wogen  des  30jährigen  Krieges  Aber  Strausberg  herein  und  da- 
mit Zeiten  und  Zustände,  wie  sie  annähernd  nur  wenigen  Orten  der  Mark 
beschieden  gewesen  sein  mögen;  die  Zahlungen  wurden  einfach  eingestellt 


»)  Baltli.  Falke,  Marl.  Cuiiipen,  Andr.  ydiinidt,  Joach.  Broiuer,  Barthol.  Schröder, 
Aiidr.  Schuster,  Job.  Bleaendorff,  Joach.  Dierberg,  Dan.  HuDderUnarck,  Peter  Arndt, 
George  Kerkow^  Oiegor  LOW. 


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KhemaUge  Kflinm«i«igater  Straosbefg«. 


141 


BUebeii  docb  auch  die  Pachl^lder  der  armen  Bauern  ans,  wie  ans  einem 
knrförstlichen  Schreiben  vom  20.  November  1624  hervorgeht,  worin  ^ilsaac 
von  Platowen  sehl.  witwe  za  Prötzel!"  aufgefordert  wird,  ihre  Unterthanen, 
für  die  sie  gut  gesagt  habe,  znr  Zahlung  „der  restirenden  Pechte  vom 
eingethanen  Mietlande  auf  dem  Eempfstorff**  anzuhalten.  Nach  einem 
Protokoll^)  vom  24.  April  1627,  wonach  das  Land  auf  mehrere  Jahre  an 
einen  Barfass  inFrftdikow  verpachtet  wurde,  waren  die  Gebäude  „v  dllig 
ruinirt  und  wfiste";  es  ist  auch  nach  1629  von  der  Meierei^ 
und  Schäferei  daselbst  keine  Rede  mehr,  so  dass  man  annehmen 
darf,  dass  beide  um  diese  Zeit  völlig  eingegangen  sind. 

Erst  im  Jahre  1039  (16.  November)  fragten  die  „Verordneten  der 
Mittel:  Vckermärckisclien  vnndt  Ruppinischcn  Städte*'  wieder  <nniual  an, 
wie  es  denn  eigentlich  mit  denZinsen  für  dio  40()()Tlialer  sei. 

„ —  Ehrenveste  —  Denselben  werden  die  Ihrige  Abgeschickte  ver- 
hoffeutlich  Jungsthin  nach  der  lenge  berichtet  haben,  Wie  es  mit  den 
versessenen  Zinsen  von  den  entlehneten  4000  Tallem  Capitall  allenthalben 
beschaffen,  Vnndt  das  die  Rhats  Persohnen  in  Straussbeigk,  sambt  vnndt 
sonders  dafür  gelobet,  Vnndt  selbige  Zinsen  vermuge  ihrer  aussgestalten 
Obligation  dem  Kasten  von  ihren  eigenen  Guettem  Zubezahlea  vnndt 
gutt  zumachen  schuldigk. 

Wan  Wilir  dan  wegen  nicht  Zahlung  solcher  Zinsen  hiezu  Ambts- 
halber  lenger  nicht  stillwoigen  können,  Sondern  disswerck  zu  entlicher 
Richtigkeit  bof(»r(lert  wissen  müssen,  (lestalt  dan  ;nir  h  die  Anwesende 
von  Städten  bey  Jüngster  Zusammenknntt't  einen  solchen  Sellins  gemacht, 

Als  begehren  an  Stadt  vnser  Herren  IMiiioipalen  wir  liierinit,  Vor 
Vnser  Persohn  aber  freundtlich  pittende,  Das  die  Herrn  beyderseits ')  in 
Persolm  vff  kunfi'tigen  Mittwoch  nach  Catharinae,  wirdt  den  '27.  dieses 
Monat  Nüvembr:  sein,  ge<;en  Abendt  anhero  erscheinen,  Folgenden  Morgen 
aber  vmb  8  Vhren  sich  bey  der  Städte  Einuelinieru  Herrn  Peter  Wöltken 


>)  B«i  PeiUte. 

-)  Von  dem  letzten  Meier  erzählt  Perlitz:  „Am  0.  Oktober  des  1629.  Jahres  wurde 
auf  der  KMusdorfischen  Feldmark  ein  Hirtenknecht  gefunden,  der  daselbut  orschlni^en 
worden  und  iu  der  Erde  verscharret  gewi'sen.  Als  der  KensdurHäche  Meier  iSclimidt 
hinsn  gekommen  imd  bei  dem  E&lMhteu  geäiauden,  bat  msn  geaehen,  äass  eich 
das  Blnt  gleiehsam  in  Strömen  ans  den  Wunden  bervorgethan,  welches 
man  vor  seiner  Ankunft  nicht  verspüret.  Man  hal  deshalb  auf  diesen  Schmidt 
Argwohn  gescliüpft  und  ist  deshalb  zur  Inquisition  gezogen  worden.  In  der  Tbat,  fügt 
er  hmzu,  „ein  wichtiges  Art'ument;  beut  zu  Tage  (1825)  würde  es  dafür  etwas  auf  die 
Fmger  gebeul  Die  Vorsehung  hat  aber  dafür  gesorgt,  dass  dieser  arme  ScbeUu  nicht 
aar  Folterbank  gescbleppt  worden,  denn  wie  es  beisst,  ist  er  mit  seiner  Frau  an  der 
Pest  im  Geftngnias  gestorben."'    (Ein  Beitrag  zur  Geschichte  des  Barrecbts). 

')  Davon  ist  aber  in  der  Schuldverschreibung  von  1617  eigentlich  nicht  dieBedOi 
dass  die  Rutsherren  mit  ihrem  eigenen  Vermögen  haften  sollten. 

*)  Balthasai-  Falke  und  l'anicl  Hundertmark. 


^  ij  .  .-Lo  Ly  Google 


142 


B.  SeiCEert: 


anjjpbeii,  Vndt  in  Vuser  Kegenwarth  RechDuiig  mit  Ihme  anlegen,  auch 
annehmliche  Vorschläge  thuu  wollen,  Wie  solche  Versessene  Zinsen  ab- 
gefuhret  vnndt  den  Städten  fruit  gotiian  werden  können, 

Geschieht  nun  solches,  halt  es  sein  bleiben.  Wo  niciit,  können 
Wihr  Ambtslialbcr  nicht  vorbey,  die  Sache  vor  den  hoclilöb- 
liclien  Cammergericht  Zur  Verhöer  zu  ziehen,  Vnndt  die  Herren 
durch  solche  gebülirliche  Zwangsmittoll  zur  Zahlung  compel- 
liren  vnndt  a  nhalten  Zulassen;  Womit  Wihr  Sie  aber,  do  nur  immer 
die  guette  bey  Ihnen  vertaugen  will,  Von  Uertzen  gerne  verschonet  sehen 
möchten  ** 

Es  ist  nicht  ersichtlich,  was  darauf  erfolgt  ist;  es  scheint  jedoch, 
als  ob  seitens  der  Städtekasse  wiederholt  das  Kapital  gekündigt  worden 
sei,  worauf  der  Rat  allerdings  auch  in  keiner  Weise  reagirte. 

Drei  Jahre  S])äter  wurden  wieder  Ratsdeputirte  zui-  \'erhandlung 
geladen:  aus  der  Vollmacht  für  diese  d.  d.  13.  December  1(>4l\  ist  be- 
merkenswert, „das  Sie  zwar  in  Vnsern  nahmen  nut  der  Herren  Städte 
verordtneten  in  der  Sachen  alle  gutliche  Vuterhandtlung,  ndttel  vnd  wege, 
wie  dieselbte  auf  ein  ende  gebracht  vnnd  beygelegt  werden  möge,  suclieu 
sollen,  Jedoch  nicht  weiter,  dann  das  das  vorschriebeue  Vnter- 
pfandt  der  Kenstorff,  vor  das  GapitaU  angenommen,  vnnd  das 
die  annoch  restierenden  Zinsen,  in  betraeht,  weiln  so  lange 
hero  alss  das  Kriegswesen  gewehret,  niemandt  Knhnlich  vors 
Thor  hinaus  sich  wagen  dnrffen,  auch  anf  so  Tntersohiedt* 
liehe  aafsagung  des  Capitals,  niemalss  gehöret  werden 
können,  erlassen  werden  mögen  — * 

Die  «versessenen"  Zinsen  beliefen  sich  znr  Zeit  anf  4600  Thaler, 
insgesamt  stand  Stransbeig  an  Retardaten  von  1598—1643  mit  24047  Thl 
19  gr  4  ^  hei  der  Städtekasse  angekreidet  —  man  verteile  dies  anf 
27  stenerzahlende  Barger,  die  damals  noch  vorhanden  waren.  Der  Rat 
heharrte  anf  seiner  Ansicht,  die  St&dte  möchten  sich  an  das  Unterpfand 
halten  nnd  sehen,  wie  sie  daraus  zu  ihrem  Gtolde  kämen;  Stransherg  sei 
ein  ödes,  kraftloses  Memhmm  und  habe  rein  gar  nichts;  weitere  Ver- 
handlangen lehnten  sie  ab,  erschienen  auch  nicht  in  Berlin,  und  so  bUeh 
dem  Propheten  nichts  weiter  übrig,  als  zum  Berge  zo  kommen.  Eine 
Kommission  der  Yerordneten  nebst  dem  Herrn  Präsidenten  D.  Petro  Fritzen 
z^gte  ihr  Eintreffen  in  Strausberg  für  den  1.  Oktober  1643  an,  »um 
die  Feldtmarck  in  angenscheln  zunehmen,  Derowegen  die  Herren 
auf  ein  Vier  Heupt  Persohnenn  vndt  zweyen  diener  gelegenheitt  zu  log^ren 
anordnong  machen  könnenn,  damitt  man  in  ettwas  accommodiret  seien 
möge"  und  ftbertrug  hierauf  dem  „Notarius  publ.  Caes.  vnd  Bürgermeister 
znr  Bernau,  Georgias  Manss,  eine  landtvbliche  Taxa  vnd  Anschlag  der 
Wüsten  feltmarck,  Kenstorff  genannt,  £.  £.  Rath  zu  Stransherg  znstendig," 
anzufertigen. 


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Ehemalige  KAmmeraigater  Stntoebeigs. 


143 


Nach  dieser  Taxe  vom  13.  Oktober  1643  „soll  die  Feldmark  in 
sich  halten  vnd  io  der  Circamferentz  begreiffen  900  Morgen,  davon  jähr* 
lieh  300  Morgen  mit  Roggen  vnd  300  Moi*gen  mit  gersten  vnd  haber 
können  gesät  werden.  Würde  also  die  jährliche  anasaat  sein 

12  Wispel  12  Scheflfel  Roggen  äWsp.  200  Thl  .  .  ,   2500  Tbl— gr 
4    »      4    ,      gersten    ,     200  „    .  .  .     883  „   -  „ 
.    8    ,      8    ,      haber      „     100  „    .  .  .     300  „   -  „ 

hatt  daranff  Meyereygereehtigkeit  ...    300  »   —  „ 

zugleich  sefaftffereygerechtigkeit  vor  600  banpt  Schaff- 
vieh zn  halten.  Ist  von  jedem  100  die  jfthrlidie 

Mtznng  9  TU,  davon  3  pro  cento  gerechnet  thftte 

1800  Tbl.  Weil  aber  znr  anflntterong  des  schaff- 

viehes  Theils  ben  an  der  oder  mass  gekanfft  vnnd 

geschafft  werden,  gehet  der  3.  Theil  von  dieser 

Summe  ab,  dann  bleibet  also   1200  «   —  , 

Vor  12  Stack  Rindt  Vieh  so  doselbst  kann  gehalten 

vnd  den  Winter  dnrch  mit  gewohnlich  fntter  vor- 

flecht  vnd  vberwintert  werden,  davon   l''>0  „    —  „ 

vor  die  Schweine  Zncht  doselbst   25  „   —  „ 

vor  die  Ober-  vnd  Yntergericht  auf  dieser  feltmarck      100  „    —  „ 
vor  die  Bebe,  füchse,  Hasen  etc.  Jagten  vnd  anderm 

vveidewergk  200  Tbl:  —  Summa  6141  „    16  , 

Davon  wieder  abgezogen  150  Tbl  vor  18  scb.  Roggen, 

58  Tbl  8  gr  vor  14  scb.  Hafer,  so  jährlicli  dem  H. 

Inspectori  zu  Straossberg  von  dieser  Feltmarck 

Kenstoi'ff  müssen  gegeben  vnd  entrichtet  werden, 

thut  dieser  Abzog  208  Thl  8  gr  Rest  verbleibet 

aiso   5983  Tbl  3  gr." 

Dass  die  von  der  Ackerwirtschaft  allein  schon  in  Aussicht  genom- 
menen Einkünfte  nicht  im  entferntesten  der  wirklichen  Einnahme  en^ 
sprachen,  beweist  folgende  Anfetellnng  des  Rates  von  1652: 

„Keiistorfliscbe  Aussaat  von  Ao.  1I)Ö2.  An  Koggen  1  w.  14  scb. 
davon  0  scb.  der  Herr  Ius|MH'tur,  Verbh-ibt  1  w.  8  scb.  Dafor  <'in- 
genommon  30  Tbl.  An  Haber  ist  Aussaat  f<e\veseii  1  w.  srli.,  doruutfi" 
aber  Klönen  zue  Closturff  1  V*  scbf.  abgebutet,  derowegen  er  die  Aussaat 
nicbt  entricbten  wollen.  Verbleibt  also  1  W.  4^^  scb.  Davon  t}  scb. 
der  Herr  Inspector  Bleibet  22  schf.  1  Viert,  Dafor  eingenommen  12  tbl 
Summa  42  thl.  Hiervon  Fuhrlohn  vndt  Zehruug  Wegen  einbriugung 
Vt  Wsp.  Roggens  vndt  Habers  8  TU,  Verbleiben  89  thl.  Hierauf  laat 
qoitung  bey  der  Stedte  Gasten  geüefeii  88  thl  3  gr  Restiret  noch  21  gr 
Diese  ist  Hanss  Moller  wegen  eines  Schff.  Roggen  noch  zue  zahlen 
Schuldig.« 


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144 


Hieiaus  und  ans  anderen  Notizen  ist  ersichtlich,')  dass  von  1646 
an  die  Stiidt»'kas8e  anstatt  der  Zinsen,  welche  die  insolvente 
Stadt  nicht  zahlen  konnte,  sich  wenigstens  die  Natnralein- 
künfte  von  der  Feldmark  sicherte,  d.  h.  in  den  faktischen  Be- 
sitz eintrat;  nach  den  vorhandenen  Quittungen  von  1Ö46 — 54  brachte 
dieselbe  insgesamt  nur  etwa  145  Tlialer! 

Die  kurfürstlichen  Räte  Dr.  Joachim  Kemnitz  und  Friedi'ich  Bleci«- 
schniiedt,  welche  nach  langem  Bitten  und  Drängen  der  Bürgei*schaft 
vom  l!9,  —  31.  März  1654-)  in  Strausberg  waren,  „um  das  zerfallene 
Stadtregiiucnt  wieder  auzurichten",  schlössen  sich  den»  Gutachten  des 
Rates  wegen  des  Kensdorf  an:  „wehr  gntt,  das  sie  an  einen  ge- 
wiss(!n  Mann  gebracht  viid  verkaufft  würde,  dann  wegen 
dessen,  dass  dem  Viehe  wasser  mangelt  vnn d  grosser  scliadeii 
von  den  Closterf isc hen  mit  den  hätten  aldo  geschiehet,  fast 
keiner  mehr  dahin  Seen  will." 

Allein  erst  1702  hatten  die  Städte  das  (ilück  jenranden  zu  linden, 
dem  sie  ihre  jura  unrl  pr^etensii >nes  cediren  untl  abtreten  konnten;  der 
Reichsgraf  Otto  v.  Schweiin  der  Jüngere,  dem  ausser  der  Herrschaft 
Alt  -  LaiidsKerg  ausgedehnte  Güterkompb'xe  gehörten,  ')  erwarb  sie  für 

 UM  »II  Thaler!    Dessen   Sohn  Friedrich  Wilhelm  verkaufte  ITHS 

Amt  und  llerischaft  Landslierg  mit  allen  Pertiiieuzieu,  Vorwerken, 
Dörfern  u.  s.  w.  dem  König  Friedrich  I. ') 

Ein  Teil  der  Feldmark,  eben  der,  welcher  noch  heut  den  Namen 
des  Kähnsdorfer  Waldreviers  führt,  kam  zu  l'erlitz"  Zeiten  in  dün  Besitz 
des  Kaminerheii  II  Au^iist  von  Eckardsteiu,  welcher  18ÜÜ  Prötzel  und 
1801  Prädikow  erworben  hatte. 

ni.  Das  Vorwerk  Wolfsthal. 

IMe  Kämmereibücher  nach  dem  Jahre  1574  erwähnen  neben  der 
Meiere!  nnd  Schäferei  anf  dem  Kähnsdorf  noch  eine  „ Meierei  und 
Schäferei  vor  der  Heide»*  Ober  deren  Einrichtang  in  eben  diesem 
Jahre  der  Bezess  vom  9.  Dezember  1591  folgende  Nachricht  enthält: 

„Vndt  Anfenglichs  weil  sich  die  gemeine  beschweret  hatt,  das 
£.  E.  Rath  Vor  17  Jahren  eine  Nene  Schäferey  vndt  Meyerey  gebanet, 
vndt  vf  ihrer  der  gemäne  freyen  hnettung  gesaczt  vndt  etlichen  Acker, 
Von  der  gemeine  Cauelländer  zn  sich  gezogen,  dieselben  durch  weiter 
Roden  erweittert,  vndt  dadurch  die  gemeine  huettung  An  THfften  vndt 

Eine  Supplication  vom  27.  August  1C53  sogt:  „Den  H.  Henptstedten  stehet 
der  Kenstorff  snr  Hypothec  ynd  dabero  nnuM  an  Stadt  der  Zuuen  die  Padil  eiii- 
geliefert  werden." 

»)  Punkt  t?*2  dos  Prossen  Kommissiunsrozesses  handelt  vom  Kenatorf. 
•)  GuluU',  Gesch.  der  Stadt  Alt-Landsberg,  8.  50  IT.  und  06. 
*)  Ebenda  ri.  07    Auch  ein  von  Bürgermeister  Pape  gefertigtes  luventurium 
booornm  curia«  erwlbnt  diesen  Beaiteweduel. 


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Ehemalige  KOmmwdgtlter  StnoBbeigs. 


145 


Mastonge  ein  anselinUcheB  vorschmeblert  haben,  die  Schäfier  vndt  Meyer 
hierüber  noch  teglich  mit  AbhuNvung  des  holczes,  Vff  lehsnng  der  Eicheln 
vndt  mit  ihrcTn  Viehe  Verwüstung  der  Mast  vndt  huettung  ihnen  grossen 
t'intragk  vndt  schaden  thuen  soltten,  Desswegen  sie  vmb  Abschaffung 
solchem  AHem  Angehaltten, 

E.  Ratli  Aber  berichtet,  dz  sie  vor  langen  Jah renn  wegen  der 
CaueLstucken  vmb,  neben  vndt  bey  der  Schäfferrey  Vor  der 
Stadt  mit  der  gemeine  vmb  wechselunsfe  getroffen,  vndt  der 
gemeine  dargegen  die  dreytelder  Zu  Herrn  an  nssehe,  Gielssdorff,  vndt 
holienÜies,  so  ein  vngleichs  mehrers  wirdigk,  al»getr<'tten,  Vndt  darauff 
der  gemeine  Zum  best«'n  wegen  Ablt^ung  der  ihnen  von  den  vurordnenten 
der  Stette  Ziigetiieiltcn  Aulagen,  So  der  herrschaft  Zukommen  seindt, 
vndt  Auch  durch  Kath  gutter  leutte  Eine  Schäfferey  vndt  Meyerey 
Aldieweil  sie  auch  oberst  vndt  Niederst  gericht  vf  den  doselbst  vmb- 
liggeuden  Stattfeklern  betten,   das   daduich   ein   liath  ohne  eusserste 
bescliwer  der  gemeine  Burgerschalft  Von  Jahren  zu.Jahren  so  viel  mehr  solche 
vorerwehntte  Ausgebrachte  Anhigen  hinwieder  erlangen  möchte,  vff  ge- 
bautt,  vndt  dieselben  biss  Auhero  quiete  possidiret,  auch  wol 
etwas  mehr  darcsa  Raden  lassen,  Die  Einnahme  Vndt  Aus- 
gabe Aber  von  solchen  güettern  Jehrlichen  der  gemeine  Zn 
nocz  vndt  besten  Angewandt»  vndt  vormoge  der  prodQdrtan  Register 
richtigk  berechnet  betten,  Merbej  Aber  nicht  gestehen  woUen,  das  mit 
ihrem  willen  ihre  Mayer  vndt  Sch&ffer  mit  ihren  depntat  vndt  des  Battis 
viehe  solchen  angezogenen  schaden  an  hnettnng  vnndt  Trifften  getban 
haben  soUttenn  p. 

Alss  ist  dieser  Pnnct  dahin  veiglichen  vndt  vortragen,  dz  ein 
£.  Rath  die  gedachte  Schefferey  vndt  Mayerey  mit  den  vor 
Angezogenen  Anss  gewechselten  Caneln  vndt  des  orts  Ganel- 
atacken  aambt  Allen  darcznAnssgeradeten  Acker,  Jnmaaaender 
Rath  solchen  Acker  sembtUch  bisshero  genossen  vndt  g«braiicht  — 
behalten  Tndt  nachmahls  bey  der  Schäfferey  vndt  Meyerey 
gernhiglich  gehranchenn, 

Dar  kegen  Aber  hatt  ein  ES.  Rath  der  ganczen  gemeine  den 
Acker  An  der  Refeldischen  grencze,  so  weit  derselbe  biss  an  der 
knhbmckken  aussgeradet  ist,  abge trotten,  vndt  soll  derselbe  Gauels- 
weise  durch  dz  loss,  Als  gebreuchUch,  vntter  der  gemeine  Borgerechafft 
anssgetheilet,  Vndt  einem  Jeden  Barger  seine  liieiion  Zukommende  Gauel 
neben  den  hieuor  Albereit  erlangtteu  vndt  inuebabeudeu  Statt  Cauelu, 
Zn  eines  Jeden  haus  Erblichen  zugeeigenet  vndt  Jncorporiret 
werden,  doch  das  nichts  weidtergeradet  werde,  —  So  soll  auch  kein 
Bürger  Einige  von  den  vorigen  Statt  noch  iczo  Zufallenden  Caueln  von 
seinem  hause  Trennen,  noch  dieselben  sambt  dem  hause  oder  Andern 
habenden  guttem  dauon  etwas  oder  gancz  zoglich,  ohne  des  Raths  als 

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140 


B»  floUhrt: 


ihrer  Obrigkeidt  vorwissen  vndt  bewilligang  bey  verlost  derselben  Gatter 

verensserD,  vorpfeuden,  nodi  genczlichen  vorkaoffen, 

Es  soll  Aber  Auch  der  Rath  die  Schefferey  mit  dem  beseczten  vndt 
der  knechte  Schaff  viehe  vber  450  heupt  starck  vber  wintter 
nicht  haltten  vndt  do  liieruber  von  der  p:onieiue  in  der  Scheflerey  ein 
niphrers  betroften  wurde,  soll  solche  vber  nias  der  Rath  Als  baldt  wegk 
schafteuD,  sich  aucli  sonsten  alles  vntterschleifs  mit  ihren  der  Priuat 
Raths  Persolinen  vielie,  so  sie  ein  Zeitlang  aus  zu  futtern  hinein  geben 
raeohten,  gencadicbea  bey  Verlust  desselbigeu  vlehes  eossern  vndt  endt- 
balttenn, 

Die  huettung  Aber  mit  des  Raths  vndt  der  gemeine  viehe  vf  iczt 
gedachtem  grundt  vndt  Boden,  Auch  sonsteu  Allens  halben,  soll  wie  vor 
Alters  gemeine  sein  vndt  bleiben,  Aussgenommen,  wan  keine  ISIastung 
ist,  vndt  des  Raths  Scheffer,  mit  dem  Schaff  Viehe,  in  der  luiden,  vndt 
vf  den  vorgedachten  vmbliegenden  Acker  huetten  kann,  soll  er  der 
gemeine  liurgerschafft  eigene  erkauffte  hueffen  Acker  vndt  stucken,  bey 
Vermeidung  der  Pfendung  schonen, 

So  sollen  auch  dem  Mayer  nicht  mehr  daii  4  Kuhe  vndt 
4  Schweine,  dem  Schäffer  nur  *]  Kuhe  vnndt  4  schweine,  Also 
dz  sie  die  Schweine  Jehrlichen  erkauffeu,  vndt  keine  Zucht 
Schweine  haltten,  Jehrlichen  zugenissen,  vndt  damit  die  gemeine 
huettunge  Zubetreiben  vergont,  Zur  Mastzeit  aber,  soll  einem  Jglichen, 
Als  sonsteuu  einem  Burger  An  Schweinen  In  der  Mast,  verstattet  wirdt, 
so  vid  Auch  binein  soschlagen  nach  gelassen  werden, 

Sonsten  Sollen  sie  sich  des  EicheUehsens,  Abhaanng  der  Bircken 
vndt  Espen  lanbstronche  Tndt  Andern  bolczes  ohne  vorwissen  des 
Raths  bey  Vermeidung  der  Pfendung  genczlichen  enssomn,  vndt  endt- 
halten,  — 

Die  holcsnng  vndt  Mast,  soll  von  Allen  theilen  geschonnet  vnd 
kein  Eichhaom  so  Zur  Mast  dienlich  abgehawen  werden,  Es  soll  Aber ' 
der  gemeinen  Bargerschafft  sembtlioh  so  wol  aach  des  Raths  Schäffern 
vndt  Mayern  Zn  ihrer  Nottnrfft  An  Baa  vndt  Bren  holcz,  so 
viel  dessen  ohne  schaden  znendtraden  sein  will,  gefolget 
werden,  doch  dz  derselbe  so  holcz  begehret  einen  Erbarn  Rathe  daromb 
begmsse  vndt  bitte,  dz  vf  Ihren  des  Raths  beuehlich  durch  den  darcsu 
bestaltten  heyde  knecht  ihme  solch  holcz  angewiesen  werde,  — * 

Diese  nene  Meierei^)  wurde  also  „vor  der  Heide**  eingerichtet,  d.  h. 
etwa  eine  gute  Yiertelmeile  südlich  der  Stadt,  nnweit  des  sogenannten 


')  Perlitz  meint,  es  habe  die  Meierei  vorher  auf  Kunckendorfer  oder  Kähnsdorfer 
Gebiet  geatanden,  fie  sei  bloss  hier  wieder  aufgebaut  worden;  dies  widerspricht  indes 
den  Aufzeichnungen  der  Kämmereibücher,  die  ausdrücklich  zwei  Meiereien  neuueu, 
liiB  lfi69  abar  ftberhaupt  keine.  Über  gewiBM  Poiikte  d«r  llteimi  G«8diidito  6tnnis> 
baixe  ist  Peilito  leider  in  doroheiu  inrtflmlicher  Anfffeeenng  befengen  gewaaeo. 


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EhenuUigo  Kttmmereigflter  Stmisbergs. 


147 


„Heide-Endes''  deB  Straoflsees,  indem  der  Rat  eine  grössere  Anzahl  yon 
Kaveln,  für  die  er  anderweitig  einen  Ersatz  an  Laad  gewährte,  zu  ein^r 
Wirtschaft  vereinigte  und  diese  durch  Ausroden  von  Heideland  zn  er- 
weitern suchte.  Wie  ängstlich  hierbei  die  Bürgerschaft  fär  ihre  Hätongs- 

und  Mastgjeroclitigkeit  besorgt  blieb,  zeigt  der  Rezess  zur  Genüge. 

Die  Bewirtschaftung  des  Ackers  geschah  auf  Rechnung  des 
Rates,  der  Meier  erhielt  ausser  freier  Hütnng  und  freiem  Holz  nach 
einem  Vermerk  von  l'l'iö:  18  Thaler  zum  Lohn,  4  11  zum  Scliwein,  2  fl 
zu  Fischen,  15  gr  zu  Salz,  2  fl  znni  Mulken,  )1  Gr  zum  Lichte;  was  zur 
Notdurft  an  Gebäuden,  in  dt  r  Krnte,  an  lebeudeni  oder  totem  Inventar 
erforderlich  war,  bestritt  gleichfalls  die  Kämmereikasse.  Die  Einnahmen 
an  Getreide  sind  mit  denen  der  Kähnsdorfer  Meierei  zosammeu  ver- 
rechnet. 

Der  Schilfer  hatte  nur  2  Wispel  20  Schff.  Koggendeputat  für  seine 
Dienste;  der  Gewinnanteil  des  Rates  betrug  lü2ü — 23  je  iÜÜ  fl, 
1624;  82  fl,  1B25  nur  52  fl.  - 

Nach  dem  d reissigj ährigen  Kriege  ist  die  Meierei  ver- 
schwunden; für  das  Jahr  der  Verwüstung  findet  sich  keinerlei  Anhalt. 
Der  grosse  Recess  von  Uu)4  bringt  unter  Punkt  1:5  folgendes: 

„Des  Raths  Acker  Releufi't  sich  auf  12^^' j  Morgen,  darauf  können 
aussgeseet  werden  an  Kogken  1  vvsp.  19  schl.  an  Gersten  \)  schll.  au 
Hafer  1  wsp.  dieser  acker  sin  dt  gewissen  Pensionarijs  bloss 
vmb  die  aussaat  aniezo  ausgethan,  dieselbte  noch  Anno  1654. 
vnnd  55.  zuegeniessen  haben;  Vnnd  weill  dadorch  der  Mist  von  der 
Schäfferey,  wie  auch  die  wiesen,  dem  Rahthaose  nichts  zne  guete  kommen, 
soll  die  Meyerei  vor  der  beiden  wieder  erbawet  vnnd  in  amio 
1656  wie  auch  folgenden  Jahren,  der  Aeker  vom  Raht  bestellet 
werden,  damit  Sie,  and  nicbt  frembde,  solches  ackers  vnd  der  wiesen 
zuegenieflsen  haben  mögen,** 

Es  mnss  aber  mit  dem  Ban  gehapert  haben,  dmn  in  einem  Recess 
von  1698  §  13  heisst  es  noch  einmal: 

«Anch  erbietet  sich  Magistratos  die  Me^rerey  Inhalts  Recessos  de 
Ao.  1654  wieder  anff  den  alten  orth,  so  baldt  es  sich  wil  thnn  lassen, 
za  legen"  —  dagegen  war  die  Ackerwirtscbaft  mit  der  Schftferei 
ansammen  am  diese  Zeit  bereits  verpachtet,  nnd  bis  znm  Nenban  hatte 
der  Rat  dem  Pensionarins  (oder  Arendator)  mehrere  freistehende 
Bftrgerhftnser  in  der  Nähe  des  Landsberger  Thores  angewiesen. 

Um  1700  sollen  dann,  nach  Perlits,  die  Meiereigeb&ode  »anf 
der  ehemaligen  Stelle  dem  Marienberge  gegenüber**  wieder 
errichtet  worden  sein;  das  kann  aber,  was  den  Ort  anbelangt,  nicht 
stimmen,  denn  etwas  später  beschwert  sich  die  Bürgerschaft  (d.  d.  Berlin 
den  8.  May  1711)  darüber,  dass  .Magistratus  die  Meierei  nicht  an  den 
alten  Ort,  sondern  an  einen  andern  hingelegt  habe,  wo  sie  der  Heide 

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14B 


Hnd  Weide  grossen  Schaden  Eofüg^".*)  Domnarh  stdit  zwar  der  Ort  für 
die  Jetzt  erV>aute  Meierei  fest»  nicht  aber  die  Tjage  der  alten  Gebäude, 
wenn  auch  anjQfenonimen  werden  kann,  dasB  die  Gegend  im  groesen  und 
ganzen  dieselbe  gewesen  sein  muss. 

Die  Paehtung  wurde  auf  je  sechs  Jahre  vergeben,  dann  entweder 
der  Vertrag  erneuert  oder  Termin  zur  Nenverpaislltnng  angesetzt;  der 

Pachtzins  ist  naturlich  im  Laufe  der  Zeit  gestiegen;  als  besondere  Ver- 
pflichtung war  dem  Pächter  auferlc^^,  für  den  Bedarf  des  Rathauses  und 
der  Stadtschule  jährlich  00  Klafter  Holz  in  der  Heide  auf  eigene  Kosten 
schlagen  und  nach  der  Stadt  fahren  zu  lassen.'-)  Folgende  Pächter 
haben  nach  Perlitz,  Aufzeichnungen  das  Vorwerk  bewirt- 
schaftet: 

1692-98  Adam  Schröder  für  60  Thl. 

1698 — 1705  Wilcke,  welcher  erschossen  wurde.  Ein  Unteroffizier  mit 
4  geraeinen  Soldaten  war  des  Vorhabens,  des  hiesigen  Arrendators 
Wilckens  Sohn  auszuheben,  weshalb  er  auf  eine  günstige  Gelegen- 
heit wartete.  Als  er  diese  zu  haben  glaubte,  da  derselbe  am 
8.  December  1703  sich  mit  dem  Vater,  einem  Bruder  und  einem 
Knecht  in  der  Scheune  auf  der  Meierei  vor  der  Heide  befand, 
überfiel  er  mit  seinen  4  Mann  diese  Leute  in  der  Scheune  und 
wollte  den  einen  Sohn  mit  Gewalt  wegnehmen.  Da  aber  dieser 
dem  Unteroflizicr  nirlit  so  gutwillig  folgen  und  man  Gewalt  mit 
Gewalt  zu  vertreiben  glaubte,  gaben  die  Soldaten  Feuer,  wodui  cli 
der  Arrendator  sogleich  auf  der  Stelle  getödtet  und  die  ^  andern 
Leute  stark  verwundet  wurden.  — 

1705—1711  Hans  Weinbeer  für  80  ThL 

1711—1717  derselbe  für  90  Thaler. 

1717—48  Arend,  und  zwar  bis  1723  für  100  TU.,  bis  1782  fOr  HO  ThL» 
bis  173B  ftr  132  ThL,  bis  1744  für  175  ThL/}  bis  1748  für  212  Thl., 
dann  trat  er  die  Fachtang  ab  an 


')  Weiter  hat  sie  einzuwenden,  ,.daas  dem  Arendator  rneln  Land  cinpfrihimt  sei, 
als  ihm  zukomme;  auch  sei  der  Stadthof  nicht  wieder  als  Bürgerstelle  zurackgegebea 
worden.'^  — 

')  Becess  voui  22.  6.  1608:  „21,  Dwm  Uoltz  zur  Schule  inusa  der  penaiouarius 
laut  Contracta  anfnhretii  und  wfl  Magistratos  Ihn  dasu  anhalten." 

*)  Da«  Inventariam  bonoram  Ooriae  GHaranabexgeiiais  vom  2F.  Hftn  1744,  Tit  I 
Mgt:  „Zum  Ratbhanse  ond  der  Gimmerd  gebOit  ein  Vonr«rek,  aa  der  Stadtbeide  ge- 
legen, welches  in  seinen  Grenzen  und  Mnlen  in  \7'22  durch  die  Gebrüder  Schradtke 
unter  Direction  dos  Herrn  Geheimen  Ualiis  und  Ober  Haudirectors  (ierlachs  vermessen 
und  wovon  sich  die  Karte  bei  der  Rathhäuslichen  KegiHtratur  bellndet,  ^ist  jetzt  nicht 
mehr  da  —  der  Vf.) ')  Dieses  Vorwerek  bat  die  Gerechtigkeit,  700  Stflck  ScbaaMeh 
in  halten  pro  iaveiiUrie,  so  der  Ounmeregr  dgen  gdiören,  sind  aur  Zeit  nur  108  Stflck, 
die  tlbrigen  gehören  dem  Piehter.  Und  6  6tQdc  Oefaaen  rind  aneh  pro  invanttiio. 


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Ehemalige  ElmuMrefgOter  Strausberg«. 


149 


1748—1764  Michael  Schwarz  aas  Buckow,  welcher  von  1751—58  an 
260  Xhl.  zahlte,  wovon  aber  BOThl.  für  die  Holzfuhren  abfr^  rechnet 
vvnrden.  Sein  Vorgänger  l»tte  1735  der  Käminerei,  wekiie  auf 
königl.  Befehl  zur  „besseren  Fandation  der  Potsdamiscben  Cäm« 
merey"  4Ü0  Tbl.  beisteuern  musste,  einen  Ziischuss  von  210  ThL 
geleistet;  diesen  betrachtete  der  Magistrat  foiiian  als  eine  zinslose 
Kaution,  welche  von  dem  jeweiligen  Nachfolger  in  der  Pachtaog 
dem  Vorgänger  erstattet  werden  nnisste. 

1764 — 70  Ho  ff  mann,  welcher  „Herr  Hoflfmann"  genannt  wurde,  für 
266  Hhl.  9  ^r.  10  ^.  »Dass  er  ein  Wirth  -Iuk  Rpchnnng  ge- 
wesen, ist  nicht  nnr  ans  den  vorhandenen  ProtocoUeo,  sondern 
anch  daraus  abzunehmen,  dass  er  schon  nach  Verlauf  von  2  Jahren 
bankerott  gemacht  hat.  Auf  die  übrigen  4  Jahr  Michael  Schwara 
der  Sohn  die  Pacht  für  228  Thl.  überaommen  und  hat  ihm  über- 
dem  das  Holzs(-hlägerIohn  vergütiget  werden  m&ssen**;  er  blieb 
dann  weiter  von 

1770—1800,  während  die  Pachtsamme  bis  auf  282  Thl.  stieg.  „Nach 
seinem  Tode  boten  seine  Erben  mit,  aber  der  ehemalii;e  Ad- 
ministrat or  Re ue  blieb  mit  300  Thl.  Meistbietender.  Daun  kam 

1806—18  der  ehemalige  Wirtschaftsinpector  Wossow  mit  dem  Ge- 
bot von  400  Till.;  während  die  früheren  Pächter  so  viel  Brenn- 
holz erhielten,  als  .sie  zur  Wirtschaft  gebrauchten,  masste  er  sich 
mit  14  Claftern  begnügen.  Pächter  konnte  bei  dieser  Pachtung 
nicht  bestehen,  und  da  im  Tiaiife  dieser  Jahre  die  neue  Stadt- 
verfassnng  eintrat,  nach  welcher  die  Stadt  fortan  ihre  Güter  nach 
ihrem  Belieben  verwalten  durlte,  ohne  an  die  vorgesetzten  Lande.s- 
behorden  gebunden  zu  sein,  so  wurde  vom  Magistrat  unter  Ge- 
nehmiguDg  der  Stadtverordneten  die  Puchtsnmme  anf  300  Thl. 
heruntergesetzt. 


Bet  dieaeai  Yorwerck  iat  der  Acker  bot  sehledit  und  findet  sieh  danmter  uiit«r> 
schieden  6— 9jihiig  Laad  nnd  kann,  ein  Feld  dem  andern  «ur  Hflife  geraehaet,  ane> 

gesäet  werden:  3  Wsp.  Roggen,  16  scIifT.  Cersten,  1  Wsp.  Hafer,  2  schff.  Buchweizen, 
2  schff.  Erbsen,  '/^  schff.  Leinsamen.  An  Wiesewaolis  ist  nicht  mehr  nls  an  10  Kiuier 
Ben  jährlich.  An  Arrende  hat  es  in  den  letzten  0  Jahren  jährlich  getni;L;en:  bnar  zur 
Caaae  145  Thl.  und  da  es  das  Hob  zur  Schule  und  dem  Rathhause  liefern  uiusa,  da- 
für a  parte  an  gewine  Lenle  besahlt  80  Tbl  Stimnia  176  Tbl  Überdem  bat  der 
jetzige  Pächter  baare  Caation  bejr  der  Ciimmercy  Cassc  in  sieben  210  Thl»  welohe 
sonder  Interesse  gestanden.  I>ns  Vorwerck  hat  <li<>  HntniiL'  :nif  den  ganzen  Straus- 
befKischen  Feldern  und  in  der  äudtheide,  mit  Rindvieh,  l'ferdeu  und  Schaalen  tu 
hüten." 

')  Perlits:  „Diu  Charte  von  den  Vorwercks  Ländereieu  und  i'ertiuentien  hat  an 
den  ehemaHgen  Oharmirekiseben  KammeipMaidenten  tr.  Nienioib  eingeacbiekt  irarden 
mflseen,  ist  aber  ungeachtet  gesobebener  Brinnemog  nicht  surflckgegai^ten.'* 


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160 


SoUlert: 


1818  blieb  Sdiii  fer  Ewald  mit  410  Tlil.  incL  »/«  in  Gold  Meistbiotender; 
er  erhielt  die  Pachtung?  auf  12  Jahre,  mosste  auch  eine  Cantion 
von  51 KJ  Thl.  in  Staatspapieren  stellen,  wogegen  ihm  das  Sclilagen 
und  Anfahren  des  Brennholzes  ffir  Rathaus  and  Schale  erlassen 

wurde, 

P»'rlitz  sihliesst  seine  „Micrologie  über  das  Cjlmmereyvorwerck", 

das  seine  damalii^q«  und  spätere  Benennung  „Wolfsthal"  von  dem  Stadt- 
dijt'ktor  Wolff  (1T4:() — 7i*  (•(msiil  dinf2:pns  et  iudex)  erhalten  haben  soll, 
mit  der  lie merk uiif,':  „Die  Pachtung  ist  iiiclit  von  grosser  Bedeutung  und 
wäre  sehr  zu  MM  wiiinIcni,  wenn  der  zeitige  Pächter  bei  den  für  jetzt  so 
gerin2;en  Getreidepreisen  sollte  bestehen  können;  denn  der  Scheffel  Koggen 
ist  für  1()  gr,  Gerste  für  14  gr,  Hafer  für  1:^  gr.  zu  haben,  auch  die 
andern  Lebensmittel  sind  \erhältnissmässig  spottwohlfeil:  wahrscheinlich 
kann  und  wird  diese  Periode  nicht  von  langer  Dauer  sein  (182ö).* 


is;?() — 30  war  I  i  ieih  irli  Lehmann  Pächter;  noch  vor  Aldauf  seiner 
Pachtzelt  trat  er  mit  (h'ii  Studtl'elHudeii  in  Uiiterluindlung,  um  die  Zeit- 
paciit  in  Erb]» acht  umzuwandeln  oder  das  Vorwerk  käutlich  zu  er- 
werl)et).  Er  erhielt  die  labpachtung  für  !2(KM)  Thl.,  den  Wert  der  vor- 
handenen Gebäuik^,  ^)  einen  jährlichen  Canon  von  löU  Thl.  in  Courant 
und  öO  Tbl.  in  (Jold  und  unter  ausdrücklicher  Yerzichtleistung  auf 
jegliche  Ilolzgereclitigkeit.  In  dem  IIyj>othekenschein  vom  5.  Novbr.  1S86 
werden  als  „Om  ra  j)ei  petua  und  Kinschränkungen  des  Eigenthums  oder 
der  Disposition  autgeführt: 

1.  Dem  Amte  Alt  Landsberg  Stehetin  demjenigen  Theil  der  Straus- 
berger Heide,  welcher  rechter  Hand  des  Weges  liegt,  wenn  man  von 
Landsberg  nach  <lem  Sclihij;  und  von  da  nach  Garzau  und  Müncheberg 
reiset,  die  hohe,  mittel  und  kleine  Jagd  privative,  in  allen  übrigen  Sti*aus- 
bergschen  ^^';Udern  uiul  Brüchern  und  auf  dem  gauzeu  Stadtfelde  die 
Kleine  Kopj)eljagd  zu.-) 

2.  Die  Klosterdorfsche  Vorwerks  Schäferei  hat  die  Gerechtigkeit  die 
3  Felder  aof  der  Straosbergschen  Feldmark  zu  behüten.') 

')  Ein  W.>linhau8  {1187  nea  gebaut^  ein  grosser  Schafstall  (1777  errichtet),  2  SUUle 
und  eine  Scheune.  — 

')  Nach  einer  Kammergeriebt86iit«ib«MaiigT(Nn  14.  Mai  1780,  vgl.  desVerfaMers 
Gesch.  d.  Straosberger  Jagd  S.  33  f. 

*)  Diese  Gerechtigkeit  mnss  vor  undenklichen  Zeilen  den  Cisterziensermönchen 
in  Kagel-Rüdersdorf,  zu  deren  Besitz  das  Klosterdorfer  Vorwerk  gehörte,  zugestanden 
worden  sein.  Perlitz  schroiht  etwa«  naiv,  man  liabe  wühl  nur  aus  gevatter^rlmltlicher 
Nachzieht  du»  liiUungsreeht  gewährt,  ^denu  es  finde  sich  eiue  Bemerkung,  das»  am 
1*2.  Juni  16S0  der  damalige  BOrgermdster  vom  Amtmann  su  Rfldendorf  lam  Gevatter 
eingeladen  worden  sei." 


Ehemalige  Klmmereigfiter  Stnuubergs. 


151 


3.  Der  hiesigen  Stadtkomninne  als  Erbverpächter  steht  das  Vor- 
kaufsrecht zü  und  muss  Besitzer  zu  etuanigen  Veräussenmgen  des 
Gmndst&cks  den  Consens  des  Erbverpächtors  nachsuchen." 

Von  dem  Vorkaufsrecht  machte  aber  die  Stadt  keinen  Gebrauch, 
vielmehr  scheint  der  Erbpächter  in  das  völlige  Eigentum  des  Vorwerks 
gelangt  za  sein,  wenigstens  verkaufte  sein  Sohn  um  isoo  sein  Be- 
sitztum an  den  Freiherrn  v.  Eckardstein-Prötzel,  der  das- 
selbe mit  dem  Gute  Klosterdorf  vereinigte. 

Im  Jahre  1891  wurden  die  äusserst  baufälligen  Gebäude  sämtlich 
abgebrochen  und  die  Ländereien  als  Bauparzellen  vermessen.  Der  Name 
Wolfsthal  ist  aber  übergegangen  auf  die  Uestauration,  welch«-  an  Stelle 
der  ehemaligen  Bierhalle  ^Zum  Waldkater''  direkt  am  Ostabhang  des 
Marienberges  im  Jahre  1894  nea  erstanden  ist 


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Sachregister 

rar 

Geschichte  der  Strausberger  Stadtschule. 


Acddeuieii  der  Lehrer  8,  10,  18»  15« 

19-21,  70,  112 
Accisefreiheit  derselben  ...  53,  68,  02 

Amtsentsetzungen  33.  72 

Amtspflichten 30,  üüt.,  öü,  00 f.,  64,  77,  97f. 
Anerkenn«!]]«  der  Kgl.  Reglenmg  105, 109 
Arbeits-  (Indnattie-)  Sebnle  .  .  .  1021 
Aufwartung  hf&  der  Ratsversetnmg  9,  21 


(Die  Zahlen  bedeuten  die  Seiten.) 

Einkllnfte  dea  Rektors  (Schulmeisters, 
Blagifltera)  7  f.,  101.»  141,  20,  53, 

68,  70,  92,  112 

Einquarlierungslast  38,  95 

Euipfehluugeu  (PrüfuugszeugniMe) 

81,      64»  68,  711 


Baccalanreus  11  f.,  20,  75 

Bef'inierting   <lor  Lehrer   in  höhere 

Ämter  24  f. 

Bemfungsurkunden   68,  106 

Beschwerden  derBfligencbaft  23. 51, 81, 84 
Bewerbungsgesuche  .  .  52,  54,  6ö,  70,  73 
BittBchriften  3Ö,  46, 47,  48  -  öl,  55,  02,  70  f. 

Brauttucb  08,  71 

Brautmease  a.  Hochseiten. 

Brennbds.  frei  ,  8,  181,  62,  70.  92,  112    preiziesen  a.  Accisefreiheit. 

Frflbmease   19 

Gbronieon  Stranabeigense  mannscrip- 
tum   10 


Fachlehror   97 

FastenexuiDfii   88 

Fastenpredigten   80 

Fastnachtsspiele  h.  SohulkmnOdien. 

Feldprediger  als  Lehrer   95 

Ferien   16,  76,  79,  81,  89,  101  f. 

Französisches  Lazarett  in  der  Schale  95 
Fkdbett  (Bett-  und  Wäschegeld)  53,  68,  92 

Freie  Eichelmast  68,  92 

Freikavehi  21,  92 

Freiti8che(Reihenßpeisuny  der  Li  lm  r 

22  f.,  40,  43,  51,  64,  111 


Dankscia eiben  för  Berufung  ....  58 

Deutscher  Gottesdienst   10 

Didactrum  s.  Schulgeld. 
IMscipUnaigewalt  der  Schuldeputation  107 

Dominikanermönche  4,  6 

Dustermette  (Finstermettc)  .  .  2<>,  21,  68 
Edikt  wegen  |der  Koufessionsstreitig- 

keiten   61 

Edikt  tihet  der  Prediger  und  Lehrer 

Vergehen  72  f. 

Einkünfte  des  Kantors  (Baccalanreus, 

Konrektors)  13  f.,  20  f.,  68,  92,  112 
Einkünfte  des  Küsters  4,  20,  GS,  93,  113 
Einkünfte  d«i  Otganisten  16»  19,  21, 

82,  68f.,  66k  701,  02 


Gehaltszahlung  praenumerando  ...  101 

Gonera]- Landschulreglement  ....  80 
Gnadenhalbjahr    für   Witwen  und 

Waisen   72 

Handarbeitslehrerin  112 

Hochmesse   19 

Hochzeiten  .  8,  13,  10,  19,  ö-i,  63,  08,  71 

Jahrmarktgeld  8,  21,  63,  68 

Jungfern*  (Mädchen-,  Neben-)  Schule 

14,  17,  43,  48,  81,  93 

Jüdische      luilo  HO 

Immatrikulationszeuguifise  30  f. 

Kalkanten   1^ 

Kantoren*  (Konrektoren-)  Yeneiclmis 

32-84,  411,  69-6«,  71-73 


Cioogle 


154 


SiMdtfei^iter. 


Katecliismuslehre  78,  100 

Kirchenbesuch   40,  77,  78 

Kirchenchor  4  f.,  08 

Kircfaengosänge,  laldiiiBcbe  41,  Uf  .,  10 
Kirchgang  d«r  6eehBWdehn«riiui«i  .  18 
KkMtondiiile  821,  87 

Knmmnnion   19 

Konkordienfonnel      .  .  .  ,  17f.,  26f.,  32 

Kom-ektortitei  eingeführt   60 

Kniutpfeitor   48 

Emrende  78,  80 

LandeskoUektc  zum  Schulbau  ....  45 

Lebrapparste  03,  107 

liehilvfldier  14,  48,  60,  85f. 

Lehrer  (vierter  und  fOnlter)  ....  112 

Lehrerwabi  10,  1>1,  04 

Lehrzi^  Io  ....  »5,  78,  80,  03,  96,  100 
Leicheubegünguisse  lu,  13,  10,  20  f., 

40,  63,  03,  08,  70,  89  f. 
LeIctionBkAtelog  ....  68,  76f.,  86f.«  98 
Local  8.  Baccalanreiu. 

Jlarif'nt'ilde   .  5 

AlotcUcngeld   92 

Miuikpiobe   65,  64,  71 

ObetkODsistoriam   •   80 

OboacbnlkoUegiain  94 

Patronat  des  Kates  10,  44,  Ol 

Pettseiten  lO,  2-2,  26,  33,  37,  39 

PoBiti?  16,  27 

Precium  s.  Schulgeld. 
PrivAtanterricbt  16,  22,  40,  79  h], 

hOf.,  88,  92 

Probepredigten   65 

Palaanten   16 

RathäasUoheB  R^ement  431. 

Reformation  9 f.,  25 

Rekordationen  0,  13,  15,  19  f.,  49,  53, 
67,  68,  70,  76,  81,  84,  90,  92,  98, 

U8,  Uli 
Rektoren-Vendcbiito  26—32,  39—41, 

47—68,  69—71,  113 

Revers  61,  64 

Roratenbrüderachaft  4f. 


Salvaguardia   82 

Salvereginengeld  ^Passionageld)  .  .  5,  10 

Salvestundeu   •   .  .  89 

Sandohr  88 

Scbidaaftiobt  (durch  ProviaoMo,  In> 
spektoren  oder  Kommission  aus- 
zuflben)  14,  16,  78»  91,  104,  105—109 

Schulbesuch  64.  107 

BahoiezanMi  16,  20  f.,  44,  56,  63,  69,  91, 

98,  98^  100^  108 

Schulfeiern   09 

Schulgarten  •  .  .  .  .  8 

Schulgeld  8,  13,  20,  49,  53,  ÜS,  71, 
]  88f,  92,  94,  08,  100 f.,  III 

Scbulhaiifl  8,  441,  47,  63,  70,  811, 

86k  90^  92,  96,  106 

Sclmlkasse  101,  108 

SoliiilküüKiilioii  22,  24 

Scluilkonkurn  uz  >  Winkelschule)  .  43,  83 
Scbolordnung  14,  10,  76-79,  88—91, 

96-108 

SchulverbcsserongSgelder   94 

Schülerstrafi  ti    77,  90,  93 

Schülerversetzung  91,  100 

Schülerzahl  20,  86,  92 

Selectus  bigenioram  .......  87,  79 

Siogestonden  81 

Speiaegdd  (Koat*  oder  TIachgeld)  23, 

08,  70,  92 

Studtschreibcrdicnst.  ...    8,  10,  14,  82 
Streitigkeiten  im  KoUegimn  und  mit 
den  Geiitiiehen.  .  .  .  88,  86^  661,  66 

Studienbericht  aus  Wittenbelg  ...  69 
Studenten  in  Frankfurt  34—36,  42,  67,  U 
„         „  üreif.swal.l   .50,   42,   67,  74 
n        n  Wilteuberg  36  und  iui 
Nachtrag. 

Soapensioitaqnantnm  78 

Tabelle  Uber  den  äusseren  and  inneren 

Ziistand  der  Schule  91—03 

Terüaui   201,  241,  111 

Vniversitttaatipendiom  .  .  18,  20,  28,  92 
Vilanb  für  Lehrer  91,  106 

Visitationen  in  Kirche  und  Schule  10, 

121,  171,  07,  781,  107 


Naehtnig  m  S.  36  Aiiiii.  3. 


Während  der  Drucklegung  erhielt  ich  durcli  günstigeu  Zufall  auch 
den  zweiten  Band  der  Wittenberger  üniversitatsmatrikel,  welcher  die 
Jahre  lößO— 1H02  uinfasst,  zur  Durchsicht.  Danach  stadiertea  in  diesem 
Zeitraum  folgende  10  Strausberger  in  Wittenberg: 

1560  Georg  Seger.  —  1564  Joachim  Leuenberg  (cf.  S.  M  zu  lößß). 
—  loHS  Jacob  Palm.  —  1571  Sebastian  Meyer.  —  1584  Peter  Thiden 
(cf.  S.  :U  zu  1573).  —  1586  Bartholomäus  Andreas  (cf.  S.  35  zu  1591). 
Sebastian  Redlich.  —  1588  Benedikt  Lindholz  [Sohn  des  Biirgermeisters 
Andreas  L.]  —  1591  Jacob  Schuster  (cf.  S.  35  zu  1596).  —  16U2  Mat- 
thäOB  Wiprecht  (cf.  S.  35  zu  1592).  — 

Desgl.  studierten  ans:  Bernau  23,  Freienwalde  3,  Nenstadt-Ebers- 
walde  2,  Wriecen  3,  Seelow  1,  Mfinchebeig  14,  Alt-Landsberg  3,  Rüders- 
dorf 1.  — 


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.  ARCHIV 

DEB 

JBAMOEIttUiMIA'- 

GESELLSCHAFT  FÜR  HEIMATKÜNDE 

DBB 

PROVINZ  BRANDENBURG 


Unter  Mltwlrlnuis  des  BUrUsehen  FroTliudal-JlIuseiiiiis 

aoBollflohaftfl  -Voritandd. 

7.  Band* 



Berlin  1901. 

Druck  nnd  Verlag  von  P.  StankiewiGs'  Buclidnickerei, 
Bamburfenrtrawe  14. 


.  j  _  ^  y  Google 


Aus  den  Tagebüchern 
des  alten  Heim. 


Tagebuch -Aufzeichnungen  Ernst  Ludwig  Heims 
aus  den  Jahren  1795  bis  1834. 


Mitgetheilt  und  erläutert 

Georg  Siegerist. 


^  ij  ...Lo  i.y  Google 


Di.  vorliegenden  Auszüge  aus  den  Tagebüchern  Ernst  Ludwig 
Heims  erstrocken  sich  über  einen  Zeitraum  von  40  Jahren,  von  1795 
bis  1884,  Die  zahlreicheil  and  theilweise  ninfangreichen  Aofiseichnnng^, 
die  Berlins  popnlftrster  nnd  vielbeechftftiglBtor  Azzt  mit  einer  Gewissen^ 
baftigkeit,  die  man  in  nnseren  T^n  selten  findet,  an  jedem 
Abend  fast  seinem  Schreibkalender  anvertraut  hat,  enthalten  werthvolle 
Beiträge  nicht  nur  zur  C4eschichte  vou  Heims  ureigenster  Wissenschaft, 
sondern  auch  zur  Geschichte  vou  Ötadt  nnd  Land  in  weitester  Bedeutung. 
Zvwp  sind  es  nicht  aosschliessUch  grosse  Haupt-  und  Staatsaktionen, 
die  den  Stoff  zn  den  bald  im  notizenhafton  Lapidarstile,  bald  in 
grosserer  Ansf&hrUcbkeit  gehaltenen  Mitthmlnngen  geben;  viele  Udne 
Zdge,  die  wir  aber  bei  einem  grossen  G^aromtbilde  angern  missen, 
schmieden  sich,  mit  liebevoller  Sorpffiilt  erzählt,  in  bunter  Mosaik  um 
die  grossen  Ereignisse  der  Zeit,  deren  Zeuge  Heim  in  der  zweiten 
Hälfte  seines  reichen  Lebens  gewesen  ist. 

Die  eine  oder  die  andere  Notiz  findet  sich  hier  nicht  snm 
ersten  Male  Teröffontüchi  Heims  Schwiegersohn,  der  Geheime  Regierungs- 
rath G.  W.  Kessler,  hat  für  seine  Biographie:  „Der  alte  Heim"  (1.  Autl. 
Leipzig  1835.  2.  Aufl.  ib.  1846)  neben  Briefen  selbstversUiudlich  auch 
die  Tagebuchaufzeichnungen  benutzt  und  benutzen  müssen.  Allein 
Kessler  hat  in  erster  Linie  die  Notizen  seinem  Bnche  einverleibt^  die 
sieh  auf  Heins  «Person)  seine  Familie  bezogen.  Von  dem  Übrigen 
reichen  Inhalte  der  Tagebücher  hat  er  nur  einen  sehr  beschränkten 
Gebrauch  gemacht.  Namentlich  gilt  dies  von  dem  historischen  und 
politischen  Theile  der  Notizen,  die  oft  mit  rückhait-iosem  Freimuthe  über 
Personen  und  Yerhältuis^e  urtheileu. 


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Wenn  daher  die  eine  oder  die  andere  Notiz  auch  schon  von 
Kessler  initgetheilt  ist,  80  bitte  ich,  mir  aus  deren  Wiederholung  an 
dieser  Stelle  keinea  Vorwarf  za  machen.  Einmal  ist  Kesslers  Buch  im 
Handel  veigziffen  nnd  existiert  nur  noch  in  Blbliofheken  nnd  in  einigen 
alten  Berliner  Familien.  Dann  hat  Kessler  sein  Tagebnchmaterial  an 
vielen  Stellen  ungenan  wiedergegeben;  manches  ge\vinnt  erst  im 
Zusammenhange  mit  anderen  zeitgenössischen  Darstellungen  Wertli,  hO 
die  Mittheilungen  über  den  Tod  der  Königin  Luise.  Endlich  kam  es 
darauf  an,  alles  das,  was  Heim  über  die  Fragen  und  Ereignisse 
seiner  Zeit  niedeigeschrieben  bat,  znsammenznfassen,  nicht  sowohl  nm 
des  Tnhalts  der  Anfiteichnnngen  willen,  als  um  aach  m  zeigen,  wie 
sich  die  Ereignisse  in  dem  Kopte  eines  Zeitgenossen  dargestellt  haben. 

Der  Tadel  wird  mir  nicht  erspart  bleiben,  anscheinend  Gleich- 
giltiges  aufgenommen  und  den  begleitenden  Bemerkungen  allzu  viel 
Raum  gewährt  zu  haben.  Beides  ist  nach  reiflicher  L'eberleguug 
geschehen.  Wenn  allzu  oft  erzählt  wird,  hei  wem  FTeini  an  dem  und 
dem  Tage  gespeist  hat,  so  gewinnen  diese  Notizen  durch  die  stets  dabei 
vertreteoen  historischen  Namen  eine  Aber  den  Rahmen  einer  rein 
persönlichen  Bemerkung  hinausgehende  Bedeutung.  Das  Gleiche  lässt 
sich  von  mancher  IGttheilung  im  lokalgeschichtlichen  Theile  sagen. 
Und  dem  anderen  zu  erwartenden  Vorwurfe  luilte  ich  entgegen,  dass 
die  kleine  Veröffentlichung  nicht  nur  für  den  Fachmann,  sondern  für 
jeden  bestimmt  ist,  der  sich  für  heimathliche  Geschichte  interessiert. 
Die  eingehenden  Erläuterungen,  deren  der  Berufshistoriker  zum  Theil 
nicht  bedarf,  die  er  zum  Theil  mit  leichter  Möhe  erlangen  kann, 
mussten  dem  Laien  geboten  werden,  nm  ein  wenigstens  lose  zusammen- 
hängendes Bild  der  Zeit  Heims  zu  geben.  Nicht  eine  nach  strengster 
historischen  Gruntlsätzen  bearbeitete  Quellenj»ul)likatioM  sollen  die  vor- 
liegenden Mittheilungen  sein,  sondern  ein  weiterer  Baustein  zur 
Geschichte  Berlins,  zur  Kulturgeschichte  unserer  engeren  Heimath  im 
ersten  Drittel  des  neunzehnten  Jahrhunderts,  Jedem  Freunde  dieser 
Geschichte  dargeboten. 

Es  ist  mir  am  Schlüsse  meiner  Arbeit  Bedürfnis,  denen  zu  danken, 
die  mir  den  Stoff  zugänglich  gemacht  haben  und  mir  bei  der  Be- 
arbeitung mit  ihrem  Rathe  zur  Seite  gestanden  liabeu.  Frau  General 
von  Gossler,  geborene  Klaatsch,  war  so  freundlich,  mir  den  Einblick 
in  die  Tagebücher  zn  gewähren  nnd  sie  mir  längere  Zeit  hindurch  zur 


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Verfügung  zu  stellen.  Mein  verehrter  Kollege  im  Reiche  der  Feder, 
der  praktische  Arzt  Herr  Wolf  Becher,  führte  mich  in  das  Gebiet  der 
CtaMSIdciito  der  Medizin  ein,  dem  ich  bis  dahbi  ala  voUkommeoer  Laie 
gegenfiberBiand  and  gab  mir  manchen  verihvollen  Rath  bei  der 

  * 

Bearbeitong  des  ersten  Abschnittes  der  TerGffentlichnng;  ich  sage  ihm 
dafttr  an  dieser  Stelle  noch  einmal  anfrichtigen  Dank. 

BeriiUy  im  September  1^1. 

Georg  Siegeriat. 


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I. 

Zur  Geschichte  der  Medizin. 

1795. 

12,  März.  Mittags  bei  dem  D.  Kurella'),  dessen  70  jähriger 
Gebartstag  war,  gespeist,  und  reclit  vergnügt  gewesen. 

28.  Mittags  bei  dem  Geh.  Ratli  v.  Pauli,  wo  der  Geburtstag  des 
D.  Krüuitz")  gefeiei  t  wurde  .  .  .  gewesen. 

19.  Mai  .  .  .  viel  besucht  worden;  auch  vou  Hofrath  Weudt"*)  aus 
Erlangen. 

20.  Juli.  Bei  Hiliers  gespeist.  Der  General  Cliir.  Gerike*)  war 
auch  hier.  Es  kann  sein,  dass  ich  mich  in  diesem  Maoue  irre,  aber 
er  scheint  mir  ein  falscher,  schlechter  Mensch  zu  sein. 

10.  September.  Mittags  im  Theerbuschischen  Ressource  -  Garten 
vom  Hofrath  Zenker*)  in  grosser  Gesellschaft  bewirthet  worden. 

16.  Mittags  beim  D.  Stosch*')  zum  ersten  Mal  so  lange  ich  hier 
in  Berlin  bin  gespeist 

1796. 

2.  Januar.    Mittags  bei  dem  Geh.  Rath  und  Buclihändler  Pauli 
gespeist,  mit  dem  Gen.  Chir.  Theden')  vieles  gesproclien. 

2.  Februar.   Mittags  speiste  der  Gen.  Chir.  Mursinua'')  bei  mir, 
dessen  Gesellschaft  mir  sehr  angenehm  war. 

26.  April.  Mittags  zum  Essen  bei  mir  gehabt  General  Chirurg. 
Theden,  Mursinna,  Laube  und  Gerike,  Geh.  Rath  Seile"), 
D.  Formey'"),  Doctores  Kurelhi,  Steruemann,  Wall,  Bremer"), 
Boehr'^),  Zenker,  Wolff,  Geh.  Ratli  Meyer'"),  D.  Kleemann  und 
Merzdorff  und  alle  recht  vergnügt  gewesen.  Mir  war  vergangene 
Nacht  und  lieute  den  ganzen  Vormittag  gar  nicht  woid  zu  .Muthe,  so 
viele  Ärzte  gehabt  zu  haben,  allein  sie  betrugen  sich  besser  als  icli 
geglaubt  liatte.  Alle  wart'ii  imiiiter  und  recht  vergnügt  und  ich  auch; 
Wein  haben  sie  tüchtig  getrunken. 

▲zoll.  1 

.  ^  ij .  .-Lo  Ly  Google 


2 


Georg  Siegeritt 


L  Mai.  Mit  dem  Ghinirgns  Wander  nach  Friedrichsitelde  gefahren, 
nnd  von  da  nach  dem  Qoappenkrng  bei  den  Geh.  Rath  Seile  gerittefi 
nnd  daselbst  in  Gesellschaft  des  D.  Richter^),  Formey  nnd  Gen.'  Chir. 
Mnrsinna  gespeist 

16.  Angnst.  Mittags  speisten  Prof.  Koelpin^)  etc.  bei  mir.  Koelpin 
scheint  sehr  eingeschränkte  Kenntnisse  zu  haben. 

6.  Oktober.  Abends  snm  Essen  bei  mir  gehabt  Hofrath  Hnfland'*) 
ans  Jena  nnd  Junker")  aus  Halle. 

1797. 

21.  April.  Mittags  beim  D.  Stosch,  in  Gesellschaft  von  den 
Doktoren  Hers'"),  Seile»  Formey  nnd  Mftry")  ans  Hannover,  gespeist. 

Mai.  Den  30.  dieses  sollte  ich  bei  den  beiden  SAhnen  des  Ober- 
Amtmanns  Earbe  ans  Ghorin  bei  der  mit  ihnen  vorzunehmenden 
Inocnlation  der  Pocken,  die  dem  D.  Wolff  aufgcti^agen  war,  zugegen 
sein.  Ich  kam  zur  bestimmten  Zeit,  Wolff  aber  hatte  die  Tuoculation 
schon  verrichtet,  und  /.war  mit  der  Materie  von  einem  Kinde,  wo  ich 
nach  der  Beschreibung  dessen  Krankheit  die  Mat«rie  nicht  für  echte 
Pocken-Materie  oikläreu  konnte.  Der  General-Cliirurgus  Lehmann 
war  Arzt  bei  dem  Kiude,  zu  welchem  ich  sogleich  mit  Wolff  ging,  wo 
ich  ersteren"  auch  vorfand.  Die  Tocken  warer  allbereits  bis  auf  zwei 
an  den  Füssen  abgetrockncf .  \WuU',  Wolff  sowohl  als  Lehmann,  hiidten 
sie  für  echte  Pocken,  und  öetzteu  noch  hinzu,  dass  der  Geheimrath  Seile 
das  Kind  auch  geselH'ii  hätte  und  ihnT  Meinung  wäre.  Icli  blieb  in- 
dessen bei  raeineni  Zweifel,  da  das  Kind  vor  acht  Tagen  noch  ganz 
gesund  gewesen  war,  und  nun  doch  die  Porken  srhon  fast  ganz  ab- 
getrocknet waren.  l)eii  4.  .luniiis  wurde  eins  von  den  Karbeschen 
Kindern  krank,  und  den  ö.  Morgens  sähe  man  eine  Menge  Pocken  auf 
seinein  Köiper.  Wolf!"  hatte  diese  fVir  ächte  l'ocUen  gehalten.  Auch 
zwei  kleine  Kinder,  Geschwister  von  dem  Kinde,  welches  die  Pocken 
^clion  gehallt,  und  mit  dessen  Po<'kt'i:-M;!terie  die  Karbeschen  Kinder 
iruHuliert  waren,  hatten  Pocken  bekonnnen,  die  VVoltf  und  Leliniann 
für  natürliclu*  Pocken  hielten.  Als  ich  ins  Haus  dieser  Kranken  kam, 
war  alles  voller  Kreiide,  die  sich  aber  gar  bald  verloi',  als  ich  mit 
<  lew  i>slieit  b»'liau|»tett%  ilass  alle  diese  Pocken  keine  ächten,  sondern 
blos  \\ind[)ocken  witren.  WolH'  hatte  sich  anfangs  zwar  sehr  ver- 
wundert, dass  ich  diese  Po(;ken  nicht  tVir  ächte  halten  w<dlte,  bei  seinem 
Besuch  des  Abends  al»er  hatte  er  es  endlicli  doch  eingestehen 
müssen.  Hei  den  Karbeschen  Kuuh'rn  hatte  die  Pockfii-Materie  an  der 
Impfstelle  nicht  gefangen.  Den  ti.  Junius  hat  auch  der  zweite  Sohn 
vom  O.  A.  Karbe  die  Windpocken  bekommen.  Den  V.,  als  man  den 
Seile,  der  die  Kiuder  alle  Tage  besucht  hatte,  fragte,  ob  Wolif  oder 
Heim  in  Anschauung  der  Pocken  Recht  hätten,  hat  er  kerne  bestimmte 


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Aus  den  Tagebdchem  des  alten  Heim. 


3 


Antwort  darauf  geben  wollen,  sondern  gesagt,  man  raüsste  es  abwarten. 
Den  10.  Juuius  hat  Seile  die  Pocken  fnr  acht  erklärt  und  so  aucli  Prof. 
Zenker.  Den  V2.  hat  sie  der  D.  Pallas*^  und  Geh.  Rat  Fritze*')  für 
ächte  Pocken  ausgegeben.  Letzterer  hat  sogar  gesagt,  dass  er  Ijcib  und 
Leben,  Ehre  nnd  Vermögen  zum  Pfände  geben  und  verlieren  wolle, 
wenn  es  keine  ächten  Pocken  wären.  Geh.  Rat  Roloff")  hat  gesagt, 
es  wären  Pocken  entre  deux.  —  Zu  Ende  Dezember  1798  hat  der 
jüngste  Sohn  des  Ober-Amtm.  Karbe  zu  Chorin  die  ächten  Pocken 
gut  bekommen  und  überstanden,  welches  ein  grosser  Triumph  für  mich 
ist.  (cf.  Darstellung  des  Falls  iu  Heims  vermischten  medizinischen 
Schriften  p.  118flf.) 

[Die  Inoculatioxi  der  Menschenblattern,  d.  h.  Übertragnng  des 
Erankheiisstoffes  von*  einem  Blattorkranken  auf  eineii  Oesnnden,  um 
ihn  gegen  Ansteekung  zn  scfaflteen,  ist  i^ohl  za  nnteneheiden  von  der 
Jennerscben  Knbpoeken-Impfiing.  Die  Inocolation  war  schon  seit 
langer  Zeit  in  einzelnen  Gegenden  des  Orients,  namentlich  bei  den  nm 
die  Schönheit  ihrer  ll&dchen  besorgten  Georgiern  nnd  Tscherkessen  fiblieh. 
Die  Gemahlin  des  englischen  Gesandten  in  Constantinopel,  Lady  Wortley- 
Moniagiie  brachte  sie  1721  nach  England  mit,  wo  sie  trotz  lebhaften 
Widerspmchs  rasch  Verbreitong  fand.  In  Frankreich  wirkte  der 
berühmte  La  Condanime,  in  Österreich  Maria  Theresia,  in  deren 
Familie  die  Blattern  grosses  ünheü  angerichtet  hatten,  in  Rnssland 
Katharina  II.  för  die  Inocolation.  Friedrich  der  Grosse  berief  1760 
den  englischen  Arzt  William  Baylies  nach  Berlin,  um  hier  die  Inocolation 
einznführen.  Baylies  schrieb  über  seine  hiesige  Thfttigkeit  „Nachricht 
▼on  der  Pocken-Inocolation  in  Berlin**.  Übersetzt  von  J.  G.  Krttnitz 
1776.  Die  ersten  Versuche  worden  in  der  Charitö  gemacht.  Dann 
impfte  Meckel  seine  Kinder  nnd  viele  andere  mit  dem  glficklidisten 
Erfolge.  Ein  grosser  Nachthdl  der  Inocolation  war  es,  dass  dorch  sie  neoe 
Blattemberde  unter  ganz  gesunden  Menschen  entstehen  konnten  ond 
dass  zuweilen  bei  Inoculierten  ein  tödlicher  Ausbruch  der  Blattern 
stattfand,  wie  in  einem  der  angesehensten  Häoser  Berlins,  wo  von  drei 
Söhnen,  die  inoculiert  worden,  zwei  starben.  Als  im  Jahre  1789  die 
Herzogin  Friedrich  von  Braunschweig  an  den  Blattern  starb,  wurden 
auch  den  königlichen  Kindern  die  Pocken  durch  den  englischen  Arzt 
Dr.  Leoven  (seit  1787  in  Berlin)  eingeimpft;  sämtliche  vier  geimpften 
Prinzen  (der  Kronprinz,  Prinzen  Ludwig,  Heinricli,  Wilhelm)  über- 
standen die  Krankheit  gut.  Die  meisten  Ärzte  inoculierten  die  Kinder 
erst  im  dritten  Jahre.  Sie  impften  am  Oberarm  an  der  Spitze  des 
Deltamuskels  oder  in  der  Hand  /wischen  [);nimen  und  Zeigefinger, 
einige  aucli  an  den  Beineu.  Girtanner  iiielt  dt'n  Vorderarm,  gleich 
hinter  der  Hand  für  die  bequemste  SteUe.  Mit  dem  Faden  wurde  selten 
inoculiert,  häufiger  mit  der  Lanzette  oder  mit  einer  eigenen  ImpCoadeL 

1* 


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4 


Georg  Siegerist. 


Auch  wurde  zuweilen  ein  kleines  Zugpflaster  aufgelegt  und  die  von  der 
Oberhaut  eiitblösste  Stelle  mit  frischem  Pockeneiter  bestricheu,  ein  Ver- 
fahren, das  aber  wenig  Beifall  fand. 

Al8  ein  guter  Prophet  hinsichtlicli  der  Bekämpfung  der  Blattern 
erwies  sich  Formey  in  seiner  Topographie:  „Die  Möglichkeit  einer  voll- 
kommenen Ausrottung  der  Blattern  lässt  sich  nicht  bezweifeln.  .  .  . 
Welche  Wohlthat  wäre  es  für  die  Menschheit,  und  welcher  Vorteil  für 
den  Staat,  wenn  diese  schreckliche  Krankheit  endlicli  wieder  ausgerottet 
werden  könnte!  Der  Gedanke  allein  schon  erhebt  das  Herz  und  eröfl'uet 
die  fröhlichsten  Aussichten !  ^  "^).] 

1798. 

23.  Juli.  ISit  dem  innigsten  Vergnögen  habe  ich,  nachdem  ich  seit 
einem  Jahre  nnd  länger  das  Brownische  System  studiert  hatte,  die  Kritik 
dieses  Systems  von  Girt anner  gelesen.  In  langer  Zelt  habe  ich  nichts 
so  schönes»  so  richtiges,  wahres  und  lichtvolles  gelesen  als  eben  diese 
Kritik,  und  hätte  Girtanner  nie  etwas  anderes  als  eben  nnr  diese 
geschrieben,  so  würde  er  schon  meine  ganze  Hochachtung  und  Ver- 
ehrung verdienen.  Durch  diese  Kritik  hat  er  vielen  Tausenden  von 
Ärzten  den  Star  gestochen,  worunter  freilich  nun  manche  sein  werden, 
die  sich  ärgern,  dass  sie  bei  hellen  Augen  die  glänzenden  phantastischen 
Bilder,  die  sonst  vor  ihren  Augen  schwebten  und  sie  ergötzten,  nicht 
mehr  sehen. 

[John  Brown,  ein  schottischer  Arzt,  1736  geboren,  stellte  in  seinen 
«Elementa  medicinae''  (Edinbnrg  1780,  deutsch  von  Weikard  1795) 
ein  ganz  neues  medizinisches  System  auf.  Brown  ist  ein  Schüler  Gullens, 
der  den  Diralismns  der  Hallerschen  Lehre  von  Irritabilität  (Reizbarkeit) 
nnd  Sensibilität  (Empfindung)  dadurch  auszugleichen  suchte,  dass  er  sie 
als  partielle  Äusserungen  einer  vom  Nervensystem  ausgehenden,  das 
ganze  Leben  beherrschenden  „Nervenkraft''  auffasste  und  alle  krankhaften 
Vorgänge  von  einer  Störung  dieser  Nerveid<raft  ableitete.  Brown  ver- 
allgemeinerte den  Hallerschen  Begriff  der  Irritabilität  zum  Centrum  des 
Lebensprozesses.  Nach  seiner  Theorie  unterscheiden  sich  die  lebenden 
Körper  von  den  leblosen  dadurch,  dass  sie  die  F'ähigkeit  besitzen,  durch 
Reize  erregt  zu  werden.  l)eu  Sitz  der  Erregbarkeit  (excitabilita.s)  bilden 
die  Nerven  und  Muskeln,  das  ^Nervensystem".  Heize  sind  alle  Kin- 
fltisse,  welche  die  Ki-i'<"^b;irk<'it  in  Wirksamkeit  zu  setzen  vermögen. 
Sie  zerfallen  in  äussere  und  inneie;  zu  den  letzteren  gehören  das  Blut 
nnd  die  Säfte,  geistige  Tliatigkeit,  Ali'ekte  etc.  Das  Leben  beruht 
lediglich  also  auf  der  EiL,'('ns(  liaft  der  organisclien  Köriier,  durch  Reize 
erregt  zu  werden.  Die  ( lesundheit  ist  bedingt  durch  eine  mittlere  Menge 
nnd  Stärke  der  Reize  und  ein  mittleres  Mass  der  Errei;lKu  keit.  Krank- 
heit eutäteUt  dui'ch  Vermehrung  und  Verminderung  dieser.  Zwischen 


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Aas  den  Tagebttcbem  des  alten  Heim. 


5 


Gesnndheit  und  Kraukheit  liegt  nach  beiden  Seiten  hin  der  Zustand  der 
Krankheitsanlage  oder  ^Opportunität".  Der  Tod  tritt  ein  durch  über- 
mässige Anhäufung  der  Erregbarkeit  infolge  des  gänzlichen  Fehlens  der 
Reize  oder  durch  Erschöpfung  infolge  einer  übermässigen  Einwirkung 
der  Reize.  Dabei  kommt  die  qualitative  Verschiedenheit  der  Reize 
nicht  in  Betracht.  Zwischen  den  einzelnen  Pha.sen  der  Erregung  eines 
Organ.s  linden  nur  quautitative  Unterschiede  statt.  Dasselbe  gilt  von 
den  durch  Majigel  oder  Entziehung  von  Reizen  bewirkten  Abänderangen 
der  Erregung.  Die  ersteren  erzeugen  den  Zustand  der  Sthenie,  letztere 
den  der  Asthenie. 

Reize  sind  Wärme,  Fleischnahrnng,  Gewftrze,  Alkohol,  Moschas, 
flüchtige  Langensalze,  Äther  und  Opiam,  femer  der  Chylns  (Ifilehsaft^ 
das  Blut,  LeibeBfibiingen,  Geistesthätigkeit,  Affekte,  sowie  manche 
Contagien  und  GHite.  Beiientsdehend  (asthenisierend)  wirken  Kälte, 
Hanger,  Blut-  und  S&ftoTeilnste  etc.  Haaptmittel  des  Brownschen 
Systems  waren  daher  Aderlässe,  starke  Ansleeningen  durch  Brech-, 
Purgier^  nnd  schweisstreibende  Ifittel.  Bei  der  Feststellnng  der  Diagnose 
kommt  es  nur  darauf  an,  ob  das  Uebel  drtlich  oder  allgemein,  athenisch 
oder  asthenisch  ist  nnd  welchen  Grad  der  Erregbarkeit  der  Kranke 
und  dessen  einzelne  Organe  darbieten,  ferner  in  erster  Linie  auf  die 
Dosis  des  Heilmittels.  Brown  räth,  der  Sicherheit  wegen  mehrere  Heil- 
mittel miteinander  zu  verbinden,  ja,  im  äussersten  Falle  alle  zugleich 
anzuwenden.  Sämtliche  Krankheiten  können  auf  einer  doppelten  Skala 
untergebracht  werden,  die  auf  der  einen  Seite  von  0  bis  80  Grad  die 
Stufen  der  zunehmenden  Erregbarkeit,  auf  der  andern  in  umgekehrter 
Richtung  die  entsprechenden  Masse  der  Erregung  darstellt.  Die  Ifittel 
beider  Skalen  entsprechen  dem  gesunden  Znstande. 

Den  Hauptfehlem  dieses  „Systems*  der  Verschwommenheit  und 
Unklarheit,  entspricht  die  Charakteristik  seines  „Eifinders*',  welche  die 
Geschichte  der  Medizin  festgestellt  hat.  Brown  war  eine  geistig  begabte, 
talentvolle  Persönlichkeit,  aber  ohne  tiefere  wissenschaftliche  Bildung 
und  praktische  Erfahrung;  zudem  mangelte  ihm  sittlicher  Ernst.  In 
England  selbst  blieb  er  ohne  jeden  Einfluss;  seine  Haupterfolge  fand  er 
in  Deutschland  und  Italien.  Als  seinen  Vorläufer  in  Deutschland  kann 
man  Aibrecht  Thaer  in  Celle  betrachten,  der,  damals  noch  nicht 
rationelle  Tiandwirtbschaft  treibend,  ein  eifriger  Verfechter  der  Hallerschen 
IrritaliUtätslehre  war. 

Eine  vernichtende  Kritik  der  Brownschen  Lehre  giebt  der 
schweizerische  Arzt  Christoph  Girtanner  aus  St.  Gallen  in  seinem 
Buche  „Ausführliche  Darstellung  des  Brownschen  Systems  der  prak- 
tischen Heilkunde"  (1797  OS).  Girtanner  war  in  England  und  namentlich 
in  Edinburg  damit  bekannt  geworden  und  gal)  es  zunächst  in  der  Ab- 
handlung „Deux  mömoires  sur  i'irrjtabilit^considüruecomme  principe  de  vie 


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Georg  Siegeilflt. 


daoB  la  natnre  oiganiBÖe"  in  Roziers  jonmal  de  physiqae  1790  als  eigene 
Erfindung  aus;  er  fahrte  die  Erregbarkeit  und  ihre  Anoynalten  auf  die 
Yerbindong  des  SaaerstolGs  mit  der  thierischen  Faser  EurAek.  In  einer 
Notis  in  den  »Göttinger  Nachrichten*  erklärte  er,  seine  Lehre  h&tte  in 
Edinburg  Au&ehen  erregt  und  Beifall  gefunden.  Erst  durch  Weikard, 
den  Übersetzer  Browns, -wurde  der  Betrug  1795  aufgedeckt,  und  durch 
die  darauf  folgende  Polemik  zwischen  beiden  wurde  der  Brownianismus 
in  Deutschland  genauer  bekannt.  Nnn  schrieb  Girtanner  seine  Kritik, 
die  mit  den  Worten  scUiesst  »  .  .  .  nachdem  ich  meinen  mAchtigen 
Gegner  durch  die  Waffen  der  Vernunft  bekämpft  und  ihn  so  zu  Boden 
geworfim  habe,  dass  er  nicht  wieder  au&tehen  kann,  trete  ich  mit  dem 
angenehmen  GefOhl  des  Siege»  vom  Kampfplätze  ab  und  hänge  gleich 
den  Gladiatoren  des  alten  Roms  meine  Waffenröstnng  auf." 

Eifrige  deutsche  Browoianer  waren  Joseph  Frank  in  Wien,  durch 
den  diese  Kiirmethode  offiziell  in  der  österreichischen  Armee  eingeführt 
warde  und  aufs  glänzendste  ihre  Unbrauchbarkeit  bewies.  Innerhalb 
21  Tagen  starben  unter  den  Händen  eines  Arztes  von  60()  auf  diese 
Weise  beliandelten  Kranken  200.  Allerdings  war  die  Kur  sehr  wohlfeil. 
Die  „Heilung*'  des  Wechselfiebers  erforderte  nach  der  Angabe  eines 
österreichischen  Militärarztes  nur  für  8  Kreuzer  Opium  und  für  82  Kreuzer 
Branntwein.  Ferner  sind  noch  zu  nennen  Weikard  iu  Fulda  und 
Markus  in  Arolsen.  —  In  den  80er  Jahren  des  18.  Jahrhunderts 
verhandelte  die  prenssische  Regierung  längere  Zeit  mit  Brown  wegen 
dessen  Ueborsiedelung  nach  Berlin;  der  Plan  führte  aber  zu  keinem 
Ergebnis  2^).] 

7.  September.  Den  ganzen  Vormittag  in  der  Charit(^  zugebracht. 
Der  Charitt'|)rediger  Prahmer  hatte  in  einer  gedruckten  Sclirift  eiue 
Menge  Fehler  der  Charite  bekannt  gemacht  und  dem  König  ein  Exemplar 
davon  'znj4:escliickt.  Der  Köiiiu  hatte  daher  befohlen,  dass  von  dem 
Vorsteher  der  Ciiarite,  dem  Präsidenten  v.  Scheve  mit  Zuzieliiing  einitxer 
Ärzte  genau  untersucht  werden  sollte,  ob  di«  in  dieser  Schritt  an- 
geführten Klagen  gegründet  waren  oder  nicht.  Der  Dr.  Bremer, 
Leibarzt  Forniey  und  ich  wurden  zu  dieser  Unteisuehung  aufgefordert. 
Leider  fanden  wir  alle  iu  der  Schrift  geführten  Klagen  gegen  die 
Charit^  nicht  allein  gegründet,  sondern  wir  entdeckten  nocli  mehrere 
Mangel  und  Fehler,  wovon  wir  dann  unsere  Anzeige  und  Gutachteu 
aufzeichnen  und  ab^ebt  ii  werden. 

[Die  Inigliche  Schrift  führt  den  Titel  „Einige  Worte  über  die 
Berlinische  Charite  zur  Beherzigung  aller  Menhchenfreunde",  Berlin  17tl'^\ 
Der  Verfasser  klagt  über  Mangel  an  Wartepersonal,  über  schlechtes 
und  zu  knap]»es  Essen,  über  Mangel  und  Unsaul»erkeit  der  Wäsche  und 
über  den  unglaulilic  h  schlejtpeudeu  Ues(  liäftsgang  der  Verwaltung.  Der 
Schmutz  in  den  Krankenstuben   sei  unbeschreiblich,  die  liUt't  verpestet. 


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Ans  den  Ti^bücbem  des  altcu  litiuu.. 


7 


Ein  Wärter*  erhält  12  Groschen  Lohn  monatlich,  die  Küchenmädclien 
4  Groschen;  die  Mädchen  wären  gewöhnlich  venerisch  oder  krätzig 
gewesen.  Infolge  seines  geringen  Lohnes  entzöge  das  Köchen-  und 
Wartepersonal  den  Kranken  das  kärgliche  Essen  und  triebe  damit 
Handel.  Hemden  von  Krätaigen  seien  gans  ungenügend  gereinigt 
anderen  Kranken  gegeben  worden;  ja,  man  habe  solche  Hemden  zn 
ChHr[>ie  verwandt.  Die  Heizung  geschehe  nnr  nach  dem  Datum  ohne 
jede  Rttcksicht  auf  den  Znstand  der  Kranken.  Auf  Leben  und  Tod 
Opeiierte  mässten  auf  dem  Strohsack  liegen;  Matratzen  vrürden  trotz 
des  Drängens  der  Ärzte  nicht  angeschafft  Die  Beleuchtung  dauere 
gewöhnlich  nur  bis  10  Uhr  Abends.  Als  schlagendsten  Beweis  für  das 
unglaubliche  Sparsamkeitssystem  der  Charitä-Verwaltung,  die  in  den 
Händen  der  Armen-Direktion  lag,  fuhrt  Prahmer  an,  dass,  als  er 
Schreibmaterial  fär  die  Dienstsachen  verlangte,  ihm  der  Bescheid  wurde, 
er  solle  sich  in  jedem  einzelnen  FaUe,  wenn  er  einen  Tauf-  oder  Toten- 
schein auszustellen  habe,  das  Papier  aus  der  Registratur  der  Charit^ 
reichen  lassen!  —  Sclion  Formey  hatte  1796  in  seiner  «Medizinischen 
Topog^phie  von  Berlin^  die  Charit^  ungeschminkt  dargestellt  Die 
Sterblichkeit  war  iu  der  Anstalt  so  gross,  dass  beinalie  jeder  sechste 
Kranke  starb.  Von  17%  bis  18Ü6  waren  in  der  Ciiarite  '^S  770  Kranke 
eingeliefert,  von  denen  Vy'I'M)  starben.  In  der  Instruktion  für  den 
2,  dirigierenden  Arzt  vom  17.  .Tunuar  1798  §  8  Nvurdt;  ihm  die  grüsste 
Sparsamkeit  zur  PHicht  gemacht;  ei'  hatte  nicht  die  Beschaifenheit  der 
Speisen  zu  koiif rolleren,  sondern  nur  den  Bedarf.  Foriney  schreibt: 
„Die  Armen  haben  mehrentheils  eine  solche  Furcht  vor  dieser  Anstalt, 
dass  sie  es  eher  als  eine  Strafe,  denn  als  eine  Wohlthat  ansehen,  darin 
aufg;enommen  zu  werden";  aus  diesem  Grunde  würden  die  meisten 
Krauken  zu  spät  eingeliefert.  Die  Spoisung  der  Krankeu  ko.'^tett'  nach 
ihm  täi^licii  un-^ofähr  l*  (i röschen  fiir  die  Person.  Die  m^i^tpn  Nationen 
hatU'U  i'reu^-^cn  auf  dem  (ifliict«'  der  Kninkenpflcrr,.  iilu.itj-otlen.  „Jeder 
Fremde,  wrlclicr  andere  1  ,;r/;ii  cthe  j^esehon  hat  und  die  un.srisi'en  besucld, 
veriasst  sie  voll  schniei /hallen  Ki'staunens  über  die  MäFigel  derselben  " 
l)as.s  übrigens  trotz  des  sicbeilirli  sehr  \vahrheit^f.;e(  rnifn 
heiielitv-s,  welchen  die  Konuins^ii mi  nuincntlich  unter  Heims  Kintluss 
erstattet  haben  wird,  die  Zustande  in  den  ii;trlisten  .laliren  dieselben 
blieben,  lehrt  uns  ein  andeicr  ( lewulirsniann,  der  i*rediotanitskandidat 
Muritz,  der  im  Winter  17't.l  isiiti  lange  Zeit  in  tier  L'liarite  lag  (als 
bevorzugter  Kranker)  und  uns  eine  „Treue  Frzahluns^  meiner 
gehabten  .Schicksale  in  Berlin  vor  und  nacli  «ier  .\ufnalinie  in  der 
Charite  etc."  (lSli;{)  hinterlassen  hat.  Zwar  ist  der  Verfasser 
dieses  Büchleins  im  allgemeinen  ein  breiter  Schwätzer;  seine  Dar- 
stellung der  Krankeidiauszu>tande  aber  deckt  sich  mit  dem  Bilde, 
welches  Brahmer  und  Furmey  gaben,  in  sehr  bedenklichem  Masse,  ab- 


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8 


gesehen  davon,  dass  sein  sehwfilstiger  Stil  von  deren  klarer  F<»nn 
nnvortheilhaft  abweicht.  Einige  Proben  mögen  genügen.  Als  er  die 
Krankenstube  betrat,  wähnte  er,  ^idie  als  grobe  Missethäter  nach  Sibirien 
"Verbannten  könnten  nicht  mehr  Ungemach  zn  ertragen  haben,  als  ich 
in  einen  so  fiblen  Dunstkreis  versetzt,  anszostehen  mich  wflrde  gewöhnen 
mfissen.  Denn  an  den  Wänden  hemm  drängte  sich  eine  Lagerstätte  an 
die  andere,  nnr  in  der  Mitte  der  Stnben  war  noch  Raum  für  eine  Bett- 
stelle übrig."  Er  theilt  die  allgemeine  Klage  über  das  Ungeziefer  in 
recht  drastischer  und  doch  zarter  Form:  „Hier  hätte  ich  mit  Eisen- 
blech über  alle  Teile  des  Körpers  bepanzert  sein  müssen,  um  nicht 
hundertmal  in  einer  Nacht  von  kleinen  grausamen  Wesen  schmerzhaft 
verwundet  zu  werden.^  Die  Verabreichung  der  Arzneien  ging  in 
folgender  Form  vorsieh:  „Der  Chlnirgns .  trägt  den  Oberkopf  einer 
Tasse  mit  sicli  lierum,  die  zu  alier  Mund  passen  miiss  und  unausgespült, 
mit  dem  Bodensätze  des  verteilte  ersten  Mittels,  das  Geräth  ist,  woraus 
der  Nachbar  seine  oft  ganz  heterogene  Medizin  empfängt.*'  Und  Horn, 
seit  IRO^)  dirigierender  Arzt,  rü^  auch  noch  S[)ater  ganz  dieselben 
Fehler,  schiechtes  Essen,  Unsauberkeit,  nngen übendes  Wartepersonal, 
über  das  er  schreibt:  «Die  Einkünfte  eines  Berliner  Kutschers  sind 
niigh>ic)i  besser,  als  die  eines  Cbarit^*£rankenwärters,  obgleich  es  viel 
leichter,  bequemer  und  gesunder  ist,  ein  paar  gesunde  Pferde  zu  ver- 
pflegen, als  einen  ganzen  Saal  voll  wichtiger  Fieberkranker",  und  zu 
Horns  Zeit  erhielten  die  Wärter  schon  einen  Thaler  monatlich  neben 
Verpflegung  und  Woliniing--').] 

lö.  September.  Mittags  den  D.  Formey,  D.  Bremer,  Pensionär^*^) 
Bonn  es  .  .  .  zum  Essou  bei  mir  gehabt.  Mit  den  3  erstereu  vieles 
von  der  hiesif;en  (^harite  g«'s|»iochen. 

22.  Mittags  speisten  1».  Bremer  und  D.  Formey  und  Hofrath 
Hill  er  bei  mir.  Vor  Tische  mit  beiden  ersteren  von  den  Angelegen- 
heiten der  (.^harite  gesprochen. 

2{).  Einen  weitläufijren  Brief  wegen  der  ( "baritö  an  den  Präsidenten 
V.  Scheve  gt-schnebeu,  der  mir  viel  Mühe  gemacht  hat. 

17.  Dezember.  Wurde  bei  Krausens  das  50  jährige  Doktorjubilaum 
des  D.  Kurella  gefeiert,  wo  an  HiU  Personen  speisten,  die  entweder 
Äi'zte  oder  Freunde  des  D.  K.  waren. 

1799. 

15.  Januar.  Den  Abend  bei  D.  B<»elim^')  zugebracht.  Eine 
Gesellschaft  von  (i  Ärzten,  namlicli  der  (Teiu  i  ;il-Chir.  Goercke,  Doctores 
Boehm,  Wall,  Boer,  Welper-")  und  i(  h  hat  sieb  vorijenommen,  alle 
Monate  sich  einmal  zn  versaniiufln,  um  .sirli  iiImi'  mediziiiisf^be  Gegen- 
stände zu  unterhalten.  Mit  der  heutigen  ei-sten  Versannuluug  bin  ich 
recht  zufrieden  gewesen. 


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Ana  den  Tflgebachem  des  alten  Heini, 


9 


2.  April.  Abends  beim  Hofmedikus  Beer  im  Tnofliziiiischen  Klub 
gewesen,  wohin  ich  auch  den  D.  Fischer'-*^)  gebeten  liatte. 

7.  Mai.  Abends  war  die  medizinische  Gesellscliaft  nebst  D. 
Grapengiesser'*')  bei  mir.  Bis  nach  11  Uhr  bei  einander  geblieben, 
und  recht  vergnügt  gewesen.  Gen.  Chir.  Goercke  schlief  indessen  bei 
Tische  ein,  welches  er  auch  kunnte^  da  er  überhaupt  wenig  spricht. 

1800. 

28.  Januar.  Ilente  besuchte  ich  den  Geheimrath  Fritz  in  der 
Cluiiite,  der  dem  Reichscheu  Mittel  die  grüssten  Lobspruche  ertheilte, 
und  von  seiner  Fiebertheorie  behauptete,  dass  sie  die  einzig  wahre  sei. 
Was  kann  ich  hierzu  sagen?    Fritze  iiniss  unklug  sein. 

[Gottfried  Christian  Reich,  17(39  geboren,  seit  1794  Professor  der 
Medizin  zu  Erlangen,  behauptete,  dass  alle  Fieber  und  fieberhaften  Zu- 
stände im  Körper  vom  Mangel  des  Sauerstoffs  als  des  positiven  und 
Vemehrang  des  Stickstoffs  als  des  negativen  Lebensprinzips  herzuleiten 
seien  und  dase  demzufolge  die  ihnen  angemessene  Ileilart  in  der  An- 
wendnng  von  ^areo»  besoadere  aas  dem  Büneralreich,  in  möglichst 
starken  Dosen,  bestehe.  Seine  Hanptmittel  waren  Salzsftnre  und  Sehwefel- 
sftnre.  Ende  1799  wurde  er  von  der  prenssischen  Regierung  nach  Berlin 
berofen,  um  in  der  Gbaritä  Versuche  mit  seinem  Mittel  anzustellen. 
Da  diese  zunächst  geheim  gehalten  werden  sollten,  entfesselte  eine 
anonyme  Besprechung  der  Beichschen  Kur  in  der  medizinisch-chirurgischen 
Zeitung  1800  eine  heftige  Fehde  zwischen  Reich  und  dem  ungenannteii 
Korrespondenten;  dieser  behauptete,  dass  bei  den  meisten  Kranken 
durch  das  Mittel  sieh  die  Haut  von  den  Lippen  ablöse,  auch  der  ganze 
Mund  und  Rachen  blasig  geworden  sei  Ein  Militärchirurg  habe  das 
im  Lazareth  yerwandte  Mittel  untersucht  und  es  als  schwarzes,  schmutziges 
Yitrioldl  erkannt  Auch  in  der  Charit^  halte  man  es  för  eine  con- 
zentrierte  Sfture.  Wegen  der  Zerfressung  der  Lippen  und  der  Zunge 
wollten  yerschiedene  Kranke  diese  Arzenei  nicht  nehmen,  sondern  lieber 
sterben  etc.  Reich  antwortete  in  der  gleichen  Zeitschrift  in  sehr 
erregtem  Tone;  er  redete  von  Unwahrheiten,  schändlichsten  Insinuationen, 
Verdrehungen  und  Verleumdungen,  meuchelmörderischen  Angriffen,  wo- 
rauf der  Anonymus  nicht  weniger  grob  replizierte:  „.  .  .  des  Herrn 
Prof.  Reich  Schimpfen  und  persönliche  Beleidigungen  mit  denen  dieser 
Herr  so  freigebig  ist,  sind  för  jeden  Gelehi-ten  unanständig;  und  es 
zeigt  den  höchsten  Grad  von  blinder  Eigenliebe,  and  grobem  Stolz, 
jeden  mit  Koth  zu  werfen,  der  nicht  an  des  Wundermannes  Kur 
glaubet"  and  seine  Bebaaptungen  aufrecht  hielt. 

Tn  seinem  der  zur  Untersuchung  des  Mittels  eingesetzten  Koninussioii 
überreichten  Proniemoria  behau i  f  ti«  Kelch  nuter  anderem:  Alle  fieber- 
haften Krankheiten  werden  scbueiler  und  glücklicher  gehoben  werden 


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lü 


Georg  Siet^erist. 


können;  selbst  bisher  für  imluMlbai'  oder  äusserst  jyefiihrlirh  gehaltene 
Krankheiten  werden  f^l'jt'klicIuT  l)i'z\vun«^tMi  werden  loWinen  :  cpideniische 
Fieber  werden  künftig  leiclit  und  sicher,  wohlfeil  uml  einfach  behandelt 
worden  können;  der  Kostenaufwand  sei  im  Vergleich  mit  ausländischen 
Arzneimitteln  ein  ganz  geringer;  Jeder  Wechselüeberkranke  vom 
Müitärstand  werde  nicht  mehr  vier  Wochen  dienstantauglich  sein  und 
mit  Aufwand  eines  Tbalers  geheilt  werden  können,  sondern  in  höchstens 
halb  so  langer  Zeit  nnd  mit  Aufwand  eines  oder  einiger  Groschen." 
Dieses  Argument  hatte  er  sehr  geschickt  gewählt  und  er  sollte  sich  in 
seiner  Wirksamkeit  nicht  getäuscht  haben.  Die  Kommission  zwar,  ans 
Seile,  Fritze,  Richter  und  Formey  bestehend,  erstattete  einen  ziemlich 
diplomatisch  gehaltenen  Bericht:  Sie  könne  aus  den  28  von  Reich 
behandelten  Kranken  noch  nicht  fiber  den  Werth  des  Mittels  entscheiden, 
nimmt  ihn  aber  gegen  den  VorwnK  der  Charlatanerie  in  Schutz;  es 
wirke  schnell,  helfe  auch  zuweilen  schnell,  doch  seien  auch  von  den 
28  Fällen  3  tödlich  verlaufen;  bei  Krankheiten  im  Felde  werde  es  an- 
gewendet werden  können,  mache  aber  nicht  alle  anderen  Mittel  entbehr- 
lich; seine  Wohlfeilheit  sei  ein  Vorzug,  dass  es  thenere  Mittel  entbehrlich 
mache,  bedfirfe  noch  der  Bestätigung;  und  Ende  gut,  alles  gut:,  «die 
Arzneiwissenschaft  wird  durch  die  Bekanntmachung  der  Theorie  und 
der  Mittel  des  Herrn  Reich  gewinnen*, 

Reich  hatte  am  Schlüsse  seines  Promemoria  den  nicht  misszn- 
verstehenden  Wink  ausgesprochen,  ob  der,  der  alle  Vortheile,  wozu  ihm 
ein  so  wichtiges  Geheimnis  die  schönsten  Aussichten  gab,  hintansetzte 
und  sie  dem  Wohle  des  Staates  und  der  Menschheit  zum  Opfer  zu 
bringen  bereit  ist,  nicht  „auf  eine  anständige  Weise  entschädigt  zu  werden 
verdient".  Er  hatte  nicht  vergebens  gewinkt.  Der  König  befahl  die 
Bekanntmachung  des  I\<  i(  tischen  Mittels  durch  den  Druck  und  bewilligte 
seinem  Erfindpr  eine  Jahrespensioii  von  ">(H)  Thalern.  Ausserdem 
criiielt  er  unter  Dis[)en.s  von  den  herkOuiinlidien  Mrüfiinu*  m  Ii  •  llrlaubniss, 
in  fttMÜn  zu  praktizieren  und  Vorlt  sunger»  zu  hallen.  Keicli  liess  sich 
noch  KS(MJ  in  Ü-  ilin  nieder.  Bei  Jiegründang  der  Tniversität  wurde 
er  ausserordentlicher  Professor  und  begann  seine  Vorlesungen  über 
Pathologie  und  Therapie  im  Wintersemester  lÖlU/11.  £r  starb  am 
5.  Januar  IS4S. 

Uber  seine  Fiebertheorie  hat  er  eine  ganze  IJeihe  von  Schriften 
veröffentlicht.  l)araus  seien  t;etiannt:  l>eschreibuii:;  der  mit  meinen 
Mitteln  behandelten  KrarddieitstVilK-,  1.  lid.-*  (l^^»»«»),  ^Vom  Fiebei-  und 
dessen  Behandhinir  überhaupt :  AufSr.  Köiii;;Iichen  Ma  jestät  \ on  Pieussen 
aüergnädigsten  Befeld  \  '»in  OI)ei  -( '(ille:;io  niedico  et  sanit;itis  bckjinnt 
gemacht**  (ISCd).  Das  Buch  wiii<ie  ins  fi-an/">sisclie,  ennlisclie,  li. ndix  lie, 
d:ini«^che  und  portnuie^ivehe  idterset/t.  l'ernei-:  „Krbiiilei  iini;  drr  Fu'bcr- 
lehre**   (lÖOr>),   „Neue  Aufbchlüsse   Uber  die  .Natur  und  Heilung  des 


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^us  den  TagebOchem  des  a)ten  Heim. 


11 


Scharlachliebftrs**  (I^^IO).  VAn  vollständiges  Verzeichnis  seiner  Schriften 
bis  18:25  findet  sidi  im  Gelehrten  Berlin  1820  p.  l>07  Ii'*').] 

9.  Mai.  Mit  dem  Betragen  des  T).  G  rapengiesse  r  jL?egen  mich 
nicht  zufrieden  pisveaen  ...  Er  glaubt  sich  stark  genug,  um  uuter 
deu  hiesigen  Ärzten  ein  Buouaparte  zu  sein. 

1.  Juni.  Vor  Tiscli  nach  der  Neuen  Scheune  und  nacli  dem 
Quappenkrug  zum  Geh.-R.  Seile  geritten.  Clitcr  eine  halbe  Stunde 
mich  mit  Seile  in  seinem  Garten  sehr  angenehm  unterhalten.  Von 
Meckel  "),  seinem  8ch\s  iegcrvater,  Voitus  '*)  und  Mui  sinna  erzählte 
er  mir  vieles;  auch  sagte  er  mir,  dass  seine  sriirk;?te  jährliche  fiiauahuiü 
7üUU  Rthlr.  gewesen  wäre,  und  fand  das  sehr  viel. 

27.  D.  Jenners  Sclu"it>t»n  von  der  Kiilipucken-lnoculation  mit 
dem  grö.ssten  Veignügen  gelesen.  Der  Name  dieses  Manues  wird  allen 
jetzigen  und  zukünftigen  .\rzten  theuer  sein. 

[Jenners  Buch  „An  intjuii  y  into  the  causes  and  effects  of  the 
variolae  vaccinae  or  the  cowpox**  (f.undon  1798,  1S(M),  1801)  wurde  von 
Ballhurn  ins  Deutsche  übersetzt,  Hannover  171)9,  ebenso  „Further  obser- 
vations  on  the  variolae  vaccinae  or  cowpo.v"  (London  1799)  1800.  Die 
Schatzkraft  der  Vaccine  gegen  Blattern  war .  schon  längere  Zeit  vor 
Jenner  Laien  in  Viehzucht  treibenden  Gegenden  bekannt  In  Holstein 
impfte  1791  der  Schnllehrer  Platt  die  Kinder  eines  Pächters  in  Hassel- 
borg  bei  Kiel  mit  Knhpocken;  sie  erkrankten  nicht  an  den  Blattern. 
Schon  1765  hatten  englische  Ärzte  die  Beobachtung  gemacht,  dass  die 
Inocnlation  bei  Personen,  die  infolge  Berfihrung  der  Kfihe  beim 
Melken  Knhpocken  bekommen  hatten,  ohne  Erfolg  geblieben  sei,  dies 
aber  nicht  weiter  beachtet  Dass  die  Knhpocken,  nnregelmftssige,  mit 
einer  rosenartigen  Entzündung  umgebene  Pnsteln  an  den  Entern  der 
Eflhe,  oft  anf  die  H&nde  des  melkenden  Gesindes  übergehen,  war 
vielfach  beobachtet  worden;  auf  ihre  Immunisiernngskraft  war  Jenner 
während  seiner  Lehrzeit  in  der  Apotheke  zu  Sndbury  bei  Bristol  durch 
eine  Bäuerin  aufmerksam  gemacht  worden.  Er  begann  1775  mit  seinen 
Untersuchungen,  zunächst  nach  Eutetehung  der  Kuhpocken,  die  er  in 
der  Pferdemauke  (grease)  erblickte,  einer  ebenfalls  mit  Bläschenbildung 
auftretenden  örtlichen  Erkrankung  an  den  Fesselgelenken  der  Pferde,  die 
durch  mangelhafte  Reinlichkeit  der  die  Pferde  besorgenden  Knechte  auf 
die  Kühe  desselben  Hofes  übertragen  wurde.  Nach  mehr  als  20-jährigen 
Versuchen  impfte  Jenuer  am  14.  Mai  17%  den  Knaben  James  Philipps 
mit  Vaccine  von  der  Hand  einer  Melkerin;  um  I.Juli  wurde  der  Knabe 
mit  Blattemmaterie  geimpft,  ohne  darauf  zu  erkranken. 

Tn  Deutschland  machte  Strolnncyer  in  Hannover  als  erster  erfolg- 
reiche Versuche  mir  Vaccine.  lu  iSci  iin  erklärten  sich  Heim,  Bremer, 
Zenker,  Merzdortf,  Grapengiesser,  Meyer,  Augustin,  Schulz  und  bMiess 
bereit,  unentgeltlich  zu  impfen.  Es  entstand  hauptsächlich  auf  Betreiben 


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12 


Georg  Siegerist. 


Heims  nach  dem  Muster  der  Jennerian  Society  (des  späteren  National- 
Vaccine-etablisbement)  die  Anstalt  zur  Verbrciruiii?  der  Kuhpocken- 
impfuug.  Schon  im  folgeudeu  Jahre  wurde  (his  königliche  Schutz- 
blatternimpfungs-Institut  begründet  und  am  81.  Oktober  1803  ein  impf- 
Reglement  erlassen. 

Noch  seien  einige  Zahlen  zam  Vergleich  untereinander  angeführt: 
Während  in  den  8  Jahren  1787—1795  5526  Personen  in  Berlin  an  den 
Pocken  starben,  erlagen  von  1884^41  471  Personen  dieser  Krankheit 
Die  Pooken-Mortalität  verhielt  sich  zn  der  allgemeinen  im  Durchschnitt 
der  Jahre  1783—1797  wie  1:11%  1834-1841  wie  1:143.  Seit 
Eintritt  der  Vaccination  ist  die  absolute  Mortalität  in  Berlin  nm  bei- 
nahe •/*  Proz.  gefallen^*).] 

10.  November.  Gestern  frQh  gegen  7  Uhr  starb  der  Geh.  Rath, 
Ednigl.  Leibarzt  Seile.  Im  ganzen  war  er  immer  ein  Mann  von  vielen 
Kenntnissen  —  im  Umgang  äusserst  angenehm  —  aber  er  hatte  doch 
zuviel  Eigendftnkel.  Er  glaubte,  ein  grosser  Philosoph  zu  sein;  die 
eigentlichen  Philosophen  glaubten  das  aber  nicht,  sondern  hielten  ihn 
für  einen  grossen  Arzt,  und  die  Ärzte  gestanden  ihm  letzteres  nicht  zu, 
sondern  hielten  ihn  für  einen  grossen  Philosophen.  Ich  habe  ihn 
übrigens  immer  als  einen  talentvollen  Mann  geschätat,  und  sein  Tod  ist 
mir  sehr  nahe  gegangen. 

5.  Dezember.  Abends  waren  D.  Bremer  und  Prof.  Zenker  bei 
mir.  Erstorer  las  mir  einen  Aufsatz  über  die  Enhpocken  vor,  den  wir 
kritisch  beurtheilten. 

15.  Blit  dem  grössten  Veiignfigen  die  Parallele  zwischen  dem 
Asklcpiades  und  John  Brown  von  Burdach  gelesen''^).  Ackermanns 
Darstellung  der  T^ebenskräfte  hat  mir  nicht  gefallen.  Ich  bin  immer 
der  Meinung,  dass  die  chemischen  Gesetae  ganz  und  gar  nicht  auf 
unseren  K(')rper  und  dessen  Erscheinungen  angewandt  werden  können. 
Animalisch-chemischer  Prozess,  chemia  Vitalis,  die  Krystollisierung  der 
weiblichen  und  männliclieu  Fruchtigkeit  zum  embryo  pp.  sind  Wörter, 
die  keinen  Sinn  fär  mich  haben''}. 

1801. 

18.  Fcbmar.  Vom  D.  Lobstein  aus  Strassburg  besucht  worden, 
einem  Enkel  vom  jü^rossen  Anatomiker  Lobstein. 

10.  April.  Mittags  beim  Minister  v.  Sc h rotte r  in  Gesellschaft 
mehrerer  Gelehrter  gespeist.  >fit  Nicolai  vieles  über  die  Kuhpocken" 
Krankheit,  gegen  welche  er  ist,  gesproclien. 

5.  Mai,  Abends  im  niediziiiisclien  Klub  bei  D.  Wall  gewesen,  in 
welchem  der  Geh.  Rath  Huf  1  and  auf^enonmien  worden  ist. 

15.  .Juni.  Nach  Tische  die  Bandagen  und  Maschinen,  die  der 
König  von  Wolf  söhn  aus  Wien  für  1800  Kthlr.  gekauft,  auf  der  Ana- 


Aua  den  Tagebüchern  des  alten  Heim. 


13 


tomie  besehen,  and  sie  nUr  von  dem  Wolfsobn,  selbst  zeigen  und 
erldftren  lassen***). 

20.  Mit  dem  D.  Formey  wegen  der  vorjährigen  sogeuuniiten 
Influenza,  tou  der  er  leugnete,  dass  äiu  iu  Berlin  gewesen  sei,  mich 
etwas  heftig  heruradisputiert  ^*). 

August.  Vor  einigen  Monaten  hatte  der  Herr  llul'ratli  Marcus 
Herz  eine  Schrift,  in  welcher  er  stark  gegen  die  Kiihpocken-Impfung 
eiferte,  und  diese  Brutal-Impfung  nennt,  herausgegeben  mit  dem  Motto: 
Homo  suni,  non  humana  a  me  aliena  esse  pnto^")- 

In  einer  der  hiesigen  Zeitungen  stand  folgendes,  welches  Bezielnine: 
auf  diese  Schrift  hat,  in  welcher,  wai^  ich  auch  bemerken  muss,  Herz 
die  Kuhpocken-Impfuiig  einen  wilden  Versuch  nennt: 

An  den  Genius  der  Kohpocken. 

Tausend  Herzen  schlagen  Dank  and  S^ftti 

Dir  dem  Freunde  Tausender  cntj^og-en 
Doch  —  wenn  Dich  Millionen  küssen 
Tritt  ein  Herz  Dich  wild  mit  Jb^tissen. 

Eine  Gegenscbriit  anf  die  Herzische  batte,  am  anch  das  Motto  des 
letzteren  l&cherlicb  za  macben,  znm  Motto:  Errare  bumannm  est 

16.  Oktober.  Der  Pri&sident  t.  Gerlacb,  ein  sonst  gescheidter 
nnd  besonders  frommer  Mann,  nnd  so  ancb  der  Geb.  Rath  v.  Raumer 
nnd  was  sonderbar  genng  ist,  beide  haben  anch  keine  ohne  Bildung 
erzogenen  Frauen,  allein  alle  4  sind  gegen  die  Knbpocken  und  wollen 
ihre  Kinder  nicht  die  Kuh-,  sondern  die  menschlichen  Pocken  einimpfen 
lassen  —  wozu  ich  mich  aber  kaum  verstehen  kann, 

22.  Abends  beim  Präsidenten  v.  Schleinitz  im  gelehrten  Klub 
gespeist.  Nicolai  und  Biester  sind  noch  äusserst  gegen  die  Kuh- 
pocken. Hofrath  Marcus  Herz  war  auch  hier. 

2ß.  Mittags  beim  Minister  v.  Heinitz  gtspeist,  wo  ich  den  Geh. 
Rath  Rosenstiel,  der  gegen  die  Kuhpocken  ist,  für  dieselben  sich  zu 
erklären,  zu  überreden  versuchte. 

1802. 

2'^.  Januar.  Abends  spät  zum  Assessor  Lndolff  gerufen  worden, 
wo  Wollt"  Arzt  ist,  und  daselbst  ein  Kind  in  ilen  heftigsten  Krämpfen 
gesehen,  dem  man  vor  t)  Tagen,  wie  man  versicherte,  die  Kuhpocken 
geimpft,  nunmehr  aber  sicher  die  Menschenpockra  bekommt  Kaum 
glaube  ich  aber,  dass  man  dies  Kind  vacciniert  habe. 

24.  0.  Wolff  scheint  nicht  Kuhpocken,  sondern  Mensclienj^u  kon 
bei  liudolflt's  Kind  inoculiert  zu  haben,  welches  dem  Wolff  sehr  uacli- 
theilig  sein  würde. 


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14 


Geong  Skfeiist 


25.  D.  Wolff  hat  vrirklich  dem  LndoUbchen  Kinde,  wie  es 
dessen  Eltern  verlangt  haben,  nicht  die  Kufi-  sondern  die  Menschen- 
pocken  inocnliert,  da  Wolff  ein  grosser  Feind  der  Knhpockcn  ist.  Der 
verblendete  arme  Wolff  ist  durch  diesen  Todesfall  gewiss  sehr  gestraft 

22.  April.  Mittags  beim  Geh.  Rath  Fonney  in  grosser  Manns- 
gesellschaft,  meistens  Ärzte  gespeist.  Dem  Hofrath  D.  Loder^^)  aus 
Jena  wurde  diese  Fete  zu  Ehren  gegeben. 

8.  Oktober.  Abends  in  Begleitung  des  Professor  Zenker  vom 
Professor  Cnrt  SprengeP^)  aus  Halle  besucht  worden.  Ihm  meine 
Neuseeländischen  Mo(we  gezeigt,  die  ihn  ganz  in  Erstaunen  setzten. 

\l  Alx'uds  waren  Professor  Sprengel  und  Zenker  nebst  D.  Kluge*-) 
nnd  Apotheker  Lucae  bei  mir,  denen  ich  den  grössteu  Theil  meiner 
Moose  zeigte. 

1803. 

21.  Januar.  Gestern  starb  der  Hofirath  und  Professor  Marcus 
Herz,  der  sich  durch  seine  Schrift  von  der  Bmtal-Impfnng  so  be- 
rüchtigt gemacht  hat,  an  der  Schwindsucht  Es  mag  ihn  doch  sehr 
geärgwt  haben,  dass  man  seme  Schrift,  auf  die  er  einen  so  grossen 
Werth  setzte,  allenthalben  so  lächerlich  und  kleinlich  fand.  Er  mag 
deshalb  wohl  der  einzige  sein,  dem  die  Kuhpocken  tödlich  geworden  sind. 

3.  Mai.  Ein  medizinischer  Club  von  6  Ärzten  ist  an  und  für  sich 
eine  vortreffliche  Sache,  so  verd'chieden  die  Mitglieder  auch  immer  sein 
sollten.  Wären  diese  Mitglieder  unter  sich  nun  anch  noch  gute  Freunde  — 
könnte  dies  sein  —  was  für  eine  herrliche  Gesellschaft  müsste  das  nidit 
sein!  Mit  Welper,  Boehr  und  Goericke  bin  ich  in  jeder  Hinsieht 
zufHeden,  aber  mit  Boehm  und  Hufeland  nicht;  diese  beiden  haben 
zu  viel  arrogance  und  letzterer  fast  noch  mehr  als  ersterer  —  da  er  ' 
unter  uns  6  doch  gewiss  ih  r  schlechteste  Practicus  ist  —  aber  freilich 
durch  seine  Schriften  und  als  Königl.  Leibarzt  den  grössten  Ruf  hat 

24.  August  Mittags  beim  Gastwirth  Boelke  wurde  das  SOjährige 
Jubiläum  seines  Professorats  in  einer  grossen  Gesellschaft  von  Ärzten 
und  Nichtärzten  vom  CoUegio  medico-chimrgico  herrlich  gefeiert,  wozu 
ich  vom  Professor  Zenker  auch  eingeladen  war. 

11.  September.  Mittags  beim  Gen.  Chir.  Goerike  in  Gesellschaft 
von  D.  Frank^*),  Mursinn a  und  mehreren  Ghururgie-Pensionärs  pp. 
gespeist  Mursinna  führte  allein  das  Wort  bei  Tische,  alle  anderen 
mussten  stillschweigen. 

25.  .  .  .  halb  6  Uhr  in  Bellevue,  wo  ich  die  kleine  Prinzessin 
Helene  v.  Radziwill,  die  gestern  gestorben  war,  in  Gegenwart  des 
Geh.  R.  «Stosch  secierte.  Bei  dieser  Gelegenheit  habe  ich  mich  aufs 
neue  Überzeugt,  dass  der  Geh.  R.  Stosch  ein  sehr  guter  Hofmann,  aber 
nur  ein  sehr  mittelmässiger  Arzt  sei. 


Ans  den  Tagebflehem  des  alten  Heim. 


15 


1804. 

21.  Januar.  Aboiids  ))eim  Prof.  Zcnkor  in  grosser  («esellsrlinft 
iiiL'istens  von  Ärzten  gewesen,  dem  Geh.  Med.  K.  Mogalla**')  aus 
Breslau  zu  Ehren. 

14.  Mai.  Abends  von  (i  bis  8  Ulir  wurde  das  Kollegium  bei 
I).  Meyer  über  die  Schädellehre  des  D.  Gall  geschlossen*'').  D.  ^eyer 
hat  mir  nnd  allen,  die  die.se  Vorlesung  mit  anhörten,  einen  grossen 
Gefallen  erzeigt.  So  schwankend  diese  ganze  Lehre  Doch  ist^  so  ist 
doch  wohl  gewiss  viel  Wahres  in  derselben  enthalten. 

24.  Juni.  Mittags  vom  Geh.  Rath  Fritze,  Charitö-Arzt,  bei 
Karstens  im  Thiergarten  sehr  gut  bewirthet  worden.  Er  sowohl  als 
Prof.  V.  Eoenen*')  leugnen  alle  Schärfe  im  Edrper  als  Ursache  von 
Krankheiten  —  ich  nehme  die  Schärfen  in  Schutz. 

25.  Nachmittags  mit  der  Prinzessin  Ferdinand  über  2  Stunden  im 
Waiths  rächen  Kabmett^*)  gewesen,  welches  hdchstderselben  von  den 
beiden  Walthers  u.  Gen.  Chir.  Goerke  gezeigt  wnrde. 

20.  September.  Abends  l)eim  Prof.  Zenker  in  einer  grossen 
Gesellschaft  von  Ärzten,  worunter  der  Prof.  ilorn^^)  die  Hauptperson 
war,  gewesen. 

20.  November.  Wegen  dem  Professor  Hecker*")  zu  £rfart  mir 
alle  Muhe  gegeben,  dass  er  hierher  an  die  Stelle  des  gestern  verstorbenen 
Professors  Gönner  kommen  möge.  Ich  habe  deshalb  mit  dem 
Minister  v.  Schulenbnrp:,  Präsidenten  v.  Scheibler,  Formey  nnd 
Zenker  gesprochen  und  an  Beyme  geschrieben. 

1805. 

23.  Februar.  Vom  Ober-Collegio  medico  die  grosse  silberne 
Akademie-Medaille,  ffir  den  Eifer,  den  ich  bei  der  Vaccination  bewiesen 
habe,  erhalten. 

24.  März.  Mittags  beim  (Jeli.  R.  Formey  in  kh^incr  ( lr>(Hs{haft 
von  Gelehrten,  unter  (ItMu  ii  ;nM  li  Oall  aus  Wien  war,  gespeist.  Mit 
dem  D.  Gall  mich  viel  unteiiialt^'n 

:!').  Von  l-I  bis  2  Uhr  das  Collegiiim,  welches  der  D.  Gall  über 
die  Schädellehre  flieht,  mit  beigewohnt,  welches  mir  sehr  gut  geiMlt 
und  welches  ich  12  Tage  hintereinander  taglich  besuchen  werde. 

30.  Mittags  beim  Geh.  K.  R.  Beyme  in  Gesellschaft  von 
D.  Gall  und  v.  Kotzebue  gespeist. 

5.  A[)ril.  Mittags  beim  Prinzen  l'erdinand  mit  dem  l).  Stosch 
und  Formey  und  Gall  gespeist. 


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16 


16.  Nachmittags  von  4 — 6  Via  des  D.  0a Us  erste  Vorlesung 
Aber  die  Stroktor  des  Gehirns  angehört,  welche  meinen  vollen 
Bei&n  hatte. 

17.  Henfo  die  letzte  Vorlesung  des  D.  Oalls  mit  angehört  Ich 
verehre  nnd  schätie  diesen  Mann  von  ganzer  Seele,  nnd  bin  glüddicb, 
von  ihm  soviel  gelernt  zu  haben. 

7.  Mai.  Gen.  Ghir.  Goerke  hat  das  Eritnzchen  verlassen  und 
aoch  der  Mitgliedschaft  desselben  enteagt,  da  Welper  General-Stabs- 
Medicos  za  werden  sich  brfistet 

4.  Jnni.  War  das  Kränzchen  bei  Hnfeland.  Dieser  las  uns  eine 
Abhandlung,  die  er  zur  Beurteilung  dar  Gallsehen  Lehre  angeschrieben 
hatte,  vor,  mit  der  idi  recht  zufrieden  war.  Boehm  war  es  nicht, 
machte  deshalb  grosses  Geschrei  und  er  und  ich  oder  vielmehr  er  allein 
wurde  endlich  recht  böse  auf  mich  und  Hess  sein  grosses  Maul  hftngen. 
Am  Ende  wurde  doch  wieder  Frieden,  'da  ich  und  Hufeland  ihm 
emstlich  sein  unstetthaftes  Betragen  begreiflich  machten. 

2.  August.  Mittags  zum  Essen  bei  mir  gehabt .  .  .  .  D.  Schweigger") 
aus  Erlangen,  D.  Weitsch**),  Prof.  Hecker  .  .  .  and  vorzüglich  den 
Gen.  Ghir.  Mursinna. 

1806. 

1.  April.  Abends  bei  Geh.  R.  Hufeland  im  Kränzchen  gewesen. 
Wegen  dem  T).  Boehm  kann  mir  diese  Zusammenkunft  nicht  mehr  so 
gefallen,  als  da  noch  Wall  und  Roebr  lebten.  Hiifplaiid  nnd  Wpl]ier 
sind  die  ergebenen  Diener  und  Bewunderer  des  Boehms,  wozu  ich  mich 
aber  keines wegens  verstehe. 

9.  Juni.  Nachmittags  war  beim  Geh.  R.  Hnfeland  wegen  der 
kranken  Armen,  die  die  Ärzte  unentgeltlich  besuchen  werden,  eine  lange 
Eonferenzr 

1807. 

10.  Mai.  Heute  früh  um  6  Chr  sterb  am  Faulfieber  mein 
alter  Freund,  der  Prof.  Zenker.  Er  war  ein  allgemein  beüebter, 
sehr  gefftUiger  Mann,  ohne  Falschheit  und  Betrug.  Ein  sehr  geschickter 
Wundarst.  Berlin  verliert  viel  an  ihm,  seine  Familie  noch  mehr  und 
bei  allen  seinen  vielen  Freunden  wird  er  noch  lange  im  Angedenken 
bleiben. 

14.  Oktober.  Mittags  speisten  der  D.  Wolff^^)  aus  Posen,  der 
Chirurgien  en  chef  Yillaume  nnd  unsere  Einquartierung  Möns.  Anglais 
bei  uns. 

26.  Mittags  beim  Grafen  v.  Wartensleben  in  Gesellschaft  des 
m^dedn  en  chef  des  Ge  nettes  ^0,  der 'ein  lustiger  und  unterhaltender 
Mann  ist,  gü.speist. 


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Aus  d«i  Tagebflehem  dee  alten  Halm. 


17 


4.  Noveml»er.  In  der  Charit^  gewesen,  wo  mit  der  daselbst 
gebauten  Drehmaschine  für  tolle  nnd  wahnsinnige  Menschen  die  ersten 
Ansuche  gemacht  wurden.  Auf  Empfehlang  des  englisclien  Arztes  Cnx, 
der  sie  bei  manchem  Wahnsinnigen  vorzüglich  gefanden  iLat,  ist  auf 
miSin  Anrathen  die  in  der  Charitö  gebaut  worden. 

[Erst  im  18.  Jahrhundert  begann  man  die  Irren  als  Kranke  zu 
betrachten  und  entsprecheiul  zu  behandeln.  179-»/94  erschien  Chiarugis 
Werk:  „Deila  Pazzia  in  geuere  e  in  spezic,  trattato  niedico-analitico". 
Man  überschützte  jedoch  die  Mögliclikeit  einer  günstigen  Einwirkung 
der  „energischen  Mittel"  und  richtete  so  manches  Unheil  an.  Abführen, 
kalte  Umschläge,  Sturzbäder,  Zwangsstellungeu  etc.  waren  ein  verhäng- 
nisvoller Irrthum,  aus  dem  sich  bald  ein  ganzer  Apparat  von  Miuter- 
iustrinnenten  entwickelte :  der  Sack,  der  englische  Kasten,  der  Zwaugs- 
stuhl  und  das  fürchterlichste  Instrument,  die  Scliuukol-  oder  Drehmaschine. 
Erasmus  Darwin,  der  Grossvater  von  Charles  Darwin  liatte  ihre  An- 
wendung empfohlen,  und  die  Verwendung  der  sciijuikelnden  Bewegung 
in  der  Heilkunde  war  schun  Ärzten  des  Altertums,  wie  Celsus  und 
Asklepiades  sowie  dem  berühmten  Araber  Avicenna  nicht  unbekannt. 
In  seinem  Buche  „Fractical  observations  on  insanity"  (London  1804, 
2.  A.  1806,  deutsch  1811)  giebt  Cox  eine  eingehende  Beschreibung 
der  Schaukel  und  deren  Anwendung.  Ihre  einfachste  Form  ist  ein 
an  allen  vier  Ecken  aufgehängter,  freischwel)ender  Stulil,  auf  dem  der 
Kranke  festgeschnallt  und  nun  fortssälirend  um  seine  eigene  Achse 
gedreht  wird.  Kuinplizierter  ist  folgende  Vorrichtung:  ein  senkrecht- 
stehender Balken  ruht  mittels  Zapfen  in  dem  Boden  und  der  Decke  des 
Zimmers;  an  ihm  befindet  sich  ein  horizontaler  Aim,  an  dem  ein  kleines 
Bett  aufgebäugt  werden  kann;  mittels  zweier  Winden  wird  diese  Maschine 
in  eine  schnelle  rotierende  Bewegung  versetzt.  Was  fftr  eme  Wii-kung 
anf  das  Gehirn  dadordi  ausgeübt  wird»  beweist  am  besten  die  Thatsache, 
dass  Professor  Kendel  einen  ähnlichen  Apparat  benutzt,  nm  bei  Hnnden 
experimentell  Blödsinn  nnd  Lfthmnngen  hervorzorufen.  Allerdings 
wurden  dnrdi  das  Yerfohren  widerspenstige  Geisteskranke  sehr  bald 
dem  Willen  des  Arztes  gefügig  gemacht  Gewöhnlich  trat  ein  see- 
krankheitsartiger  Znstand  ein,  änsserste  Ermattung,  Schwindel,  Übelkeit, 
Erbrechen;  fast  immer  verfielen  die  Kranken  nach  Verlassen  der  Dreh- 
maschine in  tiefen  Schlaf.  Cox  fuhrt  in  seinem  Buche  sieben  Fälle  an, 
wovon  bei  fänfen  die  Anwendung  der  Maschine  zu  vollkommener 
Gesundung  gef&hrt  hätte;  bei  vieren  war  die  Krankheit  jedoch  nur 
Melancholie  infolge  Gemüthserregnngen. 

Beil  hat  zu  dem  Buche  von  Gox,  d.  h.  zu  dessen  deutscher  Über- 
setzung einen  Anhang  geschrieben,  worin  er  im  Gegensatz  zu  ihm  för 
die  Behandlung  der  Geisteskranken  auf  physischem  Wege  eintrat  und 
in  Gox'  Lehre  die  Bestätigung  des  Satzes  findet,  dass  die  Mittel  immer 

Anh.  a 


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18 


Gwttg  Sicgeiiat 


nur  den  äusseren  Impuls  geben,  hingegen  der  Lebensprozess  das  eigent- 
liche Werkzeug  ist,  durch  das  alle  Genesung  zu  Stande  gebracht 
werden  muss. 

•  ♦ 

,J)ie  jetzigen  Irrenhänser  dienen  fast  allein  zn  einheimischen 
Deportationen  solcher  Geschi^fe,  die  der  Gesellschaft  Ustig  nnd  beschwer- 
lich sind.  Sie  sollen  aber  den  Irrenden  gesund  erhalten,  ihm  alle  Mittel 
zum  Lebensgennss  bieten,  dessen  er  Wng  ist,  nnd  ihn  cnr  Arbelt  an- 
halten, ea  mnss  Ordnung  herrsdien  nnd  der  Irrende  darf  keinen  Schaden 
anrichten.  Die  Untojoohang  der  Irrenden  muss  auf  dem  idlmliehen 
Wege  wie  die  Zucht  der  Thiere  nnd  Kinder  geschehen;  jeder  ist  individaell 
zu  behandein.  Die  Verpflegung  muss  eine  sorgföltige  Diät  beobachten, 
gute  Luft,  gesunde  Räume.  Das  Haus  soll  in  einer  anmuthigen  nnd 
gesunden  Gegend  liegen,  Anhöhen,  Büsche,  Wasser,  Gärten,  Acker  und 
Ökonomien  haben.  Alle  Zwangsmittel  müssen  vermieden  werden.  Das 
Yieh  scheuert  sieb,  wo  es  ihm  juckt  und  für  den  Menschen  ist  eine 
gezwungene  Stellung,  in  welcher  er  kein  Glied  zu  rühren  im  Stande  ist, 
die  grosste  Tortur.* 

Das  sind  gewiss  philanthropische  Ansichten,  nnd  trotzdem  war 
auch  Reü  der  Anwendung  ^körperlicher  Beize*'  nicht  abhold;  er  schlägt 
als  solche  Tor:  Hnnger  nnd  Dnrst,  staricen  Kitzel,  unter  Umständen 
durch  Wanzen,  Ameisen,  Prozessionsranpen  (1),  Entziehung  der  Wärme 
und  des  Schlafes,  Niesemittel;  er  empfiehlt,  den  Kranken  in  einen  Kfibel 
mit  lebenden  Aalen  zn  stedcen,  ohne  dass  er  weiss,  was  darin  ist  (!) 
Ruthenstreiohe,  nnvermutlietes  Untertauchen  in  kaltes  Wasser  etc..  Erst 
im  Jahre  1856  machte  Conolly  durch  seki  berfihmtes  Werk  „On  the 
Tractament  of  the  Lusans*'  dieser  «heroischen*'  Behandlungsart  ein 
Ende. 

In  Berlin  wurde  das  in  der  Eraosenstrasse  belegene  Hans  des  1718 
im  Wahnsinn  gestorbenen  Kaufinanns  Emst  Grottlieb  Faber  17^8  zu 
einem  Irren-  nnd  Arbeitshause  eingerichtet  Vorher  hatte  man  Geistes- 
kranke im  Friedrichsbospital  (Stralanerstrasse),  dann  in  dem  bei  dem 
Dorotheenhospital  vor  dem  Eönigsthor  belegenen  Armen-  nnd  Beranken* 
hause  untergebracht  In  der  .KraaienstniBse  waren  die  Bäome  eng  nnd 
ftberffillt,  die  Atmosphäre  verdorben  nnd  der  Geruch  unerträglich, 
namentlich  im  Winter,  wo  ans  Erspamisrficksichten  die  Kranken  noch 
mehr  zusammengepfercht  wurden.  Die  Behandlung  war  dementsprechend. 
Die  ganz  „fiurieusen*'  Kranken  wurden  auf  dem  Hofe  in  „Dollkasten*', 
auch  betrübte  Kasten  genannt,  gesperrt,  Vorschläge  von  starken  Bohlen, 
die  im  Winter  durch  oberhalb  gezogene  Röhren  erwärmt  wurden.  Ab- 
wartung  nnd  Verpflegung  waren  erbärmlich;  ffir  oft  mehr  als  100  Kranke 
waren  ein  «Zuchtmeister*'  nnd  zwei  Wärterinnen  da.  Ärzte  der  Anstalt 
waren  von  1728  bis  1766  Ludolf  bis  1763  Lieberkflhn,  bis  1798,  wo  er 


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Aus  den  Tagebflchem  des  alten  Heim. 


19 


sein  Amt  freiwillig  niederlegte,  Geh.  Rat  Dr.  RoIoiV.  lu  demselbeu 
Jahre,  am  2.  September,  brannte  das  Hans  in  der  Kransenstrasso  ab, 
worauf  die  Irrenanstalt  nach  der  Charit^  verlegt  wurde.  Iiier  wurde  es 
nicht  besser;  die  Irrenanstalt  enthielt  in  drei  Abteilungen  übereinander, 
die  in  unmittelbarer  Verbindung  standen,  9  einfenstrige,  15  zweifenstrige, 
7  dreifenstrige  Zimmer,  2  Kammern  ohne  Öfen,  15  kleine  Zimmer  mit 
Öfen;  es  waren  gewöhnliche  Krunkeiiziuiiner,  nur  mit  eisernen  Gittern 
vor  den  Fenstern.  Die  Aufsicht  war  sehr  gering;  weibliche  Kranke 
konnten  zu  den  männlichen  kommen,  die  Zimmer  waren  nicht  ver- 
schlossen, die  Flure  jedem  zugiinc;li<'li.  Besucher  der  Charitö  wurden 
häutig  von  den  auf  den  Korridoren  umherlaufenden  Irren  belästigt. 
Verptlegungs-,  Abwartungs-,  Sauberkeitsverhältuisse  waren  genau  so 
wie  auf  den  übrigen  Stationen. 

Die  1807  in  der  Charite  eingeführte  Drehmaschine  oder  Schaukel 
ist  ein  ziemlich  kom^tlizierter  Apparat,  den  Horn  genau  beschreibt.  Eine 
Lagerstelle,  auf  welcher  der  Kranke  mit  den  Füssen  nach  dem  Mittel- 
punkt der  Maschine,  mit  dem  Kopf  nach  aussen  gerichtet,  in  liegender 
oder  sitzender  Stellung  befestigt  ist,  wird  in  scbnellen  Schwingungen 
nm  ihre  Achse  gedreht.  Es  Hessen  sich  in  der  Minute  bis  fiO  Um- 
drehungen erzielen!  Auf  dem  Drehstuhl,  der  nach  einigen  Jahren  auch 
eingeführt  wurde,  Hess  sich  diese  Leistungsfähigkeit  bis  auf  l'Jn  in  dem 
gleichen  Zeitraum  steigern.  Abbildungen  dieser  Vorrichtungen  linden 
sich  am  Schlüsse  von  Horns  RechenschaitslK  i  icht.  Jedoch  sorgte  Horn 
auch  für  geistige  Beschäftigung  der  Kranken  durch  Lektüre,  Spiele, 
Musik;  es  wurde  regelmässiger  Unterricht  und  Gottesdienst  eingerichtet. 
Für  regelmässige  Bewegung  im  Freien,  auch  bei  ungünstigem  Wetter, 
liess  er  in  dem  für  die  Irren  bestimmten  Theil  des  Charitegartens  eine 
bedeckte  Bahn  herstellen;  er  führte  militärische  Exerzitien  für  Männer 
und  Frauen  mit  schweren  hölzernen  Gewehren  ein.  Ein  Stundenplan 
fbr  die  verschiedenen  Beschäftigungen  findet  sieh  ebenfalls  in  seinem 
RedieiiBchaftsbericht 

1808. 

30.  Iffibrz.  Bfittags  beim  Geh.  R.  Formey  in  Gesellschaft  des 
Piofl  Henke 'i^X  ^ofr,  Horn,  Ober-Med.  R.  Eleemann  gespeist. 

29.  Jnnt.  7or  Tisch  in  der  Charitö  gewesen  nnd  einige  maniad 
und  melancholid  auf  der  Drehmaschine  drehen  sehen.  Der  erste 
Anblick  davon  erregt  Schändern. 

21.  Oktober.  Abends  lange  beim  Geh.  R.  Formey  gewesen  nnd 
mich  mit  ihm  Aber  Marens  Therapia  specialis'*)  unterhalten. 

28.  lÜttags  speiste  der  D.  Meyer bei  mir.  Mit  dem  Geh.  R. 
Formey,  der  gegen  den  Grebrauch  der  ScheUingschen  Philosophie  in 
der  Medizin  geschrieben^^),  war  er  sehr  unzufrieden. 


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20  <3reoiK  Sieg«rigt 

* 

28.  November.  Vor  Tisch  mit  dem  Geh.  Ii.  Formey  das  Arbeits- 
hans Hilf  Ersuchen  der  Aimea-Direktioo  iu  Hinsicht  der  Kranken 
daselbst  genau  untersucht. 

1809. 

10.  Jani.  In  der  Charit^  gewesen  nnd  Horn  mein  Manuskript 
über  die  Falftchen  Blattern  vorgelesen. 

16.  Mittags  beim  Geh.  R.  Formey  in  Gesellschaft  des  B.  Hahn**) 
ans  Livland  nnd  anderer  Ärzte  gespeist.  Huhn  scheint  ein  solider 
Mann  kü  sein. 

ji*.).  August.  Vor  Tische  iu  der  Charit»'»  gewesen  nnd  im  Beisein 
des  D.  Meyer,  Merzdorff,  Ilof-Chirurgus  Kepler  durch  deu  PousiuDar 
Siebenschuh  an  3  männlichen  und  3  weiblichen,  teils  epileptischen, 
teils  nielancholischen  Kranken  Infusionen  machen  lassen. 

8.  Dezember.  Mittags  bei  dem  Geh.  .1.  K.  Rausleben  gespeist. 
Neben  dem  Geh.  U.  Formey  gesessen,  der  an  dem  Unterschied  zwischen 
echten  und  falschen  Pockeunaiben  zweifelte,  und  selbst  die  Pocken- 
Geschichte  der  Karbesclien  Kinder  für  ungewiss  hielt.    Sonderbar  genug! 

20.  Beim  Gouverneur  v.  L'Estoq  gespeist.  Hier  lerute  ich  den 
Leibarzt  Hierouymi^^)  aus  Neu-Strelitz  kemieu. 

1810. 

15.  Januar.  Mitt-ags  beim  D.  Weitsch  in  Gesellschaft  von  Gen. 
Chir.  Mnrsinna,  Formey,  Hofrath  Schulz  pp.  gespeist.  Erzählte 
uns  Formey,  dass  der  D.  Kohlrausch^*)  ihn  auf  Pistolen  heraus- 
gefordert habe. 

2(>.  Abends  beim  D.  Grapengiesser  mit  Ärzten,  Apothekern 
und  Naturkundigen  einer  Zusammenkunft  beigewohnt,  die  zum  Zweck 
hatte,  eine  Gesellschaft,  die  dem  alten  Anatomier  Walther")  2tt£hren 
die  Waltherische  heimsen  soll,  zn  Stande  zu  bringen. 

1.  Febmar.  ...  in  die  Hufelandsche  medinnische  Gesellschaft**) 
gegangen,  wo  des  Hofmedikns  Mfihry  Abhandlung  gegen  meine  Dia- 
gnose der  falschen  Pocken  vorgelesen  ivarde. 

1.  März.  Abends  in  der  medizinisch-praktischen  Gesellschaft  eine 
Abhaadlnng  über  den  innerlichen  Gebrauch  des  Arseniks  im  Wechsel- 
fieher voigelesen,  in  welcher  ich  den  Arsenik  in  Schutz  nehme.  Hufeland 
sprach  auf  eine  impertinente  Art  gegen  mich*^). 

12.  April.  Abends  las  Formey  in  der  medizinischen  Gesellschaft 
eine  sehr  gute  Abhandlung  über  Krankheiten  der  Kinder  als  solche  vor, 
die  gedruckt  zu  werden  verdiente**)^  Abends  von  Horn  besudit  worden, 
und  Aber  Marcus,  dessen  Buch  vom  Group  ich  recensiert  habe,  vieles 
gesprochen,  und  fiber  die  Horn  sich  freute*"). 


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Aas  den  Tagebüchern  des  alten  Heim. 


21 


24.  Mai.  In  der  medizinischen  Gesellschaft  einmütig  zum  Gensor 
geivfthH  worden,  weil  ich  derjenige  sei,  der  jemandem  etwas  empfind- 
liches sag(>n  könne,  ohne  dass  er  sich  beleidigt  föhle. 

2.  Au£!:ust.  Vormittags  in  der  Pepiniere  gewesen,  wo  Ilofralli 
Hecker  eine  sehr  gute  Rede  hielt    Goerke  war  in   seinem  Glanz 

4.  September.  Abends  in  der  Klaprothschen  Gesellschaft  gewesen, 
wo  M  ursin  na  über  die  Pimktio  der  Urinblase  durch  den  Mastdarm 
etwas  vorlas. 

li^  Oktober.  In  der  Ilufelandßcheu  Gesellschaft  gewesen,  in  der 
Reil'')  und  Grefe'')  auch  waren. 

25.  Klagte  der  Hofrath  Horn  mir  seine  Not,  dass  Kohl  rausch 
in  der  C'harite  ihn  auf  alle  Weise  chikaniere.  Jeder  rechtliche  Mann 
mnss  das  Benehmen  des  Kohlrausclis,  wie  er  sich  in  der  Charit^  ein- 
geschlichen bat,  tadeln  und  ihn,  da  er  dem  Horn  allen  Verdmss  macht, 
verachten  '^). 

1811. 

16.  Febraar.  Mittags  beim  Ober-Bergratii  Reil  gespeist.  Hatte 
Reil  die  Güte,  mir  an  einer  Menge  Gehirne,  die  schon  lange  im  S.  vini 
gelegen  hatten,  vieles  zo  zeigen,  was  er  Selbsten  entdeckt. 

24.  Heute  t'iiih  die  Leielie  des  llofapothekers  Meyer'*)  aus 
Stettin  uaeh  dem  ilallisclieu  Kirchhof  begleitet.  Meyer  war  .  .  .  ein 
Mann  von  vielen  Kcuutuissen  .  .  .  Sein  ßucli  über  die  Arzte  enthält 
viele  Wahrheiten. 

5.  März.  Mittags  im  grossen  Komödiensaal  gespeist,  wo  in  einer 
Gesellschaft  von  2üt)  Personen  das  50-jährige  Dienstjubiläum  des  Herrn 
General-Chirurg  US  Mursinna  gefeiert  wurde""'). 

29.  Abends  in  der  Ilufclandschen  Gesellschaft  eine  Abhandlung 
über  den  Unterschied  des  Scharlachs,  Röthein  und  Masern  vorgelesen. 

14.  Mai.  Wurde  im  Englischen  Hanse  dem  Schutzblattern-Entdecker 
D.  Jenner  in  England  zu  Ehren  ein  grosses  Fest,  bestehend  aus  fast 
allen  hiesigen  Äi-zten  und  mehreren  Freunden  der  Yaccination  an  der 
Zahl  112  gegeben.  An  diesem  Tage  nämlich  1796  vaccinierte  Jennor 
zmn  ersten  Mal  ein  Kind  mit  Kuhi)ockenlymphe.  Der  Staatsrath 
Hufeland  hielt  bei  dieser  Gelegenheit  eine  meisterhafte  Rede.  Meiner, 
als  dem  Er.sten,  der  hier  in  Berlin  die  Yaccination  eingeführt  und  mit 
vielem  Eifer  zu  fördern  i^esncht  hatte,  wurde  das  verdiente  Lob  ertheilt. 
Im  Monat  Hornung  18UU  habe  ich  hier  das  erste  Kind  vacciniert. 

19.  September.  Abends  in  der  Philomatischen  Gesellschaft'*') 
gewesen,  wo  der  Professor  Rudolphi")  alle  die  Gründe,  die  man  für 
die  Regoneratio  equivoca  hat,  vortrug  und  sie  für  gültig  erklärte.  Ich 
üand  keinen  Grand  für  hinreißend  nnd  sachte  ihn  za  widerlegen. 


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Georg  Biegerist 


8.  November.  Abends  in  der  Hafelandschen  Gesellschaft  gewesen, 
wo  der  D.  Wohlfahrt  eine  Abhandlung  über  den  thierischen  Magnetismus 
uns  vorlas. 

[Karl  Christian  Wolfart,  geboren  den  2.  Mai  1776  zu  Hanau,  war 
einer  der  eifrigsten  Yerfechter  der  Lehre  Mesmers  von  der  heilsamen 
Wirkung  der  durch  Berühren,  Streichen,  ja,  durch  den  blossen  Willen 
auf  den  Kranken  übertragenen  magnetiischen  Kraft.  Seit  1807  als 
Arzt  in  Berlin  an^ssig,  seit  1810  Privatdozent  an  der  neuerriohteten 
Universit&t,  wirkte  er  eifrig  für  die  Terbreitnng  dieser  Lehr«  und 
suchte  den  thierischen  Magnetismus  wissenschaftlich  und  praktisch 
mit  der  gesamten  Heilkunde  zu  verschmelzen.  Er  erreichte  es,  dass  er 
1812  von  der  preussischen  Regierung  nach  Frauenfeld  in  der  Schweiz 
gesandt  wurde,  wo  Meemer  den  Abend  seines  Lebens  zubrachte,  um 
sich  unter  dessen  eigener  Leitung  mit  dem  thierischen  Magnetismus 
eingehend  bekannt  zu  machen.  Als  Ergebnis  der  Studien  Wolfarts 
erschien  1814  das  Werk  ^Mesmerismns,  oder  System  der  Wechsel- 
wirkungen, Theorie  and  Anwendung  des  thierischen  Magnetismus." 
Diesem  Buche  folgten  181o  «Erläuterungen  zum  Mesmerismus.*  Wollart 
gewann  in  Berlin  bald  einen  grossen  Anhängerkreis  für  das  neue  Heil- 
verfahren. Er  hatte  eine  magnetische  Heilanstalt  in  der  Behrenstrasse 
errichtet,  wo  täglich  über  fünfzig  Kranke  durch  die  „englischen 
Doktoren**,  wie  man  in  Berlin  die  Magnetisten  nannte,  behandelt 
wurden. 

1817  erhielt  Wolfart  eine  ordentliche  Professur  an  der  Berliner 
Universität,  \vudurch  ein  seit  1812  geführter  Streit  zwischen  Anhängen 
und  Gegnern  des  thierischen  Magnetismus  entsclnC  l  Mi  wurde,  und  zwar 
siegten  vor  dem  wissenschaftlichen  Richterstubl  die  Gen^ner.  Die  zor 
Prüfung  des  Verfahrens  niedergesetzte  Kommission  (Hufeland,  Hermbstädt, 
Klaprotb,  v.  Könen,  Merzdorff  und  Kluge)  fällte  ein  ungünsti:ros  Urtheil; 
die  medizinische  Fakultät  erklärte  sich  gegen  einen  Lehrstuhl  für 
Magnetismus.  Dass  trotzdem  die  Ernennung  Wolfarts  erfolgte,  hat  er 
Hardenberg  zu  danken,  den  W.  v.  Humboldt  unterstützte. 

Einer  seiner  Assistenten,  Lorinser,  schildert  Wolfart  als  eine  zum 
Magnetiseur  sehr  geeignete  Persönlichkeit.  Er  war  ein  kleines,  zierlich 
p;^('haiitps  Miiimchen  mit  blassem  Angesicht,  braunröthlirhem  Haar, 
gebüi^t'ücr  Nase,  dunkeln  blitzenden  .\ugon  und  von  grosser  Boweq-lichkt'it. 
In  seinem  Wesen  und  Äussern  lag  etwas  Ätherisches.  Er  war  eine 
edle,  poetische  Natur,  oÖ'en  und  wohlwuUend,  welche  Eigenschaft 
allerdings  durch  die  vielen  Anfeindungen,  die  er  von  den  meisten 
Berliner  Ärzten  zu  erdulden  hatte,  allniiihlich  in  Misstrauen  verwandelt 
wurde;  ein  unerniüdeter  Arzt,  wohlthätig  gegen  die  Armen,  die  vor- 
mittags in  seiner  Ileihinstalt  umsonst  behandelt  wuiden.  freundlich, 
müde  und  versöbniicb  gegen  seine  Kollegen  und  der  grössteu  Aufopferung 


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Axm  dan  Tkgebflditni  dm  alten  Helm. 


23 


fthig.  „Er  geborte  zu  den  wenigen,  die  ihr  Leben  an  eine  Idee  setzen 
imd  diese  trotz  aller  Widerspruche,  Schmachreden  and  Anfeindungen 

mit  aller  Begeistemng  und  einem  ungebrochenen  Mnthe  verteidigen.* 

Wolfart  hatte  zur  Verbreitung  des  thierischen  Magnetismus  auch 
einen  mcsmerischen  Verein  begründet,  dessen  Mitglieder  ihn  hoch  ver- 
ehrten. Die  Zeitströmong  nach  den  Befreinngskriegen  einerseits,  das  in 
weiten  Kreisen  wieder  erwachte  religiöse  Bcwnsetsein  und  andererseits  die 
Fortschritte  der  Naturwissenschaft  führten  aber  auch  unter  den  Mesmeristen 
eine  Spaltuno;  herbei.  Die  einen  huldigten  unter  dem  Einfluss  des  Pietismus 
einem  sich  ininicr  breiter  machenden  Hang;  zum  Mystischen,  fragten  den 
Kranken  nach  seinem  Glauben,  wollten  nur  noch  durch  Gebet  und  Segen 
heilen,  verwarfen  alle  magnetischen  Mittel  und  hielten  es  schliesslich  für 
sündhaft,  ein  Rezept  zu  schreiben.  Einer  von  diesen  sonderbaren 
Heiligen,  Dr.  Breuer,  trieb  es  gar  bis  zum  Anachoretentliuin ;  er  lebte 
längere  Zeit  in  <ler  Hasenhaide  in  einem  Loch,  das  er  in  die  Erde 
hatte  graben  lassen.  Natürlich  verfielen  sie,  namentlich  in  Berlin,  sehr 
bald  dem  Fluche  dei*  Lächerlichkeit.  Die  anderen,  Anhauger  der 
rationalistischen  Anschauungsweise,  schieden  aus  dem  Verein  aus,  da 
sie  dieses  Verfahren  der  Uberfrommeu  lächerlich  fanden.  Sie  ^hen  im 
Magnetismus  nur  eine  Aufgabe  für  die  Naturforschung,  die  Erfolge 
habcm  könne.  So  blieb  Wolfart  bald  nur  mit  wenigen  Getreuen  übrig, 
an  deren  Spitze  er  bis  au  setu  Lebensende  am  18.  Mai  1832  seine 
Sache  verfocht;  mit  seinem  Tode  war  sie  aber  auch  verloren,  denn 
seinen  Auhäugcrn  fehlte  die  Intelligenz,  um  in  seinen  Wegen  weiter  zu 
wandeln-  Ein  Verzeichnis  seiner  Schriften  steht  im  Geiehiteu  Berlin 
1825  p.  306  ''^).J 

1812. 

17.  April.  Frau  Geh.  Rath  Braun  durch  den  D.  Schmidt'') 
magnetisiert  gesehen.  Ich  bin  nun  überzeugt,  dass  der  thierische 
Ifagnetismus  kein  Unding  sei.    Ob  auch  Heilmittel?  mnSB  die  Zeit  lehren. 

22.  Mai.  In  der  Hufelandschen  Gesellschaft  gewesen.  Hofrath 
Bremer  zeigte  der  Gesellschaft  ein  Kind,  welches  Kuhpocken  hatte, 
wovon  er  die  Materie  von  eint  i  Yielnnagd,  die  auf  naturlichem  Wege 
▼on  einer  £uh,  die  diese  Pocken  hatte,  beim  Melken  angesteckt  worden 
war,  genommen  hatte*"). 

2.  Jnni  Mit  dem  Hofiraih  Bremer  und  D.  Richter  nach 
Weissensee  nnd  Malchow,  wo  wir  Kühe  mit  Pocken  untersuchten  sowie 
eine  Menge  Kinder,  die  Bremer  seit  drei  Wochen  mit  der  Lymphe  von 
den  KIlhMi  genommen  vacciniert  hatte. 

6.  Oktober.  Henie  Mh  den  Staatskanzler  besncht  nnd  ihm  frei 
heraus  gesagt,  dass  der  Eohlransch  ans  der  Charit^  heraus  müsse,  da 
Eohlransch  im  Yeigieioh  mit  Horn  ein  ganz  unbedeutender  Mensch  sei. 


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24 


Qeofg  Stoftriit 


21.  November.  Mittags  beim  Staatskanzler  v.  Hardenberg  in 
Gesellschaft  von  Hufeland,  Welpor,  Sack,  Jordiin,  Gebel^^)  pp. 
gespeist  .  .  .  viel  von  Maguetismas  animalis  gesproclieu. 

1813. 

19.  Februar.  Abends  in  der  finfelandscben  Gesellschaft  gewesen 
und  dem  B.  Bremer  mein  Direktoriat  ftbertragen"*). 

2.  April.  Vor  Tisch  nach  der  Gharitö  geritten  und  mehr  als  150 
Nervenfieber-Patienten  besehen. 

2(3.  April.  Abends  beim  Geh.  Ratli  Forme y  mit  den  Ärzten 
Bremer,  Horn,  Reich,  G rappeii <ri esser,  Weitsch  jxewe.sen,  wo  wir 
uns  beratlischlagten,  wie  der  fernereu  Ausbreitung  der  jetzigen  ansteckenden 
Nervpiifieber  Grenzen  gesetzt  werden?  und  wenn  diese  Krajikheit 
denu4uieraclit(>t  ]i:tiitic2;er  werden  sollte,  was  in  polizeilicher  Hinsicht 
dabei  geschehen  könne  ^^). 

1814. 

20.  November.  In  der  Hufelaud sehen  Gesellschaft  gewesen,  wo  Dr. 
Hofela\id  eine  selir  gut  ausgearbeitete  Abhandlung  vorlas  über  den 
grossen  Missbrauch  der  vielen  ganz  verschiedenen  Namen,  die  ein  und 
das  nämliche  Mittel  in  verschiedenen  Ländern  hat"*). 

20.  Dezember.  Vom  D.  Kr  n  ckenl>ere: "  ■)  besucht  worden,  der 
uns  die  angenehme  Naclirit  ht  hrac  hte,  dass  er  Professor  Therai)iae  zn 
Halle  geworden  sei.   Ich  wünsche  seinen  Schülern  viel  Glück  dazu. 

1815. 

31.  Waez,  In  iViederichs  Vorlesangen^O  des  Abends  für  8  ggr. 
gewesen,  wo  der  D.  Bandwurm  nnd  alle  Aizte  tüchtig  mitgenommen 
und  lächerlich  gemacht  worden. 

1.  September.  Abends  in  der  Hnfelandsdien  Gesellsohalt  gewesen. 
D.  Schweitzer*')  las  eine  Abhandlung,  die  eine  Erz&hlong  aller  der 
mit  dem  Magnetismus  gemachten  Euren  enthält,  vor.  Nachher  fiel  er 
über  den  D.  Mangold  und  besonders  über  den  Professor  Reich,  der 
gegenwärtig  war,  her,  die  gegen  den  Magnetismns  und  seihst  über  die 
Magnetiseurs  übel  gesprochen  haben  sollen  pp.  Ich  glaube  an  die 
Existenz  des  Magnetismus,  aber  als  Heilmittel  kenne  ich  ihn  noch 
gar  nicht 

21.  Vom  Leibarzt  des  nunmehr  vertriebenen  Königs  von  West- 
falen, D.  Zadig"*^)  besucht  worden.  Ich  habe  mich  ü\)er  ihn  moquiert, 
Leibarzt  von  einem  solchen  König  gewesen  zu  sein,  da  er  doch  ein 
Deutscher  ist 


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Aus  den  Tagübüclieru  des  alten  Ueim. 


26 


18.  Okiober.  Mittags  beim  Minister  v.  Sehn ck mann  in  Gesell- 
schaft  des  nenangekommenen  Geb.  R.  n.  Prof.  Berenda'Oi  Hnfeland, 
Forme y  pp.  gespeist. 

1816. 

3.  März.  Mittags  wurde  in  der  Stadt  Paris  der  Stiftnngstag  der 
medizinisch-physikaiisohen  Gesellscbaft  durch  ein  frohes  Mahl  gefeiert 

24.  Mittags  speiste  ich  an  der  Hufelandschen  Gesellschaft  auf  der 
Bdrsenhalle  zar  Feier  des  Stiftongstages. 

17.  Mai.  Abends  in  der  Hnfelandsofaen  Gesellscbaft,  von  der  ich 
in  Abwesenheit  Hnfelands  Direktor  bin,  las  der  Geh.  R.  Behrens  eine 
sehr  schöne  Abhandlung  über  die  Wnth  nach  dem  Bisa  toller  Thiere  vor. 

24.  August.  Mittags  beim  Geh.  R.  Hnfeland  in  sehr  grosser 
Gesellschaft  von  Ärzten,  dem  D.  Mallfatti*^  ans  Wien  za  Ehren, 
gespeist 

27.   Mittags  beim  Chirurgischen  General  Rnst  gespeist. 

29.  Abends  bei  Forme y,  wo  Malfatti  auch  war,  noch  über  eine 
Stunde  geblieben,  und  uiich  über  Formeys  Kenntnisse  und  Urtheile  herz- 
lich gefreut. 

18.  Oktober.  Im  Gräfeschen  Cliuico  die  letzte  Taliakotische 
Operation  machen  sehen.  Die  Kühe  and  Sicherheit  des  Gräfe  beim 
Operieren  geüel  mir  sehr  gut. 

[Die  Operation  gehört  in  das  Gebiet  der  plastischen  Chirurgie  und 
bezweckt,  die  fehlende  Nase  durch  Überpflanzung  eines  Hautlappens  neu 
zu  bUden.  Vor  Jahi-tauseiiden  schon  waren  solche  Operationen  in  Indien 
bekannt,  wo  Verstümmelungen  des  Gesichts  und  der  Nase  noch  heute 
als  Strafen  üblich  sind.  Die  einzige  anerkannte  Quelle  über  altindische 
Heilkunde,  Süsrutäs  Ayurveda  ist  erst  in  neuester  Zeit  für  diesen  Zweck 
gehörig  ausgenutzt  worden;  es  hat  sicli  daher  ein  förmlicher  Sagenkreis 
um  diese  Operation  gebildet.  Die  indischen  Arzte  nahmen  den  Haut- 
lappen  zum  Ersatz  der  Nase  gewöhnlich  aus  der  Stirn. 

In  Europa  finden  wir  die  Spuren  dieser  Operation  zuerst  im 
15.  Jahrhundert;  ihre  Kenntnis  ist  zweifellos  aus  Indien  gekommen. 
Der  Arzt  Branca  in  Catania  stellte  verstümmelte  Nasen  durch  Trans- 
plantation eines  Hautlapiuns  ex  ore  wieder  her:  sein  Sohn  Antonio 
benutzte  die  Armhaut  zur  Heilung  von  Gesichtsdefckten.  Während  des 
ganzen  IG.  .Tahrhnnderts  beschäftigten  sich  Mit<:lieder  der  Familie 
Vianeo,  spater  Bojani  genannt,  mit  dieser  Kunst,  die  sie  nüt  dem 
Schleier  eines  dichten  Geheimnisses  umgaben.  Nach  Deutschland 
gelangte  die  Kunde  davon  schon  vor  1400,  wie  die  Bundt-Ertzney 
Heinrichs  von  Pfolspeundt  beweist,  der  eine  sehr  deutliche  Beschreibung 
des  Verfahrens  giebt. 


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26 


0«org  Siegerist 


Das  Verdienst,  diese  wichtige  Oi>eration  zuerst  wissenschaftlich 
behandelt  zu  haben,  sjeböhrt  dem  Bologneser  i'rofessor  der  Anatomie 
und  Chirurgie  Gasj»are  Tagliiicozzi,  (1546 — löVH)).  In  seinem  1597  zu 
Venedig  erscliieneneu,  übrigens  sehr  weitschweifigen  Werke  „De  curtorum 
chirurgia  libri  duo  etc."  gab  er  eine  genaue  Besclireibung  der  Operation, 
za  der  er  nur  die  Aruihaut  benutzte  und  die  in  der  Folgezeit  den 
Namen  der  italienischen  Methode  erhielt.  Im  17.  und  18.  Jahrhundert 
wurde  die  Operation  fast  gar  nicht  ausgeführt;  Grund  dafür  ist  in  der 
mangelhaften  wissenschaftlichen  Bildung  der  Wundärzte,  in  der  Weit- 
schweifigkeit des  Baches  Tagliacozzis  and  in  den  abenteaerlichen  Aus- 
schmftcknogen  des  Verfahrens  za  sachen;  die  hedeatendsten  Ghurargen 
bdiandelten  es  genngschätsig;  die  Pariser  Akademie  unter  Dahois'  Vor- 
sitz heetriti  die  Möglichkeit  überfaanpt 

Da  kam  am  die  Wende  des  Jahrhanderts  die  Eonde  von  dem 
indischen  Verfahren  nach  England.  1794  meldeten  ein  von  J.  Wales 
heraasgegebener  Eapferstich  and  die  Zeitung  von  Madras  von  einer 
gelangenen  Operation:  gefangenen  englischen  Soldaten  sowie  einem 
Paria  in  englischen  Diensten,  denen  Tlppo  Sahib  von  Mysore  die  Nasen 
hatte  abschneidea  lassen,  waren  sie  dorch  einen  Eingeborenen  ans  der 
Stimhaat  wieder  ersetst  worden.  Englische  Chirnrgen  beschäftigten 
sich  Jetzt  eingehend  mit  der  Frage;  1814  and  1815  ersetzte  Oarpne 
in  London  zwei  Offizieren  die  Nasen  mit  bestem  Erfolge.  Im  folgenden 
Jahre  veröffentlichte  er  seine  Erfahrongen  in  «On  accoont  ol  two 
saccesfiM  Operations  for  restoring  the  lost  nose  etc.''.  1817  worde  das 
Bach  ins  Deatsche  flbersetzt. 

Inzwischen  hatte  Gräfe  ohne  Kenntnis  der  Operationen  Carpnes 
in  Deutschland  die  ersten  Nasenoperationen  gemacht.  Angetrieben  durch 
das  Stodiam  des  Werkes  Tagliacozzis  hatte  er  schon  1811  die  fehlende 
Nasenspitze  eines  Mädchens  aus  den  häutigen  Seitentheilen  wiederher- 
gestellt; IBlf)  gelang  ihm  die  vollständige  Neubildung  der  Nase  eines 
Mannes  nach  der  italienischen  Methode  (aus  der  Armhaat),  dem  sie  im 
Gefecht  am  Montmartre  am  3!.  Miirz  1S]3  abgehauen  war;  der  ganze 
Prozess  dauerte  ein  Jahr,  doch  gelaug  die  Operation.  Inzwischen  lernte 
er  die  Schrift  Carpues  kennen  und  nahm  1SI7  eine  Operati<in  nach  der 
indischen  Methode  an  einer  Frau  ebenfalls  mit  glücklichem  Erfolg  vor; 
die  Heilung  vollzo|>  sich  binnen  sechs  Wochen.  Endlich  suchte  Gräfe 
die  Vorteile  beider  Methoden,  die  schnelle  Heiluni;  bei  der  indischen 
und  das  Vermeiden  der  Verunstaltung  der  Stirn  bei  der  italienischen 
in  einer  di  ittt  n,  die  er  die  deutsche  nannte,  dadurch  zu  vereinigen,  dass 
er  den  Hautlajtpen  zwar  aus  dem  Arm  nahm,  ihn  aber  nicht,  was  bisher 
bräuchlich  war,  vernarben  liess  —  dieser  Vorgang  dauerte  mehrere 
Monate  —  sondern  ihn  friscli  transplantierte.  Der  Versuch  wurde  am 
11.  September  läl7  gemacht  und  gelang;  die  so  gebildete  Nase  ist  nach 


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AoB  den  Tagebüchern  dea  alten  Heim. 


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der  Abbildung,  die  dein  Bericht  Gräfes  beigegeben  ist,  die  scliönste  der 
drei  aufgeführten.  1818  erschien  Gräfes  „Rhinoplastik"  mit  der  aos- 
foLrlichen  Krankheitsgeschichte  der  drei  gelungenen  Operationen. 

Daß  Verdienst,  die  plastische  Chirurgie  in  Deutschland  ins  Leben 
gerufen  zu  haben,  gebührt  daher  ohne  Zweifel  Gräfe:  aus  einer  Ver- 
schönerungskunst zu  einem  wirkiiclien  Zweige  der  Heilkunde  ausgebaut 
hat  sie  sein  grosser  Nachfolger  Dieffenbach,  seit  I82li  in  Berlin. 
DiefiFenbach  kehrte  wieder  zur  indischen  Methode  zurück,  bildete  aber 
später,  um  die  hässliche  Stirnnarl»e  zu  vermeiden,  die  Nase  aus  der 
behaaiten  Kopfhaut  und  mit  glücklichsti  m  l^rfuige.  Seine  künstlichen 
Nasen  fallen  nach  den  vorhandenen  Zeichnungen  durch  ihre  gefallige 
Form  auf  und  beweisen,  dass  er  erfiilll  hat,  was  er  vom  Rhinoplastiker 
verlangt:  „Der  Chirurg  muss  in  diesem  Falle  Bildhauer  werden  .  .  . 
ich  glaube,  derjenige  Chirurg  wird  die  beste  Hautnase  machen,  der 
aaeh  mit  der  Geschicklichkeit  eines  Bildhauers  dieselbe  aus  unorganischer 
Masse  za  formen  im  Stande  ist".  Dieffenbach  hat  eine  grosse  Reihe 
Ton  gelangenen  Operationen  ansgefflhrt,  er  giebt  aber  auch  zo,  dass 
Jede  einaselne  Operation  ein  gewagtes  Experiment  ist  „Beispiel»  too 
vahrbaft  glänzenden  Heilungen  sind  noch  sehr  selten,  weit  grösser  ist 
die  Zahl  derer,  deren  entstellte  Physiognomie  dnrdi  die  neugeschaiKme 
Nase  nur  nm  ein  Geringes  yerbessert  wurde;  noch  andere  sind  dnrch 
die  Bhinoplastik  ohne  Widerrede  noch  weit  mehr  vernnstaltet»  als  sie 
es  TOT  der  Operation  waren."  Diesem  Urteil  stimmt  Otto  Weber  in 
Heidelberg  bei,  wenn  er  sagt:  „Man  mnss  froh  sein,  wenn  das  Knntt- 
prodnkt  nicht  an  abschenlioh  aos^lt*").] 

1817. 

1.  Jannar.  Iifitiags  beim  Geh.  K  Formey  gespeist  Er  las  mir 
verschiedene  schriftliehe  Anfis&tase  von  ihm  yor,  Aber  die  er  meine 
Meinmig  verlangte.  Im  ganzen  war  ich  sehr  wohl  damit  zufrieden,  da 
Formey  ein  Mann  ist,  dem  man  Talent  und  medizinische  Kenntnisse 
nicht  absprechen  darf,  sondern  die  ich  bei  ihm  verehre.  Schade!  dass 
er  bei  ganz  emsthaflen  Dingen  witzig  wird  nnd  sein  kann. 

8.  Gestern  hat  die  medizinisch-physikalische  Gesellschaft,  ohne 
zn  ballottieren,  mich  einmfitig  za  ihrem  Präsidenten,  der  sonsten 
Klaproth  war,  gewählt  Goerke  schrieb  mir  hente  einen  Instigen 
Brief  hierfiber. 

Februar.  Als  ich  dem  Herrn  General-Chirurgus  Rust")  sagte, 
er  möchte  sich  bemfihen,  den  stolzen  und  habsftchtigen  Hwm  Geheimrath 
Graefe  etwas  zu  demflthigen,  gab  er  mir  zur  Antwort:  Das  ist  umsonst! 
Dieser  würde  immer  oben  bleiben,  wer  diesen  von  seiner  Höhe  herunter 
bringen  will,  der  muss  wenigstens,  wo  nicht  noch  schlediter,  doch 
ebenso  schlecht  als  er  sein,  und  ein  solcher  Mann  ist  hier  in  Berlin  nicht 


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28  Georg  Siegerist. 

Von  eben  diesem  Hanne  spricht  einst  die  verstorbene  Königin  mit 
einer  ihrer  Damen,  lobte  seine  Verdienste  pp.  and  setzt  endlidi  hinzu: 
Schade,  dass  er  immer  so  schmutzig  aussteht.  Kaum  hat  sie  das 
gesagt,  tritt  dieser  Mann  ins  Zimmer.  Die  Königin  scheint  etwas  ver- 
legen zu  sein,  fängt  aber  gleich  mit  ihm  von  Kranken  zu  reden  an  und 
fragt  ihn:  Aber  wie  schützen  Sie  sich  vor  der  Ansteckung  der  Nerven- 
fieber? —  Ihre  Majestät»  bloss  durch  Reinlichkeit!  Es  ist  der  Königin 
und  ihrer  Dame  sauer  geworden,  sich  des  Lachens  zu  enthalten'*). 

14.  Mai.  Bei  Bandemer  in  grosser  Gesellschaft  meistentheils  von 
Ärzten,  dem  Jenner  zu  Ehren  das  Vaccinationsfest  gefeiert  Heute  vor 
21  Jahren  (1796)  hat  Jenner  das  erste  Kind  vacciniert.  Prinz  Radziwill, 
durch  dessen  Frau  Gemahlin  ich  Knhpockenmaterie,  die  sie  aus  London 
bekommen  hatte,  erhielt,  und  womit  ich  den  1.  Februar  1800  das  erste 
Kind,  den  jetzigen  Lieutenant  Voigt,  vaccinierte,  waren  so  wie  dieser, 
meine  Gäste. 

26.  September.  In  der  Hnfelandschen  GeseUschaft,  wo  ich  heute, 
da  Hufeland  abwesend  war,  den  Plräsidenten  machte,  las  der  Prof  Kluge 
aus  der  Ghaiitö  eine  ganz  vorzüglich  gute  Abhandlung  über  die  Hunger- 
und  Schmierkur  vor.  Nach  seiner  Erfahrung  leistete  sie  bei  Herpes 
nichts,  bei  Skropheln  aber  —  so  Ja  —  wenn  auch  alle  GesehwÜie 
heilen,  so  erfolgt  die  Abzehrung  und  Fieber  darauf  und  die  Kranken 
sterben.  —  Bei  Gicht  thut  sie  herrliche  Dienste  sowie  bekannt  bei 
allen  Venerischen.  Letztere  haben  fast  alle  nach  der  Kur  ein  überaus 
seeliges  Behagen  in  ihrem  Körper,  ein  Wohlgefühl,  desgleichen  sie  nie, 
auch  in  ihren  gesundesten  Tagen  nie  empfinden  haben.  Lob  und  Dank 
sei  dem  Gen.  Chir.  Rust  gesagt,  der  nns  Arzte  hier  in  Berlin  zuerst 
mit  dieser  Kur  recht  bekannt  machte  und  .sie  ausübte  ^^). 

16.  Oktober.  Mittags  auf  der  Börsenhalle  von  sämtlichen 
Regimentschirurgen  der  i<reussischen  Armee,  in  Gesellschaft  von  280 
Personen,  die  die  Dienstführung  von  5U  Jahren  des  Gen.  Chir.  Goercke 
feierten,  bewirthet  worden.  Alle  hiesigen  Minister  und  Generale  und 
wohl  an  80  Ärzte  waren  hier.  Itoch  nie  ist  wohl  ein  Arzt  so  als 
Goercke  öffentlich  geehrt  worden,  und  es  auch  mit  so  vielem  Hecht 
als  er  verdiente '^^). 

5.  Dezember.  In  der  Hofelandschen  Gesellschaft  gewesen,  wo  der 
G.  R.  Graefe  drei  Personen  vorzeigte,  denen  er  künstliche  fleischerne 
Nasen  augesetzt  hatte.  Zwei  waren  an  der  Stirnhaut  i^eliildet  und  die 
eine  von  einem  Stück  der  0))er-ArQihaat.  Schon  nach  acht  Tagen  war 
diese  Haut  an  der  Nase  fest  angewaclisen,  und  die  beste  von  allen,  die 
ich  je  gesehen  habe  und  dem  Graefe  alle  Ehre  macht Wie  schade 
ist  es  nicht,  dass  dieser  Graefe  eine  so  niedeiirächtige  Seele  hat.  Diese 
konunt  mir  als  ein  Gesicht  ohne  Nase  vor,  die  aber  noch  viel  mühsamer 
als  seine  künstliche  zu  heilen  sein  möchte. 


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Aus  den  Tagebüchem  des  tüten  Heim. 


29 


1818. 

4.  Mai.  Mittags  bei  Jagor  in  (^psellscliaft  mohreror  Äi'ztc  gospcist. 
Eine  Zahl  von  zwölf  Ärzten  haben  hicli  vorgenonuuen,  immer  den  ersten 
Montag  des  Monats  bei  einem  Restaurateur  des  Mittags  zusammen  zu 
essen  und  sich  freundschaftlich  zu  unterhalten.  Heute  waren  hier: 
Hüfrath  Schulze'-),  Merzdorff,  Weitsch,  Rust,  Horlacher^'*'), 
Eberhard  von  Kuenen,  Hauck.^^) 

14.  Mittags  im  Thiergarten  bei  Kempfert  in  grosser  Gesellschaft 
von  Ärzten,  die  den  Tag  (den  14.  Mai  1790),  wo  Jenuer  das  erste  Kind 
vaccinierte,  feierten,  gespeist. 

1819. 

2.  Aogost  Mittags  beim  Gen.  Chir.  Goerioke  in  Gesellschaft 
von  40  Personen,  fast  lanter  Ärzte  und  Chirurgen,  gespeist.  Nächst 
dieser  Gesellschaft  wurden  auch  noch  120  Eleven  hier  gespeist.  Es 
wnrde  nämlich  heute  der  25.  Stiftungstag  der  Pepiniere  gefeiert.  Vor 
Tische  wohnte  ich  der  Prüfung  der  Eleven  bei.  Rust  examinierte  vor- 
trefflich, fast  mehr  für  das  zahlreiche  Publikum  und  seiner  selbst  willen 
als  für  die  Eleven.  Der  Lehrer  Preuss  hielt  eine  meisterhafte  Rede, 
die  mich  für  diesen  Mann  u^miz  eingenommen  hat"*"). 

fi.  In  der  Hnfelandschen  Gesellschaft  gewesen,  wo  Hufoland 
eine  \  (u  treffliche  Abhandlung  darüber  vorlas,  dass  in  allen  Welttheilen 
im  ganzen  die  Geburten  der  Knaben  zu  den  Mädchen  sich  wie  21  zu  20 
verhalten. 

17,  Septeml)er.  In  der  Hnfelandschen  Gesellschaft  gewesen,  in 
der  Reg.  R.  Neu  manu'")  eine  gute  Abhandlung  über  die  jetzigen 
epidemischen  Fieber  vorlas. 

10.  Dezember.  In  der  Hufeiandsehen  Gesellschaft  las  Rust  eine 
sehr  gute  Abhandlung  über  diu  sugenauute  egyptische  Augenentzünduog 
vor'«> 

1820. 

3.  Min  /..  Nachmittags  bei  Hufeland  in  Gesellschaft  von  P)  Personen 
Versuche,  die  der  Prof.  Kieser""),  die  Rhabdomantie  und  den  Syderisrrius 
betreffend,  beschrieben,  nacligom;i(ht,  aber  von  7  keinen  einzigen 
bestätigt  gefunden.  Wäre  ein  ganz  Fremder  bei  diesen  Versuchen  ins 
Zimnu  r.  w'>  wir  waren,  gekommen,  der  hätte  von  uns  glauben  müssen, 
wir  wären  alle  verrückt. 

l'.l.  Mai.  In  der  Hufelaiidsclu'ii  Gesellschaft  gewesen,  wo  der 
Geh.  K.  Behreuds  eine  gelehrte  Abiiaudliing  über  zwei  Hipitukratische 
Aphorismen'"*)  vorlas,  zu  denen  ich  nachher  noch  einige  lustige 
Erläutern  n  LTP n  gjib. 

19.  August.  D.  Ha  hnemanns  Organen  durchzulesen  heute  geendiget. 
Ich  hätte  etwas  besseres  thun  können  als  meine  Zeit  damit  zu  ver- 


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30 


Geoig  Siagenst. 


schwenden.  Anf  einem  Bogen  hätte  dieser  arrogante  Maua  das  Wesent- 
lichste dieses  Buches  recht  gut  sagen  können'*). 

'\>^.  November.  Mittags  beim  Geh.  K.  Forniey  gespeist.  Nach 
Tische  mich  mit  ihm  über  medizinische  Gegenstände  sehr  augenehm 
unterhalten.  Unter  den  Inesigen  Ärzten  ist  und  bleibt  er  immer  der, 
der  den  meisten  Menschenverstand  hat,  richtig  denkt  und  in  wissen- 
BcbaftUcher  Beziehung  ohne  Vorurtheiie  ist 

1821. 

26.  Januar.  In  der  Hnfelandadien  Gesellschaft  gewesen,  wo  es 
mir  aber  nicht  gefiel^  da  der  Geh.  R.  Hermstedt"*)  eine  so  schlechte 
Abhandlimg  vom  Toback  vorlas. 

22.  Febniar.  Znm  Essen  bei  mir  gehabt  den  Prof.  Ste glehner 
aas  Bamberg,  Formey,  Reich  etc.  .  .  .  Ober  die  Bildnng  des  so- 
genannten Hermaphroditen,  wozn  ein  Präparat,  welches  ich  von  der 
Art  habe,  Gelegenheit  gab,  und  weldies  ich  vorzeigto,  gab  mir  der 
Steglehner  gate  Ansknnft. 

17.  Bfftrz.  Den  KegierungsratU  Prof.  Weinhold"*)  ans  HaUe  hier 
kennen  gelernt 

6.  November.  Abends  als  Präsident  figuriert'*").  Meyer  las  über 
den  Katzenjammer  eine  schlechte  Abhandlung  vor,  die  Polarität  sollte 
den  Katzenjammer  richtig  erklären. 

30.  Abends  in  der  Hufelandschen  Gesellschaft  gewesen,  wo  er 
einen  guten  Aufsatz  über  Erkenntnis  der  verschiedeneu  Ursachen  der 
Taubheit  und  Heilmethoden  vorlas. 

1822. 

3.  Februar.  Mittags  in  der  Stadt  Paris  gespeist,  wo  der  Stiftungs- 
tag der  physikalisch-medizinischen  Gesellschaft,  wo  ich  der  Präsident 
bin,  gefeiert  wurde.  Zu  meinen  Gästen  die  sechs  neuaufgenommenen 
Mitglieder,  die  Doktores  Klaatsch ""),  Hecker"'),  Moldenhauer, 
Professor  Eck"*),  Chirurgus  eines  Regiments  Hör  lach  er  und  Prosektor 
Schlemm"*)  .  .  .  gehabt 

2.  Juli.  Mittags  wurde  bei  Simon  das  25.  Doktor-Jabelfest  des 
Heinrichs  Meyer  und  Hofraths  Schultz  in  Gesellschaft  von  mehr  als 
öü  Personen  gefeiert.  D.  Weitsch,  Hanck  und  der  Xheater-Schults 
hielten  lustige  Beden. 

30.  Oktober.  Mittags  im  Thiergarten  beim  Geh.  R.  Formey 
gespeist.  Die  Arste  Beg.-Rath  Nie  mann"*)  aus  Merseburg,  der  Prosektor 
Purkinje'")  ans  Prag,  Hesse"'),  Welper,  Horn  nnd  Staatsrath 
Hufeland,  Bialer  KrtLger  waren  hier. 


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Aus  den  TagebQcbem  dea  altea  Heim. 


31 


1823. 

1.  März.  Mittags  im  Mnnatsklul)  gespeist.  Hofratli  Schulze 
machte  die  Naturphilosophie  fast  zum  Narren. 

1.  April.  Abends  als  Präsident  in  Gesellschaft  gewesen.  Hof- 
medikus D.  Kunstina uu  las  <'ine  Abhandlung  über  Schuppen  vorzüglich 
der  Fische  vor,  zeigte  eiue  grosse  Meoge  derselben  und  alle  geheleu  uus 
sehr  wohl. 

1824. 

6.  August.  Mittags  bei  Eempfert  zur  Stiftungsfeier  der  Pepiniere 
vom  Gen.  Chir.  Wiebel'")  in  Gesellschaft  von  79  Personen  sehr  gut 
bewirthet  worden.  In  der  Pepiniere  selbst  die  Rede  des  Prof.  Kluge 
mit  angehöi*t,  und  daselbst  auch  den  Prinzen  Wilhelm,  der  mir  sehr 
froQDdschafÜicli  seine  Hand  gab  and  den  Prinzen  von  Mecklenburg 
gesprochen. 

5.  November.  Lange  in  der  Hafelandschen  Gresellschaft  .  .  .  . 
Rost  las  die  Yerhandlnngen  vor,  die  man  mit  dem  Wanderdoktor,  oder, 
wie  Rnst  ihn  nannte,  dem  Pferdeknecht  Grabe  vorgenommen  hatte. 

[Grabe  war  ein  Pferdeknecht  im  Alter  von  29  Jahren  aus  dem 
Regierungsbezirk  ^ferseburg,  der  sich  den  Magnetismusglauben  der  Zeit 
zu  Nutze  machte,  um  Wunderkureu  auszuführen.  Seine  lleilkunst 
wollte  er  von  einem  Scharfrichterknecht  gelernt  haben.  Er  gab  vor, 
Magnetiseur  zu  sein,  war  aber  thatsächlich  ein  Beschwörer  und  Quack- 
salber, der  alles  behandelte,  was  ihm  zulief,  Menschen  und  Vieh.  Er 
wurde  im  Sommer  1824  nach  Berlin  gebracht,  um  hior  vor  einer 
Ministerial-Kominis.sion,  an  deren  Spitze  Rust  stand,  Proben  seiner 
Heilkunst  abzulegen,  doch  versagte  er  jämmerlich;  von  S5  Kranken, 
die  ihm  zur  Behandlung  übergeben  waren,  wurde  nicht  einer  kuriert. 
Seine  Behandlungsweise  bestand  im  Betastem,  sehr  groben  Streichen  und 
Drücken  und  oft  —  Bespucken  der  kranken  Körpertheile,  wozu  er  die 
widersinnigsten  Beschwörungsformeln  murmelte.  Am  letzten  Tage  der 
Untersuchung  machte  er  mit  einer  Gabel  (!)  einen  Selbstmordversuch, 
der  indessen  nur  ein  Gaukelspiel  war:  er  ritzte  sich  knai»})  die  Haut. 
Er  wurde  in  seine  Ueimath  zurückgtschickt  und  ihm  in  Zukunft  alles 
Kurieren  verboten.  Die  Angelegenheit  entfesselte  einen  wahren  Zeitungs- 
krieg, da  die  weitesten  Kreise,  Gebildete  und  Ungebildete  au  Grabes 
Wnnderkralt  glaubten  und  öffentlich  für  ihn  eintraten"").] 

7.  Dezember.  In  der  medizinischen  Gesellschaft  gewesen,  wo  der 
Hofrath  Schals  <nne  ansinnige  natarphilosophische  Abhandlang  ▼OEla& 

1826. 

12.  Februar.  Mittags  bei  Simon,  wo  der  Stiftungstag  der  pliysikalisch- 
mediziuischen  Gesellschaft,    von  der  ich  Präsident  und  Kudolphl 


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32 


Georg  Siegerist. 


Sekraför  ist,  gefeiert  wurde,  gespeist  .  .  ,  Vor  Tische  nach  SchÖnhaiisen 
geritten,  aber  Prinzessin  Angoste  Solms  nicht  sn  Hanse  getroffen.  Anch 
D.  Eranichfeld"*)  war  nicht  zn  Hanse.  In  seiner  Wohnstabe  traf 
ich  kein  einziges  medizinisches,  aber  eine  Menge  geistlicher  (jebetbücher, 
nnter  denen  mancher  Schmöker  war,  an. 

4.  April.  Abends  in  der  grossen  medizinischen  Gesellschaft 
gesehen,  welchen  schlechten  Vortrag  der  Professor  Reich  hat. 

2.  Dezcinher.  Gestern  Abend  starb  der  Geh.  R.,  D.  und  Prof. 
Bereuds,  74  Jahre  alt.  Er  Nvar  kein  Praktikus,  aber  Pedant  und 
Charlatan,  letzteres  wohl  mehr  als  ersteres;  ein  dicker,  starker  und 
dabei  grober  Mann,  welche  Stücke  ihm  eine  starke  Praxis  und  auch 
Huf  gaben. 

15.  Dezember.  Gestern  früh  hatte  unser  guter  König  das  Unglück, 
von  einer  Treppe  zu  fallen  und  beide  Knochen  des  rechten  Unterfusses 
zu  zerbrechen.  Die  ganze  Stadt  nimmt  an  diesem  Unglück  wahren 
Antheil  und  so  auch  ich.  v.  Graefe,  den  man  zum  König  hatte  rufen 
lassen,  war  in  Pantoffeln  dahin  <>:ekommen.  Man  sagt,  er  habe  sich 
die  Stiefeln  zu  Qause  erst  ausgezogen,  und  ein  solches  Gerücht  mag 
wahr  sein""). 

1828. 

3.  Januar.  Mittags  im  medizinischen  Klub  gespeist  und  wurde 
D.  Steinrück  statt  dem  verstorbenen  Mediciual  H.  Erhard  ^'^)  zum 
Mitglied  erwählt. 

15.  März.  Starb  der  berüchtigte  Doctor  medicinae  Boehm,  den  ich 
über  zwanzig  Jalirc'  ganz  genau  gekannt  habe.  Als  Arzt  und  Gelehrten 
fälle  ich  kein  Lrtheil  über  ihn,  aber  als  Mensch  war  er  einer  der 
grössten  Spitzbuben  und  Schurken,  die  ich  je  gekannt  habe,  der  nicht 
ein-  ja  zehnmal  den  Stanjibesen  verdient  hat.  Ich  bin  stolz  darauf, 
dass  ich  ihn  gleich  bei  unserer  ersten  Bekanntschaft  richtig  erkannt 
nnd  beurtheilt  habe. 

19.  Mai.  Morgens  nach  der  Charit^  gefahren,  wo  der  D.  Jüncke^") 
in  Gegenwart  von  zahlreichen  Studenten  und  Professoren  durch  eine 
lange  vom  Geh.  R.  Rust  gehaltene  Rede  als  klinischer  Augenarzt  ein- 
geführt wurde,  füi-  weicht!  Auszeichnung  nachher  Jüncke  dem  Minister 
von  Alten  stein  and  dem  Knst  in  einer  noch  längeren  Rede  ehr- 
erbietigst dankte. 

3.  JnnL  Abends  in  der  physikalisch-medizinischen  Gesellschaft 
ge-wesen,  in  der  D.  Krause  eine  gelehrte  Abhandlnng  über  die 
idiopathische  Herz-Entzündung  vorlas.  Die  so  schmei'z-  und  qualvolle 
Krankheit  des  so  geistreichen  D.  Heinrich  Meyer  hat  mich  seit  mehreren 
Tagen  und  auch  heute  sehr  beunruhigt,  und  wenn  ich  vor  ihm  stand, 
dachte  ich  hodie  tibi  cras  mihi. 


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Ans  den  T»gebfloh«ni  des  alten  Heim. 


33 


1.  Oktober.  Mittags  bei  Jagor  im  medizinischen  Klab  gespeist. 
Wurde  der  Pbysikas  BareU"^  ^  Stelle  des  verstorbenen  Meyer  cum 
Mitglied  gewählt 

1830. 

25.  Mai.  Von  dem  berühTiiteu  Hofrath  HedtMins^^^)  aus  Dresden 
besucht  worden.   Der  Geh.  Rath  v.  Graefe  ist  sein  Schüler. 

1881. 

1.  September.  Haben  sieh  die  ersten  Gholerakranken  gezeigt. 

7.  Starb  der  D.  Ealow*'')  an  der  Cholera^  nachdem  er  gestern 
noeh  einen  an  dieser  Krankheit  Verstorbenen  sesiert  nnd  dessen  Blat 
gekostet  hatte. 

22.  Nach  Charlottenborg  gefahren  und  daselbst  gesehen,  dass  das 
ganze  Sohloss  nnd  Ghirten  mit  Schildwachen  cemiert  ist. 

7.  Oktober.  Die  CSholera  liegt  ims  allen  in  den  Gliedern.  Es  sind 
doch  jetsst  ganz  erb&rmlidie  Zeiten. 

3.  Dezember.  Nach  Charlottenbnrg  gefahren  und  uns  von  dem 
Gast  wir  th  Moscau,  der  dicht  am  Schloss  wohnt,  alle  die  Gebäude  nnd 
Anstalten,  die  der  König  gegen  die  CSholera  hatte  treffen  lassen,  zn 
zeigen,  und  welehe.s  wir  bewundern  mnssten.  Da  jetzt  keine  Cerniemng 
mehr  stattfindet,  hat  der  König  dein  Moscau  alle  diese  Gebäude  und 
noch  1000  Kthlr.  Miethe  för  dessen  Haus  und  Garten  ge.s(;hetikt. 

5.  Ist  der  erste  Tag  vom  31.  August  an,  wo  kein  Cholerakranker 
gemeldet  worden,  und  befinden  sich  nur  noch  sechs  Kranke  in  der 
Beliandlung. 

9.   Heute  ist  an  der  Cholera  keiner  gestorben  noch  hinzugekommen. 

1882. 

19.  Februar.  In  allen  Kirchen  wird  Gott  gedankt,  dass  die 
Cholera  nns  verlassen  habe. 

[Der  erste  offiziell  konstatierte  Gholerafall  ereignete  sich  am 
29.  Angost  In  Charlottenbnrg  bei  einem  Schiffer,  am  80.  erfolgte  der 
zweite  Fall  in  Berlin  bei  einem  Schiffer  auf  einem  Spreekahn;  am 
31.  wurde  die  Sendie  von  der  Geaundheits-KommiBSion  für  ausgebrochen 
erklärt. 

Schon  1830  hatte  man  in  Preussen  begonnen,  Yorkelirungen  zn 
ihrer  Abwehr  zn  trefl'en.  Im  Dezember  d.  J.  war  eine  Kommission 
unter  Führung  des  Medizinalratlis  Di  .  Albers  aus  Gurabinnen  nach 
Russland  geschickt  worden,  um  die  Krankheit  an  Ort  und  Stelle  zu 
beobachten.  Die  wissenschaftlichen  Erörterungen  leitete  Rust;  zur 
Bearbeitung  d»'r  Angelegenheit  in  administrativer  Ilinsicbt  ward  eine 
Kommission  gebildet.  Tn  einer  Sitzuiiü,  dpr  wisscnschaftliclH'n  Deputation 
für  das  Medizinahveseu  wurde  die  Kontagiositiit  der  Krankheit  als 
wahrscheinlich  bezeichnet  und  es  wurden  dahingehende  Massregeln 

▲roh.  8 


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84 


besclilossen,  tun  die  Einsohleppniig  za  verhflten.  Graefe  schlug  vor  Abwehr 
die  Einftthriing  von  Gesandheitepatenten,  die  Einrichtung  einer  Sanitäts- 
Aviso-Idoie  und  die  Organisation  des  provisorischen  Gesuudheitskordons 
vor.  Im  Aprü  1831  erschienen  die  ersten  Verordnungen,  als :  Instruktion 
ftber  die  zu  ergreifenden  Massregeln,  Instruktion  für  die  Kontumas- 
beamten,  Anweisung  über  das  Desinfektions verfahren,  Bekanntmachung 
betreffend  Einführung  der  Gesundheitsatteste,  Anweisung  zur  Erkenntnis 
und  Heilung  der  Cholera,  Anweisung  zur  Erhaltung  der  Gesundheit  und 
Verhütung  der  Ansteckung.  Am  31.  Mai,  nachdem  seit  dem  10.  April 
die  Seuche  sich  in  ganz  Polen  ausgebreitet  hatte,  wurde  die  Ausführung 
der  vorbereiteten  Massregelii  befohlen;  die  Grenzsperre  durch  einen  Militär- 
kordon sowie  die  Koutuniazaustalten  traten  in  Wirksamkeit,  alles  unter 
der  Annahme  der  Kontagiosität  der  Krankheit  Rust  war  davon  so 
überzeugt,  dass  er  an  Alexander  v.  Humboldt  schrieb:  „Sollte  der 
Glaube  an  die  Nichtkontagiositä  t  der  Cholera  von  Staa ts  wegen  (!)  geboten 
sein,  so  kann  ich  als  guter  und  folgsamer  Staatsbürger  nur  ausrofea: 
Herr!  Nimm  mir  den  Verstand  oder  den  Glauben!***'*') 

Bald  aber  erhoben  sich  Stimmen  gegen  die  Kontiigiosität;  sie 
beriefen  sich  auf  das  schnelle  Eindringen  der  Seuche  in  Preussen  trotz 
Kordon  und  Kontumazen.  Das  Publikum  erkannte  bald  die  Nutzlosigkeit 
dieser  Imclist  lästigen  Massregeln  und  verlaugte  deren  Beseitigung, 
doch  umsonst.  Die  Regierung  hatte  diese  Massregelu  augeordnet,  also 
wurden  sie  mit  äusserster  Gewissenhaftigkeit  und  Strenge  des  preussischeu 
Beamtenthums  durchgeführt.  Die  ersten,  die  die  Kontagiosität  wissen- 
schaftlich angriffen,  waren  der  Dr.  Zoubkoff  (Observations  sur  le  cholera 
morbus)  nnd  der  BataUlonsarzt  Koch  in  Stettin  (Über  die  oholera 
morbus).  Ein  gefährlidier  Gegner  erstand  dem  Eoutagiositätsglauben 
in  dem  Medizinalrath  Lorinser  in  Oppeln,  der  im  Herbst  1831  anf  Anf- 
forderong  der  Sodet&t  I9r  wissenschaftliche  Kritik  in  Berlin  einige 
Cholerascfariften  recensierte  und  hierbei  seine  Ansicht  entwickelte,  dass 
die  Cholera  keine  pestartige  Krankheit  und  durch  Kordons  und  Kontu- 
mazen  nicht  zu  bek&mpfen  sei  Wider  seinen  Willen  erschien  diese 
Becension  am  4.,  5.  nnd  6.  Oktober  in  der  „Staatszeitung",  wo  bisher 
nur  Kontagionisten  das  Wort  geführt  hatten,  und  entfesselte  unter  diesen 
einen  Sturm  der  Enträstnng;  dennoch  aber  wurden  nun  Kordons  nnd 
Kontumazen  endlich  aufgehoben.  Namentlich  Rust  und  der  Minister 
V.  Altenstein  waren  auf  Lorinser  sehr  V)(3se;  ihm  wnrde  seine  Pflicht  als 
Beamter  entgegen  gehalten.  Als  er  im  März  1S32  nach  Berlin  kam, 
musste  er  von  Altenstein  eine  gewaltige  Strafpredigt  anhören  und  erst 
als  er  erklärte,  dass  seine  Kritik  ausschliesslich  für  ein  wissenschaft- 
liches Blatt  bestimmt  gewesen  sei  und  er  in  seinen  amtlichen  Hand- 
lungen, allerdings  gegen  seine  Überzeugung,  die  erlassenen  Vorschriften 
streng  befolgt  habe,  wurde  der  Minister  wieder  freundlicher.  Die 


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Aua  den  Tag«bacheni  des  alten  Heiuu 


85 


öffentliche  Meinimg  und  die  meisten  Berliner  Arzte  standen  auf  Lorinsers 
Seite;  Hufeland  und  Wiebel  dankten  ihm  lebhaft  für  seine  rechtzeitig 
erschienene  Schrift. 

Die  Frage  nach  der  Entsiehang  der  Krankheit  reifte  abenteaerliche 
ADSchawingen.  Bei  ihrem  ersten  Auftreten  in  Europa  vennutheto  man 
in  den  n^onthümlicb  geförbten,  nebelartigen  Verdunkelungen  der  Loft**, 
die  an  melireren  Oi*ten  vor  dem  Aasbrach  der  Sfuclie  beobachtet  waren, 
dichte  Schwärme  niederer  Organismen,  „Cholera-Thierchen",  welche  die 
Verbreitung  vermitteln  sollten.  Diese  Ansicht  wurde  durch  Ehrenbergs 
Beobachtungen  über  die  weitreichende  Verbreitung  von  Infusorien  durch 
den  Wind  unterstützt.  Ehrenberg  selbst  erklärte  später  auf  Grund  von 
miki'oskopischen  Untersuchongen  der  der  Luft  beigemengten  Stoffe  in 
den  von  der  Cholera  ai^  heimgesuchten  Häusern  diese  Hypothese  für  eine 
Faf^elei.  Man  begann  nun  die  erkrankten  Organe,  das  Blut,  die  Ex- 
kronicnte  zu  untersuchen,  und  hier  hat  Ludwig  Böhm  (f  1.  August  1^09 
in  Berlin)  als  erster  auf  das  VorkoniTnoii  kryptogainiscber,  den 
Gährung^pil/.eij  iUinliclier  Körper  in  den  Entleerungen  und  im  Darm- 
kanal au&nerksam  gemacht. 

In  Berlin  ging  die  Regierang  beim  Ausbrach  der  Seache  sehr 
energisch  vor;  es  waren  fünf  Gholera-Lazarethe  eingerichtet  worden, 
ferner  traten  61  in  der  Stadt  vertheilte  Gesondheits-Kommissionen 
sasammen,  an  denen  1500  Arzte,  Kommanal-  nnd  Poliseibeamte  Thefl 
nahmen  and  die  an  100000  Thaler  aasgahen.  Um  das  Pablikam,  das 
anfangs  sehr  betklommen  war,  mit  wahren  Nachrichten  an  versehen  nnd 
alle  onnöthigen  ü^nfbaosohangeii  nnd  Bennrnhigangen  im  Eeime  m 
erstiofceo,  gab  der  Dr.  Gasper  vom  24.  September  ab  die  jede  Woche 
zwei-  bis  dreimal  erscheinende  Cholera-Zeitung  heraus,  die  sämtliche 
Erkrankungs-  und  Sterbefälle  meldete,  Nachrichten  aus  den  Lazarethen 
brachte  und  behendgenswerthe  Winke  über  die  Behandlung  der 
Krankheit  und  Massregeln  zum  Schutz  gegen  sie  enthielt.  Das 
Pnblikum  wurde  durch  zahlreiche  Anfragen  eifriger  Mitarbeiter  an 
diesem  Blatte;  jede  begründete  An&age  wurde  eingehend  beantwortet. 
Ein  Überängstlicher  fragte,  ob  man  sich  satt  essen  dürfe  nnd  erhielt 
die  trostende  Antwort,  dass  man  das  sogar  müsse.  Ein  anderer  schlug 
vor,  wie  bei  den  Pocken  das  Cholera-Contagium  einzuimpfen  etc. 
Wissenschaftlich  wurde  die  Ki-aukheit  in  dem  Cholera-Archiv  behandelt, 
von  dem  drei  Bände  erschienen.  Natürlich  blühte  eine  ganze  Cholera- 
Industrie  auf;  das  Publikum,  das  einer  ganz  neuen  Krankheit  gegen- 
über stand,  kaufte  willijü:  jedes  angepriesene  Präservativ;  die  Apotheker 
hielten  vine  goldene  Ei  nte.  Die  Zeitungen  wininielten  von  Anpreisungen; 
Cholera-Essenzen,  -Küuclieruugen,  -Liköre,  -Taljake,  -Cigarren,  -Leinwand, 
-Wolle,  -Papier  und  zahllose  andere  Artikel  gingen  reissend  ab.  Da- 


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96 


gegen  machten  Obsfliftndler,  Restaaraienre  and  Bierschenker  ein  schlechtes 
Geechftft. 

Nach  wenigen  Tagen  hatten  alle  Stadttheile  Knmke;  die  hfichste 
Ziffar  der  Erkrankungen  wies  der  22.  Oktober  mit  806  nnd  an  Sterbe- 
fällen  der  1.  Oktober  mit  212  anf.  Im  ganien  erkrankten  von  £nde 
Angnst  bis  Ende  Januar  2335  nnd  starben  1426  Personen.  (Nach 
anderen  Angaben  erkrankten  in  163  Tagen  2271).  Die  meisten  Opfer 
forderte  die  Seuche  in  den  wenige  bemittelten  Klassen;  es  erkrankten 
711  Handwerker,  79  SchifVer,  112  Dienstboten,  327  Handarbeiter,  da- 
gegen aus  den  wohlhabenden  Ständen  nur  144.  Diis  Militär  wurde 
dank  absolater  Abspermngsmassregeln  fast  gar  nicht  betroffen  ^'^] 

28.  Oktober.  Den  Professor  der  Anatomie  Rndolphi  sehr  elend 
an  der  Wassersncht  gesehen,  welches  betrübte;  er  ist  einer  der 
gelehrtesten  Männer  und  ein  redlicher  Mann"*). 


i)  E«niBt  Gottfiried  Kar  eil  a,  geboren  den  IS.  Httrz  1735  suKeldenborg 
in  Otspreussen,  lebte  als  Arzt  und  Rath  am  Ober-Medidnal-KoUegium  und 
Ober-Kollegium  medicum  et  eanitatis  in  Berlin.  Er  hat  das  bekannte  seinen 
Namen  führende  Brus^ulver  angegeben  (Pulv.  liquirit.  corapos.).  Von  seinen 
Schriften  sind  zu  nennen:  „Entdeckung  der  Maximen,  ohne  Zeitverlust  und 
MUlie  ein  berühmter  und  reiciier  Arzt  zu  werden"  (17.50),  , Chemische  Ver- 
suche und  Erfahrungen"  (17r»ti),  „Das  Leben  des  Menschen  philosophisch 
und  medizinisch  betrachtet"  (1747).  Er  starb  zu  Berlin  am  28.  Juli  1799. 
(Garlt  und  Hirsch,  BiographiBches  Leadkon  der  herrorragendsten  Ante 
DentBchlands  HL  574.  Mehring,  Neuestes  Gelehrtes  Berlin  1795.  L  380X 

i)  Johann  Georg  Krttnitz,  Arzt  und  Eneyklopädist,  am  28.  MHrs  1728 
sn  BerUn  geboren,  lebte  nach  grOssovn  Beisen  s^t  1769  dauernd  in  Berlin  und 
besehllfligteelcbhierausBchliessUcbniitlitterariBChenArbeiten.  Am  bekanntesten 

ist  die  von  ihm  herausgegebene  , ökonomisch-technische  EIncyklopädie,  oder 
allgemeines  System  der  Staats-,  Stadt-,  Haus-  und  Landwirthschaft"  (seit  1773). 
Das  ganze  Werk  umfa.sst  .M  Bände,  von  d<Mien  K.  die  ersten  "(3  verfasst  hat. 
Seine  sUnitlichen  Arbeiten  sind  komjMlat(»rischen  oder  bibliographischen 
Charakters,  so  „Verzeiclmiss  der  \ umelnnsten  Schriften  vun  den  Kinder- 
pocken  und  deren  Einpfropfung  U  V  08),  „Verzeichniss  der  vornehmsten 
Sehrlften  von  der  Elektrintät  nnd  den  elektrischen  Kuren«  (1769).  Erstarb 
zu  Berlin  am  20.  Dezember  1796.  (Allg.  deutsche  Biographie  XVn.  253, 
GeL  Berl.  1795  p.  256  ff.) 

s)  Friedrich  Ton  Wendt,  geb.  1738,  seit  1778  Profeesor  der  Medizin 
zn  Erlangen.  Er  war  der  Begründer  des  dortigen  klinischen  Instituts,  1802 
Erbauer  des  Krankenhauses  nnd  Präsident  der  deutschen  Akademie  der 
Naturforscher.  Er  starb  1816.  (Biogr.  Lex.  VI.  238.) 


Ans  dm  Ttfobaditni  dw  alten  Hebn. 


37 


4)  Johann  Goercke,  General-Ghinirgiia»  Beigrttnder  der  Föptniöre,  war 

am  3.  Mni  1750  zu  Sorqnitten  in  Ostpreussen  geboren.  Er  machte  die 
prenssische  Militür-Chimrgcn-Laufbahn  durch  und  wurde  1797  Nachfolger 
Thedens.  Seine  Ilanptverdienste  liegen  auf  sanitätsorganisatorischem  Gebiete ; 
er  richtete  in  dem  Kriege  gegen  Frankreich  1793  die  fliegenden  Feld- 
Lazarethe  ein  für  je  lOuO  Kranke,  brachte  auf  Federn  ruhende  Kranken- 
wagen nach  dem  Muster  eines  von  den  Engläodera  auf  ihrem  Rückzüge  in 
Holland  sorttokgelaesenen  In  der  preoariaehen  Armee  cor  Anwendung, 
errichtete  1814  die  Veliten-Kompagnien  (Erankentritger-Abtheilongen).  Als 
1809  daa  seit  17S4  beetefaende  CoUeginm  medioo-chiroigieam  aii%eUtet 
wurde,  rief  er  es  als  medizinisch -chirurgische  Akademie  fttr  daa  liilitMr  1811 
wieder  ins  Leben.  (Biogr.  Lex.  II.  508.  Prenas,  Goercke's  Leben  und 
Wirken  M«17.)  Zur  Geschiehtc  der  P6piniöre  vgl.  Preuss,  das  königlich- 
preussische  Friodrirh  "Wilhelms  ■  Institut  zu  Berlin  (1819)  und  neaestena 
Schickert,  Geschichte  des  Friedrich  Wilhelms-Instituts.) 

b)  Johann  Gottlieb  Zenker  war  seit  1789  Professor  der  Chirurgie  l)eim 
Collegium  niedieo-chirurgicum  und  trat  bei  Begründung  der  Pepiniere  in  deren 
Lehrkörper  über.    (Preuss,  Gesch.  d.  Fr.  W.-Inst.) 

«)  Karl  Wilhelm  Stoscb,  Geh.  Kath  und  Königlicher  Leibarzt, 
gestorben  1810. 

7)  Johann  Christian  Anton  Tbeden,  erster  General -Chirurgus,  ein 
Mecklenburger,  geboren  am  13.  September  1714,  in  der  Barbicrstubo  vor- 
gebildet, begann  aeine  Laufbahn  ala  Eskadrona-Feldacheer  1737.  Seine 
Haaptrerdienate  liegen  auf  ehirorglaebem  Gebiete:  die  Thedensche  metho- 
diaehe  HÜnwicklnng  der  Glieder  an  Yerschiedenen  Zwecken,  daa  Thedensche 
Wnnd-  oder  Schosswasser  fttr  kalte  UraschlUge.  aus  Essig,  Weingeist,  Zucker 
und  verdünnter  Schwefelsäure  bestehend;  endlich  iBt  sein  Blutstillungs- 
Verfahren  mittels  kegelförmiger  Tampons  aus  Charpie-Sindons.  spMter 
Feuerschwamms  und  Druckverbandes  zu  nennen.  Zur  Verbreitung  der  ])lei- 
prUparate  bei  Behandlung  chirurgischer  Krankheiten  liat  er  das  Scinigc  bei- 
getragen; wichtig  sind  endlich  seine  Erfahrungen  über  den  Nutzen  des 
kalten  Waaeers  hei  denselben  Krankheiten.  Unter  seiner  Leitung  wurde  das 
erste  preossiache  Feld-Lasareth-Befflement  erlassen.  Er  starb  am  21.  Oktober 
1797.  (Kogr.  Lex.  V.  642.  Geh  BerL  1795.  924  ff.  Gnrlt,  die  Kriegschimrgie 
der  letiten  l&O  Jahre  in  Prenssen  p.  26.) 

•)  Christian  Ludwig  Hnrsinna,  geboren,  am  17.  Dezember  1744  zn 
Stolp  in  Htatterpommem,  war  ebenfalls  zuerst  bei  einem  Bader  in  d«r  Ldire. 
1761  wurde  er  Lazareth-Chiruigus  und  studierte  unter  Cothenius  und  Theden. 
1797  war  er  General -Chirurgru.s  und  bald  darauf  Professor  der  Chirurgie 
erst  1820  gab  er  als  solcher  seine  Vorlesungen  auf.  Er  war  ein  geschickter 
und  glücklicher  Operateur.  Sein  Tod  erfolgte  am  18.  Mai  1823.  (Biogr. 
Lex.  IV.  322.  Gel.  Berl.  1795.  II.  .51.) 

9)  Christian  Gottlieb  Seile,  Geh.  Kath,  Professor  der  Medizin  und  Arzt 
an  der  Charit^,  geboren  am  7.  Oktober  174h  zu  Stettin,  seit  177V  in  Berlin. 
Nach  dem  Tode  Muzells  wurde  er  Leibarzt  Friedrichs  des  Grossen  und 
schrieb  nach  dessen  Tode  die  »Erankheitsgeschichte  des  bOchsteeligen 


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Könifj^s  von  Preussen,  Fricflrichs  II.  MajcstUt"  (1786).  Auch  Prifidrich 
Wilhelms  II.  Leibarzt  wurde  er;  Friedrich  Wilhelm  III.  ernannte  ilin  1798 
zum  Direktor  des  (  olleg.  nicd.-chir.  Seit  1786  war  er  Mitglied  der 
Akademie  der  Wisscnsciiaiten  und  .5  Jahre  lang  Direktor  der  philosophischen 
Kluäßc;  er  starb  am  b.  (nach  lleim  ü.  Siehe  pag.  l'i)  November  1800.  Er  gab 
beraos  „Medicina  dtnica  oder  Handbuch  der  medisiniBcben  Fnuda*  (.1781), 
»PhilosopbisGhe  Gespräobe*  (1780),  .GnmdBätBe  der  reinen  Philoiopbie*  (1788). 
Als  Phllosopb  war  er  Gegner  Kanta.  (Biogr.  Lex.  V.  356.  Gel.  Berl«  1795.  IL  153, 
Hamack,  Gesch.  d.  Akademie  I,  546.) 

lo)  Johann  Ludwig  Pormey,  geboren  1766  zu  Berlin,  wurde  1796 
Kgl.  Leibarzt,  179H  Professor  am  rollc^'.  mcd.-ehir,,  starb  am  23.  Juni  1823 
als  vortragender  liath  in  der  Medizinalabtheilung  des  Ministeriums  des 
Inneni.  Sein  bekanntestes  Werk  ist  ^Versuch  einer  medizinischen  Topo- 
graphie von  Berlin"  (1796);  mit  Klaproth  bearbeitete  er  die  Pharmacopaea 
Bomssica.   (Biogr.  Lex.  II.  40(>.} 

u)  Jobannes  Nepomnck  Bremer  ans  Hilgen walde,  Hofiradi,  geboren 
1745,  war  38  Jabre  hindnrch  als  Arzt  in  Berlin  thätig.  Er  war  ein  wanner 
Freund  der  Annen  und  hat  sich  namentlich  um  die  Sebatspocken-Impftmg 
als  erster  Impfarzt  in  Berlin  sdir  verdient  gemacht;  er  starb  18 IG.  (Budolpbi, 
Index  numismatum  in  virorum  de  rebus  medicis  Tel  physicis  meritorom 
memoriam  percussomm,  1^35  p.  55.) 

ij)  Georg  Heinrich  Boehr,  Dr.  med.,  Arzt  in  Berlin,  geboren  zu 
Freystadt  in  Nieder-Schlesien  am  7.  April  1757,  war  königlicher  Ilofmcdikus 
und  Arzt  des  Beriiinsciien  Gymnasiums.    (Gel.  Berl.  1795.  11.  289.) 

n)  Job.  Christoph  Andreas  Meyer,  geb.  1747,  war  seit  1786  Professor 
der  Botanik  und  materia  medica  beim  (^oUegium  medico-cblmrgiciim;  schon 
vorher  war  er  Professor  der  Anatomie  bei  diesem  Institut  gewesen,  dann 
nach  Frankfbrt  a.  O.  gegangen;  er  starb  am  15.  November  1801.  Sein 
Nachfolger  >vurdc  L.  E.  von  KOnen.  (Preuss,  Gesch.  des  Friedrich  Wilhelms- 
Instituts  162.  164.) 

h)  Christian  Friedrich  Riehter,  gcbnren  171t  zu  Halle,  Hess  sich  1770 
als  Arzt  in  Berlin  nieder,  starb  dort  als  (Telieimer  Über-Mcdizinalrath.  Er 
schrieb:  ..Beitrüge  zu  einer  praktischen  Fieberlehre"  (1794),  (Biogr.  Lex.  V. 
17.  Gel.  Berl.  Ib20.  p.  217.) 

1»)  Alexander  Eoelp  in,  danischer  Chirurg,  1731  in  Uetersen  in  Holstein 
geboren,  Professor  fttr  Chirurgie  In  Kopenhagen.  1791  ftlhrte  er  durch  eine 
unglttckliche  Trepanation  den  Tod  des  Konferenzrathes  von  Berger  herbei, 
welcher  Fall  su  einer  umfangreichen  wissenscbaftliehen  Fehde  Anlass  gab. 
Iii  er  auf  scheint  Bich  auch  Heims  Urtheil  Uber  K.  zu  bcEiefaen.  (Biogr.  Lex. 
HL  518.) 

16)  Christian  Wilhelm  Hu  fei  and,  Heims  berühmtester  Kollege, 
geboren  12.  Aii^^ust  r,G?  zu  Langensalza,  war  erst  Arzt  in  Weimar  gewesen, 
wo  er  als  ihr  Arzi  mit  Wieland,  Herder,  (ioelhe,  Schiller  in  Verkehr  trat; 
seit  1793  Professor  in  Jena,  schrieb  er  dort  seine  Makrobiotik,  die  1796  zum 
ersten  Male  erschien  unter  dem  deutschen  Titel:  „Kunst,  das  menschliehe 
Leben  zu  verlängern«',  und  in  fsst  alle  europSischen  Sprachen  ttbersetst 
wurde.    Als  Gegner  des  Brownschen  Systems  (siehe  p.  4)  hatte  er  eine 


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Ans  dm  T^tebaebeni  dei  ■lim  Hdm. 


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10  Jahre  dauornde  litterarische  Fehde  durchzufechten,  die  ihm  viel  Vcrdruss 
bfreitpte.  Nach  Seiles  Tode  (1800)  wurde  er  dessen  Nachfolpor,  kgl.  Leib- 
arzt, Direktor  dvs  rollog-.  mod.-cbir.  und  erster  Arzt  au  der  Charitc.  Hier 
hatte  er  mit  seinen  Kollegen  Fritze  und  Horn  heftige  KUmpte  zu  l)estehen. 
1810  wurde  er  zum  Professor  der  speziellen  Pathologie  und  Therapie  an  der 
UniversitÄt  ernuunt  und  erüöhete  hier  die  medizinische  Poliklinik,  das  erste 
lüBtinit  dieser  Art  für  ame  Kranke  in  BerUn.  Er  starb  am  25.  August  1836. 
EfDgebenderes  findet  sieh  in  der  Biographie  Ton  Angöstln,  «Chr.  W.  Hofe- 
lands  Leben  nnid  Wirken  fOr  Wissensehaft,  Staat  und  Menschheit".  (1837). 
Ein  Verzeichnis  seiner  Schriften  ist  im  Gel.  Borl.  1826.  117  IT.  zn  finden. 
(Biogr.  Lex.  IlL  305.  Allg.  d.  Biogr.  XUL  28611.) 

it)  Joh.  Christian  Wilh.  Janker,  geb.  1761  zu  Halle,  Professor  fOr 
Pathologie  und  Tberafiie  in  seiner  Vaterstadt.  Seit  1794  entsagte  er  der 
ärztliehen  Praaüs,  un  die  Pocken  zu  bekämpfen  nnd  wurde  ein  begeisterter 
Anhitoger  der  Jennerschen  Entdeckung.  Er  starb  schon  am  27.  Deaember 
1800.  (mogr.  Lex.  HL  430.  Ersefa.  n.  Grober,  Sekt  IL  Bd.  XXIX.  139.) 

18)  Marcus  Herz,  g^eboren  nm  17.  Janiuir  17  17  zu  Berlin.  Als  Kauf- 
mannslchrling  in  Königsberg  begann  er  Kant  zu  hüreu,  biudierte  dann  in 
Beriia  und  Halle  Medhdn  und  liess  sich  in  Berlin  als  Arst  nieder.  Lange 
Jahre  wirkte  er  als  Arst  des  Krankenhauses  der  jüdischen  Gemeinde.  Er 
hielt  als  Erster  Vorlesungen  über  Experimentalphysik.  1787  wurde  er  zum 
FrofiBssor  der  Philosophie  ernannt.  Beine  Gattin  war  Henriette  Herz.  Er 
starb  am  30.  Januar  1803.  Unter  seinen  vielen  Schriften  seien  genannt: 
„Versuch  über  den  Geschmack,  und  die  Ur.sachen  seiner  Verschiedenheit" 
(1776),  „Briefe  an  Ärzte"  (1777)  „Versuch  über  den  Schwindel"  (178ö). 
CBiogr.  Lex.  lU.  löO.  Gel.  Bcrl.  1795.  L  200.J 

1»)  Georg  Friedrich  Mtthry,  geboren  zu  Hannover  1774t  machte  seit 
1796  wissenschaitlichc  Reisen  nach  Berlin,  Jena  und  Wien  und  liess  sich 
dann  in  seiner  Vaterstadt  als  Arzt  nieder,  wo  er  18 18  als  kfinifj^lichor  Leib- 
arzt starb.  Hein)  hatte  später  mit  ihm  und  Stieglitz  in  Bremen  einen  lanj^cn 
Streit  wegen  der  nach  und  trotz  der  Vaccination  auftretenden  Pocken,  wo 
Heim  erst  seine  Besiegung  eingestand,  als  Sfin  eigener,  schon  geimpfter 
Enkel  von  den  ächten  Pocken  befallen  wurde.  Robert  Willans  Schrift  über 
die  Kuhpockenimpfong,  aus  dem  Englischen  ttbersetst  von  Hthry,  Güttingen 
1806,  ferner  HUhrys  ,3M^schtung  einer  nach  voUkonmiener  Vaccination 
erfolgten  Blattemeruption  etc."  in  Hufelands  Journal  Mars  1809  und  Stieglits* 
Recension  des  Willanschen  Baches  in  der  Hall.  allg.  Litteratnrztg.  No.  182 
September  1807  hatten  Heims  Aufsatz:  Über  die  Diagnostik  der  falschen 
Pocken  etc."  (Horns  Archiv  Bd.  X.  Heft  2  18"i!>)  veranlasst;  Mühry  antwortote 
in  Hufeland.s  Journal  Febr.  i8iu  p.  !'."^  nnrl  Stieglitz  im  Neuen  Archiv  für 
mediz.  Erfahrmig  Bd.  XI  Heft  2.  Heim  schrieb  darauf  den  Aufsatz:  ,,Noch 
zwei  Worte  über  das  Vorkommen  Uehter  Pocken  nach  vorhergegangenen 
ächten  Kuhpocken"  (Horns  Archiv  1811  Bd.  2  p.  209)  und  1825:  „Meine 
jetzige  Ansicht  Uber  den  Efaifluss  der  Schntzpocken  auf  Menschenblattem*' 
(Archiv  fOr  med.  Erfahrung).  Heim  erklärt,  dass  der  Streit  auf  beiden 


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Georg  Siegerist. 


Seiten  ein  gerechter  war  (Heim,  vermiselitc  medizinische  Schriften  p.  109). 
(Biogr.  Lex.  IV.  468.  Rohlfs,  KliiMrfker  der  Medisin  I.  500.) 

August  Friedrich  1' alias,  Sohn  des  Chirurgen  Simon  Pallas,  geboren 
5.  September  1731  zu  Berlin,  war  Professor  am  Colleg.  medU-ehir.  und  wie 
sein  Vater  ein  namhafter  Chirurg.  Br  starb  1812.  (Biogr.  Lex.  IV.  468. 
QeL  BerL  1795  IL  99.) 

ti)  Johann  Friedrich  Fritze,  geb.  3.  Oktober  1735  zu  Magdeburg, 
Professor  der  Chirurgie  am  Colleg.  med.-chir.,  Arzt  an  der  Charit«,  Direktor 
des  ITHO  ^gestifteten  klinischen  Instituts  an  der  Charite  und  Geh.  Rath.  Er 
starb  'J.  April  1807.  Seit  1791  gab  er  die  „Annalen  des  klinischen  Instituts 
zu  Berlin"  heraus.  Biogr.  Lex.  II.  449.  Gel.  Berl.  1795.  1.  138.  Fritze,  Nach- 
richten  über  ein  klinisches  Institut  in  Berlin.) 

2u)  Christian  Ludwig  Hol  off,  Geh.  Rath  und  königlicher  Leibarzt, 
Dekan  des  Über-Colleg,  med.  und  Mitglied  der  Akademie  der  Wissenschaften, 
war  geboren  am  26.  Juni  1726  zu  Berlin;  er  starb  1800.  (Qel.  Berl.  1795. 

n.  129.) 

m)  Haeser,  Geschichte  der  Medizin  IL  1069  IT.  Formejr,  Topographie 
164  ff.    WoUheim,  medizinisehe  Topographie  von   BerUn  31 5  f.    Biogr.  • 
Lex.  III.  394.  v.  Raumer,  Berlin  in  den  Jahren  kurz  vor  der  franz.  Revolution 
p.  89  in  Berl.  Kalender  1847.   Blattern  und  Sobutzlmpftmg,  Denkschrift  des 
Kaiserl.  Gesundheitsamtes.  1S!m;  p.  15. 

2«)  Ilncser,  Geschichte  der  Medizin  IL  750  flf.  Biogr.  Lex.  IL  568. 
A.  Hirsch,  Gesch.  d   Medizin  383  ff. 

25)  Ausser  dou  aiigefulirton  Schriften  von  Prahmcr  und  Moritz  vgl. 
Formey,  Topographie  201  Horn,  öffentliche  Rechenschaft  Uber  meine 
Bienstftihnmg  als  zweiter  Arzt  des  Gharitö-KrankenhauseB  zu  BerUn  1818 
p.  83  ff. 

u)  Pensionäre  waren  diejenigen  preussisehen  Kompagnie-Gbfanigen,  die 

zum  unentgeltlichen  Studium  dem  Colleg.  med.-chir.  überwiesen  wurden. 
Es  gab  16  solcher  Stellen.  Die  beiden  ältesten  Pensionäre  wurden  zur  Aus- 
übung der  iirztlichen  Praxis  in  der  Chtuitö  ausgebildet.  (Formey,  Topo« 

graphie  25r).) 

27)  Über  Boehni  war  in  den  benutzten  Nachschlagewerken  etc.  nichts 
zu  ermitteln;  vielleicht  kann  einer  oder  der  andere  Leser  Mittheilungen 
Aber  diesen  bei  Heim  so  sdUecht  angeschriebenen  Berliner  Arzt  machen; 
ebenso  Uber  eine  Reihe  anderer  von  Hdm  mäirfaidi  orwXhnter  mehr  oder 
minder  bekannter  Ärzte,  die  DolLtoren  Laube,  Steniemann,  Wall,  Wolff, 
Kleemann,  Merzdorff  (dieser  war  Stad^bysikus),  Lehmann. 

m)  Georg  Adolph  Welper,  geboren  1.  Mal  1762  zu  Kanden  in  Baden, 

Hess  sich  als  Arzt  in  Berlin  nieder,  Starb  1842  als  Geh.  Rath  im  Kultus« 
ministeriuin.    (Biogr.  Lex.  VL  236.  Callisen,  medizinisches  Schriftsteller 

Lexikon  XX.  .')33.) 

2«*)  Christian  Emst      sc  Ii  er,  geb.  1772  zu  Lüneburg,  Arzt  in  seiner 
Vaterstadt.    (Biogr.  Lex.  II.  371.) 

80)  Karl  .Toll.  Cluistian  Gr apengiesscr,  geboren  1773  zu  Parcbim- 
liess  sich  1799  in  Berlin  als  Arzt  nieder,  wurde  1803  Mitglied  des  Colleg, 


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Am»  den  TagebttehMn  dM  «tten  Heim. 


41 


med.-chir.,  dann  Physikus  und  Leibarzt  dos  Kronprinzen,  starb  1813  am 
Typhus  als  Chefarzt  eines  Lazareths.  Er  schrieb:  „Versuche,  den  Galvanismus 
zur  Heilung  einiger  Krankheiten  anzuwenden"  (18*»n.  (Rlank,  die  mecklen- 
burgischen Ärzte  von  den  ältesten  Zeiten  ete.  1871.  j».  llit). 

3i)  Biogi'.  Lex.  IV.  690.  Callisen  XV.  424.  XXXI.  391.  Haeser.  Gesch. 
d.  Med.  II.  740.  Gel.  Berl.  lH'>r)  2n7  ff.  1845.  p.  2H2.  Keichs  Proinemoria  ist 
abgednickt  in  Fornieys  medizinischen  Hpheineriden  Med.-chinirg,  Ztg.  III. 
No.  69  p.  2Ö9.  Das  Gutachten  der  Kummissioa  steht  m  llufelands  Journal 
der  HeOknnde  X.  2.  Btttek  p.  30L 

33)  Johann  Friedrich  Meckel,  genannt  der  I.,  ältere  oder  Grossvater, 
groBaer  Anatom  ans  der  Sehnle  Albrecht  von  Hallen  in  GOttingcn,  geboren 
2n  WetslaT)  31.  Jttll  1714.  Er  promovirte  mit  der  bertthmten  Arbelt  „de 
qninto  pari  nerFomm*«  worin  die  nach  ihm  1>enannte  Entdeckung  des 
Ganglion  sphenopalatinum  s.  Meckelii  sowie  die  des  Ganglion  submaxUlare 
zum  ersten  Mal  beschriebni  wird.  Seit  1748  lehrte  er  in  Berlin;  1751  %vurde 
er  Professor  für  Anatomie,  Botanik  und  Geburtshilfe,  später  erster  Lehrer 
bei  der  an  der  Charite  errichteten  Ilcbammensehnlo.  F,r  starb  am  18.  Sep- 
tember 1774.  Als  Lehrer  und  Forscher  vertrat  er  die  deskriptiv-anatomische 
Schule  im  Geiste  Uallers,  Meckel  ist  der  Stammvater  einer  beiühmtcn 
Anatomen-Familie,  die  Generationen  hindurch  in  Halle  gelehrt  hat.  (Biogr. 
Lex.  IV.  188.  Allg.  d.  Biogr.  XXL  159.  Haeser  H.  567.) 

m)  Joh.  Christoph  Friodr.  Voitus,  geboren  den  16.  Mttrs  1741  2a 
Genthin,  General-Chirurg.  1774  schickte  Ihn  Friedlieh  der  Grosse  nach 
Frankreich,  nm  neue  Operattonamethoden,  besonders  der  Mastdannflstel  zn 
erlernen.  Auch  Geburtshilfe  studierte  er  dorteifkig  und  erlangte  auf  diesem 
Gebiete  wie  Überhaupt  eine  umfangreiche  Praxis.  Er  starb  am  30.  Januar 
1787.  (Biogr.  Lest.  VL  148.  BeUe  in  Berliner  Monatsschr.  1787.  Btttek  UL  230). 

m)  Biogr.  Lex.  IV.  394.  Haeser  II.  1078.  Fonney,  Topographie  161  ff. 
WoUbeim,  Topographie  315  i,   Denkschrift  des  Kais.  Gesundheitsamts  19  f. 

-5)  „Asclepias  und  John  Brown,  eine  ParallolC  1800.  Der  Verfasser, 
Karl  Friedrich  Burdach,  177G  zu  Leipzig  gel<oren,  bertlhmter  Anatom,  war 
Dozent  in  Leipzig,  dann  Professor  in  Dorpat  und  Königsberg;  er  starb  1847. 
(Biogr.  Lex.  I.  ü's!2.) 

m)  Jakob  Fideiis  Ackermann,  23.  April  1705  zu  KUdesheim  geboren, 
gestorben  1815,  war  Professor  der  Anatomie  und  Chirurgie  in  Mfdnz,  Jena 
und  Heidelberg.  Er  suchte  die  Erschdnungen  des  organischen  Lebens 
durch  die  Gesetse  der  Physik  und  Chemie  zu  erklären  und  betrachtete  sie 
als  langsame  Verbrennung.  Mit  der  Entdeckung  des  Sauerstoib,  des 
pLebensithers",  hldt  er  ebenso  wie  Girtanner  das  Riithsel  der  Lebenskraft 
für  gelöst.  Bein  Buch  ^Versuch  einer  physischen  Darstellung  der  Lebenskraft 
organisierter  Körper"  (1793,  2.  Aufl.  1800)  ist  das  von  Heim  gemeinte.  Er 
war  einer  der  eifrigsten  Bekämpf  er  der  Gal  Ischen  Schädellohre.  „Die 
Gallsehe  Hirn-.  Schädel-  und  Organlehre  etC^  (ImjH)  nimmt  die  erste  Stelle 
unter  <leu  Lrtheilen  über  die  Kruuiobkopie  ein;  Ackermann  sprieht  sich 
vom  psychologischen  Standj)unkte  dagegen  auä.  (Biogr.  Lex.  I.  47.  Haeser  H. 
Ö75.  Hirch,  Gesch.  d.  Med.  567.J 


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n)  Jobaan  Friedrich  Lobstein,  1777  m  GiesBon  geboren,  studierte  in 
Strassburg  und  war  dort  Professor  der  Anntomie,  später  Direktor  der  patho- 

lo^n'pph -anatomischen  Klinik  und  Bo^n-iinder  des  patholopiscli-anMtoniipchen 
Museums.  (Haeser  II.  881).  Kr  ist  niclit,  wie  Heim  irrthünilicli  l^rnu-rkt, 
der  Enkf'l,  sondern  der  Neft'e  des  bertthmten  Anatomen  Johann  Friedrich 
Lübstein,  de«  Lehrers  Goethes, 

3s)  Siegmund  Wolfsolm,  Arzt  und  Mechaniker,  Erfinder  vieler  chinir- 
gisclier  Instrumente,  lebte  seit  1797  als  Brucharzt  und  Inhaber  einer 
k.  k.  privil.  FaV)rik  chirurgischer  Maschinen  in  Wien.  Er  erfand  die 
metallenen  Hcsouanzrohrc  fiir  öchwerhöreude,  eiue  Kopfmaschino  fUr  solche, 
GehtfrmnaebdB,  viele  orlho^üKdie  Apparate.  Der  Ar  Berlin  gelieferte 
chirorgische  Apparatkasten  enthielt  313  Stttcke;  W.  erhielt  die  goldene 
Medaille  nnd  200  Dukaten  dafür.  (WUrsbnrg,  Biogr.  Lexikon  OesteRoichB 
Bd.  ö8  p.  47). 

3»)  Die  Influenza  oder  Grippe  ist  historisch  nachweisbar  im  Jahre  1173 
in  Italien  (Sigbert!  Chron.  in  Pertz  Annal.  VI.  p.  414.,  Annal.  Blandiniens.  ib. 
V.  29),  Deutschland  (Godefridi  annal.  in  Freheri  rer.  gerra.  Script.  I.  341, 
Menckenii  Script,  rer.  germ.  II.  4.3*^,  Chron.  Saxon.  in  Leibniz  aeces.  bist.  I.  310), 
England  (Radulfus  de  Diceto  in  Troysden,  Script,  bist.  augl.  I.  310).  Eine 
der  ersten  genauer  besehriebenen  Epidemien  verbreitete  sieh  1510  von  Malta 
ans  über  Europa.  Im  Febraar  1800  war  die  Inflnensa  in  der  Provinz 
Preussen  (Metzger  litteratnr  zor  Gesohlehte  der  FrOhllngsepidenif  e  im  Jahre 
isno,  Altenburg  1801)  im  April  in  Wien  und  Posen  (Ferro,  med.  Archiv  von 
Wien  im  Jahre  18u().  22,  Metzger),  im  Oktober  in  Lüneburg  (Fischer  in 
Ilnfelands  Journal  XIII.  Heft  4.  29),  im  November  in  Altenburg  (Winkler  in 
AlliT  iiK'd  Annaion  1801  Corresp.-Bl.  12),  Paderborn  (Ficker  ib.  84),  Donau- 
esclüngen,  Sicf^maringen,  im  Dezember  in  Stuttgart,  (Hopfengartner  in 
Denkschr.  schwäbibcher  Ärzte  I,  120),  im  Januar  IbOl  in  Görlitz  (Knebel  in 
AUg.  med.  AnnaL  Corr.-BL  77,  Hirsch,  hiBt.-geogr.  Pathologie  I.  5  fL).  Bei 
dieser  zum  TheO  bedrohlichen  NSbe  war  es  wohl  mOgUcb  (Posen,  Altenbug, 
Ltlnebnrg,  Görlitz),  daas  auch  in  Berlin  hn  Jahre  1800  InflnenzaflUle  vor* 
gekommen  sind. 

«o)  Die  Schrift  ftthrt  den  Titel:  JD,  Marens  Herz  an  den  D.  Dobmeyer, 
Leibarzt  des  Prinzen  Angnst  von  England,  über  die  BrataUmpAmg  und 
deren  Vergleichung  )nit  der  humanen",  Berlin  1801.  In  der  Vorrede  zur 
2.  Auflage  erklärt  Ilerz  die  Bezeichnung  ,Brut;i]implbng*,  die  so  viel  Stanb 
aufgewirbolt  hat  Er  wollte  damit  nur  ihre  Ai)stamninnfr  vom  Thiere  an- 
deuten (brutus)  im  Gegensatz  zu  der  bis  dahin  üblichen  Inokulation  vom 
McnKohen.  Er  habe  keinen  besseren  Ausdruck  find<'n  können;  „beklihen* 
(vaccinieren)  gefiele  ihm  noch  weniger,  da  er  das  eigentliche  Geschäft  nicht 
bezeichne;  ^Schutzpocken**  sei  zu  nnifassend.  „Die  Unterabtheilong  des 
allgemeinen  Begriflb  Inokulation  scheint  mir  in  seientiflscher  Hinsieht  die 
passendste  nnd  vollständigste,  da  sie  einen  spesifisehen  Theilangspnnkt 
angiebt,  der  die  wesentlicfae  Tersebiedenheit  in  der  Operation  ansmaeht* 

«t)  Justus  Christian  von  Loder  aus  Riga,  1773 — 1832,  hervorragender 
Anatom,  Professor  in  Jena,  Halle  nnd  Moskau,  war  ein  mit  grossem  Lehr- 


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Ans  den  Tagebftebera  äm  «Iton  Heisa. 


48 


talent  begabter  Artfe»  dessen  anatomische  Abhildnngcn  eine  weite  Vorhreitong 
gewannen.    (Hacser  n.  559.  Biogr.  Lex.  IV.  23.  AUg.  d.  Biogr.  XXX.  76.) 

ij)  Kurt  Polykarj)  Joachim  Sprengel,  geboren  1766  zu  Anklam, 
zuerst  Tlioolnp:»',  dann  Mediziner,  seit  1789  Professor  in  Halle,  nnch 
hedentcnilrr  Hotanikor  (nU  14-,jHhriger  Knabe  schrieb  er  eine  „Anleitung  zur 
Botanik  tür  i">aiieii2imiiier- ).  Ein  klassisches  Werk  ist  sein  „Versuch  einer 
pragmatischen  Geschichte  der  Arzneikunde"  (1792—99)  5  Bde.  Erstarb  1833. 
(Biogr.  Lex.  V.  493.  Callisen  XXXII.  389  seine  Schriften.) 

43)  Kurl  Alexander  Ferdinand  Kluge,  9.  September  llb^  zu  Strausberg 
geboren,  studierte  aof  der  Pöpini^,  wurde  1814  ansserordentlicher  Professor 
an  dieser  Anstalt,  zweiter  Direktor  der  ohirurgisoiieii  Station  und  der  Ent- 
bindungsanstalt in  der  diaritö.  1821  wurde  er  Professor  an  der  Universität, 
1828  Dircktrir  der  Charite.  Er  starb  am  26.  Mal  1844.  (Biogr.  Lex.  499. 
Preuss,  Friedncb  Willielms-Institut  150.) 

44)  Gall  hielt  seine  ersten  öffentlichen  Vorlesungen  über  seine 
SchUdellehre  1786  in  Wien-,  H'»]  wurden  sie  durch  ein  eigenes  Hand- 
schreiben des  Kaisers  Franz  als  rcligionsgcnihrlieh  verboten  und  nur  in 
beschränkter  Weise  später  wieder  gestattet.  Galls  erste  Schrift  über  die 
Phrenologie  „des  Herrn  D.  F.  J.  Gall  Schreiben  über  seinen  bereits 
geendigten  Prodromus  ttber  die  Verrichtungen  des  Gebims  der  Menschen 
und  Thiere  an  Herrn  Jos.  Fr.  Retser*'  ersehira  1798  in  Wielands  neuem 
deutsehen  Herkur.  (Biogr.  Lex.  II.  481.) 

46)  Joseph  Franlc,  Sohn  des  berühmten  Johann  Peter  Frank  in  Wien, 
Anhttnger  dos  Brownsehen  Systems.  Er  war  PrimSrarst  an  dem  yon  seinem 

Vater  geleiteten  AVicn«  r  Krankenhause  und  machte  1803  eine  Reise  durch 
Frankreich,  England  und  Schottland,  wobei  «r  Berlin  berührte.  Von 
1804  -1  Sil  Avar  er  in  Kussland  thätig  und  Starb  1842  auf  seiner  Villa  am 
Comersee.    (Biogr.  Lex.  II.  129.) 

46)  Geor^::  Philipp  Mogalla,  Oherbergarzt  im  schlesischen  Knapp.schafts- 
lustitatc,  hat  sich  um  den  Autschwung  der  schlesiaeheu  Bäder,  besonders 
▼on  Reinerz,  verdient  gemacht;  er  schrieb  „Die  Mineralquellen  undH^bäder 
Schlesiens",  1802.  (Biogr.  Lex.  IV.  255.  Callisen  XXn.  131.  XXX.  406.) 

«9)  Ludwig  Emst  Ton  Koenen,  13.  Oktober  1770  zu  Berlin  geboren, 
seit  1797  Professor  der  medizinischen  EncyklopSdie  am  CoUegium  medico- 
chbmgienm,  starb  als  Geh.  Ober-Medislnalrath  am  30.  August  1853.  Unter 
seinen  Schriften  sind  /u  nennen:    ..Einige  Bemerkungen  ttber  die  Kuh- 

pockon,  bei  Gelegenheit  des  Sendsehreibens  von  Herz  an  Dohmeyer"  (1801 ), 
„Leben  und  Turnen,  Turnen  und  Leben"  {.lüll).  (Gel.  Berlin  1825  p.  140. 
Calüsen  X.  309.  XXIX.  303.) 

48)  Die  Sammlung  selb.stangefertigter  anatomischer  Präi)arate  des 
Professors  Walter,  ereten  Professors  der  Anatomie  beim  CoUeg.  med.-chir. 
und  Mitgliedes  der  Akademie  der  Wissensohallen,  befand  sieh  von  1803  —1809 
Unter  den  Linden  21.  Am  18.  Januar  1803  vom  Staate  fttr  100000  Thaler 
angekauft,  enthielt  sie  3070  meist  zur  menschlichen  Anatomie  gehörige 
Pritparate,  die  Walter  selbst  angefertigt  hatte.  Besonders  aui^gezeichnet 
waren  die  mit  Wachs  ausgespritzten  OelKsse,  Muskeln  und  Eingeweide,  die 


44 


Q«ois  Sitfedit. 


mit  Quecksilber  gefüllten  Wassergefäsxc,  sowie  ganze  Körper,  in  denen  alle 
Geliissc,  iluskeln,  Eingeweide  und  Nerven  aiisgesj »ritzt  und  ausgearbeitet 
waren.  1807  wollten  die  Französin  die  Sammlung  nach  Paris  schicken, 
doch  verhinderte  dies  der  Cheturzi  der  Iranzösischeu  Armee,  Baron  Percy, 
ein  aufrichtiger  Verelirer  Goerckes,  der  sloh  bei  Friedlieh  Wilhelm  HL  in 
TUdt  mit  den  Worten  meiden  lieas:  „Je  snisle  Goeroke  de  Tannee  fran^aiae". 
Das  Waltersche  Kabinett  bildete  den  Grondstoek  des  anatonüschen  Mnaeoms 
der  Universität.  (Nicolai,  Beschreibung  von  Berlin  und  Potsdam  IL  823. 
KOpke,  Gründung  der  Universitut  Berlin  p.  868.  Sehickert»  die  miiitär- 
arzUichen  BUdungsanstalten  p.  43.  65.) 

«•)  Emst  Horn  au  Brannaehwelg  (1772—1848)  Hess  sieh  1805  in  Berlin 
nieder.  Er  wurde  hier  Professor  an  der  medlslnisch-ohimiigisehen  Ifilititr- 
akademie  und  2.  Arzt  an  der  Charitd  (bis  1818).  Belt  1831  war  er  Professor 
an  der  Universität.   Zuerst  Brownianer,  ging  er  dann  zu  den  Eklektikern 

über,  die  das  Brauchbare  jedes  Systems  am  Krankenbett  verwertheten.  Als 
Lehrer  l^r  wissenschaftliche  und  praktische  Psychiatrie  schloss  er  sich  Keil 
an.  Über  seinen  Streit  mit  Kohlrausch  in  der  Charite  siehe  weiter  unten. 
Er  war  ein  sehr  lieissiger  medizinischer  Schriftsteller,  vornehmlich  Psychiater. 
(Biogr.  Lex.  lU.  275.  Gel.  Berl.  1825.  p.  112.  CaUisen  IX.  126—147.  XXIX. 
51—5?). 

50)  Die  Bemühungen  Heims  waren  von  Krfolg-  gekrönt.  August  Friedrich 
liecker,  geboren  1.  JuH  17G3  zu  Witten  bei  HhHc,  wurde  1805  als  Professor 
an  das  CoUcg.  med.-chir.  berufen,  erhielt  den  IIt)frathstitel  und  starb  am 
11.  Oktober  1811.  Er  war  ein  Gegner  der  Erregungstheorie  und  der 
Scbellingschen  Natorphilosopbie,  die  er  in  zahlreichen  Kritiken  bekSmpfle. 
Seine  vielen  Lehrbücher  auf  den  yeracbiedenen  Gebieten  der  Medizin 
sind  gesdiickte  und  gründliche  Kompilationen.  Ein  yollständiges  Verzeichnis 
seiner  Schriften  findet  sich  in  dem  Heft  6  IIL  Bandes  der  von  ihm  redigirrten 
Annalen  der  gesamten  Medizin  (Jnni  1811).  (Biogr.  Lex.  Hl.  100.  AUg.  d. 
Biogr.  XI.  207.) 

6»)  Friedrich  Gebhard  Theodor  Gönner  war  seit  1788  Professor  der 
Pathologie  und  Semiotik  beim  CoUeg.  med.-chir.  (Prenss,  Gesch.  d.  Fr.  W.- 
Inst.  162.) 

• 

n)  Nachdem  Qalls  ThXtigkeit  in  Wien  lahm  gelegt  war,  bereiste  er 

seit  MUrz  1805  Deutschland,  Dänemark,  Holland  nnd  die  Schweiz;  er  hielt 
überall  Vorlesungen,  die  vielfach  Anerkennung  fanden.  In  Berlin  trat  neben 
Heim  Hufeland  zu  seinen  Grinsten  auf;  zwei  Medaillen  wurden  hier  auf  ihn 
geschlagen.  Über  die  Reise  verüfl'entlichte  er:  „Meine  Reise  durch  Deutsch- 
land, nebst  pathognomischen  Bemerkungen"  (ISW).  Iftuy  Hess  er  sich  in 
Paris  als  ])raktischer  Arzt  nieder,  wo  er  sein  Hauptwerk  achrieb:  „Anatomie 
et  Physiologie  du  Systeme  nerveux  en  g^nöral  et  du  cerveau  «n  partieolier 
aveo  des  obsenrations  snr  la  possibilitö  de  reconnaitre  plnsienrs  dispositions 
intelleetaelles  et  morales  de  l'homme  et  des  animanx  par  la  conflgnration 
de  lenr  t^te  (4  Bde.  1810—18).  Er  starb  am  22.  Angost  1828  auf  seinem 
Landsitz  Monrrftge  bei  Paris.  (Biogr.  Lex.  II.  481.  Fossatl  Nony.  biogr.  gto.). 


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Am  den  TtvAbflchern  dee  alten  Heim.  45 

Ii)  August  Friedrich  Schweigger,  Bmder  des  bekannten  Hallenser 
Physiken  Ouristoph  Sehweigger,  geboren  ra  Erlangen  8.  September  1783. 
Er  studierte  in  Erlangen  Kedizin,  Zoologie  und  Botanik  and  ging  —  Erlangen 
war  damals  preossisch  — ,  nachdem  er  November  1804  promoviert  hatte, 
nach  Berlin,  um  hier  den  vorgeschriebenen  praktischen  medizinischen  Kursus 
durchzumachen.  Altenstein  verachaftte  ihm  die  Mittel  zu  einer  Reise  nach 
Paris,  wo  er  sich  bis  1809  aufhielt  und  namentlich  mit  Botanik  und  Mineralogie 
beschäftigte.  Er  wurde  dann  Professor  der  Botanik  in  Königsberg.  Auf 
einer  wissenschaftlichen  Reise  in  Sizilien  wurde  er  in  der  Crotta  aüumutu 
bei  Oiigenti  am  28.  Juni  1821  ermordet  und  beraubt  (Allg.  deutsche  Bio- 
graphie XXXm.  p.  332.) 

m)  Johann  Christian  Weitsoh  aus  Ascfaersleben,  geboren  1.  April  1764, 
war  zuerst  Theologe,  lebte  als  belletristisoher  Sehrifteteiler  in  Berlin, 
studierte  dann  in  Erlangen  Medhdn  und  lieas  sich  1799  in  Berlin  als  Arzt 
nieder.  Zunächst  Heims  Assistent,  bekam  er  bald  selbst  eine  bedeutende 
Praxis,  er  starb  als  Ober- Medizinalrath  am  10.  September  1830.  (Biogr.  Lex, 
IV.  230.  Callisen  XXXII.  ^^58.)  In  Hufelands  Journal  der  Heilkunde 
1818  Bd.  47  berichtet  er  über  einen  phUnomenalen  Trinker,  der  .schon 
in  seiner  zarten  Jugend  seinen  Vater  in  die  Wirtschaften  begleitete, 
„um  sich  dort  an  einem  Glase  Weissbier  zu  laben".  Schon  als  Knabe  von 
7  Jahren  trank  er  5  Quart  täglich;  sein  Durst  war  bald  onaofbörlicb  und 
schier  unstillbar.  Als  Erwachsener  trank  er  taglich  18,  an  heissen  Sommer- 
tagen bis  25  Quart.  Nach  seiner  eigenen  Berechnung  hat  er  3000  Tonnen 
Weissbier  vertilgt  Er  war  mittelmllsslg  gross,  von  starkem  Gliederbau, 
fleischig,  aber  nicht  fett,  ass  mit  gutem  Appetit,  war  stet^  firoh  und  witzig, 
gutmtithig  und  mit  der  ganzen  Welt  im  Frieden.  Krank  war  er  nie.  Im 
Alter  von  6o  Jahren  starb  er  an  der  Wassersucht. 

r,5)  Dr.  phil.  Friedrich  Wolff,  geb.  1766  zu  Lissa  in  Posen,  war  seit 
17ö8  Lehrer  der  Physik  und  Mathematik  am  Joachimsthalschen  Gymnasium, 
wurde  1820  Professor  der  Logik  und  Mathematik  an  der  medizinisch- 
chirurgischen  Militärakademie,  sowie  Direktor  des  schüuwisseuscliai'tlichen 
Unterrichts  und  Professor  der  Logik  und  Mathematik  au  der  Pepinicre. 
(Gel.  Berl.  1825.  p.  304.) 

m)  Renö  Desgenettes,  franz.  Militärarzt,  geboren  1762,  machte  bereits 
dm  ägyptischen  und  syrischoi  Feldzng  Napoleons  als  mödidn  en  chef  der 
Orientarmee  mit.  1804  wurde  er  GeneraUnspektenr  des  Sanitätswesens.  1812 
fiel  er  in  russische  Gtofangenschalt  (Biogr.  Lex.  II  163.) 

»t)  Gf.  das  dtierte  Buch  von  Gox,  femer  Biogr.  Lex.  n.  97.  Gallisen  IV. 

380.  Horn,  Rechenschaftsbericht,  Formey,  Topographie,  Ideler  &  Blankenstein, 
die  städtiBche  Irrenanstalt  zu  Dalldorf,  Snell,  Orundzttge  der  Irrenpflege  1897. 
m)  Adolph  Henke,  1775  zu  Braunschweig  geboren,  wurde  1806  als 

ausserordentlicher  Professor  nach  Erlangen  benifen;  seine  Anstellang  ver- 
zögerte sich  aber  durch  die  kriegerischen  Wirren  bis  1816,  wo  er  ordent- 
licher Professor  für  Therapie,  Klinik  und  Staatsarzneikunde  wurde.  In  der 
Zwischenzeit  schrieb  er  sein  berühmtes  ,,I.(  lirbuch  der  gerichtliolifii  Medizin" 
(1812>,  weiches  iu  Aulla^eu  erlebte.   Anonym  verfaaste  er  eine  „L<ursteiiung 


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46 


der  Foldzüge  der  Verbündeten  gegen  Napoleon  1Ö13— ISK)"  in  4  Blinden 
(1814—1816).  Er  starb  am  8.  Aogfat  1843.  {Biogr,  Lex.  Iii.  149.  C«lli»en 
VUI.  337.  XX VIII.  471). 

59)  Adalbert  Friedrich  Marcus  aus  Arolsen,  geboren  1753,  Direktor 
des  gerammten  Medüdnulweäeus  sowie  aller  Hübpitäler  Fraukens,  vorher 
fUrsfebisdiOflicher  Leibarzt  za  Bamberg.  Er  war  Brownianer  mid  Natar- 
pbilosopb.  Von  seinen  Schriften  seien  genannt  „Prilftmg  des  Brownsoben 
Systems  der  Heilkunde  dnrob  Erfabmng  am  Krankenbette**  (1797— 99), 
„Magazin  für  spezielle  Therapie«  (1802— (»5 ),  „Entwarf  einer  speziellen 
Therapie",  3  Bünde  (1805—12).  Biogr.  Lex.  IV.  130.  Baader,  Lex.  yerst.  bayr. 
Schriftblei Icr  II.  IHO.) 

«0)  Heinrich  Meyer,  Sohn  des  Holapothekers  Meyer  zu  Stettin  (s,  u.), 
17f)7  geboren,  war  Anfangs  Pharmazeut,  studierte  seit  1794  Medizin  in 
Berlin  und  Halle,  wii-kte  seit  1798  in  Berlin  als  Arzt,  wo  er  bald  sehr  hoch 
geschätzt  wurde,  hielt  seit  1801  öffentliche  Vorlesungen  über  Physiologie. 
1813  wirkte  er  mit  grosser  Auibpferung  iu  den  Lazuretheu.  Er  Starb  am 
&.  August  1828.  (Biographisches  Lexikon  IV.  221.  Mensel,  gel.  Teutschland 
im  19.  Jahrb.  Y.  210.) 

ffi)  Gemeint  ist  anseheinend  Fdnnesrs  1809  bei  Amelang  erschienene 
Schrift  „Über  den  gegenwärtigen  Znstand  der  Medizin,  in  Hinsicht  anf  die 
Badung  kflnftiger  Ärzten. 

m)  Otto  von  Hnbn,  1764  za  Mitau  geboren,  impfte  als  Arzt  in  Riga 

ISCXi  die  ersten  Schutzblattern.  1809  gin-  rv  als  Gesandtschaftsarzt  nach 
Paris,  kehrte  1813  nach  Kussland  zurück  und  starb  1832  als  Direktor  der 
Krankenanstalt  Alexandershöhe  zu  Ki^^a.  Neben  seiner  ausf^edehnlen  Praxis 
hat  er  viel  geschrieben,  geographisches  und  ethnologisehes  über  Kussland 
namentlieh  aber  eine  Keihe  von  populären  .Schriften  zu  Gunsten  der  Schutz- 
pockenimpfung. (Biogr.  Lex.  IU.  311.  v.  liecke  u.  Napiesky,  allgem.  Schriftst. 
XL  GeL-Lex.  d.  Prov.  Llvland,  Esthland  uid  Kurland.) 

•a)  Johann  Friedrich  Heinrich  von  HIeronymi,  geb.  1767,  seit  1794 
Leibarzt  befan  Herzog  Karl  von  Meckl^bni^  in  Nenstrelitz,  starb  am 
3.  Angnst  1836.    Mit  Heim  zusammen  behandelte  er  die  KOnigln  Luise  in 

ihrer  letzten  Krankheit.  Um  die  EinfUhrung  der  Schutzblattem-Impftmg  in 
Mecklenburg-Strelitz  hat  er  sich  verdient  gemacht  (Biogr.  Lex.  UI.  201. 
Callisen  VIII.  491.  92.) 

ci)  Heinrich  Kohl  rausch,  ein  Hannoveraner,  war  durch  Wilhelm  von 
Humboldt  nach  Berlin  gezogen  worden,  der  ihn  wllhrend  Kohlrauschs 
Aufenthalt  in  Italien  1804  — 18<>8  kennen  gelernt  hatte;  Kohlrausch  hatte 
Humboldts  l  amilie  ärztlichen  Beistand  geleistet.  Er  habilierte  sich  im 
Winter-Semester  1810/11  als  Privatdozeut  au  der  Universitilt  und  wurde 
zweiter  Wundarzt  an  der  Gharitö.  1815  trat  er  als  Geheimer  Medizinalrafh 
in  das  Altensteinsche  Ministerium  ein.  Seine  Widersacher  behaupteten,  er 
wirke  mehr  durch  seine  imponierende  PenriJnlichkeit  als  durch  besonders 
gründliches  medizinisches  Wissen,  mussten  aber  zugeben,  dass  er  zu  den 
glücklichen  .Ärzten  gehöre.  Jedenfalls  gelangen  seine  Kuren  meist  und  er 
erfireute  sich  einer  aosgedeimten  Praxis.    Aus  Italien  hatte  er  ein  reges 


^  ij .  .-Lo  Ly  Google 


Am  den  Tkgelifleliim  des  altm  Hdm. 


47 


Ktmsti'nteresso  mitgebracht;  er  besass  reiche  Sanmilungen.  Über  seinen 
Streit  mit  Horn  siehe  Note  73.  (Aschorson,  Urknii<leu  zur  Geschichte  der 
Jubelfeier  der  Universität  p,  231.  Parthey,  Jugend crinuerungen  I.  G2.  II.  60  tj. 

«.>)  AtiguBtin  Friedlich  W«Uher,  berObmter  Anatom  zu  Leipsigp,  geboren 

EU  Wittenberg  1688. 

6*0  Die  Hufelandschc  Gesellschaft  irurde  in  den  beiden  Versammlungen 
am  1.  und  28.  Februar  isld  als  erste  Gesellschaft  zur  Fthderung  der  Mcdi/.in 
und  Chirurgie  in  Berliu  gegründet,  nachdem  Hufeland  mittels  eines  Schreibens 
vom  5.  Januar  eine  Auswahl  der  Ärzte  und  Wundärzte  Berlins  dazu  ein- 
geladen hatte.  Ohne  Zweifel  hat  die  am  15.  Januar  1799  von  Ueim,  Goercke, 
Wall,  Boer»  Welper  und  Böhm  begründete  GeseUschait,  in  die  aaeh  Hnfe- 
land  nach  seiner  Überdedelnng  nach  Berlin  an^enonunen  wurde,  ihm  den 
Gedanken  einw  VergröBsemsg  tmd  Verallgemeinerung  dieses  Urztliehen 
Vereins  nahe  gelegt,  so  diiss  man  wohl  den  Scchs-Ärztc-Verein  von  1709 
als  Urquell  der  Hufelandschen  Gesellschaft  betrachten  kann.  Die  Zahl  ihrer 
Mitglieder  war  nicht  gebunden;  Ehreimiit^lieder  gab  es  nicht,  <lagegen 
wurden  korrespondierende  Mitglied«  r  urnuunt,  namentlich  seit  der  Kevision 
der  Satzungen  1822.  Zur  Belebung  des  geistigen  Verkehrs  wurden  ein  Lese- 
zirkel errichict  und  eine  Bibliothek  begründet.  Bei  Hulclundä  Dokioi-jubiläum 
1833  wurde  der  bis  dabin  geltende  Name  .^Cedizinisch-cbimigisehe  Gesell- 
sdiaft^'  in  den  jetagen  umgewandelt  Der  Vorstand  besteht  ans  dem 
Direktor»  dem  Vizedirektor,  dem  Zensor,  (diese  beiden  Ämter  bekleidete 
Heim),  3  Sekretären  und  dem  Bibliotiiekar.  Ausser  den  regelmilssig  alle 
14  Tage  stattfindenden  Sitzungen  feierte  die  Gesellschaft  alljährlich  ihren 
Stiftungstag  (1.  Februar)  und  da*-  Jenncrfcst  (11.  Mai).  Ausserdem  wurden 
noch  anfangs  eine  Zeit  lang  Harvey  und  lialler  ^»^efeieri.  Die  Versjimmluiigen 
fanden  Abends  von  5—7  Uhr  statt,  als  zu  der  fllr  einen  Arzt  günstigsten  Zeit; 
die  Auirechterhultung  der  Ordnung  lag  dem  Zensor  ob.  Gegenstände  jeder 
Versammhmg  waren  snost  dne  koUegialiidi^praktiaclie  Dtsknssion,  dem 
folgten  eine  litterarlsehe  Besprechung  nnd  ein  oder  mehrere  Vortrige,  die 
vcrber  angemeldet  worden.  Am  BegrOndmigstage  traten  60  Mitglieder  bei, 
1833  besass  die  Gesellsebaft  522  Mitglieder,  darunter  192  ordentliche  und 
330  korrespondierende.  (Geschichte  der  Hnfelandschen  Gesellschaft  1833.) 

m)  Offenbar  knttpft  sich  hieran  die  bekannte  Anekdote,  dass  Heim,  als 
Hofeland  ihm  vorhielt,  wie  er  es  dereinst  vor  Gott  würde  rerantworten 

können,  ein  .solches  Gift  als  Arzt  gebraucht  an  haben,  diesem  entgegnete, 
er  werde  zum  lieben  Gott  dann  sagen:  „Alter,  das  yerstehst  da  nicht". 

m)  Dies  geschah  1811  nnter  dem  Titel:  Allgemeine  Betrachtungen  über 
die  Natur  und  die  Behandlung  der  Kinderkrankheiten"  (aus  A.  F.  Heckers 
Annalen  besonders  abgedrudtt). 

w)  „Über  die  Natur  und  Behandlungsart  der  häutigen  Brünne;  Versuch 
einer  Beantwortung  der  auf  Befehl  des  französischen  Kaisers  über  diesen 
Gegenstand  angestellten  Preisfrage."    Bamberg  und  WUrzburg  1810.  Die 

Rezension  Heims  erschien  in  Horns  Archiv  ISIO,  Bd.  XII.  p.  .'3r)(i  nebst  einem 
Anhange,  einige  neuere  Beobachtungen  und  Erfahrungen  Uber  den  Croup 


48 


Georg  Siegerist. 


enthaltend.  (Heims  yennischte  medizinische  Schriften,  heraosgegeben  ron 
Paetsch  p.  233.) 

TO)  Stiftungsfest  der  Anstalt  Das  Thema  Heckers  lautete:  „Von  dem 
Büiflnsse  Xehter  nnd  nnSohter  Natorphilosophie  auf  die  Wissenschaft  nnd 
die  Kunst  in  der  Chirurgie".  (Schickert,  die  militärftrztlichen  BUdungs- 
anstalten  264.  Über  das  Btiftongsfest  selbst  cf.  Schickert  p.  63  f.) 

n)  Johann  Christian  Reil  ans  Rhaude  in  Ostfiriesland,  geboren  am 

28.  Februar  1759,  wurde  1788  Professor  und  Direktor  der  Klinik  in  Halle, 
1810  als  Frofessor  für  klinische  Medizin  nach  Berlin  berufen,  starl^  am 
Typhus  am  22.  November  1813.  Keil  war  der  Hauptvertreter  der  Lehre 
vom  Vitaiismus,  der  sogenannten  Lebenskraft,  die  er  in  geistreichster 
Weise  in  seiner  Schrift:  „Über  die  r>ebenskraft'  im  Archiv  für  Physiologie 
1796  L  H.  auseinandersetzte.  Alle  Erscheinungen  sind  danach  entweder 
Materie  oder  Vorstellungen;  der  letzte  Grund  leider  ist  nnerforsclilich. 
Der  Onmd  aller  Erscheinungen  thieriseber  KOrper,  die  nicht  Yorstellnngea 
sind,  liegt  in  der  thierisehen  Uaterie,  in  der  ursprOnglichen  Verschiedenheit 
ihrer  Ornndstoffs  und  deren  Mischung  und  Form.  Diese  sind  die  all- 
gemeinsten  Ursachen  aller  Erscheinungen  der  KOrperwclt.  Aus  diesen 
Grundursachen  der  Materie  gehen  zunächst  ihre  Eigenschaften  hervor. 
Kraft  ist  „das  Verhältnis  der  Erscheinungen  zu  den  Eigenschaften  der 
Materie,  durch  welche  sie  erzeugt  werden".  Danach  bcrnheii  auch  die 
Äusserungen  der  „Lebenskraft"  durchaus  auf  materiellen  Zustünden,  welche 
sich  vorlHuhg  in  B^'olge  des  unvollkommenen  Zustandes  der  organischen 
Chemie  und  der  Lehre  von  den  Imponderabilien  der  sinnlichen  Wahr« 
nebmung  entziehen.  Da  Jeder  TbeO,  jedes  Gewebe  und  Organ  des  EOrpers 
sefaie  nur  ihm  eigenthttmlichen  Erscheinungen  darbietet,  besitzt  auch  jeder 
sehie  besondere  Lebenskraft,  Erregbarkeit,  Erankheitsanlage  ete.  Durch 
sein  Verlangen,  diese  Lehre  wissenschaftlich  zu  begründen,  wurde  R.  der 
Schellingschen  Naturphilosophie  in  die  Arme  geführt.  Er  nannte  schliesslich 
den  Lebensprozoss  einen  „potenzierton  galvanischen  Pro/cess",  ohne  weder 
das  Wesen  dieses  Galvanismus,  noch  die  Möglichkeit,  die  Art  und  den 
Grad  dieser  Potenzierung  näher  zu  begründen. 

Er  thcilte  die  Heilkunde  in  !.  die  akologischc,  physisch-mechanische, 
chirurgische,  *?.  die  chemische,  dynamische,  im  eigentlichen  Sinne  medizinische, 
3.  die  psychische.  Systeme  und  enge  Foimen  kannte  er  nicht;  Brown  halte 
füi*  ihn  wenig  anziehendes.  Seine  Diagnose  war  für  jeden  Fall  eine  be- 
sondere Kombination.  Er  sachte  den  Kranken  nicht  stückweise,  sondern  in 
der  Totalität  seines  Daseins  zu  begreifen.  Der  praktischen  Medizin  wollte 
er  durch  Ihre  Verbindung  mit  der  Phsrsiologie  eine  wissenschaftliche  Unter- 
lage Terschaffen,  wozu  ihn  seine  Genialität^  setai  Flelss,  seine  Vertrautheit 
mit  der  Anatomie,  Physiologie,  der  Chirurgie  und  Augenheilkunde  in 
hervorragendem  Masse  befUhigton.  Wilhelm  v<m  Humboldt  empfahl  ihn  mit 
folgenden  Worten  zum  Professor  der  Therapie  an  der  Berliner  Universität: 
,,Es  ist  wohl  nur  eine  Stimme  darüber,  dass  er  zu  den  ersten  Arzteu 
Deutschhinds  ii:eh<">rt:  er  hat  nnh'n;,'-!>ar,  vorzllirlich  in  den  letzten  Jahren, 
dem  mediziniächeu  Studium  als  Lehrer  und  öchriitsteller  eine  entscheidende 


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Adb  den  Ttg»b(lchflm  des  «Itan  flebn. 


49 


Richtnnpf  g-egebcn.  .  .  Er  hat  über  die  Einrichtnne:  (1er  medizinischen  Studien 
Ideen,  welche  schon  fllr  sich  sehr  wünschensworth  maclicii  würden,  ihn  für 
die  neue  Lehranstalt  zu  gewinnen,  und  er  empliehlt  sich  nocii  übt  i  i  lies  durch 
seinen  moralischen  Charakter."  Es  sei  mir  noch  gestattet,  Rudolphis  Unheil 
über  Keil  liier  anzofTibren:  „Man  wird  selten  einen  Mann  finden,  der  dio 
Ffille  Yon  Kenntnissen  mit  einem  so  hellen  BUek  und  so  vieler  Heiterkeit 
TerUndet.  .  .  Reils  Qesicht  hat  ausserordentlich  viel  Leben,  und  es  ist  aueh 
alles  an  ihm  Oeist  nnd  Feoer,  er  hat  fOr  alles  in  seinem  Fach  Interesse  und 
weiss  alles,  was  man  ihm  g^ebt,  Teredelt  anrÜckiiigebeiL  Giebt  es  eine 
ftuchtbare  Ansicht  der  Physiologie,  so  ist  es  die  seinige;  ich  kenne  kein 
medizinisches  System,  das  mir  genügte,  doch  boflfe  ich,  dass  wir  auf  dem 
Wege,  den  Keil  gezeigt  hat,  dazu  kommen  werden,  wenngleich  nicht  bei 
meiner  Lebenszeit,  da  uns  noch  so  viele  positive  Kenntnisse  fehlen.  .  .  Die 
luftigen  Systeme  der  j)hilosophisch  genannten  Ärzte  sind  Meteore,  denen  nur 
SchwUrraer  und  Kinder  naclijagen.  Als  wissenschaftliche  Darstellungen 
können  sie  nicht  gelten,  weil  sie  fast  ganz  der  Phantasie  ihren  Ursprung  ver- 
danken, nnd  als  Poesien  kISnnen  de  nidit  reisen,  weil  sie  sn  sehwerfiUlig 
sind.  Doch  ich  schweige,  denn  alles,  was  itzt  dagegen  gesagt  wird,  ist 
fincbtlos,  so  flnudittoe,  als  alles,  was  gegen  eine  Terderbliehe  Mode  gesagt 
wird;  die  Zeit  schwhidet,  und  dieser  Systeme,  dieser  Mode  gedenkt  niemand 
mehr.*'  —  Von  Beils  Schriften  seien  noch  genannt:  „Rhapsodien  über  die 
Anwendung  der  psychischen  Kurmethode  auf  Geisteszerrüttungen"  (1803), 
worin  er  eine  packende  Schilderung  von  den  erbUrralichen  ZustHnden  der 
deutschen  Irrenhäuser  giebt,  wie  er  überhaupt  für  psychiatrische  Studien  eine 
grosse  Vorliebe  hatte,  ferner  , »Entwurf  einer  allgemeinen  Pathologie"  und 
„Entwurf  einer  allgemeinen  Therapie'S  die  beide  erst  nach  seinem  Tode, 
1815  und  1816  erschienen.  (Biogr.  Lex.  IV.  691.  Haeser  II.  78ü  f.  Steffens, 
J.  C.  Beil,  dne  Denkschrift  [1815],  Bndolphi,  Beiseeiümenmgen  p.  49.  50. 
KOpke,  Gründung  der  Universität  Berlhi  p.  72.) 

m)  Carl  Ferdinand  v.  Graefe,  geboren  den  8.  MUrz  1787  zu  Warschau, 
studierte  in  Dresden,  Halle  und  Leipzig,  wurde  nach  kurzem  Wirken  in 
Ballenstedt  als  Hofar/t  des  Herzogs  Alexius  von  Anhalt  1811  als  Professor 
für  Chirurgie  und  Direktor  des  klinisch-chirurgisch-augenHrztlichen  Instituts 
nach  Berlin  berufen,  wo  er  bald  eine  glUnzende  Praxis  entwickelte.  Be- 
deutendes leistete  er  während  der  Befreiungskriege  als  dirigireuder  Divisions- 
generalarzt in  den  lAsaretiben.  Im  ganzen  wurden  130  000  Kranke  und  Ver- 
wundete in  die  von  ihm  geleiteten  Anstalten  aufgenommen.  Nach  der 
Seblaoht  b^  Qrossbeeren  brachte  er  16  ODO  in  3  Tagen  in  Berlhi  unter. 
^Während  der  Belagerang  des  vom  Typhus  heimgesuchten  Torgau  schrieb 
er  im  Lager  die  Schrillt :  „Die  Kunst,  sich  vor  Ansteckung  bei  Epidemien  zu 
schützen.  Ein  Urztlicher  Ilath  an  Torgaus  Bewohner",  die  er  unentgeltlich 
vertheilen  Hess.  1822  wurde  er  :!  General-Stabsarzt  und  Mitdirektor  der 
militUrürztlichen  Bildungsanstalten.  Seine  TLiuptleistungen  liegen  auf  dem 
Gebiete  der  Augenheilkunde  und  der  operativen  Chirurgie;  er  erfand  und 
verbesserte  hier  zahlreiche  Instrumente.  Kr  starb  zu  Hannover  am  1  Juli 
1840.    (Biogr.  Lex  III.  628.    Calliscn  VII.  329.   Bernstein,  GeschichLe  der 

Axch.  4 


50  OeoTg  Stogniat 

Chirurgie  TT.  50^.  cf  don  T'nnop^'rikns  auf  Graefe  von  Michnelis,  C.  F. 
T.  Graefe  in  seiaem  öOjUUhgeu  Wirken  für  Staat  und  Wissenscliait) 

n)  Eine  genaae  und  akteoniXnige  Darateltmig  des  Fallea  Kohlrausch- 
Horn  findet  sich  in  Bartels,  Rechtfcrtig-ungsschrift  für  den  Herni  Doktor 
Emst  HoiTi,  nach  den  Akten  verfasst  Berlin  1812.  Dr.  Kohlrauseh  war  im 
Juli  1810  zum  Geheimen  Medizinalrath  und  ordentlichen  Mitgliede  des  Do- 
partcments  der  allg-emeinon  Polizei  ernannt  worden,  wodurch  er  Mitglied 
einer  der  Charit*'  vorgesetzton  Hcliörde  wurde.  Kr  hatte  sifh  Juni  1810  er- 
boten, die  nähere  Aufsicht  über  die  Abtheiluugen  der  äusseren  Kranken  und 
des  Accoachements  In  der  Oiai1t6  zu  Übernehmen,  wdches  Anerbieten  die 
Sektion  Ittr  das  Medidnalwesen  angenommen  hatte.  Horn  als  2.  dirigirender 
Arzt  besehwerte  sich  Uber  diesen  Eingriff,  wurde  aber  abgewiesen.  Kohl- 
rauseh beschuldigte  daraof  Horn  beim  Ministerium  des  strafbaren  Eigen- 
nutzes etc.  Diese  Reibereien  dauerten  das  ganze  nHehste  Jahr;  Horn 
wurde  auch  mit  seinen  hierüber  eingereichten  Besciiwerden  abgewiesen. 
Namentlich  legte  ihm  K.  zur  Last,  den  Tod  einer  Wahnsinnigen  dadurch 
verschuldet  zu  haben,  dass  er  sie  in  den  8ack  stecken  lics.'^.  (Der  „Sack", 
ein  Straf-  und  Hiindijrungsniittel  der  damaligen  Irrenpflege,  bestand  au.s  loser 
Sackleinwand,  so  dass  mau  jeden  Gegenstand  durch  das  Gewebe  hindurcli 
sehen  konnte,  war  sechs  Fuss  lang  und  hatte  einen  Darcbmesser  von  16  Zoll. 
Das  Kopfende  war»  um  das  Licht  besser  von  dem  Kranken  abzuhalten,  mit 
grober  Wachsleinwand  umgeben,  die  lose  wie  eine  Gardine  um  den  Kopf 
des  Kranken  hing.  Die  Athmung  konnte  selbst  durch  mehrere  Übereinander 
gezogene  Säcke  nicht  gehindert  wenlcn.)  Auf  Grund  dieser  Denunziation 
lies<5  dor  Polizeiprltsident  v.  Schlochtondal  die  Angcstellti'u  iUt  Au.'italt  gegen 
den  dirigirenden  Arzt  vernehmen,  und  da.s  Justi/Mluisterium  befahl  die  Ein- 
leitung einer  Untersuchung,  aus  der  Horn  auf  (irund  des  Befundes  der 
Oeffnung  der  betreifenden  Leiche  gerechtfertigt  hervorging.  Die  angesehensten 
Berliner  Aerzte  waren  fttr  ihn  eingetreten,  wie  Reil,  Heim,  MerzdoriT  ctc 
(Bartels  und  Horn,  Rechenschaftsbericht  über  meine  I2juhrige  DlenstfUhrung 
als  S.  Arzt  des  Charit^krankenhauses  in  Berlin.  1818.) 

74)  Johann  Karl  Frinirieh  Meyer,  Vater  des  Dr.  Heinrich  Meyer,  ge- 
boren 1733  zu  Stettin,  gestorben  2U.  Februar  JSll.  (Poggendorff,  IL  134, 
giebt  als  Sterbeort  Stettin  an,  dies  dttrfte  aber  nach  vorstehender  Angabe 
Heims  nicht  mOglich  sein,  sondern  M.  ist  in  Berlin  gestorben.)  Er  war  ein 
taehtiger  Chemiker,  korrespondierendes  Hitglied  der  Akademie  der  Wissen- 
schaftoi  und  der  Oes^chaft  natnrforsehender  Freunde  in  Berlin.  Die  von 
Hehn  gemeinte  Schrift  führt  den  Titel:  „Ober  Arzt*  und  Apothekerwesen*. 
(Poggendorf,  II.  134.   Callisen,  XXX.  365.) 

7»)  Zu  diesem  Tage  erschien  die  Festsdirift:  Christian  Ludwig  Mursinna, 
der  Jubelgreis.  Ein  Andenken  des  5.  Harz  1811  fttr  sehie  Freunde  und  Ver- 
ehrer. Im  Deckerschen  Verlage. 

n)  Die  Philomathische  Gesellschalt,  im  Herbst  1801  mit  dem  Chemiker 
BLlaprotfi  als  PrHses  und  dem  Philosophen  Bendavid  als  Sekretttr  begründet, 
nachdem  sie  als  zwanglose  Vereinigung  schon  vorher  bestanden  hatte,  beeass 


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Au  dea  Tagebüchern  des  alteu  Heim.  61 


«inen  ziemlich  tmiversellcn  Ciiarakter;  neben  Gelelirteii  ans  allen  Gebieten 
da*  Winensehaft  gehörten  ihr  ancfa  Kfinstler  an.  Da  die  Vorlesangen  der 
einielnen  Mitglieder  za  mgleiehartlg  waren,  als  dass  sie  allgemeines  Interesse 
hfitten  wecken  können,  wurden  sie  nur  in  korzer  Form  gehalten,  and  dann 

traten  GcBprllche  an  ihre  !>tclle.  Die  Znsammenkttnfte  fanden  wöchent- 
lich im  Englisclien  Hanse  in  der  Moiirenstrasse  statt.  (Bndolpbi,  Heise- 
bemerkungcn  I.  52.) 

77)  Karl  AsmuTid  Rndolphi,  ein  Schwede,  1771  (14.  Jnli)  zu  Stockholm 
geboren,  Schüler  Hufclands  in  Jena,   war  seit  Dozent  in  Greifswald. 

Zu  Anfang  des  vorigen  .Tahrhnnderts  machte  er  Reisen  durch  Deutsciilaiid,  Krank- 
reich,  die  Schweiz  und  Oesterreich,  deren  Erfahrnnj^-en  er  in  den  schon  öfter 
zitierten  Reiseerinnerungen  1804  niederlegte.  1810  wurde  er  als  Professor 
fUr  Anatomie  nnd  Direktor  des  anatomischen  Instituts  nach  Berlin  bemfen, 
wnrde  hier  Mitglied  der  Akademie  der  Wissenschaften  und  starb  am  29.  No- 
vember  1832.  Er  sehnf  die  Sammlungen  fttr  Histologie  nnd  Terglelchende 
Anatomie.  Seine  Arbeit  umfasste  ein  grosses  Gebiet:  Botanik,  Zoologie, 
Anatomie  (vergleichende  und  pathologische),  Physiologie,  Anthropologie 
Numismatik ;  auch  als  Kritiker  und  racdizini,scher  Historiker  war  er  thätig; 
eine  Gediciitsamnilung  von  ihm  erschien  I7!)s.  Er  war  ein  bep^eisierti-r  Ver- 
ehrer Ilallers;  in  seinem  Grundriss  der  Physiologie  zeigt  er  sich  als  nüch- 
ternen, allem  Hypothetischen,  namentlich  der  Nuturphisosopliie,  freilich  auf 
der  anderen  Seite  auch  den  Vivisektionen  abgeneigten  Forscher.  Sein  grosser 
Sehfller  Johannes  MtUler  hielt  ihm  die  Gedächtnisrede  in  der  Akademie  1837. 
Er  schrieb  nnter  Tielem  anderen  das  klassische  zoologische  Werk:  „Ento- 
zooram  sive  vermiom  intestinalinm  historia  natoralis*  (18<^— 1810),  (Biogr. 
Lex.  V.  112.  Haeser  IL  858.  OeL  Berl.  1825  p.  224.) 

TS)  Biogr.  Lex.  VI.  314.  Callisen  XSXIL  332.  Haeser  IL  784.  Lorlnser, 
Sdbstbiographie.  KOpke,  Gründung  der  Universitltt  Berlin. 

n)  Dr.  Schmidt,  Amannensis  Helms,  war  etaier  der  ersten,  die  in  Berlin 
magnetische  Euren  auslttlirton.  Sein  Glaube  an  die  Inspiration  seiner  Som> 
nambulen  ging  so  weit,  dass  er  anderen  Kranken,  die  er  mit  jenen  In  Rapport 
gesetzt  hatte,  die  von  den  Somnambulen  verordneten  heftigsten  Mittel  ohne 

weitere  Prüfung  gab;  „die  Kranken  wurden  das  Opfer,  der  ehrliche  Schwürmer 
gelangte  zur  Erkenntnis  seines  Irrthums  und  starb  selbst  aus  Gram  und  Ge- 
wissensTorwürfen".  (Köpke,  Gründung  der  Universität  Berlin,  p.  256.) 

80)  Bremer  hatte  diese  Pocken  an  Kühen  am  14.  Mai  in  Malchow  ent- 
deckt. (Gesch.  d.  Uufelandschen  Gesellscliaft.  p.  28.) 

si)  Benedikt  Geb el,  geb.  zu  Beichenbach  in  Schlesien  1772,  promovierte 
zum  Dr.  med.  in  Frankfurt  1794,  war  lange  Kreis-  und  Stadtjihysikus  zu 
Frankenstein  in  Schlesien,  Er  gab  heraus:  .Aktenstücke,  die  Möglichkeit 
der  t.'-ünzlichen  Blatternausrottung  betretlcnd"  (1802),  „Bemerkungen  über  die 
Blulleniepidcniie  zu  Frankenstein  1799"  (1801).  Xaclukuu  er  Medizinulraih 
und  Laudrath  des  Jaucrscljcn  Kreises  geworden  war,  wurde  er  i81G  ive- 
gierungsdirektor  in  Erftirt.   (Biogr.  Lex.  IL  512.   Callisen  III.  101.) 

aaj  Während  Hufelandä  Abwesenheit,  der  der  Künigüchen  Famiüe  nach 

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63 


Schlesien  gefolgt  war,  flihrte  Heim  den  Vorsitz  in  der  Geaellachaft.  (Geecb. 
d.  Hofelandscheii  Geseilsch.  p.  31.) 

83)  Bei  (lieser  Epidemie,  die  v(m  Ende  1812  bis  1814  dauerte,  führte 

Horn  in  der  Charite  das  Absondeningsprlnzip  durch  und  es  bew;ihrto  sieh 
vortrefflich.  Es  gelang  ilira,  die  Krankheit  auf  eine  Keihe  von  Zimmern  zu 
beschränken  und  ihren  Uebergang  auf  andere  Ahtheilungen  zu  ver- 
hüten. (Horn,  „Erfahrungen  Uber  das  ansteckende  Nerven-  und  Lazareth- 
üeber  etc.*  1814.) 

84)  liufeland  schlug  eine  Vereinigung  aller  Aerzte  vor,  um  die  alten 
ofßzinellen  Namen  der  Heilmittel  beizubehalten.   (Gesch.  d.  Hufelandscben 

Gesellschaft,  p.  37.) 

86)  Peter  Kruke nberg,  .der  Kliniker"  (Rohlfs),  geb.  1788  zu  Königs- 
lutter, studierte  in  Göttingen  und  Berlin,  Schüler  Heims  und  Reils,  machte 
die  Befreiungskriege  im  Lützowschen  Korps  erst  als  Jiigcr,  dann  als  Arzt 
mit,  und  wurde  trotz  noch  niobt  absol'vierfeeii  SteatitKameni  nadi  Hill«  be- 
rofen,  um  die  mediziniBClie  KUnik  zu  leiten.  Hier  wurde  er  einer  der  Be- 
grOnder  des  küniseben  Unteniebts.  1816  richtete  er  die  dortige  Poliklinik 
ein.  Er  stirb  «m  13.  Dezember  1865.  (Biogr.  Lex.  IIL  560.  Allg.  d.  Blogr. 
XVIL  237.  BoUft,  Klassiker  I.  520.) 

m)  Tb.  H.  Friedrieh  hielt  in  den  Wintern  1813/M  nnd  1814/15  satirisdie 
Vorlesungen,  in  denen  er  die  SSeitsostlnde  In  Jeder  Hinsicht  schürf  gelsselte. 

Die  Vorlesungen  erschienen  in  Buchform  unter  dem  Titel:  „Satyrischor  Feld- 
zug mit  humoristischen  Abschweifungen'.  3  Bde.  Berlin  1815/16.  In  Band  II. 
5.  Vorlesung  , Leben,  Thaten,  DenksprUche  und  höchst  merkwürdige  Schick- 
sale eines  Papagayen"  findet  sich  die  Verspottung  des  Dr.  Bandwurm  und  des 
Aerztestandes.  Doktor  Bandwurm,  Arzt  in  einem  grossen  Krankenhause,  wo 
er  auch  wohnte,  bcsass  den  rapugcieu  Pipu.  Bandwurm  hatte  in  dem 
Krankenhause  den  Brauch  eingeführt,  dass  die  fttr  die  Kmnkai  bestimmten 
Aneneien  mit  der  Nnmmer  des  Bettes  bezeichnet  wurden,  nm  Verwechse- 
Inngui  za  Termelden.  Bines  Tages  vergass  er  die  Nummern  seinen  Rezepten 
hinzuzufügen  und  der  Apothekergehilfe  begab  sich  in  des  Doktors  Wohnung, 
um  ihn  diese  Bestimmung  nachtr:i<;1tch  treffen  zu  lassen.  Die  Thür  war  ver- 
schlössen,  aber  auf  sein  Klopfen  hörte  er  den  bekannten  Huf  des  Doktors, 
„Werda".  den  der  Papagei  ausstiess.  Bandwurm  war  abwesend.  Der  Ge- 
hilfe, der  ihn  im  Zimmer  wMhnte,  fragte  nun  durch  die  Thür,  wer  das  Brech- 
mittel erhalten  sollte,  und  der  Papagei,  der  zählen  konnte,  rief  „Eins!"  Wer 
das  ChinadekoktV  ^Zwei!"  u.  s.  w.  So  empfing  er  sUmmtliche  Nummern  und 
liess  danach  die  Arzeneien  vertheilen.  NatOrUch  wirkten  alle  falsch,  ent- 
gegengesetzt der  Absicht  des  Doktors,  aber  als  dieser  entsetzt  ins  Kranken- 
haus  stUrzie,  um  das  Unheil  noch  abzuwenden,  waren  alle  Kranken  auf  dem 
W^e  der  Besserung  und  wurden  gesund. 

st)  Johann  Schweitzer,  geboren  1777  zuDanzig,  Arzt  in  seiner  Vater- 
stadt, Uess  sich  nach  den  Beflreiungskriegen  in  Berlin  nieder.  Als  AnhBnger 
des  thierischen  Magnetismus  schloss  er  sieh  hier  an  Wolfart  an,  In  dessen  Jahr- 
buch er  ^Geschichte  durch  den  Hagnetismus  gelungener  und  nicht  gelungener 


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Aas  den  TaKebflcbern  des  alten  Heim. 


68 


Kuren*  schrieb.  Er  starb  1824  am  17.  November.  (Biogr.  Lex.  V.  323. 
CalliBen  XVn.  438.  XXXII.  248.) 

m)  Abraham  Zadig,  geboren  1761  zu  Breslau,  liess  sich  1802  taufen, 
wobei  er  den  Nenum  Angiut  Theodor  Zantii  aanalim.  Ale  JerOme  1807  mit 
seiner  Gemahlin  naeh  Breslau  kam,  wurde  er  deren  Leibarst  Et  starb  1836 
zu  Polnisch-Lissa  In  Posen,  (ßogr.  Lex.  VI.  353.) 

w)  Karl  August  Wilhelm  Berends,  geboren  zu  Anklam  am  19.  April 
1759  (dem  Gel.  Berl.  1835  p.  16  zufolge  1754),  war  seit  1788  Professor  der 
Mediadn  in  Frankflirti  siedelte  mit  der  Viadrina  nach  Breslau  Uber  nnd 
wnrde  1815  als  Professor  der  medisinisehen  Klinik  nach  Berlin  berufen.  Er 

stand  als  gründlicher  Kenner  des  Hippokrates  und  überhaapt  der  älteren 
Medizin  in  hohem  Ansehen.  Am  I.  Dezember  1826  starb  er  als  Geheimer 
Medizinalrath.  Von  sciimn  Schriften  seien  hervorgehoben:  „Vieles,  nicht 
langes  Leben  ist  des  nsc  hen  Bestimmung''  (1792)  Nach  seinem  Tode  er- 
schienen 1827 — 29  ^Vorlesungen  über  die  praktische  Arzneiwibsenschaft*  nnd 

1830  „Lectiones  in  Hipi^ocsatis  uphoriömos".  (Biogr.  Lex.  VL  345.  Callisen 
XXI  411.  XXXin.  353.) 

so)  Johann  Jlalfatti,  Edler  von  Monteregio,  1776  zu  Lucca  geboren, 
Arzt  zu  Wien.  Während  des  Kongresses  erfreute  er  sich  grosser  Beliebtheit 
bei  den  fremden  Fttrsten  nnd  Diplomaten.'  Er  war  BegrOnder  nnd  erster 
Präsident  der  K  K.  GeseUschafI  der  Aerxte.  (Biogr.  Lex.  IV.  105.  Callisen 
Xn.  147.  XXX.  204.) 

•i)  Bardeleben,  Lehrbuch  der  Ghiroi^e  und  Operatlooslehre  L  Haeser, 
Gesehidite  der  Medizin  L  IL  Pitha  u.  BiUrofh,  Handbuch  der  allgemeinen 
nnd  spesidlen  Chirurgie  m.  1.  A.  Abschn.  HL  t.  Gräfe,  Bhinoplastik. 
Fritze  u.  Boich,  Die  plastische  Chirurgie  in  ihrem  weitesten  Umfange.  Dieffen> 

bach,  Die  operative  Chimrg-ie  I.  und  Chirurgische  Erfahrungen  besonders 
über  die  WiederherstelloDg  zerstörter  Theile  des  menschlichen  KOrpers. 

m)  Johann  Nepomnk  Ritter  v.  Rnss,  am  5.  Oktober  1775  auf  Schloss 
Johannesberg  zu  Jauemig  in  Österr.-Schlesien  geboren,  wurde  1815  aus 
Österreich,  wo  er  in  Wumi  und  Prag  studiert  liatto,  nach  Preussen  berufen, 
und  1816  als  Nachfolger  Mursinna.s  Professor  der  Chirurgie  und  Augenheil- 
.  künde  an  der  medizinisch-chirurgischen  Militär-Akademie,  1818  a.  o.  Professor 
an  der  Universität,  1821  Geh.  Med.-Kath  und  vortragender  Rath  im  Kultus- 
ministerium, nach  Goerkes  Tod  1822  General-Stabsarzt,  1824  ordentl.  Pro- 
fiBssor.  Friedrich  Wilhelm  IV.  ernannte  ihn  1840  zum  KOnigL  Leibarzt,  doch 
starb  er  am  9.  Oktober  dieses  Jahres.  Er  war  ehi  guter  Lehrer  und  Ope- 
rateur, Tor  allem  tüchtiger  Medizinalbeamter.  Als  solcher  beseitigte  er  die 
Trennung  zwischen  Civil-  und  MilitUrärzten  und  vereinigte  die  bidier  in  der 
Praxis  geschiedene  Medizin  imd  Chirurgie.   Sehr  missliebig  machte  er  sich 

1831  durch  seine  geradezu  wtMcr^innigen  Absperrungs-  und  Vorsichtsmass- 
regeln gegen  die  Cholera,  die  man  bei  Streckfuss,  Berlin  im  19.  Jahrhundert 
II.  p.  360  ff.  sehr  ausführlich  verzeichnet  findet.  (Biogr.  Lex.  V.  127.  Callisen 
XVI.  439.  XXXIl.  .53.    Gel.  Berlin  18Ü5,  p.  231  tf.) 

n)  Si  non  ö  vero,  ö  ben  trovato.  Bekaimtlich  kam  Graefc  erst  nach 


54 


dem  Tode  der  Königin  nach  Berlin;  auch  das  Auftreten  als  deoB  ex marhina 
in  der  Anekdote  beweist  deren  freie  Erfindung. 

m)  AnfiOttze  von  Ruas  Aber  Hunger-  nnd  Lmnctionskiiren  sind  in  den 

Jahren  181G,  19,  21,  40  in  seinem  Magazin  für  din  gesammte  Heillmnde  oder 
in  seinem  theoretisch-praktischen  Handbuch  der  Cbirorgie  ete.  erschienen. 

m)  Als  Festschrift  erschien  Prenss,  Goerkes  Leben  und  Wirken, 
2.  Anii.  1818. 

m)  Nach  dem  Sitzongsbericht  waren  es  sogar  4  Patienten.  Das  von 
Heim  so  gelobte  Knnsterzengniss  stellte  eine  ToUkommen  wohlgebildete,  mit 
warme  und  Gefühl  begabte  Nase  dar.  Es  ist  die  von  GrKfe  nach  der 
deutschen  Methode  gebildete.  In  seiner  „Rhinoplastik*  giebt  GrUfe  an,  die 
Vorstellnriir  sei  am  7.  Novombor  orfolfjt;  dem  widerspricht  wie  hier  Heims 
Taji:el)uch  auch  der  Sitzunfrsbericht  der  niodiziiiiselion  Gesellschaft,  der  im 
übrigen  genau  dasselbe  Urtheil  enthUlt,  wie  Ueim  es  liier  ausspricht.  (Ge- 
schichte der  Hufelaiuischen  Gesellschaft.  50.) 

97)  Friedrich  "Wilhelm  Fcrdiuand  Schult^,  gc'boren  zu  Perleberg 
31.  Juli  1775,  war  seit  1798  Arzt  in  Berlin,  wurde  l^oO  Hofrath,  brachte 
1801  die  Schutzpocken  nach  Petersburg.  1813—15  leitete  er  die  Berliner 
Lazarethe.  Er  starb  am  13.  April  1831.  (ßiogr.  Lex.  V.  300.  Callisen, 
XXXII.  322.) 

98)  Dr.  Johann  Karl  Horlachcr,  prcussischcr  Militiirurzt.  1799  wurde 
er  Oberarzt,  1806  Stabsarzt  an  der  Pepini6re,  1819  Regimentsarzt  in  Berlin. 
(Prenss,  Friedrieh  Wflhelms-Ihstitut,  p.  149.) 

99)  Georg  Gustav  Philipp  Ilauck,  Geh.  llofrath,  j^eboren  25.  Juni  1783 
zu  Berlin,  war  Schüler  von  ilursinna.  Heim  imd  seinem  Vormund  Ribke, 
widmete  sich  vorzugsweise  der  Geburtshilfe  nnd  war  DhrelEtor  des  Hebammen- 
Instituts.  (Biogr.  Lex.  HI.  82.) 

100)  Preuss  gab  als  Festschrift  heraus:  „Das  Königlich  preussischo 
medizinisch-chirurgische  Friedrich  Wilhclms-Institut,  ursprünglich  chirurgische 
Pepini^re  zu  Berlin.  Ein  geschichtlicher  Versuch  zum  25.  Stiftungstage  des- 
selben, dem  2.  August  1819.  Gedruckt  in  der  Ungeraehen  Buehdruckerei* 

Johann  Duvid  iJrdmann  Preuss,  geboren  zu  Landsberg  a.  W.  am  » 
1.  April  1785,  war  seit  1816  ordenUicher  Lehrer  der  Geschichte  an  der 
Fepinitoe.  Ausser  den  schon  genannten  beiden  Schriften  gab  er  eine 
«Preussisch-Brandenburgische  Geschichte  unter  den  EOnigen*  (1816)  heraus 
und,  auf  ein  ganz  anderes  Gebiet  abschweifend,  »Siona,  Herzenserhebungen  in 
Morgen-  und  Abendandachten  der  vorzüglichsten  deutschen  Dichter*.  (Gel. 
Berlin  1825,  p.  202.) 

m)  Karl  Georg  Neumann,  geboren  zu  Gera  13.  ICBrz  1774,  zuerst  in 

sächsischen  Dii  nston,  wurdr  1R16  preussischer  Regierungs-Medizinalrath  in 
Stettin,  1819  dirigierender  Arzt  und  Lehrer  der  medizinischen  Klinik  an  der 
Charitö,  starb  isr)f)  7m  Aachen.  Kr  war  ein  Hauptvertreter  der  naturphilo- 
sophi-schen  Scliul.'.  (Bio;;r.  Lex.  IV.  359.  Calli.sen  XIII.  470.  XXXI.  31.) 
Nach  dem  Sitzungsbericht  (Gesch.  d.  IIufeland-Gcs.  50)  gab  er  in  der  nicht 


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Ans  den  Tagebflcfaem  de«  alten  Beiin. 


65 


TOn  ihm  selbst,  sondern  von  Professor  Osann  voigeleaenen  Abhandlung  eine 
Übersicht  der  in  dem  letzten  halben  Jahre  in  dor  Charite  behandelten 
Kranken,  des  allg'emoin  licrrsclicjidon  Kranklieitscharakters  und  der  in  der 
Charite  beobachteten  merkwürdigsteu  Krankheitsfölle. 

loi)  Die  cgyptisehe  AQgenentzttndiuig  hemchte  zn  der  Zeit  epidemlseb 
in  der  preiuaiscben  Annee. 

t«B)  Dietrich  George  Kieser,  einer  der  Haaptvertreter  der  natnrphilo- 
Bophlechen  Rlehtnag,  war  Professor  in  Jena.  1847  ttbemahm  er  die  psycbia- 
triscbe  KlinüL  in  Jena  und  widmete  von  da  an  seine  Thätigkdt  den  Qeistes 

■krankhoiten.  Als  hOcIiste  Aufgabe  der  Heilkunde  betrachtete  er  ,die  philo- 
sophische Konstruktion",  aber  keiner  von  den  Anhängern  SclK-llings  hat  es 
so  yvio  er  verstanden,  eine  Fülle  empirischer  Thatsachen  unter  allgemeine 
(iesi(;litispiinkte  zu  bringen-  Krankheit  ist  ihm  ein  im  gesunden  Organismus 
entwickelter  rüeksohreitender  Lebensprozess,  ein  niederer  (d.  h.  anf  einer 
niedrigeren  ötule  der  Entwicklung  stehender)  Organismus,  der  mit  liecht 
eine  Afterorganisation  genannt  werden  konnte.  Seine  Arbeiten  ttber  die 
Entwieklnngsgescbicbte  nnd  die  Anatomie  der  Pflanzen  siehem  ilun  in  der 
Gesdiicbte  der  Natnrforsohnng  eine  ebenso  ebrenyoUe  Stelle,  wie  seine 
Elemente  der  Psycliiatrik  in  der  Medizin.  Auch  dem  Mesmerismns  war  er 
niclit  abhold;  er  schrieb  ein  „System  des  Tellarismns  Oder  thierischen  Magne- 
tismus" (1^21—2?).  Mit  besonderer  WUrme  nahm  er  sich  auch  des  Ge- 
fangenen- und  Inenheilwesens  an.  (Biogr.  Lex.  III.  470.  üaeser  IL  821. 
CaUisen  X.  löö.  XXiX.  244.   Hirsch,  Gesch.  d.  Med.  416.) 

m)  Die  Aphorismen  sprechen  von  der  schnellen  Tötlichkeit  einer  in 
hitzigen  Fiebern  schnell  entstehenden  anginilsen  Affektion.  (Gesch.  d.  Hofe- 
land-Ges.  58.) 

106)  Gemeint  ist  Hahnemanns,  des  weltbekannten  Begründers  der 
Homöopathie  «Oiganon  der  rationellen  Heilkunde«,  Dresden  1810.  Die  zweite 

Auflage  erschien  1>^19  unter  dem  Titel  .Organon  der  Tleilkunst".  374  Seiten 
stark.  Ks  ist  ins  Französische,  Englische,  Italienische,  Kossische  tibersetzt. 
CCaUisea  VUL  43.) 

.  Mt)  Siegismnnd  Friedrich  Hermbstädt,  Dr.  med.  et  phil.,  geboren  zn 

Eriftirt  14.  April  1760,  studierte  Pharmakologie  und  Chemie,  leitete  in  Berlin 
die  Apotheke  des  verstorbenen  Valentin  Kose.  Seit  1787  hielt  er  hier  Privat- 
vorlesungen über  Chemie,  Phynik,  Teclmniogie  und  Pharmacic;  1791  wurde 
er  Professor  der  Chemie  und  Pharni;i/ie  am  Coli,  med.-chir.  und  Leiter  der 
Küniglichen  Uotapotheke.  Er  starb  als  Geh.  Medizinalratli  am  22.  Oktober 
lö'd'd.  Seit  der  Stiftung  der  Universität  wai-  er  auch  Professor  an  dieser, 
seit  1793  IGtglied  der  Geselisebaft  natorfbrselkender  Freunde  nnd  seit  1803 
der  Akademie  der  Wissenschaften.  (Biogr.  Lex.  UL  173.  Gel.  Berlin  1885 
p.  313.) 

107)  Georg  Stcglehner,  Dr.  med.,  PTosektor  am  anatomischen  Theater 
zn  Bambeig.  1817  erschien  Yon  ihm:  „De  hermaphroditamm  natura  traetatns 
anat  physiol.  pathologicns".  (CaUisen  XVHL  337.) 


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56 


Geoig  Siegexist. 


loa)  Karl  Aiig^ust  Wc inhold,  zu  Meissen  1782  g-eboren  (17ft3  nach 
Andreae,  Clirouik  der  Ärzte  des  Kegieiiiu^^äbezirks  Magdeburg),  trat  in 
titchflisehe  lUlitXr^BanitStsdienste,  wurde  1815  preiusiscber  Medizinalrath  in 
Merseborg,  1817  ordentUcdier  Professor  fttr  Hedtzln  und  Chimrgie  in  Halle, 
wo  er  am  39.  September  1829  starb.  Er  war  ein  tüchtiger  Physiologe  und 
Chirurg,  aber  Hypochonder  und  litt  zeitweilig  an  Verfolgungswahn.  Neben 
der  Medizin  war  er  auf  vielen  anderen  Gebieten  schriftstellerisch  thätig;  aof 
politischem  in  den  Schriften  «Arndt  und  Kotzebue  als  politisohe  Schriftstcllor** 
(1814),  „Ermunterung-  zum  Kampfe  im  Geiste  der  Zeit  geg-en  den  Geist  der 
Finsternis.  Ein  Wort  verauhisst  dureh  die  Feier  des  Krüimngs-  und  Ordens- 
festes 1819."  (1819).  l)a^  Gebiet  der  Volkswirthächaft  berührt:  „Das  Gleich- 
gewieht  der  Bevölkerung  als  Grundlage  der  Wohlfahrt  der  (Jesellschaft  und 
der  Eumilien".  Eine  eigenthümliche  Berühmtheit  erlangte  er  durch  sciueu 
allen  Ernstes  gemachten  Yorseblag,  die  ÜbenrOlkemng  durch  Inflbulatlon 
beün  mannlichen  Geschlecht  zu  verhüten.  „Von  der  Übenrölkenmg  in 
Hitteleuropa  und  deren  Folge  auf  die  Staaten  und  deren  ClTÜisation.  Dem 
preussischen  Staatsministerium  zur  Befaerzignng  gewidmet".  (Biogr.  Lex. 
VL  224.  Andreae  I.  239.) 

im)  In  der  mediziniseh'physikaUschen  (Elaprotbschen)  Gesellsohaft. 

uo)  August  Karl  Friedrich  Hermann  Klaatsch,  Dr.  med.,  praktischer 
Arzt,  geboren  zu  Berlin  den  26.  Dezember  1792,  wurde  1825  Medizhialrath 
und  starb  schon  1829  am  16.  Oktober.  Die  FeldzOge  1813^15  hatte  er  im 
aktiven  Heere  mitgemacht  (Biogr.  Lex.  VL  879.  Gel.  Berl.  1845  p.  132. 
Gallisen  XXIX.  260.) 

ni)  Justus  Friedrich  Karl  Hocker,  medizinischer  Historiker  und  Epi- 
demiograph,  geb.  5.  Januar  1795  zu  Erfurt,  studierte  in  Berlin,  machte  als 
Freiwilliger  die  Befreiungskriege  mit,  habilitierte  sich  1817  hier  als  Privat- 
dozent.  Seine  „Geschichte  der  Heilkunde"  (^dcren  1.  Band  1822  erschien) 
versehaHte  ihm  die  Stelle  eines  a.  o.  Professors.  1827  wurde  er  Mitglied  der 
Oher-Examinations-Kommission,  1834  o.  Professor.  Er  starb  am  11.  Mai  1850. 
llecker  ist  Begründer  der  historischen  Pathologie ;  auf  diesem  Gebiete  schrieb 
er:  «Der  schwarze  Tod  im  14.  Jahrhundert"  (1832),  „Die  Tanzwuth,  eine 
Volkskrankheit  im  Hittelalter'*  (1832),  „Der  englische  Schweiss,  ein  Srztlieher 
Beitrag  zur  Geschichte  des  15.  und  16.  Jahrhunderts'*  (1834),  wofOr  er. die 
preussische  goldene  Hedaille  für  Kunst  und  Wissenschaft  eriiielt,  ,J)e  peste 
Antonina  coramcntatio"  (1835),  „Die  Pest  in  Moskau  1770—71"  (1838),  „Die 
Kiuderfahrten,  eine  historiseh-pathologische  Skizze'  (1845),  „Über  Visionen, 
eine  psychologische  Studie  zur  Geseliichte  der  Jeanne  d'Arc"  (1848).  Diese 
s.imtliehcn  Arbeiten  hat  Hirsch  gesammelt  unter  dem  Titel:  ,,Die  grossen 
Volkskrankheiten  des  Mittelalters"  (1865V  (Biogr.  Lex.  III.  101.  Caliisen 
VUI.  23r..  XX\  111.  421.    Allg.  d.  Biogr.  XL  211.) 

iiri  Wilhelm  Eek,  geboren  5.  Januar  1795  zu  Freistadt  in  Westpreussen, 
aul  der  Pepiuiöre  ausgebildet,  war  ärztlicher  Begleiter  der  Prinzen  Wilhelm 
und  Karl  yon  Preussen  auf  Beisai  in  Bussland  und  der  Sdiweiz,  wurde 
1829  a.  0.  Professor  an  der  Universität  Berlin,  1840  o.  Professor,  1844  General- 
arzt. Den  zahlreichen  Jüntem,  die  er  bekleidete  (Geh.  Hedizhiahratb,  Hit- 


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Aua  den  Tagebüchern  des  alten  Heim. 


57 


glied  der  wlsseiudiBltL  Depntatioii  fttr  dMlIedl^alwesen,  Examinator,  Hit- 
redakteor  dreier  mediziiiiacher  SSeitsehrifken  -~  CSiolera-Archiv,  Siut*8  Magariw, 
Med.  Ztg.  d.  Verdns  f.  Heilknnde)  wnaste  er  durch  aeine  Unermlldliehkdt 
und  gdätige  Lebradigkeit  gerecht  zu  werden.  Er  starb  plötzlich  am  9.  De- 
aember  1848.  (Biogr.  Lex.  VL  733.  Callisen  V.  509.  XXVIL  415.) 

ns)  Friedrich  Schlemm,   geboren  zu  Salzgitter  in  Hannover  am 

11.  Dezember  1705,  machte  seine  Studien  in  Braunschweig  und  Berlin,  wo 
er  sieh  1820  {nicht  1823,  wie  Biogr.  Lex.  V.  235  steht)  als  Prosektor  habili- 
tierte. Seit  1833  war  er  ordentl.  Professor  der  Anatomie  m  In  n  Joh.  Müller. 
Er  war  ein  Meister  der  anatomischen  Technik.  Er  starb  am  Z7.  Mai  1858. 
(Biogr.  Lex.  V.  235.    Callisen  XVIL  168.  XXU.  154.) 

Iii)  Johann  Friedrich  Niemann,  17G5— 1811,  seit  1816  Regierungs- 
nnd  Mcdizinalrath  in  Merseburg,  vorher  in  Halberstadt.  ( Hiogr.  Lex.  IV.  370.) 

115)  Johannes  Evangelista  Kitter  von  Purkinje  (Purkynö),  Physiologe, 
geboren  1787  zu  Libochowitz  in  Böhmen,  wnrde  erst  Mönch,  studierte  dann 
In  Prag  Medizin,  gewann  dnreh  seine  Dissertation  „Beitrifge  zur  Kenntnis 
des  Sehens  in  snla'eictiyer  Hinsicht'*  (1819)  die  Frenndsehaft  Ooethes,  wurde 

1833  o.  Professor  der  Physiologie  nnd  Pathologie  in  Breslau,  welche  Be« 
rafting  er  Goethe  verdankte,  der  Humboldt  auf  ihn  aufmerksam  gemacht 
hatte,  ging  1849  nach  Prag  zurück  und  starb  1869.  Sein  Spezialgebiet  war 
die  physiologische  Optik  und  Entwicklungsgesehiehte.  Er  entdeckte  das 
KeimblHschen  im  Vogelei  sowie  die  Flimmerbewegung.  In  einem  1837  auf 
der  Naturforschorvorsainüilung  zu  Prag  gehaltenen  Vortrage  über  ,,Die 
Hagendrüsen  und  die  Xutur  des  Verdauens  im  Magen"  sprach  er  2  Jahre 
TOr  Behwann  die  Hanptidee  von  der  Zellenlehie  öifentlieh  aus.  In  Breslau 
begründete  er  das  erste  physiologische  Institut,  das  Bebrütter  in  s^er  Qe- 
dScbtnisrede  auf  P.  „die  Wiege  der  Histologie'*  nennt.  (Biogr.  Lex.  IV.  369. 
Wurzbach,  Biogr.  Lex.  Österreichs  XXIV.  94.) 

im)  Johann  Friedrich  Wilhelm  Hesse,  16.  Februar  1782  zu  Sandau  an 
der  Elbe  geboren,  war  Zögling  der  PepiniAre,  Teriiess  1812  den  Militärdienst, 

liess  sich  als  Arzt  in  Berlin  nieder  und  betrieb  daneben  die  Zahnheilkunde. 

1827  habilitierte  er  sich  hierfür  an  der  Universität  Er  war  Hofmedikus, 
Hofarzt  des  Kronprinzen  und  Leibarzt  des  Prinzen  Wilhelm,  des  nachmaligen 
ersten  Kaisers.    Er  starb  1832.    (Biogr.  Lex.  III.  186.) 

117)  Johann  Wilhelm  von  Wichel,  1.  Generalstabsarzt  und  Chef  des 
MiiitUrmedizinahvesens,  1.  Leibarzt  des  Ki5nigs  nach  Hufelaiids  Tode,  wurde 
geboren  am  24.  Oktober  1767  zu  Berlin  und  begann  seine  Laufljahn  als 
17  jähriger  Kompagniechimrg^.  Seine  Uauptverdienste  liegen  auf  dem 
Gebiet  des  Militttr-Sanltätswesens.  Er  Tcrbesserte  die  Ausbüdnng  der  MUitMr* 
Brzte,  rief  das  Korpe  der  Chirurgen-,  jetzt  Lazaretbgeiiilfen  ins  Leben»  erliess 

1834  „Neue  Vorschriften  ttber  den  Dienst  der  Krankenpflege  im  Felde**. 
Nachdem  er  1834  sein  SOjKhriges  Diens^inbiiaam  gefeiert  hatte,  wozu  seine 
Biographie  erschien,  starb  er  am  6.  Juni  1817.  Sein  grösster  Schüler,  Rudolf 
Virchow,  oharakterisiortc  ihn  als  , .einen  Mann  von  mässigem  Wissen,  aber 
von  grotisem  Takt  und  der  das  Herz  auf  dem  rechten  Flecke  hatte".  (Bio^^r. 
Lex.  VL  264.   CaUisen  XXL  128.   W.  Becher,  Kudoif  Virchow,  1891.  p.  3.) 


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58 


im)  R118B,  üeber  den  sogenannten  Wunderdoktor  Grabe.  (MagazlD  für 
die  gesammte  HeUkuide,  Bd.  XVm.  Heft  3.) 

1»)  Friedrich  Wilhelm  Georg  Kranichfeld,  geboren  1789  in  Tbtüringen, 
Augenarzt,  ^var  seit  1826  Professor  in  Berlin.  Er  liatte  sich  die  Bekftmpfiing 

(h'v  Trunksucht  znr  Lebensaufgabe  gemacht,  wodurch  auch  sein  Name  am 
bekanntesten  geworden  ist,  doch  halte  er  auf  diesem  Gebiet  nur  geringe 
Erfolge,  weil  sein  exeentrisehes,  mit  dem  Pietismus  Hand  in  Hand  gehendes 
Verfalnen  ihn  llieherlich  machte.  1S6!S  legte  er  seine  Professur  nieder  und 
verliess  Berlin.    (Biogr.  Lex.  IIL  542.    Calliscn  X.  368.) 

120)  Graefe  erhielt  für  die  Behandlung  des  Königs  ein  Honorar  von 

5000  Thalern  in  Gold. 

lu)  Johann  Benjamin  Erhard,  1760  /.n  XUrnberg  geboren,  war  in 
seiner  Jugend  Drahtzieher  und  Graveur  Al.s  elfjäliriger  Knabe  las  er  WoIfTs 
mathematische  und  philosi'jilüsche  Schriften.  Mit  •?]  Jahren  begann  er  in 
Würzburg  Mathematik,  .Sprachen,  NatLn'wissens(  hattrn  und  Medizin  zu  stu- 
dieren, reiste  dann  durch  Deutschland,  verkehrte  im  Winter  1700.91  zu  Jena 
im  Schillerschen  Hause,  lernte  in /Königsberg  Kant  kennen.  1799  zog  ihn 
Hardenberg  nach  Berlin,  wo  er  sich  eine  glänzende  ärztliche  Praxis  schuf. 
Er  starb  am  28.  November  1827.  Ausser  medizinischen  Bttehezn  schrieb  er: 
„Über  das  Recht  des  Volkes  zu  emer  Revolation"  (1794),  „Theorie  der  Ge- 
setze, die  sich  auf  das  bürgerliche  Wohl  des  Bfiigers  beziehen'*  (1800)  vu  a. 
(Biogr.  Lex.  IL  296.  Allg.  d.  Biogr.  VI.  200.) 

itt)  Johann  Christian  Jtlngken,  der  beriUmite  Augenarzt  Er  war  am 
12.  Juni  1793  za  Bnrg  geboren,  wurde  1825  a.  o.  Professor  in  Berlin.  Der 
Klüiik  für  Augenheilkunde  an  der  CharitÖ  hat  er  40  Jafaze  ▼oigestanden. 

1834  wurde  er  o.  Professor  der  Chirargie  und  Augenheilkunde,  1841  Nach- 
folger Rusts  in  der  Leitung  der  chirurgischen  Klinik  in  der  Charite.  Als 
einer  der  ersten  hat  er  das  Chlorotorra  angewandt.  l^^^iS  legte  er  seine 
Direktion  nieder  und  starb  am  8.  September  1875.  lOine  ausführliche  Bio- 
graphie von  ihm  befindet  sich  aoä  der  Feder  Gui'ltß  in  der  Allg.  d.  Biogr. 
XIV.  121.    (l?io-r.  Lex.  III.  422.) 

123)  Steiihan  Friedrich  Haretz.  geboren  30.  August  1790.  Nach 
beendetem  Studium  liess  er  sich  als  Arzt  in  Berlin  nieder,  wo  er  Förderer 
an  Fonney  und  Heinrich  Meyer  fand.  1820  habilitierte  er  sich  an  der 
ünitrersität,  wurde  Stadt-  und  Kriminalphysikus,  1831  Direktor  der  Station 
für  Einderkrankheiten  an  der  Charit^;  er  starb  als  Geh.  Ober-Medizinatarath 
und  Tortragfflider  Rath  im  Kultusministerium  am  12.  Januar  1856.  (Biogr. 
Lex.  I.  291.  Callisen  I.  421.  XXVI.  148.) 

im)  Johann  August  Hedenus,  geboren  zu  Langensalza  11.  August  1760, 
züerst  Phanuazeut,  dann  Mediziner,  war  schliesslich  sSehsisoher  Hoihtthund 
erster  Leibarzt  des  XOnigs  Anton. 

us)  Dr.  Kalow,  Mitglied  des  ärztlichen  Vereins  van  Swieten-Stollia, 
der  nach  Heims  Tode  den  Namen  Heimia  annahm,  starb  als  eins  der  ersten 
Opfer  der  Cholera  am  7.  September,  nachdem  er  noch  am  Tage  vorher 
Cboleraleichea  seciert  und  im  Eifer  des  lebhaft  entbrannten  Streites  iUr  und 


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Ans  den  Tagebflchem  des  alten  Heim. 


69 


gegen  die  KoutagiossitUt  Cholerablut  gekostet  hatte.  (Bach  der  Heimia 
18Ö4.  p,  8.) 

M)  Cholera-Archiv  Bd.  I  p.  76. 

127)  Cholera-Archiv,  Cholera-Zeitung,  Wollheim,  medizinische  Topo- 
graphie von  Berlin,  Hirsch,  Qescbiobte  der  epidemischen  Krankheiten, 
Lorinser,  Selbstbiographie. 

mb)  Rudolphis  Nachfolger  wurde  Johannes  Müller  aus  Bonn  als  ordent- 
licher Professor  der  Anatomie  nnd  Physiologie,  Director  des  anatomischen 
Theaters  und  des  anatomisch-zootomischen  Museums.  Müller,  der  zum 
Beginn  des  t>ommer8emesters  1833  nach  Berlin  kam,  wurde  hier  mit  wahrem 
Enthusiasmus  aufgenommen.  „Die  hohen  Beamten  lioffon  von  ihm  eine 
kräftige  Erschütterung  im  akademischen  Leben  und  namentlich  im  Studium 
der  Medizin,  welches  bisher  hier  so  schliifirig  nnd  handwerksmltssig  betriehen 
wurde."  (Merkel,  Biographie  Jakob  Henles  p.  103.) 


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60  Georg  Siegvriil. 


IL 

Andere  Wissenschaften,  Litteratur  etc. 

1796. 

5.  April.  Mittags  beim  Minutar  Hardenberg  gespeist^  und 
sehr  wobl  Ton  üim  behandelt  worden.  Blit  den  Herren  von  Humboldt 
sehr  viel  gesprochen.  Sie  sind  beide  ein  paar  sehr  Uebenswfirdig» 
Menschen,  die  ich  sehr  sch&tse'). 

6.  Mai  Den  ältesten  Humboldt,  Prof.  Zenker,  Prediger 
Fiedler  ans  Spandan,  Doctores  Bremer,  Wall  nad  Grapengiesser 
znm  Essen  bei  mir  gehabt.  Nach  Tische  mit  den  Fröschen  galvanische 
Yersnche  gemacht. 

12.   Nach  Tisch  den  D.  Bremer  besucht,  wo  wir  mehrere 
galvanische  Yersnche  machten. 

15.  Abends  mit  meinen  beiden  ältesten  Töchtern  beim  D.  Bremer  , 
Yersnche  mit  der  Elektrizitftt  gesehen. 

12.  August.  Lavaters  Reise  nach  Kopenhagen  mit  grosser  Yer- 
wnnderung  und  die  Parodie  darauf  Reise  nach  Fritzlar  von  Knigge  mit 
vielem  Vergnügen  gelesen.  Lavater  hat  viel  geistlichen  Stolz  und 
Eitelkeit  nebst  einer  Einbildungskraft,  die  ihn  oft  irre  führt-). 

20.  Mittags  von  Madame  Bergias  im  Tluei^;artea  bewirthet 
worden.    Mit  dem  Kirchrath  Meierotto')  vieles  gesprochen. 

25.  Mittags  speisten  Prof.  Klaproth«),  Apotheker  Bose^)  und 
Maler  Klotz  bei  mir. 

19.  Oktober.  Starb  einer  der  vortrefflichsten  Männer  von  Herz  und 
Geist,  der  Kirchenrath  Lipten^). 

1798. 

25.  Februar.  Bei  D.  Wolflf  gespeist.  Es  wurde  hier  der  73.  Geburts- 
tag des  Professors  ilainlers  in  zahlreicher  Mannsgesellschaft  htirrlich 
gefeiert').  Ich  sass  neben  dem  Konsistohalrath  Zoeiiner*),  der  mich 
sehr  gut  unterhalten  hat. 


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Aus  den  T^igcbQchem  des  alten  Heim. 


61 


1800. 

9.  April.  Beim  Minister  Sehr  Otter  in  grosser  Manusgesellschaft 
gespeist.  Zoellner,  Biester"),  Nicolai'"),  Fichte"),  Fessleip), 
V,  Goecking'*)  etc.  waren  hier. 

24.  September.  Starb  der  Eircheuratli  Meierotto,  ein  sehr 
gelehrter  and  recht8chA£[ener  Mann. 

1801. 

9.  April.  Mittags  beim  Professor  Unger'*)  in  Gesellschaft  von 
Hufeland,  Teller"),  Zoellner,  Gedicke*'),  Schlegel")  pp.  gespeist. 

15.  Mai.  Mittags  zu  Friedrichsfelde  beim  Professor  Spalding") 
gwpeist. 

27.  Mittags  speiste  der  Direktor  v.  Schlechtendal "),  D.  Heim- 
bach  und  Hofmeister  Lentz  aus  Hamburg  bei  mir.  Nach  Tisch  zeigte 
ich  ihnen  mehrere  von  meinen  Moosen,  und  gab  ihnen  auch  einige. 

23.  Dezember.  Mittags  beim  Oberst  v.  R eitzenstein  in  Gesell- 
schaft des  Konsistorialraths  Ermann")  gespeist. 

30.  Mittags  beim  Buchhändler  Sander")  in  grosser  Gesellscbaft, 
in  der  sich  auch  der  berfthmte  von  Kotzeboe  befand,  gespeiBt,  und 
sehr  gut  bewirthet  worden. 

1808. 

24.  März.  Abends  beim  Geh.  Tribunalsrath  v.  Lamprecht  im 
Gelehrten-Kränzchen  recht  vergnügt  gewesen.  Den  gelehrten  Prediger 
Jenisch")  kennen  gelernt. 

3.  Dezember.  Mittags  beim  Doniherru  v.  Rochow  gespeist.  Der 
Dichter  Hill  er")  aus  Göthen  war  auch  hier,  mit  dem  ich  viel  sprach. 
Es  machte  mir  Vergnügen  zu  sehen,  dass  die  ganze  Gesellschaft  diesen 
sonst  gemeinen  Menschen  ehrte,  welches  er  wiridich  verdient 

1804. 

7.  Mai.  Beim  Geh.  J.-Rath  Grafen  von  Hagen  in  Gesfillschaft 
mehrerer  gespeist.  Der  berühmte  v.  Schiller^*)  sollte  auch  hier  sein, 
er  war  aber  krank  geworden. 

26.  Dezember.  Starb  der  Prof.  Unger  an  der  zuckerigen  Harn- 
ruhr (Diabetis  mellitus). 

1805. 

7.  Februar.  Mittags  beim  Professor  nnd  Färber  Manfredi  in 
Gesellschaft  des  Prinzen  t.  Radziwill,  des  österreichischen  nnd 
holländischen  Gesandten  pp.  gespeist 

18.  M&rz.  Absnds  wurde  im  englisGliai  Hans,  im  MontagsUab 
in  Gegenwart  Ton  fiut  100.  Mensehen,  fi»t  lauter  Gelehrten,  der 


0«org  Siegorirt. 


78.  Geburtstag  des  bertthmten  Nicolai  gefeiert,  wobei  ich  als  Gast  des 
Geh.  Raths  v.  Massenbach  sngegea  war. 

4.  August.  Mittaps  beim  Geh.  Rath  Hufeland  in  kleiner  Doktoron- 
Gesellschaft  gespeist.  In  dieser  Gesellschaft  mich  sehr  laut  Regen  den 
V.  Kotzeliue  -  )  erklilrt,  da  irh  ihn  wo  nicht  für  einen  schlechteo,  so 
doch  für  einea  sehr  leichtsiuaigea  Maua  halten  muss. 

1806. 

13.  Januar.  Mittags  beim  Geb.  Eabinettsratfa  Lombard  in  kleiner 
Gesellschaft  von  Gelehrten  gespeist.  Unter  diesen  befand  sich  auch 
der  berflhmte  Reisende  Hnmboldt,  den  ich  hente  nach  seiner  langen- 
Reise  zum  ersten  Mal  wieder  gesehen  habe**^).  Er  war  noch  ebenso 
landschaftlich  gegen  mich,  als  er  es  sonsten  immer  war,  und  erinnerte 
sich  noch  mit  Yergnfigen  daran,  dass  ich  ihm  als  Kind  den  ersten 
Unterricht  in  der  Botanik,  und  dadurch  Lust  zur  Naturkunde  gegeben 
hatte.   Mich  sehr  gut  und  lange  mit  ihm  unterhalten. 

6.  Februar.  Beim  Minister  v.  Hardenl»erg  in  grosser  Gesellschaft 
gespeist.  Ich  sass  zwischen  dem  beriihmteu  v.  Humboldt  und  Minister 
V.  Wittgenstein. 

18.  Septem  her.    Mittags  beim  Minister  v.  Hardenberg  gespeist. 

Der  Kriegsrath  Scharnweber  erzählte  grcsse  Dinge  von  seiner 
Thaerischen  Landwirthschaft-  ).  Nach  der  Theorie  mag  er  recht  haben, 
doch  muss  man  erst  die  Praxis  davon  abwarten,  ehe  man  es  nachahmt. 
Sein  Gut  kostet  ihm  ;iü  UOO  Thaler,  3U  000  Thaler  hat  er  seit  2  Jahren 
hineingesteckt,  und  verlangt  jetzt  150000.  Thaler. 

23.  Abends  in  der  Yearsammlung  der  natnrforschenden  Freunde 
gewesen,  wo  ich  recht  sehr  vergnUgt  war.  Seit  1773  ist  diese  Gesell- 
schaft etabliert,  und  nach  Aussagen  der  Jetsigen  Mitglieder  bin  Ich  der 
einsige  und  erste  Berliner,  der  in  dieser  Gesellschaft  gewesen  ist  ohne 
nicht  Mitglied  oder  Fremder  zu  sein.  Grosse  Ehre  fflr  mich. 

[Die  eihte  Tdec  zur  Begründung  der  Gesellschaft  uaturforschender 
Freunde  gab  der  im  Jahre  1778  verstorbene  Arzt  Dr.  Martini.  Die 
sieben  Beffründer  der  Gesellschaft  am  D.  Juli  1773  waren  Martini, 
Hofstaatshui/.schreiber  Ebel,  der  Astronom  Bode,  Apotheker  Kobelt, 
Rendaiit  Siegfried,  Kriegsrath  Keiniari  und  Dr.  Bloch  (Ichthyologe).  Es 
wurden  wöclu  iitlii  hc  Zusammenkünfte  beschlossen;  zugleich  wollte  man 
in  schriftlichen  Verkehr  mit  auswärtigen  Gelehrten  treten.  Die  Zahl 
der  ordeutliciieu  Mitglieder  sollte  h«")ohstens  12  sein.  Der  Zweck  der 
Gesellschaft  ist  im  Nameu  deutlich  ausgesprochen.  Alle  folgenden 
ordentlichen  Mitglieder  nach  den  Begründern  wurdeu  durch  Wahl  aas 


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Ans  den  Tacebflehem  de«  •alten  Hdm. 


63 


den  aasserordentlicheD  Ifitgliedem  aufgenommen.  1779  wurde  ein 
Direktorat  eingerichtet,  welches  alle  Monate  nnter  den  ordentlichen 
Mitgliedern  wechselte.  Die  Korrespondenz  über  spesiell  wissenschaft- 
liche Gegenstände  wurde  nach  den  Materien  nnter  alle  Mit^^^licdor  ver- 
theilt. Die  Gesellschaft  entw  ickelte  von  Anfang  an  eine  rege  Thätigkeit, 
wnrde  schnell  bekannt  nnd  berühmt,  erfreute  sich  bald  reichhaltiger 
Sammlungen.  In  den  ersten  L^~)  .lahron  ihres  Bestehens  gab  sie 
IB  Bände  Srlirifton  heraus,  4  Bänden  „Beschäftigungen"  mit  Kunfem 
1775—79,  11  Bände  „Schriften"  mit  Kupfern  1780—94,  2  Bände  „Neue 
Schritten",  endlich  ein  Universalrogistcr.  Berühmte  Mitglieder  dieser 
Zeit  waren  neben  den  schon  gonannten  K!a[>roth,  der  Entomologe  Heress^ 
Geh.  Forstrath  v.  Burgsdorf,  der  Botaniker  Wildenow.  Besonderer 
Gunst  erfreute  sich  die  Gesellschaft  bei  Friedrich  Wilhelm  II.  Er 
schenkte  ihr  das  Haus  Fi*anzösischestr.  21)  zur  Aufbewahrunf;  der 
Materialien,  Instrumente  und  der  Bibliothek,  dessen  Inschrift  „Friedrich 
Wilhelm  den  Naturforschern  MDC( 'T.XXX VI"  noch  heute  seineu  Zweck 
verkündet.  Neben  der  Wisst'nschal't  wunlf  auch  Geselligkeit  als  zweiter 
Theil  der  Zusammenkünfte  gepflegt,  deren  Genuss  „einen  so  wesent- 
licluMi  Einfluss  auf  die  Stimmung  dos  McnscluMi  hat,  dass  die  Urbanität 
schwerlich  so  oft  unter  den  Gelehrten  wü!<le  veniiisst  worden  sein, 
wenn  sie  nicht  zu  häufig  über  die  Kultur  der  Wissenschaften  die 
Pflichten  der  Geselligkeit  versäumt  hätten".  So  s[)racli  Karsten  in 
seiner  Festrede  zum  25  jähri;i:en  Bestehen  der  CJesellschatt  im  Jahre 
1798,  und  wenige  .lahre  sjiäter  schildei't  Rudolphi  eine  Sitzung  gelegent- 
lich seines  Berliner  Besuchs:  „.  .  .  .  nachdem  die  Gesellschaft  ihre 
Ökonomica  besorgt  hat,  werden  Vorlesungen  gehalten,  und  interessante 
Neuigkeiten  mitgetlieilt,  Naturprodukte  vorgezeigt  u,  s.  w,  und  eleu 
Besch luss  macht  ein  Liebesmahl,  im  wahren  Sinne  des  Wortes.  Der 
Gelehrte  macht  hier  dem  Meiiseluii  Platz,  und  es  ist,  als  wenn  Brüder 
versammelt  wären;  ich  habe  hier  meine  schönsten  Abende  verlebt,  und 
es  waren  mir  Feiertage,  wenn  die  Gesellschaft  zusammentrat"  '^).J 

1807. 

8.  April.  Mittags  zu  Lichtenberg  beim  Eriegsnith  Scharnweber 
in  Gesellschaft  des  Geh.  F.-R.  y.  Faudel,  llinisters  t.  Buchholz, 
Ifland,  Geh.  R.  Schüler,  Ifinister  v.  Thfimmel  aus  Gotha  nebst  seinem 
Bruder,  dem  bei'fihmten  Schriftsteller  gespeist'^). 

1.  Mai.  Mittags  heim  Minister  v.  Heden  in  Gesellschaft  von 
V.  Hnmboid  und  seinem  Reisegefährten  Bon  plan  gespeist. 

9.  August  Starb  der  Apotheker  Rose,  ein  sehr  geschickter  Mann, 
dessen  Tod  mir  recht  nahe  geh^  an  der  Cholera. 


64 


Qwn|f  fliiQgirfit 


1808. 

19.  Dezember.  Mittags  beim  Grafen  v.  Hagen  in  Gesellschaft 
des  ber&hmten  Naturkundigen  v.  Hoffmanaseck^')  gespeist 

1809. 

Juli.  Der  TaBchenspieler  Schaar  hatte  mehreren  Gelehrten  allhier 
weis  gemacht,  er  kOnne  in  V4  Stunde  in  Wasser  zuvor  eingeweichte 
Erbsen  in  einer  beeonders  dasn  präparierten  Erde  zn  mehreren  Zoll 
Hölip  wachsend  machen,  und  er  würde  sich  anch  billig  finden  lassmii 
dies  Geheimnis  anderen  za  lehren.  Ich  schäme  mich  fast  es  zu  schreiben, 
dass  fast  Jedermann,  besonders  Gelehrte,  solchen  Unsinn  glanbten,  and 
deshalb  selbst  mehrere  Yersnche  anstellten.  RIaproth,  Herrn stä dt, 
Wildenow'^),  Karsten'^)  waren  nnter  diesen  Gelehrten. 

1810. 

17.  Marz.  Mittags  auf  der  Börsenhalle  in  Gesellschaft  vieler  ge- 
speist. Den  Prof.  Schneider'*)  aus  Frankfuit  und  den  berühmten 
V.  Buch'"')  daselbst  kennen  gelernt. 

5.  Jnli.  In  der  Philomatischen  Gesellschaft  f^^owesen,  wo  der 
D.  Lichtenstein"),  der  sich  lange  in  Afrika  aufgehalten,  uns  vieles  von 
Buschmännern,  Kaffern  nnd  llottentotten  erzählte,  und  sehr  schöne  von 
ihnen  verfertigte  Sachen  vorzeigte. 

26.  September.  Mittags  beim  Geh.  R.  Formey  in  grosser  Gesell- 
schaft von  Ärzten  gespeist  und  zu  Irei  über  die  jetzige  Einrichtung  der 
Universität  geBprochoi.  >^ 

1811. 

30.  Oktober.  Mittags  beim  Feldmarschall  Grafen  Kalkreuth  ge- 
speist. Prof.  Bode**)  der  Astronom  unterhielt  uns  alle  sehr  angenehm. 

1814. 

27.  August.  Mittags  beim  Hofrath  Parthey'^)  gespeist  und  in  Ge- 
sellschaft des  Direktors  Bellermann*),  Prof.  Stein^^)  etc.  sehr  ver- 
gnügt gewesen. 

1815. 

7.  November.  Abends  in  der  Klaprothschen  Gesellschaft,  wo  das 
Stück  Haut  und  Haare  von  verschiedenen  Tlieilen  des  Körpers  vom 
Mammuth,  die  der  Russische  Kaiser  au  unseren  König  geschenkt  hat, 
vorgezeigt  wuriieu. 


Ans  den  Tifsbfleheni  des  alten  Heim. 


66 


1816. 

7.  Bfai.  AJbeads  in  der  lOaproiiischAn  OeseUschaft  gewesen,  in  der 
Professor  Link^*)  eine  gute  Abbandlnng  über  Krankheiten  der  Pflanzen 
vorlas. 

1818. 

22.  Juni.  Mittags  beim  französischen  Gesandten  Marqnts  de  Bonnet 
mit  dem  Prof.  Link  nnd  D.  Stosch  gespeist  Vor  nnd  nach  Tische 
kryptogamische  Pflanzen  besehen. 

6.  Desember.  In  der  gesetslosen  Bnttmannschen  Gtosellsehaft  ge- 
speist Wnrde  der  Geburtstag  des  Prof.  Battmann  von  mehr  als  100  Per- 
sonen anf  dem  Börsenhaose  gefeiert  und  ihm  ein  grosser  silbemer  Pokal 
znm  Gesdienk  gemacht.**) 

[Die  gesetzlose  Gesollschaft  wurde  am  4.  November  1809  gestiftet 
oder,  wie  sich  ihr  Begründer  Battmann  in  den  „pragmatischen  Stataten** 
ausdruckt,  „sie  setzte  sich  am  4.  November  1809  vierzehn  Personeu 
stark*.  Aadi  Aber  die  Art  nnd  Weise,  wie  man  Büßlied  wnrde,  lassen 
wir  fflglush  diese  Statnten  selbst  sprechen:  , Jedes  Mitglied  ist  Mitglied, 
sowie  die  flbrigen  ^ch  überzeugt  haben,  dass  er  es  ist  So  oft  also  die 
Mittheüiing  einer  solchen  Anerkennung  an  ein  bis  dahin  noch  unbe- 
kanntes Mitglied  eigeht,  so  verbittet  man  sich  von  jedem  die  etwaige 
Yerweigerang,  als  eine  haare  Absnrditftt**  Die  Zusammenkflnffce  der 
Gesellschaft  fanden  alle  14  Tage  des  Sonnabends  in  einem  jedesmal 
vorher  bestimmten  anderen  Lokale  statt,  um  cn  Mittag  an  speisen;  Zeit 
nnd  Ort  wurden  durch  einen  mittels  Boten  hemmgehenden  Zettel  bekannt 
gemacht»  der  swei  Kolumnen  enthielt,  Ademnt  nnd  Viderunt;  unter 
jener  trugen  die  sich  ein»  die  kommen  wollten  (nebst  etwaigen  Gästen), 
unter  dieser  die,  »bei  denen  diese  Meinung  sich  noch  nicht  ausgebildet 
hat".  Als  Lohn  erhielt  der  Bote  von  jedem  einen  Groschen.  Frauen 
und  Kinder  konnten  weder  Mitglieder  noeh  Gäste  sein. 

Die  Seele  der  Gesellschaft  war  Buttmann,  dessen  hochgesellige, 
humorvolle  Natur  und  schlagfertiger  Witz  ihn  zu  ihrem  Haupte  vorzüg- 
lich geeignet  machten.  Im  Gegensatze  zur  Gesetzlosigkeit  nannte  er  sich 
stets  den  Tyrannen  oder  Zwinghen-n;  dieser  Titel  wurde  für  den  Vor* 
sitsenden  offlaiell.  Bnttmann  verwuchs  mit  setner  Gesellschaft  derartig, 
dass  er  die  Theilnahme  an  ihr  gleichsam  als  die  Bedingung  an  einem 
'ruhigen  Tode  ansah;  als  Iffland  starb,  schrieb  er  neben  dessen  Namen: 
«Kam  nie  und  starb  doch".  Sein  Ton  theilte  sich  der  ganzen  Gesell- 
sdiaft  mit;  es  herrschte  in  ihr  ein  gemftthlicher  Witz,  der  treffend  war, 
ohne  verletzend  zu  wirken.  Ein  hoher  Festtag  war  der  6.  Dezember, 
der  Bnttmannstag.  länige  Stellen  aus  Rflbs'  Festrede  vom  5,  Dezember 
1817  seiflii  Idar  dtisrt: 

Ank.  6 


^  ij .  .-Lo  Ly  Google 


66 


0«oig  Stegtriai 


Ein  Protons  steht  er  da  in  mancherlei  Formaten, 

Bereit  der  Jug-end  erst,  <lem  Alter  dann  zu  ralhen. 

Der  Knabe  sclileppt  ihn  mit.  in  Seliweinslrll  aiiofetban. 

Und  lernet,  dass  es  raucht,  sein  TuTiTuv  und  jiu^v, 

Und  seufzt,  saust  ilim  die  Faust  des  Rektors  um  die  Ohren: 

»Der  kleine  Bnttmaim,  aeh!  wir  der  !m  Laad  der  H(^r«i!** 


Weit  siehrer  strahlt  sein  Ruhm,  erlial>cner  und  scluiner, 
Als  er  die  Zeitung  sehrieb  für  1  laude  un<l  für  Speuer; 
Wie  manchen  deutschen  Mann  hat  nicht  sein  Ku'l  urgeUt, 
Mit  Kunden  aus  Poris  and  der  Türkei  ersetzt. 
Damals  war  goldne  Zeit;  es  hatten  die  Censoren 
Noeh  nicht  wie  hent*  za  Tag*  die  leidig  feinen  Ohren. 
Wie  ist  die  Zeitnng  kahl,  besclinittenf  llQgBtlich,  matt! 
Hingegen  seine  las  sich  wie  ein  Extrablatt. 


Leben  sollst  du,  traue  Boele. 
Gott  erhalte  deine  Kehle, 
Schreit  sie  nns  das  Ohr  aneh  wQnd. 
Magst  da  lange  firOhlich  grtlnen 

Frisch  tind  frei  mit  Karolinen! 
Darauf  trink'  ich  ans  den  Grand. 

l)ers:estalt  war  der  Humor,  der  in  der  Oesellschaft  herrschte. 
Man  zorrcrte  nicht,  des  Mitmenschen  Schwächen  zu  f?oisseln,  aber  in 
einer  Forjn,  die  nicht  verstimmte:  und  wie  den  Kinzelnen,  so  zögerte 
man  auch  nicht,  öffentliche  Zustände  einer  Kritik  zu  unterziehen. 

Der  Gesetzlosen  Gesellschaft  gehörte  alles  au,  was  Berlin  an 
geistigen  Grössen  aufzuweisen  hatte;  mcigen  die  Naroen  für  sich  selbst 
sprechen :  Schleiermacher  (3.  Zwingherr),  Professor  Spalding,  Wildenow, 
Biester,  der  Buttmanii  einmal  folgendes  Räthsel  anfgab:  «Das  Ente 
sind  Sie  nicht,  das  Zweite  ist  Ihre  Fttta  nicht,  and  das  Ganze  sind  Sie 
doch**.  Bnttmann  rieth  sehr  bald  richtig  (Butt-mann)  und  reTsnchierte 
sich  sofort:  »Das  Erste  sind  Sie  (Biest),  das  Zweite  ist  Ihre  JPraa  nicht  (er), 
and  das.  Ganze  sind  Sie  auch*'.  Ferner  sind  sa  nennen  der  nachmalige 
Minister  y.  Eichhorn,  Heim,  W.  y.  Homboldt,  Iffland,  llinister  y.  Klevits, 
Bachhftndler  Reimer,  Geh.  Staatsrafh  v.  Stigemann,  Professor  Zelter, 
Niebahr,  Reil,  v.  Savigny,  Lichtenstein,  Bdckb,  Marheineke,  Ober- 
Bflrgermeisier  Bfisching,  Prof.  Rfihs,  Achim  y.  Arnim,  Kons.-Baih 
Ritschl,  Direktor  Spilleke  yom  Friedrich  Wilhelms-Gymnasiam,  Oberst 
y.  Pfael,  Link,  Rost,  Schinkel,  Leopold  y.  Gerlacb,  Wiebel,  Gneisenaa, 
Ober-Pr&sident  y.  Schon,  Präsident  y.  Yinpke,  Mflhler,  Graf  Nostis, 
Hofrath  Partheyj  Raaeh,  Hegel,  Bildhauer  Tieck,  Hofprediger  Sack, 
Kammerherr  y.  Hertefeld  auf  Liebenberg,  Beath,  Genenü  y.  Boyen, 


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Ana  den  TRgebflehflm  dee  alten  Heim. 


67 


Hlidg  (der  Eriminaldirektor),  der  spätere  Minister  Rother,  Leopold 
V.  Baamer,  Karl  Bitter,  Prof.  Waagen,  Lachmaim,  Maler  Wach,  £ttcke, 
B4^,  Generaldirektor  der  Museen  v.  Olfers,  Direktor  Angnst  vom 
Eöllnischen  Gymnasinm,  Neander,  Thaer,  Dr.  Parthey,  Inhaber  der 
Nicolaischen  Bnchhandlnng,  Bänke,  Hofbndidradcer  Decker,  der 
Archäologe  Gerhard,  Xwesten,  Trendelenbnrg,  CJornetins,  Perta. 

Ihr  26  jähriges  Bestehen  feierte  die  Gesellscbaft  im  Jahre  1834 
nidit  am  Stiftnngstage,  sondern  in  pietätvoller  Efinnerang  an  den 
schon  vor  fBnf  Jahren  dahingeschiedenen  „Zwingherm*  am  Buttmanns« 
tage.  Clemens  Eienae  verfasste  eine  Festschrift,  die  eine  Geschichte 
der  GesellBchaft  sowie  eine  vortreffliche  ScMlderuiig  des  in  ihr 
herrschenden  Hnmors  enfluelt  nnd  als  Mannskript  für  die  Mitglieder 
bei  Beimer  gedruckt  wnrde.    Ihr  sind  auch  vorstehende  Angaben 

entnommen.^*)] 

1818. 

7.  April.  Abends  in  einer  Gesellschaft  gewesen  und  daselbst  deil 
Professor  Nasse aus  Halle  und  D.  Hornschu^'^)  einen  Moos-Kenner, 
kennen  gelernt. 

2.  Mai.  Bei  Morita  Robert^')  in  kleiner  Gesellschaft,  in  der  auch 
d^  so  gerühmte  c^rosse  IB-jährige  Gelehrte  Dr.  D.  Witte*")  war» 
gespeist.  Dieser  Witte  ist  ein  artiger  bescheidener  Mann. 

1819. 

10.  Juli.  Gestern  starb  der  berühmte  Professor  und  Philosoph 
Kiesewetter*^),  den  ich  sehr  verehrt  nnd  Ueb  getiabt  habe. 

1820. 

10.  Juni.  Vor  Tische  machte  ein  Professor  Auspach  Experimente 
mit  seinen  arcanis,  das  Eisen  und  den  Schwefel  zu  Bädern  so  anfan- 
lösen,  als  sie  sich  in  den  Mineralquellen  finden. 

1822. 

It).  Mai.  Si»eisten  bei  mir  Butt  manu,  Bornemaiiu  ^''),  Theater- 
dichter Scliulze-'*)  pp.  Buttinann  war  sehr  iinintei-  und  witzig,  sprach 
sehr  laut,  wie  es  sich  iiir  daä  Oberhaupt  einer  grossen  gesetzlosen 
Gesellschaft  gar  wohl  geziemt. 

1823. 

11.  Januar.  Beim  Minister  v.  Humbüid  gespeist.  Mit  seinem 
Bruder  Alexander  micli  angenehm  unterhalten.  Sein  Ruf  als  Geh  lirter 
nnd  thätiger  Mann  ist  gewiss  ebenso  gross,  als  es  in  politischer 
Hinsicht  der  von  Napoleon  war  und  noch  ist 


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66 


0«oig  Siegerist. 


1824. 

5.  Januar.    Zu  Hanse  gespeist  mit  dem  Botanikus  Beyerich 
der  7or  kurzem  ans  Brasiliisa  zurück  gekommen  ist  und  uns  vieles  von 
diesem  Lande  erzählte. 

14,  November.  Mittags  beim  Kaufmami  Wagencr''-')  zn  Gevatter 
gestaiideu.  Bei  Tische  mit  dem  Propst  Neander^*)  viel  gesprochen. 
Er  und  seine  Frau  gefallen  mir  gut 

24.  Mittags  beim  Professor  Buttmann,  in  Gesellschaft  dos 
Prof.  Steffens  -'-')  aus  Breslau,  Prof.  Lichtenstein,  D.  Stosch  juu.  pp. 
gespeist» 

1825. 

25.  .laniiar  ....  war  ich  heute  zum  ersten  Mal  in  der  Gesellschaft 
naturforschender  Freunde,  und  zwar  beim  Prof.  Reich. 

24.  Juni.  Beim  Feldmarschall  v.  Gneiscnau  in  grosser  Gresellschaft 
gespeist.  Ich  gratulierte  ihm  zum  Feldmarschallstitel,  and  er  antwoi-tete: 
Und  ich  mir,  dass  ich  Ihr  Kollege  geworden  bin.  Der  Geh.  Rath  Thaer 
war  auch  hier.  Dieses  Jahr  hat  er  für  14600  Thaler  Bocke  und  äOÜO 
Wolle  verkauft. 

1826. 

3.  April.  Mittags  in  der  medizinischen  BfontagsgeseUschäft  bei 
Jagor  gespeist.  D.  Ehrenberg^),  der  sich  6  Jahre  lang  in  Egypten 
an^halten  hat,  war  auch  hier  und  anterhielt  uns  alle  anf  das  an- 
genehmste von  seinem  dortigen  Aufenthalt 

19.  September.  Abends  anf  der  Hochzeit  der  Fräulein  Tochter  des 
Finanzministers  v.  Motz  mit  dem  Leutnant  v.  Ililler  gewesen.  Der 
Hofprediger  Stranss"),  wie  man  sagt,  ein  Frömmler,  aber  sicher  ein 
grosser  Schreier,  traute  sie. 

7.  Oktober.  Mittags  beim  Ofeufabrikanten  Feilner  io  Gesellschaft 
des  berühmten  Apothekers  und  Schriftstellers  Trompdorff**)  aus 
Erfurt  und  mehrerer  talentvoller  Männer  gespeist. 

14.  November.  Während  dem  Essen  besuchte  midi  Alexander 
V.  Humbold,  ein  Schüler  von  mir  in  der  Botanik,  und  fand  in  der 
Gesellschaft  allgemeine  Achtung  und  Beifall. 

1827. 

4.  Oktober.  Mittai^s  beiin  Fürsten  v.  Witt!»;onstein  in  Gesellschaft 
von  V.  Humbold,  Elireuberii:  und  v.  Oamptz  gespeist.  Hambold 
uuterliielt  uus  alle  auf  das  geuehmste. 

1828. 

18.  September.    Mittags  im  Ezerzierhans  in  GeseUscliaft  von 
Menschen  gespeist    Von  den  fremden  Naiorforscheni  und 
Äxzten       an  300  hier.    Vormittags  in  der  Sing^Akademie  elaa  toi>- 


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Aus  den  Tagebachern  des  alten  Heim. 


69 


treffliche  Rede  in  Gejs^enwai-t  von  ungefähr  OfXl  Menschen  vun  Ah'xaiirler 
V.  Humboldt  halten  ^^'hört •'•').  Aliciids  im  Seliauspielhaus  gab 
Humboldt  der  ganzen  Gesellschaft  einen  Theo  mit  Musik  und  Gesang. 

19.  Mittags  im  Exerzierliaus  gespeist  und  Abeuds  iu  der  Hufeland- 

Gesellschaft  gewesen. 

20.  Mittags  im  Exenierhaiis  gespeist  und  mich  mit  mehreren 
ausländischen  Naturforschern  sehr  angenehm  unterhalten. 

21.  Mittags  im  Exerzierhans  gespeist  Abends  gab  Rnst  anf 
seinem  Landhaus  einen  Thee,  wo  ich  eine  Menge  von  den  firamden 
Natorforschem  nnd  Ärzten  vorfand. 

22.  Mittags  im  Ezerzierhans  gespeist  nnd  mir  genehme  neue  > 
Bekannt8<^ften  gemacht    Vor  Tische  meine  liebe  Fran  die  Ess-  nnd 
Kochanstalt  im  Exerzierhans  s^hen  lassen. 

[Die  7.  Versammlung  deutscher  Natorförscher  nnd  Arzte  (die  erste 
worde  1822  dnrch  Oken  veranlasst),  fand  in  den  Tagen  vom  18.  bis 
25.  September  anf  Humboldts  Betrieb  in  Berlin  statt;  Humboldt  nnd  Ehren- 
berg hatten  die  geschäftliche  Leitung.  Anwesend  waren  nach  dem  gedruckten 
Verzeichnisse  464  TheUnehmer,  darunter  195  Berliner.  Die  preussischen 
Behörden  kamen  den  fremden  Gästen  sehr  entgegen,  sie  wurden  sogar 
von  der  Berliner  Polizei  unbehelligt  gelassen!  Die  allgemeinen  Sitzungen 
wurden  im  Saale  der  Singakademie  abgehalten,  die  Sektionssitzungen  — 
eilte  Neueinrichtung  Humboldts  ^  im  Oafö  Royal  Unter  den  Linden  45, 
das  überhaupt  zum  allgemeinen  Sammelpunkte  diente.  Als  Speisesaal 
ffiur  die  Versammlung  hatte  der  König  das  neu  erbaute  Exerzierhaus  in 
der  Karlstrasse  bewilligt,  das  zu  diesem  Zwecke  eingerichtet  nnd  durch 
Gropius  entsprechend  dekoriert  worden  war.  An  jedem  Tisdie  machte 
ein  Berliner  die  Honneurs,  jeder  Tisch  hatte  eigene  Bedienung  und 
eigenes  Büffet.-  An  der  Tafel  erschienen  ansser  den  Frauen  und 
Töchtern  auswärtiger  Mitglieder  keine  Damen;  daher  musste  Ftan 
Geheimrath  Heim  sich  mit  einer  Besichtigung  der  »Ess-  und  Koch- 
anstalt**  begnügen. 

Die  ErOflEnung  der  Versammlung  erfolgte  am  18.  September  vor- 
mittags 10  Uhr  durch  die  erwähnte  Rede  Humboldts.  Das  Fest  am  Abend 
dieses  Tages  Umd  im  Konzertsaale  des  Schauspielhauses  statt  und 
dauerte  von  6  bis  9  Uhr.  Vom  Hofe  waren  der  König,  der  Kronprinz 
und  Prinz  Albrecht  anwesend.  Der  Universität,  den  Gymnasien,  der 
Artillerie-  und  Ingenieurschule  war  eine  Anzahl  Einlasskarten  bewilligt 
worden.  Die  dem  Eingang  gegenüberliegende  Säulenhalle  war  durch 
azorblaue  Zwischensätze  ausgefüllt,  auf  denen  man  in  einem  Strahlen- 
halbkreise  auf  drei  Feldern  mit  goldener  und  silberner  Schrift  die 
Namen  grosser  deutscher  Männer  las,  welche  die  Naturwissenschaften 
würdig   gefördert    haben.    In  den  Seitenfeldern  rechts  und  links 


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70  Georg  Siegerist 

prangten  die  Namen  Schüler  und  Goefhe  mit  Yersen,  die  auf  dies  Feet 
passteil;  onter  Goethe: 

Es  soll  sich  regten,  schaffend  hanrleln, 
Erst  sich  gestaltCD,  dann  verwandeln 
Nur  scheinbar  stehts  Momente  still. 
Das  Ew'{^e  reg"t  sich  fort  in  Allen, 
Denn  uiics  muss  iii  Niehls  zerlallen, 
Wenn  es  im  Sein  verharren  wilL 

Und  bei  Schiller: 

—  es  entbrennen  im  feurigen  Kampf  die  eifernden  Kräfte, 
Grosses  wirket  ihr  Streit,  Grösseres  wirket  ihr  Bund. 

Die  ganze  Dekoration  hatten  Schinkel  nnd  Groptns  angeordnet 
Die  Gegenstände  der  Gesamt-  nnd  Sektions-Yerhandliuigen  finden  sich 
in  dem  amtlichen  Berichte  anfgeseichnet,  der  auch  am  Schlosse  die 
faksimilierten  Namen  der  Mehzxahl  der  Theilnehmer  enthält.  Anch 
eine  Denkmünze  war  anf  die  Versammlnng  geprägt  worden.  Sie 
zeigt  anf  dem  Avers  die  Isis  nnd  vor  ihr  eine  Sphinx  mit  der  Umschrift: 
Certo  digestom  est  ordine  corpus,  anf  dem  Revers:  In  Memoriam 
Conventos  Natarae  Scratatomm  totins  Gennaniae  septimi  celebrati 
Beroliui  MDCCCXXVm  Mense  Septembri«OJ 

24  Oktober.  Mittags  speisten  bei  mir  der  Professor  der  Botanik 
Walberg  ans  Upsala,  Professor  Ehrenberg  n.  a.  Vor  Tische  von 
halb  2  bis  halb  4  Uhr  meine  Moossamminng  an  den  Walberg  gezeigt; 
er  JBt  ein  guter  Mooskenner. 

2,  Dezember.  Abends  in  der  physikalisch-medizinischen  Gesell- 
schaft gewesen,  wo  D.  Ebrenberg  eine  Abhandlung  von  der  Myrrha 
vorlas  nnd  einige  Zweige  von  dem  Banme,  von  dem  ms  kommt  vor- 
zeigte. 

1830. 

9.  Bfai.  Habe  ich  mir  des  Ober-Snperintendenten  Bretschneider 
Sendschreiben  an  einen  Staatsmann  über  die  Frage,  ob  evangelische 
Regiemngen  gegen  den  Rationalismns  einzoschreiten  haben,  wie  v.  Ger- 
lach, Prof.  Hengstenberg  gegen  die  Hallischen  Professoren  Gesenins 
nnd  Wegsoheide  r  wünschen,  vorlesen  lassen.  Für  mich  nnd  alle  Ver- 
nünftigen dn  äusserst  wichtiges  Sendschreiben. 

1831. 

15.  Mai.  Des  General-Superintendent  Bretschneider  beide  Send- 
schreiben, die  Denunziation  des  Juristen  v.  Gerlach  und  D.  Hengsten - 
bergs  wegen  dci-  Lehre  des  Rationalismus  vorlesen  lassen.  Beide 
Sendschreiben  habe  ich  schwarz  einbinden  lassen,  mit  vergoldetem  Schnitt 


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Aas  den  Tagebüchern  des  altem  Heim. 


71 


und  auswendig  mit  goldenen  Bachstaben  drucken  lassen:  Erläuterung 
zur  Bibel.'!) 

1832. 

20.  Januar.  Vom  Botanicns  Thiele  besucht  worden,  dov  trotz 
aller  seiner  vortrefflichen  Mooskenntnis  nur  Kl  lUhlr.  monatliches  Geiialt 
hat  zur  grössten  Schande  des  Ministers  v.  Altenstein  und  Prof.  Innk. 

2V).  März.  Den  22,  starb  Goethe,  83  Jahre  alt.  Hodie  tibi, 
cras  mihi. 

28.  Juli.  Von  Alexander  v.  Humboldt  ein  Schreiben  bekommen, 
das  sehr  unleserig  geschrieben  war.  Doch  konnte  ich  daraus  ersehen, 
dass  er  mir  seinen  Lehrer  und  Freund  nennt. 

15.  Oktol)er.  Habe  ich  einen  Vorleser  des  Abends  angenommen, 
Wackernagel *■-),  der  mir  heute  das  erste  Mal  vorgelesen  hat,  und  bin 
ich  mit  ihm  wohl  zufrieden.  Sein  Name  ist  Wackernagel  und  hat 
Philologie  studiert. 

21.  Hat  Herr  Hering'^^)  mir  seinen  Roman  Cabauis  in  5  schön 
eingebundenen  Bänden  geschenkt. 

9.  Dezember.  Vormittags  . . .  auf  dem  Universitäisgel)äudc  gewesen 
und  daselbst  die  Fossilknochen  der  Vorwelt  gesehen  und  bewundern 
müssen.  Prof.  Weisse'*),  der  uns  herumführte,  sagte  uns  mit  vieler 
Höflichkeit  manches  wichtige  davon,  welches  desto  mehr  meine  Aufmeik- 
samkeit  auf  sich  zog,  da  ich  vor  kurzem  Cuviers  Schrift  darüber  ge- 
lesen hatte. 

1834. 

15.  Februar.  Wurde  der  Professor  Sch leie r macher,  ein  sehr 
verdienst  voller  beridimter  Gelehrter  und  sehr  geachteter  und  beliebter 
Prediger,  begraben.  Er  starb  im  ')5.  Jahre  an  der  Lungenschwindsucht. 
Die  Leiche  wurde  von  Studenten  getragen,  ['2b  Kutschen,  worunter  viele 
prinzliche  und  alle  hiesigen  Geistlichen,  auch  die  katliolischen  nicht  aus- 
genommen, und  mehrere  lUÜO  Menschen  begleiteten  die  Leiche. 


1)  Wilhelm  V.  Humboldt,  29  Jahre  alt,  hatte  in  dieser  Zeit,  1794—96, 
seiDen  Aufenthalt  in  Jena,  wohin  er  um  Scliillers  willen  gezogen  war; 
Alexander,  27  Jahre  alt,  damal-s  b(üm  Berliner  Hergdepartemcnt  angestellt, 
war  beurlaubt;  V»ei(le  Brüder  fesselte  die  Krankheit  ihrer  Mutter  an  Berlin; 
am  14.  November  >tiirb  sie.    (Mabriele  v.  Bühm  p.  1.) 

2)  Über  die  „Heise  n.ieli  Kopenhagen"  <1703)  urtiieilt  Kranz  Muncker 
in  der  Allg.  dcuUschen  Hiograj.hie:  ..Durch  die  Herausgabe  seines  entsetzlich 
weitschwcitigen  Tagel)uchs  der  Heise  nach  Kopenhagen  bot  Lavatcr  selbst 
fleinea  Gegnern  nicht  nnlM^frOndeten  Anhus  zum  8pott."  (A.  d.  B.  XVIII. 
792.)  Knigges  „Reise  nach  Fritzlar"  (1794  erschienen)  parodiert  übrigens 


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72 


iiiclit  die  Kcisc  nach  Kopenhagen,  sondern  die  im  Sonnner  1786  von  L.  unter- 
noninieue  und  obonfalts  niisftlhrlich  geschilderte  Keiäc  uach  Bremen.  (Erich 
Schmidt  in  Allgr.  d.  Bln'^v.  XVI.  290.) 

3)  Johann  Heinrich  Ludwig  Meierotto,  der  bekannte  und  berühmte 
Bdctor  des  JoaohiiittthatBii&en  Gymnasiums,  Kirdien-  und  Obenehnlratli, 
Professor  der  Beredsamkeit,  Mitglied  der  Akademie  der  Wissenschaften  und 
der  Kflnste  nnd  mechanischen  Wissenschaften.  Er  war  zn  Btaigard  in 
Pommem  am  22»  Angnst  1742  geboren,  stammte  ans  ebner  Scbnlmänner- 
familie.  Sein  ganzes  Leben  hindurch  war  er  mit  Berlin  nnd  dem  Joachims- 
thalBchen  Gymnasium  verbunden;  auf  ihm  vm-gcbildet,  studierte  er  in  Frank- 
furt Theologie.  Fünf  Jahre  war  er  Erzieher  der  SJUmc  des  Banlciers 
Schiekler;  1771  trat  er  als  Professor  der  Berrd«unkeit  in  das  Lehrerkollegium 
beim  Joachimsthal  ein.  Er  fand  die  Schule  im  Zustande  viilliger  Verwilde- 
ining  vor:  die  Leitung  hatte  das  Conciliuni  professorum,  f)  an  der  Zahl,  in 
dessen  iSitzungen  es  oft  sehr  stürmisch  zuging.  Ostern  1775  iibernabm  M. 
das  Direktorat  nnd  führte  eine  TOllkommene  Refbnnation  durch.  Die  Lehr- 
Ordnung  des  Joachimsthalschen  Gymnasiums  (Faehsystem  an  Stelle  des 
Klassensystems,  Entfernung  von  Natnrreeht,  Moralpliilosophie,  Metaphysik 
und  Statistik,  Aufhahme  des  naturwissenschaftlichen  Unterrichts)  wurde  in 
der  Königlichen  Kabincttsordre  vom  5.  September  1779  als  Vorbild  für  die 
preussischen  Gymnasien '  hingestellt.  Auch  die  Einrilhrung  der  Maturitäts- 
prüfungen bat  M.  angeregt.  Er  musste  wiederholt  dem  KHnig  Vortrag  über 
die  Sehulangelcgenheiten  halten.  Als  Oberschulralh  hatte  er  dtis  Schulwesen 
von  Pommem  nnd  Preussen  zu  bearbeiten.  (AUg.  d.  Biogr.  XXI.  213.  GeL 
Berl.  1795.  II.  11.) 

4)  Martin  Heinrich  Klaproth,  geboren  den  1.  Dezember  1743  zu 
Wernigerode.  Von  Beruf  Apotheker,  kam  er  1771  zu  dauerndem  Aufenthalte 
nach  Berlhi  und  war  hier  zuerst'  in  der  Rososchen  Apotheke,  dann  selbst- 
stfindig  thatig.  1787  wurde  er  Professor  der  Chemie  beim  KOnigL  Feld- 
artilleriekorps, Rath  und  Ifitglied  beim  Oberkollegium  medicum  et  sanitatia, 
1810  Professor  der  Chemie  an  der  neubegründeten  UnivcrsitMt.  Er  starb  am 
1.  Januar  1817.  Seit  1787  war  er  Mitglied  der  Akademie  der  Künste,  seit 
R8  der  Akademie  der  Wissenschaften,  ebenso  Mitglied  dt  r  Pariser  Akademie. 
Die  Chemie  verdankt  ihm  eine  Keilie  v<;ii  eiKteheniachenden  Entdeckungen, 
so  des  Aran  (1789),  der  Zirkonerde  il7Mt),  des  ('er,  von  iiun  Ochroit  ge- 
nannt (1803),  gleichzeitig  auch  von  Berzelius  entdeckt;  ferner  wies  er  die 
Eigentbümlickeit  der  Strontianerde  (1793),  des  Titans  (1794)  und  des  1782  von 
HtUler  von  B^ebensteln  entdeckten  TeUurs  (1798)  nach.  Wilhelm  t.  Humboldt 
empfahl  ihn  bei  Begrttndung  der  Unirersitftt  1810  fOr  die  Professur  In  der 
Chemie  mit  folgenden  Worten:  „Er  hat  seine  Wissenschaft  durch  wahre  Ent- 
deckungen bereichert  und  sich  dadurch  auch  im  Auslände  einen  Namen  er- 
worben, indem  sich  nur  sehr  wenige  Gelehrte  in  Preussen  mit  ihm  vergleichen 
können.  Ich  würde  geghiuht  haben,  eine  meiner  ersten  Pflichten  zu  ver- 
säumen, wenn  ich  niclit  «resiicht  liiitt»'.  einen  seriellen  JVlann  auf  eine  Weise 
hier  zu  lixieren,  die  ihm  rine  scirgenfn-ie  Heschiiliigunir  mit  seinen  Wissen- 
schaften verstattete."  f  l'oggendorf  1.  12Gt>  Ö'.  Seine  Schniien  ebenda.  KÖpke, 
Gründung  der  Universität  Berlin  p.  73.) 


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Ans  d«i  Tagtbflolnni  dM  alten  Hdm.  78 


8)  Valentiii  Bose,  Apotheker,  geboren  zu  Berlin  31.  Oktober  1763. 
Seit  1797  war  er  Assessor  beim  Ober-Medizinal-Kollegium.  Er  war  ein  eifriger 

Chemiker,  Mitglied  der  Gesellschaft  iiaturforschendor  Freunde,  Besitzer  der 
Apotheke  ,,zum  weissen  Schwan"  in  der  Spandauerstrasse,  liier  war  Klaproth 
sein  Gehilfe.  (Poggendorf  II.  687.  Pagel,  Entwicklung  der  Medizin  in  Berlin 
1897.  p.  29.) 

e)  Heinrich  Karl  Jakob  Lipten,  Kirchenrath  des  reformierten  Kirclicn- 
direktoriums,  Domkirchen-  und  Joachimsthalsehen  Schuldircktoriums,  geboren 
22.  November  1737  zu  Alt-Landsbcrg.    (Gel.  Berl.  1795.  1.  289.) 

7)  Ramler,  Der  , .deutsche  IToraz"  und  schonungslose  Kritiker,  lebte 
seit  1745  in  Berlin,  wo  er  von  1748—90  maitre  de  la  philosophic  am  Ka- 
dettenkorps war.  Bekannt  ist  seine  Thätigkeit  als  lOtdirektor  des  National- 
theaters  neben  Engel  von  1786  an,  bis  Ihn  1796  inand  ablöste.  Er  starb 
am  11.  April  1798.  (Allg.  d.  Biogr.  XXVIL  213.) 

s)  Jobann  Friedrieh  Zeel  In  er,  Probst  von  Berlin,  Pastor  an  St.  Marien 
nnd  Nikolai,  OberkonsiBtorialratb.  ZoeUner  war  Universalgelehrter,  Theologe, 
Philologe,  Historiker,  Naturforscher;  er  hielt  Voriesnngen  über  Technologie, 
in  denen  Alexander  v.  Humboldt  sein  Zuhörer  war.  Zoellner  war  Mitglied 
der  Akademie  der  Wissenschaften  und  der  Gesellschaft  naturforschciider 
Freunde.  Von  seinen  zahlreichen  Schriften  seien  genannt  das  berühmte 
„Lesebuch  für  alle  Stünde"  (seit  1781),  „Wöchentliche  Unterhaltungen  über 
die  Erde  und  ihre  Bewohner",  die  er  zusammen  mit  J.  S.  Lange  seit  1784 
herausgab;  „Geschichte  des  heatigen  Europa  vom  5.  bis  zum  18.  Jahrhundert" 
1785  fL  Geschadet  hat  es  mit  vollem  Beeht  ihm  im  Urtheile  der  Naehwelti 
dass  er  Friedrieh  Wilhelm  IL  Julie  von  Voss  als  zweite  Fran  zor  linken 
Hand  antrante.  Br  ist  geboren  za  Nendanmi  in  der  Nenmark  am  24.  April 
1753.  (Gel.  Berlin  1795.  IL  260.) 

•)  Johann  Erich  Biester,  geb.  17.  November  1749  za  Lübeck,  hatte 
in  Göttingen  Litteraturgesehichte,  Sprachen,  Geschichte  studiert.  1777  kam 
er  al.s  PrivatsekretUr  des  Ministers  v.  Zedlitz  nach  Berlin  und  wurde  1784 
von  Friedrich  dem  Grossen  persönlich  zum  Bibliotheker  an  der  königlichen 
Bibliothek  ernannt,  die  er  wllhrend  seiner  Amtsdauer  bedeutend  förderte. 
Mit  Gedicke  gab  er  die  Berlinische  Monatsschrift  seit  1783  heraus,  wodurch 
er  sich  die  Abneigung  d^s  Ministers  v.  Wöllner  zuzog,  derentwegen  er  auch 
nicht  Ifitglied  der  Akademie  der  Wissensohaften  wurde;  Friedrich  Wilhelm  m. 
ernannte  ihn  sofort  nach  seinem  Begiemngsantritte  daza.  (GeL  Berlin 
1795  L  39.  Allg.  d.  Biogr.  n.  632). 

!•)  Über  Nicolai  sei  verwiesen  auf  Allg.  d.  Biogr.  XXUL  580  ff. 
V.  Qoeckingk,  Friedrich  Nicolais  Leben  und  litterarischer  Nachlass,  Berlin 
1820,  Jacob  Minor,  Lessings  Jogendfrennde  in  Kürschners  Deutsche  National- 
literatur Bd.  72  p.  275  -S'IS;  ein  schätzenswerther  Beitrag  zur  Utterar- 
historischen  Darstellung  Nicolais  ist  Altenkrfilger,  Friedrich  Nicolais  Jogend- 
schriften,  Berlin  ls9l. 

n)  Am  3.  Jnli  1  T'JO  war  Fichte  nach  Berlin  gfekommon,  nachdem  er 
infolf^e  des  durch  seinen  Aufsatz  ,,Über  den  Gruml  unseres  Glaul)ens  an 
eine  göttliche  Weltauschauang"  (1798  im  Philosophischen  Journal  erschienen) 


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I 


74  Georg  Siflgoilt 

entstBndenen  „Atheismiustreites"  tan  29.  USrs  aelne  EnUaisung  ans 
Weimariscliem  StaatatUeiut  erhalten  hatte.  Die  knnXcbtlSQbe  Beglenuig 
hatte  aof  Gnmd  einer  anonymen  Denunziation  »»Sendgehieiben  eines  Vaten  an 

seinen  stadierenden  Sohn  über  den  I^chteschcn  und  Forbergscheu  Atheismus" 
das  Philosophischo  Journal  konfisciert  nnd  die  Bestrafung  der  Herausgeber 
jfcfordert.  In  Weimar  wollte  man  den  g-nnzon  Handel  mit  einer  verweisenden 
Massregcl  ohne  jeden  Eingriff  in  die  Lehrirt  ilu  it  beilegen;  Fichte  erklürtc 
jedoch  in  einem  Schreiben  an  den  Kurator  der  Universität  Jena,  dass  er 
einen  Verweis  nicht  annehmen  werde,  und  drohte  mit  seiner- Demission  und 
dem  Weggänge  der  bedeutendsten  Dozenten  von  Jena.  Darauf  erfolgte  der 
Verweis  und  Fichte  erhielt  seine  Demission;  aneh  Goethe  hatte  nim  Im 
Staatsrathe  gegen  Ihn  gestimmt.  Durch  Altenstehi  erhielt  er  eine  St^lnng 
an  der  damals  prenssisehen  UniversitHt  Erlangen,  doch  sollte  er  dort  nur 
im  Sommer  lesen  nnd  im  Winter  in  Berlin  Vorlesungen  halten.  Nur  im 
Sommer  1805  hat  er  in  Erlangen  gelesen.  1810  trat  die  Universität  Berlin  ins 
Leben,  deren  erster  gewühlter  Sektor  er  war  (1811/12).  (AUg.  d.  Biogr.  VI.  7630 

la)  Ignas  Anrelius  F essler,  geboren  18.  Mai  1756  zu  Zurtoy  an  der 

Leitha  in  Xiederungam,  ursprünglich  Kapuziner,  unterrichtete  1784  Kaiser 
Josef  II.  von  den  geheimen  Missbriluchen  der  Klosterdisziplin,  wodurch  eine 
strenge  Untersuchung  aller  Klöster  des  österreichischen  Staates  veianlasst 
wurde.  Seine  schriftstellerische  ThUtigkeit,  besonders  sein  Trauerspiel 
„Sidney",  woiin  er  den  Papisnius  Jakobs  II.  von  p]n^land  stark  geisselt, 
zog  ihm  1788  einen  iiskaiischeu  Prozess  zu,  vor  dem  er  nach  Schlesien  Höh. 
1791  trat  er  zur  hititerisehen  Kirche  ttber.  Von  1796  bis  1809  lebte  er  in 
Berlin  als  Schriftsteller,  wo  er  namentlich  auf  frelmaorerischem  Gebiete  thütig 
war;  es  erschienen:  „Sitmtliehe  Schriften  ttber  Freimaurerei«*  (1801).  1809 
ging  er  nach  Russland  als  Professor  dar  orientalischen  Sprachen  und 
Philosophie  an  der  Alexander-Newßky- Akademie  zu  Petersburg,  wurde 
jedoch  bald  als  Atheist  verdliolitigt  und  siedelte  nach  Saratow  über.  1815 
schloss  er  sich  der  Ilerrnhuter  Gemeinde  an,  wurde  streng  gl.'luhig  und  starb 
schliesslich  als  General-Superintendent  und  Kirchenrath  der  liitheri.sc'hen  Ge- 
meinde  in  Petersburg  lö3y.  Eine  Selbstbiographie  ,.Kückblii  kc  auf  seine  siebzig- 
jährige Pilgerschaft"  ist  1824  in  Breslau  erschienen.  (Allg.  d  Biogr.  VI.  723.) 

11)  Leopold  Friedrieh  Günther  von  Goceking  wurde  1793  als  Geheimer 
Ober-l-inanzrath  naeh  J'.crlin  benifcn,  nuclidcm  er  vorher  in  Ilalberstadt, 
Ellricli  nnd  zuletzt  als  Land-  und  Steuerratli  der  Grafschaft  Wernigerode 
thiiiig  gewesen  war.  In  Ilalberstadt  trat  er  mit  dem  Gleimschen  Kreise  in 
Verbindung;  er  ist  einer  der  wenigen  FinanzmSnner,  an  dessen  Wiege  die 
Musen,  weniger  aber  die  Grazien  gestanden  haben.  Einer  wirklichen  Ver- 
tieftmg  in  seinen  Dichtungen  stand  seine  breite,  gemächliche  Natur  im 
Wege;  selbst  seine  berühmten  „Lieder  zweier  Liebenden*'  (1777\  die  den 
Beifall  von  ganz  Deutschland  fanden,  nnd  denen  ein  wirkliches  Liebes- 
verhllltnis  zu  Gruiidt'  lag,  sin<l  innorlieh  kalt  und  nüditeni.  (Vergl.  Pröhle, 
t?ber  Goe<  kin^'-s  Lieder  zweier  Liehenden  Voss.  Zt^,'.  Sonntagsbeilage  1891 
No.  12  f)  Am  besten  lag  ilim  die.  Kpistelpoesie.  Kr  war  betheiligt  an  der 
Herausgabe  des  Göttinger  Musenalmanachs  von  Bürger  sowie  an  dem  von 


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AvB  dm  TligebfidMiii  dM  alteo  Hehn. 


76 


J.  H.  VoBS  b^grUndeteii  Almanaob  (1780).  1807  tm  er  in  den  Ruhestand, 
lehte  von  1814  bis  1826  wieder  In  Berlin  nnd  starb  am  2H.  Februar  1828  zn 
Wartenberg  in  Schlesien.  Geboren  war  er  in  Grllning'en  bei  llalborstadt  am 
13.  Juli  1748.  (Gel.  Berlin  1825  p.  7().  All^j.  d.  Biogr.  IX.  (focdccke,  Gruiulriss 
zur  Gesch.  d.  dtsch.  Dicht^.  IV.  37d.  Vergl.  auch  Parthey,  Jugenderinnerungen.) 

m)  Friedrich  Gottlieb  Unger,  Professor  der  Holzschneidekunst  und 
Mitglied  der  Akademie  dor  Künste,  war  1753  zu  Berlin  geboren.  Er  war 
Lehrling  bei  Decker,  wandte  sich  aber  dann  dem  Forrnenschneiden 
(Holzschnitt)  zu  und  erreichte  hier  grosse  Erfolge.  Bekannt  sind  die  von  ihm 
erfundenen  üugerschen  Lettern,  bei  denen  di(!  Ecken  weggeschaflX  wurden 
und  der  Dmck  an  Helle  und  Dentlichkeit  gewann.  Anch  dem  Kartendnudc 
wandte  er  seine  Anftnerksamkeit  zn;  1791  erschien  sein  „Verschlag,  wie 
Landkarten  auf  eine  sehr  wohlfeUe  Art  k()nnen  ^emeinnlitsiger  gemacht 
werden".  Er  vertrat  efaie  entschieden  fk«isinnige  Bichtnng;  gegen  WOIlners 
Censor-  und  Religionsedikt  machte  er  energisch  Front  Als  Verleger  trat 
er  zu  Schiller  und  Goethe  in  Beziehtingen,  doch  hatte  er  geschäftlich  viele 
Jlisserfolge.  (Gel.  Ber.  1795  II.  245.  Allg.  d.  Biogr.  (Geiger)  XXXIX  291.) 

1»)  Wilhelm  Abraham  Teller»  geboren  zu  Leipzig,  9  Januar  173!, 
gestorben  zu  Berlin  am  8.  Dezember  1804  als  Ober-Kons^istorialrath  und 
Propst  von  Kmin.  Seit  1767  fdoni  0«1.  Berlin  1795  II  2o4  zufolge  170'^) 
wirkte  er  in  Berlin  und  war  hier  iieV)en  ZfHlner  Hauptvertretcr  der  Aiif- 
kliirung,  auch  wUhrend  des  Woellnerschen  K'i  giiiu  nts,  welehe  Ilalluiig  ihm 
1792  eine  dreiuionatliche  Amtsenthebung  und  Einbehaltung  seints  üelialta 
kostete.  Dennoeh  blieb  er  seiner  Überaengung  tren.  Als  einige  jüdisehe 
HansTftter  in  einem  offenen  Sendschreiben  ihn  fragten,  ob  zum  Übertritt 
zum  Christenthnm  die  Tanfe  nOthig  sei,  nldit  vielmehr  die  Annahme  der 
Yemnnftwahrheiten  der  christlichen  Lehre  und  Lossagong  vom  mosaischen 
Gesetz  gentfge,  antwortete  Teller,  da,s.s  er  weder  Taufe  noch  ein  formelles 
Glaubensbekenntnis  für  nothwendig  halte.  In  seinem  „Lehrbuch  des  Glaubens" 
hatte  er  schon  1701  seine  anti-orthodoxe  Stellung  so  offen  dargelegt,  dass 
das  Buch  in  Sachsen  konfisziert  wurde.  (Allg.  d.  Biogr.  XXXVII  bbü.  Geiger, 
Geschichte  der  Juden  I  119.) 

16)  Kricdrich  Gedike,  D.  theol  ,  Ober-Kirclien-  und  Schulratli,  Direktor 
des  vereinigten  Berlinischen  und  Küllni.sehtui  Gynmasiums  und  der  davon 
abhängigen  Schulen,  Mitglied  der  Akademie  der  Wis«enschafton  und  der 
Künste.  G.,  geboren  an  Boberow  in  der  Prignitz  am  15.  Jannar  1754, 
ist  einer  der  hervorragendsten  Schuhniinner  des  18.  Jahrhunderts.  Wie 
Heierotto  am  Joaehimsthal,  ftthrte  er  zaerst  am  Friedrichswerderschen  Oym- 
naslnm  das  Fachsj^m  durch,  führte  Ccnsuren  ein.  Zusammen  mit  Meierotto 
veranlasste  er  das  Edikt  Uber  die  Maturitätsprüfungen  vom  20.  Dezember 
1788.  In  den  alten  Sprachen  sorgte  er  für  Gleichstellung  des  Griechischen 
mit  dem  Lateinischen:  M^l  erschien  die  erste  Auflage  seine?»  griechischen 
Lesebuches.  Als  Mitglied  des  17H7  eingerichteten  Ober-SchuIkoUegiums 
konnte  er  seine  reformatorische  'J'hätigkeit  auch  auf  die  Provinz  ausdehnen; 
in  demselben  Jahre  begründete  er  das  Seminm*  für  gelehrte  Schulen.  Yergl. 
seine  Biographien  von  H.  Schmidt  (1803)  und  Franz  Horn  (1800)  sowie 


76  Omg  Blogerfit 

lloidemann,  Geschichte  des  ^anen  Klosters  (1874).  Br  Starb  am  3.  Mai  1803* 
(Allg.  d.  Biogr.  VIII.  187.  Gel.  BerL  1795.  I.  141.) 

u)  Angust  Wilhelm  Schlegoi,  dor  im  Febmar  1801  nach  Berlin  prc- 
konimon  war,  cniffnpte  im  \ovcnil>er  lS(t:j  Vorlesungen  U>>er  schöne  Künste 
und  Litteratur,  die  unter  dem  Titel  „Über  Litteratnr,  Kunst  und  Geist  des 
Zoitalters"  in  seiner  Zeitschrift  „Europa"  1S03.  II.  p.  erschienen;  im  Sommer 
1.SU3  setzte  er  sie  fort,  und  im  Winter  18U3/4  ia^s  er  „Geschichte  und  Cha- 
rakteristik der  eigcnthümlichen  Poesie  der  Hauptnationen  des  heutigen 
Europa".  Seinem  „kritiechen  Sohreckenssystem"  im  „Atfaenlma"  folgend,  er- 
USrte  er  aebonnngdos  den  Berlinern,  die  sich  darob  entsetiten,  „die  Dantseben 
beBttsaen  noch  keine  Litteratnr,  seien  nur  ezapentriach  in  der  Dimunheit,  die 
sogenannte  Wissenschaft  der  Gegenwart  beruh*^  auf  ünkunde  der  Ver- 
gangenheit, nnd  die  gepriesene  AufklHrung-  und  Denkfreiheit  laufe  auf  Halb- 
heit, Missverstand  und  geistig-e  SchwUche  hinaus".  (Krii)ke,  Die  Grtlndung 
der  Universität  Berlin  p.  2^.)  Ajiril  1m>4  entführte  l'rau  von  StaCU  den  eitlen 
Mann  als  üaoslelirer  ilirer  Kinder  mit  einem  Gehalt  von  12  000  Fr(».  nacti 
Coppet. 

1«)  Georg  Ludwig  Spalding,  Sohn  des  Propstes  an  St.  Nikolai  Johann 
Joachim  S.,  geboren  zu  iiarth  in  rommern  8.  April  17G-i.  Auf  dem  Gruueu 
Kloster  Torgebildct,  studierte  er  in  Güttingen  nnd  Halle  Tbeologie  and 
Philologie,  bereiste  Frankreich,  England  und  Holland,  wurde  Erzieher  beim 
Frinsen  Ferdinand  von  Prenssen  nnd  1787  Professor  am  Grauen  Kloster. 
Das  Hauptwerk  seines  Lebens  ist  die  Bearbeitung  der  Institntio  oratoria  dea 
Quintillan,  deren  erster  Band  1798  erschien.  Band  4  wurde  erst  nach  seinem 
Tode  von  Buttmann  (1816),  Band  fj  von  Zurapt  d--  .'*.)),  Band  6  von  Bonnell 
(IS31)  herausgegeben.  Das  Werk  brachte  SpaUliiii;  die  Mitgliedschaft  der 
Berliner  und  Müncliener  .Akademie  der  Wissenschaften.  Er  starb  am  7.  Juni 
1811  auf  seinem  Landgute  in  Frieth  iehsft  Itlc  bei  Herlin.  Die  Gedenki  ede  in  der 
Akademie  hielt  ihm  Butlmauu  an»  3.  Juli  lbl4.  (Allg.  d.  Biogr.  XXXV.  p.  29. 
Gel.  Berl.  1795.  II.  183.  Abh.  d.  Akad.  Physik.-mathemat.  Klasse  181 1  p.  2A  ff.) 

1»)  V.  Sehl  echten  dal  kam  1798  als  Stadtgeriehlsdirektor  nach 
Berlin,  nachdem  ihn  die  Eirobeining  des  linken  Kheinufers  durch  die  fran- 
zösischen Heere  aus  seiner  Hefmath  Xanten  vertrieben  hatte.  (Allg.  d. 
Biogr.  XEXL  351.)  . 

m)  Johann  Peter  Erman,  Ober-Konsistorialrath  und  Prediger  bei  der 
ft^anaOsiachen  Gemeinde  des  Friedricha^Werder,  war  geboren  zu  Bertin  am 
1.  Mltrz  1735.  Die  Familie  stammt  aus  dem  Elsass  und  hiess  ursprünglich 
Ennendinger.  Seit  1766  war  E.  auch  Direktor  des  französischen  Gymnasiums, 
femer  war  er  langjähriges  Mitglied  der  Akademie  der  Wissenschaften.  Eins 
seiner  Hauptwerke  ist:  Memoires  pour  servir  a  I  histoire  des  refugies  Fran^ois 
dans  les  etats  du  roi  (mit  Ixcelam  bearbeitet).  1T82  ff.  8  Bde.  stark.  (Gel 
Berl.  1795.  L  108  tV  Allg.  d.  Hictgr.  VI.  237.)  Bekannt  ist  Ermans  muthvolles 
Auftreten  gegen  Nafx'jion,  als  dieser  im  Oktober  l8(Mi  in  Berlin  Schmähungen 
gegen  die  Königin  Luise  aussliess.  Entrüstet  trat  der  greise  Geistliche  aut 
den  Imperator  ZU,  ergriff  ihn  beim  Ärmel  und  rief:  „Sire,  ce  n*est  pas  Trai!*' 
Am  9.  Dezember  1804  hatte  er  unter  allgemehier  Theilnahme  sein  SOjIfarigea 


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Aus  den  Tagebdcliern  des  alten  Heim. 


77 


PMdIgQijatiiläim  gefUert,  bei  wdohor  Qelegeiiheit  ihm  S.  H.  Oatel  dne 
blograpMBehe  SUzse  widmete. 

u)  J.  D.  Sander,  saent  SehidmMm  (Philologe),  dann  Inhaber  der 
Vonischen  fiachhandlung.  Sehr  b<tee  war  er  auf  Schiller  nnd  (Goethe,  als 
der  MuBenalmanaeh  von  1796  mit  den  Xenien  erschien,  ebenso  1797  auf  den 

„^gestiefelten  Kater"  von  einem  „gewissen  Lndwig  Tlek",  die  Satire  auf 
Iflland  und  das  Berliner  Publikum.  Als  1797  „Hermann  und  Dorothea"  bei 
Voss  gedruckt  wurde,  las  S.  die  Korrektur.  Er  liatto  nianolio«?  an  Goothes 
Versen  auszusetzen.  isOO  las  er  auch  zu  Goethes  p^rosser  Zufriedenheit  die 
Korrektur  von  dessen  neuesten  (iediciiten,  die  hei  Unger  gedruckt  wurden, 
und  in  demselben  .Jahre  lernte  er  auf  einem  Besnchc  in  Weimar  bei  dem 
dortigen  Gjmmasialdirektor  Böttiger  den  Dichter  persönlich  kennen.  (Beaulieu- 
Marooimay,  Berliner  SklEsen  nnd  „Im  nenen  Beich*'  1876.  IL  p.  65  ff.) 

22)  Daniel  .Tenisch,  Prediger  an  St.  Nicolai,  geboren  am  2.  April  1701 
zu  lleiligenbeil  in  Ostprcussen.  Er  war  in  der  That  sein*  gelehrt,  übersetzte 
den  Agememnon  des  Aeschylos,  schrieb  über  Aristoteles,  Kant,  Mendelssohn, 
machte  Gedichte,  Ubersetzte  englische  Philosophen  (Spencer,  Harris,  Camp- 
bell), sehrieb  Vorlesnngen  Aber  den  Stil,  besang  in  dem  zweibSndigen  Epos 
„Borossias'*  den  siebeqjährigen  Krieg  etc.  (Gel.  Beri.  1795.  I.  222.) 

ss)  GottUeb  Hill  er,  Natordichter,  geboren  am  15.  Oktober  1778  zn 
Iiandsberg  in  Sachsen,  kam  nach  dem  Tode  seines  Vaters  Jung  nach  Köihen. 
Schon  als  lOjBhriger  Knabe  machte  er  kleine  Lieder,  welche  die  Kinder  auf 

der  Strasse  sangen.  Erst  mit  12  Jahren  besuchte  er  die  Elementarschule. 
Nach  der  Konfinnation  erwarb  er  sich  seinen  Unterhalt  als  Fuhrmannsknecht 
und  Tagelöhner,  las  dabei  fleissig,  iiameiitlieh  Wieland.  Allmählich  erschienen 
einzelne  Gedichte  im  Druck  und  fanden  Beifall,  1805  erschien  eine  Samm- 
lung mit  Selbstbiof^raphie  und  Bildnis  Hillers.  Selbst  Goethe  nahm  die  Ge- 
dichte mit  „hilliycui  Urthcil"  auf.  H.  starb  zu  Bernau  am  9.  Januar  Ibüü. 
(Allg.  d.  Biogr.  XII.  420.) 

34)  Bekanntlich  sollte  Schiller  dauernd  au  Berlin  gefesselt  werden. 
Iflland  nnd  Beyme,  der  sich  schon  seit  1602  mit  den  Pinnen  ebier  hier  sa 
begründenden  Unlversitftt  trug,  forderten  ihn  anf,  seine  Bedingungen  zu 
stellen;  er  that  dies  ancb,  reiste  aber  am  18.  wieder  ab;  Herzog  Kai lAngnst 
bewilligte  ihm  die  gewünschte  GefaaltserhOhtmg,  womit  der  Gedanke  an  eine 
Übersiedelung  m\rh  Berlin  endgiltig  aufgegeben  wnrde.  Auch  als  Mitglied 
der  Akademie  der  Wissenschaften  hatte  man  ihn  zu  gewinnen  versucht. 
Natürlich  besuchte  Schiller  in  Berlin  auch  Henriette  Herz,  die  zu  ihrem  Er- 
staunen ihn  als  einen  sehr  lebenskluefen,  in  seinen  Äusserungen  vorsichtigen 
Mann  kennen  lernte,  während  sie  sich  ihn  als  eine  Art  Posa  vorgestellt  hatte. 
Aber  diese  Zuiückhaltung  liaif  ihm  uicht  viel.  Die  neugierigen  Residenzler 
verstanden  sehr  gut,  das,  was  er  ihnen  verschweigen  wollte,  ans  seiner  ge- 
wandt gestellten  Fragen  weniger  gewappnet  gegenüberstehenden  Frau  her> 
ansanholen,  so  seine  Ansiebt  ttber  die  damals  brennendsteTagesfrage  ImTheater- 
leben  Berlins,  ob  Madame  Fleck,  die  splltere  Madame  SehrOck  die  Thekla 
„richtig*'  spiele;  Lotte  Schiller  veiTieth  bald,  dass  sie  ihm  gar  nicht  behage. 
Über  Fcan     Statt  klagte  er»  sie  besitie  sn  wenig  Weiblichkeit;  in  Jena 


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78 


0«mg  fitogtrist 


habe  sie  in  einem  Hause  gewohnt,  das  wegen  eines  Spuks  anrüchig  wnr  und 

sieh  sehr  p^prülmit,  dass  dieser  Spuk  sich  wfihivnd  ihrer  Anwesenheit  nicht 
bemerkbar  gejiiaclit  luibe.  Schiller  8chh)ss  seine  Erziililuiig  mit  den  Worten: 
„Aber  liütte  denn  selber  ein  Geselle  Satans  mit  der  zu  schaffen  liabi-n 
mögen?''    (Fürst,  Henriette  Herz.    Köpke,  Gründung  der  Universität  lici  lin.) 

2%)  Man  vergleiche  hiermit  Schhnermachers  Urtheil  über  die  Kotzebueschc, 
von  dem  Publikum  vergöttert  gewesene  Muse:  „Der  Kotzebue  ist  doch 
ein  niederträchtiger  Kerl.  Er  hat  auch  nicht  die  mindeste  Vorstellung  Ton 
wahrer  Sittlfehkeit  und  eelbst,  wo  er  edlere  Charaktere  aufttellen  wiU,  ver- 
dirbt er  sie  auf  die  gemeinste»  ekelhafteste  Art,  und  man  scfaXmt  sich  ordent- 
lich and  Krgert  sieh,  wenn  man  sich  bei  ebuselnen  Sitnationen  rühren  Usst, 
was  mir  ebrliehem  Hönde  doch  hier  nnd  da  begegnet*^  (Streckfliss,  Berlin 
im  19.  Jahrhundert  I.  40.)  Ähnlich  schreibt  Kahel  Vamhagen  1812  an  ihren 
Bruder  Ludwig  Kobert  über  Kotzebues  „Cora'*:  ..Dass  letzteres  Stück,  wie 
es  dasteht,  gegeben  wird,  macht  den  Sitten  der  Deutschen  echte  Schande; 
dass  es  überhaupt  gegeben  wird,  zeigt  von  der  groben  Rohheit  des  grösseren 
Publikums  unserer  Nation;  dass  Kotzebue  es  machte,  von  der  StUmpcrhaftig- 
keit  seiner  Begriflc  und  der  völligen  i'iatiheit  seiner  Gesinnungen. •*  (Kahel, 
Ein  Bach  des  Andenkens  für  ihre  Freunde  II.  p.  60.) 

Mj  Humboldts  grosso  Heise  nach  Süd-  und  Miuelamerika  hatte  Uber 
5  Jahre  gedauert;  am  5.  Juni  1799  war  er  auf  einer  spanischen  Fregatte  Ton 
Omifta  abgesegelt,  am  3.  Angast  1804  in  Bordeaux  ans  Land  gestiegen. 
Dann  hatte  er  sich  in  Paris  an%ehalteni  um  die  Herausgabe  seines  Heise- 
Werkes  an  betrdben,  war  im  UMn  1805  mit  Gay-Lnssac  nach  Italien  ge- 
gangen, hatte  den  Bmder  Wilhelm  in  Horn  wieder  begrflsst  nnd  war  im 
Herbst  mit  Guy-Lussac  und  Leopold  v.  Bach,  den  er  in  Neapel  getrofien 
hatte,  nach  Berlin  zurück^Tk<'hrt,  wo  ihn  Friedrich  Wilhelm  III.  zum  Kammer- 
herrn ernannte  und  ihm  eine  Pension  aus  den  Fonds  der  Akademie  aussetzte. 
Als  Mitglied  dieser  las  IL.  im  Jahre  IbUli  eine  Keihe  von  Abhandlungen,  die 
den  Grundstock  zu  den  isn;  veröffentlichten  „Ansichten  der  Natur"  bildeten. 

27)  isoo  hatte  Allx  rt  Thaer  in  Möglin  die  erste  höhere  landwii-tlischal't- 
liche  Lehraiibtak  I'reussens  begründet. 

ia)  Festschrift  zum  5ujährigen  Stiftungsfeste  der  CJeselischait  natur- 
forschender Freunde  am  ü.  Juli  1^23.    Kudolphi,  Kcisebcmerkimgen  p.  51. 

2»)  Moritz  August  v.  Thümmel,  der  Verfasser  von  „Wilhelmine",  „Die 
Inokulation  der  Liebe",  der  lobilndigeu  „Reise  in  diu  mittaglichen  Provinzen 
von  Fhrankreieh". 

M)  Aimö  B  onplan  d,  Humboldts  Reisegeflthrte  auf  seiner  amerikanisciieii 
Reise.  Er  war  1773  am  22.  August  an  La  Hochelle  geboren  und  hatte  Medizüi 
studiert,  sich  dann  der  Botanik  gewidmet.  Humboldt  lernte  er  in  Paris 

kennen,  als  B.  1798  dorthin  kam,  um  sich  an  der  geplanten  Weltreise 
des  KapitJins  Bändln  zu  bctheiligen.    Da  die  Expedition  verschobwi  wurde, 

scliloss  er  sich  an  Humboldt  an.  Nach  Paris  zurückgekehrt,  wurde  er 
namentlich  der  Scliiitzling  der  Kaiserin  Josephine.  die  mit  ihm  die  Leiden- 
schaft für  Blumen  theilte;  er  wurde  Gartenintendant  zu  Malmaison.  Nach 
der  Trennung  Napoleons  vou  der  Kaiserin,  der  er  treti  ergeben  blieb,  erblich 


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An»  den  T^baeham      altan  Halm. 


79 


sein  Stern.  Nach  Napoleons  Sturz  ging-  or  auf  immer  nach  Südamerika  und 
starb  am  4.  Mai  185«  zu  Santa  Anna  in  Parafjruay,  nachdem  er  vir!*-  Schick- 
salssehläg'e  erlahron  hatte,  die  zum  Tlieil  auch  eines  romantisicheii  Hauchs 
nicht  entbehren.  Seine  Biograplüe  schrieb  A.  Brunei,  i'ari.s  1611,  o.  Aufl. 
Seine  Schriften  eind  fast  ausschliesslich  botanischen  Charakters.  (Noav.  Biogr. 
gdn.  VL  651.) 

•i)  Auf  Anregung  des  Grafen  J<dMiiii  Gentorius  Hoffmaansogg  be- 
sehlosB  FHedrieh  Wilhelm  m.  die  Einriehtnng  eines  soologiachen  Kabinets, 
des  Gnmdstooka  zum  jetzigen  zoologischen  Mosenm.  Graf  H.  schenkte  hierzn 
eine  Sammlung  von  brasilianischen  Sängethieren,  VOgeln  und  Amphibim 

(über  1000  Exemplare).    Seine  Insektensammlung,    aus  18  504  Arten  In 
*r»r)O0O  Exemplaren  bestehend,  wurde  181*^  vurn  Staat  filr  22  000  Thlr.  ange- 
kauft.   (Köpke,  Gründung  der  Universität  Berlin). 

32)  Karl  Ludwig  Willdenow,  Botaniker,  geboren  zu  Berlin  am 
2?.  August  17()5,  war  seit  IHOI  Vorsteher  des  botanischen  Gartens,  der  unter 
seiner  Leitung  sehr  gehoben  wurde,  wie  Kudolpihi  von  ihm  rühmt;  er  war 
Mitglied  der  Akademie  der  Wissenschaften  und  der  Gesellschaft  natur- 
forschender Freunde.  (G.  B.  1795.  I.  2C4  fi.  Pagel,  Entwicklung  der  Medizin 
Berlin  54.) 

w)  Dietrieh  Ludwig  OnslaT  Karsten,  lOneraloge,  geboren  8.  April  1768 
SA  Bfltsow  in  Mecklenburg,  gestorben  20.  Mai  1810  in  Berlin.  Er  wurde  als 
Berg-Assessor  1789  dorthin  berufen  nnd  dnrchlief  sehr  aehnell  die  yer- 
sehiedenen  Grade  des  Bergfachs  bis  zom  Staatsrath  nnd  Leiter  dee  gesamten 
prenssischen  Bergwesens.  Er  hielt  Vorlesungen  über  Mineralogie,  die  von 
MUnnern  aus  allen  Kreisen  lebhaft  besucht  wurden.  Er  war  Mitglied  der 
Akademie  der  Wissenschaften  und  der  Gesellsehaft  naturforschender  Freunde 
sowie  von  1  1  frem<len  j^elehrten  Körperschaften.  I^eopold  v.  Buch  sagte  in 
seiner  Gediichtnisrede  auf  Karaten  in  der  Akademie  am  3.  Juli  1814:  „Er 
war  es,  von  dem  mau  in  Deutschlaud  zuerst  lernte,  wie  man  Mineralien 
nnterscbeiden  müsse;  er  war  es,  der  zaerst  bekannt  machte,  was  Mineralien 
sind.*  Er  war  der  Begründer  des  mineralogischen  Kabinets  in  Berlin.  KOnigüi 
Lnise  sagte  von  ihm:  »Mineralien  darf  man  nnr  mit  Karsten  sehen;  denn  nnr 
Karsten  weiss  die  Steine  lebendig  zu  machen.«  (Abh.  d.  Akad.  Phys.-math. 
KK  1814/15.) 

m)  Johann  Gottlob  Schneider,  „Saxo",  wie  er  sich  nach  seiner  Hehnath 
nannte,  am  18.  Januar  1750  zu  Kolhnen  in  Sachsen  als  Sohn  eines  armen 
Maurers  gel)oren,  wtirde  in  Schulpforta  erzogen,  studierte  in  ljG\\<y.\<j:  Pliilo- 
lo^io;  nach  einem  Aulenthalt  in  Strassburj?  nahm  er  17TG  einen  Kuf  an  der 
Universität  i'"rankfiin  a.  (  ).  an,  der  er  auch  nach  ihrer  Verlegung  nach  Breslau 
bis  an  seinen  Tod  am  12.  Januar  l  anf^ehürte.  Bekannt  ist  sein  grieclii- 
sches  W^ürterbuch  (1795— 97)  j  mit  besonderer  Vorliebe  bearbeitete  er  die 
Naturgeschichte  der  Alten;  unter  vielen  anderen  gab  er  die  Thiergeschichte 
des  Aristoteles  (1811),  die  physikalischen  Briefe  des  Epikur  (1813),  Theophrast 
(1818—81),  die  romischen  Schriftsteller  Aber  Landwirthschaft  (1794—97) 
heraus.  (AUg.  d.  Biogr.  XXXII.  125.) 

«)  Leopold  T.  Buch,  geborien  26.  April  1774  auf  Sehlosi  Stolpe  bei 


80 


Angermttnde,  gestorben  4.  März  1853  zu  Berlin.  Hmnboldt  nennt  ihn  im 
Kosmos  den  grnssteii  rreo<nioston  unserer  Zeit.  Er  war  Schüler  Werners  auf 
der  berühmten  Bergakademie  t'reiberg  in  Sachsen.  Von  seinem  16,  Lebens- 
jalire  an  liat  er  last  alle  Theile  Europas  gcognostisch  und  mineralogisch 
durchtorscht.  Den  Vulkanismus  studierte  er  in  Italien,  wo  er  mit  A.  v.  Hum- 
boldt and  Gay-Lussac  in  Neapel  1805  ein  grossartiges  Erdbeben  und  einen 
AUBbrndi  des  Vesay  erlebte;  in  Skandinaviea  erfonehte  er  auf  einer  Beise, 
die  sich  bis  aom  Nordkap  nnd  den  Grensen  Finlanda  ausdehnte,  den  Granit 
nnd  legte  seine  epochemaehenden  Besultate  in  seiner  „Reise  dorch  Norwegen 
nnd  Lappland"  (1810)  nieder;  er  kehrte  von  ihr  als  „Reformator  der  ganzen 
geognostischen  Wissenschaft"  zurUck.  Dann  wurden  die  Alpen  durchforscht, 
die  canarischcn  Inseln  besucht  und  neue  Hypothesen  über  die  vulkanischen 
Inseln  aufprestellt  ( Physikalische  Beschreibung:^  der  canarischen  Inseln  1825), 
die  bis  in  die  neueste  Zeit  (ieltung  hatten,  nämlich  dass  die  vulkanischen  Inseln 
nicht  durch  Aulscliüttung,  sondern  durch  Erhebung  ihre  auttallende  Gestalt 
erhalten  hätten.  Um  dieses  Erliebungsprinzip  weiter  zu  beweisen,  besuchte  er 
die  Hebriden  und  wieder  die  Alpen.  Über  ein  Menschenalter  hindoroh 
blieben  Bachs  Theorien  unbestritten.   (AUg.  d.  Biogr.  III.  464.) 

3ii)  Martin  Heinrich  Karl  Lichtenstein,  geboren  10.  Januar  1780  za. 
Hamburg,  studierte  Medizin,  ging  1802  als  Hausarzt  und  Erzieher  der  Kinder 
des  hoIlUndischen  Gouverneurs  nach  dem  Kaplande,  machte  dort  als  Bataillons- 
chirurg den  Krieg  gegeu  England  mit;  nach  seiner  Bückkehr  nach  Deutsch- 
land ▼erOffimtiicfato  er  1810  „Reisen  im  stidlidien  AlMka'*.  In  demselben 
Jahre  wnrde  er  Prlyatdosent  an  der  UniversitBt  Berlin,  dann  Professor  der 
Natorgesehichte  nnd  Dhrekter  des  soologisehen  Hnsenms,  das  1810  anf  seinen 
Yorseblag  gegrtbidet  worden  war  und  dem  er  bis  m  seinem  Tode  am 
3.  September  1857  unermüdlich  yorstand.  Ebenso  hat  er  sich  um  den 
zoologischen  Garten  hoch  verdient  gemacht,  den  er  begründen  half;  ihm  zu 
Ehren  haben  Lichtenstcin-Alleo  und  -Brücke  ihren  Namen  erhalten.  (Biogr. 
Lex.  UI.  702.   Gel.  Berl.  1825.  p.  153.    1845.  p.  213.) 

ti)  Die  Begründung  einer  Berliner  Univei-sität  war  wie  schon  erwthnt,  S^t 
Anfang  des  19.  Jahrhunderts  eine  der  Lieblingsgedanken  Beymes  gewesen. 
Bereits  im  Jahre  1802  hatte  er  Johann  Jakob  Engel  beauftragt,  einen  Entwurf 
für  eine  höhere  Lehranstalt  auszuarbeiten.  1H07  wurde  der  Gedanke  wieder 
aufgenommen  und  in  ernsthafte  ErwUgung  gezogen;  es  musste  Ersatz  für 
Halle  und  die  kurze  Zeit  prcussisch  gewesene  Universität  Erlangen  geschaffen 
werden;  am  4.  September  1807  bereits  erfolgte  die  königliche  Kabinetsordre 
an  Bejrme  zur  Errichtung  ebner  höheren  Lehranstalt  ia.  Berlin.  Die  folgenden 
beiden  Jahre  sind  mit  Veriiandlnngen  Uber  die  llnansielle  Fandienmg  nnd 
die  Heranziehnng  von  Dozenten  ansgefüllt,  wobei  namentlleh  W.  ▼.  Humboldt 
und  Schlciermacher  hervortraten.  1809  am  22.  September  erging  die  Ka- 
binetsordre  zur  Gründung  der  Universität,  am  28.  September  1810  ernannte 
der  König  den  ersten  Rektor  (Schmalz)  und  die  ersten  Dekane  (Sohleier- 
macher, Bieuer,  Ilufeland,  Fichte),  und  am  6.  Oktober  wurden  die  G  eretcn 
Studierenden  immatrikuliert,  durunter  Heims  Sohn  Wilhelm,  der  erste  stnd. 
med.  der  Berliner  Universität.  Die  Oründungsgesohichte,  und  darin  anch  die 


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Aua  den  Tagebüchern  des  alten  Helm 


81 


WiderwIrtigkeiteD,  die  der  ErOffiiung  vorhergingen,  and  snf  die  sich  Heims 
.za  freie*  Sprache  bezidi^  tbeilt  KOpke  mit  in  seinem  Bache :  Die  Gründung 
der  Königlichen  Friedrich  Wilhelms-Universitilt  m  Berlin. 

w)  Johann  Eiert  Bode,  Mitglied  der  Akademie  der  Wissenschaften  and 
▼on  1787  bis  1825  Direktor  der  Berliner  Sternwarte,  stammte  aus  Hamburg,  wo 
er  am  19.  Januar  1747  geboren  wurde.  1772  wurde  er  als  rechnender  Astronom 
nach  Berlin  benift^n,  wo  er  die  von  clor  Akudeinio  liorausf^c^'-cbcin'  Samnihing 
astronomischer  Tafeln  bearbeitete,  die  alles  auf  die  beweglichen  Körp«'r  des 
Sonnensystems,  wie  auch  der  festen  I'uiikte  des  «r^^stirnten  Himmels  Bezüg- 
liche enthielten  (]77<i».  Seit  1777  Ijcaila'itete  er  das  Hirliiifr  astnuioniisolie 
Jahrbuch.  Von  seinen  eigenen  Arbeiten  sei  der  grosse  I  liinincl-athiti  genannt 
in  sciiner  ,1  ranographia*  (171)7 — 1801),  aus  2»»  Sternkarten  und  Titelkupfer 
im  grüssteu  Format  bestehend;  er  stellte  darin  die  bis  dahin  unerreichte 
Zahl  von  17  240  Sternen  fest.  Bode  nimmt  unter  den  astronomischen  Autoren 
des  18.  Jahrhunderts  den  ersten  Rang  ein.  Als  Entdecker  und  Beobachter 
konnte  er  nicht  viel  leisten,  da  die  Berliner  Sternwarte  auf  dem  Dache  des 
Akademiegebäudes  trotz  des  von  ihm  veranlassten  Anbaues  und  ihre  massigen 
Instrumente  ihm  hier  keine  genügende  Orundlagc  boten  Die  Gedächtnisrede 
in  der  Akademie  (er  starb  am  24.  Novcnibir  l^ifi)  hielt  ihm  sein  Nachtblger 
Eucke.    (roggendortl  I.  217.  B^tI.  !s:*5.  p.  25.    Abh.  d.  Akad.  18  57.) 

3o)  Daniel  Friedrieh  Parti»  ey  ist  geljoren  im  .I;ihre  ]7l'i  zu  l'raiiken- 
berg  in  Sachsen;  er  hat  sieh  vom  Leincwehci-  bis  zum  ii(»lr.i(li  im  General- 
Finanzdirektorium  hinaufgearbeitet,  war  Schwiegersohn  Fr.  .\i<  ()I;iis.  Vater 
Gustav  Partheys,  des  Inhabers  der  Xieolaisehen  Buchhandlung.  Nachdem 
er  in  Leipzig  vornehmlich  Musik  studiert  hatte,  wurde  er  Lehrer  im 
Banse  da  Gntfen  Medem  in  Kurland;  hier  schloss  er  mit  denen  Ältester 
Tochter,  Elisa  von  der  Becke,  Freundschaft  ffirs  Leben.  Durch  GOckingk 
wurde  Partbey  in  Berlin  eingeführt,  (cf.  Gustav  Parthey,  Jugonderinne- 
rungen  I.) 

4«)  Dr.  theol.  et  phil.  Johann  Joachim  Bellermann,  geboren  zu  Erfurt 
am  23.  September  1754,  wurde  1804  zum  Direktor  des  Grauen  Klosters  be- 

rofen.  Seit  1810  las  er  an  der  Universität,  181*;  wurde  er  zum  a.  o.  Professor 
ernannt.   Sein  Direktorat  legte  er  1828  nieder,  seine  \  orlcsungen  setzte  er 

bis  an  seinen  Tod  im  Jahre  1^42  f«>rt.  X(  ben  !'hil(*l(>gie,  Philosophie  und 
'riieologit'  Vieschäftigte  er  sich  lebliatt  mit  Naturw iss«ii.>cli;it'tL'n  uiul  Musik: 
seinem  I-äntiusse  ist  es  zu  danken,  <lass  drr  (ie,--angunlcrrieht  auf  den  {»reussi- 
achen  Gymnasien  wieder  eiugeflUirl  wiu'de.  (Allg.  d.  Biogr.  11.  oü*.  Gel. 
Berl.  1825.  p.  13  (Schritten].) 

4i)  Christian  Gottlried  Daniel  Stein,  Dr.  phil,,  geboren  zu  Leip/ug  ii  iJ, 
Professor  am  Grauen  Kloster.   (Gel.  Berl.  1825.  p.  275.) 

4ä)  Heinrich  Friedrich  Link,  geboren  2.  Kel»ruar  riü7  zu  Hildcblicim, 
gestorben  1.  Janaar  1851  zu  Berlin,  wurde  1815  als  Mitglied  der  medizinischen 
Fakidtät  und  Direktor  des  botanischen  Gartens  nach  Berlin  berufen,  nachdem 
er  vorher  in  Rostock  und  Breslau  gelehrt  hatte,  Link  war  Universalgelehrter. 
Er  war  von  Beruf  Mediziner,  doch  mit  besonderer  Bezugnahme  auf  die 
,K«tQrwiiBeiiBchaften;  hier  war  er  auf  allen  Gebieten  heimisch,  als  Zoologe, 

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82 


Georg  Siegeriit 


Botaniker,  Geologe,  IDnenJoge,  Chemiker,  Physiker;  In  der  Pflanzenanatomie 

und  -Physiologie  hat  er  hervorragendes  geleistet.  Er  hat  hier  als  Erster  die 

SelbstJlndifj^koit  der  pflanzliclicn  Zelle  hervorgehoben.  Der  Berliner  botanische 
Garten  hat  sich  unter  seiner  Leitnn^^  namentlich  durch  die  Arbeit  des  (  larteii- 
Inspoktors  Otto  so  gehoben,  dass  er  damals  als  der  reichste  Garten  Europas 
dastand.    (Allg.  d.  Biogr.  XVIII.  714.    Gel.  Ikrl.  1845.  p.  214  [Schriften].) 

43)  Philipp  Buttmann,  geburcn  zu  Frankfurt  a.  M.  am  5.  Dezember  1764, 
Verfasser  der  berühmten  griechischen  Grammatik,  die  1792  in  erster  Auf- 
lage erschien,  lebte  seit  1789  in  Berlin,  Btbliotiiekar  an  der  Königlichen  Blblio- 
thek,  deren  thatsAchliche  Leitung  er  seit  Biestera  Tode  1816  hatte,  obwohl 
er  die  ihm  angebotene  Stelle  des  ersten  Bibliothekars  ansschlng.  1806  wählte 
ihn  die  Akademie  der  Wissenschaften  zu  ihrem  Mitgllede,  von  1800  bis  1808 
war  er  Professor  am  Joachimsthalschen  Gymnasium.  Vorher  war  er  neun 
Jahre  lang  in  dcf  Hedaktion  der  Ilaudo-  und  Spcncrschcn  Zeitung  thfltig. 
Er  starb  am  21.  Juni  1829.  Die  Gcdiichtnissrede  in  der  Akademie  hielt  ihm 
Schleicnnachcr  am  8.  Juli  1830.  (Allg.  d.  Biogr.  III.  (106.  Gel.  Bcrl.  1825. 
p.  41.    Lowe,  Bildnisse  jetzt  lebender  Berliner  Gelehrter.  1S06.) 

4«)  Klenze,  Buttmann  und  die  Gesetzlosen.  1834.  Als  Manuskript  fBr 
die  Mitglieder  gedruckt. 

45)  Christian  Friedrich  Nasse,  Schiller  Reils,  Professor  derMedizfai  nnd 
Direktor  der  medizinisehen  Klinik  in  Halle,  Physiologe. 

46)  Christian  Friedrich  Hornschach,  Botaniker  nnd  besonders  Moos- 
forscher.  Er  ist  geborai  za  Bodach  im  Coburgischen  1793,  wurde  nach 
mehrjührigen  Forschungsreisen  1818  als  Demonstrator  für  Botanik  nach 
Grcifswald  lierufcn  und  1H20  zum  Professor  für  Naturgeschichte  und  Botanik 
er;iannt.    (Allg.  d.  Biogr.  XIII  158.) 

47)  Brutler  von  Ludwig  Robert  und  Rahel  \'aniliagcn. 

m)  Karl  Witte,  Jurist,  Wunderkind,  geboren  1.  Juli  1800  zu  Lochen 
bei  Halle.  Er  seichnete  sich  durch  ein  unglaubliches  Spraohentalent  ans. 
Mit  zehn  Jahren  wurde  er  in  Leipzig  immatrikuliert,  1814  promovierte  er  in 
Glessen  mit  einer  Schrift  über  die  Konchoide  des  Nikomedes,  eine  Knnre  des 
vierten  Grades.  Sein  Studium  erstreckte  sich  auf  alte  und  neue  Sprachen, 
Geschichte,  Mathematik,  Naturwissenschaften,  Philosophie,  Rechts-  und  Staats- 
wissenschaften. 18 IG  wollte  er  sich  zu  Berlin  habilitieren,  wurde  jedoch 
wegen  >»  iner  Jugend  noch  nicht  zugelas:^(  n  und  machte  nun  mit  Staats- 
untert^tiit/ung  eine  Heise  nach  Italien,  \y<<  er  sich  haupt.säclilich  dem  Studium 
der  italienischen  Kunst  und  Literatur  widmete,  besonders  mit  Dante  be- 
schäftigte. Er  Ubersetzte  sp&ter  auf  dieser  Grundlage  die  divinia  commedia 
in  mehreren  Ausgaben,  weitere  Werke  Dantes  und  Boccaccios  Dekameron. 
1833  wurde  er  a.  o.,  1829  o.  Professor  der  Beehte  in  Breslau,  spttter  ging  er 
nach  Halle.  Er  ist  Begründer  der  deutschen  Dante-Gesellschaft. 

m)  Johann  Gottfried  Karl  Christian  Kiesewettcr,  geboren  1766  zu 
Berlin,  war  Professor  der  Logik  am  Collegium  medico-chirurgicum  seit  1792. 
Er  bat  viel  philosophische  Schriften  hinterlassen,  darunter  , .Erste  Anfangs- 
gründe  der  reinen  Mathematik"  (1799).    (Püggen* lorli  I.  1255.) 

60  Johann  Wilhelm  Jakob  Borneniann,  General-Lotterie-Direktor, 
geboren  zu  Gardelegeu.   Er  schiieb  iall  „über  die  tui'nerisehen  Übungen^ 


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Au  den  Tagebfloheni  dat  alten  Heim. 


88 


in  der  EPitsenheydc",  gab  heraus  „Plattdeutsche  Gedichte",  2  Bde.  (S.A.  1820). 
(Gel,  Berlin  1825.  p.  33.) 

f.i)  Friedrich  Schulz,  geboren  1769,  genannt  „Theater-Schulz",  ein  Sonder- 
ling ersten  Ranges,  war  ursprünglich  Jurist,  brachte  es  aber  nur  bis  zum 
Justitiar,  da  ihn  seine  Theaterleidcnschaft  alle  Termine  und  Geschäfte  ver- 
säumen liess;  sein  Universitätsgenüsse  Stügeniaun  verschuftte  ihm  darauf  eine 
HilfearbeitenteUnng  in  g^em  Uiiiisteriam  (er  sollte  die  Oeschafke  bei  dem 
projektierten  Flenmn  der  tectaniseh-wissensehaftlichen  Deputation  führen)  und 
liess  ihn,  da  er  auch  hier  nicht  zu  brauchen  war,  firei*  sowie  sein  geringes 
GMialt  fltr  Lebensselt  behalten,  „als  ausgezeichnet  durch  Unbrauchbarkeit". 
Schulz  war  nun  glücklich;  seine  Thtttigkelt '  beschränkte  sich  nur  auf  den 
Verkehr  mit  Schauspielern  sowie  auf  Rezensionen  für  die  Berliner  Blätter; 
zuletzt  war  er  Kritiker  der  Spenersehen  Zeitung.  Dass  er  viel  Sachkenntnis 
besass,  beweist  Goethes  kleiner  Aufsatz:  .,I)ie  Berliner  Dramaturgen".  Typisch 
war  bei  ihm  die  vielen  alten  fhigestolzen  eigene  Abneigung  geg<'n  Sauber- 
keit. Als  er  Friederike  Bethmann,  deren  unbedingter  Verehrer  er  war.  einst 
fragte,  iu  was  llir  einer  Maske  er  auf  die  Kcdoute  gehen  sollte,  um  nicht 
erkannt  zu  werden,  entgegnete  sie:  „Lieber  Schulz,  ziehen  Sie  reine  Witsche 
an,  da  kennt  Sie  kein  Mensch!««  (F.  W.  Oubitz,  Erlebnisse  I.  213  ff.) 

9a)  Heinrich  Karl  Beyrich,  Botaniker,  ist  am  22.  März  1796  zu  Wer- 
nigerode geboren.  A.  v.  Uumboldt,  der  ihn  in  Paris  kennen  lernte,  ver-  ' 
sebafffee  ihm  1823  einen  Auftrag  der  preussischen  Regierung  zu  efaier  Reise 
naeb  Brasilien,  um  aus  den  UrwUdem  seltene  Pflanzen  fttr  den  Garten  auf 
der  Ffauenhisel  und  den  Beriiner  botanischen  Garten  zu  sammeln.  Nach 
seiner  Bttckkefar  Ende  1823  stand  er  10  Jahre  lang  dem  botanischen  Garten 
vor,  ging  dann  auf  eine  neue  Forschungsreise  nach  Nord-Amerika  und  erlag 
am  15.  September  1834  zu  Fort  Gibson  im  damaligen  Indianergebiet  einon 
Gallenäeber.   (Allg.  d.  Biogr.  II.  6ü5.) 

54)  Daniel  Amadeus  Neander,  nicht  zu  verwechseln  mit  seinem  be- 
rühmten Namensvetter  August  Neander,  geboren  zu  Ivcngefcld  in  Sachsen 
am  17.  Novcmbör  1771,  war  seit  1823  wirklicher  Ober-Konsistorialrath  und 
Mitglied  der  ersten  Abtheilung  des  Ministeriunis  der  geistlichen  Angelegen- 
heiten in  Berlin,  zugleich  Propst  und  Pfarrer  au  St.  Petri  als  Nachfolger 
Hansteins.  1829  wurde  er  Generalsuperintendent  der  Kurmarfc  und  Dfarektor 
des  Konsistoriums,  1830  Bischof  der  evangelischen  Kirche.  (Gelehrtes  BerUn 
1825.  p.  254.) 

w)  Heinrich  Steffens,  geboren  am  2.  Hai  1773  zu  Stavanger,  seit  1804 
auf  Beils  Betreiben  Professor  für  Naturphilosophie,  Physiologie  und  Minera- 
logie in  Halle.  Nach  dem  Zuiammenbnudi  des  preussischen  Staates  verliess 

er  Halle,  kehrte  1808  dorthin  zurück,  gerieth  aber  infolge  seiner  preussisch- 
patriotis<Uien  Gesinnung  bald  mit  der  franzcisisehon  Polizei  in  Kontlikt,  so 
dass  ihm  eine  Berufung  nach  Breslau  sehr  willkommen  war.  Vorher,  im 
Jahre  1810  bemühten  sich  Schleicrmacher,  Froriep  und  Keil  sehr,  aber  ver- 
gel)lich,  ihm  einen  Ruf  an  die  neue  Universität  Berlin  zu  verschaffen,  um  ein 
wissenschaftliches  Gegengewicht  gegen  Fichte  hier  zu  haben.  Bekannt  ist 
seine  auch  im  Bilde  verewigte,  zum  Freiheitskampfe  auffordernde  Bede  im 

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Ctoorg  Siegerist 


Februar  1813  in  Breslau  nnd  seine  Theflnahme  als  40JiUiri9er  l^pon  und 
Familienvater  an  den  Befirainngskriegen.  Er  besuchte  Berlin  im  November 
1824  auf  der  Bttekkebr  von  einer  Beise  in  die  Heimath.   1832  endlich  wurde 

er  auf  Veranlassung  des  Kronprinzen  nach  Berlin  berufen,  wo  er  noch 
13  Jahre,  bis  zu  seinem  Tode  am  13.  Februar  1845,  wirkte.  (Ailg.  d.  Biogr. 
XXXV.  555.    Röpke,  Gründung:  der  Universität  Berlin  p.  79.) 

.'(i)  Christian  Gottfried  Ehrenberg,  geboren  zu  Delitzsch  hei  Leipzig  am 
19.  April  1795,  ^'•estorben  zu  Berlin  am  27.  Juni  1870  als  Professor  der 
NaturwibsenscUuttt  11  und  Geh.  Medizinalrath,  E.  ist  einer  der  bedeutendsten 
A'aturforseher  des  19.  Jahrhunderts,  vor  allem  Mikroskopiker.  Oemeinschaft- 
lieii  mit  seinem  Fremde  Hemprich  nahm  er  1820— 2&  an  der  Expedition,  des 
Generals  von  HinutoU  zur  antiquarischen  Erforschung  der  Nillllnder  als 
Natmrforseher  TheiL  Ägypten,  Nublen,  Dongola,  Arabien  und  Syrien^  wurden 
durchreist  und  durchforscht  1827  wurde  er  Mitglied  der  Akademie  der 
Wissenschaften  und  a.  o.  Professor,  1839  ordentlicher  Professor.  1829  be- 
gleitete  er  mit  Gustav  Rohr  A.  v.  Humboldt  auf  seiner  Reise  nach  dem 
Altai.  In  der  folq-oiulen  Zeit  beschäftigte  er  sich  vornelnnlich  mit  Tnfusorien- 
forsehungen.  Epochemachend  i.st  hier  sein  Werk  „Die  Infusorien  als  voll- 
kommene Organismen"  (l.s3<S).  Reiche  Auszeichnungen  blieben  nicht  aus. 
In  London  wurde  er  zum  mastcr  of  arts  proklamiert,  die  Pariser  Akademie 
cruanntc  ihn  als  Nachfolger  Humboldts  zom  aoswilrtigen  Mitgliede.  Bekannt 
sind  seine  Forschungen  Uber  das  Meeresleuchten,  seine  Erkianmg  des  mittel- 
alterlichen ^Wunderbluts*  durch  ein  zeitweise  znchtbares  Inftasorium  und  die 
des  blutigen  Regens  und  Schnees  aus  demselben  Grunde,  cf.  seine  Biographie 
V.  J.  Hanstein  1877. 

67)  Gerhard  Friedrich  Abraham  Strauss,  Oberhol^rediger,  geboren  zu 
Iserlohn  am  24.  September  1786,  gestorben  zu  Berlin  am  19.  Juli  18G3.  Kr 
wirkte  seit  1822  am  Dom,  zugleich  als  Professor  der  praktischen  Theologie 
an  der  UnivcrsitÄt.  Aus  einem  pietistisciien  Pfarrhause  stammend,  stand  er 
zeitlebens  in  dessen  und  des  Mystieisnuis  Bann.  Er  hat  ^vt'sentlieh  beige- 
tragen zu  dem  kirchlichen  Ton  in  dem  Berlin  der  30  er  und  40  er  Jahre, 
wobei  ihm  seine  Eigenschatt  eines  trefflichen  Kanzclredners  sehr  zu  statten 
kam.  (cf.  Allg.  d.  Biogr.  XXXVI.  532.  Selbsterinn«rungen  1868.) 

58)  Johann  Bartholomftus  Trommsdorff,  Apotheker  und  Professor  der 
Chemie  in  Erfurt,  Reformator  des  Apothekenwesens,  aus  dem  er  den  mittel* 
alterlichen  Unfug  der  «Milch  des  Mondes",  der  getrodcneten  Kröten,  des  Hunds^ 
drecks  endlich  beseitigte  und  an  ihrer  Stelle  die  wissenschaftliche  Chemie  zar 
Gesetzgeberin  der  Pliannazie  machte.  Nach  Klaproths  Tode  sollte  er  dessen 
Nachfolger  in  Berlin  werden,  lehnte  aber  ab.  Auch  Begrün(b'r  einer  tler 
ersten  chemischen  Fabriken,  der  ])erUlimten  TrommsdDrft'sclien  Fabrik  in 
lOrfurt  i.st  er  gewesen.  (Allg.  d,  Biogr.  XXX VIII.  041.  PoggendorflF  IL 
lUü.  Schriften.) 

m)  Die  Rede  ist  abgedruckt  im  i,  Amtlichen  Bericht  .ttber  die  Versanmi- 
lung  deutscher  Naturforseher  und  Aerzte  zu  Berlin  im  September  1828.  Er* 
stattet  von  A.  v.  Humboldt  und  H.  lichtenstein«.  1829. 

m)  Vergl.  den  amtlichen  Berieht  und  die  Berichte  Rellstabs  in  der 
Votsisehen  Zeitong. 


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Aus  den  Tagebttchexn  des  alten  Heim. 


85 


<i)  Die  beiden  Flugschriften  des  Gotbaischen  Geueralsuperintendentcn 
Brataehneider  richteten  sich  gegen  die  Anklage,  die  der  damalige  Ultra- 
orthodoxe  Hallenser  Geriehtsdirektor  Lndwig  Ton  Qerlaeh  gegen  die  ratio- 
nalistisohen  Professoren  Wegscheider  und  Oesenins  erhoben  hatte,  nnd  die 

der  gleich  orthodoxe  Wilhelm  Hengstenberg,  der  nachmalige  Oberhof^rediger 
in  Berlin,  in  die  Evangelische  Kirchenzeitung  aufnahm ;  zur  Formulierung  der 
Anklage  waron  Kollegienhefte  von  Studenten  benutzt  worden!  Der  Fall 
erregte  lebhatte  Entrüstung;  in  Berlin  trat  Neander  deshalb  von  der  Mit- 
arbeit an  der  Evangelischen  Kirchenzeitung  zurück,  eine  Anzahl  von  Geist- 
lichen erliess  eine  Erklärung  ge^en  Ilengstenberg. 

n)  Es  ist  Wilhelm  Wacker  nag  el,  geboren  18üü,  der,  nachdem  er  nach 
beendetem  Stadium  IVt  Jahre  in  Breslau  anf  HofBnanns  von  Falleraleben  . 
Anregung  als  Literat  gelebt  hatte,  von  1830  bis  zn  seiner  Bemftmg  als  Pro- 
fessor für  deatsche  Sprache  mid  Literator  naeh  Basel  im  Frttl^ahr  1833  sich 
in  Berlin  mit  Konigieren,  Übersetsen,  Standengeben  and  Vorlesen  darch- 
schlag. 

es)  Willibald  Alexis. 

fn)  Christian  Samuel  Weiss,  p^eboren  178H  zu  Leipzig,  seit  IHIO  ordent- 
licher Professor  der  3Iineralope  in  Herlin  und  Direktor  des  Mineralicnluibinetts. 
Er  starb  am  10.  Okidtx'r  ISne.    ((!el.  Berl.  1845.  p.  30.) 

u)  Wahrschemlieli  Kechcrches  sur  les  ossements  fossiles  des  Quadru- 
ples etc.   2.  A.  Paris  1821  ff.  7  Bde. 


86 


Georg  Si^riet. 


III. 

Theater  und  Kunst. 


1795. 

16.  Dezember.   Unter  Tisch  meiner  Frau  mein  von  Melchior 
.  gemaltes  Bildnifis  geschenkt 

1796. 

18.  Jannar.  Speiste  der  Ober-Banrath  Berson^  bei  mir. 

1797. 

4.  August  Bei  Unger  im  Thiergarten  den  Schangpieler  Ifland') 
kennen  gelernt 

1798. 

24.  Jannar.  Im  Opemhause  die  Mnsik  der  Opera  „Brennns*  mit 
aDgL'höit,  die  mir  nicht  wohl  gefallen  hat.^) 

1799. 

11.  März.  Beim  Minister  Hardenberg  in  Gesellschaft  des 
Geh.  J.  R.  Koch  und  Schauspielers  Ifland  gespeist  Ifland,  den  ich 
nie  auf  dem  Theater  habe  spielen  sehen,  sähe  ich  hier  spielen. 

1800. 

18.  Dezember.  Die  grossen  Kinder  gingen  gleich  nach  2  Uhr  ins 
Komödienhaus,  um  gute  Plätze  zu  bekommen,  da  heute  Fleck ^}  sich 
nach  seiner  Krankheit  zum  ersten  Mal  wieder  auf  dem  Theater  idgte. 

1801. 

3.  April.  Meine  Frau,  Christiane  und  Caroline  waren  Nachmittags 
in  der  Graunschen  Passion*^),  wo  Christiane  als  Mitglied  der  Sing> 
Akademie  0  gleichfalls  mitgesungen  hat 


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Ans  den  Tagebttchem  dot  alten  Heim. 


87 


1802. 

1.  Janaar.  Anf  kurze  Zeit  im  neuen  Schauspielhaus  gewesen,  in 
welchem  heiito  zum  ersten  Mal  ein  Stück  aufgeführt  wurde.") 

14.  Februar.  Abends  im  Opernhaus  im  Konzert  die  4  Jahreszeiten 
von  Haydn  gewesen,  aber  nur  kurze  Zeit,  —  da  solche  Musik  nicht  für 
meinen  Geschmack  ist.") 

4.  August.  Abends  beim  Knpfersticlihändler  Schiavonetti'")  in  einer 
grossen  Gesellschaft  zur  Kindtaute  gewesen. 

13.  Abends  in  der  Komödie  mit  meiner  Frau  und  mit  meinen 
4  ältesten  Kindern  gewesen.  Es  wurden  8  Stücke:  1.  Das  neue  Jahr- 
hundert, in  dem  Herdt  und  Unzelmann  nnd  Madame  Fleck,  2.  Die 
Übereilung,  wo  Madame  Meyer,  Dlle.  Doebbelin  und  Herr  Kaselitz 
und  endlicli  1^.  Die  beiden  kleinen  Savoyarden,  wo  ganz  allein  Madame 
Unzelmann  ganz  vortrefflich  spielte,  gegeben.") 

27.  Dezember.  Abends  im  Schauspiel  gewesen  und  das  2te  Stück 
Alexis  mit  angehört  und  gesehen.'*)  Madame  Unze  1  mann  hatte  heute 
ihr  Benefiz  und  hatte  mir  ein  Loge-BiUet  zu  6  Personen  umsonst  ge- 
geben. 

1803. 

13.  November.  Mittags  beim  Fürsten  Radziwill  in  Gesellschaft 
des  EapellmeiBters  Himmel'^)  gespeist 

1804. 

4.  Februar.  Mittags  beim  v.  Quast,  Liebhaber  der  Madame 
Unzelmann  gespeist.'*) 

14.  Mittags  beim  Minister  v.  Hardenberg  in  kleiner  Gesellschaft 
gespeist.  Beyme,  Lombard,  v.  Eotzebne,  Ifland,  Schadow")  etc. 
waren  hier. 

30.  Oktober.  Abends  in  der  Sing- Akademie  gewesen,  wo  das  anns 
Amen  sehr  mitgenommen  wurde  in  IQopstocks  Yatsr  Unser.'*) 

1805. 

16.  Oktober.  Abends  in  der  Komödie  gewesen,  wo  der  Pals  und 
das  Lager  von  Wallenstein  gegeben  wurde.  Beide  Stücke  haben  mir 
gefallen.'^ 

1806. 

9.  Februar.  Mittags  beim  Ofen-Fabrikanten  Feilner'*)  in  grosser 
Gesellschaft  von  Eünsilem  ond  Bauleuten  gespeist 

21.  Mittags  beim  Schauspieler  Bethmann  in  kleiner  Gesellschaft, 
nämLDirektorlfland,  Geh.R.Eoels,  Kapellmeister  Reichar dt") gespeist 

29.  August  Beim  jfldischen  Bankier  Levi  juu.  in  grosser  Gesell- 
schaft gespeist  Der  berühmte  Kupferstecher  Bause**)  aus  Leipzig  war 
auch  hier. 


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88 


Georg  Siegeifat 


1807.  • 

18.  Februar.  Mittage  beim  Geh.  R.  v.  Pandel,  in  Gesellschaft  vom 
Schanspieler  Ifland  gespeist  nnd  recht  vergnügt  gewesen.  Ifland  war 
besonders  munter  und  erzählte  von  Juden  manche  Anekdote. 

1810. 

11.  April.  Beim  Prinzen  Kadzlwill  in  kleiner  Gesellschaft;  unter 
welcher  der  Instige  Kapellmeister  Himmel  war,  recht  gnt  gespeist  und 
sehr  vergnügt  gewesen. 

10.  Oktober.  Auf  der  Ausstellung  gewesen,  wo  ich  das  Gem&lde 
unserer  verstorbenen  Königin  von  Schadow  gemalt  mit  vielem  Wohl- 
gefallen sahe.*0 

1814. 

H.  JunL  Starb  der  Kapellmeister  Himmel. 

1815. 

16.  August.  Um  1  Uhr  des  Morgens  starb  die  Schauspielerin 
Bethmann,  ein  sehr  grosser  Verlust  für  das  Theater. 

1816. 

28.  Juli.  Die  Giustinianische  Gemäldesammlung  besehen.'^ 
81.  Juli.  Vor  Tische  nach  Charlottenburg  geritten  nnd  daselbst 
die  vom  Bildbauer  Rauch  so  schön  gearbeitete  Statue  der  verstorbenen 
Konigin  in  Augenschein  genommen. Wollte  Gott,  sie  lebte  jetzt,  diese 
so  herzensgute  Königin.  Damals  war  es  nach  meinem  Dafürhalten  sehr 
gut,  dass  sie  starb. 

1819. 

JS.  .Ulli.  Boiiii  Bildbiiuor  Scliaduw  die  in  Erz  g^egossenc  Uulossiili- 
Rchc  Sratuc  (li's  1  ru>ten  Blücher  bewundert.  Au  seinem  Gebui'tsort 
Uastock  soll  sie  zu  stt'la-ii  kommen. 

81.  Oktober.  Zu  Hause  «gespeist  mit  dem  Maler  Schadow-),  der 
sich  l<t  Jahre  in  Horn  aut'<;t'lialteu  und  vieles  von  der  Kunst  sprach  und 
davon  ebenso  rin<;viiuunii('n  war,  als  ich  es  v«uj  den  Moosen  bin.  Wer 
von  beiden  nichts  versteht,  dem  sind  dies  gar  gleicligültige  Dinge. 

1820. 

31.  Au<(ust.  Bei  Si.  Kxcellii)/  dem  Justiz-Minister  v.  Kircheisen 
fjjespeist.  Von  CJenies  und  Künstlern  waren  hier  Rauch,  Tieck*'), 
Schadow,  Schinkel. 

1822. 

f\.  November.  Mittaiis  l)eim  Ofen -Fabrikanten  Feilner  in  grosser 
Manns«:eseUschaft  von  Künstlern  gespeist. 


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Aas  den  Tagebfichem  dea  alten  Heim. 


89 


1823. 

30.  April.  Heute  hat  der  Schauspieler  Stich,  der  den  l.Hornnnp 
von  dem  Lieut.  Grafen  v.  Blücher  mit  einem  Dolch  gestorhoü  worden 
war,  zum  ersten  Mal  wieder  ge.s|)ielt,  und  ist  mit  grossem  Beifall  auf- 
genommen und  herausgerufen  worden.'-') 

12.  Mai.  Wurde  die  Schauspielerin  Stic  Ii,  die  vor  eiuigeo  Tageu 
sehr  aasgepocht  wurde,  mit  dem  Beifall  aller  helohnt.  ^'') 

5.  November.  Abends  mit  den  Meinigen  im  Theater  gesessen  und 
die  Stücke  Hermann  und  Dorothea  und  den  Maj^^ister  Quadrat  spielen 
sehen.'')  Da  dies  das  erste  Mal  war,  dass  ich  dies  Theater  besuchte, 
machte  es  viel  und  einen  guten  Eindruck  auf  mich.  Die  Stich  und 
Madame  Wolff)  haben  mir  Thräueu  gekostet. 

1824. 

3.  Oktober.    Starb  der  Schauspieler  Stich. 

4.  Bei  der  Obduktion  der  Stich'scheu  Leiche  erfuhr  man,  da«s 
das  Blutbrechen,  an  dem  der  Stich  stai'b,  keineswegs  eine  Folge  des 
Blücher'schen  Stichs  gewesen  ist. 

27.  November.  Bei  den  Gebrüdern  Bohrer,  in  Gesellschaft  des 
berühmten  Klavierspielers  Muschles  gespeist,  und  nach  Tische  ihn  mit 
Vergnügen  spielen  gehört. 

1825. 

28.  Januar.  Starb  arider  mein  Erwarten  die  Schanspielerin 
V.  Holte y  '-),  welcher  Tod  mir  sehr  nahe  gegangen  ist 

16.  Mai  Beim  Ofen-Fabrikanten  Feilner  in  grosser  Mannsgesell- ' 
schalt  von  lauter  grossen  EttnsÜern  gespeist»  s.  B.  Schinkel"X  Benth**), 
Ranch,  Tieck'^),  3  Schadow  etc.  und  von  3—7  TJhr  zu  Tische  gesessen. 

.25.  September.  Beim  Bankier  Ebers  jun.  gespeist.  Die  jetst  so 
berühmte  Sängerin  Sontag  war  auch  hier.  Sie  ist  recht  hübsch,  aber 
gar  nicht  so  habsch,  als  man  sie  mir  geschildert  hatte.  *0 

7.  Desember.  Gab  die  Schauspielerin  Sontag  ein  Konzert,  dss 
die  halbe  Stadt  in  Bewegung  setzte. 

1826. 

28.  Dezember.  Nach  Tische  zum  Geh.  Rath  Benth,  den  ich  sehr 
schätze,  gefahren  und  ihm  zu  seinem  heutigen  Geburtstag  Glück  ge- 
wünscht. 

1827. 

28.  April.  Mittags  auf  der  Hochzeit  der  Schauspielerin  Madame 
Stich  mit  dem  Kaufmann  Crelinger  gewesen,  und  zwar  in  kleiner  Ge- 
sellschaft von  Schriftstrllera  und  Theaterfreunden.  Madame  Stich  sah 
allerliebst  aus  und  der  Bräutigam  bat  mir  auch  sehr  gut  gefallen.'') 


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90 


Georg  SiegeriBtk 


Weder  sein   Vater  noch  seine  Brüder  waren   hier,   aber  Professor 

Rau  l.ach.'^) 

10.  Oktober.  AIm  iuIs  lief  Alt  und  Juug  und  mein  lieber  Sohn  an 
der  Spitze  ins  Theatur,  um  die  .Sont^i^  singen  zu  hören. 

Abends  waren  fast  alle  wieder  im  Theater,  um  die  Sontag 
zu  liüreu.  Fast  möchte  ich  jeden  Bettler,  dem  ich  etwas  gebe,  bitten, 
dafür  Gott  anzurufen,  die  Sontag  doch  bald  aus  Berlin  zu  entfernen.") 

14.  Abends  wie  gewöhnlich  lief  alles  ins  Theater,  um  die  Sontag 
singen  zu  hören. 

27.  Nach  Tische  eilte  fast  die  ganze  Familie  zur  Sontag  bin. 

1828. 

6.  Mftn.  Beim  Bankier  Wagen er^  in  groBser  GeBellsehaft  yon 
Eflnstler^  geepdst  Ranch,  Tieck,  Schinkel,  Benth  etc.  waren  hier. 

1832. 

15.  Mai.  Heute  starb  an  Entzündung  des  Unterleibes  der  berühmte 
Ainsiklehrer  Professor  Zelter,  einige  70  Jahre  alt  £r  war  einmal  sehr 
ärgerlich  auf  mich,  weil  ich  das  Vater  Unser  von  Naumann  lächerlich 
machte.  Einige  Jahre  darauf  gab  er  mir  recht  und  seit  dieser  Zeit,  an 
15  Jahre  her,  hat  er  es  niemals  wieder  singen  lassen.  *0 

1833. 

4.  Juni.  Heute  hat  der  Maler  Hübner'-')  aus  Düsseldorf  mein 
Porträt  zu  malen  geendigt.  5  Tage  lang  habe  ich  taglich  U  bis  5  Standen 
lang  vor  ihm  sitzen  müssen. 


i)  Heinrich  Anton  Melchior,  geboren  um  1705,  Bildhauer  und  Maler, 
starb  zu  Berlin  1796.  Unter  anderem  malte  er  das  von  Uliland  besungene 
„Mahl  zu  Heidelberg«  (von  Hess  in  Kupfer  gestochen);  eine  Allegorie  auf 
den  Basler  Frieden  1795  trug  ihm  den  Preis  der  Berliner  Akademie  ein. 
Sein  Portrftt  KOnig  Friedrieh  Wilhehns  IL  mnsate  87  mal  kopiert  werden. 

i)  Geb.  Ober-Banrath  Philipp  Bemhaid  Fraa^ols  Berson,  geb.  1754  zu 
Berlin,  trat  1775  als  Kondoktemr  bei  den  Kgl.  Immediathanten  in  den  Staats- 
dienst. 1787  wmrde  er  Assessor  beim  Ober-Baa-Departement.  (Gel.  BerL 
1825.  p.  19.) 

i)  Iffland  war  am  14.  Noveml)er  1796  als  Direktor  des  Berliner  König- 
liehen  Nationaltheaters  engagiert  worden. 

4)  „Brenne"  von  .Johann  Friedrich  Reichardt,  dem  bekannten  Kapell- 
meister der  Königlichen  Oper  von  17V5  bis  1794.  R.  bat  diese  Oper  selbst 
für  Sehl  bestes  Werk  erfcllrt  Eüie  epochemachende  Neaerung  liatte  er  da- 
durch elngefHhrt,  d«BS  er  com  ersten  Male  hier  ebie  Basspsrtle  In  die  grosse 


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Ans  d«n  Tagebfichflvn  das  alten  Heim. 


91 


Oper  eiofUhrte;  die  Paitie  des  ..Bronnus"  war  flir  den  berühmten  Bassisten 
L.  Fischer  geschrieben;  seine  Arie  „Koma  superba"  wurde  das  Lieblingsstück 
der  Berliner.  Die  Ouvertüre  erhielt  sich  lange  aul'  dem  Konzertrepertoire. 
,3ronno"  wurde  zum  ersten  Ifale  zum  Geburtstage  des  Kdnigs  am  16.  Oktober 
1789  In  prachtvoller  AoBStattimg  (sie  soll  IS  000  Tbaler  gekostet  haben) 
angefahrt. 

•)  Naeh  manehen  Fahrten,  —  Leipdg,  Hamburg  «  debtttterte  Fleck 

am  \  2.  Mai  1783  bei  Doebbelin  in  Berlin  und  blieb  hier  bis  zu  seinem  Tode. 
Helden  und  komische  Hollen  gab  er  mit  gleicher  Meisterschaft.  Seine  beste 
Leistung  war  Wallenstein.  Er  hat  im  ganzen  202  Rollen  gesjiielt:  Shakcspeare- 
sche  Charaktere  verkörperte  er  mit  seltener  Vollkommenheit.  Mit  seinem 
grossen,  wenn  auch  nicht  unmittelbaren  Nachfolger  Ludwig  Devrient  theilte 
er  die  Vorliebe  für  den  Wein,  so  dass  er  manchmal  —  wie  Iflland  sich  aus- 
drückte —  „wie  ein  Säugling  lallte  und  tändelte".  Sein  Wicderauftreteu  am 
18.  Desember  1800  erOilbete  leider  nur  noch  eine  kurze  8pielseit;  45  Jahre 
«It  starb  er  am  20.  Dezember  1801. 

«)  Der  Tod  Jesn.  Das  Werk  wnrde  regelmässig  bis  in  die  neaeste  Zeit 
hinein  und  wird  auch  jetzt  noch  zuweilen  zur  Passlonszeit  aufgeführt. 

7)  „Die  Mitglieder  bestehen  ans  Herren  und  Damen,  mehr  als  hundert 
an  der  Zahl,  und  alle  aus  der  gebildeten  Klasse.  Sie  tragen  die  Unkosten 
gemeinschaftlich  und  versaimueln  sich  alle  Dienstage,  um  sich,  blos  aus  Liebe 
zur  Kunst,  im  Sin{2:on  zu  üben,  zu  welchem  Zwecke  solche  Sachen,  welche 
nur  der  Begleitung  eines  Flügels  bedürfen,  einstudiert  werden.  Zuhörer 
werden  nur  wenige,  auf  Billets  von  Herrn  Zelter,  zugelassen.  Oeffentlich 
hat  sich  die  Singakademie  bey  einigen  grossen  Konzerten  und  Kirchen- 
mnsiken  hOren  lassen,  nnd  den  Tollkommensten  Beyfall  eingellmdtet," 
(Gedicke,  Lexikon  t.  Berlin,  1806.  p.  673.) 

a)  Die  EröffianngSTorstellnng  in  dem  nenerbaaten,  1817  abgebrannten 
Sefaanspielhaase  (offiziell  noch  Nationaltheater  genannt)  waren  Kotzebues 
«Erenzfahrer« ;  das  alte  Komödienhaas  war  mit  der  .  Jnngfiran  von  Orleans* 
gesdilossen  worden. 

»)  Der  14.  P'el)ruar  1802  ist  i\ii<  Datum  der  ersten  Aufführung  von 
llaydns  „Jahreszeiten-'  in  Berlin,  n;icli(iem  .sie  am  '^4.  April  IS"!  ihre  über- 
haupt ei'ste  Aufführung  im  Sciiwarzenber'^.'^ehen  Palais  in  Wien  erlebt  hatten. 
Die  Aufführung,  die  zum  Besten  der  Königlichen  Kapelle  stattfand,  leitete 
der  KammermusikuB  Gttrrlich,  den  Simon  sang  Fischer,  den  Lukas  llurka, 
die  Hanne  Madame  Schick.  Ober  Einzelheiten  der  AnffUhmng  berichten  die 
Nummern  14,  15,  16,  18,  20  der  «Voss.  Ztg.«  1802.  Die  von  Zelter  ge- 
schriebene Rezension  steht  in  der  «Allg.  musikal  Ztg.«.  (Rintel,  Die  ersten 
Anfftthruigen  der  Jahreszeiten  von  flaydn  in  Leipzig  nnd  Berlin,  Sonntags- 
beilage zur  „Voss.  Ztg."  l^^^M  No.  22.) 

lo)  Das  (ieschäft  von  .].  K.  Scbiavonetti  befand  sich  Unter  den  Linden 
No.  19.    (Gedicke,  Lexikon  341.) 

n)  „Das  neue  Jahrhundert'*,  Posse  in  1  Autzug  vun  Kotzebue.  „Die 
Übereilung*',  Lust.spiel  in  1  Akt  naeli  dem  Knglisehen  von  Vvui.  M<  i»T.  „Die 
beiden  kleinen  Savoyarden",  Singspiel  in  1  Akt,  Musik  von  d'AUyrac.  — 
Herdt,  zugleich  SHngcr,  wirkte  am  Kgl.  Theater  bis  zu  seiner  Pensionierung 


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92 


Greoig  Si^eriflt. 


1817.  Uiizelinann,  ebonfalls  Schauspieler  und  SMnger  —  er  sang  den  Lepo- 
rello  bei  der  «Tsten  Auffülirung  des  „Don  Juan"  in  Berlin  am  20.  Dezember 
1790,  den  Papageno  bei  dem  gleldien  firandigen  Ereignisse  der  „ZsaberflOte'^ 
am  i%,  Hai  1794  —  bat  von  1775  bis  sa  seiner  Fensioniemng  1883  mit  Ewei 
Unterbrechungen  1781—83  in  Hamborg  nnd  1784—87  in  Frankfturt  a.  U.,  wo 
er  von  der  Frau  Rath  sebr  yerzogen  wnrde,  nnd  Mainz  der  Berliner  Bühne 
angehört.  1821  feierte  er  sein  50jlbriges  Schanspieleijnbilltum.  Seine  Gattin 
if>iederike  F'littner  war  wie  er  gleich  gross  in  Schauspiel  und  Oper; 
rauschenden  Beifall  erntete  das  Ehepaar  als  Figaro  und  Susanne  in  „Figaros 
Hochzeit".  Nach  18 jähriger  Ehe  trennten  sie  sich  1803:  Friederikes  zweiter 
Gatte  war  Bethniann.  —  Denioiselle  Doebbelin,  die  Tochter  Theophil  Etoebbe- 
lins,  gehörte  ebenfalls  seit  1775  dem  Berliner  Theater  an,  dem  sie  50  Jahre 
treu  blieb.  Kaselitz  war  von  1787  bis  zu  seinem  Tode  1818  am  Schauspiel- 
banse  thätfg;  anch  er  war  zogleich  Sflnger. 

tt)  „Alexis",  Singspiel  in  1  Akt,  aas  dem  FranzOsisefaen  Ton  Herldots, 
Mnsilc  von  d'Aleyrae. 

is)  Heinrich  Himmel,  der  Komponist  von  „Fanefaon",  geboren  am 
20.  November  1766  zu  Treuenbrietzen,  anfänglich  Theologe  („er  liebte  es 
später,  diesen  ersten  Theil  seines  Lebens  in  Dunkel  zu  hüllen",  schreibt  Kob. 
Kitner  in  der  All^'.  <1.  Biogr.  XII.  435 ).  Kr  widmete  sich  dann  der  Musik  und  wurde 
Schüler  Namnanns.  1795  berief  ilin  Friedrich  Wilhelm  II.  zum  Nachfolger 
des  in  Ungnade  frefallcnen  Keichardt.  Für  seine  Kompositionsweise  ist 
„Panchon"  das  (  linrakteristikum :  leicht,  gclltUig  tltndelnd,  und  so  schildert 
ihn  auch  Zelter  als  jovial,  gemüthlich,  einen  Freund  des  Weins.  Von  seinen 
Liedern  werden  noch  beute  einige  gesungen.  Er  starb  am  8.  Jnnl  1814  tm 
der  Wassersncbt  Einen  ansprechenden  Beitrag  zn  dem  Kapitel  Himmel 
bietet  Tb.  Fontane  in  dem  4.  Bande  seiner  Wanderungen  in  dem  Abschnitt: 
,3erlin  in  den  Tagen  der  Schlacht  von  Grossbeeren." 

u)  Wolf  Ludwig  Friedrich  von  Quast,  der  „tolle  Quast"  der  Gendarmen. 
Quast  war  bei  aller  „Tollheit"  ein  begabter,  gebildeter,  belesener  Offizier, 
in  dem  ein  Stück  Genie  steckte.  Bekaiiiit  i-^t  sein  Buch  ,,Das  Reitpferd",  das 
1.SII9  und  1815  in  zweiter  Aufiat^e  erschien.  Er  starb  am  2.  Mai  1812, 
Jahre  alt,  an  den  Ftilgen  eines  Sturzes  mit  dem  Pferde.  —  Nach  dem 
eigenen  Geständnis  Friederike  Unzelmanns  an  Fr.  W.  Gubitz  war  Quast  ihre 
einzige  Liebe,  die  sie  völlig  überwältigte.  Er  trennte  sich  später  von  ihr. 
Nach  seinem  plötzlichen  Tode  war  wochenlang  „mit  der  Betbniaim  kaum  zn 
sprechen;  sie  kam  in  den  ersten  Tagen  nicht  aus  dem  Weinen  heraus". 
(Fontane,  Wanderangen  I.  328.  Gubitz,  Lebenserinnemngen  L  813.) 

15)  GottfKed  Schade w,  der  „alte  Schadow".  Anch  ihm  hat  Fontane  in 
dem  4.  Bande  der  „Wanderungen"  in  dem  Kapitel  „Saalow"  einDenkmal  gesetzt. 

le)  Die  berühmteste  Komposition  Johann  Gottlieb  Naumanns. 

17)  „Der  Fuls",  Lustspiel  in  J  Akten  von  Babo.  „Wallensteins  Lager" 
wurde  am  2b.  November  IH03  zum  ersten  Male  aufgeführt. 

ih)  Die  Ofenfabrik  von  J.  G.  Höhl  er  und  Feilner  befand  sich  in  der 
llasenhegerstr.  (der  heutigen  Feilnerstrasse)  No.  4.  Sie  beschäftigte  1803 
53  Arbeiter  und  lieferte  namentlich  Ofenaufsätze  sowie  Figuren  von  ge- 
branntem Thon,  femer  Badewannen  aus  diesem  Material,  Eboricbtungen  za 


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Ans  den  Tftgebfiphiiii  dat  «Uml  HMm. 


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Dampflcllelieii»  trag^bve  Kttehen,  Banstttcke  zn  Oesimaen  auf  Hänsern  (so  fttr 
die  Werderscbe  Kircho),  jandlieh  grosse  Thonplatten  za  Basrelief^.  Auf 
solchen  führte  Schadow  die  VerklUrung  der  Königin  Luise  ans.  Ursprünglich 
vom  Tr>j)fernieister  Hr>hlcr  mit  4  Arbeitern  betrieben,  führte  Tobias  Christian 
Ff'ilner  ans  AVeyden  in  der  OberpCulz,  der  17'.t3  als  Tßpfergeselle  in  Herlin 
einwanderte  und  1797  Werkuirister  bei  IhUiler  wui^c,  ihren  liohfu  Aut- 
schwung herbei.  In  Ilerinbstüdts  und  Karstens  Vorlesungen  bildiK-  sich 
Feilner  wisseusclmulich  aus.  Er  erfand  18Ü4  die  enkaustische  Malerei  (die 
Metliode,  gebrannte  ^lonerde  Gemllde  anteitragtai  und  diesen  mittds  einer 
farblosen  Glasur  BelnUcbkeit  und  Fenerbestftndigkelt  zn  geben).  Er  wurde 
dann  Miteigenthtimer  der  Fabrik;  seit  1812  war  er  alleiniger  Besitzer.  (Berlin 
wie  es  ist  p.  837.  Biunpf,  Berlin  und  Potsdam  I.  567  ft.) 

1»)  Reichardt,  der  nach  seiner  Entlassung:  in  Berlin  einen  Posten  als 
Salzinspektor  bei  Sclirmdieck  in  Halle  erhalten  hatte,  kehrte  nach  dem  Tode 
Friedrich  Wilhelms  II.,  der  ihm  stets  gewogen  }^:eblieben  zu  sein  schien,  nach 
Berlin  zurück  und  braciite  hier  wieder  verschiedene  Opern  zur  Auftührung. 
181)6  musste  er  vor  Napoleon  llüchten,  dessen  Unwillen  er  durch  eine  mit 
Sehlabrendorf  verfasste  politische  Öclirift:  ,,Napoleon  und  da«>  französische 
Volk  unter  seinem  Konsulat"  erregt  hatte.  • 

M)  Johann  Friedrieb  Banse»  geboren  1738  zu  Halle,  gestorben  1814 
zu  Halle.  Von  armer  Herkunft,  war  er  vornehmlich  auf  Selbststudium  an- 
gewiesen. Sein  Hauptgebiet  ist  das  Portrtlt,  namentlich  stach  er  nach  A. 
Graffs  Bildnissen.   Er  war  Professor  an  der  Leipziger  Kunstakademie. 

^i)  Im  Katalog  der  Kunstausstellung  181»»  findet  sich  kein  Bild  der 
Königin  Luise  von  einem  Schadow:  es  ist  eir}  P:ist;eUportr&t  von  Ucnschel 
und  ein  Miniaturporträt  von  Maniuardt  vorhanden. 

aa)  Die  G i u sti n  ia n isch e  (Jeni{ilde-(ialerie  war  zum  Tlieil  von 
Friedrich  Wilhelm  III.  in  Paris  angekauft  worden  und  wurde  in  einigen  Sälen 
der  Universität  anijipestellt  Die  Galerie  war  von  dem  Uarehese  Ginstiniano  in 
seinem  auf  den  Trümmern  der  Büder  des  Nero  in  Rom  erbauten  Palaste 
gesammelt  worden  und  wurde  1807  von  den  Francosen  nach  Paris  entführt 
Der  Marchese  hat  ein  grosses  Kupferwerk  über  seine  Sammlangen  Galleria 
(iiustiniana,  2  Bde.  1631,  herausgegeben.    (Parthey,  Jugendwinnerungen 

H.  m  .  ) 

ss)  Das  in  Carrara  und  Koni  1812—14  hergestellte  Grabdenkmal  der 
Königin,  das  am  10.  August  1814  in  Livorno  nach  Hamburg  eingeschifft 
wurde,  gelangte  erst  nach  vielen  Fährlichkeiten  an  seinen  Bestimmungsort. 
Das  englische  Schilf,  das  es  trug,  wurde  von  einem  amerikanischen  Kaper 
anligfebraeht  Erst  am  23.  Hai  1815  traf  das  Monument  in  Berlin  ein  \md 
wurde  am  30.  Mai  im  Mausoleum  aufgestellt.  ' 

m)  An  der  Entstehung  dieses  vorletaten  grossen  plastischen  Werkes 
Gottfried  Schadows  hat  Goethe  Antheil  gehabt.  Über  das  von  Schadow  ge« 
wählte  Phantasiekosram  urtheilt  der  Dichter:  „Das  Bild  steht  wie  auf  dem 
Scheideptinkte  Ulterer  und  neuerer  Zeit,  auf  der  Grenze  einer  gewissen  k(m- 
ventionellen  Idealität,  welclio  an  Eriinierung  und  Einbildungskraft  ihre  Ft)r- 
derungen  richtet,  und  einer  unljidingten  Natürlichkeit,  welche  die  Kunst, 
selbst  wider  iliren  Willen,  au  eine  oft  beschwerliche  Wahrhaftigkeit  bindet." 


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Das  Denkmal  wurde  von  Leqnine  gegossen,  von  Coii6  dseiiert  und  im 
Anglist  1819  zn  Rostock  errichtet.  Eine  kleine  WachmkizEe  ans  dem  Jahre 
1816  befindet  sich  in  der  Nationalgalerie. 

•25)  Wilhelm  v.  Schadow-ri  odonhaus,  zweiter  Sohn  Gottfried  Schadows, 
geboren  am  (>.  Sojitember  ITsii  zu  Berlin,  seit  18:26  Direktor  der  Akademie  zu 
Düsseldorf.  Der  r("»mis*ho  Aufenthalt  wUhrte  von  I8I0  l)is  1819:  S.  schloss  sich 
hier  den  sogenannten  Nazarenern  an  und  trat  unter  dem  lOiutluss  Overbecks 
zum  Katholizismus  über.  In  Gemeinschaft  mit  OTerbeck,  Comelins  nnd  Pk. 
Veit  malte  er  die  sieben  Freeken  in  der  Casa  Bartholdy,  die  sieh  Jetzt  in 
der  Berliner  Nationalgiderie  befinden.  Die  «Klage  Jakobs*  nnd  «Josephs 
Tranmdentnng  im  GefÜngnis*  sind  seine  Werke.  Femer  stammen  ans  der 
römischen  Zeit  eine  Reihe  von  Porträts,  dartmter  von  MitgUedern  der  Familie 
Wilhelm  v.  Humljoldts,  sowie  ein  grösseres  Gemälde,  worauf  er  Thorwoldsen, 
seinen  Ulteren  Bruder  Rudolf  und  sich  selbst  zu  einer  Gruppe  von  Halb- 
figuren vereinigte,  ebenfalls  in  der  NationaljrMl«  l  ie.  Endlich  ist  noch  zu  nennen 
eine  „heilige  Familie'',  im  Auftrage  des  Kroni)rinzi'ii  Ludwig  von  Baiem  ge- 
malt und  in  der  neuen  Pinakothek  in  München.  Wie  sein  Vater  war  er 
Kitter  der  Friedensklasse  des  Ordens  pour  le  nierite.  (AUg.  d.  Biogr.  XXX. 
515.  Fontane,  Wandeningen  durch  die  Hark  Brandenburg  IV.  „Saalow«*.) 

m)  Vom  Bildhauer  Tieek  ist  die  Heim  zn  seinem  50Jllhrigen  Doktor-  . 
JubilSum  von  den  Berliner  Ärzten  gestiftete  Bflste  angefiwtigt. 

»)  Hb  handelt  sich  um  das  bekannte  Benkontre  zwisdien  dem  Sdum- 
Spieler  Stich,  dem  Gatten  der  sdiOnen  Augnste  Stich,  geborenen  Dühring, 
nachmaligen  Crelinger  und  dem  Leutnant  Grafen  Franz  von  Blücher,  dem 
Enkel  des  Beldmarsehalls.  Stich,  aus  dem  Theater  heimkehrend,  traf  den 
Leutnant,  auf  den  er  Anlass  zur  Eifersucht  hatte,  im  Zivilanzuge  auf  dem 
Flur  seines  Hauses  an,  stellte  ihn  zur  Hede  und  wurde  von  ihm  mit  einem 
Dolche  verwundet.  Der  F;ill  machte  sehr  bCtses  Blut  in  Berlin  und  ver- 
anlasste eine  scharfe  Kabinetsordre  Friedrich  Wilhelms  III. 

m)  Bei  ihrem  ersten  Auftreten  nach  der  Katas^phe  (am  11.  Mai  als 
Thekla)  hatte  ihr  das  Publikum,  dessen  erklärter  Liebling  sie  sonst  war, 
einen  sehr  ttblen  Empfang  bereitet;  sie  wurde  mit  einem  fttrehterlidienliirm 
empfangen,  der  es  ihr  anfangs  unmöglich  machte,  zu  spielen. 

20)  „Hermann  und  Dorothea",  idyllisches  FamiliengemÄlde  von  C.  Töpfer 
(nach  Goethe).  „Magister  Quadrat",  Lustspiel  in  1  Akt  nach  dem  Französi- 
schen von  C.  Blum. 

;r»)  Die  Frau  des  Schausj»i<'lers  und  Dichters  I^ius  Alexander  Wo  1  ff ,  des 
Verfassers  von  Preciosa.  Der  lnteii<lant  Graf  Brühl  hatte  das  Paar  181G  von 
Weimar  nach  Berlin  gerufen.  Beriiiimt  war  Madame  Wölfls  Iphigenie.  Sie 
gehörte  bis  zn  ihrer  Pensionierung  1842  dem  Schauspielhause  an. 

si)  Ignaz  Moscheies  kam  im  Jahre  1824  zum  ersten  Haie  nach  Berlin, 
um  hier  ebi  Konzert  zn  geben.  Die  erste  Einladung,  die  er  hier  erhielt,  war 
von  Frau  Lea  Mendelssohn-Bartholdy,  der  Mutter  von  Felix.  Zugleich  bat  sie 
ihn,  ihrem  Sohne  Klavierunterricht  zu  geben;  aus  diesem  Unterricht  ent- 
wickelte sich  ein  inniges  Freundschaftsband  zwischen  Lehrer  und  Schüler. 
Ftlr  unsere  heuti<re  ^lusikwelt  interessant  sind  die  Anjiraben  über  die  da- 
maligen Berliner  Kouzertverhttltnitse  ans  einem  Auftreten  Moscheies'  in  Berlin 


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▲as  den  TagebOchem  des  alten  Heim. 


96 


im  Jalire  1833.  Der  Toniehiagte  KonzertMal  w«r  der  Sael  des  SehanspieK 
batues;  die  Kosten,  Zettel,  Wagm  etc.  mit  dngereobnet,  betrogen  40  Louisd'or; 
die  Singakademie  kostete  wenig  mehr  als  die  Hälfte.  Die  Einnahme  betrog 
903  Thlr.  (Kavpeles,  Ans  dem  Berliner  Uosikleben  vor  50  Jahren  im  BUr. 
1889.  Heft  XIV.  p.  178.) 

n)  Luise  Rog6e,  die  Gattin  Karl  von  Holteis,  Schttlerin  von  Friederike 
Bethmann.  1814  debntierte  sie  in  Berlin  und  wurde  sehr  bald  der  Liebling 
des  Publikums  Bcf^eisterung  errofrte  Dir  „Küthclien  von  Tfoilbronn",  die 
letzte  Rolle  vor  ihrem  Tode.  Ihre  Herkunft  ist  dunkel,  sie  ist  am  I  De- 
zember 1800  zu  Wien  g-eboren,  vielleicht  das  Kind  einer  Schauspielerin. 
Von  1820  bis  24  blieb  sie  Berlin  fem.  Ihr  früher  Tod  erregte  allgemeine 
Trauer. 

8s)  Schinkel  war  damals  mit  dem  Bau  des  alten  Hoseums  be- 
sebSftigt,  dessen  Plan  am  12.  Januar  1824  vom  KOnig  genehmigt  worden 
war,  sowie  mit  dem  der  Werdersefaen  Kirche,  deren  Entwurf  in  das  Jahr 
1825  fUlt.  (Waagen,  Carl  Friedrich  Schinkel  im  Berliner  Kalender.  1844.) 

s«)  Wilhelm  Ben th,  der  Begrflnder  des  Gewerbetnstitats,  derProvinzial- 
Gtowwbeschnlen  nnd  des  Vereins  für  Gewerbefldss  in  Preossen. 

w)  Banch  schuf  in  dieser  Zelt  seine  beiden  Erzdenkmttler  Blttchers  fttr 

Breslau  und  für  Berlin,  femer  Terschiedene  Genien  für  das  Kronzbeig* 
dcnkmal,  die  mit  den  Gesichtszügen  der  Königin  Luise,  der  Kaiserin  Alexandra 

Feodorowna  (Prinzessin  Charlotte  von  Preussen)  und  Blüchers.  —  Friedrich 
Tieck  wur  bis  1S>'.I  mit  dum  bildnerischen  Schmuck  des  Schauspielhausos 
beschäftigt,  aussen  modcilirtr  die  Gruppen  aut  der  Freitreppe,  Apollo  auf  dem 
von  Greifen  gezogenen  Wagen,  den  Pegasus,  die  Reliefs  am  Vries  (Niobe),  im 
Innern  die  liJ  Karyatiden  im  Konzertsaal  sowie  die  sitzende  Statue  Ißlands. 

so)  Henriette  Sontag  trat  am  3.  August  1825  in  Rossinis  ,, Italienerin  in 
Algier"  zum  ersten  Male  In  Berlin  im  KünigstUdtischen  Theater  auf.  Sie 
sang  von  1825  bis  1827  in  der  ,Jtali6nerin"  40  mal,  im  „Schnee*'  von  Aober 
30  mal,  in  „Aschenbrödel"  von  de  Helle  23  mal,  in  der  „Weissen  Dame"  von 
Boieldien  22  mal  nnd  sonst  noch  in  12  anderen  Opern.  Im  Ifai  1827  reiste 
sie  aof  einige  Monate  nach  Paris,  wo  sie  fttr  die  grosse  Oper  oigaglert 
wurde.  Vergeblich  bot  man  ihr  in  Berlin  12  000  Tbaler,  wenn  sie  bleiben 
wollte;  sie  blieb  fest  und  wurde  zur  Strafe  bei  ihrem  ersten  Wiederaultreten 
am  11.  September  als  Italienerin  ausgezischt.  Freilich  verwandelte  sich  das 
Zischen  bald  in  jubelnden  Beifall.  Am  7.  November  verliess  sie  Berlin  Von 
ihrer  hinreissenden  Schönheit,  die  merkwürdigerweise  unsern  Heim  nicht  be- 
friedigte, können  wir  uns  nur  einen  schwachen  BegrilV  machen,  da  die 
wenigsten  ihrer  Bilder  gelangen  und  alle  durch  die  dicken  LockenwUlste  an 
den  Sohlitfen  entstellt  sind. 

n)  Otto  Crelinger,  der  ilteste  Sohn  des  Bankiers  Crelinger.  Auguste 
Stich  war  damals  32  Jahre  alt  Sie  betrat  nmi  ihr  drittes  Künstlerinnen- 
Stadinm;  nach  BeUstab  war  Auguste  IHihring  die  angenehmste  Erschehiang, 
Angoste  Stich  die  gefeiertste  ond  Angoste  Crelinger  die  grOsste  Kttnstlerin. 

m)  Emst  Banpach  hat  die  meisten  FraoenroUen  seiner  Dramen  fUr  die 
Crelinger  geschrieben. 


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96 


Q90ifi  StcigisrIsI« 


m)  Biesen  Sontagtanmel,  der  auch  1825  herrschte»  den  BeUstab  in  seiner 
Satire  nHenriett^f  die  schöne  Sängerin*'  verspottete  und  dafür  mit  GnfUngnis-' 
haft  bUssen  mnsste,  schildert  ans  ergötzlich  i^'r.  Tict/  in  einer  Skizze  „Der 
rothe  Wagen".  Den  l  otln  ti  Wagen,  oino  Miethskutsche  des  Fuhrhorm  Gentz, 
Unter  den  Linden  til,  benutzte  die  gefeierte  Sängerin  bei  ihren  Fahrten  in 
Berlin.  „Rief  einer  auf  der  Strasse  „der  rothe  Wagen  kommt I'-  so  wurden 
plötzlich  alle  Hälse  lUnger,  alle  Brillen  abgewischt,  alle  Lorgnetten  flogen 
zuiu  Auge,  —  die  „alte  Garde  -  nahm  den  letzten  Atbem  zusammen,  um 
wenigstens  «inen  Moment  wieder  Jung  und  kraftvoll  zn  erscheinen.  Die 
Junge  Garde*'  fahr  mit  der  Hand  durch  die  gekrttnselte  Haartolle  und 
zai>fte  die  spitzen  Vatermörder  um  einen  halben  Zoll  weiter  aus  der  steifen 
Kravatte.  Nante  richtete  sich  an  der  Edce  höher  empor  und  schüttelte  sich 
gewaltsam  aus  seinem  perpetuierlichcn  Branntweintaumel  auf,  der  Holzhauer, 
der,  damals  noch  ungestört,  sein  Atelier  auf  der  Strasse  eingerichtet,  Hess 
einen  Augenblick  Axt  und  Säge  mhen,  um  einen  schwUrnierischcn  Blick  in 
den  Wagen  werfen  zu  können,  .  .  Die  Ellen  in  den  Modeläden  wurden 
länger,  die  Pfunde  in  den  Butterkeilern  schwerer,  die  Maasse  der  liükerinnen 
in  den  Buden  weiter  für  alle,  die  da  kauften  in  dem  glücklichen  Moment.  .  . 
Die  Vorfolu'en  unserer  Konstabier,  damals  Gendaimen  genannt,  hoben  die 
SKbel  unter  den  Arm,  damit  ihr  Klirren  Sie  nicht  erschrecken  sollte,  und 
manches  uniformierte  pommersche  junge  Blut,  das  soeben  als  Schildwache 
»fleissig  war*,  senkte  betrftbt  den  Blick,  weil  es  so  gern  das  Gewehr  prA- 
sentiert  hltte  und  doch  nicht  durfte.  Htttte  es  damals  schon  Dagnerroty- 
pisten  und  Photographen  gegeben,  wir  glauben,  die  Herren  würen  mit  ihrem 
Apparat  neben  dem  rothen  Wagen  hergelaufen,  um  Ihr  Bild  zu  stehlen. 

4n)  Der  Begründer  (irr  Wagcnerseheii  Gemäldesammlung,  die  den 
Grundstock  zur  Berliner  Nationalgalerie  bildete.  Wagener  be^-aiin  seine 
Gemäldesammlung  im  Jahre  181;'),  und  zwar  beschränkte  ersieh  lediglich  auf 
Bilder  von  zeitgenössischen  Malern.  Das  erste  Bild  war  Schinkels  „Ansicht  einer 
in  gothischem  Styl  aul  einem  Felsen  am  Uler  des  Meere»  erbauten  Kirche*. 
Von  Schinkel  befinden  sich  im  Ganseh  elf  Gemälde,  theils  Kopien,  in  der 
Sammlung.  Sümmtliche  Berliner  Haler  jener  Zeit  sind  vertreten,  dann  die 
Mlinehener  Sdiule  der  80  er  Jalire  (Rottmann,  Hess,  Adam,  Wagenbaur),  und 
▼omehmlieh  seit  1828  die  Dtlsseldorfer.  In  den  40  er  Jahren  beginnt  das 
Inti^resse  fOr  die  Aus1änd(;r,  geweckt  durch  das  Auftreten  Gallaits  und 
de  Bief^es  auf  der  Berliner  Kunstausstellung;  neben  den  Franzosen  (Horace 
Vemet)  treten  vor  allen  die  Belgier  hervor.  Vermittelst  Testaments  vom 
in.  ^färz  lbr>9  vermachte  Wagener  seine  Sammlung,  die  '2(\2  Nummern  auf- 
wies und  die  einen  Werth  von  über  lunuiK)  Thlr.  darstellte,  dem  Prinz- 
Begenten.  Mit  dankbaren  Worten  nahm  sie  König  Wilhelm  nach  Wageners 
Tode  Anfang  18öl  an  und  bestimmte  ihre  vorläuiige  Autslcllung  in  der 
Akademie;  am  82.  MSns  1861  wurde  sie  dem  Pablikom  sugänglich  gemacht. 
(Waagen,  Verzeichnis  der  Gemüldesammlung  des  Konsuls  Wagener.) 

«O  Zelter,  nach  Fasch  Dirigent  der  Singakademie,  der  Freund  Goethes. 
Er  wurde  am  11.  Desember  1758  zu  Beriin  geboren,  war  ursprOnglicfa  Maurer, 
entwickelte  sich  aber  daneben  zu  einem  tüchtigen  Violinisten,  Dirigent^ 
und  Komponisten.  1786  wurde  in  der  Qamisonkirche  eine  Trauerkantate 


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Am  dan  TagebadMni  dtfs  «iten  Heim. 


97 


auf  den  Tod  Friedrichs  rles  Orosson  aufgetührt;  in  Rcllstab>  (dfs  Vators 
Lndwii,--  i^cllsiabs)  Liebbaberkonzcrten  war  er  Vorg-eig^er.  l'^oo  Ubcniahiii  er 
die  Direlvtiini  der  Sing-akadeinie.  I.SUU  culstand  die  Liedertatel  und  damit 
eine  neue  Acra  des  Männergesangs;  im  sclbcu  Jahre  wurde  Zelter  zum  Professor 
enuomt  1819  begründete  er  das  Königliche  Instltat  für  Kircbenmiulk.  Sein 
BriefirechBel  mit  Goethe  ersohien  1833  -  36  in  6  Bünden.  Am  bekanntesten 
und  Yolksthlimliehsten  wurden  seine  Lieder  und  HRnnerquartette.  —  Sein 
Xon'Heim  hier  angeführtes  Urtheil  über  Naumanns  Meisterwerk,  das  Vater 
Unser,  dUrfte  ziemlich  vereinsamt  dastehen.  C.  M.  v,  Webor  z.  B.  empfiehit 
dieses  Werk  einem  Fachgenossen  zur  AntTührung  mit  folgenden  Worten: 
,Vorseldagcu  könnte  ich  Ihnen  das  jetzt  im  Stich  erschienene  Vater  Unser 
von  Naumann.  Ein  herrliches  Werk!"'  und  bei  dem  zur  Verherrlichung  von 
Klopstocks  luo.  Geiturtstag  in  (^uedlinl)urg  veranstalteten  Musikfeste  am  1., 
2.  und  3.  Juni  1824,  das  Weber  dirigierte,  stellte  er  es  an  die  Spitze  der 
aufisoflttirenden  Werke. 

4s)  Julius  Httbeneri  geboren  27.  Januar  1806,  gestorben  7.  November 
1888,  war'SchfUer  Wilhelm  Scbadows  in  Düsseldorf,  wo  er  einer  der  Be- 
gründer der  Malcrscliole  wurde;  bis  1839,  wo  er  sieh  in  Dresden  niederliess, 
lebte  er  abwechselnd  in  Düsseldorf  und  Berlin. 


▲roh» 


L.ivjivi^Lu  L.y  Google 


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Geoig  SiegerUt. 


IV. 

Geschichte. 


1796. 

10.  April.  Beim  Minister  v.  Ilanlonix'rg  gespeisl^  and  recht 
Tergoügt  gowesen.  Mit  ihm  wie  mit  meinesgleichen  gesprochen.  £r  ist 
ein  mnnterer,  angenehmer  und  geselliger  Mann.^) 

1798. 

Iß.  Fobrnar.  Heim  Geli.  TribiinalsriTth  v.  Horinmsdorff  \u  e^rossor 
Maimsgescllscliaft,  wo  raclirere  Miuister,  auch  der  berüchtigte  Miuister 
V.  Woelluer  waren,  gespeist.^) 

1799. 

9.  Mai.  Beim  Minister  v.  Il;u<h'iibprj2;  alle  die  oingesandt^n  Nach- 
ricliten  aus  Rastiidt  wegen  der  Ermordung  der  frauzösischuu  Gesandten 
ßonnier  und  Kolierjot  mit  vi(der  Külirung  gelesen.-') 

15.  Dezember.  Beim  Feldmarscliall  v.  M(Ulendorff  in  grosser 
Gesellscliat't  gespeist.  Der  Adjutant  des  Generals  v.  liuoii;i|tarte  Möns. 
Duroc  war  auch  hier  und  habe  ich  mit  ihm  gesprochen. ') 

1801. 

4.  April.  Der  Tod  des  rassischen  Kaisers,  den  wir  heute  erfuhren^) 
—  dass  die  Engländer  vor  Kopenhagen  sich  befinden  und  es  bombar- 
dieren*^) —  dass  der  grosse  Buonaparte  Gefahr  gelaofen  hat,  veigiftet 
zn  werden  0  —  das  alles  erfohr  ich  heate. 

28.  August.  Mittags  beim  Grafen  v.  G arm  er  mit  meiner  Fran 
und  2  ältesten  Töchtern  gespeist  nnd  zwar  in  grosser  Gesellschaft  Ifit 
dem  Gross-Kanzler  y.  Goldbeck')  vieles  von  der  vorigen  Regierung 
und  den  damaligen  Favoriten  des  Königs  gesprochen.  Bei  dieser  Ge- 
legenheit äusserte  Sr.  Ezcellenz,  dass  ein  kluger  Mann  die  Farbe  des 
Zeitalters  tragen  mflsse,  wenn  er  nicht  unbekannt  bleiben  wolle. 


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Ans  den  TagebQcbern  des  alten  Heim. 


99 


11.  Oktober.  Mich  sehr  gefiraat»  dass  zwischen  England  nnd 
Frankreich  Friede  sei,  wie  ich  heate  ans  dem  Monde  des  französiscben 
G^andten  Benrnonville  diese  Nachricht  selbst  erfUiren  habe.^ 

1802. 

3.  Jnni.  Beim  Uinister  Hardenberg  gespeist,  in  kleiner  Ge- 
sellschaft, ohne  seine  Bfadame.^") 

27.  November.  Mittags  speisten  D.  Weitsch,  Hofr.  Schulz,  Chr. 
Kessler  and  ein  schlesischer  Kanfinann  Löhnig  bei  mir.  Letsterer 
hat,  da  man  ihn  beim  rassischen  Kaiser  Panl  eines  Verbrechens  wegen 
angeldagt  hatte,  176  Knntenhiebe  erhalten,  man  hat  ihm  die  Nasenlöcher 
angerissen  nnd  an  der  Stirn  brandmarken  lassen,  nnd  ist  nach  Sibirien 
geschickt  worden.  Weil  seine  Unschold  bekannt  war,  ist  er  von  dem 
jetsigen  Kuser  in  Freiheit  gesetzt  worden.  Dieser  Mann  hat  ans  vieles 
erzählt. 

1803. 

1.  Aügast   Mittags  beim  Kriegsrath  Rnckmann  gespeist.  Den 
grossen  Boonaparte  einem  andern  znm  Ärger  tftchtig  gelobt 

1805. 

10.  Oktober.  Abends  beim  Präsidenten  v.  Sciieve  im  Kränzchen 
gewesen»  wo  von  nichts  als  dem  bevorstehenden  Krieg  gegen  die 

Franzosen  }2^o'5]>rochen  wurde.") 

14.  I^ovember.  Mittags  beim  Geh.  Kath  Beymo  gespeist,  und  zwar 
ganz  allein.  His  manner  of  judjing  others  I  dont  iike  at  all.  He  has 
too  mnch  arrogance  and  tliiuks  himseli  too  wise.*^ 

15.  Oktober.  Mit  dem  Krieg  in  Deatschland  und  mit  nnseren 
politischen  Yerliältuisseu  zu  demselben  nnzuMeden  gewesen.  Bei  ans 
geht  alles  su  nachlässig  und  indolent  zu. 

\\).  Oktober.  Gestern  zogen  die  Hegirnenter  v.  Goetz  undv.  Winning 
and«  die  Husaren  und  heutf  v.  TiUrisch  und  v.  Arnim  ab. 

*24.  Oktober.  Dpn  ganzen  Jag  von  nichts,  als  von  der  grossen 
Niederlage  der  Österreiclici  durch  die  Franzosen  reden  gehört.''')  Gott 
weiss,  wem  man  eigentlich  Glück  beim  jetzigen  Krieg  wünschen  soll. 
Ich  besudle  meine  Patienten  ordeutlicli  —  mag  es  gehen  wie  es  will  mit 
dem  Krieg  —  da  ich  nichts  äiideni  kann.  Den  grossen  Napoleon  ver- 
ehre ich,  nicht  sowohl  als  Kaiser,  aber  als  den  ersten  Mensclieii  in  der  Welt. 

25.  Oktober.  Nachmittags  gegen  12  üiir  kam  der  russische  Kaiser 
Alexander  hier  an.   Der  Auflauf  vou  Meuächen  war  dabei  gross. 

■ 

1806. 

Vor  dem  Titelblatt:  Mons-ieur  Bouajmrtc,  m-  le  löAout  I76'.i,  taille 
4uatre  pieds  dix  pouces,  dix  lignes,  a  fini  sa  ^uatri^me  aunee  —  a  bouue 

7* 

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100 


Georg  Siegeriit 


constitation,  santö  excellente»  caractöre  soamis,  bonnfite  et  reeoimaissaiit; 
s*wt  toajoars  distiiigai  par  son  application  aax  math^mati  41113;  il  sait 
trös-passablement  son  histoiro  et  sa  gt^ographie;  ü  est  asses  foible  dauB 
toQS  les  exercic68  d'agrement  et  poür  le  latin,  oti  il  n*a  fai^  que  sa 
qnatri^me  dasse  —  sera  im  bon  nrnriii. 

31.  Augast  Gestern  ist  das  biesige  Hosaren-Begiment  and  die 
Gensd'armes,  and  heute  das  Regiment  v.  Möllendorff  und  das  Orenadier- 
Bataillon  von  hier  ausmarschiert.  Ob  wirklich  Krieg,  und  swar  gegen 
Napoleon  werden  wird?  weiss  kein  Mensch  bestimmt. 

20.  September.  Vor  Tische  nach  Charlotl^enburg  geritten.  Unter- 
wegs den  König  und  die  Königin  gesprochen.  Ersterer  sagte  mir  sn- 
letst:  „Morgen  reise  ich  ab,  leben  Sie  wohl,  lieber  Heim!*  Nach  Tische 
nach  Steglitz  gefohren  und  von  Beyme  Abschied  genommen* 

28.  Beim  Minister  t.  Hardenberg  zn  Tempelberg  7  Meilen  von 
hier  gespeist.  —  Von  Politik  ist  viel  gesprochen  worden.  Ich  schwieg 
zu  allen  diesen  Reden  stille. 

13.  Oktober.  Beim  Prinzen  Ferdinand  in  der  Stadt  gespeist. 
Kein  Prinz  und  Prinzessin  waren  mit  zn  Tisclie.  Alle  und  sämmtliclie 
Gftste  waren  in  Trauer  über  dfii  Tod  des  Prinzen  Louis  Ferdinand, 
der  den  10.  dieses  bei  Saalfeld  iu  einer  Affäre  mit  den  Franzosen  er- 
schossen worden.'")  Aller  Wahrscheinlichkeit  nach  stehen  Preussen 
noch  weit  wichtigere  Begebenheiten  bevor,  die  noch  schlimmer  sein 
können. 

14.  Von  unserer  Armee  nicht  die  )>esten  Nachrichten  gekört. 

15.  Wie  es  mit  dem  Köni^  nm!  der  Armee  steht,  hat  man  heute 
nicht  das  Mindeste  mit  Gcnn isshcit  »»rtahivn. 

10.  Oktolier.  Nach  allen  Nachrichten,  die  wir  aus  Sachsen  erhalten, 
ist  das  ßernadottesche  und  Soultsche  Korps  geschlagen  worden,  welches 
uns  allen  p-osse  Freude  verursachte.'  ) 

17.  Oer  14.  dieses  ist  der  unglückliche  Tag  gcwtson,  wo  die 
llauptaiiiu'c  des  Königs  bei  Nnumbiuü: ''1  total  ijcschhijj^en  worden  ist. 
Heute  war  über  dieses  Unglück  jedi-nnaun  m  dor  grOssten  Bestürzung. 
Ich,  der  ich  die  Ungevvissheit  aller  menschlichen  i^intre  i»^(  ht  gut  kenne, 
mich  hat  dieser  Vorfall  nicht  aus  meiner  g(nv<diiiliclieu  Verfassung  ge- 
bracht. Ich  bedaurc  nur  unseni  braven,  ehrlichen  nnd  rechtschaffenen 
Köni^^  und  sein  ganzes  Haus  und  die  vielen  Wittweu,  die  durch  den 
Tod  ihrer  Männer  es  geworden  sind. 

Ii).  Erfuhr  man  die  unangenehme  Nachricht,  dass  das  Korps  des 
Prinzen  Eugen  von  den  Franzosen  geschhigen  sei'*),  und  dass  die 
F'ranzosen  nun  selbst  bald  in  Berlin  sein  würden.  Alle  Menschen  sind 
in  Ängsten,  und  mehrere  flüchten.  Ich  fürchte  mich  keineswegs  für  die 
Franzosen,  ich  werde  sie  gut  aufnehmeu  —  für  sie  bezahlen  und 
damit  gut. 

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Ans  den  Tagebüchern  des  alten  Heim. 


101 


20.  Die  Lage  Preussens  ist  traurig  genug.  Den  grössten  Theil 
seiner  Länder  wird  es  sicher  verlieren,  dazu  ist  aller  Anschein. 

21.  Dem  Vemebmen  nach  kommen  morgen  die  Franzosen,  5ÜUÜ 
an  der  Zahl,  hierher. 

22.  Noch  ist  kein  feindlicher  Franzose  hier. 

24.  Heute  sind  endlich  ungefähr  200  Mann  Franzosen  hier  ein- 
gerückt. Alle  sehen  sehr  martialisch  ans. 

25.  Heate  sind  an  20000  Fruisosen  hierher  gekommen,  einige 
davon  sind  hier  geblieben,  die  meisten  nach  Oranienburg  marschiert,  um 
dem  Korps  des  Princen  von  Hohenldie  »ivor  zn  kommen,  der  nach 
KQstrin  geht."«) 

26.  Hente  ist  der  Kaiser  Napoleon  noch  nicht  hier  angekommen. 
Mehrere  1000  Mann  Franzosen  gingen  durch  die  Stadt.  —  Seit  gestern 
ist  mir  aller  Mnth  ges^en  nnd  es  ist  tranng,  dass  Prenssen  so  ge- 
demfltbigt  wird.  Mein  einziger  IVost  ist»  dass  die  Franzosen  mathige 
lürieger  sind  nnd  dass  nns  ein  grosser  Held  und  erfahrene  Krieger  fiber- 
wanden haben.  Die  armen  Landleate  sind  nur  recht  sehr  zu  bedauern. 
Allenthalben,  wo  die  Franzosen  lunkommen,  plöndem  sie,  nehmen  alles 
mit  sieh  uud  ruinieren  Häuser  und  menbles.  Doch  das  sind  nothwendige 
Folgen  des  Krieges. 

27.  Heute  Nachmittag  um  3  Uhr  ist  endlich  Kapoleon  wirklich 
hier  angekommen  und  auf  dem  Schloss  abgetreten.^*)  Mehrere  Regi- 
menter Kavallerie  sah  ich  vor  unserer  Wohnung  vorbeireiten.  So  gut 
diese  auch  aussahen,  so  hat  mich  ihr  Anblick  doch  betrfibt. 

28.  Den  grossen  Kaiser  Napoleon  zum  ersten  Mal  und  zwar  zu 
Pferde  gesehen.  Unsere  Noth  in  Berlin  ist  geringer  im  Verhaltniss  mit 
der  der  Landleute.  Abends  .  .  .  unter  den  Linden  und  im  Lustgarten 
bei  hellem  Mondschein  und  dem  schönsten  Wetter  spazieren  gegangen, 
und  so  viele  Menschen  auch  allenthalben  waren,  so  horte  man.  keine 
menschliche  Stimme  —  alles  war  ganz  stille. 

29.  Hat  sich  bei  Prenzlau  das  Hohenlohesche  Korps  den  Franzosen 
ergeben.  Die  Gensd'armes  und  Garde  du  Corps  sind  darunter  begriffen« 
Kam  Prinz  August  Ferdinand  als  Gefangener  hierher.  Graf  Schmettau 
ist  todt  am  Schlagfluss,  wie  man  sagt,  sicherer  aber  ist  es,  dass  er  sich 
erschossen  hai*^}. 

30.  An  die  Franzosen  wird  man  täglich  mehr  gewöhnt.  Ein 
trauriger  Anblick  war  es  fflr  mich,  das  ganze  Regiment  Gensd^armes 
ohne  Offiziers  als  Gefangene  zu  Fuss  marschieren  zu  sehen.'*) 

4.  November.  Ffinf  schöne  Kavallerie-Regimenter  sah  ich  heute 
hier  einrficken.  In  Frankreich  diese  zu  sehen,  würde  mir  viel  Veignflgen 
gemacht  haben.  Hier  nicht. 

9.  Magdeburg  hat  sich  ergeben  sowie  das  Blnchersche  Korps  sich 
heute  gefEmgen  nehmen  lassen.^') 


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102 


Georg  Siegerist. 


10.  Vom  Gensd'anneD-Olfisier  PoartaUs  besaeht  worden,  der 
sieh,  wie  ganz  billig  ist,  sefaftmte. 

13.  So  wie  ich  leiden  kann,  daes  man  fibel  von  den  Franzosen 
spricht,  so  bin  ich  heute  sehr  getadelt  worden,  dass  ich  za  viel  Gutes 
von  ihnen  und  zu  viel  Nachtheiliges  von  den  Prenssen  rede.  Ich  werde 
also  schweigen  mflssen. 

25.  Heute  frflh  um  3  Uhr  ist  der  Kaiser  von  hier  nach  Kflstrin 
abgereist  Nur  einige  1000  Franzosen  sind  noch  hier. 

29.  Ober  das  traurige  Schicksal  des  Prenssischen  Staates  bin  ich 
betrflbt;  mein  Verstand  ehrt  und  sdiätzt  Napoleon,  mein  OefUil  hasst  ihn. 

8.  Dezember.  Dass  der  Kaiser  Napoleon  den  Schatz  von  18  Millionen 
Rtblr.  des  Knrittrsten  von  Hessen  und  die  Kostbarkelten  des  Grflnen 
Gewölbes  zu  Dresden,  die  ebenso  viel  werth  sein  mfigen,  in  Besitz  ge- 
nommen, ist  mir  sehr  auffallend  gewesen,  ^j»  viel  tausend  Tlirftnen 
der  Unterthanen  dieser  Herren  mögen  wohl  auf  diesen  Schätzen  ruhen!*'') 

16.  Beim  Prinzen  Ferdinand  gespeist.   Die  Offiziers,  die  mit  an 
Tafel  Sassen,  waren  alle  in  Zivilkieider  gekleidet.-) 

24.  Hat  der  Prinz  August  von  Napoleon  den  Befehl  bekommen, 
in  einer  Stunde  von  hier  nach  Nancy  abzureisen.  Vor  4  Ulir  ist  er 
auch  sogleich  in  Begleitung  zweier  französischer  Offiziers  abgefahren. 

1807. 

17.  Februar.  Die  Nachricht,  dass  nun  auch  die  Franzosen  in 
Königsbei^  wären,  hat  mich  erschreckt  und  traarig  gemacht.  Ich  bin 
übrigens  weit  entfernt,  dem  Na])()le()n  Böses  zu  wünschen,  da  ich  vor 
wie  nach  ihn  als  einen  grossen  Mann  verehre,  und  von  ihm  überzeugt 
zu  sein  glaube,  dass  er  endlich  auch  die  Menschen  glücklich  machen 
werde. 

'2.  März.  IJeiiii  Prinzen  Ferdinand  gespeist.  Mohren»  kriegsge- 
faiigene  i)reussisch('  Ofiizicrs  waren  in  bürgerlicher  Kleidung  liier,  (iie 
deshalb  komisch  •;('nu<;  nnssahen.  So  sehr  ich  die.tse  Herren  bedaiire, 
so  hat  im  ganzen  das  Militiir  eine  solche  Demiithigung  und  Züchtigung 
verdient,  da  vor  <l<-m  Kriege  die  Anmassung  und  eitle  Dünkel  desselben 
ohne  Grenzen  waren. 

7.  l)eim  Geli.  Kath  Formey  i;an/,  allein  gespeist.  Er  erzählte  mir 
manches,  wehli'  s  t  r  vom  Minister  v.  Stein  gehört  hatte,  von  unserer 
Regierung  des  Kabinets. -'■') 

80.  Mai.  Die  Übergabe  von  Dauzig  an  die  Franzosen  ist  mir  und 
allen  Hewolinern  liei-lins  ebenso  unerwartet  als  höchst  unangenehm  ge- 
wesen. Jedermann  sprach  gestern  und  heute  fast  von  nichts  als  von 
diesem  U/iglück."')  • 

22.  Juni.  Die  so  unaniienclmie  Nachricht  gehört,  dass  die  Franzosen 
die  Küssen  geschlagen  und  den  1(».  d.  in  Königsberg  eingerückt  wären. 

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AoB  d6D  Tagebtt«b«ni  des  alten  Heim. 


lOS 


Mit  nnserm  EOnig  ist  es  nun  bald  ganx  vorbei!  Sein  Schicksal  bedaore 
ich  von  ganzem  Herzen. 

L  JnU.  Es  ist  WaffenstiUsfandl'O 

19.  Wurde  von  den  Fransosen  wegen  des  Friedens  ein  Tedenm 
in  der  katholischen  Kirche  gesnngen,  die  Komödie  gratis  gegeben,  nnd 
Abends  mnssten  alle  Hänser  illuminiert  sein.  Da  ich  die  Friedens- 
bedingnngen  nicht  weiss,  so  habe  ich  mich  auch  nicht  gefrent. 

20.  Wegen  dem  Verlast  so  vieler  Provinzen»  die  unser  König  hat 
abte'eten  müssen,  nm  den  Frieden  von  Napoleon  zn  erhalten,  sehr  miss- 
vergnügt gewesen.  THa  46  Talgilchte,  die  ich  znr  Ülnmination  wegen 
des  Friedens  habe  verbrennen  lassen,  hätte  ich  ersparen  können."**) 
Unsere  schwache  Begiemng  ist  indessen  an  allem  Unglück  schuld.  Nicht 
allein  unser  König,  sondern  vielmehr  sein  Vater  hat  den  Grund  dazu 
gelegt. 

31.  Der  Verfall  unserer  Monarchie,  d^r  Mangel  des  Greldes,  die 
Noth  so  vieler  Armen,  das  Heer  der  fremden  Truppen,  die  das  wenige, 
was  wir  haben,  aufzehren  nnd  auf  dem  Lande  plündern  und  stehlen  imd 
alles  minieren  —  die  grosse  Hitze  —  alles  dieses  hat  mir  nicht  gefallen. 

3.  August.  Vom  Minister  v.  Masse w^^)  im  Thiergarten,  der  den 
Geburtstag  des  Königs  feierte,  in  grosser  Gesellschaft  bewiiiihet  worden. 

24.  Trotz  der  schlimmen  Zeiten  waren  heute  ebenso  viele  Menschen 
wegen  des  Stralauer  Fiscbzoges  auf  den  Beinen  wie  gewöliiilich.  Sonst 
war  dies  des  VergTuigens  wegen,  heute  mag  manchei-  dahin  gegangen 
sein,  um  sich  die  Grillen  und  den  TTiinger  zu  vertreiben. 

11.  November.  Gestern  ist  der  Prinz  August  Ferdinand  aus 
seiner  Gefangenschaft  von  Frankreich  zorfickgekommen,  znr  grossen 
Frende  seiner  £ltenL 

1808. 

7.  März.  Beim  Prinzen  Ferdinand  gespeist.  Der  Minister  Stein 
war  auch  hier. 

5.  Mai.  Beim  Kommissar  Bodart'')  in  Gesollscli:ift  von  7  Fran- 
zosen gespeist.  Wenigstens  an  24  Gerichte  wurden  nach  und  nach  auf- 
getischt. Diese  Menschen  näliren  sich  vom  Fett  des  Landes  und  wif 
Teutsche  müssen  Hunger  leiden. 

28.  vVbends  von  9  bis  11  auf  einem  grossen  Ball,  den  die  FranzoR^'n 
der  Frau  Marschallin  Victor  Herzogin  von  ReHune '  )  ^^ahen,  «gewesen. 
Alles,  was  ich  hier  sah<^  und  an  Musik  hörte,  war  vortrefflich.  Aber 
der  Gedanke,  die  Herren  Franzosen  liier  so  hausen  zu  sehen,  war  sehr 
uiedersclüagend  für  mich  und  hat  mich  bis  ins  Innere  meiner  Seele 
betrübt. 

9.  Juli.  Von  Madame  WieseP"),  die  sich  jo<zt  beim  Ordonnateur 
Joinville  aufhält,  einen  schönen  Bienenkorb  mit  gläsernen  Wänden 
zum  Geschenk  bekommen. 


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104  Otorg  SiegeiiBt 

20.  Anglist.  Ist  der  OrdonnAtenr  Joinville  mit  Madame  Wiesel 
von  hier  abgereist,  ohne  mich  als  ihren  Arzt  zn  besahlen. 

11.  September.  Abends  nach  8  Uhr  nach  Gharlottenborg  gefahren, 
wo  ich  auf  den  Ball,  dea  der  Marschall  Soult,  Dnc  de  Dalmatie^  gab, 
ging,  eine  Stunde  daselbst  blieb  und  dann  wieder  zu  Hause  fuhr.  Ich 
fand  daselbst  mehrere  Franzosen  yon  meiner  Bekanntschaft,  besonders 
Herrn  und  Madame  Daru^^),  die  mir  meinen  Aufenthalt  daselbst  an- 
genehm machten.  Die  Musik  gefiel  mir  besonders  wohl.  Traurig  bleibt 
es  indessen  immer,  die  Franzosen  hier  so  hausen  zu  sehen! 

7.  Oktober.  Beim  Geheimrath  Meinhard  in  grosser  Gesellschaft 
gespeist.  Nach  Tische  wurden  Studentenlieder  gesungen,  die  ich  mitsang. 
—  Mehr  als  sonsten  vergnögt  gewesen,  da  man  mehr  als  je  Hoffnung 
hat,  dass  uns  die  Franzosen  verlassen  werden  —  vielleicht  noch  diesen 
Monat. 

2.  Dez(Miiber.    Heute  i^t  der  Marsrliall  Davou.st  abgegangen.*-') 

8.  Heute  früh  um  9  Uhr  hat  der  Commandant  la  place  Saint- 
Hilaire*^)  dem  Prinzen  Ferdinand  die  Schlüssel  der  Stadt  Berlin 
überreicht  —  und  alle  französische  militärische  Gewalt  allbier  hat  ein 
Ende.   Nur  .sehr  wenige  Franzosen  sind  noch  hier. 

5.  Heute  ist  endlic  h  der  französische  Kommandant  von  hier  ab- 
gereist und  nun  ist  Berlin  wieder  blos  preussisch.  Kein  Mensch  freut 
sich  dessen  aber  besonders. 

6.  Heute  war  es  in  der  Stadt  fast  so  stille  als  auf  dem  Lande. 
Wenig  Menschen,  wenige  Wagen  auf  den  Strassen. 

10.  Bei  Sr.  Excellenz  dem  Gross-Kanzler  Beyme  zu  Steglitz  ge- 
speist.*') Heute  .-^ind  unter  vielem  Jubel  einige  lÜÜÜ  preossische  Sol- 
daten des  Childischen  Korps  hier  eingerückt.  ^ '^) 

•  17.    Dem  Mini.ster  v.  Stein  meine  Aufwartung  gemacht.*') 

18.  Den  Minister  v.  Hardenberg,  der  gestern  Abend  hierher 
kam,  bosncht.  Tber  *J  -lalire  sind  es,  dass  icli  diesen  braven  und  liebens- 
würdigen Mann  nicht  gesehen  habe.  Er  freute  sich  ebenso  sehr  als  ich 
über  unsere  Zusammenkunft.^') 

1809. 

5.  Februar.  Mittai^s  beim  Bankier  Albertbal  in  grosser  Gesell- 
schaft, meistens  Gelehrten,  gespeist.  Geh.  Rath  Schm a Itz der  auch 
hier  war,  war  nicht  so  vorlaut  wie  gewöhnlich,  welches  mau  den  Fran- 
zosen zu  verdank<'n  hat. 

12.  Beim  Grafen  v.  Multke  in  Gesellscbaft  des  Prinzen  v.  Solms, 
Maj.  V.  Horn,  des  berühmten  Majors  v.  Schill  uud  mehrerer  Ofüziers 
gespeist. 

15.  März.  Bei  Doktoi-  Wolff  in  grosse)-  GeselLscliaft  gespeist  und 
sehr  gut  bewirtliet  worden.  Hecht  vergnüi/t  ist  man  aber  doch  nicht 
bei  solchen  Eesteu,  da  die  allgemeine  Noth  sehr  gross  ist. 


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AoB  d«D  Tkgebflehem  de«  alten  Hehn.  105 

29.  April.  Heute  wurde  allenthalben  viel  davon  pfosprocheii,  dass 
der  Major  Schill  mit  seinen  Husaren  Berlin  heimlich  verlassen  habe. 

21.  Dezember.  Beim  sächsischen  Gesandten  General  v.  Thiollatz 
in  Gesellschaft  des  Obristen  Prinzen  Michael  v.  Rad zi will  und  Kapitän 
V.  Cichocki  gespeist.  Beide  stehen  in  Cüstrin  in  Garnison,  und  letzterer 
ist  CapitaiiH'  des  voltigeurs  du  5"*  Regiment  dTnfanterie  de  Ligne. 
Schlimm  f(eiui^,  dass  wir  noch  solche  Menschen  in  unseren  Landen 
haben!  Doch  tröste  ich  mich  damit,  dass  wii*  bei  der  Besitzuehnnin^^ 
von  Tuien  es  noch  ärger  mit  den  Polen  gemacht  haben,  als  es  jetzt 
diese  und  die  Franzosen  mit  uns  machen. 

28.  War  die  ganze  Stadt  in  Bewegung.  Gegen  2  Uhr  Nachmittags 
kam  endlich  unser  guter  König  mit  der  Königin,  nach  einer  Abwesen- 
heit von  i\  Jahren  und  2  Monaten,  wieder  hier  an.  Beim  Kaufmann 
Nitze  sah  ich  und  meine  Familie  den  ganzen  Einzug  und  die  Versamm- 
lung so  vieler  Menschen  mit  an.  Mir  "war  das  Weinen  näher  als  die 
Freude.  Den  Abend  war  die  Stadt  erleuchtet.  Mittags  speisten  der 
König  und  die  Königin  beim  Prinzen  Ferdinand.  Als  ich  Abends  nach 
6  Uhr  dahin  kam  und  auf  dem  Flur  stand,  kam  die  Königin  bei  mir 
vorbei,  der  ich  eine  tiefe  Verbeugung  machte.  Ohnerachtet  sie  schon 
eini;^»!  Schritte  an  mir  vorbeigeganp^en  war,  kehrte  sie  wieder  um,  da 
sie  mich  erkannt  hatte,  gab  mir  die  Hand  und  frug  mich:  Wie  gehts, 
lieber  Heim.  Gleich  darauf  kam  der  König,  der  mich  gleich  erkannte, 
mich  Sehl'  gnädig  und  freundlich  ansähe  und  mir  auch  die  Uand  gab 
und  sich  zu  freuen  schien,  mich  wieder  zu  sehen.  Prinz  Radziwül  war 
sehr  vergnügt,  als  er  mich  sähe,  und  sie  die  Prinzessin  Louise'^)  war 
ernsthaft  —  weinte  —  and  mir  standen  auch  die  Thräuen  in  den  Aogen. 
Sie  sprach  nichts  —  aach  ich  nicht. 

1810. 

7.  JanL  Dass  gestern  der  Gross-Kanzler  v.  Beyme  ihm  vad  der 
ganzen  Stadt  unerwartet  den  Abschied  bekommen,  hat  mir  leid  gethan. 

1811. 

25.  April.  Abends  im  Opemhaas,  wo  dmr  fransdsische  Gesandte 
Graf  St  Marsan  wegen  derGebnrt  des  Königs  von  Born eine  grosse 
F6te  gab,  gewesen.  2500  Billets  waren  dazn  ansgetheilt»  Kaum  Iconnte 
man  gehen,  so  viele  Menschen  waren  hier  vereanmielt  2200  Ifenseben 
nnd  nberdem  noch  112  Bedienten  sollen  hier  gewesen  sein. 

30.  Angost.  Beim  gewesenen  Grroes-Eanzler  Beyme  sn  Steglita 
gespeist  nnd  sehr  wohl  von  ihm  aufgenommen  worden.  14  Monate  lang 
ist  er  von  hier  abwesend  und  anf  Reisen  gewesen. 

dO.  September.  Ob  unser  Land  von  Napoleon  bekriegt  werden  wird 
*  oder  nicht,  hat  mich  diesen  Mona|  oft  beonrohigt.  Aller  Wahrschein- 


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106  •  6«oig  8i«g«iat. 

Uchkeit  nach  werden  wir  wenigstens  ^or  der  Hand  Frieden  behalten, 
aber  unser  König  thut  recfati  zum  Kriege  bereit  zn  sein.^^ 

1812. 

29.  Febmar.  Vorgestern  haben  die  Franzosen  Prenssiseh-Ponunem 
besetzt!!! 

28.  März.  Heute  rfickten  14000  Mann  Franzosen  hier  ein.  Ich 
bekam  einen  Hauptmann  zu  logieren,  der,  als  kSk  ihn  besuchte,  sehr 
unhöflich  und  mit  seinem  Quartier  nicht  zufrieden  war.  Der  Saal  war 
ihm  viel  zu  gross. 

18.  MaL  Beim  Fürsten  v.  Hatzfeld  gespeist.  Heute  Abend  reist 
dieser  nach  Dresden  ab,  um  daselbst  denNapol(  •  m  zu  komplimentieren.^} 

13.  Juli.  Beim  französischen  Gesandten  St.  Marsan  gespeist  und 
gnt  bewirthet  worden.  Dieser  Mann  wird  hier  allgemein  geschfttst,  und 
er  verdient  es  aiicli. 

3.  August.  War  der  Geburtstag  unseres  guten  Königs.  Des  Abends 
waren  fast  alle  Häuser  der  Stadt  erleuchtet,  und  so  auch  meine  von  mir 
bewohnten  Zimmer,  denn  über  die  8  Stuben,  die  der  Franzose  (Oolonel 
le  Courturier)  bewohnt,  habe  ich  k(ün  Recht. 

25.  Se|itember.  Heute  Abend  die  Nachricht  erfahren,  dass  Njqioleon 
den  14.  dieses  seinen  Einzug  in  Moskau  gehalten  habe.'")  Gott!  Wie 
unglücklich  mögen  daselbst  die  Menschen  nicht  sein!  Für  uns  Preussen 
ist  es  mindestens  recht  gut,  wenn  die  Franzosen  gute  Fortsdiritte  in 
Bassland  machen.    Wären  sie  doch  schon  alle  in  der  Türkei! 

27.  Wurde  in  der  katholischen  Kirche  von  den  Franzosen  wegen 
der  Einnahme  von  Moskau  ein  Tedeum  gesungen,  wobei  alle  unsere 
Ober-Behörden  zugegen  sein  mussten.'') 

')<).  Oktober.  Beim  Staatskanzler  v.  Hardenberg  in  kleiner  Ge- 
sellschaft gespeist.  So  sehr  dieser  Mann  als  Mensch  und  als  Gesell- 
schafter mir  gefällt,  so  wenig  kann  ich  ihn  als  Geschäftsmann  acliten. 
Er  ist  doch,  trotz  aller  seiner  vielen  Kenntnisse  und  Talente,  ein  gar  zu 
schwacher  Mann,  der  nacli  keinen  soliden  Grundsätzen  handelt.  Wollte 
Gott,  ich  hätte  hier  Unrecht!") 

Am  Ende  des  November: 

Auf  den  ^lann,  den  fast  alle  fürcliten;  .lesaia,s  Kaj).  14.  V.  II) — lH».  ••') 
l").  Dezember.    Die  unerwartete  Nachricht  erfahren,  dass  Napoleon 
Kussland  und  seine  grosse  Armee  veilassen   und  den  iL*,  dieses  durch 
Glogau  oljue  Gefolpf,  als  in  Begleitung  des  Duroc  und  Caulaincourt 
passiert  sei,  um  sich  nach  Paris  zu  seinen  Kindern  zu  begeben.*") 

1813. 

17.  Januar.  Mittags  bniui  Fürsten  v.  Wittgenstein'"')  in  (lesell- 
schaft  des  Generalis  v.  Jomiuy  gespeist.   Letzterer  hat  uns  vieles  von 


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Ans  den  Tagebüchern  des  alten  Heim. 


lOT 


allen  den  Unglücksfallon,  die  die  französische  Armee  in  Rnssland  er- 
litteo,  erzalilt.  Unglaublich  ist  es  fiust,  was  diese  Armee  nnsgcstanden  liat. 

25.  Beim  Grafen  v.  Zichy*-),  der  morgen  nach  I5n'slau  al)reist, 
in  Gesellschaft  des  französischen  Gesandten  Grafen  St.  Marsan,  der 
gleichfalls  nach  Breslau  abgeht}  gespeist.*'^) 

Am  Ende  des  Monats: 

Er  reiste  schnell  von  Russland  nach  Paris,  um  sich  daselbst  ea 
miuiatare  malen  zu  lassen. 

Wie  das  Glück  ihm  doch  immer  günstig  ist!  Als  er  in  Rassland 
keine  Fourage  mehr  hatte,  hatte  er  auch  keine  Pferde  mehr  zu  füttern. 

Von  nnserm  König  hat  er  gesagt:  II  a  de  l'esprit,  et  il  ne  croit 
pas,  und  vom  Römischen  Kaiser:  II  est  un  sot,  mais  il  ne  Ic  sait  pas. 

Als  er  nach  Russland  ging,  versprach  er  seinen  Soldaten  gute 
Wintercjuartiere.  Dies  Versj»rechen  ginp:  aber  nur  halb  in  Erfüllung, 
nämlich  Winter  liaben  sie  genug  gehabt,  aber  keine  Quartiere. 

Necjuissimus,  Atrocissiinus ,  Prijnus  Oniuiuin  Latrunum  Ex  Orco 
Natus. 

6.  Februar.  Abends  vom  Möns.  An  gl  es  Directeur  general  des 
postes  besucht  worden,  der  in  Russland,  sowie  viele,  grosse  Leiden  aus- 
gestanden, von  denen  er  nicht  genug  erzählen  konnte.'^*) 

12.   Beim  Marschall  d'Aagerean  gespeist.*'-') 

16.  Beim  Marschall  d'Aagerean  gespeist,  und  sehr  gut  von  ihm 
behanddt  worden. 

20.  Wsr  grosser  Lärm,  wegen  einiger  Kosaken,  die  in  die  Stadt 
kamen  hier.  Es  wurde  geschossen,  ond  alles  war  in  Aufruhr.  Dies 
gesdiah  des  Mittags  und  Abends  war  alles  stille.*^ 

21.  In  der  Stadt  war  alles  mhig,  die  Thore  aber  verschlossen  und 
kein  Mensch  weder  heraus-  noch  hereingelassen.  An  vielen  Orten  waren 
Kanonen  aufgepflanzt  undSoldaten  standen  in  Menge  unter  dem  Gewehr.*^ 

26.  Reiste  in  aller  Stille  der  Marschall  Augereau  Duo  de 
Gastiglione  von  hier  ab. 

Am  Ende  des  Monats: 

Avant  Iii  naissance  du  roi  de  Korne. 

Le  seze  de  l'enfant,  öBp^rö  de  la  patrie 

Memo  pour  l'Enipereur  est  cncore  mi  Beeret 

C'est  la  seulc  tVjis  dans  sa  vie 
Qu'ü  n'a  pas  üu  ce  qu'il  faisoit 

Aprta  la  naissance. 

Le  sexe  de  Tenfant  csp<^rö  de  la  patrie 
Pour  l'univers  dhtier  cesse  d'fitre  un  secret 
L'Empereur  a  done  su,  en  d^it  de  Tenvie 
Faire  toqjours  ce  qu'il  vouloit. 


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108 


Georg  Siegeritt 


Aller  WabrscheiDlichkeit  naeh  ist  es  doch  nnt  ein  nntergefichobeaes 
Kind,  Qod  Bonapart  hat  recht  gut  gewossty  was  er  macht 

4.  März.  Heute  ganz  frflh  verliessen  endlich  die  Franzosen  mit 
Sack  und  Pack  unsere  Stadt,  und  gleich  darauf  zogen  mehrere  1000  Ko- 
saken hier  ein.  Die  ganze  Stadt  war  in  Bewegung.  Mehrere  Franzosen, 
die  sich  verspätet  hatten,  worden  za  Gefangenen  gemacht  Abends  war 
die  Stadt  erleachtet  Mögen  die  Rassen  ganz  Dentschland  von  den 
Franzosen  befreien  nnd  diese  nie  wieder  nach  Berlin  kommen! 

11.  Kam  das  Wittgensteinsche  Koips  an,  Abends  war  die  Stadt 
erleachtet 

13.  Abends  war  im  Komödienhans  grosser  Ball,  allen  rassischen 
Offiziers  za  Ehren.   Jeder  hiesige  Herr  bezahlte  dazn  15  Sgr.  Gonrant  - 

17.  Das  Preossische  Torksche  Korps,  mehrere  1000  Mann  stark, 
rückte  hier  zur  allgemeinen  Freade  in  die  Stadt,  welche  deshalb  des 
Abends  erleachtet  war,  ein.*^ 

23.  Beim  gewesenen  Gross-Kanzler,  jetzigen  Civil-Gouvemear  von 
Pommern,  Beyme  in  Steglitz  gespeist'^ 

24.  Heate  kam  unter  grossem  Jubel  unser  rechtlicher  König  hier 
an.  Abends  war  die  ganze  Stadt  erleuchtet,  und  Jedermann  wsr  froh 
und  guten  Muths. .  Trotz  dem  Verbot,  nicht  zu  schiessen  aaf  der  Strasse 
und  aus  den  Fenstern,, wurde  doch  t&chtig  geschossen.'^ 

27.  April.  Heute  sind  die  Fnmzosen  aus  der  Festung  Spandau 
mit  allen  Ehren  abgezogen.  Warum?  begreife  ich  nicht,  da  sie  sich 
noch  lange  hätten  halten  können.  Dem  ffimmel  sei  aber  gedankt,  dass 
sie  fort  sind.^^) 

4.  Mai.   Nach  Spandau  gefaliren.  Mit  Bedauern  den  Brand  in  dfr 
Stadt  und  die  Zerstörung  der  Festnog  gesehen! 

5.  War  die  ganze  Stadt  wegen  einer  vorgefallenen  Schlacht  bei 
Lützen  in  Bewegung  und  in  banger  Besorgniss,.  ob  Vortheil  fOr  uns  oder 
die  Franzosen  daraus  erfolgen  werde. ''^) 

6.  Vergangene  Nacht,  wegen  der  Besorgniss,  dass  die  Franzosen 
nach  Berlin  kommen  möchten,  wenig  geschlafen.'') 

8.  Den  ganzen  Tag  über  aach  wegen  unserer  kritischen  Lage,  in 
der  wir  uns  mit  Napoleon  befinden,  geängstiget.  Die  Franzosen  sollen 
in  Ticipzig  sein  und  Miene  machen,  nach  Witten Kerg  und  hierher  zu 
gehen.  Abends  spät  kiun  endlich  die  höchst  erfreuliche  Nachricht  an, 
dass  Ostreich  und  Sachsen  (?)  sich  auch  gegen  Frankreich  erklärt 
hätten. 

9.  Heute  wieder  laute  beunrohigte  Nachrichten  von  unserer  Lage 
erhalten.  Ich  reise  mit  meiner  Familie  ab;  —  bleibe  aber  audi 
gerne  hier. 

10.  Heute  waren  die  Nachrichten  von  unserer  Armee  wieder 
günstig. 


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Aua  den  Tagebüchern  des  alten  Heim. 


109 


1 1 .  Wegon  der  Franzosen,  die  nach  Berlin  kuinineu  möchten,  in 
nicht  geringer  Unruhe  gewesen. 

12.  Etwas  ruhifi;ei-  wegen  der  Franzoson  gewesen. 
14.    Audi  heute  wegen  der  Franzosen  ruhig  gewesen. 

16.  Sehr  l)cunruhiguude  Nachricliten  wegen  der  Franzosen  gehört, 
und  den  ganzen  Tag  von  nichts  gesprochen,  ob  meine  Frau  mit  allen 
öder  einigen  ilnei  Kinder  von  hier  abreisen  sollte?  Ich  bin  der  Meinung, 
dass  wii-  alle  zusammen  hier  bleiben  coute  <|u'il  coute.'"') 

18.  Die  Alliance  mit  Ostreich  und  Schweden  ist  uugewiss,  uiui 
kommt  diese  nit  lit  zu  Stande,  so  ist  Preussen  verloren,  wenigstens  aller 
Wahrscheinlichkeit  nach. 

19.  Die  Furcht,  dass  die  Franzosen  nach  Berlin  kommen  könnten, 
verschwindet  immer  mehr  und  mehr,  da  sie  sich  zurückziehen. 

21.  Die  Franzosen,  die  sich  in  unserer  Nähe  befanden,  ziehen  sich 
nach  Wittenberg  zurück;  wollte  Gott,  bis  Frankreich. 

22.  Nach  Tische  an  50  Menschen,  ob  sie  sich  zam  Landstui*m 
tttchtig  genug  befinden  oder  nicht,  untersucht. '"*)  In  banger  Erwartaug 
gewesen,  ob  wir  die  Schlacht,  die  vorgestern  bei  der  grossen  Annee 
stattfand,  gewonnen  oder  verloren  haben  möchten? '0 

24.  Dem  General  v.  B.ftlow  giebt  man  Schuld,  dass  er  sifh  als 

ein  betragen  habe,  indem  er  sich  Ar  das  Vaterland  sehier  weit 

stärkeren  T^ppenzahl,  als  der  Feind  war,  nicht  gehörig  bedient 
habe.'») 

27.  Die  Schlachten  vcm  19.  20.  und  21.  sind  zwar  nicht  zu 
unserem  Yortheil,  doch  aber  auch  zu  keinem  grossen  Nachtheil  fftr  uns 
ausgefallen.  ''^  Vor  einigen  Tagen  waren  wir  wieder  sehr  besorgt,  der 
Feind  könne  -nach  Schlesien  kommen,  heute  glaubten  wir  es  nicht") 

29.  Die  Nachrichten  von  unseren  Truppen  lauten  bald  nngAnstig, 
bald  günstig.  2  mal  haben  wir  gesiegt  nnd  sind  rdckwftrts  gegangen; 
dn  witziger  Kopf  hat  gesagt:  er  wünsche  nun,  dass  wir  geschlagen 
würden  und  vorwärts  gingen. 

1.  Juni  Mittags  beinr  Grafen  v.  Zichy  gespeist  Da  dieser  gar 
nicht  an%eränmt  war,  so  schliesse  ich  daraus,  dass  Ostreich  nichts 
für  uns  thun  will,  und  dass  Frankreich  über  uns  siegen  wird,  wenn 
uns  nicht  auf  eine  andere  Weise  Hilfe  geschieht  Preussen  thnt  jetzt 
alles,  was  in  seinen  Kräften  steht,  seine  Freiheit  wieder  zu  erhalten  — 
sollten  wir  sie  doch  verlieren,  so  verlieren  wir  sie  wenigstens 
mit  Ehre. 

8.  Den  SO.  v.  M.  sind  Dünen  und  Franzosen  in  Hamburg  ein- 
gerückt **>) 

4.  Juni  Ohnerachtet  man  allgemein  sagt,  dass  Ostreich  uns  bei- 
getreten sei,  so  kann  ich  es  doch  noch  nicht  recht  glauben,  so  sehr  ich 
es  wünsche.  •* 


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110 


« 

9.  Der  bekaimt  n^emachte  Waffenstillstand  seheint  für  Preassen 
sehr  nachiheüig  zn  sein,  und  man  ist,  (xott  weiss  ob  mit  Recht  oder 
Unrecht,  nnznfirieden  damit*') 

10.  Jnm.  Wegl  mit  der  Politik! 

25.  Jnli.  Abends  nm  11  Uhr  ist  der  Kronprinz  von  Schweden 
hier  angekommen  nnd  auf  dem  Schloss  abgetroten.'^) 

14.  Angnst.  Abends  den  Major  v.  Kuobelsdorff  besucht,  und 
bei  einer  Bonteille  Rheinwein  ein  paar  Stunden  politisiert.  Der  Staats- 
Kanzler  V.  Hardenberg,  dem  ich  sonsten  gnt  bin,  kam  dabei 
sdilecht  wog. 

15.  Vor  Tische  nach  dem  Templower  Berg  geritten  nnd  die  Ver- 

schanzungen  besehen. 

16.  Leider!  ist  heate  der  Waffenstillstand  zu  Ende,  und  die  Feind- 
seligkeiten £EUigen  ¥on  neuem  an.    Indessen  besser  ist  die  Jfortsetsang 

des  Krieges,  als  ein  schlechter  Friede."^) 

19.  Dass  der  französische  General  v.  Jouimy  den  Napoleon  ver- 
lassen und  zum  Moreau  übergegangen  sei  hat  mich  sohr  gewundert.'  ) 

22.  Die  Nacht  um  1  Uhr  <>^iiip:en  alle  unsei-e  Soldaten  weg.  Wenig 
geschlafen  wegen  des  grossen  Larius  auf  den  Strassen.  Die  Franzosen 
stehen  nur  4—5  Meilen  von  hier  und  sollen  entschlossen  sein,  alles  zu 
wagen,  um  nach  Berlin  zu  kommen.  Von  Trebbin  her  haben  sie  deshalb  , 
einen  Versuch  gemacht,  aber  es  ist  misslungen.  Einige  Dörfer  in  jener 
Gegend  haben  sie  abgebrannt  und  haben  sich  nach  Zossen  und  Mitten- 
walde zu  gezogen."')  Heute  den  ganzen  Nachmittag  hat  man  hier  be- 
ständig kanoniereu  g(  lu)rt.    Die  ganze  Stadt  ist  in  Unruhe. 

23.  Ohnerachtet  heute  viel  kanonici't  worden  ist,  so  ist  doch  keine 
ordentliche  Schlacht  vorgefallen  nnd  wir  leben  alle  noch  in  Besorgniss. "') 

24.  So  unangenehm  mir  und  der  ganzen  Stadt  der  gestrige  Tag 
war,  so  vergnügt,  ja  recht  seelcnvergnügt  war  uns  allen  der  heutige. 
Die  Franzosen  sind  geschlagen  worden  und  fliehen.  82  Kanonen  hat 
nuin  ihnen  abgenommen'"),  und  mehrere  ICKX)  sind  als  Gefangene  hier 
eingebracht  worden.  Ich  habe  mich  kaum  der  Thränen  enthalten 
können,  die  Unglücklichen  zu  sehen,  so  elend  sehen  sie  aus.  Aus  ganz 
Schlesien  sind  die  Franzosen  verjagt,  und  mehrere  KHK)  zu  Gefangenen 
gemacht  worden.  —  Die  ganze  Stadt  war  voll  Freude!  Aus  einem 
Fisclizug,  den  sonst  an  diesem  Tage  die  Stadt  zu  Stralau  feierte,  ist  hier 
ein  Franzusenzug  gefeiert  worden!"*'') 

25.  Noch  lauten  alle  Nachrichten  von  unseren  Truppen  günstig. 

26.  Nach  Tische  mit  dem  Geh  Rath  Forme y  nach  Gros.sbeeren, 
2'/«  Meüe  von  hier,  geritten  und  das  Schlachtfeld  besehen.  10—15  Todte 
lagen  noch  unbegrabeu  daselbst  und  mehrere  Pferde.  Das  gewährte 
eintn  schandenroUen  Anblick. 

29.  Hente  vor  acht  Tagen  hatte  ich  einen  der  nnangenehmsten 


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Aua  den  Tagebttchern  dee  alten  Heim. 


III 


Tage  in  meinem  Leben,  da  die  Franzosen  unsere  Truppen  bei  Trebbin 
geschlagen  und  nur  noch  2  Meilen  von  hier  entfernt  waren.  Der  heutige 
war  desto  erfreulicher  für  mich  und  die  ganze  Preussische  Monarchie. 
Seit  dieser  Zeit  sind  die  Franzosen  allenthalben  gesclilagen  worden,  und 
allem  Anschein  nach  hat  weder  Berlin  noch  die  Mark  ßrandenburg 
etwas  mehr  von  ihnen  zu  fürchten. 

31.  Noch  immer  ist  uns  das  Kriegsglück  günstig.  Dresden,  wo 
sieb  Napoleon  befinden  soll,  wird  bombardiert.'*')  Etwas  freier  holen 
wir  in  Bei-lin  wegen  der  Franzosen  jetzt  Athem,  aber  so  lange  sie  noch 
80  viele  Festungen  in  Deutschhuid  in  Besitz  haben,  kann  man  sicli  noch 
nicht  der  Freude,  sie  los  zu  sein,  überlassen.  Doch  ein  guter  Anfang 
dazu  ist  gemacht,  welclies  wir  dem  Moreau  und  dem  Kroujtrinzen  von 
Schweden  zu  verdanken  liaben.  Unsere  Tru[iiien  sind  gewiss  brav  — 
aber  die  meisten  unserer  Generale  sind  mittelniässig  —  wissen  wenigstens 
nicht  recht,  was  sie  thuu  oder  lassen  sollen."'^)  Sie  werden  nicht  von 
einer  Intelligenz  regiert. 

8.  September.  Wegen  der  vielen  Blessierten,  die  irli  heute  sähe, 
traurig  gewesen.  ■'-)  Und  das  Morden  muss  doch  noch  kein  hude  haben! 
Eine  klägliche  Zeit  für  die  Menschheit! 

9.  In  der  am  6.  vorgefallenen  Schlacht  haben  wir  an  5-  bis 
6000  Todte  nnd  Verwundete  gehabt,  doch  der  Feind  mehr.  Wir  liaben 
über  12  000  Gefangene  gemacht,  80  Kanonen  und  400  Muuitionswagen 
erobert. Moreau  lebt  noch!  wie  man  sagt. 

12.  Wurde  ein  Siegesfest  gefeiert. 

19.  Die  angenBhine  Nacfaricfat  erhalten,  dass  der  General  Pecheur 
fom  Davoastsehen  Korps  geschlagen  bei  Lüneburg,  wo  wir  1500  Ge- 
zogene gemacht  ond  8  Kanonen  erobert  haben.'-) 

21.  Wie  sehr  bedanre  ich  bei  dem  beständigen  Regenwetter  nicht 
die  im  Felde  stehenden  Truppen,  besonders  die  nnsrigen.  Kannte  man 
ihnen  doch  ledige  Hftnser  schieken. 

27.  Nach  Tische  auf  den  Tempelhofer  Berg,  der  ganz  verschanst 
wird  geritten. 

30.  Haben  wir  unser  Silber  nnd  andere  Sachen  von  Werth,  die 
wir  im  Mftrz  ans  Forcht  vor  den  Franzosen  der  Prinzessin  Ferdinand 
in  Yerwahrang  gegeben  hatten,  bei  ans  znrfickbringen  lassen,  da  wir 
nns  schmeicheln,  dass  nnn  nicht  ein  feindlicher  Franzose  wieder  so  leicht 
nach  Berlin  kommen  wird. 

13.  Oktober.  War  die  ganze  Stadt  wieder  in  Unrohe  nnd  Angst, 
wegen  der  Nachricht,  dass  ein  grosses  Korps  Fhinzosen  anf  dem  lAarsch 
hierher  wäre.,»«) 

14.  Die  Forcht  vor  der  Hierherknnifc  der  Franzosen  ist  ver- 
schwunden! General  v.  Tanenzien  hat  es  verhindert  Alles  ist  froh! 

15.  Kam  der  General  v.  Tanenzien  hierher  in  grdsster  Eile. 


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112  Qeorg  Siegeriat. 

Uan  nimmt  ihm  dies  sehr  ftbal,  class  er  ohne  alle  Ursadie  hierher 
kommt  wid  seine  Soldaten  so  abmattet.  Yiele  sagen,  dass  er  verdiene 
kassiert  za  werden,  so  domm  zn  sein  nnd  weganlaafen,  da  die  Franiosen 
qar  schwach  gewesen  wären  nnd  er  sie  wohl  hätte  schlagen  können.*') 
16.  Tanenzien  soll  doch  Befehl  vom  Kronprinzen  gehabt  haben 
nach  Berlin  zn  gehen  und  ist  dies  so  thnt  man  ihm  sehr  nnreofat  so 
za  tadeln  als  von  vielen  geschieht**) 

20.  Heute  Abend  die  höchst  erfreuliche  Nachricht  erfahren,  dass 
die  vereinigte  grosse  Armee  bei  Leipzig  die  französische  geschlagen 
habe.  Die  ganze  Stadt  war  deshalb  erleuchtet,  Kanonen  abgefeuert,  und 
das  Scbiessen  auf  den  Strassen  hatte  kein  Ende.  Wollte  Gott!  Napoleon 
wäre  nun  todt!  Denn  so  lange  dies  Ungeheuer  lebt,  ist  an  keine  Rnhe 
in  der  Welt  zu  denken. 

21.  Ein  Kurier  vom  König,  begleitet  von  2()  Postillonen,  der 
Nationalgarde  zn  Pferde,  brachte  heute  Nachmittag  die  Nachricht,  dass 
wir  bei  und  in  Leipzig  einen  vollkommenen  Sieg  über  die  Franzosen 
erfochten  hätten.  14  Generale,  liö  (KJO  Mann  sind  gefangen,  18Ü  Kanonen 
nnd  über  l(KK)  Munitionswagen  sind  erobert  worden.  Heute  früh  schon 
wurde  in  allen  Kirchen  Gott  für  diesen  Sieg  öflentlich  f^edankt.  ■'•') 

22.  Über  den  herrlichen  Sieg  bei  Leipzig  mich  selir  gefreut. 
25  Generale  sind  gefangen  worden.  Dass  der  Marscliall  Augereau 
ertrunken  bedaure  ich  —  er  war  ein  sehr  vortrefflicher  Mann,  den  ich 
sehr  geschätzt  habe.'*) 

2H.  Hei  Kosen  hat  Blücher  aufs  neue  die  Franzosen  geschlagen, 
und  ihnen  5U  Kanonen  abgenommen.  Allenthalben  wird  der  fliehende 
Feind  verfolgt.  Nein,  nicht  bei  Köseu,  sondern  bei  Weissenfeis  hat 
Blücher  den  Franzosen  10  Kanonen  abgenommen  und  2000  Mann  zu 
Gefangeneu  gemacht. 

24.  Hatten  wir  das  grosse  Glück,  unsern  braven  König  zu  sehen, 
der  mit  grossem  Jubel  empfangen  wurde.  Abends  war  die  Stadt  er- 
leuchtet. 

25.  Kam  die  ICuuigl.  Familie  mit  dem  König  von  Sachsen  als 
Gefangene  hierher.'"*) 

26.  Mir  die  Ehre  gegeben,  dem  König  meine  Aufwartung  zu 
machen  Ihm  Uber  das  Glflok  seiner  Waffen  meine  Freude  zu  bezeigen. 
Er  war  sehr  gnädig  und  trenndlich  gegen  mich  —  nnd  mit  grosser 
Zufriedenheit  verliess  ich  Ihn,  den  braven  ICann.'") 

6.  November.  Kam  unser  König  von  Breslau  zurück. 

9..  Napoleon  ist  bei  Mainz  mit  dem  Rest  seiner  Armee  ftber  den 
Rhein  gegangen.'**) 

18.  Ein  Theil  unserer  Truppen  sind  über  den  Rhein  gegangen 
nnd  vermutUich  werden  ihnen  mehrere  folgen.  Napoleon  ist  in  Paris."*} 
Wie  mag  diesem  Infsunen  wohl  jetzt  sa  Mutfae  sein!  Qott  hat  ein  grosses 


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Aus  den  Tagebachem  des  alteu  iieim. 


U3 


Strafgericht  über  ihn  and  seine  Nation  verhängt  Die  unglücklichen 
Emvohner  Frankreichs  bedaure  ich. 

"27.  Torgaii  hat  sich  nun  auch  au  die  Preussen  ergeben.  2UU  Ka- 
nonen, haben  wii'  nun  mehr. 

1814. 

26.  Januar.  Mich  sehr  geireut,  dass  unsere  Truppen  Nancy  besetzt 
haben."") 

18.  Februar.  Sehr  vorg^nügt  gewesen,  «lass  Blüchur  den  Na[K>l('(>u 
hinter  Chalons  pfeschlatr»'Ti  und  ihm  75  Kanonen  abgenommen  hat."") 

17.    Alle  Naclu'ichteu  aus  Frankreich  lauten  günstig  iüi'  unsere 

Kriegsoperationen. 

'J8.  Einen  liriof  von  meinem  Solm  ;iiis  ( 'lialon  erhalten,  wohin 
unsere  Trui>[»en,  nachdem  sie  schon  ö  Mcihii  hinter  diesem  Ort  waren, 
von  den  Franzosen  zurückgetrieben  worden  sind."") 

10.  März.  Über  die  Nachricht,  dass  unsere  Truppen  in  Frankreich 
wieder  vorwärts  marschieren  und  Blücher  schon  wieder  in  Meauz  sei, 
sehr  vergnügt  gewesen. 

30.  März.  Der  Friedenskongress  i.st  auseinander  gegangen '"'),  und 
nun  soll  noch  auf  Leben  und  lud  gestritten  werden!  0  Elend  und 
Jammer! 

10.  April.  Heute  früh  die  frohe  Nachricht  erfahren,  da.ss  den 
31.  V.  M.  unsere  Trui>pen  in  Paris  eingenickt  sind.  Alexander,  der 
Russische  Kaiser  und  unser  Köniir  wiiirn  uu  ihrer  S|iitze.  Die  ganze 
Stadt  war  voller  Freud«-,  und  de.s  Abends  ward  illuminiert.  Bonajiarte 
ist  nun  wohl  als  verloren  anzusehen,  Gott  sei  aus  der  Fiiür  meines 
Herzens  gedankt,  dass  wir  von  der  Tyrannei  dieses  Hösewichts  hetVeit  sind. 

11.  Alle  MeTischeu  reden  jetzt  fast  von  nichts  als  dem  grossen 
Glück,  dass  Boiiap:! i  te  fast  alle  seine  Macht  verloren  hat,  und  wir  von 
ihm  wohl  nichts  mehr  zu  fürchten  iiabeu. 

14.  Die  höchst  ei'freuliehe  Nachricht  erhalten,  dass  Napoleon 
Bonaparte  vom  Senat  des  Thrones  fiir  verlustig  erklärt  worden  sei.  Der 
Feld-Marschall  Marmont  ist  mit  15  QUO  Mann  zui'  neuen  Ordnung  über- 
gegangen.'") 

25.  Aller  Menschen  Freude  ist  unbeschreildicli,  dass  wir  und  die 
Welt  wieder  frei  sind.    Bouaiiarte  soll  am  Nerveulieber  krank  sein. 

Gott  muss  ich  uud  die  ganze  Welt  danken,  dass  der  Unmensch 
Bonaparte  endlich  überwunden  worden  ist  und  den  Thron  verloren  hat. 
Der  Krieg  wird  nun  ein  Ende  haben,  und  wir  können  wieder  frei  uud 
ruhig  lebeu.  —  Dass  der  Bonaparte  sicii  es  so  hat  gefallen  lassen,  ab- 
gesetzt zu  werden,  zeugt  von  seiner  grossen  Krbäi'mlichkeit  und  schiechten 
Denkuugsart 

Arob.  8 


uiyiiizeo  Dy  Google 


114 


Georg  Biegerift. 


7.  JimL  Kam  Unter  den  Linden  der  Kurier,  Graf  Stollberg, 
unter  Vorreitang  von  Gensdarmen  nnd  Postillonen  mit  der  Untere 
Zeichnung  des  allgemeinen  Friedens  unter  dem  Znlanf  einer  grossen 
Menge  Menschen  hier  an. 

4.  Juli.  Kamen  die  Garden  der  freiwilligen  Jäger  za  Fnss  nnd  zn 
Pferde  zur  Stadt,  nnd  wurden  anf  das  fderlichste  erapfaugen  nnd  mit 
Blnmenkränzen  geschmückt 

dO.  Gestern  Nachmittag  ist  der  Fürst  Blücher  hier  angekommen. 
Heute  Vormittags  rückte  die  Berliner  Landwehr  unter  grossem  Jubel 
des  VoUgb  hier  ein.  Nicht  ohne  Rührung  sah  ich  die  Landwehrmanner 
alle  bekränzt  hier  zurückkommen.  Wer  hätte  das  vor  einem  Jahr  sich 
träumen  lassen! 

31.  Heute  habe  ich  dem  Feldmarschall  v.  BlÜchi^r,  Fürsten  v.  Wahl- 
stadt, meine  Aufwartung  gemacht  nnd  mich  gefrent,  diesen  Helden  so 
munter  zn  finden. 

7.  Augast.  Heute  früh  gleich  nach  8  Uhr  kam  der  König  mit 
seinen  Garden  in  Pomp  hier  an,  viel  früher  als  man  erwartet  hatte. 
Abends  war  die  ganze  Stadt  und  inelirero  der  vornehmen  ^user  prächtig 
erleuchtet.  Gott  sei  gedankt,  dass  wir  einen  solchen  Tag  erlebt  und 
noch  haben  feiern  können. 

15.  Sind  die  Russischen  und  unsere  Garden  an  3(K)  Mann  stark 
im  Lustgarten  nnd  Unter  den  Linden  auf  Kosten  des  Königs  gespeist 
worden,  welches  ein  grosser  Jubel  für  die  ganze  Stadt  und  auch  für 
mich  war.'"*) 

November. 

Celni  qui  forma  de  grands  bataillons 
Qni  nageait  dons  Ic  sang,  qni  v^cnt  dans  le  crime 
Mointenant  pour  pension  n'a  que  six  MUlions 
Ce  qni  ne  falt  pas  un  sei  pour  victime. 

1815. 

Januar.  Die  grossen  Herren  anf  dem  Kongress  zn  Wien: 

Der  Kussische  Kaiser  liebt  für  alle. 
Der  Künig  von  Prenssen  denkt  für  alle. 
Der  König  von  Bayern  spricht  für  alle. 
Der  Künig  von  Dänemark  trinkt  fdr  alle. 

Der  Kunig  von  Württemberg'  isst  für  alle. 
Der  Kaiser  von  Oesterreich  bezahlt  für  alle.'*') 

17.  Februar.  Endlich  sind  die  Beschlüsse  des  Kongresses  zu  Wien 
bekannt  geworden.  Was  Prenssen  an  Ländern  \erlieri  und  wieder- 
erhält, wurde  gestern  Abend  durcli  ein  Extrablatt  bekannt  gemacht,  und 
die  ganze  Stadt  hörte  mit  dem  iuuigsteu  V^erguügen  die  Strassenjungen 


Am  d«D  TAgebaohMii  dM  alt«n  Helm. 


115 


schreien:  Extrablatt!  Extrablatt!  welche  Töne  uns  im  letzten  Kriege  oft 
eiue  ganz  unbeschreibliche  Freude  verui'sachten. 

13.  März.  Da«s  der  Napoleon  den  2G.  v.  M.  von  der  Insel  Elba 
entflohen  sei,  erregte  hier  allgemeines  Erstaunen.  Die  l'^rinion  setzte  dies 
Ereigniss  in  Furclit,  und  mehrere  Miinner  freuten  sieli  darüber,  weil  sie 
glauben,  dass  durch  Napoleon  die  jetzigen  Beherrscher  der  Völker  wieder 
etwas  vernünftiger  werden  sollen.'") 

15.  Napoleon  ist  in  Frankreich  im  Departement  de  Yar  gelandet."^) 

18.  Napoleon  soll  in  Toulon  sein. 

21.  Beim  General  v.  Taaenzien  gespeist.  Die  ganze  Gesellschaft, 
die  aus  Offizieren  bestand,  war  gar  nicht  munter  wegen  Napoleons  Fort- 
schritte. 

2i).  Wie  man  sagt,  ist  es  sehr  wahrscheinlich,  dass  Napoleon  wieder 
Meister  über  Frankreich  werden  wird.  Ob  alsdann  auch  wolü  über 
andere  Länder  und  über  Deutsclilaud  ? 

27.  Abends  die  unangenehme  Naciiricht  erhalten,  dass  Napoleon 
den  20.  in  Paris  feierlich  eingezogen  sei.  0!  Dummheit  unserer 
Monarchen ! 

22.  April.  Abends  kam  der  Präsident  v.  Knoblauch  zu  niis,  um 
meinen  Kindern  die  erfreuliche  Nachricht  zu  bringen,  dass  Friede  sei, 
da  die  französische  Nation  sich  für  die  republikanische  Regierung  erklärt 
habe,  von  der  Lucian  Bonaparte  Konsul,  und  Napoleon  Generalissimus 
sein  solle.  Wir  alle  waren  gegen  solchen  Frieden,  der  nicht  anders  als 
sehr  erbärmlich  für  uns  wäre."") 

ä.  Juni  Sind  unsere  Garden  sur  Rheinarmee  abmarschirt'") 

23.  Heute  die  ersten  Nachrichten  von  einer  wichtigen  Schlacht, 
die  den  16.  und  17.  bei  Fleury  stattgefunden  hat,  eingetroffen.  Noch 
weiss  man  nichts  ganz  gewisses  hierüber,  wie  viel  wir  dabei  verloren 
haben,  doch  soll  unser  Verlust  nicht  gering  seb.'") 

24.  Hente  früh  um  5  Uhr,  da  ich  mein  Pfeifchen  in  Kühe  rauchte, 
kam  der  Landwehr -Lieutenant  Nerst  als  Kurier  zu  mir  gefahren  und 
brachte  mir  die  höchst  erfreuliche  Nachricht,  dass  den  18.  d.  M.  der 
Napoleon  bei  Belle- Alliance  von  Blficher  total  geschlagen  worden  seL 
Allen  meinen  Hausgenossen  musste  sogleich  diese  frohe  Nachricht  be- 
kannt werden.  Jeder  von  uns  eilte  zum  Hause  hinaus,  um  diese  Nach- 
richt unsern  Freunden  und  Bekannten  kund  zu  thun.  Wir  alle  waren 
für  Freude  ausser  uns  und  konnten  unser  Glück  kaum  fassen  .... 
Abends  waren  meine  Zimmer  illuminiert,  und  meine  Frau  konnte  die. 
Zeit  nicht  abwarten  zu  illuminieren. 

29.    Erhielten  wir  die  Nachricht,  dass  Blücher  in  Laon  sei. 
Mit  sehr  frohem  Herzen  endiget  sich  dieser  Monat,   Nai»oleons  so 
lorohtbare  Herrschaft  scheint  ein  £nde  zu  haben.  £s  freut  uns  be- 

8* 


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116 


Georg  äi^eriit. 


sonders,  dass  ohne  Rassen,  ohne  Oesterreicher  und  Bayern  bloss  Preußsen 
und  Engländer  diesen  stolzen  Mann  bezwungen  haben. 

8.  JulL  Mau  weiäs  gewiss,  dass  Napoleon  dem  Throne  entsagt 
habe."») 

11.  Endlich  nach  vielen  Besorgnissen  die  höchst  orfreuliche  Nach- 
richt erhalten,  dass  den  8.  unsere  Truppen  von  Paris  Besitz  genonniieu 
haben.  Welch'  Glück  für  Prcusseii  und  fast  für  die  halbe  Welt!  Tivat 
Blücher!  Vivat  Wellington!  Boide  verdienton  den  Dank,  den  höchsten 
Dank  alier,  die  Napoleon  unglücklich  gemacht  hat  und  sicher  noch  hätte 
unglücklich  machen  können.'^") 

26.  Endlich  die  Nachricht  erhalten,  dass  Napoleon  nebst  mehreren 
Generalen  sich  den  Engländern  freiwillig  als  Gefangener  übergeben 
hatte.  Am  besten  ist  es  wohl,  dass  ihn  die  Engländer  in  ihre  Gewalt 
bekommen  haben.    Er  ist  und  bleibt  ein  Avanturier  erster  Grrw^f  ."') 

15.  Dezenibei-.  Die  erfreoliche  Nachricht  erfahren,  dass  den  7.  dieses 
der  Feldmarschall  Ney  erschossen  worden  sei."*) 

1816. 

14.  Januar.  Bei  dem  Kaufmann  ('as]Kiri  in  grosser  Gesellschaft 
gespeist,  in  welcher  sicli  auch  der  von  den  Tugendbuudfreundeu  jetzt  so 
verachtete  Schmaltz  befand.'*^) 

14.  Februar.  Die  jetzt  so  l)eknnnte  Auguste  Krüger  des  Mittags 
bei  uns  zu  Hause  gebracht,  die  die  Bewunderung  aller  der  Meinigen 
auf  sich  zog.  Sie  ist  zwar  nicht  gross,  aber  ein  untersetztes,  breit- 
schulteriges Frauenzhnmer,  24  Jahre  alt.  Als  freiwilliger  Jäger  machte 
Sit'  den  vorletzten  und  den  letzten  Feldzug  als  üiitornfjl/ier  im  Kol- 
lu'j -fischen  Infantcrioregimoiit  mit.  Bei  Deunewitz  er.stürmt<'  sie  eine 
P>atterie,  wurde  zweimal  st;irk  hlcssiert  und  erhielt  das  eiserne  Kreuz. 
17  Schlachten  hatte  sie  beigewohnt  nml  sich  immer  brav  erlialteu  und 
während  der  8  ';f  Jahre  ihres  Soldateustaudes  einen  gau2  unbescholtenen 
Lebenswandel  geführt.  '**) 

Oktober.  Mit  grossem  Vergnügen  habe  ich  durch  unseren  gewesenen 
englischen  Gesandten  Jacobi,  der  eben  von  London  hierhergekommen 
ist,  erfahren,  dass  Napnieon  Boimj>arte  äusserst  niissvergiiüi>t  zu  St. 
Helena  lebe.  Er  soll  so  stark  und  fett  geworden  sein,  dass  ei-  nur  mit 
viel  Mühe  ein  Reiti>ferd  besteigen  kann,  und  d:ibei  soll  sein  (Jesicht  \oll 
rotlier,  graner  und  schwarzer  Flecke  sein,  so  dass  man  glaubt,  er  werde 
nicht  mehr  lange  leben.'") 

Am  Ende  des  Jahres:  Napoleon,  Josephus,  Hieronymus,  Joachimns 
(Mui  at?),  Ludovicos.  Der  erste  hat  die  Hölle  im  Herzen  und  das  Chaos 
im  Kopte. 


uiyiiizeo  Dy  Google 


Adb  den  Tagebflchem  des  alten  Hdm. 


117 


Je  leguc  aux  enforis  mon  genie 

Mes  exploita  atuc  aTaatorien 

A  mes  partiBaiiB  Tinfiimie 

Le  grand  livre  k  mes  eröanders. 

Anx  FrangoiB  Thorreiir  de  mes  crimes 

Mon  cxemple  k  tous  Ics  t3rraiiB 

La  Franco  A  scs  rois  Irj^itimes 

Kt  l'hopital  ä  mes  parens. 

1817. 

10.  Dezember.  Zum  erstenmal  in  meinem  neuen  Wagen  gefahren, 
weil  heute  der  Geburtstag  des  Fürsten  Blücher  war  —  ja  diesem 
zui-  Ehre. 

1818. 

5.  April.  Beim  Kammerherrn  Geh.  Polizeirath  v.  Eamptz  in 
grosser  Mannsgesellschaft  gespeist.  Gegen  das  Tarnen  steht  in  der 
Bibel  Blaccabaeer  Buch  2  Kapitel  4  Vers  12  etc.'") 

18L9. 

81.  Ifitei.  Qestom  die  Nachricht  erfeliren,  daas  der  so  bekannte 
AnguBt  V.  Eotzebne  den  23.  d.  Nachmittags  nm  halb  6  Uhr  von  einem 
Stad.  Theologiae  Namens  Sand  mendielmörderischer  Weise  erstochen 
worden  sei."^ 

Jnli.  Dde  Spenersche  Zeitung  brachte  am  13.  folgenden  Artikel, 
den  Heim  aasschnitt  and  ins  Tagebuch  klebte:  Berlin.  Die  an  mehreren 
Orten,  sowohl  im  Preussischen,  als  in  anderen  Landern,  in  den  letzten 
Tagen  stattgefundenen  Massregeln  zur  weiteren  Ausmittelung  der  ent- 
deckten geheimen  demagogisclu'u  Verbindungen  und  UnitrielH«  sind  durch 
erhaltene,  höchst  wichtige  und  vollständigf  T?ewois('  über  die  Existenz 
und  revolutionäre,  selbst  liochverrätherische  Tendenz  derselben  veran- 
lasst; man  hat  selbst  den  vollständigen,  mehrmals  berathenen  Entwarf 
der  dem  deutschen  VaterlaTidf»  zugedachten  republikanischen  Verfassung 
in  Beschlag  genommen.  Es  geht  hieraus  von  selbst  hervor,  dass  diese 
Massregeln  nicht  in  den  beschränkten  Gesichtspunkt  einer  gegen  Stu- 
denten und  Studentenverbindungen  beschlossenen  Verfü^jurifi:  s^chören, 
indem  nur  einip;e  derselben  mehr  oder  minder  dabei  impliziert  und  daher 
von  jenen  Massregeln  niin^rtroffen  sind.  Über  die  ausgebreiteten  und 
tief  eingreifenden  Yerzwei^niii^en  jener  deinaijogix  lu'n  Tnitriebe  karm, 
ohne  dem  so  liöchst  wichtigen  und  wohlthätigen  Zweck  selbst  nach- 
theiiig  zu  werden,  be<2:reitlich  das  Nähere  noch  nicht  jetzt  zur  öffent- 
lichen Kenntniss  kommen. 

Darunter  steht: 

Grosses  hat  er  pothan  und  weit  niohr  als  seines  Amts  —  Kamptz; 
Kreisen  läset  er  den  Borg  und  lockt  die  fürchterliche  Maus  —  raus."*) 


• 


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IIS  Georg  Siegerist. 

31.  Dezember.  Heute  haben  die  Umister  y.  Beyme  und  Hum- 
boldt ihren  Abschied  erhalten.  Vor  einigen  Tagen  haben  der  Kriegs- 
minister V.  Boyen  and  der  General  v.  Grolman  den  Abschied  gefordert 
nnd  erhalten,  und  (>rolroan  hat  sich  dabei  alle  Pension  Terbeten.  Hat 
letzterer  wohl  weislich  gehandelt?  Wenn  tüchtige  M&nner  den  König 
verlassen  nnd  sich  von  ihm  beleidigt  finden,  so  geben  sie  dadurch  Ge^ 
"  legenheit,  dass  schlechte  und  unbrauchbare  BCenschen  auf  den  König 
wirken  können."*) 

1820. 

Vy  Oktober.  Den  15.  Abends  um  10  Uhr  starl)  zu  Leipzig  unter 
den  Händen  des  grossen  Charlatans  D.  II  almem  aiin  der  Fürst 
V.  Scliwai  zen borg.  Er  hat  vtMordiiet,  auf  dem  Schlachtfeld  bei  Tieipzig, 
wo  er  ini  Jalu'e  1813  die  österreichische  Armee  kommandierte,  begraben 
zu  werden.'*')  • 

1821. 

12.  JnlL  Die  offizielle  Nachricht  erhalten,  dass  (mit  rother  Tinte 
geschrieben)  den  4.  Mai  Napoleon  gestorben  sei'")  Qniescat  in  paoe! 
Er  mag  viel  Böses  in  der  Welt  gethan  haben  aber  auch  gewiss  viel 
Gutes.  Unser  besseres  Militär  hat  ihm  dies  Glfick  zu  verdanken  — 
doch  wohl  ohne  seinen  Willen. 

1822. 

17.  Marz.  Während  dem  Essen  liatle  wegen  der  Gewerbe-Freiheit 
und  dem  jetzigen  so  niedrigen  Getreidepreis  das  Disputieren  und  Schreien 
kein  Ende.'«) 

11.  Jidi.  Mittag.s  zum  Essen  bei  mir  gehabt  .  .  .  .  v.  Caprivi, 
der  4  Monate  wegen  demagogischer  Unitriebe  im  Gefäugniss  gesessen 

und  relegiert  ist. 

November.  Den  20.  dieses  starb  zu  (»erma  mein  seit  mehr  als 
%)  Jahren  gewesener  Freund  und  Gönner  der  Staats-Kanzler  Fürst 
V.  Hardenberg  am  Sclilagfluss.  Sein  Tod  ist  mir  sehr  nalie  «gegangen. 
Solch  ein  liebenswürdiger  und  kenntnissieicher  Mann,  als  er  \\a\\  wird 
wohl  selten  zu  linden  sein.  Er  war  einer  der  arbeitsamsten  Männer 
von  der  Welt.  Aber  W  selir  grosse  Felder  hatte  er.  Einmal  kannte  er 
keine  schlechten  Menschen,  er  hielt  alle  Menschen  für  gut,  weshalb  er 
meistens  nur  schlechte  Menschen  zu  seinem  Umgang  hatte.  Zweitens 
kannte  er  niciits  vom  Werth  des  Geldes  —  10,  lÜO,  1000,  10  000  Rthlr. 
alle  Summen  waren  ihm  gleich.  Feine  Liebe  kannte  er  auch  nicht, 
sondern  die  grasseste  von  der  Welt.  Dicke  feiste  Menschen  waren  ihm 
am  liebsten,  und  denen  gab  er  sich  ganz  hin,  wenn  sie  ihn  auch  auf 
das  schlechteste  behandelten  und  betrogen.  "^') 


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AuB  den  TAgebflchem  des  alten  Heim. 


119 


1824. 

12.  März.  Abends  beim  General  v.  Jür<^ass'**)  Champagner  ge- 
trunken nnd  vieles  mit  ihm  von  Bonaparte  gesprochen,  den  er  ebenso 
wie  ich  für  einen  der  grössten  Lügner  hält. 

24.  April.   Nachmittags  nach  Cöpenick  gefahren,  einen  Kranken 

besucht  und  auch  in  Begleitung  des  Regierungsraths  Krause  den  auf 
dem  Scliloss  gefangenen  D.  Petsch  gesellen.  80  junge  Leute,  meistens 
Studenten,  sitzen  wegen  demap:on^i8cher  Grundsätze  hirr  gefangen  und 
werden  von  100  Soldaten  bewacht.  Verdienen  solche  junge  Leute,  di(> 
sich  demagogischer  Umtriebe  schuldig  gemaclit  haben,  soldie  strenge 
Aufmerksamkeit?  Oder  wiire  es  vielleicht  besser,  sie  loszulassen  and 
die,  die  sie  liiorherge Viracht  liaben,  hier  einsperren  zu  lassen?"**) 

12.  Oktober.  Mittags  l)eim  Fürsten  v.  Wittgenstein  mit  dem 
Grafen  v.  d.  Reck  nebst  dem  Demagogenj%er  v.  Kamptz  gespeist 

« 

1825. 

7.  März.  In  Cöpenick  beim  Regierungsrath  Krause,  dem  Inqui- 
sitor der  daselbst  in  Gefangenschaft  sitzenden  Demagogen,  jetzt  an  der 
Zahl  nur  noch  15,  gespeist.  Mit  dem  Kriminaldirektor  Schmidt  fuhr 
ich  dahin  und  zurück.  Der  Schmidt  ist  ein  grundehrlicher  und  recht- 
schaftencr  Mann,  der  mich  wegen  der  Di  Tuap^ogen  gut  unterrichtet  hat, 
und  die  ganze  Sadie  für  selir  unwichtig  halt.  Diese  wenigen  Gefangenen 
werden  von  150  Mann  Soldaten  und  5  Oflizieren  bewacht. 

L^.  Dezember.  Sagte  man  allgemein,  der  Kaiser  von  Kossland  sei 
gestorben.  Ist  dies  Gerücht  wahr,  so  ist  er  gewiss  keines  naturlichen 
Todes  gestorben. 

18.  Constantin  soll  nun  gewiss  Kaiser  der  Russen  sein."*) 

1826. 

18.  Februar.  Abends  in  der  Opera  gewesen,  um  'Wellington  zu 
sehen,  und  ich  sähe  ihn  auch,  aber  wie  alt  und  mager  sieht  er  nicht 
gegen  unsern  König,  der  ein  Jahr  älter  als  er  sein  soll,  aus. 

25.  April.  Hat  durch  den  Bünister  v.  Motz  der  Ladenberg  Exe 
die  Staats-Kontrole  verloren."^) 

Wir  waren  lang  mit  Gottes  Zorn  beladen« 

Schon  lag  er  auf  uns  wie  ein  Berg, 

Wir  spönnen  lange  keinen  eeidnen  Faden, 

Nur  schlechtes  Zeug  vom  ordinärsten  Werg. ' 

Die  Form  gebot!  —  Dem  bessern  Geist  zum  S(;hadcn. 

Sic  schor  nach  einem  Mass  den  Kiesoji  wU-.  den  Zwerg. 

Fort  ist  die  Last!    Ks  schlügt  die  J^rust  nun  Ireier, 

Und  mehr  als  je  i&t  mir  mein  guter  König  theuer.  (Schmidt.) 


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120 


Greorg  Siegerist. 


6.  Novemiter.  Der  Präsident  Sethe der  in  Westfalen  von  Na- 
poleon häufige  Kriinkiinf^en  aller  Art  an  sich  und  anderen  erfahren 
hatte,  nannte  ihn  einen  mathematischen  Despoten,  dem  alle  Mittel,  um 
seinen  Zweck  zu  erreichen,  recht  waren. 

1827. 

B.  Mai.    Den  Minister  v.  Stein,  einen  alten  Bekannten  von  mir, 

gespruchoii.'") 

25,  St'j)ti'iiilu'r.  IJcini  Minister  v.  Motz  in  t^rosser  Gesellscliaft 
<janz  voitrcfllich  liewirthet  worden.  Von  den  Demagogen  vielleicht 
etwas  zu  frei  und  laut  gesprochen. 

1828. 

20.  Juni.  Bei  Sr.  Excellenz  dem  Gross-Inqoisitor  der  armseligen 
Demagogen  gespeist.  Gott  ning  mir  die  Sünde  yerzeihen,  dass  ick 
schleckt  von  diesem  Kamptz  denke.  ^^^) 

11.  November.  Mittags  beim  Fürsten  Wittgenstein  in  Gesell- 
scliaft  vom  General  v.  Nostiz  ....  der  ans  vieles  von  Russen  und 
Türken  zu  erzählen  hatte,  gespeist  ^^') 

l8dO. 

26.  Juni.  Endlich  haben  den  14.  d.  M.  die  Franzosen  auf  Algier 
zu  meiner  grossen  Freude  gelandet  .Mögen  sie  dem  Dey  mores 
lehren!  "=•) 

14.  Juli.  Heute  Vormittiig  die  ebenso  wichtige  wie  höchst  erfreu- 
liche Nachricht  gehört,  dass  die  Franzosen  Algier  erobert  haben.  Nun 
will  ich  den  Franzosen  gei  ne  den  Namen  einer  grossen  Nation  geben, 
den  sie  unter  Napoleon  nie  verdienten.  Damals  waren  sie  eine  SpitE- 
buben-  und  Räubernation  und  Napoleon  ihr  Anführer,  einer  der  nieder^ 
trächtigsten  Menschen,  der  friedliebende,  ruheliebende  Nationen  ohne  die 
geringste  Veranlassung  unglücklich  gemacht  hat,  bloss  um  seinen  Ehrgeiz 
zu  befriedigen  und  seiner  Familie  Throne  zu  geben.  Alle  Leiden,  die 
er  auf  der  Insel  Helena  ausgestanden,  hat  er  lOfacb  als  Krieger'  ver- 
dient, aber  als  Yater  habe  ich  oft  bedauert,  dass  er  seinen  Sohn  nicht 
sehen  konnte. 

5.  September.  Von  den  Unruhen  in  Brüssel  nnd  Aachen  wurde 
viel  gesprochen.^**} 

1831. 

11.  Se|tt<'iiilM'r.  Den  7.  Abi  iuis  liat  W  iinschau  kapitulici  I  iiiid  die 
Kus.sen  die  Stadt  eingenoiiinieii.  Ich  iKHlaiiie  die  Polen,  «locli  für  Preussen 
ist  dies  schon  gut  und  für  den  so  gutmüthigen  Kaiser  von  Russland.'*') 


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Am  den  TkigMdi€Ri  dM  alten  H«im. 


121 


1832. 

9.  Februar.  Endlich  ist  heute  Abend  der  Kammerherr  v.  Eamptx 
zum  Jnstizrainister  creirt  worden.  Tandem  mala  caosa  triampbat.  Dies 
Glück  haben  ihm  die  Demagogen  verschafft.  ^*^) 

^  1834. 

24.  April.  Die  Unmhon  in  Lion  liegen  mir  immer  im  Sinn.  Dass 
man  mit  den  republikanisch  Gesinnten  streif  verfährt,  ist  notliwendig 
nnd  recht,  ja  wenn  alle  Einwohner  erschossen  und  die  gaose  Stadt  der 
Erde  gleich  gemacht  würdo,  müsste  ich  es  billigen.  ^^') 

11.  Juni.  Vormittags  nach  Steglitz  und  Minister  v.  Beyme,  der 
gestern  sein  5()jiUiriges  Jubiläum  verlebte  besucht  Seit  15  Jahren  ist 
er  nicht  mehr  im  Dienst. 


i)  Tlardonberg  war  im  Jahre  ITHI,  nachdem  er  vorher  in  hannover- 
schen und  hraun^^chweigisclif  11  Diensten  gestanden  liatte,  in  dcu  preussischeu 
Staatsdienst  getreten,  und  zwar  Ubernahm  er  die  Verwaltimg  von  Ansbach- 
Bayreuth,  nachdem  der  letzte  kinderlose  Herzog  Alexander  seine  Lande  an 
PreuBsen  abgetreten  hatte. 

t)  Am  11.  Mfirz  1798  wnrde  Wöllnor  enüassen.  Er  verlebte  seine 
letBten  Jahre  bis  zu  seinem  Tode  am  10.  September  1800  auf  seinem  Gute 
Gross  Rietz  bei  Beeskow,  das  ihm  sebie  Frau,  eine  geborene  v.  Itsenplitz 
sngebracht  hatte. 

3)  Nachdem  die  Verhandhinfr^^n  des  Konp^resses  zu  Rastatt  abgebrochen 
waren  und  das  östeiTeichischc  Kabinett  ilcn  Kongress  l'iir  aufgelöst  erklHrt 
halt«',  liaitüii  alle  Pcvollinäehtigten  mit  Ausnahme  der  Roiolisdeputation  und 
der  iranzOsischeu  (Jcsandteu  lioberjot,  Bonnier  und  Jeun  Debry  die  Stadt 
verlassen,  der  die  Neutralität  von  Osteireicbischer  Sdte  entzogen  war.  Am 
28.  HSrz  rttckten  Szeckler  Husaren  des  Obersten  Barbaeasy  cbi  (Erzherzog 
Karl  hatte  die  im  südwestlichen  Deutschland  stehendoi  französischen  Truppen 
unter  Jourdan  über  den  Khein  getrieben),  besetzten  die  Thore  und  Hessen 
niemand  heraus.  Nur  die  französischen  Gesandten,  von  denen  Bonniw  sich 
durch  sein  übermüthiges,  grobes  Benehmen  besonders  verhasst  gemacht 
hatte,  erhielten  die  Erlaul)ni>s,  abzureisen  und  tliaieii  flies  noch  an  demselben 
Abend.  Fast  vor  den  Thoren  der  Stadt  wurden  sie  von  einem  Trupp 
Husaren  übej  fallen  und  zusajuracngehauon;  Bonnier  und  Roberjot  starben 
sogleich,  Debry  stellte  sich  todt  und  entkam  nach  Frankreich.  Die  TVagen 
würden  ausgeplfindert,  die  Gesandtschaftspapicre  in  das  Hauptquartier  des  Erz- 
herzogs Karl  abgeliefert  Die  Anstiftong  zu  diesem  Verbrechen,  das  m  ganz 
Deutschland  als  Schandfleck  auf  der  nationalen  Ehre  betrachtet  wnrde,  ist 
wahrsclieinlieh  vom  österreichischen  Kabinett  ausgegangen.  Österreich 
wollte  Bayern  besetzen;  dies  konnte  es  thun,  wenn  sich  eine  Verbindung 


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G«org  Siei^ciit 


des  Kurfürsten  Max  Joseph  mit  Frankreich  nachweisen  liess.  Nach  einem 
franz?)8ischen  Bericht  habe  Grixi'  Lehrbach,  der  in  Rastatt  gewesen  war  und 
sich  von  da  in«  lluuptquurtier  des  Erzherzogs  Kai*l  begeben  halte,  auf  die 
Nachrlcbt  von  dem  Horde  ansgenifen:  „er  habe  dem  Obersten  nur  den. 
Auftrag  gegeben,  dem  frechen  Bonnier  einige  StodcschlSge  versetzen  sa 
lassen*.  Dieser  Anffassnng  stimmt  auch  H.  t.  Sybel  zu.  Die  Untersnchnng 
worde  in  Wien  geflihrt  und  verlief  im  Saiide.  Man  nannte  das  Verbrechen 
einen  „leidijren  Verfall"  (v.  Ompteda,  Irrfahrten  und  Abenteuer  eines  mittcl- 
staatltchcn  I »iploinatcii  '<>),  stellte  schliesslich  das  Weitere  der  Weisheit 
kaiseiiicher  Majestät  aiiheim  und  sprcufi^te  das  (Jerüclit  ans,  die  >f')r(lcr  seien 
als  Husaren  verkleidete  französische  Emigranten  oder  schwUbische  liäubcr 
gewesen. 

4)  Dur 00  war  in  Folge  seiner  diplomatischen  Gewandtheit  nacheinander 
Gesandter  in  Berlin,  wo  er  Napoleons  Erhebung  zum  ersten  Consul  an- 
kündigte, in  Stockholm,  Wien  und  Petersburg.  Seine  ritterliche  Erschebrang, 
seine  angenehmen  Manieren  verschafften  ihm  am  preussisehen  Hofe  eine  gnte 
Aufnahme;  zwar  kam  das  von  Napoleon  angebotene  BUndniss  nieht  zustande, 
doch  blieb  Preussen  auch  ferner  neutral. 

5)  In  der  Nacht  zum  l  Marz  iHUi  wurde  bekanntlich  Zar  Tau!  I. 
durch  eine  Verscliwr»rung,  an  deren  Si)itze  die  Grafen  T'anin  nnd  Pallien, 
General  Benni^'sen,  l'laton  Öubow,  der  letzte  Günstling  Katharinas  11. 
standen,  in  seinem  Schlafgemachc  ermordet. 

•)  Dänemark,  das  dem  vcmi  Kaiser  Paul  geschaffenen  Neutralitäts* 
bunde  Russland,  Preussen,  Schweden  beigetreten  war,  der  den  englischen 
Scedespotismus  brechen  sollte,  hatte  sieh  dadurch  den  Unwillen  Ehiglands. 
zugezogen.  Im  MUrz  1801  segelte  eine  englische  Flotte  unter  Parker  und 
Nelson  nach  dem  Sunde,  und  Nelson  erschien  am  2.  April  mit  einem  Thcile 
davon  vor  Kopenhagen,  durchbrach  unter  grossen  Verlusten  die  armierten 
Hlockschille,  mit  denen  die  DUncn  die  „Königstiefe",  die  cinzifrc  Zufahrt  gesperrt 
hatten  uihI  erzwan'r  dadurch  den  Austritt  DäiicTuarks  aus  dem  Bunde 
und  die  Anerkennung  des  englischen  Secreclus.  Parker  iiatte  wahrend  des 
Kampfes  das  Signal  zum  Rttckzug  gegeben;  allein  Nelson  setzte  das  Fem- 
rohr an  sein  erblindetes  Auge  und  sagte,  er  kOnne  keine  Rttekzugsflagge 
bemerken. 

7)  Durch  den  Staatsstreich  des  18.  Brumaire  (9.  November)  1799  hatte 
Napoleon  eine  ganze  Keihe  von  Angriffen  auf  sein  Leben  heraufbeschworen, 
von  d<nien  am  l>ekanntcst<'n  die  Explosinn  der  Ilrillenniasehine  in  der  Strasse 
St.  Nicaise  ist,  am  ZA.  Dezcnibc!-  ison.  al-  'i<'!-  erste  ronsul  in  die  Oper  fuhr, 
f'ber  «len  von  Heim  aufgezeichneten  Vergii'tungsversueh,  tler  in  den  Mörz 
IHOI  lallen  musste,  lindet  sich  weder  in  Thiers,  histoirc  du  eojisulat  etc., 
noch  in  Lanfrey,  histoire  de  Napoleon  I.,  den  Pseudomemoiren  Fouch<js,  den 
Memoiren  Savarys  irgend  eine  Spur.  Ebenso  geben  die  gerade  ttber  di6 
Attentatsperiode  nach  dem  18.  Brumaire  sehr  ausführlichen  Artikel  «Fouch^* 
in  der  Biogr.  universelle  und  Nouv.  Biogr.  g6n.  keinen  Anhalt  H($chst 
wahrscheinlich  war  dies  Attentatsgerücht  von  der  französischen  Polizei  selbst 
in  die  Welt  gesetzt,  um  das  äusserst  gewaltthiitige  V(^ri;-ch(>n  gegen  die 
Republikaner  weiter  zu  rechtfertigen,  wie  man  ja  auch  allgemein  behauptete, 


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Ans  den  Tagel»flebem  dM  alten  Heim. 


128 


dass  die  meisten  Anschliig^e  auf  das  T.ohon  de?  ersten  Konsuls  „provocations 
de  la  poliet"-  waren  und  in  Fouchü  ihren  intellektuellen  Urliebor  hatten. 
,11  fit  lui -menie  aux  conjures  les  moyens  d'exöculion  ^ui  servirent  ensuite 
ä  leB  couvaincre,"  schreibt  z.  B.  die  Nouv.  Biogr.  Gen.  XVIII  2üU  Uber  das 
Ciomplott  Arenas. 

■)  Hefnricb  Julius  Ton  Ooldbeck  und  Reinhart  wurde  1789  Justiz- 
minister,  1795  ernannte  ihn  Friedrich  Wilhelm  II.  als  Nachfolgfer  Ganners  snm 

Grosskänzler.  Goldbeek  wurde  unfreiwillig  der  Veranlasser  einer  berühmten 
Kundgebung  Friedneh  Wilhelms  III.  Er  schlug  als  Nachfolger  für  den 
verstorbenen  RegicrungfSprUsidentcn  v.  Toenie  in  Maf^deburg  den  bürger- 
liehen Regierungsdirektor  Varif^erow  vor  und  gab  ihm  das  Zeugniss  eines 
geschickten  und  rechtschafteneu  iieamten,  der  die  Stelle  verdiene.  Da  aber 
der  Magdeburgisehe  Adel  nicht  gewöhnt  sei,  einen  bürgerlichen  Präsidenten 
zu  haben,  so  überlasse  er  es  Sr.  Majestät,  Um  in  den  Adclstand  zu  erheben. 
Der  KOnig  antwortete,  er  ktJnne  nicht  glauben,  dass  .der  MagdeburgLsche 
Adel  noch  so  weit  in  der  Aufklttrung  zurück  sei,  um  zu  verlangen,  dass  ein 
Prtlsident,  der  die  erforderlichen  FKhigkeiten  besitze,  auch  noch  ein  Edel- 
mann sein  solle,  ((v.  Cosmar  u.  Klaproth,  der  wirkl.  Geh.  Staatsrath  etc. 
p.  504.    Beaulieu-Marconnay  in  „Im  neuen  Reich"  1876  II.) 

r>)  Es  sind  die  rräliniinarion  zu  dem  am  27.  März  18<'»2  abgeschlossenen 
Frieden  von  Aniiens,  die  am  1.  Oktober  ISOl  festgestellt  wurden.  —  Der 
Marquis  Heurnon ville,  .Marschall  von  Frankreich,  hatte  sieh  in  den 
Revolutionskriegen  ausgezeichnet.  Ein  eifriger  Anhänger  Napoleons  und 
Ilelfer  beiui  i^taatsstreich,  wurde  er  vom  crstcu  Consul  zur  Belohnung  als 
Gesandter  nach  Berlin  geschickt  Er  erreichte  hier  die  Verhaftung  einiger 
französischen  Emigranten,  die  sich  nach  Bayreuth  geflttchtet  hatten  und  unter 
denen  sich  auch  PIchegru  befand;  dieser  soll  durch  die  Bemühungen  der 
Königin  Luise  und  Hardenbergs  Gel^enheit  geftmden  haben,  sich  zu  retten. 
Die  Papiere  der  Verhafteten  wurden  der  französischen  Regierung  ausgeliefert 
und  unter  dem  Titel  „Papiers  saisis  A  Bareuth*  1800  in  Paris  gedruckt. 

10)  Die  Frauen  l»i]deten  bekanntlich  den  dunklen  Punkt  im  Leben 
Ilardenber^'s.  Als  junger  Mann  liebte  er  eine  Schwester  des  späteren 
Ministers  von  Stein,  verliebte  sich  aber  „mit  gleicher  Wärme",  wie  H.  v.  Öybel 
sagt,  in  die  ihm  vom  Vater  bestimmte  Braut,  eine  Gräün  Reventlow  und 
heirathetc  sie.  Uüt  dieser  knüpfte,  als  sie  sich  in  England  aufhielten,  der 
Prinz  y.  Wales  (Georg  IV.)  ein  Uebesverhältniss  an,  das  zu  einem  grossen 
Zeitungsskandal  führte  und  die  Veranlassung  wurde,  dass  II.  in  braun- 
schweigische  Dienste  treten  musste;  in  Braunschweig  setzte  scme  Frau  ihre 
üble  Aufführung  fort.  Es  kam  zur  Scheidung,  und  unmittelbar  darauf 
lieir.ithete  Hardenberg  eine  andere  Dame,  die  sich,  wie  es  seheint,  seinet- 
wegen von  ihrem  Manne  hatte  .scheiden  lassen.  Die  F«)lge  davon  war 
wieder  eine  Ortsveränderung:  er  ging  naeli  l'reusscn.  Die  ,, Madame'-  ist 
ebenfalls  eine  geseliiedene  Frau,  Charlotte  I.<angenthal,  geborene  Seh<"»nemann, 
eine  Schauspielerin,  die  er  am  19.  Juni  1807  heirathetc.  Ungebildet,  nicht 
einmal  schön,  ttbto  sie  eine  unbedingte  Herrschaft  Ober  den  Minister  aus, 
die  sie  dazu  benutzte,  nicdr{g<m  Kreaturen,  die  ihr  schmeichelten,  Staats- 
stellungen zu  versehaiTen.   Sie  musste  Übrigens  das  Herz  Hardenbergs 


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124 


Georg  Sieg«ilsfc. 


noch  mit  anderen  Geliebten  theileo.   (cf.  Streckfuss,  Berlin  im  19.  Jahr- 

hundort  I.  33.) 

n)  Ursache  zu  dieser  kriegerischen  Stimmung  in  Preusscn,  wo  der 
König  lange  zwischen  dem  Aiuditiiss  an  Frankreioli  tmd  Bnaslaiid  ge- 
schwankt hatte,  gab  die  fransösisehe  NeatraUtKtBYerletsiuig,  der  Manch 
des  BomadotteBehen  Corps  durch  Ansbaeb»  um  sich  mit  den  Bajrem  za,  ver- 
einigen. 

12)  Beyme  werden  wir  in  den  neimschen  Änfteichnnngcn  noch  ver- 

schiedentlich  begegnen.  —  Das  Urtheil  Heims  ergänzt  die  über  Beyme 

bestehende  ^Foinung,  dass  er  beim  besten  Willen,  Grosses  zu  leisten,  sich 
von  seiner  Sucht,  eine  allg^eracin  leitende  Stelle  im  Staatsleben  einzunehmen, 
verleiten  Hess,  in  allen  Gebieten  herumzudüettiren  und  sein  Spezialfach, 
die  Justizverwaltunf»",  vernachlilssigte. 

is)  Die  Kapitulation  des  Generals  Mack  in  Ulm  am  20.  Oktober. 

h)  Das  Ergcbniss  dieses  Besuches  des  Zaren  in  Berlin  war  die 
Potsdamer  Übereinkunft  am  3.  November,  die  zwischen  ihm,  Friedrich 
Wilhelm  IIL  nnd  dem  Erzherzog  Anton  abgcsdilossen  wurde.  Danach  ver- 
pflichtete sich  der  KOnig  von  Freossen,  falls  Napoleon  nicht  In  die  Her- 
*  Stellung  des  Friedens  durch  ^en  emopltischen  Gongress  auf  Grand  des 
dnrch  den  Frieden  von  Luncville  (1801)  festgesetzten  Besttastandes  willige, 
sich  Rnssland  and  Österreich  anzuschliessen.  Der  Vertrag  wurde  durch  die 
Sccnc  am  Sarge  Friedrichs  des  Grossen  besiegelt;  durch  den  vom  Grafen 
IlaugAvitz  nach  der  Schlacht  von  Austcrlitz  abgcselilosscnen  Vertrag  von 
Schonl)runn,  wozu  Haugwitz  geheime  Weisungen  liatie,  zwang  Napoleon 
Preussen,  seine  Verbündeten  ihrem  Scliieksale  zu  überlassen. 

15)  Die  Mohilmaeluinfx  der  preussisehen  Annet-  war  am  9.  August  an- 
geordnet worden.  „Bis  zum  letzten  Augenblick  wurden  die  preussischen 
Kricgsvorbereitongen  Iflssig  botrieben;  .  .  .  wtthrend  die  firanzOsIschen  nnd 
Rheinbnndstnippen  schon  Im  weiten  Bogen  Prenssen  und  Sachsen  nm> 
spannton  ....  wahrend  Napoleon  schon  an  der  Grenze  stand,  erging 
(am  25.  September  18(06)  noch  einmal  (;in  preussisches  Ultimatum,  worin  die 
Räumung  Süddeutschlands  und  die  Zulassung  des  norddeutschen  Bundes 
gcfonlort  wurde.''  (Weher,  Wfllireschiclite  XIV.  2\i<.)  Eine  trcffUcbe 
Illustration  zu  dieser  Darstellung  ist  die  Bemerkung  Heims. 

m)  Prinz  Louis  Ferdinan  d  wurde  bekanntlich  nicht  ei'sehossen.  ßotidorn 
liel  auf  der  Flucht  seiner  Truppen  im  Handgemenge  mit  franzr>siseh«  n  llusari  ti. 
Der  Prinz  hatte  die  ans  Prenssen  und  Sachsen  bestehondc  Vorhut  des  Hohen 
loheschen  Corps  konimaudiert.  Einige  Tage  vor  seinem  Tode  hatte  er  nach 
Berlin  geschrieben:  „Ich  hoffe,  dass  Ihr  den  10.  oder  12.  Nachrjchten 
erhalten  werdet  nnd  dass  vielleicht  die  ersten  Schüsse  gefallen  sind  .  .  . 
Nicht  ohne  lebhafte  Bewegimg  kann  ich  an  die  nabenden  Angenblieke 
denken  und  an  den  Kampf,  der  sich  vorbereitet.  Ich  wttrde  ihm  ruhiger 
nnd  heiterer  en^egensehen,  wenn  die,  denen  die  wichtigsten  Sorgen  an- 
vertraut sind,  mir  mehr  Vertrauen  einflössten," 

i-)  Eine  gleiche  falsche  Nachricht  von  einem  }>reussischen  Siege  ver- 
zeichnet auch  die  Gräfin  Voss  in  ihrem  Tagebuche  unter  dem  15.  Oktober, 


AuB  den  Tagebftdbflin  d««  alten  Heim.  125 

•18  die  Königin  bereits  auf  der  Btldcreise  ttber  Brannechweig  und  Tanger- 

münde  nach  Berlin  war.  „Nicht  die  gaingstc  Nachricht  von  den  Trappen. 
Plötzlich  kam  ein  Postsekretär  geritten  und  eohrie  überlaut,  die  Schlaebt 
sei  gewonnen."    (Neunundsechzig  Jahre  am  preussischcn  Hofe,  p  •^.'rl.) 

1«)  Schlucht  bei  Auerstlidt.  Auerstildt  liegt  zwischen  Naomborg  und 
Weimar,  ungefUhr  15  km  von  Naumburg  enifemt. 

is)  Am  17.  Oktober  schlug  Beniadotte  die  11  OOu  Mann  starke  preussische 
Reservearmee  anter  dem  Herzog  Eugen  von  Württemberg  bei  Halle  und 
Eersprengte  sie  ToUstSadig. 

m)  Dies  gelang.  Am  28.  Oktober  kapitulierte  Hohenlohe  mit  seinem 
10  000  Ifann  starken  Korps  bei  Prenzlaa. 

2i)  Gustav  Parthey  ersihlt  in  seinen  Jogenderinnerungcn :  ,Ich  stand 
an  der  Hand  memes  Vaters  vor  dem  K.  Palais,  wo  die  neugierigen  Zuschauer 
in  sehr  geringer  Anzahl  sich  versammelt  hatten.  Mehrere  Hegimenter  zu 
Fuss  und  zu  Ross  zogen  dicht  gedrängt  dahin.  Da  entstand  ein  leerer  Raum: 
ein  kleint  r  Mann  auf  einem  weissen  Pferde,  gefoi;,^t  von  einem  Reitertinipp 
in  glänzenden  Uniformen,  ritt  langsam  gegen  das  Schioss  hin,  nach  allen 
Seiten  sieh  lebhaft  nmsdiend.  Das  Ist  der  Kaiser  Napoleon,  sagte  mein 
Vater.«  (L  67.) 

»)  Prins  Angnst,  zweiter  8ohn  des  Prinaen  Ferdinand,  hatte  yenmoht, 
sich  an  der  Spitze  eines  Grenadierbataillons  durchzuschlagen,  musste  sieh 
aber  ergeben,  als  sefaie  Leute  im  Morast  stecken  blieben  und  keine  Patronen 
mehr  hatten. 

m)  Generalleutnant  Graf  Schmettau  war  Divisionskommandeur  und 
befehligte  bei  Auerstedt  die  Vorhut  di  s  Herzogs  von  Braunschweig.  Heim 
Angrift'  der  Preussen  auf  Uassenhausen  wurde  er  durch  eine  Kurtiüschen- 
kugel  verwundet,  verbarg  aber  diese  Wunde,  bis  ihn  eine  zweite  Kugel  traf: 
Er  starb  am  18.  Oktober  sn  Weimar.  Da  er  su  den  Ftthrem  der  Kriegs- 
partei in  Berlin  gehört  hatte  und  die  Denksehrift  vom  8.  September,  worin 
der  KOnlg  tnm  Lostehlagen  angefordert  wurde,  mit  unteraeichnet  hatte,  er- 
klärt sich  das  Oerfloht  von  Selbstmord,  nachdem  der  Krieg  etai6  ungltLck- 
liche  Wendung  genommen  hatte. 

u)  „Welch  ein  Anblick,  als  <1as  gl.tnzende  Regiment  der  Oen.sdarmes, 
entwaffnet,  abgerissen  und  halb  verhungert,  in  jammervollem  Zustande  wie 
eine  Viehherde  die  Linden  hinabgetrieben  wurde",  schreibt  Treitschke  in 
seiner  deutschen  Geschichte  im  l'J.  Jahrliuiidert,  I.  p.  250. 

96)  Am  8.  November  übergaben  die  Grafen  Kleist,  73  Jahre  alt,  und 
Wartensleben,  der  älteste  yon  19  Generalen  in  Magdeburg,  die  von  84000  Mann 
mit  600  OesehfltBen  vertheidigte,  mit  Proviant  und  Munition  reiehli<di  Ter- 
sehene  stärkste  Ftetnng  Preussens  an  den  Marschall  Ney.  Bltioher  kapi- 
tulierte  nach  heldenmüthigem  Widerstande  in  Lllbeek  am  7.  November  bei 
Ratkau,  weil  er  kein  Brod  und  keine  Patronen  mehr  hatte,  wie  er  unter  die 
Kapitulation  sdirieb.  Der  vorwoitlBvoUe  Ton  Heims  ist  bei  ilun  nicht  an- 
gebracht. 

2fl)  Dem  Kurfllrsten  von  Hessen  hatte  seine  Neutrulitüt  nichts  genützt. 
Am  1.  November  waren  französische  Truppen  in  Kassel  eingerückt,  hatten 
dJe-hessiache  Armee  entwaflhet,  die  Kassen  mit  Beschlag  belegt,  die  Ge* 


126 


Georg  filegwlit. 


niHldegalerle  geplündert.  Der  Karfürst  war  erst  nach  Ditneniark,  dann  nach 
l'ra^  »geflohen,  „wührond  seine  schmachvoll  orworhoncn  SchHtze  in  Roth- 
schilds Kellern  in  Frankfurt  geborgen  wurden*^  (Webci-s  Weltgcscliichtc 
XIV.  22<i)-  I^J»^  verdiente  Schicksal  dieses  zweideutigen  und  feigen  Monarchen 
wurde  allgemein  mit  Genugtlmuug  begrüsöt.  —  Öaclisen,  das  sofort  nach 
Auerstttdt  Preussens  Sache  verlassen  hatte,  musste  bis  Kam  Friedenssehlosse 
am  II.  Dezember  sich  die  grössten  Krprcssangen  gefallen  lassen;  dteKOnigs- 
krone  war  nur  eine  platonische  Entschadigang  dafür,  wurde  aber  im  ganzen 
Lande  mit  Jubel  begrfisst;  stand  man  doch  nun  dem  verhassten  Preassen 
gleich.  Die  Stadt  Leipzig  veranstaltete  am  Neujahrstage  1807  ein  prächtiges 
Fest,  dem  die  Sonne  Nai)oleons  bei  der  Illumination  den  Typus  aufdrückte. 

27)  Jede  prenssische  Unifonii  war  in  Berlin  verboten  worden;  auch  die 
pensionierten  Oftizierc  mussten  ihren  geliebten  blauen  Kock  ablegen. 

is)  Diese  Nachricht  erwies  sich  nachher  als  falsch.  Königsberg,  das 
General  Bennigsen  als  Erholungs-  und  Sammelpunkt  für  die  prcussisch« 
russische  Armee  halten  zn  mttssen  glanbtc,  gcrieth  noch  nicht  in  fhuusOsisehe 
HXnde.  Nach  einigen  für  die  Verbündeten  glttcidichen  kleineren  Gefechten 
TOT  Kttnigsbeig  ordnete  Napoleon  in  einer  sdner  Üblichen  pomphaften  Pro- 
klamationen am  16.  den  Bflckzug  hinter  die  Passarge  an,  nm  In  die  Kante- 
niemngen  zurückzukehren,  nachdem  der  Feind  ,80  Lieucs  weit  mit  dem 
Degen  in  den  Kip]>en  verfolgt"  worden  sei.  „Wer  es  wairt.  tiie  Ruhe  der- 
selben (der  Kantonnierungen)  zu  stören,  wird  es  bereuenl''  ^v.  Lettow-Vor- 
beck,  Der  Krieg  von  ISUG  und  1807,  III.  i>.  2^-).) 

2»)  Stein  war  am  27.  Oktober  lb04  Naclifolger  ^es  am  17.  Oktober  ver- 
storbenen Ministers  y.  Stmensee  im  Departement  des  Accise-,  Zoll-,  Fabriken-, 
Mannfaktaren-  nnd  Kimimerzienwesens  beim  Qeneraldirektorinm  geworden. 
Im  April  1806  verfasste  er  seine  Denkschrift  an  den  KOnig  „Darstallimg  der 
fehlerhaften  Ofganisation  des  Kabinetts  nnd  der  Nothwendigkeit  der  Bildung 
einer  Ministerialkonferenz",  worin  er  dem  Kabinett  vorwarf,  ihm  fehle  ge- 
setzllelie  Verfassung,  Verantwortlichkeit,  genaue  VerVnndung  mit  den  Ver- 
waltungsbehörden und  Theilnahme  an  der  Austulirung.  Nachdem  er  die 
drei  KabinettsrUtlie  Heynie,  Lombard.  Oral"  Haiii^witz  aufs  schärfste  ver- 
urlheilt  hat,  fordert  er  <'inc  unmittelbare  W-rhiiuiung  des  Königs  mit  den 
obersten  Staatsbeamten,  schlägt  5  Ministerien  (Krieg,  Auswärtiges,  allgemeine 
Landespolizei,  Einkommen,  Bechtspüege)  vor  nnd  schliesst  mit  der  Prophe- 
zeihnng,  dass  der  Preossische  Staat,  ftdls  der  Einflnss  des  Kabinetts  weiter 
dauere,  entweder  sieh  anflOsen  oder  seine  Unabhängigkeit  verlieren  werde. 
An  den  General  v.  Büchel,  der  die  Denkschrift  dem  König  ttbeige1>en  sollte, 
schrieb  er:  „Der  höchste  Grad  des  Unverstandes  ist,  das  Werkzeug  der  Ver- 
worfeiilieit  anderer  zu  werden".  Da  Küchel,  der  in  Hannover  liftVhliirte, 
nicht  nach  Berlin  kam,  wurde  die  Denkschrift  dem  Könige  durch  die  Königin 
übergel)en.  Stein  war  entscliloM^i  h,  im  Ablelniungsfalle  seine  Entlassung  zu 
nehmen;  darauf  bezieht  sich  obige  Äusserung.  Der  König,  der  die  ausser- 
ordentlichen Schritte  nicht  liebte,  ging  auf  Steins  Vorschlag  nicht  ein;  die 
Sache  blieb  Torläollg  ein  Geheimniss.  Erst  im  November  thdlte  Stein  schien 
Schritt  dem  Graflen  Sehnienburg  (,dem  Manne,  der  fitdie  für  die  erste  Bütger- 
pflieht  erklUrte)  mit.  Sehnlenbnrg  antwortete  mit  richtigan  Einsehen:  ,Wlbre 


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▲w  äta  Tkgebttebfliii  das  altMi  H«lin. 


127 


man  Ihrer  Denkschrift  im  l\Tai  profolg't,  so  wUrden  wir  jetzt  nicht  seiUt  wo 
wir  omd."    (Portz,  Das  Leben  des  Ministers  Freiherm  vom  Stein^  I.  p.  331  ff.) 

3o)  Am  12.  MUrz  hatte  der  Marschall  LcfVhvre  (nachmals  Herzog 
von  Danzip)  die  Festunji:  eingeschlossen;  am  ^?5.  Mai  kapitulierte  dvr  Fold- 
marschall  Graf  Kall^:rciUh  nach  tapferer  V'ertlH•i«l!i^u^^^  nachdem  Maii^o^l  an 
Lebensmitteln  und  Muiiition  eingetreten  wai'  und  die  lurtwühreud  verstärkte 
Belagemngsarmee  mit  einem  allgemdnen  Sturme  drohte,  wahrend  zwei  Drittel 
der  Oarnison  kampftmf&hig  geworden  waren.  Am  Hofe  glaubte  man  allerdings, 
daaa  eich  Kalkrentb  noeh  länger  hatte  halten  kOnnen.  (Gräfin  Voss,  p.  297.) 

ti)  Sdiladit  bei  Friedland  am  14.  Juni. 

m)  Am  21.  war  ein  Waffenstillstand  zwischen  Riisaland  uid  Frankreich, 

am  25.  zwischen  Preussen  und  Frankreich  abgeschlossen  worden,  und  am 
7.  .Tu Ii  Avorde  der  Friede  mit  Kusaland,  am  9.  der  mit  Preussen  unter- 
zeichnet. 

33j  Ein  Kaufmann  stellte  folgendes  Transparent  an  sein  Fenster: 
Ich  kenne  zwar  den  Frieden  nicht, 
Doch  ans  Qebonam  and  befohloer  Pfliofati 
Verbzenn  idi  aoeh  mein  letstes  lieht. 
Bekannt  ist  der  illominierte  Sarg  eines  Tlsehlers,  mit  der  Anftchrift:  .Hier 
ist  der  wahre  —  bekannte  und  unbekannte  BMeden.*  (Ferts,  Stein  I.  451.) 

:i4)  In  seiner  oben  erwilhnten  Denkschrift  schrieb  Stein  dem  KOnige: 
„Friedrich  Wilhelm  II.  regierte  unter  dem  Einfluss  eines  Favoriten,  seiner 
Umgebungen ;  sie  traten  zwischen  den  Tliron  und  seine  ordentlichen  Kath- 
geber.*-    (Pertz  I.  p.  332.) 

3s)  Eberhard  Julius  v.  Massow  war  der  Nachfolger  WüUncrs  geworden. 
Am  28.  August  1807  erhielt  er  seinen  Abschied. 

m)  Am  3.  Januar  1807  war  Stein  vom  KOnige,  da  er  in  der  Kabinetts- 
r^erangsfrage  nieht  nachgab,  ungnädig  entlassen  worden;  nadi  Abschluss 
des  Tilsiter  Friedens  wurde  er  nach  der  Ton  Napoleon  erswnngenen  Ent- 
lassung Hardenbergs  znrttckgemfen.  Obwohl  krank,  folgte  er  sofort  und 
traf  am  2.  Oktober  in  Memel  ein.  Inzwischen  hatte  er  im  Juni  ein  Programm 
„Über  die  zweckmUssige  Bildung  der  obersten  und  der  Provinzial-Finanz- 
nnd  Polizeibehörden  in  der  Preussischen  Monarcliie"  entworfen.  Der  König 
übertrug  ihm  jetzt  die  oberste;  Leitung  aller  Civihin^relef^eiiheiteii.  Die  frühere 
Art  der  Kalnnettsregierun^  hürle  auf.  —  Stein  war  nacli  Berlin  j^ercist.  um 
mit  2sapüleous  Generulintendanten  Daru  endgiltig  wegen  der  liäuinung  der 
preussischen  Provinzen  dnreh  die  franzQ^ohen  Truppen  sn  Torhandeln.  In 
dem  Entwurfo  vom  9.  März  wurde  Freussens  Kriegsschuld  auf  101  Millionen 
Franken  festgesetzt  Die  Oderfestungen  sollten  bis  zur  Tilgong  in  französi- 
schen Händen  bleiben,  die  ttbiigen  Truppen  30  Tage  nach  Batiflzierung  des 
Vertrage«  abziehen. 

n)  Bodart  de  Tezay,  französischer  Lustspieldichter  und  Verwaltungs- 
beamtcr.   Er  war  lange  Zeit  Generalkonsul  in  Genua. 

38)  Marschall  Victor,  Herzog  von  Belluno,  Sohn  eines  Portiers,  begann 
1781  seine  T.aiifbuhn  als  f^euieiner  Soldat;  1807  wurde  er  Marschall.  Nach 
dem  i'rieduu  von  Tilsit  wurde  er  Gouverneur  von  Berlin  und  blieb  dort  bis 
zum  August  1$08,  wo  ihn  Kapoleon  auf  den  spaniadhfln  Kriegatefaaaplalz 


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128 


schickte.  Seine  Frau  war  eine  UoUttndeiin,  Julie  Voscli  d'Aveaant,  Palaat- 
dame  der  Kuiäcrin. 

aa)  Pauline  Cesar  —  so  lautet  der  MHdchennaine  (lie.ser  Geliebten  des 
Prinzen  Louis  Ferdiniind  —  wurde  luu  1777  in  Berlin  geboren.  Ihr  Vater  war 
Rath  in  Diensten  des  Prinzen  Louis  Ferdinand;  er  starb  ArfilL  Wanderlwr 
scbOn,  aber  ohne  alle  Erzlehang  und  Bildung,  bat  sie  niemals  sittUehea  Halt 
besessen.  Als  junges  lOldchen  liatte  sie  bereits  ein  Verhiltniss  mit  einem 
Russen  Sdmwalow;  sie  bezog  bis  an  iluen  Tod  eine  Pension  von  2000  Fres. 
von  der  Familie  Sehuwalow  in  Petersburg.  Um  1800  vermählte  sie  sich  mit 
dem  Ordensrathe  Wiesel,  der  alle  ihre  Liebeslaanen  flultiig  ertrug.  Das  Paar 
reiste  naeli  Paris,  der  Schweiz,  Wien,  innner  von  Anbetern  Paulines  hegleitet. 
Heimgekehrt  lcl>ten  sie  getrennt.  Wiesel  im  Oasthause,  .sie  bei  ihrer  Mutter. 
Den  Prinzen  lernte  sie  auf  einem  Balle  kennen;  er  liel)te  sie  leidenschaft- 
lich, wahnsinnig,  wie  aus  seinen  glühenden  Briefen  hervorgeht;  fsie  benahm 
sich,  wie  alle  galanten  Damen  und  behandelte  ihn  nach  Laune,  bald  sdüecht, 
bald  gut.  Seinen  Tod  hat 'sie  bald  versehmertt  (BUchner,  Briefe  des 
Prinzen  Louis  Ferdinand  an  Pauline  Wiesel) 

4a)  Marschall  So  alt.  Hersog  von  Dalmatien,  mit  Napoleon  gleichaltrig, 
war  mit  16  Jahren  Soldat  geworden,  hatte  es  aber  xaxtm  dem  anden  regime 
nur  bis  zum  Oorporal  gebracht. 

«)  Graf  Daru,  vStaatsminister  und  (teneralintendant  des  Kaiserlichen 
Hauptquartiers,  war  General  Cmnniissar  während  des  Feldzuge.s  in  l^renssen 
und  hatte  die  Fiuanzverwaltung.  wührend  der  Okkupation  zu  leiten,  wobei 
er  auf  Napoleons  Befehl  mit  Uusserster  IlUrte  vertulir.  Er  berechnete  be- 
kanntlieh 154Vt  Million  Franken  Kiiegscntschädlgimg.  Als  im  Jahre  1815 
der  Seinepräfekt  in  Paris  Blücber  auf  dessen  Forderungen  Schwierigkeiten 
machte  und  um  Schonung  bat,  entgegnete  ihm  der  Feldmarsehall:  „Fragen 
Sie  Se.  Excellenz  den  Grafen  Dam,  zu  welchen  Mitteln  er  in  Berlin  g^grüTen 
hat,  um  uns  das  finden  zu  lassen,  was  wir  nicht  besasscn." 

m)  Davoust,  der  Sieger  von  AuerstUdt,  der  rücksichtsloseste  der 
französischen  Marschillle,  Er  lielianddte  die  Vr»]ker  wie  Soldaten,  <lie 
Banken  als  militUrischen  Schatz,  die  llandelshiluser  als  Ilauptiiuartiere  und 
betrachtete  das  GlUck  als  Maitresse,  sagt  ein  fronzüsisdier  ticliriftstcLler 
von  ihm. 

4i)  General  Graf  Saint -Hilaire  wurde  iiu  österreichischen  Feldzuge 
1809  bei  Esslingen  verwundet  und  starb  an  den  Folgen  der  Wunde  in  Wien. 

m)  Beyme,  den  l^odrioh  Wilhelm  m.  trotz  der  Aussöhnung  mit  Stein 
und  der  Beseitigung  der  Kabinettsregierung  nicht  fallen  lassen  woQte  und 
der  von  Stein  und  namentlidi  von  Hardenberg  hart  angegiiffen  wurde,  hatte 
sich,  als  es  ihm  nicht  gelang,  eine  Verständigung  mit  Hardenberg  herbei- 
zunihren,  im  Juni  Ib08  freiwillig  vom  Hofe  entfernt  und  lebte  bis  £nde  des 
Jalires  in  Steglitz. 

Schill,  einer  der  Melden  von  Koiberg,  durltc  zur  Belohnung  llir 
sein  Verllallen  während  des  Krieges  als  erster  in  die  beft'eite  Hauptstadt 
«nrttcken.  (ef.  WÜh.  Griebenow,  Erlebnisse.) 

m)  Sobald  österreicli  anfing  zu  rttsten  und  Spanien  sich  gegen 
Napoleon  etbob«  suchte  Stein  den  König  zum  Anaehlasse  an  ötitimtkh  und 


Aus  den  Tagebüchern  dei  alten  Helm. 


129 


England '  SU  bewegtn.  Das  ganse  Jahr  1803  hindnieh  arbeitete  er  plan- 
mllasig  daran,  einen  Brach  mit  Ftankreleh  herbeizoftthren.  Da  wurde  ein 
Brief  SteioB  an  den  Ftirsten  Wittgenstein,  worin  er  seinen  Pinnen  Ans» 

dmck  gab,  von  der  ft'anzOsisclien  BehOrde  in  Berlin  anfgefangen  und 
TOn  Napoleon  im  Moniteur  officiel  veröffentlicht.  Stein  erbat  sofort  seine  Ent> 
lassung,  in  die  der  Künip:  zunJichst  nicht  wi!li<^-te,  die  er  al)or,  als  Napoleon 
zuerst  indirekt,  dann  immer  deutlicher  darauf  drang,  auf  Hardenbergs 
Rath  am  24.  November  annahm.  Am  12.  Dezember  kam  Stein  nach  Berlin, 
wo  er  mit  seiner  Familie  zusammentraf,  aber  nicht  lange  bleiben  durfte, 
denn  am  16.  bereit»  hatte  Napoleon  von  Madrid  aus  den  .nommö  Stein* 
gelchtet  nnd  verlangte  von  d«r  preosslsehen  Beglemng  aefaie  AnsHeferong. 
Dnrch  den  firanzO^ohen  Oeeandten  St.  Marsan,  der  seinen  Posten  niebt  an- 
treten sollte,  solange  Stein  noch  anf  prenasischem  Boden,  weile,  gewarnt, 
verliess  er  in  der  Nacht  vom  5.  anf  den  6.  Januar  1809  Berlin  nnd  begab 
sich  nach  Österreich. 

4?)  Hardenberg,  am  24.  April  1806  auf  Betreiben  Napoleons,  der  ihn 
für  den  Hauptiirheber  des  Potsdamer  Vertrages  Tom  November  ISOf)  hielt 
und  im  Moniteur  öffentlich  beschimpft  hatte,  entlassen,  hatte  trotzdem  weiter 
im  Geheimen  Antheil  an  deu  StaatsgeschSften  behalten  und  war  am  10.  April 

1807  wieder  zum  leitenden  Minister  ernannt  worden,  Napoleon  wollte  jedoch 
nicht  mit  ihm  verhandein  und  verfügte  seine  Verweisung  vom  Hofe  auf  eine 
Entfernung  von  40  Standen.  Hardenberg  schlug  Stein  als  Nachfolger  vor, 
ging  nach  Riga  nnd  sehrieb  dort  seine  grosse  Denkschrift  ttber  die  Beorgani- 
sation  des  prenssiseben  Staates,  nntersttttat  dnrdi  Altenstein  nnd  Niebnhr. 
Inxwisefaen  aber  fttbrte  Stein  nun  Glttck  seine  Beformen  dnreb.  Im  FrBlding 

1808  kam  Hardenberg  nach  Preu.ssen  zurück  und  lebte  auf  seinen  Gutem, 
vielfach  auch  in  Tempelberg  in  der  Mark  in  völliger  Zurtickgezogenheit. 

«g)  Heinrich  Schmält z  war  seit  1803  Rechtslehrer  in  Halle,  nachdem 
er  vorher  in  Königsberg  gewirkt  hatte.  1^08  \ef;t(^  er  wegen  der  Einver- 
leibung der  Stadt  und  Tniversität  in  das  K(»nigreieh  Westfalen  seine  Ämter 
nieder,  ging  zu  Friedrich  Wilhelm  III.  nach  Memel  und  erhielt  von  ihm  das 
Versprechen  haldiger  Anstellung,  die  jedoch  erat  bei  Gründung  der  Uni- 
versität Berlin  erfolgte,  deren  erster  vom  König  ernannter  Rektor  Schmal tz 
wnrde;  vorher  schon  (1809)  war  er  als  Batfa  im  Ober-Appclladonssenat  des 
Kammergeriehts  angestellt  worden;  bis  dahin  hatte  er  in  Berlin  als  Privat- 
mann gelebt 

4f )  Am  38.  April  hatte  Schill  an  der  Spitze  seines  ,2.  Brandenburgischen 
Hnsaren-Begiments*  Berlin  verlassen  nnd  seinen  »nnglaubUchen*  Zog,  wie 
Friedrieh  Wilhelm  III.  die  Tliat  bezeichnete  und  was  sie  trotz  alles  PatriO' 
tismns  auch  war,  angetreten,  der  so  tragisch  in  Stralsund  enden  sollte. 

m)  Prinzessin  Luise  Radziwilt. 

ei)  Am  25.  November  1808,  also  unmittelbar  nach  Steins  Entlassung» 
dessen  Nachfolger  der  schwankende  Minister  Alte  nstein  wurde,  war  die 

Ernennung  Bcynios  r/ntn  Jnstizministor  und  Grosskunzh-r  erfolj^t.  Stein  hatte 
Boyme  allein  tür  liihig  gehalten,  das  Werk  der  liN-foniien  (lui  clizusetzen  und 
ihn  dem  Könige  empfohlen.   Aber  Beymes  ThUtigkeit  (er  sollte  die  Auf- 
Arob.  9 


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hebung  der  Patrimonialgerichtsbarkeit  durchführen)  erlahmte  sehr  bald; 
zudem  schloss  er  sich  in  der  Uusseren  Politik  dem  schwachen  Altenstein  an, 
der  Schlesien  für  den  Rest  der  Kontribution  ahtroten  wollte.  Das  führte 
seinen  Sturz  nnd  Hardenbergs  "Wiedereintritt  in  üufs  Ministerium  liorboi,  der 
sich  durchaus  nicht  bemUhtc,  Be^nue  zu  halten.  Mit  einer  lebenslUngliclien 
Pension -Tou  3000  Thalern  erhielt  er  am  4.  Juni  1810  seine  Entlaasimg; 
Friedrieh  Wilhelm  III.  bewilligte  sie  schweren  Henens.  Hardenberg  blieb 
nun,  4n8  1832  an  der  Spitase  der  preossischen  Staatageschäfte. 

-  n>  Am  16.  Dezember  1809  war  Napoleons  Scheidung  von  Josephine 
erfolgt;  am  2.  April  1810  fknd  zu  Paris  die  Vermahlung  mit  Marie  Luise, 

der  „Tochter  der  CMsaren*  statt;  am  20.  UEns  1811  wurde  der  „König  von 
Rom"  geboren  und  durch  ganz  Europa,  von  Danzig  bis  Cadix,  mit  prunk- 
yoüea  F<'sten  begrüsst. 

r.3)  Das  Eintreten  Xa])oIonn8  für  Polen  sowie  die,  Einvcrleil)ung  dos 
Herzog-tlmms  OldenburjLj:,  dessen  Herrschcriamilie  /um  Zareniiiuise  in  nahen 
verwandtschaftlichen  Beziehungen  stand,  in  das  französische  Kaiserreich 
hatten  Kussiand  verHtimmt;  am  15.  August  1811  erklärte  Napoleon  bei  dem 
GratoiationBempfange,  er  werde  in  Polen  keine  Spanne  abtreten  (Rnssland 
hatte,  das  Orossherzogthnm  Warschau  als  Entschttdlgung  für  den  Herzog  von 
Oldenburg  vorgeschlagen),  und  da  man  eine  Schadloshaltung  In  Deutschland 
ausschlage,  so  beweise  das,  dass  man  den  Krieg  wünsche.  Preussen  musste 
bei, der  immer  bedrohlicher  werdenden  Lage  Stellung  nehmen,  zumal  Na- 
poleon nur  noch  schwankte,  <»b  er  ihm  vor  oder  naeli  dem  russischen  Kriege 
den  Gnadenstoss  geben  sollte.  Scharnliorsl  war  für  Ansehluss  an  Kussland, 
Hardenberg  dagegen.  Erst  im  Sommer  überzeugte  er  sich  von  Napoleons 
feindlichen  Gesinnungen  gegen  Preusäcn.  Mau  eutsehloss  sich  zu  KUstuugeu. 
I>er  Landsturm  sdlte  aufgeboten  werden,  die  Kr  Smper  wurden  in  aller  8tilie 
einberufen;  gegen  Ende  August  standen  75  000  Mann  bereit  Bechtzeitig 
aber  noeh  erkannte  der  KOnig,  dessen  Torsichtige  Natur  hier  ebmud  .am 
Platze  war,  dass  Preussen  allein  in  wenigen  Wochen  vernichtet  sein 
musste,  dass  ohne  einen  Bund  mit  Rnssland  und  Österreich  nidits  zu  er- 
reichen sei.  Scharnhorst  ging  im  September  nach  Petersl)urg,  wo  er  aber 
die  Antwort  erhielt,  Russland  kr>nne  für  Preussen  nichts  thnn.  Da  auch 
Österreicl«  den  Kanii»f  nicht  Mutnehuien  wollte,  wurde  am  24.  Februar  1812 
zu  Paris  das  Büudnis.s  mit  i? "rankreich  abgeschlossen,  das  der  Kaiser  nun,  da 
dlo  Kriegsaussichten  näher  traten,  selbst  wünschte  und  durch  niilltUrische 
Massregcln  erzwang. 

64)  Vom  16.  bis  29.  Mai  weilte  Napoleon  mit  der  Kaiserin  und  einem 
prunkvollen  Hotlstaate  in  Dresden,  wo  der  Kaiser  von  Österreich  nnd  der 
König  von  Preussen  sowie  alle  BhdnbundfKrsten  dch  einfanden,  mn  den 
Gebieter  Europas  zu  begrttssen. 

66). Graf  St  Marsan  war  von  1809  bis  zum  Ausbruch  der  Feindselig- 
keiten Gesandter  Napoleons  in  Berlin  und  verstand  sich  auf  diesem  FosteipL 
infolge  seines  GerechtigkeitsgefUlüs  allgemeine  Anerkennung  zu  erwerbeni 
auch  beim  K(»nige. 

6«)  Schon  an  demselben  Abend  brach  ou  verschiedenen  stellen  der 


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Aus  den  Tagebflchem  des  alten  Heim. 


131 


Stadt  Feuer  aas;  am  15.  schlagen  un  allen  Ecken  and  Enden  die  Flammeh 
anf ;  Bleben  Tage  und  Niehte  wttthete  die  Fenenbruist,  die  nenn  Zebntd 
der  Stadt  in  Asche  legte. 

ot)  pDie  in  grOester  Galla  Tersammelten  liohen  franiOslBdien  und 
preiuslBGfaen  Autoritäten  vom  Militftr-  und  GiTiletande,  das  yom  Minfsterimn 
der  answartigcn  Angelegenlieiton  eingelarlfne  Corps  diplomatique,  das  in  der 
Kirche  paradierende  Militär,  die  lu  rrHrhc  Musik  machten  einen  imposanten 
Eindruck  und  orrof^tcn  'm  d<  n  (^eniüthcrn  aller  Ainvcscndon  eine  feierliche 
Stimmung;.  Beim  Eintritt  Sr.  Exrollenz  des  llt^rrn  Keielisniarschalls  Herzoge 
von  Cajitiglione  und  des  Staatskauzlers  Freiherrn  v.  Hardenberg  Excell. 
begann  nach  etlichen  Takten  militärischer  Musik  die  pompöse  S3rmphonle 
▼on  Moxart,  welche  mit  Fener  nnd  Leben  von  dem  ganzen  Königl.  Orchester 
exekntiert  wnrde.  Die  Priester  erschienen  am  Altare;  Paoken  nnd  Trompeten 
ertOntoi,  nnd  das  ganze  Orchester,  vereinigt  mit  aXiea  Solosltngem  und  einem 
stark  besetzten  Chor,  begann  ein  Tedenm  von  Haydn,  trelcbes  mit  eben  der 
PrKcision  und  Energie,  wie  die  vorenvähnte  Symphonie,  vorgetragen  wurde; 
Nach  geeudigter  Musik  wurden  die  Rosponsorien  gesungen  und  vom  Chor 
beantwortet.  Unter  I^aukcn-  und  Tromix  tf-nschall  entfernten  die  Priester 
sich  wieder  vom  Altare,  und  unter  einer  rauschenden  militUrisehen  Musik 
verliessen  Se.  Excellcnz  der  Herr  Keielismarschall  Herzog  von  Castiglione, 
nebst  den  übrigen  Autoritäten  vom  Militär-  und  Givilstande  die  Kirche. 
Während  Absingnng  desTedeums  wurden  die  Kanonen  im  Lustgarten  gelOst 
Nachher  war  im  Lustgarten  grosse  Parade.  Mittags  war  grosse  Tafel  be! 
Sr.  Excellenz  dem  Herrn  Reichsmarschall  Herzog  von  Castiglione,  zn  welcher 
des 'Staatskanzlers  Freiherm  v.  Hardenberg  Excellenz  nnd  die  fremden  und 
hiesigen  tmiion  ^fiiitär-  und  Civilbehörden  eingeladen  waren."  (Bericht  in 
der  Vossischen  Zeitung.) 

M)  Man  vergleiche  Troitschkes  Urtheih  Je  Hinger  der  Staatskanzler  im 
Sattel  sass,  um  so  ofl'enkundiger  wurden  seine  bureaukratischen  Neigungen. 
Olme  feste  Grundsätze,  wie  er  in  Verwaltangsl ragen  immer  war,  fand  er  den 
aufreibenden  Kampf  mit  dem  trotzigen  Landadel  egen  Einführung  'der 
Steinschen  Reformen)  bald  unbequem  und  beschloss  den  festen  Qrond  der 
ritterschaftlichen  Macht,  die  Gntsherrschaft  zn  zerstören  .  .  .  auf  gut  napo> 
leonisch-westphälische  Art  durch  die  Verstärkung  des  Beamtenthums.  .  .  , 
Welch  ein  Gegensatz  doch:  die  Gesetze  Steins  und  die  Experimente  Harden- 
bergs! ...  In  Hartlenbergs  Geist  kommen  und  gehen  die  Gedanken  und 
Einilille  wie  die  Xebelhilder  in  einem  Zauberspiegel.  Dort  alles  planvoll, 
lief,  gediegen  und  darum  auch  al^i^ald  in  vollem  Eniste  durehgc  tührt:  hier 
ein  unsicheres  Schwanken  zwischen  radikalen  Doktrinen  und  despotischen 
Neigungen  .  .  .  und  mitten  in  diesem  unfertigen  dilettantischen  Treiben  doch 
einige  hochwichtige  Reformen,  des  grOssten  Staatsmannes  wilrdig,  eine  Ent- 
fesselung der  wirthschaftlichen  Kräfte,  die  dem  Staate  nachher  ermöglicht 
hat,  die  Wunden  eines  fürchterlichen  Krieges  auszuheilen.  (Deutsohe  Ge- 
schichte im  19.  Jahrlmndert,  I.  p.  379,  381.) 

69)  Die  Stelle  passt  sehr  gut;  sie  lautet:  „Du  bist  auch  g-esclilagen, 
gleich  wie  wir,  und  gehet  dir  wie  uns.  Deine  Pracht  ist  herunter  in  die 
UüUe  gefahren,  sammt  dem  Klange  deiner  Harfen;  Motten  werden  dein 


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Bette  sein,-  und  Würmer  deine  Decke.  Wie  bist  du  vom  Himmel  gefaUen« 
du  schöner  Morgenstern?  Wie  bist  du  zur  Erde  gefiülot,  der  du  die  Heiden 
seliwUchlesi?  Gedaclitost  du  doch  in  deinem  Herzen:  Ich  will  in  den  Himmel 
steigen  und  meinen  Stuhl  über  die  Sterne  (iottfs  erhöhen,  ich  will  mich 
setzen  auf  den  licrg  des  Stifts,  an  der  Seite  ^r<r<'n  Mitternacht,  ich  will  über 
die  hohen  Wolken  falircu  und  gleich  sein  (iem  Aiicrhoelisten.  Ja,  zur  Hölle 
flutet  dUf  zur  Seite  der  Onibe!  Wer  dich  siehet,  wird  dich  nshenen  und 
amehen  (und  sagen):  Int  das  der  Mann,  der  die  Welt  zittern  und  die  EOnig- 
r^ehe  beben  machte?  der  den  Erdboden  zur  Wflste  machte,  und  die  StSdte 
darinnen  zerbrach,  und  gab  seine  Gefangenen  nicht  los?  Zwar  alle  Könige 
der  Heiden  mit  einander  liegen  doch  mit  Ehren,  ein  jeglicher  in  seinem 
Hause;  du  aber  bist  verworfen  von  deinem  Grabe  wie  ein  verachteter  Zweig, 
wie  ein  Kleid  der  Erschlagenen,  so  mit  dem  Schwerte  erstochen  sind,  die 
hinunterfahren  zu  den  Steinhaufen  der  H«Wle.  wie  eine  zertr«3tenc  Leiche. 
Du  wirst  nicht  wie  dieselbigeu  begraben  werden;  denn  du  hast  dein  Land 
verderbet  und  dein  Volk  erschlagen;  denn  man  wird  der  Boshaftigen  Stimmen 
n^punermdur  gedenken." 

-m)  ]>ie  VossiSGhe  Zeitnng  brachte  diese  Nachricht  am  17.;  am  gleichen 
Tage  tbeüte  sie  einen  Tagesbefdil  des  firansOsiscben  Gonvomenrs  van.  Königs- 
berg,  Cardineau,  mit,  worin  dieser  einen  französischen  Sieg  (!)  bei  Bereeiina 
am  28.  November  bekannt  macht  Die  Küssen  hJÜten  H  Fahnen,  12  Kanonen, 
80<M)  Gefangene  verloren.  „Die  Armee  kehrt  nach  Wilna  zurück,  wo  sie  sich 
bei  den  zahlreichen  Magazinen  von  den  erduldeten  Strapazen  erholen 
wii-d"  (I!). 

61)  Fürst  Wittgenstein,  Oberkammerherr  und  Staatsminister,  der  Ver- 
traute Friedrich  Wilhelms  III.,  am  Hofe  und  in  Berlin  bekannt  durch  seine 
zahllosen  Orden  und  ebenso  zahllosen  Schulden,  seine  spitze  Zunge  und  seine 
losen  Streiche,  deren  bevorzugtes  Ziel  die  Grfifln  Voss  war  und  yon  denen 
sie-  selbst  nnd  Gubitz  in  seinen  Erinnerungen  viel  erzUhlen. 

62)  Stephan  Graf  Zichy-Väsonykeö,  geboren  178<>,  war  von  1810  bis 
1827  Österreichischer  Gesandter  in  Berlin.  (Wilrzbach,  Biogr.  Lex.  d.  Kaiser« 
thums  Österreich,  LX.  p.  30.) 

«3)  Am  23.  Januar  war  der  K  uüg  nach  Breslau  gegangen,  um  in  seinem 
Handeln  unabhängiger  von  der  Irauzüsischen  Besatzung  Berlins  zu  sein.  In 
Qeriin  hatte  sich  das  Gericht  verbreitet,  Napoleon  hätte  beabsichtigt,  ihn 
gefangen  zu  nehmen  nnd  als  Geisel  für  das  Wolüverhalten  Preussens  nach 
Frankr^h  abführen  zu  lassen.  .Ob  dieser  Gewaltstreich  Erfolg  g^bt 
hätte,  wurde  stark  bezweifelt;  denn  so  treu  das  Volk  auch  zn  seinem  Könige 
hielt,  so  war  es  doch  entschlossen,  die  Befreiung  des  Vaterlandes  auch  ohne 
ihn  EU  versuchen."    (Parthey,  .Tugenderinnerungf^n  I.  338.) 

ci)  Angl  es  war  während  der  fran/ri.siscli<'ii  Okkupation  im  Heimschen 
Hause  einquartiert  ^n  wcsen  und  hatte  sich  durch  sein  liebenswiirdiges  und 
heiteres  Wesen  Aller  l'reundcicliall  erworben. 

m)  Der  Marschall  Augerean  hatte  im  Jahre  1812  das  Kommando  des 
11.  Korps,  das  Napoleon  zn  seiner  Bttckendeckung  bestinmit  hatte.  Sein 
Hauptquartier  war  Berlin.  Als  die  ersten  Kosaken  in  Berlin  erschienen,  soll 
er  in  seinem  Quartier  von  Volkshaufen  angegrUfon  worden  sein;  folgende 


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Alis  den  Tagebflchero  des  alten  Heim. 


133 


grusliehe  firaDsOdsche  Darstellung'  —  zugleich  ein  PrObchen  flranzOiiseher 
Geschichtschrelbong  nnd  Geographie  —  sei  dem  Leser  nicht  Torenthalt^; 
»En  arrivant  k  Berlin  Ii  1a  lin  de  la  fatale  retraite  de  Russie  (stimmt  nicht; 
Augereau  war  während  des  ganzen  Winters  in  Berlin),  en  1813»  U  vis  le 
prcmier  les  Prossiens  rompre  la  nentralit^  et  fat  assailli  par  des  troupcs  ivres 
ot  furiciiscs  rlans  une  maison  «vi  il  fut  descendu,  II  s'y  barricada  et  s'y 
defeiulit,  A  l  aid«^  do  <|nolques  compaja:nies  franoaises  avec  un  bonhour  inoul' 
et  cüiunic  s'il  »'-tait  hattu  Eylau;  11  repous^a  los  assaillants  <^t  sortit  de 
Berlin  saus  avoir  ou  entamer  sa  troiipe.  II  se  retira  ?i  Franklort  sur 
i'Oder  dont  il  fut  nomine  (lo  9  avril  1813)  gouverneur  gön^ral.  L'Em- 
perenr  M  confidra  anssl  le  gonvemement  du  grand<diieh6  de  Wnrtzbonrg.* 
Natttrlieh  ging  er  nach  Frankftirt  a.  Matal.  Die  Berliner  Zeltongen,  die  sieh,  so 
lange  die  Franzosen  in  Berlin  waren,  die  griteste  Heserre  anferlegen  mnssten, 
erwähnten  den  Vorfall  gar  nicht;  die  Vossische  brachte  am  23.  nur  eine  Be^ 
kanntmachung  der  Ober-Iiegierungskommission»  worin  die  Beirdlkenmg  znr 
Kulic  erm;ihnt  wird.  Diese  Aufford crnn fr  bozop-  sich  nber  nur  auf  den  weiter 
unten  orwühnten  Kampf  zwischen  Hürfjcrn  und  h'rauzosen  an  der  langen 
und  Schleusenbrücke.  Augereau  versicherte  der  Regierungskommission  am 
21 ,  dass  er  die  besten  Absichten  ttlr  Ruhe,  Ordnung  und  Wohlfahrt  der 
Hauptstadt  habe.  Auch  Streckfuss,  der  in  Band  1  seines  „Berlin  im  19.  Jahr- 
hundert" ehie  sehr  ansfllhrliehe  Darstellnng  jener  Tage  giebt,  erwähnt  nicht 
eines  Angrifft  anf  Angereao.  Das  genügt  wohl»  am  die  Haltlosigkeit  der 
allerdings  hOchst  poesierollea  Darstellnng  der  „Nonv.  Biogr.  G^**  naehsa- 
.  weisen. 

m)  Schon  am  18.  war  es  bei  Werneuchen,  2  Meilen  nordwestlich  von 
Berlin,  zu  einem  ernsthaften,  für  die  Franznson  nachtheiligen  Gefechte  ge- 
kommen. Am  20.  schössen  sich  die  Kosaken  unter  Tschernitschew  und 
Tettenboni  mit  den  Franzosen  an  den  östlichen  Thoren  Berlins  herum  und 
drangen  in  die  Stadt  ein.  Der  junge  Alexander  von  Blomberg,  der  sich 
ihnen  mit  mehreren  Deutschen  angeschlossen  hatte,  fiel  dabei  als  erstes  Opfer 
des  Befreiungskrieges. 

«v)  Eine  von  diesen  Kanonen  wurde  von  den  Berlineni  erbeutet 
und  bei  der  SchleusenbrUeke  in  die  Spree  geworfen.  Eine  ansebauliebe 
Schildernng  des  Kampfes  an  der  langen  Brücke  giebt  Streckftiss,  BerUn  im 
19.  Jahrhundert  II.  32  f.    (Parthey,  Jngenderinnerungen  I.  339.) 

68)  Die  Sch.'ltziing  ist  etwas  ZU  niedrig:  Yorks  Korps  war  12  DUO  Mann 
stark  und  hatte  7(t  (Jeschiitze.  —  Streng  und  finster  streifte  der  Blick  des 
„Mannes  von  Tauroggen"  über  die  hoeliautjubelnden  Massen.  (Treitschke.) 

ob)  l^eyme  führte  dieses  Amt  15  Monate  lang;  den  ZeitverbUltuissen 
entsprechend  widmete  er  seine  Hanptthätigkeit  den  militärischen  Veriilllt- 
ttissen. 

7o)  Parthey  erzählt  in  den  sehon  Öfter  zitierten  Jugenderinnemngen 
(I  341),  dass  der  König  sich  am  20.  März  auf  der  Parade  im  Lustgarten 
gezeigt  habe;  „ieh  kann  aber  nicht  sagen,  dass  ihm  ein  aasserordentlicher 
Enthusiasmus  entgegen  gekommen  sei".  Diese  Datierung  ist  nicht  richtig; 
der  ,,Voss.  Ztg."  zufolire  reiste  der  K^>nig  am  21.  von  Breslau  ab,  w;»r  .nn 
^iacbts  in  Potsdam,  begab  sich  am  24.  von  da  nach  Charlottenbnrg  und 


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134 


Geatg  StegeriBt 


ritt  am  Mittag  dieses  Tages  von  dort  durch  das  Brandenburger  Thor  mit  den 
Prinzen  und  der  GeneralilUt  nach  dem  Schlosse,  Die  russischen  und  preussi- 
sclien  Truppen  bildeteu  auf  dem  Wege  Spalier.  (Voss.  Ztg.  vom  25.  Märs  1813.) 

71)  Spandau,  das  mehrere  Wochen  hfndureli  von  den  Prenssen  unter 
Thttmen  bela^rert  wurde,  kapitulierte  am  25.  April,  als  durch  eine  Bombe 
das  Pulvermagazin  an£  der  Zitadelle  in  die  Lnft  gesprengt  wurde.  Näheres 
UT)er  die  Belagerung  und  das  Aussehon  von  Stadt  und  Festung  nach  der 
Kapitulation  erzilhlt  sehr  ansprechend  Parthey,  I.  349  ff.,  vgl.  auch  Streck fuss. 

72)  Schlacht  bei  Lützen  (Grossgörschen)  am  2.  Mai,  in  der  Scharnhorst 
seine  tödtliche  Wunde  erhielt. 

73)  Grund  zu  der  Resorgniss  bot  der  im  russischen  llnupt(iuartier  be- 
schiüösenc  Kückzug  der  Verbündeten  über  die  Elbe  durch  Sachseu  nach 
Schlesien.  Zum  Schatze  Berlins  wurde  der  Landsturm  unter  die  Picke  ge- 
rufen. Auch  hierüber  erzShlt  Partfaey  Tieles. 

V4)  Der  Bdtritt  Österreichs  zum  rusaisch-preussischen  Bündnisse  erfolgte 
erst  am  27.  Juni  zu  Rdchenbach.  Am  10.  April  hatte  Napoleon  in  Wien 
eine  TheUung  Preussens  (Österreich  sollte  Schlesien  erhalten)  unter  Österreich, 
Sachsen  und  Westfalen  vorgeschlagen.  (Österreich  lehnte  es  ab  und  ver- 
langte im  Mai  von  Napoleon  die  Auflösung  des  Kheinbundcs,  des  Herzog'-, 
thums  Warschau,  die  Herausgabe  der  frnnzr>sisehen  Erwerl>ungen  zwischen 
Ems,  We.ser  und  Elbe,  sowie  die  Ilerstellun;,'  Preussens.  —  Statt  Saciiscu 
muss  es  natürlich  Schweden  beisson;  am  30.  A)*ril  meldete  der  preussiscbe 
Gesandte  tai  Stockholm,  von  Tarrach,  der  Vertrag  mit  Schweden  sei  verein' 
bart,  und  er  boiTe  auf  seüie  Ratifikation.  Vollzogen  wurde  er  erst  am  22.  Juli. 
(Oescliichte  der  Nord-Armee  im  Jahre  1613  ~  Beiheft  zum  Uilitlirwocben' 
blatt  I.) 

76)  In  diesen  Tagen  der  Furcht  vor  einer  neuen  französischen  Okku- 
pation fand  eine  förmliche  Auswanderung  aus  Berlin  statt;  viele  tiüchteten 
nach  Schlesien.  Die  Furcht  war  begründet;  wUhrend  Napoleon  dem  Heere 
der  Verbündeten  folgte.  >nllte  Ney  ein»'n  Vor.stoss  gegen  Herlin  unternehmen, 
wurde  aber  zurUckgerutcn,  da  Napoleon  seine  Streitkräfte  zum  Angriffe  bei 
Bautzen  sammelte. 

n)  Der  Berliner  Landsturm  exerzierte  sehr  ernsthaft,  blieb  aber  Ton 
dem  Beriiner  Witze  nicht  yerschont  Man  hatte  herausgefunden,  dass  in  der 
Wilhelmstrasse  Falstaflte  Rekruten  beisammen  waren.  Schatte  war  der  blasse 
Direktor  Zeune,  Vorsteher  der  Blindenanstalt,  Schwächlich  der  unansehnliche 
Niebiilir,  Warze  der  etwas  venvachsene  Schleiennaeher,  Pullenkalb  der  dicke 
Buchhündler  Reimer,  Schimmelig  der  sehr  blasse  und  sehr  blonde  JTranz 
Horn.    (Piirthey  I.  3C0.) 

n)  Schlacht  bei  Bautzen  am  und  21.  Mai.  Die  Verbündeten  wichen 
weiter  bis  Schlesien  zurück,  obwohl  sie  einen  moralischen  Erfolg  davon- 
getragen, hatten. 

76)  BfUow  hatte  am  2,  Mai  Halle  genommen;  am  4.  erhielt  er  aus  dem 
Hauptquartier  Wittgensteins  die  merkwürdige  Nachrieht,  dass  die  Schlacht 

bei  Lützen  gewonnen  sei;  die  Verbündeten  zögen  sieh  jedoch  hinter  die  Elbe 
zurück,  General  Kleist  ]>is  Würzen.  Wittgenstein  forderte  ihn  auf,  wenn  es 
nöthig  sei,  sich  ebentails  auf  das  rechte  Elbufer  zurückzuziehen,  der  König 


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Am  den  TiisMtdMm  dm  «Heu  Edno. 


185 


l)ofahl  ihm  das  «ifleiche  niitor  d<  in  3.  Mai  von  Prag  aus,  falls  der  Feind  die 
Marken  angreifen  werd»';  er  solle  dann  Landwehr  und  Landsturm  org^ani- 
siii't'n.  Bülow  nahm  nun  mit  Keeht  an,  dass  die  Schlacht  bei  Lützen  ver- 
loren sei,  setzte  sich  mit  dem  Gouvernement  von  Berlin  in  Verbindung  mid 
ging  am  5.  bei  BoesUii  sof  das  rechte  Elbnfor.  Die  Fraoxosen  unter  Ney 
hatten  aieh  in  der  Th»t  nach  Norden  in  Bewegung  geeetit;  die  Korps  Ney 
und  Laniiaton  marschierten  von  Leipzig  gegen  Torgan,  Victor  nnd  Sebastisni- 
waren  bis  Bernburgf  und  Calbe  vorgedrung^en.  Am  8.  /3mannle  der  König 
BUIow  zum  0))(^>rh(>t'oblshaber  in  den  Marken.  Die  Landwehr  war  noch  hOehst 
mangelhaft,  die  Bildnnpr  des  Landsturms  untor  dem  5.  befohlen  worden. 
Bülow  wollte  die  Verthcidigung  Berlins,  wie  es  ihm  Boyon  schon  früher  vor- 
geschlagen hatte,  ge<leekt  durch  die  sumpfigen  Gegenden  zwisc  hen  Nuthe  und 
Nolle  auf  der  Linie  Potsdam— Öaarmund—Trebbin—.Mittenwalde—Königs- 
Wnsterhausen  führen.  Inzwischen  waren  die  Franzosen  bei  Torgan  und 
Wittenberg  über  die  Elbe  gegangen.  Bfilow  zerstörte  nun  den  Übergang 
bei  Bosslan  nnd  marschierte  auf  der  Stresse  von  Wittenberg  gegen  Berlin 
znrttck.  Der  Feind  marschierte  seitwttrts  anf  Lnckan  nnd  erweckte  dadnfeh 
in  Bülow  den  Glauben,  er  wolle  seine  linke  Flanke  umgehen.  Er  ging  bis 
^reuenbrietzen  und  Beelitz  zurück  und  besetzte  Luckenwalde  und  Baruth. 
Infolge  dieser  preussischen  Bewegungen  gab  es  in  Berlin  fjrosse  Auf- 
regung, Flucht  des  Uofes  und  der  Einwohner  etc.  Ney,  der  in  der  That 
den  Befehl  hatte,  Berlin  zu  nehmen,  hatte  auf  den  Hath  des  Generals  Jomini 
eigenmächtig  seinen  Marsch  geändert  in  der  Absicht,  sich  mit  Napoleon 
gegen  das  bei  Bantzen  siehende  prensslseh-msslsche  Heer  m,  yereinigen. 
Er  marsehierte  am  17.  von  Lackan  anf  Sprembeig  nnd  Bantien  ab;  In  Kalan 
traf  ihn  em  Befehl  Napoleons,  der  ihm  dasselbe  befahl.  Diese  Absicht  Neys 
erkannte  BtUow  erst  am  18.  L'Estoq,  der  IfilitHigonTemenr  In  dem  Lande 
zwischen  Elbe  und  Oder,  hatte  dies  schon  fHiher  erkannt  und  Bülows  Zu- 
rückgehen für  einen  Fehler  gehalten.  Dazu  kamen  Schwierigkeiten  im 
Kommando;  L'Estoq  hatte  als  (General  der  Kavallerie  einen  höheren  Rang 
als  der  erst  vor  zwei  Monaten  zum  Generalleutnant  ernannte  Bülow.  L'Estoq 
erliess  am  18.  einen  die  Bürger  Berlins  beruhigenden  Artikel,  worin  er  er- 
klärte, Bülow  werde  sofort  wieder  zum  Angriff  tibergehen.  Der  darin  ent- 
haltene indirekte  Vorwurf  rief  die  öffentliche  Mlssstimmnng  gegen  Blllow 
hervor.  Am  19.  brach  er  nach  Bamth  anf,  konnte  Jedoch  nnn  die  Verelni- 
gnng  Neys  mit  Napoleon  nicht  mehr  verhlndem.  (Beitske,  Qesehichte  der 
Befreinngskriege  I.  404  ff.) 

79)  Am  19.  fanden  Gefechte  bei  Königswartha  nnd  Weissif  statt;  Barklay 
deTnlly  und  York  sollten  an  diesem  Tage  den  heranmarschierenden  Marschall 
Ney  \  ertündern,  sich  mit  Napoleon  za  vereinigen,  was  ihnen  aber  nicht 
gelang. 

80)  Die  Kückzugsgefechtc  bei  Reichenbacb,  Markerndorf  und  uameutlich 
bei  Ilaynau  am  2G.,  wo  Blflcbers  Kavallerie  einen  ftnaserst  kecken  Überfoll 
ansfllhrte,  hemmten  die  Franzosen  in  Ihrem  Vormarsch. 

•i)  Hit  diesem  Tage  begann  die  Schreckensherrschaft  des  Msrschalls 
Davonst  in  der  alten  Hansestadt. 

8s)  Der  zn  Poischwitz  am  4.  Jnni  abgeschlossene  Waffenstillstand  sollte 


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136 


Geoig  Siceeriflt 


zuorst  nnr  20  Ta^e  dauern  und  wurde  dann  bis  zum  16.  August  verlängert. 
Während  dessen  erlolgtc  der  AnBchluss  Österreichs  und  Schwedens  an  die 
Verbündeten. 

<t)  Am  24.  Juli  kam  Benudotte  naeh  Beriin,  vm  lieh  in  seiner  neuen 
Funktion  als  Oberfeldherr  der  Nordannee  mit  den  Truppen,  den  Personen 
und  den  Verhiltniaeen  Tertraut  sa  maehen.  Am  folgenden  Tage  maohte  er 

Besuche  bei  den  rrinz(  n  und  Prinzessinnen,  imd  am  26.  Abends  6  Uhr  be« 
sicbtigte  er  auf  dem  Exerzierplatze  im  Thiergarten,  dem  jetzigen  KOnigB- 
platze,  die  in  und  bei  Uerlin  stehenden  preussischeTi  Truppen,  von  denon  er 
einen  selir  guten  Eindruck  empfing.  (Bericht  Bülows  an  den  König  im  Beiheft 
zmn  MilitHr- Wochenblatt.  1859.  Erstes  Heft,  p.  GH.) 

m)  Am  10.  Augufit  war  der  Walieuatillstand  von  den  Verbündeten  ge- 
kündigt worden;  am  16.  nm  lOttemaeht  lief  er  ab. 

m)  General  Jomini,  ein  geborener  Sohweiaeri  trat,  naebdem  er  zaerrt 
seiner  Heimath  gedient  hatte,  1801  in  franaOaiBOhe  Kriegsdienste  nnd  zeicimete 
sieh  in  Throl,  ÖBterreich,  Preossen  and  Spanien  ans.  Infolge  einer  Zmüek- 
Setzung,  die  er  durch  den  Marschall  Ney  erfhhr,  verlangte  er  —  damals 
Oberst  —  seinen  Abschied  und  bot  seine  Dienste  dem  Kaiser  Alexander  an, 
der  noch  in  innigster  Freundschaft  mit  Napoleon  lebte.  Napoleon  berief' 
Jomini  nach  Paris  und  liess  ihm  die  Wahl  zwischen  Gefängniss  nnd  I^et75rde- 
rung  zum  Brigade-General;  natürlich  wählte  der  Oberst  das  letzte.  Im 
russischen  Feldzuge  weigerte  er  sich,  gegen  Alexander  zu  fechten  und  blieb 
französischer  GoaTemenr.von  Wilna.  Naeh  der  Schlacht  bei  Lützen  wurde 
er  wieder  Neys  Qeneralstabschef  j  als  solcher  hatte  er,  wie  schon  erwfthnt, 
wesentliehen  Antheil  an  der  Vereinignng  Nejra  mit  dem  Kaiser  vor  der 
Sehlaeht  bei  Bantaen.  Ney  schlug  ihn  sun  Divisfonsgeneral  Tor,  Bertfaler 
verhinderte  es;  Jomini  wurde  ttberhanpt  von  der  Avancementsliste  gestrichen 
und  in  Arrest  gesetzt,  weil  er  nicht  zur  rechten  Zeit  seinen  Bericht  über  den 
Stand  der  einzelnen  Regimenter  eingereicht  hatte.  Er  quittierte  nun  den 
französischen  Dienst  und  begab  sich  ins  Lager  der  Verbündeten,  wo  er  jedoch 
in  keiner  Weise  Verrätherei  trieb,  wie  ihm  später  vorgeworfen  wurde.  Na- 
poleon selbst  hat  dies  auf  St.  Helena  anerkannt.  Hier  bei  den  Alliierten  traf 
Jomini  Napoleons  alten  Waftangefllhrten,  jetzt  grimmigen  Gegner  Moreau, 
der  seit  1804  aus  Frankreich  verbannt,  nachdem  er  wegen  Theilnahme  an 
einer  VerschwOnmg  gegen  den  ersten  Konsul  zun  Tode  ▼enirtheilt  worden 
war,  von  Amerika  gekommen  war,  um  den  Imperator  bdlmf^lBn  zu  helfen. 

Bn)  In  Trebbin  vertheidigte  sich  am  23.  Major  von  Clausewitz  mit 
5  Kompagnien  Ähne  Artillerie  fünf  Stunden  lang  (von  1  bis  6  Uhr  Nach- 
mittagsj  gegen  das  12.  französische  Korps  unter  Oudinot,  der  die  Stadt  mit 
Granaten  bewerfen  liess,  die  aber  nicht  zündeten.  Um  6  Uhr  zog  sich 
Clausewitz  nordwärts  zurück,  Oudinot  blieb  bei  Treljbin  stehen.  Ebenso 
machte  das  7.  französische  Korps  bei  Nunsdorf  Halt,  welches  Miyor  v.  Wedel 
nach  tapferer  Verthmdigung  geräumt  hatte.  General  Bertrand  stand  mit  dem 
4.  Korps  nach  einem  Gefecht  bei  Mellen  westlich  von  Trebbfai  bei  Schünow 
und  Dargischow.  (Geschichte  der  Nordarmee  1813.  p.  241  IT.) 

87)  Bekanntlich  ging  der  Schlacht  von  Grossbeeren  am  Abend  des 
23.  August  du  Vorpostengefecht  am  Nachmittag  voraus;  H^jor  v.  Sandrart, 


AoB  den  TagebQdiem  dds  alten  Heim. 


137 


der  mit  3  liataUlonen,  einer  halben  üptüncligen  Batterie  und  dem  1.  Leib- 
Imsareiiregimeiit  Grosabeeren  1>^uptete,  wurde  um  4  Uhr  dureh  die 
d.  BKehsIsebe  Dtvisioii  (y.  Salur)  des  Korps  Reynier  angegriftea  und  zog  sich 
nach  einem  heftigen  Artüleriekampfe  bis  Heinersdorf  sorttek»  worauf  Bema> 
dotte  den  Rttckzn^  hinter  Berlin  befahl.  Beynier  liess  naeh  der  Einnahme 
Grossbeerens  seine  Truppen  ins  Biwak  rücken.  Erst  um  6  Uhr  Abends  lie- 
g"ann  Bülow  die  Schlacht  s(*Il>st.  (t^'ber  den  Verlauf  verj^:!.  die  schon  öfter 
citierte  „Geschichte  der  Nordarmee  im  Jalire  1813"  p.  315  ff.  sowie  „die 
Schlacht  von  Grossbeeren"  bei  Fontane,  Wanderungen  durch  die  Mark 
Brandenburg,  Bd.  IV.) 

Rs)  Es  war<  n  nur  I  i    (Geschichte  der  Nordarmee  I.  34b.)  Auch  Parthey 

(p.  386)  hat  M)  Kanonen. 

89)  Vergl.  „Berlin  in  den  Tagen  der  Schlacht  von  Grossbeeren"  in 
Tietz,  Bunte  Erinnerungen  an  Irühere  Persönlichkeiten,  Begebenheiten  und 
Theaterzostfinde  ans  Berlin. 

m)  Die  Schlacht  bei  Dresden  am  26.  und  27.  Augost,  welche  den  Bilde- 
zog  der  Verbündeten  naish  Böhmen,  aber  auch  die  Vernichtung  des  Korps 
Vendanune  bei  Knlm  und  Nollendorf  dnrch  den  heldenmütbigen  Widerstand 
der  Rossen  Ostermanns  nnd  den  kühnen  Angriff  Kleists  am  29.  nnd  30.  Angust 
znr  Folge  hatte. 

9i)  Dies  Urtheil  Heims  trifit  absolut  nicht  za. 

ri)  Parthey  erzählt,  dass  namentlich  viele  preiissische  Soldaten  an  den 
Beinen  verwundet  worden  seien  und  begi  iiiulet  dies  damit,  dass  die  jungen 
16— 17 jährigen  Kekruten,  die  den  grüssteu  Theil  vieler  französischer  Regi- 
menter bildeten,  das  schwere  Gewehr  beim  Anlegen  und  Schiessen  etwas 
sinken  liessen.   (p.  394.) 

m)  Bei  Dennewitz.  Es  wurden  53  Kanonen  erobert  nnd  (naeh  BfUows 
Bericht)  13  500  Gefangene  gemacht  ((rescMchte  der  Nordarmee.  3.  Heft 
1865.  p.  98.) 

94)  Moreau  war  bei  Dresden  am  36.  August  an  der  Seite  des  Kaisers 
Alexander  tötlich  verwundet  worden ;  eine  Kanonenkugel  einer  ft-anzOsischen 
Gardebattcrie,  die  Napoleon  selbst  leitete,  sserschmetterte  ihm  das  rechte 
Knie.    Er  starb  am  2.  .September. 

95)  Gefecht  an  der  Gehrde  unweit  Lüneburg  am  16.  September;  Qeneral 

Wallmoden  schlug  die  Franzosen  unter  Pecheux. 

«.,)  Nn[M)leon  hatte  den  kühnen  Entschluss  gefasst,  mit  seinem  ganzen 
Heere  auf  das  rechte  Ufer  der  Elbe  zu  gehen,  die  Mark  und  Berlin  zu  er- 
obern, dann  gegen  die  Elbe  wieder  Front  zu  machen  und  Magdeburg  zum 
Sttttsponlcie  seiner  weiteren  Untemehmnngen  zu  nehmen,  um  so  der  Ihm 
drohenden  Umklammenmg  bei  Leipzig  zu  entgehen.  Am  11.  Olctober  hatte 
er  sein  ganzes  Heer  aof  dem  linken  Mnldenfer  zwischen  Elbe  nnd  Hnlde 
beisammen  nnd  wollte  bei  Wittenberg  nnd  Bosslan  Uber  die  Elbe  gehen; 
das  Korps  Reynier  und  die  Division  Dombrowski  thaten  dies  auch  wirklich 
und  entsetzten  Wittenberg.  Ney  drang  auf  die  Hriieke  von  Hosslau  ntid 
Dessau  vor.  um  Kundschaft  v>ni  der  Nordarmee  zu  erhalt<-n,  stiess  auf  Tau<'nzieri 
und  warf  ibu  Uber  die  Mulde  zurück.   Tuueuzien  ging  auf  das  rechte  Elb- 


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138 


Ufer  und  zerst^vrto  die  Brücke  liicil weise,  vereinigte  sich  dann  mit  Thümen, 
der  die  Belagerung  von  Wittenberg  aufgegeben  hatte  und  beide  zogen  sich 
weiter  auf  Zerbst  zurück.  Nur  dadurch,  dass  die  liauptarmec  der  Ver- 
bttndeten  auf  Leipzig  marschierte  and  es  wegzonehmen  drohte»  wnrde  Na- 
poleon zur  Umkehr  bewogen.  (Beitzke,  Geschichte  der  Freiheitskriege,  L 
p.  419  ir.) 

07)  Tauenzien  war  in  Gcwaltmiirschon  naeh  Berlin  marschiert,  um  die 
Stadt  vor  einem  vermeintlichen  Angrifl'e  Napoleons  zu  schützen ;  in  der  Nacht 

vom  15  zum  in.  kam  er  an;  ,,dio  Dunkelheit  musstc  den  Bewohnern  der 
Stadt  den  Zustand  verhergen,  in  weklun  der  Cewaltmarech  seine  Truppen 
versetzt  hatte."  Gueiseuuu  nannte  diese  rückwUrtigo  Bewegung  eine  schmäh- 
liche Flucht. 

•s)  Bemadotte,  der  mit  Blücher  Uber  die  Saale  gegangen  war,  war 
dnrch  Napoleons  Plan  in  die  änsserste  BestOrzung  gerathen,  wtthrend  Blücher 
ihn  nnr  für  eine  Drobnng  hielt,  um  für  die  Elbebrücken  besorgt  zu  machen. 
Bemadotte  meldete  ihm  den  Übergang  der  Franzosen  als  gewiss  und  forderte 

ihn  auf,  zur  Rettung  Berlins  mit  ihm  auf  das  rechte  Elbufer  zurlickzukchren. 
Einen  Befcld  vom  Kronprinzen  von  Schweden,  auf  Berlin  zurückzugehen,  hat 
Tauenzien  nicht  erbnlten. 

99)  In  Wirklichkeit  wurden  l'jOOO  Mann  gefangen  genommen,  300  Ka- 
nonen, 900  "Wagen  erbeutet.  In  den  Leipziger  Lazarethen  Hessen  die 
Franzosen  23  000  Mann,  darunter  27  Generale  und  3000  Offiziere  zurück. 

100)  Nicht  Augereau  ertrank,  sondern  Fürst  Poniatowsky.  Angerean, 
im  Januar  1814  Kommandeur  des  Korps  bei  Lyon,  üel  als  einer  der  ersten 
von  Napoleon  ab.  Schon  im  Februar  unterhandelte  er  mit  den  Österreichern. 

101)  Bei  Kösen  versperrten  die  Österreicher  unter  Oiulay  den  Übergang 
über  die  Saale;  das  Kückzugsgele  'ht  fand  auch  nicht  bei  Weissenfeis,  sondern 
bei  Freiburg  am  31.  Oktober  statt;  der  Vortrab  des  Yorkschen  Korps  fllhrte 
es;  abgesehen  von  is  erol)erteu  Kanonen  und  etwa  1000  Gefangenen  war  es 
ergebni.ssl()s.    iBeitzke  I.  567.) 

102}  Dem  Könige  Friedrich  August  von  Sachsen  hatten,  nachdem  seine 
Truppen  im  Laufe  des  18.  Oktober  zu  den  Verbündeten  Übergegangen  waren, 
die  Verbündeten  am  19.  erkUtrt,  dass  er  ihr  Gefhngener  sei;  er  wohnte  den 
Winter  über  im  Berliner  Schlosse.  Im  Frül^ahr  zog  er  nach  Friedrichsfielde, 
um  den  Äusserungen  des  Grolles  und  Spottes,  mit  denen  die  Berliner  nicht 
kargten,  zu  entgehen.  Nach  .\bschlu88  des  1.  Pariser  Friedens  begab  er 
sieh  auf  Einladung  des  Kaisers  Franz  nach  Österreich.  VergL  das  Kapitel 
„J'riedrichsfelde"  in  Fontanes  Wanderungen  IV. 

103)  Nachdem  Heim  ilem  Krtnige  seinen  niückwunseh  ausgesprochen 
hatte,  bemerkte  er,  Sc.  Majestät  häiteu  heute  wohl  noch  Viele  zu  empfangen 
und  empfahl  sich,  ehe  er  entlassen  worden  war.  Friedrich  Wilhelm  erzllhlte 
mit  Anspielung  hierauf  später  oft,  der  alte  Heim  sei  der  einzige  Menzch  ge- 
wesen, der  ihn  einmal  habe  stehen  lassen.  (Kessler,  Leben  Emst  Ludwig 
Heims.  1.  Aufl.  IL  p.  165.) 

104)  Nachdem  Napoleon  am  30.  und  31.  Oktober  die  bayerisch-Oster< 
reichische  Armee  unter  Wrede  bei  Hanau  gesehlagen  hatte,  traf  er  am 
9.  NoTember  in  Mainz  ein;  von  seinen  Uunderttausenden  rettete  er  70  000, 


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Aas  dem  TigebOchem  das  alten  BiAm, 


189 


zum  grössten  Thcil  crschiipft  oder  krank  über  den  Klioin;  von  700  Ge- 
schützen, die  er  noch  bei  Leipzig  gehabt,  brachte  er  uur  200  hinUbcr. 
(Beitzke  I.  598.) 

joö)  Der  allgemeine  Übergang  verzögerte  sich  jedoch  bis  zum  1.  Januar; 
sehr  zum  Zorne  Bittehera  imd  Onefsenaus  yerhaodelte  man  wochenlang. 
Napoleon  war  >am  9.  November  in  Paris  angekommen,  wo  er  mit  Umgebung 
des  gesetsgebenden  KOrpers  die  Abgaben  betrftcbtliQh  erhöhte  und  den  Staats- 
schatz von  200  Millionen  Franken  zur  Weiterfttbmng  des  Krieges  verwendete. 
Am  11.  bewilligte  ilmi  der  Senat  eine  neue  Aushebung  von  300  000  Mann, 
nachdem  am  s.  OktTlicr  bereits  eine  solehe  von  280  000  fjenehmigt  war. 

loes  Toriraii  ri\^';ih  sich,  naclulcin  Uesatzun«»-  und  Einwohjier  einer  der 
farehtbnr>ten  r\i)hu;^cpi(U'nii('u  zum  grüssten  Theil  erlegen  waren.  Es 
starben  gegen  30  OOO  Menschen. 

w)  Blücher  schlug  am  17.  Januar  in  Nancy  sein  Hauptquartier  auf 
nnd  hielt  dort  eine  wohl  durchdachte  Rede  an  die  Lothringer,  die  Übersetzt 
nnd  allenthalben  hin  verbreitet  wurde.  Sie  ist  in  Yamhagen  von  Enses 
Biographie  Blüchers  abgedmckt 

ioh)  Nachdem  Blflcher  bei  Brienne  am  29.  Januar  von  Nai»ob'on  znrttck- 
gedrttngt  AvorrUn  war,  scldu^j  er  ihn  bei  La  Rothii're  am  1.  Febjuar. 

109)  Am  L  Februar  war  Chalons  genommen  worden,  bei  welelicr  Oe- 
legenlieit  die  jtreussisehe  Landwehr  50  uoo  l-Masclieii  Champagner  die  Hälse 
gebrochen  haben  soll;  in  den  (Jefeehten  von  Cliampaubert  und  Montmirail 
am  10.  und  11.  Februar  schlug  Napoleon  die  Korps  von  Sacken  und  York 
und  drängte  dann  in  einer  Reihe  weiterer  Gefechte  Blttchen  Armee  zurück 
Aber  die  Marne. 

110)  Der  FHedenskongress  von  Chatillon,  von  Metternich  ins  Leben  ge- 
rnfen,  dauerte  vom  5.  Februar  bis  zum  18.  Kürz.  Die  Verhandlungen 
scheitcrtoTi  an  den  nbemittthlgen  Forderungen  Napoleons,  der  Frankreich 
mit  den  Grenzen  des  Kheins  und  der  Alpen,  Italien  für  seinen  Stieftolm 
Eugen  etc.  forderte.    (Beitzke  III.  339.) 

m)  Der  Senat,  am  1.  April  von  Talleyrand  berufen,  >pi;ieb  die  Ab- 
setzung um  2.  aus.  —  Marmont,  der  noch  Paris  am  .iO.  Miirz  verthcidigt 
hatte,  fiel  am  4.  April  von  Napoleon  ab;  ihm  folgten  Berthier,  Ney,  Lefebvre, 
Ondinot,  Macdonald.  Am  11.  unterzeichnete  der  entthronte  Kaiser  die  Ent- 
sagnngsurknude:  „Da  die  verbündeten  Mttohte  erklärt  haben,  dass  der  Kaiser 
Napoleon  das  ein:^  Hindemiss  des  Friedens  in  Europa  ist,  so  erklttrt  der 
Kaiser  Napoleon  .  .  .  dass  er  bereit  ist,  vom  Throne  zu  steigen  und  Frank- 
reich  zu  verla.ssen  .  .  ."   (Beitzke  III  422.) 

111  h)  300  Mann  wäre  etwas  wenig  gewesen.  Im  ganzen  wurden 
10  000  Manu  ges)»fist,  liOOO  Unter  den  Linden,  4000  im  Lustgarten.  Der 
i^ciiluss  des  Feste.^  \var  allgemeine  Betrunkenheit,  icf.  Streckfuss,  Beriiu  im 
l'J.  Jahrhundert,  Iii.  p.  144  f.) 

Iis)  Der  Kongress  dauerte  vom  18.  September  1814  bis  19.  Juni  1815. 
Kaiser  Franz  gab  tflglieh  50  000  Gulden  für  die  Kaiserliche  Tafel,  im  ganzen 
16  Millionen  für  den  Kongress  aus. 

iti)  Preussen  erhielt  die  Hälfte  von  Sachsen,  die  Niednrlausitz,  die  halb« 
OberlausitsE,  sowie  säetisiscbe  Besitzungen  in  Thüringen  (die  neue  Provinz 


140 


U60f(r  BI6g0lltCi. 


Sachsen),  ferner  Schwedisch-Vorponinioni  und  bildete  auB  den  rlu  inischen 
Er\verl>unjJi:en  die  neuen  Provinzen  Rheinland  und  Westfalen,  aiU  den  Über- 
resten seiner  |>ohjisclion  Besitzungen  die  Provinz  Posen. 

m)  Hlflcher  iirthtMltc  fibrr  den  Kongress:  ,, Der  Wiener  Kongress  gleicht 
einem  Jahrmarkt  in  einer  kleinen  Stadt,  wo  ein  jeder  sein  Vieh  hintreibt, 
es  zu  vertauschen  oder  zu  verkaufen.  W^ir  haben  einen  tüchtigen  Ballen 
hingebracht  und  einen  sehHbigen  Ochsen  eingetauscht.  " 

1151  Najjoleon  landete  am  1.  März  in  Cannes  mit  ODO  Mann. 

uo)  Die  l^cvolutionszeit  schien  mit  Xaiioieoii^  Uiickkehi'  wieder  aufzu- 
leben. Es  bildeten  sich  Klubs,  die  Arbeiter  verlangten  Waffen,  die  kaiser- 
liche Garde  marschierte  nach  den  Klängen  der  Marseillaise  und  sang  das 
ira".  Lncian  Bonaparte  gab  Beinern  Bmdw  den  Rath,  sich,  auf  das  demo- 
kratische Element  zu  sttttzen  und  als  Konsul  oder  Diktator  dem  Auslände 
gegenttberzutreten.  Napoleon  aber  hatte  seine  alte  Abneigung  gegen  Volks- 
bewegungen und  gegen  den  Jakobinismus  nicht  abgestreift  und  so  kam  es, 
dass  der  demokratisch  gesinnte  Mittelstand  in  der  am  22.  April  erlassenen 
Zusatzakte  zu  der  Reichsverfassung  A'^e  additionel  aux  constitutions  de 
Tempire),  die  eine  gewählte  Volksveriretung,  Pressfrcihcit,  Petitionsrecht, 
Bescliriiiikung  der  niilifärisclicn  Gericlitsbarkeit  versprach  und  als  Schaustück 
das  alt-merovingische  Maifeld  wieder  aufleben  liess,  mit  ihren  übrigen  Be- 
stimmungen, Wiedereinrichtung  der  erblichen  Peerage  etc.  seine  Ho£Ebungen 
nicht  erfüllt  sah  und  missvergnUgt  wurde,  vor  allem  auch,  weil  die  Akte 
erlassen,  aber  nldit  vom  Volke  berathen  und  angenommen  wurde. 

117)  Schon  am  13.  Hftns  war  Napoleon  auf  dem  Kongresse  für  einen 
Feind  und  Störer  des  Weltfiriedens  erklärt  worden.  Die  lüngs  der  flransOsi- 
seben  Orenze  yon  den  Niederlanden  bis  zum  Oberrhein  stehenden  Truppen 
der  Verbündeten  —  Engländer,  Preussen,  Sachsen,  Russen,  Österreicher  — 
setzten  sich  gegen  ihn  in  Bewegung;  am  8.  Juni  brach  er  mit  128000  Mann, 
darunter  die  alte  Kaisergarde,  von  I^aris  auf. 

iit>)  Schlacht  bei  Ligny  und  St.  Amand  la  llaye  nOrdiich  von  Fleurus 
am  l»i.  Juni. 

uu)  Am  22.  Juni  entsagte  Napoleon  zum  zweiten  Male  zu  Gunsten  seines 
Sohnes;  an  seine  Stelle  trat  nicht  eine  Kegentschaft,  wie  er  es  gewilnsefat 
hatte«  sondern  eine  RegierungskommisBion  von  5  Mi^liedem  mit  Fonohd  an 
der  Spitze. 

120)  Am  3.  wurde  zu  St.  Cloud  eine  Konyention  abgeschlossen,  der  zu- 
folge sich  die  französischen  Trni>pen  bis  hinter  die  Loire  zurttckzogen.  Am 
7.  besetzten  Blüclior  und  Wellington  Paris. 

121)  .Am  2S.  Juni  hatte  sich  Napoleon  nach  Hochefort  begeben,  um  nacb 
Amerika  zu  entkommen;  enirlische  Kriegsschiffe  hatten  aber  den  ITafen 
l»I(u  kiert.  Darauf  suchte  er  an  Hord  des  englischen  Linieiiseliitles  ,.Belle- 
r<>|'li(>ii"  Sehntz;  als  er  an  d<  i-  englischen  Küste  ankam,  erfuhr  er,  dass  er 
Staatsgefangener  sei;  am  31.  Juli  wiesen  ihm  die  Verbündeten  St.  Helena 
zum  Aufenthalt  an,  und  am  7.  August  segelte  er  dahin  ab. 

im)  Ney  hatte  Ludwig  XVIIL  erklärt,  er  werde  den  Usurpator  gefesselt 
nacb  Paris  bringen;  am  13.  Marz  ging  er  zu  Napoleon  ttber.  Nach  der 


Ans  den  Tagebtkoh«m  dM  ■tten  Heim. 


141 


Rflekkehr  der  Bourbonen  wurde  er,  der  sich  noch  in  Frankreich  aufhielt, 
obgleich  ihm  Talleyrand  und  Fouchö  PSsBe  nach  der  Schweiz  gegeben  hatten, 

verhaftet  und  von  der  Pairskammer  zum  Tode  verortheilt,  trotzdem  nach 
der  Konvention  von  St.  Cloud  niemand  wegen  seiner  [)olitischen  irandluiigen 
und  Gesinnung'en  verAtlp^t  werden  sollte.  Wpllin^rton  wurde  von  seinen 
eigenen  Laiiflsleuten  bestürmt,  gegen  diesig  icchlswidrif^e  Verfahren  aufzu- 
treten, that  es  aber  nicht.    Am  7.  Dezember  wurde  der  iMarschall  an  der  , 

,  Oartenmaner  des  Loxemboorg  erscboääen;    er  selbst  gab  das  tödtlicbe 

*  Kommando. 

ut)  Im  Jahre  1815  erschien  Schmaltz'  berüchtigte  Flugschrift:  „Berichti- 
gong  einer  Stelle  in  der  Bredow- Ventnrinisehen  Chronik  iUr  das  Jahr  1808. 
Ober  politische  Vereine  und  ein  Wort  Uber  Schamhorst  nnd  meine  Vei'hält- 
nisse  zu  ihnen",  die  eine  Dennnsiatlon  der  nach  seiner  Ansieht  in  Dentsch- 
land  noch  fortbestehenden  GeheimbUnde,  wie  des  Tugendbandes  nnd  tthn- 
licher,  von  Schmaltz  revolutionärer  und  unmoralischer  Tendenzen  angeklagten, 
enthielt.  Die  Schrift  entfesselte  einen  stürmischen  Federkrieg;  Sclileicnnacher, 
Niebnhr,  Koppe.  Krug,  Rühs  u.  a.  traten  gegen  Schmaltz  auf  Der  Streit  wur<l<> 
so  heftig,  (iass  durch  eine  K^)niglif'iie  Verordnung  vom  (>.  Januar  lölü  jede 
Polemik  und  Jede  weitere  Publikation  über  Gehcimbiinde  verboten  werden 
muBste. 

n*)  Der  Kuhm  des  weiblichen  ünterofHziers  drang  um  die  ganze  Erde; 
Chamisao  fand  anf  der  Weltreise  des  Rariek  in  einer  spanischen  Zeitung  aus 
Mexiko  In  San  Fraiisisco  1816  eine  lange  Biographie  Ton  ihr  vor.  Sie  hiess 
flbrigens  nicht  Angnste,  sondern  Johanna.  (Chamisso,  Werke,  Gottasche  Ans* 
gäbe  m.  p.  1S8.) 

im)  Philipp  Wilhelm  Jacobi  -KIQss,  bUrgerUeher  Abstammung,  stand 
seit  1766  im  diplomatischen  Dienste  Prenssens.    Er  vertrat .  Preussen  in 

Rastatt  1798/09  nnd  schloss  1807  den  Subsidienvertrag  mit  England  ab.  Von 
1792  bis  1816  war  er  mit  Unterbrechungen  Gesandter  in  London.  Geboren 
1745,  starb  er  1817  in  Dresden.  —  Ein  Spottbild  ans  dieser  Zeit  fügt  Na- 
poleon eine  unförmliche  Korpulenz  zu. 

la«)  „Unter  der  Burg  bauete  er  ein  Spielhtm.s,  und  verordnete,  dass  sich 
die  stärksten  jungen  ricsellen  darin  üben  mussten.  Und  das  heidnische 
Wesen  nahm  also  überhand,  dass  die  Priester  des  Opfers  nocli  des  Tcini)el.s 
niclit  mehr  achteten,  sondern  liefen  in  das  Spielhaus  und  sahen,  wie  man 
den  Ball  schlug,  und  andere  Spiele  trieb,  und  Hessen  also  iljrer  Väter 
Sitten  fahren,  und  hielten  die  heldntaehen  für  küstlich.*  —  Der  erste 
Angriff  gegen  die  Tnmerei,  die  allerdings  in  Jahns  Urteutonenthum, 
der  Verachtung  alles  Ästhetischen,  der  ttbermAssigen  DeutschtbOmelei  und 
alles  übersteigenden  Grobheit  grosse  Schattenseiten  hatte,  im  Übrigen  aber 
bei  Hardenberg  und  Altensteiu  in  Ansehen  stand,  ging  von  Steffens  in  Breslau 
in  seinem  Buche:  ,,Die  gegenwiirtige  Zeit  und  wie  sie  geworden"  (1817)  aus. 
StelTf'iis  gOf<H  aber  das  Kind  mit  dem  Bade  aus;  er  verkannte  den  ^utcn 
Kern  der  Saciie.  Es  begann  d<T  Brcslauer  'l'urnstreit;  Berliner  iJeniiii^^o^'-en- 
riecher,  Wadzck,  Scheerer,  Colin  witterten  Gefahren.  Jahn  und  seine  1  unu  r 
sdiimpften  wahriiaft  tentouiscb  Uber  „dieäu  viclküpligo  Otter,  dies  Gezücht, 


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142 


Georg  8i«g«ritt. 


das  sich  mit  Recht  Schriftsteller  nennt,  weil  es  wirklich  Anderer  Schriften 
nachstellt."  Der  Streit  wurde  immer  wilder  und  der  König,  dem  das  ahg^e- 
schmaekte  und  roho  äussere  Treiben,  womit  Jalin  den  tüchtigen  Korn  der 
Sache  wuiiderlich  verhüllt  liattf,  olmohiii  schon  vcrbasst  war,  wurde  immer 
unwilliger.  .So  bcdurltc  es  nur  des  Anstosses  der  Demagogenverfolgung  von 
1819,  nm  aueh  über  die  Turnerei  den  Stab  zu  brechen,  (cf.  Treitschke, 
.    Deutsche  Geschichte  im  19.  Juhrhdt.  IL  385  ff.) 

ist)  Gnstav  Parthey  schreibt»  abweichend  von  der  allgemehien  Ver* 
^rung,  die  der  »HHrtyrer*  Sand  genoss,  ttber  die  That:  „Welch*  eine  heil* 
lose  BegiifibTerwirmng  musste  in  den  KOpfen  der  Jenenser  Borsehenschafter 
herrschen,  dass  sie  sieh  einbilden  konnten,  dnreh  eine  solche  Blatthat,  an 
dem  a11orob(<rflSchlichsten  Skribenten  vollbracht,  auch  nur  das  ÄllAmlndeste 
znni  Wohle  oder  zur  Einigung  Deutschlands  beizutragen!  (Erinnerungen  II, 
2^9.)  Sands  Mutter  hatte  von  Kindlicit  an  in  ihm  die  Untugend  der  Selbst- 
gercclitigkeit  genährt;  als  Student  iheilte  sich  in  seinem  kranken  Hirn  die 
Welt  in  zwei  Lae:er:  hier  die  reinen,  freien,  keuschen  Hurschen,  dort  die 
Unterdrücker  mit  iliren  Schergen.  Luden  und  Folien  in  Jena  haben  viel  an 
Ihm  gesündigt;  hier  erfUhr  er,  dass  der  Mord  eines  Vatolandsyerrlthers 
Tcrdienstlich  sei.  In  Jena  schreibt  er  schon  am  5.  Mai  1818:  „Wenn  ich 
sinne,  so  denke  ich  oft,  es  sollte  doch  einer  mathig  über  sich  nehmen,  dem 
Kotzebne,  oder  sonst  einem  Landesvenüther  das  Schwert  ins  OekrOse  zn 
stossen.*'  Selten  ist  ein  Mord  planmiissiger  vorbereitet  and  ausgcfUbrt  worden 
als  dieser.  Die  Folgen  waren  bekanntlich  gerade  den  erwarteten  entgegen- 
gesetzt: die  Karlsbader  Beschlüsse,  die  Einsetzung  der  iMinisterinl  Kommission 
zur  Leitung  der  Untersuchungen  gegen  die  Demagogen  in  l'reusscn,  die 
Karriere  des  Herrn  von  Kamptz.  Am  20.  Mai  wurde  Sand  in  Mannheim  mit 
dem  Schwerte  hingerichtet.  Tarthey,  der  damals  in  Heidelberg  studierte, 
war  ein  Augenzeuge  und  hat  nns  eine  genaue  Beschreibang  der  EQnrichtong 
hinterlassen.  (Erinnerungen  II.  359  f.) 

i9s)  Kamptz,  „der  Fanatiker  der  Angst'S  wie  ihn  Treitschke  nennt,  der 
schon  ein  warmer  Lobredner  der  bekannten  Sehmaltzschen  Schrift  gewesen 
war,  hatte  dadurch  den  Hass  der  Burschenschafter  auf  sich  geladen,  die 
seinen  ,, Codex  der  Oendarnierie''  auf  dem  Wartburgfest  mit  verbrannten. 
Jetzt  wurde  er  der  rüeksicliisloseste  Verfolger  alles  Demagogenthums :  Arndt, 
Görres.  Jahn,  von  Mühlcnfels  Welker,  sell)st  Schleiermacher  und  de  Wette 
kamen  nüt  <ler  Polizei  in  Konflikt.  Der  unglückselige  neuerweckte  Begrift 
fand  die  vagcsten  Auslegungen.  Ein  Berliner  Referendar,  der  als  Unter- 
suchungsrichter fungierte,  entgegnete  auf  die  Frage  eines  schweizerischen 
Studenten,  er  wisse  nicht  recht,  was  man  in  Berlin  unter  demagogisch  ver- 
stehe: „demagogisch  heisst  jedes  gewaltsame  Streben  nach  einer  Verfassung"! 
(Ein  Konflikt  mit  der  Berliner  Polizei  im  .Tahrc  1M19  in  „Im  neuen  Reich" 
1876.  L  p.  In  der  nachdrücklichsten  Weise  benutzte  Kamptz  die  Presse, 

um  vor  den  Gefahren  zu  warnen,  die  <'s  zu  beklimi)fen  gelte.  Das  Urtheil 
Heims  i>t  recht  bczeielmend  dalui",  wie  veikelirt  die  Angstmeierei  vor  der 
Gefilhrliehkeit  der  so;^'^enannten  ..Demagogen"  war. 

li'i)  Der  Justizminister  Beyme  konnte  nie  vergessen,  dass  er  Kabinetts- 
rath gewesen  war;  daher  wurde  die  alte  Diflerenz  zwischen  ihm  und  Uarden- 


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Ans  den  Tagebüchern  do8  alten  Heini. 


143 


berg,  der  sieh  als  Ministci-präsldent  Itestrebte,  die  einzelnen  Ressorts  scharf 
auseinander  sa  halten,  auoti  nicht  abgeschwlcht,  nnd  er  ging  in  ofltene  Oppo- 
Bition  gegen  ihn  Uber,  als  Wilhelm  v.  Homboldt,  erst  seit  dem  11.  Januar 
Minister  des  Innern,  nach  der  Vcröffentlicliung:  der  Karlsbader  BescblUsse 
diese  in  einer  Denkschrift  angriff;  er  erblickte  in  ilinen  eine  Gefilhrdung  der 
Selbst.'lndigkeit  Preusaens,  da  der  Bundestaf,'  durch  sie  dns  Ixecht  erlange, 
sicli  in  die  inneren  i\jigelegenheiten  des  Staates  ein7Auuischen.  Neben 
Beyme  unterstützte  General  von  Hoven  Knmboldt;  er  fühlte  sieh  in  seiner 
geradsinnigen  Soldatennatur  durch  die  Demagogenriecherei  angeekelt  und 
forderte  wegen  der  Angrilfe  auf  die'  Landwehr,  seme  Schöpfung,  die  als 
Volksheer  den  ängstlichen  Leuten  in  der  Umgebung  des  Königs  gefährlich 
erschien,  seinen  Abschied.  Ihm  sebloss  sich  Karl  von  Grolmann  an,  der 
geniale  Chef  des  Oeneralstabes;  „die  traurigen  Jahre,  die  er  seit  1815  er- 
lebt", bewogen  ihn  dazu.  Boyen  forderte  seine  Entlassung  am  13.,  Grohnan 
am  17.  Dezember.  Äletternieh  bepMlsste  ,, diesen  neuen  Triumph  der  guten 
Sache"  mit  iinverliolencr  t'reude.  Die  Nachfolger  der  entlassenen  Minister 
waren  Schuckniann  für  Inneres.  Kircheisen  Hir  Justiz.  Bcynie  schied  ^mit 
zerrissenem  Herzen",  Huniboidt  „mit  dem  Bewusstüein,  immer  nur  des 
KlInigB  und  des  Staates  Wohl  vor  Augen  gehabt  zu  haben".  Auch 
Humboldt  ▼ensichtete  auf  Pension.  Boyens  Nachfolger  wurde  der  General 
Karl  von  Hake,  unter  dessen  Leitung  die  nothwendige  Nenformation  der 
Landwehr  als  Bestandtheil  des  stehenden  Heeres,  nicht  als  Miliz  durchge> 
führt  wnrde. 

im)  «Itfan  wunderte  sich  allgemein,  dass  der  starke  wohlbeleibte  Mann, 
der  geistige  Getrftnke  ttber  alles  liebte,  sieh  nach  Leipzig  in  die  Kur  des 

Dr.  Hahnomann  begelu  i^,  dessen  homiföpatbische  TIeilmethode  in  diätetischer 
Hinsicht  auf  gUnzlich(;  Enthaltung  von  allen  Spirituosen  etc.  basiert  war. 
Der  Fürst  zog  die  NotabilitUtcn  der  Leipziger  Universit.'it  oft  zur  Tafel  .  .  . 
Da  bemerkte  eines  Ta<^<'S  der  berühmtr  Diilolo;;-  GfUttVied  Ilerrmann,  dem 
der  Bediente  aus  Vi  rsthen  aus  des  Fürsten  Flaaiehe  (.•ingcschcnkt,  dass  dies 
Getränk  reiner  Arrak  oder  Kum  sei.  Es  war  vorauszusehen,  dass  auf  einen 
an  solche  Kost  gewohnten  Körper  die  Homöopathie  keinen  sonderlichen  Ein- 
fluss  üben  werde.*  (Parthey,  Jugenderinnemngcn  IL  p.  406.) 

131)  Napoleon  starb  bekanntlich  am  5.  Mai.  Ein  heftiger  Orkan  brauste 
am  4.  und  5.  Mai  ilber  St  Helena  dahhi,  dessen  Eindruck  auf  den  englischen 
Gouverneur  so  mächtig  war,  dass  er  schrieb:  ^Au  milien  des  Aurenrs  et  des 
hurlements  de  la  tempdte,  on  eüt  dit  que  l'esprit  des  orages,  port6  sur  les 

ailes  du  V.  tit,  coarait  apprendre  au  monde  qu'un  6tre  puissant  vcnait  des- 
cendre  dans  les  sombres  abimes  de  la  nature  mortc."  Der  Kaiser  hauchte 
Nachmittags  5  Uhr  49  Minuten  mit  den  Worten  ,,Tete  .  .  .  Armee  .  .  .  Mon 
Dieu!'^  seinen  Geist  aus.  Am  15.  Dezember  Ib-iO  wurde  sein  Leichnam  im 
Invalidendom  bcig-esctzt. 

132)  Dureh  Edikt  vom       November  IMG  un<l  vom   7,  Septeuiher  l'^ll 
war  der  Ge\vci)»ehf t i-ioh  von  der  Zugchürlf:!:keit  zu  einer  Zunl't  od<M'  Innung 
unabhängig  gemaclii  wonlen.  —  i)hcT  den  Stand  der  Getreidepreise  ver- 
gleiche man  folgende  Notierungen  der  Vossischen  Zeitung: 


i^iijM^cj  L,y  Google 


144 


<3«ng  8i«Btfii8t 


14.  MO»  1822: 

Weizen    1  Thlr.  25  Sgr.   —     1  Thlr.  12'/,  8gr. 
Gerate  —    „22„—    —  ,16 
Roggen  1    ,    -  „     —  —    „    26V«  ,» 

♦i.  November  1880: 
Weizen  3  Thlr.   5  Sgr.   —   2  Thlr.  10  Sgr. 
Gente  1    tt     ß-n     —  1«  lt> 
Boggsn  l»a6„—  l^aOtt 

133)  »Die  Deutschen  wollen  lieben,  wenn  sie  ehren  sollen;  .  .  .  doch  sie 
wollen  auch  achten,  wenn  sie  lieben  sollen;  und  weil  der  weiche,  leichtlebige 
Jün^'iing  im  Greisenhaar  80  wenig  Achtimg  erzwing-t,  darum  wird  sich  die 
Liebe  der  Deutschen,  wenn  sie  der  Befreiungskriege  gedenkmi,  immer  den 
Helden  des  Willens,  den  Stein  and  Sehamhorst,  BIflcher  und  Oneisenan  ro- 
wenden  und  Hardenbergs  elgenthflmliclie  Grttase  alieseit  nnr  einem  kleine 
Kreise  politischer  Köpfe  ganz  yerständlich  bleiben.  Das  Gewissen  des  Volkes 
empfindet,  dass  der  Charakter,  nicht  das  Talent  die  Geschicke  der  Staaten 
bestimmt."   (Trcitschke  III.  p.  253.) 

13*)  General  Georg  von  Wahlen- Jürgass  war  1806  Major  bei  den 
Gensd'armcs  und  schlug  sich,  als  das  Regiment  am  27.  Oktober  bei  Wich- 
mannsdorf in  der  Uekernuirk,  nur  noch  3.50  Pferde  stark,  gelangen  genommen 
wurde,  mit  noch  einigen  üllizieren,  4-4  Mann  und  einer  Standarte  durch. 
1813  zeichnete  er  sich  als  Kommandeur  einer  Kavalleriebrigadc  in  der 
schlesischen  Armee  bei  Haynan,  wo  er  drei  Karrees  Uber  den  Hänfen  ritt, 
an  der  Katzbaeh  and  bei  HOckem  aas.  Bei  Lacbaoss^  am  3.  Febroar  1814 
warfen  er  nnd  Katzeier  Hacdonalds  Kavallerie.  Infolge  einer  sdiwerenVer- 
wondong  bei  Ligny  nahm  er  1816  den  Abschied. 

1S5)  Die  grosse  Demagogenuntersaebong  YOn  1819  drohte  ailmlUilidi  im 

Sande  zu  verlaufen,  da  entdeckte  Kaniptz  eine  neac  Art  von  Verschwörnnp:, 
den  Jün^'^üngsbuud,  zu  dem  wieder  Folien  aus  Jena,  der  jetzt  in  der  Schweiz 
lebte,  Anlas.s  gcf^'cben  hatte.  Der  l^uiid  bezweckte  »Umsturz  des  Bestehenden 
und  Begründung  <ler  Kinlieit  Deutschlands  unter  einer  gewühlten  Volks- 
vertretung". Mit  allem  Brimbdrium  geheimer  Verbindungen  umgaben  sich 
die  jungen  Verschwörer;  ein  gewisser  von  Sprewitz  bereiste  seit  dem  Sommer 
1821  die  deatsehen  Universitäten,  am  in  zehn  Kreisen  nach  Art  der  sehn 
Kreise  des  alten  Reichs  den  Jttnglingsbnnd  in  Deatsdiland  in  Seene  sa 
setzen.  Gegen  150  Jnnge  Lente  schlössen  sich  an,  daranter  man<)he  naeh- 
mals  klangvolle  Namen:  Baader,  ein  Sohn  Anselm  Feuerbachs,  Arnold  Rüge, 
Karl  Hase.  Das  Tollste  an  der  Sache  war,  dass  Folien  und  seine  Anhänger 
in  der  Scliweiz  sehr  bald  sieh  in  Sicherheit  brachten  und  den  Bund  im  Stielie 
Hessen,  dessen  Mitglieder  nun  erwo^t-n,  oh  der  Hund  ins  Leben  getreten  sei 
oder  nicht.  Diese  Zweifel  an  .seinem  Bestehen  iiinderten  indessen  Kamptz  nicht, 
sich  mit  Feuereifer  auf  seine  Entdecktuig  zustürzen;  die  kleinen  Höfe  geriethen 
dareh  seuie  erschreeklichen  Berichte  in  solche  Angst,  dass  sie  ^eh  sogar  ihrer 
Xngstlich  gewahrten  SoaverSnitlltsreehte  in  diesem  Falle  begaben  nnd  ihre  Dema- 
gogen nach  Köpenick  „aosliehen",  dessen  Schloss  Demagogenkerker  geworden 
war.  Am  25.  Mttrz  1 826  erfolgte  das  Urtbeil  des  Oberlandesgerichts  la  Breslau  fiber 


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Aas  den  Tagebüchern  des  alten  Heim. 


145 


einen  Theil  der  „Hochverräther" :  von  28  Inculpaten  wurden  die  meisten  mit 
10-  bis  15jtthrigeiii  FeBtungsarrest  bestraft;  nur  einem  wurde  »wegen  miter- 
lassener  Anzeige  der  Wissensehaft  von  dem  Versncbe  der  Stiftnng  einer  ge- 
setslieh  verbotenen  Verbindung«  die  erlittene  Untersnebungsbaft  als  Strafe 

angerechnet.  Erst  1829  wurde  die  Untersuchung  eingestellt,  weil  man  immer 
noch  nicht  wisse,  ob  der  gebeinmissvoUe  MSnnerbund  je  bestanden  habe, 
(cf.  Treitschke  III.  439  ff.) 

136)  Der  Zar  Alexander  I.  starb  am  1 .  Dezember  1H25  pltitzlich  an  einem 
Fifbor  aut  einer  Reise  nach  der  Krim  zu  Taganroo^  Heims  Vermuthunfi:,  er 
sei  kt  in«  s  natürlichen  Todes  gestorben,  ist  bezeichnend  für  die  damaligen 
Zustände  im  Zarenreiche.  Mehrere  Wochen  entbehrte  Russland  des  Herrschers, 
da  keiner  der  Brttder  des  kinderlos  verstorbenen  Kaisers  den  Thron  be- 
steigen wollte.  Der  älteste,  Konstantin,  huldigte  in  Warsehau  Nikolaus, 
dieser  in  Fetersbuig  Konstantin;  der  vierte  Grossfttrst,  Miehael,  suchte  zu 
vermitteln.  Erst  naeh  drd  Wochen,  am  84.  Dezember  verkttudete  Nikolaus 
seine  Thronbesteigung.  Unmittelbar  darauf,  am  26.  Dezember,  brach  der 
Dekabristen-Anfstand  los,  dessen  Führer  Pestcl,  Murnwjew.  Fürst  Trubctzkoi, 
Turgenjew  einen  politischen  (ieheimbund  zur  Herbeiführung  staatlicher  Ke- 
formen  —  Konstitution  und  l\'f'puhlik  —  begründet  hatten.  Die  Verschworenen 
brachten  es  dabin,  dass  ein  Tlieü  der  Truppen  dem  neuen  Zaren,  der  wegen 
seiner  miiitäriscben  Strenge  wenig  beliebt  war,  den  Gehorsam  versagte.  Der 
Aufttand,  dem  die  Ftthrer  im  entseheidenden  Augenblicke  fehlten,  wurde 
durch  die  treu  gebliebenen  Truppen  blutig  niedergeworfen. 

M7)  Wellington  ging  als  engliseh«*  Vntreter  zur  Krttnung  des  Zaren 
Nikolaus  L  nach  Russland.  Am  16.  Februar  war  er  in  Berlin  eingetroifen. 
Vom  Volke  wurde  er  bei  der  ihm  zu  Ehren  abgehaltenen  Parade  mit  lautem 
Hurrab  begrOsst;  aucli  in  der  Oper  war  der  Empfang  laut.  Er  zeidmete 
sich  übrigens  dadurch  aus,  dass  er  liberall  zu  spät  kam.  Heims  Urtheil  über 
sein  ungünstiges  Ans<5ehen  wird  von  der  Giüfin  Elise  Bernstorff  bestätigt. 
(Gräfin  Benistorö,  Erinnerungen  II.  p.  fiu.) 

138)  Philipp  von  Ladenb<>rg  stand  als  Direktor  an  der  Spitze  der  am 
.3.  November  1817  eingerichteten  fiencralkontrole  der  Finanzen,  die  <\cn 
preussischen  Finanzministern  —  Graf  Hüiow  und  Klowitz  —  viel  zu  schatlcu 
machte.  1823  wurde  Ladenberg  Chefpräsideut  der  (>l)errcclinungskamnier, 
1825  Geh.  Rath  mit  dem  Titel  Exeellenz  und  selbstUndiger  Leiter  der 
Generalkontrole,  die  am  29.  Hai  1826  aufgehoben  wurde.  Die  Aufhebung 
erfolgte  auf  einen  Bericht  des  am  1.  Juli  1825  ernannten  Finanzministers 
von  Motz,  den  dieser  im  November  1825  einreichte.  Als  eifriger  Acdse- 
mann  war  Ladenberg  nicht  beliebt. 

in)  Sethe,  GbeQ>rasident  des  rheinischen  Bevisionshofes  in  Berlin,  war 
seit  1803  Mitglied  der  preussischen  Regierung  in  Münster.  Während  der 
französischen  Zwingherrschaft  leistete  er  als  f  Jeneralprokurator  beim  Appell- 
hofe des  Grossherzogthums  Ik'rg  in  Düsseldorf  den  t'fbergriften  der  französi- 
schen Beamten  so  mannhaften  Widerstand,  dass  v.r  Napoleon  als  der  p-nihr- 
Hchste  Mann  im  Grossherzogthum  Berg  geschildert  und,  um  ihn  iu  der  Zeit 
der  £rbebaug  vom  Bhein  zu  entfernen,  unter  dem  Verwände,  sieb  zu  ver- 
Ai^  10 


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146 


Georg  äiegerist. 


antworten,  nach  l'ari.s  gerufen  wurde  Als  er  dfin  Kaist-r  vorbestellt  wenlen 
sollte,  crklärto  diosor:  „Jo  ne  voux  |tas  voir  l  avocat  du  Kliin."  Auf  die 
Drohuiig^  des  Miniäters  Uöik-rcr,  der  Kaiser  könne  ihn  erschiessen  lassen, 
entgegnete  Sethe,  auf  den  code  Napoleon  hinzeigend:  „Alors  U  fant  anpara- 
▼ant  fiisiller  la  loi."  1815  erhielt  er  den  Auftrag  zur  Organisation  der  Justiz 
in  den  prenssisch  gewordenen  Rheinprovinzen,  1819  wnrde  er  nach  Berlin 
berufen.  Ein  Brachetück  ans  seinen  Aufzeichnungen  ans  der  Miinsterschen 
Zeit  hat  fJnstav  Preytag  fUr  würdig  gefunden,  es  in  seine  Bilder  aus  der 
deutschen  Vergangenheit  (letzter  Band)  aufzunehmen. 

un)  X.tch  achtzehnjiüiriger  Abwesenheit  kam  Stein,  seit  1S2G  Marsehall 
des  wcstpiiähsthen  Landtages,  im  Frühjahr  wieder  nach  Berlin,  wo  er 

in  den  Staatsrath  uufgenouinien  wurde,  aber  nur  einer  Sitzung  lieiwohnte. 

ui)  Das  dachten  noch  andere.  Schön  schrieb:  „Aus  allem,  was.  über 
K.  seit  1813  zu  meiner  Kenntniss  gekommen,  hatte  ich  mir  ein  so  schwarzes 
Bild  von  ihm  gemacht,  dass  ich  jedes  Zusammentrefifen  mit  ihm  ycrmied  und, 
wo  es  unvenneidlich  war,  zurUckstossend  gegen  ihn  auftrat  .  .  .  Um  in 
dieser  Sache  («ler  Demagogenverfolgung)  klar  zu  sehen,  Hess  ich  K.  reden 
und  es  ergab  sich,  dass  er  nur  ein  Werkzeug  einer  Parthei  gewesen,  welche 
aus  mecklenburgischen  und  miirkischen  Ultra-Aristokraten  V)est;inde  .  .  .  . 
Diese  Par!!iei  bildete  eine  Kamarilla,  welche  d«-n  König  gefi'en  das  Volk  in 
Bes(>ri;niss  iM  liielt.  .  .  .  Kr  war  ein  (Jetass,  ans  wi'lelicm  zwar  der  durch 
Abstammung  darin  vorhandene  Unruth  ausgeschüUet  war,  .  .  .  welches  Jeden, 
der  Ansehen  und  Macht  Uber  ihn  hatte,  nach  Gefallen  benutzen  konnte.  . 
Noch  deutlicher  war  Vamhagen  von  Ense,  wenn  er  Kamptz  „ein  Gewebe 
von  oifenbar  Falschem,  Entstelltem,  Albernem  und  Ungeschicktem"  nennt. 
Stein  bezeichnet  ihn  als  den  „wahren  PIiilist<  r". 

Ui)  General  Graf  Nostiz,  der  Retter  Blüchers  bei  Ligny,  wohnte  auf 
Wunsch  des  Zaren  Nikolaus,  der  ilm  hei  seiner  Krfinung  Is-.Mi.  wo  X(»stiz  als 
Bci^h'iter  des  l*rin/.<Mi  Karl  ziif^e^cn  war,  kiMinen  ;:relf^rnt  liattc.  dem  Feld- 
zuge dl  >  Jahres  i  N  js  gegen  die  Türken  iui  kaiserlichen  Hauptquartier  als 
preussischer  Miliüirbevolhnäehtigter  bei. 

i4s)  Schon  seit  Jahren  hatte  Frankreich  unter  den  Ül)ergi  itlcn  der  Dcis 
von  Algier,  Ali  Kodscha  und  dessen  Nachfolger  Üussein  Pascha  zu  leiden 
gehabt;  an  einem  nachdrücklichen  Anfügten  wurde  es  durah  die  Eifersucht  der 
SeemAchte  gehindert.  Das  Recht  der  Korallenfischerei  und  einer  Handels* 
niederlassimp:  an  der  Algerischen  Küste  musste  es  mit  einem  Geldgeschenke, 
das  schliesslich  den  Charakter  eines  Tributs  annahm,  erkaufen.  Als  endlieh 
an  einem  Feste  der  Dei  den  rranz<tsisehen  Konsul  <>inem  amtliclKMi  B»-- 
suehe  mit  einem  Fliegciiweilcl  ins  Gesicht  ^5ehlng  und  nach  dessen  soforligei- 
Abreise  die  französischen  Forts  zu  B(jna  schieilen  liess  und  alle  Franzosen 
zu  Sklaven  machte,  entschloss  sich  die  französische  Regierung  zu  energischerem 
Vorgeben.  Aber  erst  am  13.  und  14.  Juni  1830  landete  der  Admiral  Duperrä 
mit  eüier  Flotte  von  107  Kriegsschiffen  fünf  Stunden  westlich  Algier;  die 
Landtmppen  befehligte  der  Kriegsminister  Marschall  Bourmont.  Am  4.  Juli 
Mrurde  das  von  1500  Janitscharcn  vertheidigte  Kaiserschloss  erobert,  am  5. 
zogen  die  Franzosen  in  die  Stadt  ein.  Dem  Dei  war  Leben  und  Privatbesitz 
für  sich  und  seine  Familie  gesichert  worden. 


Aas  den  Tagebfldieni  de«  alten  Heim. 


147 


14«)  Die  firanzösiBcfae  Jnlirevolntton  fand  in  den  vereinigten  Nieder- 
landen, wo  seit  der  Thron ix  steignng  Kni-ls  X.>  in  Franicreich  ebenfalls  der 

KlerikalisniRs  m.Mchtiß^  sein  Haupt  erhoben  hatte,  sofort  Nachahmung";  am 
25.  August  brach  ein  Aufstand  in  Brüssel  los,  der  zur  Gründunrif  des  König- 
reichs Belgien  führte.  Am  M.Juli  ls3l  hielt  Leopold  I.  von  Saelisen-Cfdiurg 
seinen  Einzug  in  Brüssel,  fltor  die  Aachener  Unruhen  brachten  <lie  politisch 
sehr  knapp  gehaltenen  Berliner  Zeitungen  höchst  dürftige  Berichte:  Danach 
waren  dort  am  30.  Aogost  Arbeiteronrahen  ausgebrochen,  die  durch  die 
Bflrgerweiir  gedämpft  wurden.  Behr  elegisch  sclirieb  der  Bürgermeister  der 
Nachbarstadt  Burtscheid:  „Auch  unser  harmloses  Burtscheid  musste  zum 
Kampfe  sich  rüsten.  Das  Casino  wurde  zur  Kaserne.  Trauernd  blicken  wii- 
auf  unsere  Xachbarstadt  nieder.  Schreckliche  Gerüchte  verbreiteten  sich. 
Die  Wolke  der  Z<  rstr>rung  flog  vorüber;  aber  die  Ordnung  und  der  Gcniein- 
sinn  meiner  oillcn  Mitbürger  sind  nicht  genug  zu  rühmen.  Mein  h(>r/.lit'her 
Dank  begleitete  sie  zum  friedliehen  Herde  zurück."  Am  4.  Septeml)er  rückte 
General  v.  Pfuel  mit  einer  starken  Garnison  in  Aachen  ein. 

Mi)  Am  29.  November  1830  war  die  grosse  polnische  Revolution  aus- 
gebrochen» am  4.  Dezember  hatte  Grossitüst  Konstantin  das  Land  verlassen» 
am  25.  Januar  1831  der  polnische  Reichstag  die  Absetzung  Nikolaus  1.  in  Polen 
ausgesprochen.  Unmittelbar  darauf  erfolgte  der  Einmarsch  der  russischen 
Heere  und  Gefecht  auf  Gefecht  mit  wechselndem  Kriegsglück:  am  2(>.  Mai 
siegte  Diebitsch  bei  Östrolenka.  am  7.  September  zog  Paskiewitsch  (I)iebitsch 
war  an  der  Cholera  gestorben,  ebenso  Oneisenau,  der  die  an  der  (-renze  auf- 
gestellte preussische  Armee  liefehligte)  in  ^Varschau  ein  Diirdi  das  „Orga- 
nische Statut"  vom  2i'>.  heliruar  1<S3:J  wurcle  P(dcn  russisclie  Provinz. 

ue)  Kamptz  wurde  an  diesem  Tage  jfiim  .histizminister  ernannt.  Am 
124.  Mflrz  1840  konnte  er  sein  50  Jähriges  Dienstjubililum  feiern,  wobei  er  den 
Schwarzen  Adlerorden  erhielt.  1842  wurde  er  mit  Beibehalt  seines  Sitzes  im 
Staatsrath  und  8000  Thlr.  Pension  in  den  Ruhestand  versetzt.  Am  3.  November . 
1849  starb  er,  80  Jahre  alt.  Wie  wir  schon  aus  (h  in  Urtheile  SchOns  gesehen 
haben,  war  er  eifrig  bemüht,  das  ihm  vf>n  der  Drinagog^verfolgung  her 
anhaftende  Odium  abzustreifen  un<l  grilVtlal)ei  zu  den  deni'in^trntivsten  Mitteln. 
Als  er  dem  damaligen  Privatdozenten  .Jacob  Heule,  d<'ui  l'icundc  Johannes 
Müllers,  tb  r  1^3')  wegen  Burseliensehaftei'ci  mehrere  Wociien  in  der  Hans 
Voigtei  eingesperrt  gewesen  war,  nach  dessen  Entlassung  eines  Tages  unter 
den  Linden  begegnete  —  Uenle  war  natürlich  damals  einer  der  populärsten 
Leute  in  Bwlin  — ,  ging  er  lAnger  als  eine  Stunde  dort  mit  ihm  auf  und  ab, 
wobei  er  nicht  genug  erzählen  konnte,  wie  sehr  er  von  der  Unschuld  der 
armen  Burschenschafter  Überzeugt  sei;  „es  muss  sidi  komisch  ausgenommen 
haben,  den  wildcü  Demagogen  und  den  grausamen  Demagogenfänger  so  ein- 
trUchtig  nebeneinander,  wie  Wolf  und  Lamm  spazieren  zu  sehen",  schreibt 
Ilenle.  1818  sah  man  ihn  in  Berlin  mit  clcr  schwarz-roth-goldenen  Kokarde. 
(F.  Lewald  in  den  Erhinerungen  aus  dem  Jahre  1848.  Bd.  II.) 

n7)  Schon  is:n  hatten  in  Lyon  Unrulien  stattgefunden;  1831  entwickelte 
sich  aus  einem  Ausstaude  der  Seidenwirker  unter  iler  Führung  von  Albert 
und  Lagrange  ein  politischer  Aufetand,  der  diesmal  gctUhrlich  zu  werden 
drohte.  Die  Trappen,  die  am  9.  April  von  aussen  angriffen,  stiessen  auf 

XO» 


148 


060Kg  8l606lifki 


zShen  und  wohlorganisierten  Widerstand.  Die  Stadt  war  in  sechs  Operations- 
quartiere eingetheilt.  4  Tage  braucl\t  der  Gonoral  Ajmar,  um  mit  15000  Mann 
nebst  zahlreicher  Artillerie  des  Autstandes  3Ieister  zu  werden;  der  Kampf 
wurde  mit  grösster  Erlntterun;,^  j^efllhrt.  Der  Aufstand  hatte  zahlreiche  Kr- 
hebungen  in  anderen  btUdtcn,  in  St.  Ktieune,  Vienne,  Grenoble,  Ciermont, 
Avxeire,  Poitien,  Lunevilld  zur  Folge.  In  Paris  kam  es  am  14.  su  einem 
blntigen  Barrikadenkämpfe.  (HUlebrand,  Qesebtehte  Frankreichs  von  der 
Tbronbesteigong  Louis  Pliilipps  bis  ram  Falle  Napoleons  III.  I.  446  IT.) 


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^U8  den  Tagebacbero  des  Alten  Heim. 


149 


V. 

Vom  Hofe. 


1795. 

25.  Januar.  Auf  Befehl  des  Kronprinzen  habe  ich  gestern  das 
Lazareth  von  seinem  R^ment  visitiert,  nnd  heute  gab  ich  ihm  von 
meiner  Visitation  Bescheid,  welcher  zum  Vortbeil  seines  Regiments- 
chimrgQS,  des  General-Cbir.  Buchler,  aasfiel.  Der  Kronprinz  bat  mir 
besser  gefallen  als  ich  erwartete.*) 

26.  Februar.  Vormittags  dem  Kronprinzen  einen  Beriebt  von 
seinen  kranken  Soldaten  im  Lazareth  abgestattet,  and  mich  lange  mit 
ihm  nnterhalten. 

1796. 

21.  Februar.  Mittags  bei  Frau  Geh.  Rath  M  uz  eil  gespeist.  Gab 
mir  die  Frau  Landgräfin  von  Hessen -Kassel  —  einen  Kuss. 

30.  Dezember.  .  .  .  Zencker  war  hier,  der  vieles  vom  Tode  des 
Prinzen  Ludwig  sprach,  den  er  in  seiner  Krankheit  zu  beliandeln 
gehabt. 

1797. 

8.  Mai.  Zu  Bellüvuü  bei  Prinz  Ferdinand  gespeist.  Den  Prinzen 
Ferdinand  habe  ich  wegen  der  wenigen  Achtang,  die  man  ihm  von 
seiner  Familie  beweiset,  bedauert.*) 

31.  Mai.  Mit  dem  Obrist  v.  Zastrow  wegen  der  Kraukheit  des 
Königs  gesprochen . 

10.  September.  In  Potsdam  beim  Obrist  v.  Zastrow  gespeist. 
Frau  v.  Zastrow  erzählte  mir  vieles  von  dem  jetzigen  Zustand  des 
Königs,  der  allerdings  kläglich  genug  ist. 

5.  Oktober.  In  Belle vuo  von  der  Prinzessin  Ferdinand  die 
bittersten  Vorwürfe  bekommen,  dass  ich  gegen  den  Prinzen  August  als 
Arzt  nicht  scharf  genug  sei.  —  Iq  meiner  Gegenwart  sagte  die  Prin- 
zessin ihrtüii  :Si>hn  solche  harte  Sachen,  als  ich  nie  einem  meiner  Kiuden 
es  möge  gethau  haben,  was  es  wolle,  sagen  würde.') 


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1<50 


Geotg  Siogeilst 


Xovembor.  Heute  Nachmittag  1  Uhr  WordoD  wegen  Alisterbeo 
des  Königs  Fr.  Wilhelms  die  Thore  geschlossen.  Er  hat  als  ein 
Schwacher  gelebt  und  ist  auch  als  ein  solcher  gestorben. ') 

5.  Dezeml)er.  Älorgens  früh  auf  dem  Schloss  gewesen  mit  meinen 
Kindern,  und  das  castmm  doloris  dos  Königs  besehen.**) 

1 1 .  Morgens  um  4  Uhr  aufgestanden,  da  heute  das  grosse  Leichen- 
begängniss  des  verstorbenen  KTmigs  war.  Mir  hat  die  ganze  Cere- 
monie  sein-  gut  m'fallt'n,  ausser  dass  ich  es  widersinnig  fand,  dass 
Minister  die  Reichsinsi^niim  uiul  alte  abgelebte  Generale  den  Baldacliin 
tragen,  und  Obersten  die  I'ferde  führen  mu.ssten.  Wozu  sich  der  Mensch 
doch  gt'biaiuhen  lässt  und  es  sich  noch  dazu  zu  einer  Ehre  anrechnet! 
Ach!  die  elenden  .Menschen! 

15,  Aix'uds  im  OjMTnliaus«'  die  Musik  der  Trauerkantate  des  ver- 
storbenen Königs  mitaugehOrt,  die  mir  über  ganz  und  gar  nicht  ge- 
fallen hat 

1798. 

17.  Mai.  Wegen  der  Krankheit  des  Prinzen  August  habe  ich 
viele  ünaniu'hniliclikeiten,  da  der  i'rinz  vin  ungezogener  Pursche  ist  und 
seine  sonst  würdige  Frau  Mutter  eine  Afl'enliebe  für  ihn  hat. 

25.  Hat  mich  die  Prinzessin  Ferdinand  vor  Tische  wieder 
sehr  geärgert* 

6.  JnlL  Warde  dem  jetzigen  König  die  Huldigung  geleistet.  Mir 
hat  der  Anblick  so  vieler  Menschen  ein  grosses  Vergnügen  gemacht 
Um  6  des  Morgens  fanden  w  nns  im  Schlossgarten  ein,  und  nach 
12  Uhr  war  die  Huldigung  geendigt. 

12.  Hente  habe  ich  einen  Brief  an  die  Prinzessin  Ferdinand 
geschrieben,  und  selbige  nm  meinen  Abschied  als  Arzt  an  ihrem  Hofe 
gebeten.  Ich  kann  alle  die  kleinen  nnd  grossen  Kränkungen,  die  ich 
allbereits  an  diesem  Hofe  erlitten,  nicht  länger  aushalten.^ 

13.  Ans  dem  nachgesuchten  Gesuch,  den  Prinz  Ferdinand  sehen 
Hof  zu  verlassen,  wird  wohl  nichts  werden,  indem  sie  mir  einen  höf- 
lichen Brief  geschrieben  und  mich  durch  die  Gräfin  Schmettau  bat 
ersuchen  lassen,  doch  ihr  Arzt  zu  bleiben. 

10.  Nachmittags  in  Bellevue  gewesen,  wo  ich  von  der  Prinzessin 
Ferdinand  sehr  gnt  aufgenommen  wurde.  Ich  bleibe  nun  ihr  Arzt,  und 
ich  hoffe,  dass  sie  mir  jederzeit  höflich  begegnen  wird,  sonst  fordere 
ich  gleich  wieder  meinen  Abschied. 

.'U.  .August.  Vom  Prinzen  Fer<linand  einen  sehr  freundschaft- 
lichen Brief,  nebst  einem  Ohm  Rheinwein,  der  auf  der  Stelle  24  Stück 
Friedricbsd'or  gekostet  und  hier  1(H)  Rthlr.  Wi'vih  ist  nebst  einem 
silbernen  Besteck  von  1'2  Mrssern,  Gabeln  und  LoftVln  12U  IJtblr.  V2  Ogr. 
an  Werth  erhalten.  Dies  .lahr  bat  ps  der  Prinz  Ferdinandsche  Hof  gut 
mit  mir  gemeint,  ohnerachtet  ich  der  Prinzessin  Ferdinand  gar  keinen 


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Aas  den  Tigebflcliem  dea  alten  Heim. 


151 


höflichen  Brief  geschrieben  nnd  uro  meinen  Abschied  von  ihrem  Hof 
sehr  dringend  gebeten  habe. 

11.  November.  In  Bellevae  gewesen,  wo  ich  alle  hohen  Herr- 
schaften traf.  Gestern  hat  man  auf  Befehl  des  Königs  durch  3  Minister 
alle  Briefschaften  des  Prinzen  v.  Radziwill^*')  versiegeln'  lassen. 
Davon  wurde  nun  viel  mit  mir  gesprochen.  Prinz  v.  Radziwill  war 
ganz  gelassen  dabei.  Der  alten  Prinzessin  und  dem  Prinzen  Ferdinand 
gefiel  ein  solcher  Auftritt  nicht 

1799. 

25.  September.  Mittags  bei  Prinzessin  Ferdinand  gespeisi  Der 
Bruder  des  Prinzen,  Heinrich  ans  Rheinsberg^')  nebst  mohrcren 
Ministers,  Fürsten  Kadziwill  etc.,  waren  hier.  Der  Prinz  Heinrich  giebt 
sich  ein  erstaunliches  Anselien,  —  das  ins  lächerliche  geht,  —  nnd  heisst 
nach  alter  Gewohnheit  Jedermann  Er. 

i).  November.  Bei  Prinzessin  Ferdinand  in  Gesellschaft  des 
Prinzen  Heinrich  —  des  stolzen  £r-Herrn  —  gespeist 

1800. 

2:^.  Miirz.  Den  iüten  stolzen  Prinzen  Heinrich  beim  Prinzen 
Ferdinand  weitläuftig  gesprochen. 

1802. 

?).  Auglist.  Eben  bei  "Ifiii  Prinzen  Ferdinand  zu  Bellevno  ge- 
wesen, als  iliiM  der  Prinz  Louis*-)  in  Gegenwart  der  Prinzessin  und 
Stu be II  l  au eh  (Kmi  Tod  seines  Bruder  Heinrichs  bekannt  machte.  Der 
alte  Prinz  uutl  die  X'riuzessin  und  Prinz  Louiä  alle  weinten. 

1803. 

2.  Septeiulur.  Hat  mich  die  Prinzessin  Ferdinau«!  tüchtig  ans- 
gesclioUeii ,  wclelics  mir  gh'iclitjültin-  war.  —  Wenn  es  diese  Prinzessin 
zu  ari;  mit  mir  macht,  so  komme  ich  gar  nicht  mehr  zu  ihr.  ich  kann 
ihrer  si  hon  entbeliren. 

9.  In  BeUevue  gewesen,  wo  sich  Priozessöln  Ferdinand  äusserst 
artig  pei;eii  mich  betruüf. 

1.  (Oktober.  Von  mehreren  meiner  Patienten  Abschied  f^en  iiiimen, 
da  ich  mori^en  nach  Ludwiijshist  al)zureisen  i^edenke.  —  Die  (iross- 
fürstin,  Erbprin  Zessin  von  Schwerin,  i>t  nach  Au.ssagen  ihrer 
Arzte,  des  Boeckler  und  Brown,  an  (h'r  Schwindsucht  kraid<,  und  wird 
als  \erloren  angeselieu.  Da  sich  die  ISachrichtcn  von  ihrem  Befinden 
so  oft  andern,  so  wünsclit  die  Prinzessin  i'erdinand  als  Gros.stante 
von  der  Grossfürstin,  da.ss  ich  diese  doch  besuchen,  und  mein  Urtheil 
über  ihre  Krankheit  geben  möchte.  So  unangenehm  mir  dieser  Auftrag 


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152 


Oootg  8ltg«rltk. 


war,  80  konnte  ich  ihn  doch  nicht  von  mir  ablehnen,  besonders  da  der 
König  und  die  Königin  ein  gleiches  wünschten.'') 

{).  Gleich  nach  meiner  Ankunft  nach  Bellevue  gefahren,  und  mich 
mit  der  Prinzessin  iiiid  dem  Prinzen  Ferdinand  sehr  weitläuftig  unter- 
halten. Meinen  aus  Ludwigslust  an  ihr  iroschriebenen  Brief  hatte  die 
Prinzessin  an  den  König  geschickt  und  auch  dem  Kaiser  Yon  Rassland 
geschrieben,  dass  ich  die  Grossfürstin  hätte  lipsuchen  wollen,  dass  dies 
aber  verhindert  worden  sei.  —  Ich  l)in  nur  frob,  wieder  in  Berlin  zu 
sein.    Kin  Arzt  sollte  immer  da  bleiben,  wo  er  eigentlich  hingehört. 

29.  In  Bellevue  bei  der  Prinzessin  Ferdinand  von  6  bis  halb 
8  Uhr  neben  der  Königin  gestanden,  und  mich  wegen  der  Kranklieit  der 
Grossfürstin  mit  ihr  unterhalten.  Die  Königin  ist  sehr  gesprachig  und 
war  sehr  gnädig  gegen  mich.  Sie  glaubt,  dass  ich  der  Grossfürstin  noch 
helfen  könnte. 

1805. 

24.  .September.  Für  den  Prinzen  August  Ferdinand  einen  niedi- 
zinischeu  Aufsatz,  wie  er  sich  im  Felde  bei  einigen  Kranklieiten  zu  ver- 
halten habe,  geschrieben,  welches  ich  seiner  Fran  Mutter  schon  zu  Ge- 
fallen thun  musste. 

28.  Oktober.  Nach  Tisch*«  nach  Bellevue  gefahren,  wo  der 
Russische  Kaiser  beim  Prinzen  Ferdinand  speiste,  um  den  Kaiser 
zu  seilen.  Kaum  war  ich  angekommen,  um  sozusagen  incognito  auf 
i'inicre  Miniifen  dazubleiben,  als  ich  sogleich  zur  Königin,  die  Krämpfe 
bekommen  hatte,  gerufen  wurde.  Bis  nach  5  Uhr  hier  geblieben,  den 
Kaiser,  den  König,  die  Prinzen,  den  Herzog  von  Weimar,  und  fast  alle 
hier  befindlichen  Excellenzen  von  Militär  und  Civil  ires]>rorhen,  und  mir 
es  recht,  gut  gefallen  lassen.  Doch  hat  mir  die  Königin  am  besten  ge- 
fallen. 

I810. 

\S).  April.  Hat  mich  der  Prinz  Ferdinand  zu  seinem  Arzt  an" 
genommen  \md  mir  dafür  jährlich  ÖU  Stück  Friedrichsd'or  zu  geben 
schriftlich  zugesichert, 

27.  Mai.  Der  König  und  die  Königin  waren  beim  Prinzen 
Ferdinand,  wo  ich  das  Glfick  hatte,  mich  lange  mit  der  Königin  zQ 
unterhalten. 

31.  Gestern  reiste  der  Staafsratb  and  Leibarzt  fiafeland  von 
hier  nach  Holland  ab,  und  hento  wurde  ich  zn  einem  der  kranke<> 
Kinder  des  Königs  gerafen. '  ) 

19.  Juni.  Nach  Tische  nach  Gharlottenburg  gefahren,  nnd  nebs^ 
anderen  Kranken  anch  die  Königin  besucht,  die  mich  s^  gut  auf" 
nahm. 

24  Vor  Tische  nach  Gharlottenburg  geritten,  wo  ich  über  V>  Stund® 
mit  der  Königin  sprach. 


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Aw  den  Tagebtichem  des  alten  lileim. 


153- 


4.  Juli.  Vor  Tische  nach  Charlottcnburg  geritten,  und  den  König, 
der  krank  war,  besucht.  Heute  zum  ersten  Mal  einem  Künig  nach  dem 
Puls  gefühlt. 

5.  Den  kranken  König  in  Gharlottenburg  besucht. 

6.  Vor  Tische  nach  Charlottenburg  geritten.  Du  der  Köni^;  sich 
heute  wohl  befand  und  schlief,  so  habe  ich  Sie  uiciit  ;;eseheu.  Sein  ge- 
wesener Kämmerer  Wolton  (Wolter)  versiclnite  mir  mit  seiner 
ernsthaften  Miene  und  langsam  schnüffelnder  Stimme,  er  habe  Sr. 
Majestut  Fredersdorfer  Bier  und  Porter  zu  trinken  und  Ruhe  empfohleu, 
und  das  werde  ihn  schon  bald  wieder  gesund  machen. 

y.  Abends  zum  König  nach  Charlottenburg  gefahren.  Diesen 
fand  ich  wohl,  er  äusserte  aber  den  Wunsch,  dass  ich  doch  so  bald  als 
möglich  zur  kranken  Königin  nach  llohenzieritz  (17  Meilen  von  hier) 
reisen  möchte.  Da  icli  diesen  Wunsch  als  Befehl  ansah,  so  besuchte  ich 
geschwinde  noch  die  iiothwendii^sten  Kranken  zu  Charlottenburg  und 
Berlin  —  meine  Frau  hatte  die  Güte  für  mich  und  kam  nach  dvv  Stadt 
und  half  mir  alles  zur  Reise  in  Ordnung  bringen  — ,  und  so  fuhr  ich 
mit  Courierpferden  in  einem  Wagen  mit  4  Pferden  um  11  Uhr  aus 
Berlin  ab,  von  meinem  Bedienten  begleitet. 

10.  Mittags  in  Hohenzieritz  gespeist.  Dann  gin^  es  zur  Königin, 
die  sich  freute,  mich  zu  sehen.  Im  Grunde  fand  ich  selbige  nicht  so 
schlecht,  als  ich  nacli  der  mir  gemachten  Beschreibung  h;itte  glauben 
müssen.  Ganz  ausser  aller  Gefahr,  eventl.  schwindsüchtig  zu  werden, 
ist  sie  doch  nicht.  —  An  den  König,  die  Prinzessin  Ferdinand  und 
meine  Frau  geschrieben. 

11.  Jleute  viel  bei  der  Königin  gesessen  und  mit  ihr  gesi»rochen. 
Bei  der  Frau  0.  H.  M.  v.  Voss  gefrühstückt.  Diese  Frau  ist  sehr  munter 
und  amüsant.  Die  Landgräün  von  Darmstadt,  Grossmutter  der  Königin» 
eine  Dame  von  82  Jahren,  hat  mir  wegen  ihrer  Mnnterkeit  sehr  ge- 
fallen.") 

12.  Naeh  der  Tafel  von  der  ganzen  Gesellschaft  und  von  der 
Königin  Abschied  lo^enomnien.  Da  die  Königin  eine  vomicam  apertam 
hat,  so  wird  selbige  so  bald  nicht  wieder  gesund  werden.  Um  7  'Dhr 
von  hier  weggefahren. 

13.  Kam  ich  .Nachmittags  um  2  Lhr,  nachdem  icli  zuvor  den 
König  in  Cliarlottenburg  gesprocluMi  hatte,  glücklich  an. 

16.  Nach  Tische  zum  König  gefahren,  der  mir  den  Wunsch  äusserte» 
übermorgen  wenigstens  wieder  l»ei  der  Königin  zu  sein. 

17.  Die  Nacht  um  1  Uhr  kam  der  Feldjägei-  Müller  von  der  Königin 
an,  mit  einem  Schreiben  vom  llofrath  Iiier« uiymi,  sobald  als  möglich 
zur  Köingin  zu  kommen  und  den  General- Chirurgus  Goerke  mitzu- 
bringen.   Abends  nach  0  waren  wir  in  Hohenzieritz.    Auf  einigen 


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154 


Oeovg  Siegerist 


Stationen  hatten  wir  8  Pferde  Conrierpost.  —  Die  Königin  fand  ich 
schlechter  als  ich  glaubte  sie  zu  finden.  Der  Puls  12(> — 130  mal  in  der 
Minute.!') 

18.  Fast  den  ganzen  Tag  bei  der  Königin  gewesen.  Da  sie  Vor- 
mittags und  Nachmittags  einige  Standen  geschlafen  hatte,  war  ihr  Geist 
munter.*") 

19.  Von  gestern  Abend  um  U  Uhr  an  bis  heute  fHlh  um  4  Uhr 
am  Bette  der  Königüi  gesessen,  die  die  ganze  Zeit  über  meine  rechte 
Hand  in  der  ihrigen  hielt.  Diese  Nacht  ist  die  fflrohterlichste  Nacht, 
die  ich  je  gehabt  habe,  för  mich  gewesen.  Ich  war  so  müde,  dass  ich 
fast  alle  Minute  einschlief,  soviel  Mühe  ich  mir  auch  gab,  zu  wachen, 
da  dies  die  Umstände  erforderten,  indem  die  Königin  immer  engbrüstiger 
wurde  und  kaum  laut  reden  konnte  und  doch  oft  mit  mir  reden  wollte.  . 
Vor  5  Uhr,  da  mir  eben  die  Königin  erlaubt  hatte,  mich  schlafen  legen 
zu  können,  kam  der  König  an.  Als  die  Königin  ihn  sah,  sagte  sie  mit 
schwacher  Stimme:  Mein  lieber  Freund!  Der  König  und  alle,  die  im 
Zimmer  waren,  weinten.  Der  Kronprinz  und  sein  Bruder  Wilhelm,  die 
bald  darauf  auch  ans  Bett  der  Königin  kamen,  weinten  oder  schrieen 
ganz  luut.  Um  9  Uhr  starb  die  Königin  —  sicherlich  die  schönste  Frau 
in  des  Königs  Staaten,  von  der  besten  Herzensgüte!!!  Der  König,  die 
Arzte  und  Fr.  v.  Belg  waren  dabei  gegenwärtig.  Der  König  betrug 
sich  gut 

20.  Vormittags  wurde  der  Leichnam  geöffnet.  Was  wir  in  der 
Brust  zu  finden  geglaubt  hatten,  fanden  wir  nicht.  ^  Abends  um  6  fuhr 
der  König  mit  sdnen  Kindern  und  so  auch  die  Prinzessinnen  von  Hessen 
und  Oranien  ab.  Um  9  Uhr  folgten  Goerke  und  ich  ihnen.'') 

25.  Nach  Charlottenbuig  gefahren,  mehrere  Kranken,  den  König 
und  dessen  Kinder  besucht. 

26.  Nach  Tische  mit  Goerke  und  meinem  Sohn  nach  Oranien- 
burg gefahren  und  uns  daselbst  den  Leichnam  der  Königin  vorzeigen 
lassen. 

27.  Unter  grossen  Feierlichkeiten  war  Abends  der  Leichnam  der 
Königin  nach  dem  Schloss  gebracht.  Ohnerachtet  viele  tausend  Menschen 
Unter  den  Linden  waren,  so  herrschte  doch  die  grösste  Stille  und 
Ordnung.  Von  10—11  Uhr  wurde  im  Beisein  meiner  die  Leiche  ans 
dem  Keise^  in  den  Parade -Sarg  durch  Goerke  und  mehrere  Chirurgen 
und  meines  Sohnes  gebracht  Das  Gesicht  der  Leiche  war  doch  schon 
verstellt. 

28.  Morgens  fröh  um  (i  Uhr  den  Leichnam  der  Königin  mit  Gen.- 
Ghir.  Goerke,  da  ihn  der  König  so  gern  zu  sehen  wQnschte,  nochmals 
begehen.  Da  wir  aber  das  Gesicht,  ohnerachtet  es  noch  ganz  weiss  war, 
schon  verstellt  und  aufgetrieben  fanden,  so  dass  alle  sonst  so  schönen 


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AuB  den  Tagebüchern  des  alten  Heim.  I5ü 

Gesichtszüge  verscbwnndeii  waren,  so  rielfaen  wir  dem  König  ab,  den 
Leichnam  noch  einmal  zn  sehen  —  welches  Er  auch  that. 

30.  Abends  wurde  endlich  unter  grossen  Feierliclikeiten  die  hohe 
Leiche  in  Begleitung  des  Königs  und  aller  seiner  Kiiuh-r  und  liiesigeu 
Familie  in  der  Domkirche  beigesetzt.  Ich  war  auch  in  der  Domkirdu', 
konnte  aber  wegen  der  Menge  Menschen,  da  ich  einen  schlechten  Platz 
hatte,  gar  nichts  vom  Leichenzug  sehen,  nnd  von  der  Mnsik  nichts  hören. 

31.  Vor  Tische  njich  CharlotteiilMn -  geritten  uud  den  König  da- 
selbst gesprochen,  der  mich  sehr  gut  auffialiin. 

1.  August.  Gestoi-n,  als  ich  l»eini  Kuuig  war,  zeigte  er  mir  ein 
Blatt  Papier,  auf  weiciics  die  Königin  den  28.  Juni,  an  dem  T-d<sy,  wo 
der  König  von  hier  aus  zu  ihr  gckoinnien  war,  am  Schrcilttisch  ihres 
Vaters  folgendes  gescliriebcu  hatte:  Mon  eher  Pere  —  je  suis  l)ien  heu- 
reuse  aujourd'hui  comme  votro  fille  et  comnie  Epouse  du  muilleur  des 
Epuux.  Louise.  Neu-Stn  lit/. .  ce  t?8  Juin  1810.  Der  König  gab  mir 
dieses  Bhitt,  welches  mau  nach  dem  Tode  der  Königin  erst  gefunden 
hatte,  in  die  Hand.  Ich  bat  den  König,  mir  zu  erlauben,  es  abschreiben 
zu  dürfen.  —  Da  es  ihnen  gefällt,  sagte  der  König,  so  will  ich  es  selbst 
für  sie  gleich  abschreiben,  welches  er  auch  that  nnd  mir  diese  kdnig^ 
liehe  Copie  gleich  einhändigte.  Dies  Blatt  ist  mir  soviel  werth,  als  die 
100  Stfick  Friedrichsd'or,  die  er  mir  heute  durch  seinen  geh.  Kämmerer 
Wolter  fiherschickte. 

f\\.  Zeigte  mir  die  l'iinzcssiu  Fcj-dinand  v.  Kadziwill  den 
letzten  Brief,  den  die  verstorbene  Königin  den  17.  Junius  an  ihr  ge- 
schrieben hatte.  Der  Brief  selbst  war  munter  gescluieben,  halb  fran- 
zösisch, halb  deutsch.  Die  Ünterschrift  allein  war  einzig  und  merk- 
wfirdig,  nämlich:  Louise  Auguste  Wühelmine  Amalle,  Reine  de  Pmsse, 
n^e  le  10  mars  1770,  f  das  weiss  ich  noch  nicht,  geborene  Prinzessin 
von  Mecklenburg. 

1811. 

21.  Miirz.  Beim  Prinzen  Ferdinand  gespeist.  Vor  Tische  nach 
Bellcvue  geritten  und  daselbst  den  Sarir,  der  den  Ticichinun  des  bei 
Saalfcld  gebliebenen  Prinzen  Louis  Ferdinand  entluilt,  und  der  heute 
Abend  ins  Königl.  Gewölbe  gebracht  werden  soll,  besehen.  --) 

in.  Dezember.  Beim  Kronprinzen  von  Preussen  in  Gesellschaft 
v<m  5  Personen  gespeist,  and  mit  dem  Wirtb  besser  als  mit  dessen  Koch 
zufrieden  gewesen. 

1813. 

2.  Mal.  Beim  Prinzen  Ferdinand  gespeist  Abends  um  11  Uhr 
schlief  dieser  verebrungswfirdige  Greis  in  einem  Alter  von  83  Jahren 
ganz  sanft  und  ruhig  zn  einem  anderen  Lehen  ein. 


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156 


Georg  Siegerist. 


1816. 

16.  Dezember.  Beim  Kronprinzen  gespeist  und  sehr  gut  auf- 
genommen worden.  Ich  finde  den  Prinzen  seitdem  er  mit  zu  Felde  ge- 
wesen ist  za  seinem  Vortheil  sehr  verändert,  so  dass  man  hoffen  darf, 
er  werde  einst  ein  sehr  guter  König  werden. 

1817. 

18.  Januar.  Blit  dem  König  an  einer  Tafel  gespeist  Vor  Tische, 
sowie  alle  Ordensritter  und  auch  die,  die  das  eiserne  Kreuz  haben,  in 
der  Nikolai-Kirche  gewesen  und  d^m  Gottesdienst  daselbst  beigewohnt 
Das  Mittagessen,  war  sehr  gut,  und  so  auch  der  Wein,  und  die  Auf- 
wartung vortrefflich.  Alle  die  vielen  Menschen,  die  ich  schon  gesprochen 
habe,  waren  alle  sehr  gut  gegen  mich  gesinnt  und  so  auch  der  König  selbst 

18.  März.  Beim  Prinzen  Wilhelm,  Sohn  des  Königs  gespeist 
Nach  der  Tafel  ihm  Moose  und  Zoophyten  gezeigt,  die  ihm  viel  Ver- 
gnfigen  machten. 

10.  Juni.  Vormittags  Ihro  Königl.  Hoheit,  die  Prinzessin  Char- 
lotte, die  übermorgen  nach  Russland  abgeht,  meine  Aufwartung  ge- 
macht, Abschied  von  ihr  genommen  und  ihr  allen  Segen  des  Himmels 
gewünscht.  Sie  weinte  sehr,  und  mir  standen  auch  die  Tbränen  in  den 
Augen.  0!  vortreffliclie  Prinzessin!  Mag  der  Geist  deiner  vorstorbenen 
Mutter  zwiefäitig  und  deine  Ehe  so  glücklich  sein,  und  langer,  als  die 
ihrige  war.'^*) 

13.  Juli.   Heute  wurde  unsere  liebenswürdige  KönigL  Prinzessin 

Charlotte  mit  Nicolas  vermählt. 

2.  August.  Iiier  den  Prinzen  Karl  gesprochen,  der  mir  sagte,  dass 
sein  Bruder  Wilhelm  zu  Petersburg  von  einem  tollen  Hunde  gebissen 
worden  sei.'*) 

1818. 

IH.  Januar.  An  der  Königl.  Tafel  auf  dem  Schloss  gespeist.  Wurde 
(las  Kröuungh-  und  Ordonsfest  gefeiert.  In  di'r  Schloss-Kirrhe  dem 
(iottesdienst  boii;»'Nvoliiit.  Von  der  Predigt  hörte  ich  bloss  einzelne 
Worte,  und  die  (Jt'siuiu;«'  svuidt'n  bloss  vom  Chor,  und  fast  gar  nicht 
von  der  (^i-nieiiidc,  und  zwar  zum  Ekel  langsam  gesungen.  Nie,  auch 
aiif  dorn  schlechtesten  Dorfo  habe  ich  das  „Nun  danket  alle  Gotf*  so 
erharnilicii  als  hier  singen  gehört.  Der  Zug  der  Ritter,  wold  mehr  als 
)UH)  von  der  Kinlie  nach  dem  Schloss  (hirch  2  Ut  ilien  \oii  Soldaten 
unter  einer  vortrert'liciien  militärischen  Musik  i^eticl  mir  ausnehmend. 
Gespeist  wurde  selir  gut  und  bei  Tische  ging  alles  m  der  besten  Ordnung, 
recht  königlich  zu. 

8.  Dezembei-.  IJeini  Kronprinzen  in  Geseilscliaft  von  G  Personen 
ges]»eist.  Se.  Könitjliche  Hoheit  sind  gesund  munter  und  wohlbeleibt 
von  Aachen  zuruckgekojuuieu. 


Am  den  TagAbQcbeni  des  alten  Heim. 


157 


1819. 

24.  Jannar.  An  der  Königlichen  Tafel  auf  tlem  Schloss  mit 
250  Rittern  aller  Art  gespeist,  und  zuvor  in  der  Kirche  gewesen.  Nach 
aufgehobener  Tafel  mit  dem  König  über  die  jetzt  herrschenden  Krank- 
heiten gesprochen. 

1820. 

9.  Februar,  Heute  Abond  nach  11  Uhr  starb  schnell  Ihre  König!. 
Hoheit  die  Prinzessin  Ferdinand  im  S2.  Jahi'e  ihres  Alters.  Gott 
hab  sie  selig! 

().  Mai.  Bei  Prinze<;,sin  Luise  mit  meinem  Sohn  gespeist.  Der 
Kronprinz,  dessen  Bruder  W|il heim  und  der  i'riuz  v.  Meckieubu^rg 
waren  hier.   Der  Kronprinz  lachte  viel.^  ) 

1821. 

27.  Januar.  Abends  mit  dem  Prinzen  Radziwill  und  Prinzessin 
Elisa  nach  dem  Schloss,  wo  heute  Abend  das  Festspiel  Lullu  Rükh  auf- 
geführt werden  soll  gefahren.-) 

1822. 

24.  April.  Bei  Sr.  lAajest&t  dem  Konig  mit  seiner  ganzen  Familie, 
Prinz  Angnst,  Radzjiwill,  y.  Mjecklenbjurg,  Gamberland^'), 
Wittgenstein  nnd  vielen  anderen  znr  Tafel  gewesen.  Der  König  war 
äusserst  gnädig  gegen  mich  mid  hat  sich  mehr  mit  mir  als  mit  einem 
anderen  unterhalten.  Er  yersicherte  niir,  ich  habe  erst  mein  25.  Jubel- 
fest gefeierti  da  ich  noch  so  munter  sei.  Für  den  mir  gegebenen  rothen 
Adler-Orden  2.  Klasse  habe  ich  mich  schdn  bedankt  Nach  Tafel  frug 
er  mich,  ob  ich  mit  seinem  Tisch  zufrieden  gewesen  seL  O  ja,  ant- 
wortete ich,  hier  möchte  ich  alle  Tage  speisen,  so  gut  hat  es  mir  ge- 
fallen. Noch  frug  der  Monarch:  Reiten  Sie  noch  so  rasch?  Essen  Sie 
noch  rohes  Fleisch?  etc. 

17.  November.  Im  Königl.  Schauspielhause,  wo  das  vollendete 
25jährige  Regierungsjahr  Sr.  Mig.  des  K5nij;s  durch  den  Magistrat  und 
Stadtverordneten  in  Gesellschaft  von  300  Personen  mit  Musik  und  Ge- 
sang gar  herrlich  gefeiert  wurde,  gut  gegessen  und  getrunken.  Alles 
ging  sehr  ordentlich  nnd  anständig  zu,  wie  wohl  zu  erwarten  stand. 

1823. 

19.  Januar.  Bei  Sr.  Majestät  dem  Könige  wegen  des  Ordensfestes 
gespeist  Mit  dem  König,  der  mich  nicht  zu  sehen  bekam,  nicht,  aber 
mit  dem  Kronprinzen  und  vielen  anderen  gesprochen. 

1.  September.  Mit  dem  grössteu  Vergnügen  gehört,  dass  unser 
Kronprinz  eine  Bayersche  Prinzessin,  von  der  man  schon  soviel  Gutes 
gesagt,  zur  Gemahlin  nehmen  werde.  ^'') 


uiyiiizeo  Dy  Google 


158 


21.  Vonniftans  dtin  KK»iipriuzcn  meiue  Autwartuug  gemacht 
und  iliiii  als  liiiuitigan!  iirntiilicrt. 

IS.  DeziMiiluT.  Dt'iii  IvroniirinztMi  meine  Aufwartung  gemacht, 
nn<l  ilin  ijohotcn.  iiiii"  st-ine  Frau  Gemahlin  sehen  zu  hissen,  welclies 
aucli  sof^Ieicii  j^e.scliah.  Nachth'in  der  Prinz  nianrhes  zu  meinem  Vor- 
theil ihr  gesagt  hatte,  sagte  er  auch:  Dieser  Manu  ist  immer  ungeniert. 

1824. 

II.  Nnvomber.  Gestern  Al)en{l  schon  hörte  icli,  ilass  der  König 
eine  Grälin  v.  TIarrach  zur  Gemahlin  erwählt  habe,  und  heute  wurde 
mir  dies  diiith  den  Fürsten  v.  Wittgenstein  offiziell  bekannt  gemacht. 
Diese  Ehe  wird  in  diesem  Schreiben  eine  morganatische  genannt,  da.s 
heisst,  sie  geht  ins  Blut,  kann  aber  keine  Rechnung  machen  auf  Stand 
und  Gut. 

1826. 

25.  Jannar.  Mittags  beim  Ptinzen  Angast  v.  Preussen  mit  seiner 
Mätresse  der  Frau  v.  Prilwitz  einigen  Dames  ans  Rheinsberg  nnd 

dem  Adjutanten  gesiteist.  =") 

1827. 

10.  Joni.  Mittags  beim  Prinzen  August  v.  Proussen  gespeist. 
Man  feierte  hier  den  Geburtstag  der  Frau  v.  Prilwitz.  SämtUcbe 
Adjutanten,  die  ersten  seiner  Beamten,  Geh.  R.  Henn''),  Geh.*  R. 
V.  Siebold^'')  nnd  ich  waren  hier.  leb  scb&tze  die  Fron  y.  Prilwitz 
und  bedanre  sie  oft,  dass  ibr  kein  besseres  Los  zu  theil  g(>  worden. 

1828. 

G.  Juni.  Abends  beim  Fürsten  Wittgenstein  gewesen  nnd  da- 
selbst den  Grossberzog  von  Weimar^^),  der  zu  sehen  mich  wünschte, 
Prinz  Karl  den  Eönigsohn,  v.  Humbold  gesprochen. 

1829. 

11.  Juni.  War  die  Trauung  des  Prinzen  Wilhelm  mit  der  Prin- 
zessin V.  Weimar. 

16.  Juli.  Vorgestern  hat  man  der  Kaiserin  v.  Russland  zu 
Ehren  in  Potsdam  ein  grosses  Tnrnierspiol  gegeben.'^)  Gestern  früh 
sind  Ihre  Majestät  von  hier  nach  Petersburg  abgereist.  In  keinem 
grossen  Fürsteuhaus  herrscht  wohl  eine  solche  Einigkeit  nnd  herzliches 
Benehmen,  wie  in  dem  unseres  Königs. 

1830. 

Iii.  Oktober.  Der  Prinzessin  F^iiisc  von  Itadziwill,  <lie  ich  in 
8  Jahren  niclit  gesehen  iiutte,  meinen  Besuch  altm'st:ittet.  Die  Fürstin, 
Mann  und  Tochter  Elisa,  wir  waren  über  unser  Wiedersehen  so  gerührt, 


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Aus  den  TigebQchem  des  alten  Heim. 


139 


dass  wir  alle  Thriinon  in  den  Aiigon  liritti'ii,  und  Mutter  und  Tocliter 
wir  küssten  uns  weidlich  einander  ab.  Beim  Abschied  kü.sstu  die  Fürstin 
mich  ordentlich,  und  die  beiden  IDcliter  erliielten  vom  Vater  den  Auf- 
trag, mich  bi«!  an  ineinen  Wagen  zu  führen.^') 

2'2.  November.  Vormittags  die  Prinzessin  Albrecht,  Tochter  des 
Königs  von  ITnlland,  besucht.  Da  sie  mich  sah,  hüpfte  sie  vor  Freude 
im  Zimmer  herum  und  sagte:  Nun,  dda  ist  hübscb,  dass  Sie  Ihr  Mariauke 
nicht  vergessen  haben. 

27.  Dezember.  Vormittags  der  Königin  von  Holland  meine  Auf- 
wartung geniaclit.  Sie  freute  sich  sehr,  einen  so  alten  liekannten  wie 
micli  /AI  scheu.  Die  horzeusgate  Frau  iät  sehr  uuiger  uud  geht  guuz 
gebückt. 


1)  Jedes  Heginiont  halle  ein  eigenes  Lazareth  tür  Unteroflizierc  und 
Genieine.  Für  jeden  orkrnnktcn  Sohbiten,  der  darin  Aufnahme  fand,  wurde 
ein  bestimmtes  Mnuatsgeld  ^'■i'/.ililt.  l»i<-  rntci-Iialiung  des  Lazarotlfs  sowie 
die  Dkononiic  lug  d<-in  lifgiment  db,  das  lücriür  einen  eigenen  Fonds  bulte. 
Nach  Nicolai  betrugen  die  Kosten  einer  solchen  Anstalt  jährlich  ioo  bis 
500  llialcr.  Den  llrztHchen  Dienst  versahen  die  Regiments»  nnd  Kompagnie- 
ehirorgen;  im  Hanse  wohnte  stHndig  ein  Krankcnwttrter;  ein  Kompagnie* 
chinu^gns  und  ein  Unteroffizier  hatten  beständig  dicAofticht.  Der  Kronprinz 
war  Chef  des  in  Potsdam  stehenden  Regiments  Prenssen.  (Bnmpf,  Berlin 
1793,  p.  79.   Nicolai,  porlin  u.  Potsdam,  II.  684.) 

2)  I.andgrätin  Wilhelmine  von  TTessen-Kassel ,  Toehtei'  Kr»nig 
Friedrichs  V.  vun  Dänemark,  (ieniahlin  Landtr'af  Wilhelms  IX.,  seit  Iso:! 
Kurfürst  ^ViHu■llu  I.  Ihr  Sohn  Wilhelm  II.  vt^-niiiliite  sieh  1707  mit  l*rinzessin 
Auguste  von  Preussen,  Tochter  l-'rirdrieh  Willirlnis  II.  Aus  dieser  Ehe  stammt 
der  1866  abgesetzte  Kurfürst  Friedrich  Wilhehu.  (Lorenz,  Genealogisches 
Handbach,  Abth.  IIL  No.  11.) 

s)  Prinz  Lad  w ig  von  Preussen,  zweiter  Sohn  BMedrich  Wilhelms  IL, 
yermShlt  mit  der  Prinzessin  Friederike  von  Mecldenburg-Strelitz,  Schwester  der 
Königin  Luise,  starb  am  2'<.  Dezember  170(1,  24  Jahre  alt.  Die  Kranlcheit 
nahm  nach  den  Tagcbuchaufzeichnungcn  der  Grllfin  Voss  einen  sehr  raschen 
Verlauf  Am  21.  hatte  der  l'rinz  etwas  f'ieber,  am  23.  war  er  bereits  recht 
krank,  man  fürchtete  eine  Art  ( lalleiiiit  lM  r.  am  21.  war  man  besorgt,  und  am 
2(1.  lauti^te  der  lierielit  hoflnungslns.  (Jleich  darauf  erkrankte  auch  der  Kron- 
prinz au  entzündlicher  Bräune.    (Ü'J  Jahre  am  preussischcn  Hole,  p.  iliü  IV.) 

«)  Prinz  Ferdinand  von  Preussen,  der  Jüngste  Bruder  Friedrichs  des 
Grossen,  geboren  am  23.  Mai  1730,  Meister  des  Johanniterordens.  Der  Prinz 
wohnte  im  Winter  im  Johanniterordenpalais  in  Berlin  (jetzt  Palais  des  Prinzen 
Friedrich  Leopold  am  Wilhelmsplatz),  wAhrend  des  Sonnuers  residierte  er 
▼on  1763—85  zu  Schloss  Friedricbsfelde,  1785  worde  das  in  diesem  Jahre 


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160 


G«aig  Siegwist. 


vollendete  Schloss  Hellovut»  im  Thiergarton  Sommeraufenthalt  und  soit  1802 
nach  dem  Tode  des  Prinzen  Heinrich  Kheinsber^!^.  (Vergl.  Fontane,  Wande- 
rungen, I.  p.  129.  3.  Aufl.,  IV.  Kapitel  Friedricbsl'eldc.) 

6)  Oberst  von  Zastrow  war  Generalacyatant  dei  KOnigs  tmd  bei  der 
Begrttndiing  der  Pepintöre  lebhaft  betheiligt;  später,  als  GeneralleatDant 
war  er  Gesandter  in  Mflnchen.  (ScUckert,  Die  miUtttrUnstliehen  Bildung»- 
Anstalten,  p.  15.) 

b)  Prinzessin  Ferdinand,  geborene  Prinzessin  Luise  von  Branden- 
burg-Schwedt, Tochter  des  Markgrafen  Friedrich  Wilhelm,  geboren  am  22.  Aj)ril 
173H,  eine  der  originellstr-n  Erscheinungen  am  preussischen  Hofe,  von  einer 
Derbheit  und  ürwUeht^i^'-keit,  die  vielfach  an  Pfalzgrätin  Lise-Lotte  erinnert. 
Heim  hat  ausser  dem  niitgetheiltcn  noch  einen  reichen  Schatz  von  Erinne- 
rungen, die  sich  aber  zum  Theil  besser  für  mündliche  Überlieferung  eignen, 
aufbewahrt.  Fontane  sagt  von  ihr  (Bd.  IV.  p.  137):  Die  Prbiasessin  »gehörte 
einem  ITranenzirkel  an  (dem  Hanse  Schwedt),  von  dem  man  sagen  konnte, 
dass  er  der  Nator  noch  nm  einen  Schritt  nAher  stand,  als  Franen  ihr  ge- 
wöhnlich zu  stehen  pflegen*.  —  Über  den  Prinzen  Angnst  folgen  weiter 
unten  einige  Notizen. 

7)  Schon  17!fH  hatte  der  König  eine  Kur  in  Pyrmont  gebraucht,  1797 
ging  er  wieder  dorthin,  ohne  Hilfe  zu  linden.  Da  er  seit  September  sehr  mit 
Athemnotl»  zu  kämjtfen  hatte,  so  empfahl  ihm  ein  alter  Offizier,  Leutnant 
von  Kandel,  der  sich  viel  mit  Chemie  beschäitigte,  eine  sogenannte  „Lebens- 
Inflknr**,  d.  h.  der  Zimmerinft  wurde  wAhiend  der  Nacht  und  am  Tage, 
wenn  die  Fenster  geschlossen  gehalten  werden  mussten,  ein  bestinmiter 
Prozentsatz  reinen  Sauerstoflb  beigemischt.  Professor  Hermbstldt,  dem  im 
grünen  Hause  im  neuen  Garten  zu  Potsdam  ein  Laboratorium  eingericlitet 
wurde,  gewann  hier  die  „Lebensluft"  ans  Braunstein  und  füllte  sie  in 
Ballons  aus  Ooldsclilägerhimtchen,  aus  denen  der  Sauerstoff  infolge  If  ichten 
Druckes  hmgsain  entwich.  Er  sollte  nicht  ein  Hilfsmittel  sein,  simdern  dem 
Könige,  dessen  l^^bel  nach  Aussage  der  Arzte  nicht  in  den  Lungen,  sondern 
im  L'nterleibe  sass,  Schlaf  verschaflen,  ,,sei  es  nun  Wirkung  der  Imagi- 
nazion,  oder  der  Luft  selbst",  sagte  Herrabstädt.  Zunächst  trat  auch  eine 
Besserung  ein,  der  aber  sehr  |bald  eine  erneute  akute  Verschlechterung 
folgte;  sdion  am  11.  Oktober  sehreibt  die  Gmfin  Voss,  der  KOnig  erkenne 
kaum  mehr  seine  Umgebung,  und  am  12.  erklltrten  die  Leiblrzte  Seile 
und  Brown  die  Krankheit  für  unheilbar.  Die  Lichtenau  duldete  niemand 
ans  seiner  Familie  um  ihn;  die  Gräfin  Voss  klagt  am  11.:  „Die  GrSfin 
ist  immer  bei  ihm  und  keines  seiiirr  Kinder  darf  zu  ihm  kommen", 
und  am  1'  :  ,,Wenn  die  Criifin,  die  immer  um  ihn  ist,  es  litte,  so  würde  er 
seine  Familie  gern  und  viel  sehen".  Ks  stellten  sich  höchst  quUlende  Indi- 
gestionen und  Kongestionen  ein,  die  Wassersucht  entwickelte  sich  rapide, 
und  am  IG.  November,  8  Uhr  47  Minuten  Vormittags,  starb  Friedrich 
Wilhelm  n.  (HermbstKdt,  Beitrag  zur  Geschichte  der  Krankheit  König  Fr. 
W.  IL  69  Jahre  am  preussischen  Hofe.) 

•)  Den  Katafalk. 

»)  Bevor  Heim  Leibarzt  der  Prinzessin  Ferdinand  (nicht  der  Prinzessin 
Heinriohi  wie  Bolüfs  in  seinen  Klassikern  der  Medizin  angiebt)  wurde,  war 


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Atu  den  Ttgelriidiem  dm  alten  Helm. 


161 


er  Arzt  der  Prinzesain  Amalie  gewesen,  wo  er  ebenfalla  soUechte  Erfahrungen 
gemacht  hatte. 

10 )  Prinz  Anton  Ha  dz  i  will,  Fürst  von  Olyka  und  Nieswicz,  g-eboren 
am  13.  Juni  1775,  am  17.  März  1796  mit  Prinzess  Luise  vuii  Preussen,  Tochter 
des  Prinzen  Ferdinand,  vermählt.  Bekanntlich  ist  der  l'riiiz  der  f ■oini)(»nist 
der  Musik  zum  ersten  Theil  des  Faust.  Prinz  Kudziwill  wurde  vürnehmlich 
vom  J'rinzen  Heinrich  protegiert,  der  eine  beinahe  domonsti-ative  Vorliebe 
fOr  das  annektierte  Polen  zeigte. 

11)  Prinz  Heinrich,  Bruder  Friedriehs  des  Grossen.  Ober  das  BhelnS' 
berger  Leben  des  Prinzen  vdrgl.  Fontane,  Wanderungen  (L  Capitel  Bhehisberg). 

is)  Prinz  Louis  Ferdinand,  geboren  18.  November  1772  zu  Friedrichs- 
felde,  war  der  besondere  LiebUng  des  Prinzen  Heinrich. 

it)  GroBsfttrstin  Helene,  Tochter  des  Zaren  Paul  L  ans  dessen  zweiter 
Ehe  mit  Sophie  Dorothea  von  Wflrttembei^,  1799  mit  dem  Erbprinzen  Friedrich 
Jjudwig  von  Mecklenburg-Schwerin  vennUhlt.  Die  Krbprinzessin  starb  noch 
im  Jahre  1803.   (Lorenz,  Genealogisches  Handbuch.) 

14 )  Prinz  August,  geboren  19.  September  1779,  der  nachmalige  Chef 
und  Reorganisator  der  prcussischdi  Artillerie.  Ihm  ist  das  obeliskenartige 
Denkmal  im  Park  von  Bellevue  gewidmet. 

if.)  Hut'cland  war  nach  Holland  gereist,  um  den  König  I^ouis  Na}>oleon 
zu  behandeln,  der  an  Lahmungen  der  Hände  und  Füsse  litt.  (Adami,  Luise, 
Königin  v.  Preussen.   7.  Aufl.  p.  361.) 

1«)  Zur  Eii^bizung  der  Heimschen  Aufzeichnungen  und  zum  Ver^eiche 
mOgen  hier  die  gleichzeitigen  Notizen  der  Gräfin  Voss  (G9  Jahre  am 
preussischen  Hofe)  feigem 

„10.  Juli.  Nach  Tisch  kam  endlich  Dr.  Helm,  den  der  König  schickt. 
Et  sah  die  Königin,  meinte,  es  wUrc  vielleicht  besser  gewesen,  ilir  noch  ein- 
mal zur  Ader  zu  lassen,  Im  Übrigen  sei  sie  ganz  riditig  behandelt  worden. . .  . 
Heim  glaubt  nicht,  dass  die  Krankheil  sobald  naehlilsst.'' 

1-)  „11.  Heim  findet  heute  wieder  mehr  Fieber.  .  .  .  Dennoch  hat  er  die 
beste  Hoffnung,  verlangt  nur  grosse  Vorsicht  und  Sclionung,  denn  er  sagt, 
die  Lunge  habe  gelitten.  Er  dinierte  mit  dem  Herzog,  spielte  Abends  mit 
ihm  Whist  und  war  sehr  guter  Laune.* 

Die  LandgrHfln  von  Hessen-Darmstadt  war  die  Wittwe  des  1762  ge- 
storbenen Landgrafen  Georg  Wilhelm  von  Darmstadt 

18)  ,12.  Heim  reiste  leider  heute  Abend  wieder  ab,  im  Grunde  findet 
er  den  Zustand  der  KOni^^  doefa  nicht  gut,  Fieber,  Husten  und  Schwttdie 
immer  unverSndert  und  sagt,  dass  sie  nicht  nur  eine  Lungenentzündung, 
sondern  in  Folge  derselben  eine  Art  Abscess  in  der  Lunge  gehabt  habe,  der 

nun  aufgegangen  sei,  und  daher  kUme  der  Husten.  .  .  .  Hieronymi  sagt 
auch,  er  habe  das  alles  gleich  erkannt,  aber  ich  zweifle  daran,  denn  Heim 
hat  es  ihm  erst  klar  gemacht.* 

19)  „17.  Nach  Tisch  kamen  Heim,  (ierke  und  Schmidt  hier  an  und 
fanden  sie  in  grosser  Gefahr,  sie  glauben,  dass  die  Lungen  ergriflun  sind 
tind  halten  jetzt  eine  Bettung  ffir  beuuhe  unmöglich.  ...  Ich  schidcte 
Bnehner  als  Staffette  an  den  KOnig  mit  ehiem  Brief  von  Helm.^ 


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20)  „18.  Meine  arme  Könipn  ist  heute  sehr  krank,  jedesmal,  dass  ich  zu 
ihr  kam,  taiid  ieh  si«  schlechter  und  mehr  verändert.  Ueim  hatte  schon  früh 
dem  Künig  eine  .Statlette  geschickt/* 

21)  „20  sie  wurde  ^eöflnci,  und  mau  laiul  einen  l'nlyjn  u  iui 

Herzen,  die  rechte  Lunge  fa.st  zcrslürt.  .  .  .  Die  Arzte  sagen,  der  lV>lyp  am 
Henson  sei  eine  Folge  zu  grossen  und  anhaltenden  Kummers.  .  .  .* 

Die  Prinzessinnen  von  Hessen  und  Uranien  sind  die  Schwestern  des 
KCnigs,  Auguste,  die  Gemahlin  des  nachmaligen  Knrfflraten  Wilhelm  n.  von 
Hessen,  und  Wilhelmtne,  später  Königin  der  Niederlande,  die  die  Zeit  der 
Verbannimg  dnrch  die  französische  Herrschaft  in  Berlin  verlebten. 

m)  Die  Minister  wollten,  dass  dieBeisetznng  des  Prinzen  Lonis  Ferdinand 
ganz  ohne  Feiwlichkeit  geschehen  solle,  um  Napoleon  nicht  zu  reizen.  Diese 
Übertriebene  Rücksicht  emi)<>rte  den  König,  und  er  befahl  eine  Fcferliclikeit 
in  angemessenen  Grenzen.  Die  Kinder  des  I'rinzen,  der  K"»nig  und  die 
Prinzen  empfingen  den  Sarg  im  Dom,  ein  Thoil  der  Garnison,  der  Hof  und 
die  Minister  bildeten  den  Trauciviiij:,  der  v<tn  Jicllevuc  herkam.  Es  war  nur 
eine  m;is.sit,'e  An/alil  Ti  upiien  kommandiert  worden,  um  das  Ganze  uichl  als 
Demonstration  erscheinen  zu  lassen.    (09  Jahre  p.  387.) 

ss)  Der  Oedanke  an  diese  Verbindung  geht  bis  ins  Jahr  1813  zura«sk; 
am  6.  November  erwtthnt  die  Orttfln  Voss  in  ihrem  Tagebuche  zum  ersten 
Male,  dass  der  König  zu  ihr  von  dieser  Idee  gespnxdien  habe.  Wegen  des 
für  eine  russische  Heirath  nöthigen  Obertritts  der  Prinzessin  zur  orthodoxen 
Kirche  eiklllrte  der  Hofprediger  Sack,  sie  könne,  da  sie  noch  nicht  einge» 
segnet  sei,  diesen  Glaubenswechsel  vornehnu-n.  Am  r»,  Februar  1814  kam 
Gro.ssfürst  Nikolaus  mit  seinem  Bruder  Michael  nach  Berlin  auf  die  Braut- 
schau; Grätin  Vos.s  schrid)  damals  dem  Konige,  ,,dass  mir  der  Altere  besonders 
sehr  gefallen  halje.  in  (iidanken  an  unsere  I^läne  '.  Jahre  am  })reus8i8chen 
Hofe.  p.  4011.)  Danach  ist  die  Verbindung  vor  allem  vom  preussiöchen  Hofe 
gewünscht  worden.  Am  4.  November  1815  fand  die  Verlobung  statt. 

2i)  Prinz  Wilhelm  hatte  seine  Schwester  nach  Petersburg  geleitet. 

•i:,)  Mit  der  Prinzessin  Luisse  ist  i'rinze.ssin  Kadziwill  gemeint.  Prinz 
Karl  V.  Mecklenburg  Ist  der  1785  geborene  einzige  Stiefbruder  der  Königin 
Luise.  Von  den  Berlhiem  wurde  er  wegen  seiner  rflokschrittUchen  Ge- 
sinnung „Marschall  Seitwärts"  genannt  (Geiger  U.  539.) 

u)  Im  Juni  1821  war  das  russische  Thronfolgerpaar  zum  Besuche  in 
Berlin.  Ein  grosses  Pest  soUte  diesen  Besuch  feiern;  den  Inhalt  beschloss 

man  aus  dem  eben  erschienenen  und  viel  Aufsehen  erregenden  Gedichte 
Thomas  Jloores  „Lalla  Rükh  '  zu  entnehmen.  Es  wurde  ein  Festzug,  den 
Besuch  Abdullahs.  Königs  der  kleinen  Bueharei  am  Hofe  Aurengzebs,  des 
Beherrschers  von  Delhi  darstellend,  aufgclulirt;  li  rni  r  wurden  lebende  Bilder 
gestellt,  die  Scenen  ans  ,,Lull;i  Kükh"  vorlUhrtt-ii.  Das  (JrossfürstHche  Paar. 
sUmtliche  Prinzen  und  l'rinzeb.>iniieii,  die  ganze  Holgesellschaft  wirkli-n  mit. 
Die  Dekorationen  hatte  Schinkel  gemalt,  die  lebenden  Bilder  stellte  Wilhelm 
Hansel,  die  Musik  war  von  Spontini.  (Vergl.  Fontane,  Wanderungen  IV. 
p.  436  ir.)  —  Prinzessin  Elisa  ist  die  am  28.  Oktober  1803  geborene  Tochter 
des  Fürst  Anton  Badziwillscben  Paares,  die  Jugendliebe  Kaiser  Wilhelms  L 


Ana  den  Tkkgebficbern  des  alten  Heim. 


163 


ti)  Ernst  August,  Herzog  von  CtnnberlaDd,  seit  1837  König  von  Han- 
nover. Er  vonnahlto  sich  181  n  mit  dor  Prinzessin  Friederike,  der  Schwostcr 
der  Kr.nif^iii  Ijusc,  der  Wittwe  des  Prinzen  Ludwig  von  l'reussen  (f  1796>  und 
des  Trinzen  Friedrieh  Wilhelm  von  Solms-liraunsfels  (y1>»11). 

Die  VerlobiiU}^  des  Ivronpriuzen  mit  der  Prinzessin  Elisabeth  von 
Bayern  war  bei  den  llerbstnianr>verü  vericündigt  worden;  die  VermUiiloDg 
land  um  29.  November  1S23  statt. 

29)  Die  Vcrmiililunjr  Friedrich  Wilhelms  III.  mit  der  zur  Fürstin  von 
Liegnitz  ernaunten  2ijährigeii  (irlltin  Auguste  Uarrach  war  in  aller  Stille 
am  9.  November  in  Charlottenburg  erfolgt.  ,1824  traf  wie  ein  Blitz  aus 
heiterem  Himmel  die  vOIlig  Uberroaehende  Nachricht  ein,  Friedrich  Wilhelm  III* 
wolle  za  einer  zweiten  Ehe  schreiten  und  sieh  mit  einer  Grafin  Uarrach  ver- 
mählen, die  noch  dam  eine  Katholikin  seL  —  Die  £ntrQatnng  war  allgemein, 
das  Publikum  glich  einer  Kindcrschaar,  die  eine  Stiefmutter  bekommen  sollte.* 
Verschiedene  Damen  der  Berliner  Aristokratie  fielen  in  Ohnmaeht.  Man  er- 
blickte in  dem  Schritte  des  Königs  ein  Saerileginm  fü^effen  den  Schutzengel 
des  Landes,  die  anf^ebetete  Luise;  die  scliärlstcn  Urtheile.  der  beisscndste 
Spott  wurden  laut.  Man  nannte  die  OrUlin  die  „Kfinifrin  der  Xaeht",  man 
sagte,  mau  würde  die  lleirath  für  eine  Fabel  halten,  wenn  nielii  die  Moral 
daran  ^fehlte  etc.  Die  Gemüther  beruhigten  sich  erst,  als  man  erfuhr,  daas 
die  Grifln  nicht  Königin  wwden  sollte,  dass  der  Kronprinz  der  jungen  «mor> 
ganatischen"  Stieftaratter  mit  der  grOssten  Frenndlichkeit  beg^e,  tfnd  als 
die  Berliner  erfahren,  mit  welcher  liebevollen  Soiigfalt  sie  den  »alten  Herrn* 
pflegte,  als  er  1820  das  Bein  gebrochen  hatte,  da  hatte  sie  gewonnen.  Nie 
i.st  ein  Hauch  einer  lir)sen  Nachrede  auf  sie  gefallen.  (Kbcrty,  Jugend- 
erinnerun<j:en  eines  alten  Berliners,  }>.  77.  Geiger  II.  OliJ).)  t^bcr  das  Ver- 
halten des  Königs  t?<^^?t"  "^i^'  jU^g^  Fürstin  schi"eibt  die  Grälin  Bernstorft' 
Band  11,  Seite  ST)  ihrer  Leben!<erinnerungeu  (Berlin  189G):  „Die  Furcht,  sich 
durch  jugendliche  Zärtlichkeit  für  die  junge  Frau  ein  Kidicule  zu  geben, 
verleitete  den  Ktfnig  zn  einem  Botragen  gegen  sie,  dessen  Kllte  wirklich 
empörend  scheinen  mosste.  Er  sah  sie  im  Beiseln  Anderer  nie  an,  geschweige 
dass  er  mit  ihr  geq»rochen  hfttte.  ...  An  der  Tafel  sass  sie  ganz  unten  an; 
wenn  der  Ilof  in  die  Kirche  oder  sonst  wohin  folir,  musste  sie  mit;  doch  ihre 
zwei  Füchse  vermochten  sie  nicht  so  schnell  zur  Stelle  zu  bringen,  wie  sie 
gesollt,  und  sie  war  ein  Nachzügler  überalL* 

30)  Maria  Arntlt,  unter  dem  Namen  von  Prillwitz,  nach  einem  in 
Pommern  unweit  Pyritz  liegenden  Schlosse  des  Prinzen  Au^^fust  g-eadelt. 
Nach  Kneschke,  Adelslexikon  VII.  p.  252  u.  v.  Ledebur,  Adelslexikou  II.  220, 
ist  das  Diplom  für  Maria  Arndt  und  ihre  Kinder  erst  au»  dem  Jahre  183G. 

31)  (Icli.  llotV'alh  Heun.  der  unter  dem  Öchriilstellemamen  Claureu 
bekannte  Beyi  ünder  der  Minuli  Literatur. 

^2)  Adam  Elias  von  Siebold,  ein  Glied  der  bekannten  Würzburger 
Arzilamilie,  berühmter  Gynäkologe,  wirkte  seit  13Iü  in  Berlin  und  cröfl'nele 
hier  1817  die  Üniversitätsfirauenklinik. 

ss)  Grossherzog  Karl  Angnst  war  im  Frtlt^alir  1828  einer  Einladung  an 
den  Berliner  Hof  gefolgt,  zu  dem  er  duroh  Vermahlung  sehier  Enkelin  Marie 

11* 


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164 


Georg  SiegtriBt. 


Aniui  mit  dem  riiuzen  Karl  in  verwandtschaftliche  Beziehungen  g:etreten 
war.   Auf  der  KUckreise  starb  er  am  14.  Juni  zu  Gradiiz  bei  Torgau. 

■  u)  Daa  berOhiatQ  Fest  der  welüen  Boee  in  Potsdam  am  13.  JuU  sor 
Feier  des  Geburtstag  der  Kaiserin  tob  Rosslaad.  Eine  SofaUdemiig  des 
Testes  findet  sieh.n.  a.  bei  StreekAuSi  Berlin  im  19.  Jabrlmndert,  II.  448. 

SS)  Dem  Fürsten  Anton  Radawill  war  im  Jabre  1823  die  Statthalter- 
Schaft  der  Provinz  Posen  übertragen  worden,  um  seine  Familie  wegen  der 
Neigung  des  Prinzen  Wilhelm  zur  Prinzessin  Elisa  I^adziwlll  von  Herlin  zu 
entfernen.  Xach  langem  Hin-  und  Herwügen  wurde  die  l'rinzessin  tfir  niilit 
ebenbürtig  erklürt,  nachdem  vorher  Savigny  und  Graf  Stolberg  Denkschriften 
in  bejahendem  Sinne  ausgeaiheitet  hatten,  die  aber  für  ungenügend  befunden 
worden  waren.  Friedrich  Wilhelm  lU.  konnte  sich  nicht  entschliessen,  aus 
eigener  Machtrollkommenbeit  seine  Einwilligung  zu  der  Verbindnog  zu  geben. 
(Grüfin  Elise  von  Bemstorff  I.  332.)  ~  Die  Angabe  in  der  AUgem.  dentseb. 
Biogr.  XXVII.  p.  IM,  dass  das  Fürst  RadzIwUlsche  Paar  seit  1816  seinen 
stBndigen  Aufenthalt  in  Posen  hatte,  ist  also  irrthllmlich;  erst  am  88.  Juli 
1822  vcriicss  es  Berlin. 

3»)  Prinzessin  Marianne,  geboren  0.  Mai  1810,  Tochter  des  Königs 
Wilhelm  1.  der  Niederlande  und  der  Prinzessin  Wilhehnine  von  Pn-ussen, 
der  Schwester  Friedrich  Wilhelms  III.,  wurde  um  11,  Si-pteniber  18  in  mit  dem 
Prinzen  Albrecht  von  Preussen  vermUhlt.  Die  Ehe  wurde  isii)  geschieden. 
Die  Prinzessin  starb  1883.  Von  ihrer  Originalität  erzUhlt  die  Griifiu  Elise 
BemstorlT:  ,8ie  tanzte  und  hüpfte  aof  den  HofbSllen  mit  nngebnndener 
Fröhlichkeit  umher  nnd  Uess  sich  dnrehaos  nichts  Ton  ihrer  Gouvernante, 
der  Lady  Bentinek,  sagen.  Ihre  Toilette  gab  auch  Zeugniss  von  der  Frei- 
heit, die  man  ihr  in  allem  Hess;  denn  ihr  Haar  flog  in  fteien  Locken  nm 
Nacken  nnd  Schultern,  nnd  weil  die  jugendliche  Prinzess  keine  Art  von 
Toilettenzwang  duldete,  war  ebenfalls  an  keine  Taille  zn  denken."  (GrJlfln 
Elise  von  Bernstorff  II.  7.) 

37)  Die  Königin,  die  sieh  in  I^erliu  immer  noch  wohler  fühlte  als  in 
Holland  und,  wenn  es  irgend  anging,  ihr  Palais  (das  niederlilndische 
unter  den  Linden)  bewohnte,  war  als  jugendliche  Prinzessin  eine  grosse 
Schönheit;  ihre  Anmnth  und  ihr  schlanker  Wnohs  waren  bewnndems- 
würdig.  „Sollten  grosser  Eifer  nnd  Flelss  zam  Halen  sie  vor  der  Zeit  so 
krumm  zusammengezogen  und  ihr  edles  Haupt  so  gebeugt  haben?"  (GrSfin 
Elise  T.  Bemstorff  n.  7.) 


165 


VL 

Aus  der  Berliner  Gesellschaft. 


1795. 

19.  Jannar.  Mittags  heim  Kammerdiralclor  Stabenranch*)  inGe- 
sellscbafl  des  Geh.  J.-R.  v.  Schfits  und  Geh.  R.  Gilly  gespeist 

21.  Mittags  beun  GeD.-Lieai  Boyen  gespeist,  and  recht  ver- 
gnügt gewesen. 

6.  Jnni.  Mittags  beim  Minister  Hardenberg  in  grosser  Gesell- 
schaft gespeist  Mit  dem  Geh.  R.     Massenbach  viel  gesprochen. 

23.  Angost.  In  Lichtenberg  beim  Feld-Marschall  v.  MOllendorff 
in  grosser  Gessllschalt  gespeist 

8.  Oktober.  Mittags  beim  Bachdmcker  Ungar  in  Gesellschaft  des 
Grafen  v.  Schlabrendorff*)  gespeist. 

21.  Deaember.  Speiste  der  Ober-Amimann  Fromme*)  nnd  Hof* 
rath  Hiller  bei  mir. 

1796. 

1.  Jannar.  Mittags  beim  Eammeigerichtsrath  v.  Rappard  anf 
einem  Anstem-Picfcnick  gewesen. 

15.  Jnli.  Mittags  beim  Geh.  R.  le  Coq  gespeist  Ausser  vielen 
anderen  war  anch  der  Minister  v.  Hanckwits  hier. 

26.  Mittags  beim  Stadt-Syndikns  Eoels^)  in  GeseUschaft  von 
Geh.  R.  Rosen  stiel  f),  D.  Welper  nnd  Jnstiz-Sekretftr  Schlicht  ge- 
speist Letzterer  machte  ans  alle  mehrere  Stenden  lachen. 

1.  September.  Mittags  beim  Geh.  R.  Zimmer  von  2  bis  7  in 
grosser  Gesellschaft  gespeist  Solche  Verschwendung  ist  ganz  anverant- 
wortlich. Abends  daselbst  Whist  gespielt  Geh.  Rath  n.  Bflrgermeister 
Mfiller  ist  ein  goter  Whistspieler.  Abends  nach  10  Uhr  za  Foss  mit 
meiner  Fran  nach  Hanse  gegangen.  Da  es  etwas  za  regnen  anfing, 
brummte  meine  Fran,  und  war  ärgerlich,  zn  Fasse  gehen  za  mflssen. 
Ich  lachte. 


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166 


Oeoig  Stogefiit. 


19.  Mittags  beim  Eanfmaim  Schückler  in  MamißgeseUschaft  ge- 
speist. ^ 

*  16.  November.  Mittncr^  bei  Ü"'  Schmitz  in  grosser  Gesellschaft 
gespeist.  Ihr  Bruder,  der  wie  ein  Schwein  iVisst  und  denkt,  NVoIffs, 
Faudt  ls,  D.  Riemers,  .  .  .  5  Grafen  Hatzfeldt,  ein  gewesener  Beicht- 
vater (h'V  Königin  von  Frankreich  waren  hier.  Die  arme  Mamsell 
Schmitz  hat  heute  einen  schweren  Tag  gehabt.  Mein«*  Frau  und  Chi  i^^tiane 
waren  auch  hii-r.  In  eine  solche  unzüchtige  Gesellschalt  sollen  sie  mir 
aber  nicht  wieder  gehen. 

IH.  Dezember.  Abends  den  theologischen  Schwärmer  General 
V.  Boyen  besucht  ) 

1797. 

17.  Februar.  Beim  D.  Ktirella  gespeist  Auf  die  FVeimanrerei 
töchtig  losgezogen. 

16.  Jani.  Zu  Charlottenborg  bei  Paol  Hesse  gesi>eJ8t  Minister 
y.  Lncisini  )  und  v.  Alvensleben**)^  Präsident  Kircheisen")  etc. 
waren  hier.  Lncisini  machte  mir  viel  Komplimente  and  so  ich  ihm,  da 
ich  heute  ihn  sum  ersten  Mal  gesprochen  und  persönlich  liennen  ge- 
lernt habe. 

1798. 

17.  Febmar.  Beim  Hofagenten  Ephraim  V eitel'*)  mit  lauter 
Juden  gespeist,  und  mir  es  recht  gut  schmecken  lassen. 

H.  März.  Beim  Geli.  .I.-K.  Bon  mann  in  der  Mutter-Freimaurer- 
loge bewirthet  worden.  Viele  Freiraaurerlieder  wurden  gesungen,  und 
flberbaupt  herrschte  hier  ein  besonderer  Geist  —  ob  dies  ftbrigens  ein 
guter  oder  böser  sei,  mag  ich  nicht  entscheiden.") 

'22,  Mai.  Beim  Präsidenten  Scheire  in  grosser  Gesellschaft  ge« 
speist  Der  neue  Minister  v.  Massow  mit  seiner  Frau  war  auch  hier, 
und  fanden  beide  allen  Beifall.'*) 

18.  September.  Mittags  beim  Bfxnister  v.  Blumenthal  in  Gesell- 
schaft der  Gräfin  v.  Podewils,  v.  Neal,  Frau  v.  Steinberg,  sädisi* 
sehen  Gesandten  Grafen  Schlabrendorff,  v.  Omdada'*)  gespeist 

1799. 

1^^  AjM  Ü.  IJeiin  Mini«>ter  V.  Hardenberg  in  Gesellschaft  von  dem 
hoiiandi<rhtii  Admiral  Kinkel),  Geh.  K.  Pandel  und  Koch  gespeist. 

l'Ö.  Dezember.  Beim  Minister  v.  Hardenberg  in  Gesellschaft  des 
G»'h.  .I.-R.  K'ch,  Schausjdelers  Ifland  und  des  beridimten  und  be- 
rüchtigten Laiidraüis  v.  Berlepsch")  gespeist,  und  recht  veignügt  ge- 
wesen. 


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Aus  den  Tagebüchern  des  alten  Heim. 


167 


1800. 

30,  Januar.  Mitt  boim  Ministei'  v.  Hardenberg  in  Gesellschaft 
des  Gell.  .I.-H.  Koch,  bcliauspieldirektor  Ifiaud  und  eines  gewissen 
V.  Bülow')  gespeist. 

l'O.  April.  Beim  Ofen  -  Fabrikant  Iloelih'r  in  Gesellschaft  von 
20  ii'ersonen  in  seinem  grossen  prächtigen  Üsteu-Saal  gespeist 

1801. 

14.  Februar.  Beim  Domherrn  v.  Kuchow' _)  in  grosser  Gesellschaft 
gespeist. 

26.  September.  Die  für  mich  so  unangenehme  Nachricht  erfahren» 
dass  Se.  Excellenz  der  Ober*IIofmeister  v.  Dorville  zu  Paris  den 
15.  dieses  gestorben  sei."*) 

27.  Dezember.  Mittags  beim  Direktor  van  Zoe  auf  der  Pulver* 
fabrik  ....  gespeist."") 

1803. 

13.  Februar.  Beim  Geh.  R.  v.  Rappard  im  Thiergarten  zum  Früh- 
stück gewesen,  wo  Beyme,  v.  Schevens  and  eine  Menge  Anderer 
waren.  Um  11  Uhr  kam  die  Gesellschaft  zusammen,  um  1  Uhr  hatte 
jeder  sein  Frühstück  zu  sich  genommen,  man  setzte  sich  dann  noch  zum 
Spiel  und  spielte  bis  3  Uhr,  wo  die  Gesellschaft  auseinander  ging. 

6.  März.  Gestern  ist  die  verwittwete  Frau  Geli.  Rathin  Ursinns, 
eine  gelehrte  und  sehr  empfindsame  Frau,  welche  ich  in  der  Kur  gehabt 
habe,  nach  dem  Gef&ngniss  der  Hausvoigtei  gebracht  worden,  weil  sie 
ihren  Bedienten  durch  Arsenik  hat  umbringen  wollen. 

25.  MaL  Auf  der  Hausvoigtei  vor  den  Richtern  der  Giftmischerin, 
Frau  Geh.  R&thin  Ursinus,  die  gegenwärtig  war,  verhört  worden.  Dies 
waren  unangenehme  Unterhaltungen  für  ihr  und  für  mich  —  doch 
mnsste  ich  die  Wahrheit  sagen.*') 

26.  JunL  Mich  sehr  betrübt,  dass  der  Ober-Med.-R.  Cosmar  und 
€reh.  Rath  v.  Warsing'^,  deren  Arzt  ich  auch  bin,  sich  bei  dem  Prinzen 
V.  Byron  wegen  eines  Prozesses  so  schlecht  benommen  haben  sollen, 
dass  die  Justiz  sie  criminal  wird  behandeln  müssen. 

10.  Juli.  Nach  Tische  nach  Steglitz  zum  Geh.  K.-R.  Beyme  ge* 
ritten,  dessen  38.  Geburtstag  heute  gefeiert  wurde.  An  40  -  50  Menschen 
waren  hier,  um  diesen  wichtigen  Tag  zu  feiern.  .  .  .  Alles  war  \or- 
trefilich,  ansser  die  Stücke,  die  der  Bildhauer  Schadow  aufführen  liess, 
neml.  der  D.  Yentoso,  der  Lampenputzer  und  der  Tliookessel,  Nvaren 
recht  schlecht,  gemein  und  unanständig,  worüber  sieb  alle  honnette 
Menschen  ärgerten. 

17.  Anfällst.  Beim  ganz  neuen  Grafen,  dem  Geh.  .T.-Kath  v.  Hägen 
in  Geseilsriiaft  des  neuen  Ministers  v.  Angern'^),  Minister  v.  Harden* 
berg,  V.  Reck,  Geh.  J.-R.  Sack  gespeist. 


168 


Geoig  Si^eriBt. 


9.  September.  Mittags  vom  Stallmeister  VVolny  im  Thiergarten 
bei  Kerstans  im  Loewencckscben  Picknick,  der  dem  Feldmarschall 
V.  MöUeiidorff  zu  Ehren  gegeben  wurde,  bewirthet  Nvorden.  An 
Musik,  Lärm  und  Spektakel  fehlte  es  nicht.  Als  des  Feldmarschalls 
Gesundheit  getrunken  wurde,  wurden  12  Kanonenschüsse  gethan.  Jede 
Gesundheit,  die  getrunken  wurde,  wurde  mit  mehr  oder  weniger  Kanonen- 
schüssen begleitet.  Aut  Ii  auf  die  Gesumlheil  ier  Arzte,  die  dem  Gen.- 
Chir.  Mursinna  und  mir  galt,  und  die  der  Feidmarschall  gab,  wurden 
mehrere  Kanonenschüsse  gethan. 

16.  September.  Mittags  im  Loeweneckschen  Picknick  im  Thier- 
garten vom  Obrist  Grafen  v.  Schwerin  bewirthet  worden.  Wegen  der 
vielen  fremden  Offiziere,  die  jetzt  hier  sind,  bestand  die  Gesellschaft 
wenigstens  ans  15Q  Personen.  Wegen  der  Gegenwart  des  Königs  zn 
Charloftanbnrg  worde  heute  wegen  dem  Gesiindheittrinken  nicht  kanoniert, 
aber  desto  mehr  mnsiciert 

10.  Dezember.  Hittags  beim  englischen  Gesandten  Jackson  in 
grosser  Gesellschaft  gespeist 

1804. 

19.  Febmar.  Abends  beim  Hofagenten  Heymann  Ephraim  Yeitel 
auf  einem  grossen  Sonper  gewesen,  wo  man  von  9  bis  hat  halb  1  Uhr 
zu  Tische  sass. 

12.  Mftrz.  Von  8Vi  Uhr  Nachmittags  bis  ^1^2  Uhr  nach  Bftttemacht 
im  Komödienhaus  gewesen,  wo  ein  Maskenball  von  2000  Menschen  ge- 
.    geben  wurde  und  wo  es  mir  sehr  gut  gefiel.  Mit  der  regierenden  und 
verwittweten  Königin  und  melireren  fürstlichen  Personen  gesprochen. 

17.  November.  Mittags  bei  Frau  v.  Berg-^)  mit  dem  Geh.  R. 
Wilke,  Prof.  Spalding  und  Schwedischen  Chargii  d'affiures  v.  Brink- 
mann gespeist. 

1805. 

11.  März.  Wurde  der  Auskultator  Mar  sinn  a,  Sohn  des  Gren.-Ghir. 
von  dem  v.  KrQdener,  Sekretär  bei  der  russischen  Cresandtschaft,  im 
Duell  erschossen.  Der  grÖssteTheil  der  Stadt  nimmt  an  diesem  Yorfall 
Antheil. 

1806. 

7.  Oktober.  Mittags,  im  Densoschen  Picknick  im  Thiergarten  ge- 
speist Da  es  heute  25  Jahre  sind,  dass  der  Kammergerichtsrath  Denso 
dieses  Piduück  errichtet  hat,  so  wurde  es  auf  das  feierlichste  begangen. 
150  Personen  sassen  zu  Tische,  man  speiste  die  Person  zn  1  Rthlr. 

1811. 

24.  Januar.  Mittags  beim  Geh.  Staats-Kath  Obristen  v.  Hake^-) 
gespeist 


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Am  d«ii  TfegMelMai  det  altaa  BMm.  169 

9.  April.  Mittags  beim  Rammergerichts-Präsideiiten  WoldermBDii 
in  grosser  Gesellschaft  von  allen  K.  G.  Rathen  nnd  mehreren  anderen 
sehr  gut  gespeist. 

7.  yhü.  Tn  der  tcntscfaen  Tisch-Gesellschaft  vom  Prinsen  ßadzi- 
will  bewirthet  worden. 

I8I3. 

24.  Januar.  Mittags  in  einer  grossen  Gesellschaft,  die  den  Ge- 
burtstag Friedrichs  des  '2teii  feierte,  und  von  der  der  Geh.  J.-Kath 
Heller  der  Pickenicksvater  war,  gespeist,  und  wegen  der  vielen  alten 
Männer,  von  denen  noch  mehrere  Zöpfe  trugen,  sehr  vergnügt  gewesen. 

5.  Februar.  Mittags  beim  Minister  v.  Brock  hausen-'')  gespeist, 
in  Gesellschaft  vom  Minister  Alopaeus  ■•''),  des  schwedischen  Gesandten 
V.  Taube,  Staatsräthe  v.  Klewitz'''),  Küster,  Stegemanu,  Major 
V.  Anhalt'')  ötc. 

1814.  * 

1.  Juni.  Mittags  heim  Gouverneur  v.  L'P]sto(i'°)  in  Gesellschaft 
von  40  Personen,  unter  denen  sich  der  Prinz  v.  Cumberland,  Erb- 
prinz V.  Mecklenburg-Strelitz,  l'Tu-st  Dolgerocky,  alle  hiesigen  Ge- 
sandten und  Minist(»rs  und  Generale  pp.  befanden,  gespeist.  Bei  Tische 
.sass  ich  glücklicher  Wt'ise  beim  Adjutanten  des  Herzogs  v.  Cumberland, 
Mr.  Dawkins,  einem  Knglander,  der  kein  Deutach  verstand,  und  mit 
dem  ich  englisch  viel  gesprochen  habe. 

1815. 

213.  Januar.  Beim  Grafen  v.  d.  Goltz**)  in  kleiner  Gesellschaft 
gespeist.  Vor  Tische  vom  Fürsten  Blücher  bei  Sala  Taroni  mit  Austern 
und  Champagner  ti^aktiert  worden.") 

29.  Betember.  Im  Englischen  Haas,  wo  man  den  Tag,  an  dem 
der  Präsident  v.  Orolmann'*)  vor  50  Jahren  Rath  wurde,  sehr  herrlich 
gefeiert,  in  Gesellschaft  von  42  Personen  gespeist  Der  Ffirst  Harden- 
berg, alle  liOnister  nnd  vornehmsten  Staatsmänner  waren  hier,  auch 
Beyme. 

1816. 

19.  Januar.  Beim  Hof-Postmeister  Brese  recht  gut  gespeist. 

24.  Mittags  auf  der  Börse  vom  D.  Aleyer  in  der  teatsch-dirist- 
lichen  Gfresellschaft  bewirthet  worden. 

26.  Febmar.  Beim  Geh.  Rath  Grelinger  in  grosser  Gesellschaft, 
in  der  sich  auch  Blficher  nnd  Hardenberg  befonden,  gespeist  Mit 
BlQcher  mich  am  meisten  unterhalten. 

10.  September.  Speisten  bei  mir  die  Minister  v.  Kircheisen  and 
T.  Schnckmann'*),  der  schwedische  Gesandte  Taube  und  Admiral 
V.  Gyllenskjöld  aus  Schweden,'  Staatsrath  Borschs,  K.  Direktor 
Ludolff,  Stadt-Direktor  Beelitz*^),  Hufeland,  v.  Kamptz  etc. 


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170  ,  Georg  Siegeikt.. 

1817. 

24.  November.  Wurde  des  Gcueral-Fostmeistera  v.  Seegebarth 
5U jahriges  Dieust- Jubelfest  gefeiert.  ^'^') 

1818. 

'20.  Jauuar.  B^nm  Fürsten  Blücher  in  grosser  Gesellschaft  ge- 
speist, sehr  ifut  aufgcnoimnen  und  bewirtliet  worden. 

23.  Februar.  Vom  Ban(|uier  Lipke  l)ei  Dallach  in  grosser  Gesell- 
schaft gut  bewirthet  worden.  Ich  sass  neben  dem  Fürsten  Blücher, 
mit  dem  icli  mich  sein'  {i;ut  unterhalten  habe. 

in.  November.  lieim  Fürsten  IJlücher  gespeist,  und  olmerachtet 
viehi  Gaste  zu  Ti.sche  sassen,  so  sprach  fast  keiner  ein  Wort,  ausser  er 
und  ich. 

1819. 

39.  Juli.  Mittags  auf  der  Börse,  wo  das  50jährige  Amtsjabiläum 
des  Stadtpräsidenteil  Gersheim  in  einer  GeBelischaft  von  150  bis  160 
Gästen  gefeiert  wurde,  gespeist. 

13.  I>ezember.  Beim  v.  Wulffen,  einem  Spieler  von  Profession 
(gamster)  in  grosser  Gesellschaft  überaus  gut  bewirthet  worden.  Zur 
Rechten  den  General  v.  Ranch  Ezcell.*'),  einen  sehr  verstandigen,  und 
zur  Linken  den  General  v.  Natzmer'^  einen  eingebildeten  und  wie  man 
sagt,  naseweisen  Mann  bei  Tische  zur  Seite  gehabt. 

1820. 

6.  Januar.  Beim  Gouverneur  v.  Gneisenau  in  Gesellschaft  von 
einigen  50  Personen  sehr  hoch  gespeist. 

14.  August  Beim  General-Procnrator  Eichhorn  in  GeseUschaft 
von  11  Personen,  meistens  Rheinländer,  gespeist  Vom  Marschall 
Davoust  wurde  mehr  Gutes  als  Böses  erzählt 

19.  Gestern  ist  der  Sonderling,  mein  seit  vielen  Jahren  ergebenster 
Verehrer,  Freund  und  Diener,  der  sich  einbildete  und  vielleicht  auch 
war,  der  erste  Schilfer  in  der  Welt  zu  sein,  der  Graf  v.  Schlabrendorff 
zu  Potsdam  beim  Baden  in  der  Havel  ertrunken. 

1821. 

22.  Januar.  Heim  Krio?:sniinister  v.  Hake  in  Gesellschaft  von 
12  Personen  gespeist,  und  da  ich  den  Minister  schon  seit  mehr  als 
40  Jahren  kenne,  sehr  munter  gewesen. 

1823. 

20.  April.  Mittags  bei  .lagor,  wd  das  "jitj-ilirige  Amtsjubiläum  des 
Präsidenten  Wolder  mann  von  l.'KI  Personen  mit  Musik  und  Gesang 
hoch  gefeiert  wurde,  gespeist.    Der  König  ertheiite  ihm  den  Titel  £x- 


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Ans  den  TugebOehtra  dw  «Itaa  HUm.  171 

oeUens,  lud  sein  Bild  in  ganzer  Gröflse  wurde  im  Ksmmergericlit  auf- 
gehangen. 

1827. 

16.  Febmar.  Den  General  v.  Eiekebasch,  Kommandanten  von 
SUberberg,  kennen  gelernt. 

1831. 

27.  November.  Den  Referendarine  Hinckeldei  anfl  Sieders- 
bansen,  eine  kleine  Meile  von  Solz,  znm  Essen  bei  mir  gehabt. 


i)  Friedrich  HeiDrich  Stnbenrsacb,  königlicher,  prinzUeher  (Direktor 
der  Prinz  Ferdinandschen  DomSnenkammer)  und  Ordenskammerdirektor,  ge< 
boren  an  Dessau  1743,  Stadieagenosse  and  Jngendfreuid  Heims.  (Gel.  Bert 
1795.  II.  IU3.) 

i)  Der  Feldmursehall  v.  Möllendorff,  der  Held  von  Lcuthen  and 
Burkersdorf,  bcsass  in  Lichtenberg:  ein  Landliaiis  mit  Garten,  dessen  Glashlluser 
unil  eiifrlij^che  Anlagen  seiner  Zeit  berühmt  waren.  (Nicolai,  Wogweiser  durch 
Berlin  und  Potsdam,  179!.  j),  176.) 

3)  tiraf  llelnridi  Sehl abrendorf f ,  Erblierr  auf  Gröben,  seit  17S0  im 
Besitz  des  Grafentitcis.  Eine  ansprechende  Schilderung  dieses  Sonderlings  giebt 
Fontane,  Wanderungen  IV.  p.  371  ff. 

4)  Oberamtmann  Fromme  in  Fehrbellin,  einer  der  Mitarbeiter  an  der 
EntwMssenmg  und  Besiedeluug  des  Dossebrucbs.  (cf.  Fontane,  Wanderungen 
L  3.  A.  333  fr.) 

ft)  Syndikus  Koels  war  im  Jahre  IHOÜ  zweiter  Bürgermeister  von  B«'rlin 
und  empfing  als  solcher  am  23  D<'zember  in  Vertretung  BUschings  das  hoim- 
kehrendo  Königspaar.    (Geiger  II.  243.) 

ß)  Geh.  Kath  Kosenstiel,  ein  brgoistcrter  „Gesellschaftsiiianii''  Herlins; 
wir  finden  seinen  Namen  in  den  Mitgliederlisten  fast  aller  geselligen  Ver- 
einigungen dieser  Zeit,  im  HontagsMub,  Fenlers  Mittwochsgesellscbaft  etc. 
(Geiger  n.  199,  201.) 

7)  Mitchef  des  Bankhauses  Gebrüder  Sehiekler  in  der  Gcrtraudten- 
Strasse  16. 

ö)  General  Emst  Siegmund  v.  Boyen,  Direktor  des  6.  Departements  des 
Ober-Kri<  j,'s-Ko]1cgium8  (fllr  Moiitierungs-  und  Armaturwesen),  Oheim  des 
nachmaligen  ( Jeneralfeldmarschails  Hcrnianu  v.  Moyen.  Kr  war  wie  dessen 
Vater  ein  .Vnh.'lnger  Jenes  Chri.stcnthum-s,  ,,wie  e.s  im  Ileon'  Friedrichs  des 
Grossen  nicht  selten  war  und  eine  gewisse  historische  Bedeutung  in  Ansitruch 
nehmen  darf".  (Meinecke,  Da.s  Leben  des  Gcueralfcldmarschalls  Hermann 
V.  Boyen,  I.  p.  12.) 

•)  Marquis  Girolamo  Luechesini,  17.51  zu Lucsa geboren,  kam  1779  nach 
Berlin,  wo  ihn  Friedrich  zum  Kammerherm  ernannte.  Er  gehörte  bald  zur 
tSgliehcn  Tischgesellschalk  des  KOnJgs  und  vermittelte  dessen  literarischen 


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172 


G«o«g  Stogedü 


Verkehr  mit  italienischen  (ieh  hiton.  Unter  Friedrich  Wilhelm  II.  trat  er  in 
(Ion  diplomatischen  Dienst  rreusscns  und  hat  20  Jahre  lang  an  dessen  aus- 
wärtiger Politik  wesentlichen  Antheil  gehabt,  vornehmlich  als  Gesandter  in 
Petersbiu'g  (Warschau),  wo  er  die  Interessen  Proussens  in  den  polnischen 
Angelegenheiten  wahrzunehmen  hatte,  in  Wien  seit  1793  (in  demselben  Jahre 
wurde  er  znm  Minister  ernannt)  und  in  Paris  von  1800^1806;  dort  sachte 
er  trotz  seiner  persönlichen  Abneignnsr  gegen  Napoleon  Preossens  Ansdilnsa 
an  Frankreich  festzuhalten.  1807  wurde  er  mit  einer  Pension  von  1000  Thalem 
entlassen  und  kehrte  in  seine  Ueimathstadt  zurück,  wo  er,  vornehmlich  mit 
wisBcnschafllichen  Arbeiten  besch.'Iftig-t,  1825  starb. 

10)  Minister  V.  AI  vensleben,  seit  1 '^<'<i  Graf,  war  1791  zum  Geh. Staats«, 
Kriegs-  und  Kabinettsminister  ernannt  wurden. 

it)  Friedrich  Leopold  v.  Kirch  eisen,  geboren  1749,  gestorben  1825, 
prcossischer  Justizminister.  Hit  23  Jahren  war  er  bereits  Kammergerichts- 
rath. Als  solcher  war  er  an  dem  Erkenntnisse  im  Mttller  Amoldsdien  Prozesse 
betheiligt,  en(;ging  aber  einer  Bestrafong.  Wesentlichen  Antheil  hatte  «r  an 
der  Entstehung  des  preussischen  Landrechts,  worin  er  das  Sachenrecht  be> 
arbeitete.  1809  wurde  er  Kammergerichts-Präsident,  1^10  Justizminister. 
Als  solcher  vertrat  er  lebhaft  die  Carmer-Suarczsche  Gesetzgebung.  Auch 
um  das  Gemeinwohl  Berlins  f  RUrgerrettungsinstitat,  Armenspeisungsanstalt) 
hat  er  sich  hohe  Verdienste  erworben. 

12)  Sohn  des  am  16.  Mai  1775  gestorl)enen  Uofjuweliers  und  MUnz- 
entrepreneurs  Friedrichs  des  Grossen  Veitel  Heine  l'.phrnim.  Mit  seinen  zwei 
Brüdern  zusammen  hatte  er  die  von  seinem  Vater  übernommene  Erbpacht 
der  Königlichen  Gold-  und  Silbermanufaictur,  deren  Betriebswerkstfttten  sich 
in  dem  .Jadenmtthle*  genannten  I^tabUssement  am  Schüfbauerdamm  be- 
fanden  (No.  Z0\  1783  wurden  dort  813  Personen  beschSftigt  und  tftt  299  651 
Thalcr  Tressen,  Borten,  Schntlre  und  Flittcm  an^refertigt  1821  ging  die 
Manufaktur  als  Eigenthuni  an  die  Nachkommen  Ephraims  ttber.  (F.  Meyer, 
Berühmte  Männer  Berlins  II.  j..  109  fl'.) 

n)  In  Heiiin  bestanden  damals  folgende  Logen:  die  Mutterloge  zu  den 
drei  Weltku^^^eln,  1740  errichtet,  Eintracht  1754,  flammender  Stern  1770, 
Friedrich  zu  den  drei  Seraiihim  1774  (franz<»si8ch),  Verschwiegenheit  zu  den 
drei  verbundenen  Händen  1775.  Ihr  Heim  hatten  diese  vier  Logen  im  Behr- 
sehen  Hause  in  der  Leiiizigerstrasse.  Zur  grossen  Landesloge  in  Deutsch- 
land gehörten  die  drei  goldenen  Schlüssel  1769,  Stewartsloge  1770,  das 
goldene  Schiff  1771,  Pegasus  1772  (französisch),  die  Bestllndigkeit  1775,  der 
Pilgrim  1776,  der  goldene  Pflug  1776,  der  Widder  1777  (die  Johanneslogen) ; 
die  1752  von  einigen  fr.ni znsischen  Maeons  gestiftete  Loge  Royal  York  de 
Tamitii'  im  eliemals  Dankelmannsclien,  l'!'^  von  Schlüter  umgebnuten  Hause 
in  <ler  1  )(>rntlHM'iisfrasse.  —  Ein  sehr  ahsjirochfMides  IJrtheil  über  das  Berliner 
Logenwoücn  füllt  der  allerOin^'^s  Ubertreil)en(lf  Kriedrieli  v.  CiMln.  Sie  ständen 
mit  den  Kcssoui'cen  auf  einer  Stufe;  ihre  Arbeiten  iiüi/.ten  der  Menschheit  wenig. 
Die  Loge  Royal  York  habe  man  als  „ein  Vehikel  für  die  geheime  Polizei« 
vorgeschlagen.  Den  Brauch  des  Singens  beim  Mahle  swischen  den  einseinen 
Olingen  findet  er  lästig  und  nur  als  Lückenbttsser,  weil  die  Mehrheit  »theils 
maulfaul,  theUs  zu  vorsichtig  ist,  eine  warme  Unteihaltung  anzufangen  und 


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AoB  dea  I^bachecn  des  alten  Heim. 


1T3 


fortzu.spiimeii.''  Der  gute  Zweck  der  Logen,  alle  gein-nmen  Stünde  „mit 
sauften  IJmuliii"  zu  umschliosson  und  in  ihren  Zirkeln  all»-  fr<'l'ildtten 
Menschen  aurzunehnien,  sei  durch  die  Ressourcen  aui'genoniuien.  Auch  der 
alte  HoIWrth  Parthey  erklürte  sdnodd  Sohne  Gnetay,  bei  der  Freimaiirerei 
«komme  nichts  herans*.  (Krug,  Berlin  1793.  p.  156.  v.  COUn,  Berlin  und 
Wien  in  Parallele  p.  140  If.  Parthey,  Jngenderinnenmgen  I,  115.) 

14)  V.  Massow  war  am  2.  April  1798  Xaehfolger  WOllners  geworden. 
1807  verabschiedet,  starb  er  18  L6.  Seine  Frau  war  die  Tochter  des  Kriegs- 
nnd  DomUnenratlis  Spalding. 

if.)  V.  Ompteda,  hannöverscher  Gesandter  in  Berlin. 

16)  Friedrich  Ludwig  v.  Berlepsch,  hannoverscher  Landratli  und  Ilof- 
richter.  Als  solcher  stellte  er  1794  den  berühmten  ^Calenbcr^ischen  Antrag'',  als 
der  Friede  von  Basel  bevorstand,  and  das  FUrstcntham  Hannover,  des  Schutzes 
Prenasens  beraubt»  fttrehten  musste,  von  Frankreich  als  deutsche  Provinz  Eng- 
lands, das  sich  noch  im  Kriege  mit  Frankreich  befisnd,  betrachtet  sn  werden. 
B.  verlangte,  die  vom  König  von  England  als  Kurfftrst  von  Hannover  er« 
grißenen  Massregeln  als  verfassungswidrig  zu  raissbj|lligen ;  die  Bewohner 
der  Provinzen  Calenberg  und  Grubenhagen  sollten  am  Heichskriege  keinen 
Antheil  nehmen;  der  Kurflirst  sollte  für  die  <  alenborgische  Xntion  eine 
NeutralitUtserklärung  an  Frankreich  senden;  widrigenfalls  würde  man  selbst 
mit  Frankreich  verhandeln.  H.  wurde  al)g«'8<'tzt ,  als  vr  den  Antnig  ver- 
üU'eniiiclite,  klagte  heim  KeichükamniL'rgericht  und  erlangte  ein  Urtheil  auf 
Wiedereinsetzung.  Die  hannoversche  Uegierung  appellierte  nun  an  den 
Reichstag  und  verwies  Berlepsch  des  Landes.  Er  verfasste  eine  wahre 
Flnth  von  Streitschriften  bis  zum  Jahre  1803.  1813  trat  er  gegen  den  Kur- 
fürsten von  Hessen  auf,  dem  er  nachwies,  dass  den  Gerichten  die  Ent* 
Scheidungen  vorgeschrieben  würden,  und  dass  seine  Unterthanen  dreimal 
soviel  Steuern  bezahlten  wie  ISOH.  Von  Hannover  forderte  er  40  000  Thaler 
Schadenersatz;  er  wandte  sich  deswegen  an  den  Bundestag,  aber  vergeblich. 
Er  starb  1818,  ohne  etwas  erreicht  zu  haben.    fAllg.  d.  Biogr.  II.  \>.  403.) 

17)  Dietrich  Adum  Heinrich  v.  Bülow,  Bruder  Bülows  von  Dennewitz, 
17Gü  oder  63  geboren.  Er  ist  eine  der  merkwürdigen  Erscheinungen  aus 
der  Wende  des  18.  Jabrfauoderts,  welche  dem  Geiste  ihrer  Zelt  zum  Opfer 
gefallen  sind;  seine  Genialitttt  wurde  sein  Verderben.  Geistig  hoch  bedeutendi 
aber  unstKt,  ohne  Buhe  und  Ausdauer,  dabei  ausschweifend,  fand  er  nicht 
Anerkennung,  sondern  Misstraura;  das  verbitterte  ihn.  Er  war  nach  einander 
preussischer  Offizier,  hollitndischer  Insurgent  1790,  Theaterdirektor  ohne  Auf- 
führungen, J.'jger  in  den  amerikanischen  Urwüldcrn,  Swedenborgianischer 
Aj>(»stel*),  Kauiniann;  eine  Spekulation  mit  (ilaswaaren  nach  Amerika  gemein- 
sam mit  seinem  Bruder  Carl  raubte  ihm  sein  Venn")gen.  Voller  Entrüstung 
darob  schrieb  er  „Der  Freistaat  von  Nordamerika  in  seinem  neuesten  Zustande" 


•)  Nach  seinem  Tode  erschien  emo  Schrift:  „Nunc  penniasum  est.  Coup  d'oeil 
sur  la  üocthue  de  la  nouvelle  ^glise  cbretieuue  ou  le  Swedenbor^anisme.  Ouvrage 
potthnnie  de  HL  de  Bnlow.  1809.**  Er  sucht  dsrin  tu  beweisen,  dsss  der  Swedeii' 
boigiSDismns  In  den  Jahien  1817  mid  16  an  die  Stelle  des  katholischen  nnd  pfO> 
iMtantiscbA  OhriHeBflmms  tietsn  weide. 


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174 


Geoig  8i0geriBt. 


(1797),  worin  vv  die  Vereinifj^tcn  Staaten  und  die  Amerikaner  aufs  llettipste 
anj^^rifl*.  lu  den  nächsten  Julircn  erütluen  eine  Iveilie  treHlich  geschriebener 
Bücher  strategischen  und  politischen  Inhalts.  (Geist  des  neuen  Kriegs- 
syBtemi.)  1799  kehrte  er  naeh  Berlin  znrUck.  Seine  BemfUningen,  im  diplo- 
matiechen  oder  GeneralstabsdlenBte  eln^  Anstellung  zu  finden,  waren  firacht- 
los;  deshalb  griff  er  die  bestehende  Staatsfonn  immer  heftiger  an.  In 
den  nächsten  Jahren  niaclite  er,  von  seinem  Bmder  Wilhelm  imterstlltst, 
Reisen  In  Prankreich,  England,  Deutschland.  Seit  1804  entfaltete  er  in  Berlin 
eine  reiche  schriftstelU  rische  TliMt!«:keit ;  unter  vielem  andern  erschien  1805 
„Prinz  Heinrich  von  Preusseii,  kritische  (Jeschiehte  seiner  FeldzUg-e",  worin 
Biilttw,  getreu  seinen  absprechcn<leii  und  zersetzenden  Grundsätzen,  den 
l-'rinzcn  als  Feldherrn  weit  Uber  Friedrieh  II.  stellt.  Eine  beisscnde  Kritik  des 
Feldzuges  von  1805  fUhrte  im  August  isoe  auf  Veranlassung  des  russischen 
Gesandten  in  Berlin  ta  seiner  Verhaftung.  Beim  Nahen  der  Franzosen  wurde 
er  nach  Kolberg  gebracht,  wo  er  einen  Plan  zu  einer  allgemeinen  Volks- 
erhebnng  im  Kficken  des  Feindes  ausarbeitete,  der  imverkennbare  Ähnlich- 
keit mit  dem  spUtcren  Landwohrsystem  zeigt  Von  Kolberg  beförderte  man 
ihn  bei  Beginn  der  Belagerung  nach  Königsberg.  Seine  weiteren  Schicksale 
sind  dunkel.  Kr  soll  nach  Kurland  entkommen  sein;  dort  hiitten  ihn  Kosaken 
anf^'-e^riffcn  und  nach  Riga  gebracht,  wo  er  im  Juli  Is07  am  Xervcnfieber 
gesiorlien  ist.  d'aul  v.  Bülow,  Familienbuch  der  von  BtUuw.  p.  288.  Erscb 
und  Gruber,  EncyclopHdie  I,  Band  13.  p.  30.jrt.) 

18)  Friedrich  Eberhard  Freiherr  v.  Bochow,  Erbherr  auf  Rekahn  und 
Domherr  zn  Halberstadt,  der  Reformator  des  norddeutschen  Volksschnlwesens. 
Zaerst  Ofözier,  mnsste  er  in  Folge  einer  Verwundung  den  Dienst  quittieren 
und  bewirthsohaltete  seine  Gflter.  Hier  lernte  er  die  Unwissenheit  und  Roh- 
heit des  Landvolkes  kennen.  Friedridi  der  Grosse  ging  auf  seine  Plttne  zur 
Allhülfe  ein.  Bochow  forderte  ausgebildete  Lehrer,  nicht  Handwerker  oder 
Invaliden;  der  Lelirer  müsse  mindestens  100  Thaler  baares  Geiialt  nebst  allen 
Nebeneinkiinften  haben:  narli  M"i;:Iii'hkeit  seien  eigene  Schulgebllude  zu 
errichten,  jedenfalls  lielle  Klassen.  .Seit  1771  richtete  er  Muster.-chulen  in 
seinen  Dürfern  liekahn,  Güttin,  Koschcrlinde  und  Brüekermark  ein,  die  bald 
über  Deutschlands  Grenzen  hinaus  berUhmt  wiu'den.  17  .2  iiatte  er  seinen 
„Versuch  eines  Schulbuches  für  Kinder  der  Landleute  oder  zum  Gebrauch 
in  Dorfschulen*  unter  dem  Motto:  «Dittcile  est  proprio  oommunla  dlcere* 
erscheinen  lassen;  1773  folgte  der  .Kinderflreund,  ein  Lehrbuch  zum  Gebrauch 
in  Landschulen',  der  1834  seine  letzte  Auflage  erlebte;  in  demselben  Jahre 
schrieb  er  seine  „Instruktion  für  Landschulmeister".  Bochow  war  vollständig 
Autodidakt,  ein  Verelirer  Rousseaus,  Freund  Gellerts  und  Basedows.  Er 
starb  (19  Jahre  alt  1805.  (Allg.  d.  BiogT.  XXVm.  p.  727,  Nicolai,  Berlin 
und  Potsdam  III.  1034.) 

19)  V.  Dorville  war  Uofmarschall  bei  der  Gemahlin  Friedrich  Wil- 
helm II.  gewesen. 

m)  Die  Königliche  Pulverfabrik,  1717  von  van  Zee  und  Bauer  angelegt, 
befand  sich  auf  dem  Gelände  des  jetzigen  Landes -Ausstellungspalastes  hi 
Moabit  (Berlin  wie  es  ist.  p.  207.) 

n)  Dem  am  12.  September  1803  publleierteii  Urthefl  erster  instans  wider 


Ans  den  Tagebaeheiii  dttB  alten  Helm. 


1T6 


die  Geheime  Justizrlithin  Ursinus,  geborene  Weingarten,  von  Weiss  genannt, 
■eSen  folgende  Ang-ahen  entnommen:  Im  Alter  von  10  Jahren  hatte  sie  sich 
im  Jahre  1779  mit  dem  damaligen  <  )bergeriebtsrath  Ursinus,  dem  Hausfreunde 
ihrer  Eltern  vermlihlt;  er  war  kriinklich  und  seh\verhr»rifr,  sie  li<d)t*'  ihn  nieht. 
Die  Ehe  blieb  kinderlos.  Sie  ging  noch  zu  Lebzeiten  ilires  Mannes  ein  Ver- 
hliltniss  mit  einem  holländischen  Offizier  Kaquay  ein,  das  Ihr  Mann  billigte. 
Raiiaay  starb  im  Jnli  1797.  Am  11.  September  1800  starb  ihr  Mann,  nach- 
dem er  ein  Brechmittel  aus  ihrer  Hand  eingenommen  hatte.  Am  23.  Januar 
1801  starb  ihre  Tante  Witten  in  Gbarlottenburg,  bei  der  sich  die  Ursinns  zur 
Zeit  aufhielt.  Als  in  Fflamnen,  die  sie  Ihrem  Bedienten  Klein  gegeben  liatte, 
Arsenik  festgestellt  wurde,  erfolgte  ihre  Verhaftung.  Sie  erklärte,  am  Tode 
ihres  Mannes  und  ihrer  Tante  imschuhbv  zu  sein,  aueh  den  Klein  habe  sie  nieht 
tikllen  wollen;  sie  hätte  die  Absicht  gehalft,  Sell).stnionl  zu  begehen  und  an 
Klein  studieien  wollen,  wieviel  Gift  sie  nehmen  müsse,  um  sieh  zu  tüdten. 
Zenker  und  Heim,  die  i  <9V  Kaquay  behandelt  hatten,  erklärten,  dass  sie  ihn 
nieht  vergiftet  habe.  In  aebiem  Krankenverzeichnisse  1797  verzeichnet  Heim 
am  4.  Febraar:  „v.  Raqimy,  ans  Holland  gebürtig,  phtbysls  pnimonalis". 
Ursinns*  Leiche  wurde  untersucht;  Klaproth  und  Rose  hielten  es  nach  Unter- 
suchung der  Eingeweide  für  wahrscheinlich,  dass  er  an  Folgen  des  Arseniks 
gestorben  sei,  indessen  sei  Gift  seilest  nieht  gefunden.  Dem  widersprachen 
die  Aussagen  der  Ärzte,  die  ihn  behandelt  hatten,  K(»rmoy,  Laube.  Bremer. 
Bei  der  Tante  Witten  stellten  Klaproth  und  Kose  \'er^'ittung  dureh  Ai-sonik 
fest.  Klein  war  der  Vertraute  der  sehr  liebcbcdUrfti/^-en  Dame;  s.ie  liatie 
Hm  als  Kundsciuiller  über  die  Verhiiltnisse  iiirer  läebhaber  j.febraucht  und, 
da  sie  Elnthlillungen  fUrclitcte,  bei  Seite  zu  schafl'eu  gesucht.  Sie  wurde  des 
Giftmordes,  begangen  an  der  unverehelichten  Witten  und  des  Giftmord- 
versuches an  dem  Bedienten  Kleui  ftir  schuldig  befinden  und  zu  lebens- 
länglichem Festungsarrest  verurtheilt 

n)  v.  Warsing  hatte  seit  Doebbeilns  Abgang  die  geschäftliche  Ver- 
waltung des  Nationaltheaters  geleitet. 

is)  Der  Geh.  Ober-Finanzratk  v.  Angern,  der  1802,  nachdem  er  Prttsi- 
dent  der  magdebnrgischen  Kammer  gewesen  war,  die  Verwaltung  der  im 
Reichs-Deputationshaaptschlasse  erworbenen  Länder  übemonmien  hatte,  wurde 
1803  zum  Staats-,  Kriegs-  und  dü'iglerenden  Minister  beim  General-Direktorium 
ernannt. 

m)  Frau  v.  Berg,  die  Freundin  der  Königin  Luise. 

w)  Carl  V.  Hake,  geboren  am  8.  August  1758  zu  Flatow  in  Osthavel- 
Innd,  nach  dem  Unglück  von  Jena  ein  Mitarlieiter  Scharnhorsts  am  Werke 
der  Armee  Reorganisation.  Im  Juni  IHlO  übernahm  er  die  von  Scharnhorst 
abg-epfebenen  Geschäfte  des  Chefs  des  allgemeinen  Kriegs  ! )eparteiiientH.  Hier 
hat  er  unter  sehr  schwierigen  Verhältnissen,  gehemmt  durch  den  xVrgwohn 
der  Franzosen,  getrieben  dui'ch  die  Ungeduld  der  l'atrioten,  Rücksicht  nehmend 
auf  die  Eigenthttmlichkeiten  des  Königs  und  gebunden  durdi  Schamhorst, 
mit  Treue  und  Gewissenhaftigkeit  gearbeitet  1812  wurde  er  Generalmi^or. 
1813  fiel  ihm  die  Soi^ge  fttr  die  Mobilmadiung  fast  allein  zu;  spSter  wurde 
er  prenssisoher  BevollmAchtigter  im  Hauptquartiere  Schwarzenbergs,  dem  er 


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176 


Geoig  8i«gtiiBt 


sich  allzu  sehr  anschloss.  1815  focht  er  als  Brigadf'koinniaiuleur  unter  Hülow 
bei  Helle-Alliance.  1^<16  bekam  er  dm  rheinische  Armeekorps,  1^*19  wurde 
er  Xaelitolger  B<'yens  und  blieb  Kr iegämiaister  bis  lb33.  Erstarb  am  19. Mai 
lb35  zu  Castellauiare. 

2ö)  V.  Brock  ii  a  Usch  war  nach  dem  Kriege  bis  1812  Gesandter  Preussens 
am  Hofe  Napoleons  gewesen,  wo  er  sich  durch  ein  festes,  würdevolles  Atif» 
treten  aiwEeiehnete.  Bis  1814  anbeschofUgt,  wurde  er  in  diesem  Jahre 
Gesandter  in  Haag  bis  1816.  Er  starb  1829. 

»)  Der  rassische  Gesandte  in  Berlin. 

u)  Nachmals  von  1817—24  Finanzministcr.  1807  war  Klewits  Vor- 
sitzender  der  mit  Wahmehmnng  sämmtlicher  Gcidoperationen  and  der 
Armeeverpflegting  betrauten  Iromediatkommission  und  hatte  als  Mitglied  des 

Finunzdopartomciits  und  Chef  fler  GosetZfrcbuiiirsk'Miuiiission  bedeutonden 
Antheil  an  der  Wiedergeburt  Preusseiis.  Seit  Ittio  war  er  Staatssekretär  im 
Stuatsrath. 

29)  Friedrich  Wilhelm  v,  Aniialt,  jjeslorben  als  Generalmajor  1837, 
Nachkomme  des  1737  gestorbenen  Erbprinzen  Wilhelm  Gustav  von  Anhalt» 
DeBsau  nnd  der  Tochter  des  Saperintendenten  Chardins  in  Dessau.  Den  ans 
diesem  VcrhSItnisse  hervorgegangenen  beiden  SOhnen  worden  1761  der 
preossiscbe  Adelstand  verliehen.  (Kneschke,  Adelslezikon  I.  p.  85). 

m)  General  der  Kavallerie  von  l'Estoeq,  1738  geboren,  war  SchfUer 
Friedrichs  des  Grossen  nnd  Ziethens.  Er  zeichnete  sich  namentlich  in  den 
KovolationsknV^en  aus;  am  bekanntesten  Ist  sein  entscheidendes  Eingreifen 

bei  Prcussisch-Kylnu  ISOT.  Xach  dem  Krlcffo  wurde  er  Gouverneur  von 
Berlin,  verlor  alter  diesen  Posten  wegen  Scliills  I  jitweichen.  Beim  Ausbruche 
des  Befreiun^'^skrieges  wurde  er  zum  Militär-Gouverneur  des  Landes  zwischen 
Elbe  und  Oder  ernannt.    Er  starb  181'». 

3v)  Graf  V.  d.  Goltz,  abwechselnd  Offizier  und  Diplomat.  181*'  war  ef 
Gesandter  in  München,  1813  Generulstabsoftizier  Blüchers,  nach  dem  Frieden 
worde  er  preusBischer  Gesandter  in  Paris.  Er  starb  1822.  (Allg.  d.  Biogr. 
IX.  p.  318.) 

m)  Sala  Tarone»  an  der  Seblensenbrlicke,  der  bekannteste  «Italiener- 
keller* (Delikatessenhandlung  nnd  Weinstabe)  Berlins»  spKter  unter  den 
Linden  32. 

Vi)  „Der  alte  Grolmann",  Dietrioli  Heinricli  von  Grolmann,  einer  der 
intimsten  Freunde  Heims,  den  er  noch  um  »i  Jahre  überlebte.  Geboren  um 
Dezember  1715  in  Bochum,  wurde  er  im  Alter  von  JO  Jahren  Kammer- 
gerichtsrath in  Berlin,  17Sü  geadelt,  1787  Mitglied  der  Ge8etzg-ei)ung^s- 
kommission,  1804  PrHsident  des  Obertribunals.  Bei  seinem  50  jährigen 
Jubiläom  1817  wurde  er  Mitglied  des  Staatsraths.  1833  worde  ihm  die  naoh- 
gesaehte  Dienstentlassang  unter  Verleihung  des  schwarzen  Adlerordens  er- 
theUt.  (Allg.  d.  Biogr.  IX.  p.  713.) 

m)  V.  Behuckmanui  1814  Minister  des  Innern,  hatte  sich  namentlich 
bei  der  Uebemahme  in  der  Verwaltnng  von  Ansbach-Bayrenth  ausgezeichnet 
Am  10.  Mai  1807  wurde  er  als  preussischer  Umtriebe  verdächtig  von  den 
Franzoien  verhaftet  und  nach  Mainz  gebracht;  bis  zum  &.  Mai  1808  hielt  er 


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Ana  den  Titebachera  des  alten  Heim. 


177 


sich  als  Gefangener  auf  Ehrenwort  in  Heidelberg  anf.  1810  wurde  er 
Staatsratb.  Er  starb  1834. 

as)  Beelitz  war  Prltsldent  des  Berliner  Stadtgerichts,  „ein  stattlicher, 

woblbcleiliter  Mann,  mit  llberaas  freundlichem  Gesicht,  das  sich  durch  eine 
ungewöhnlich  kleine  Nase  auszeichnete  ,  .  .  (fiberty,  Jugenderinnerongen 
eines  alten  Berliners  p.  361). 

36)  Generalpüstnieister  v.  Secg^ebarth  leitete  bis  1^31  das  Postwesen 
Pi  •ensscns;  sein  Njic]itiij}4cr  war  Nag'ler.  Unter  seinem  Keg^uueut  wurde  die 
Grobheit  der  Postbeamten  spiichwürtlich.    (Eberty  p.  11). 

57)  General  von  Rauch,  bewährter  Gehilfe  Scharnhorsts.  In  den 
Befreinngskriegen  war  er  erst  Genera]8tal)schef  Yorks,  dann  vorfibergehend 
bei  Blücher.  1814  wurde  er  Oeneralinspectenr  der  Festungen  und  Chef 
des  Ingenieurkorps,  das  er  1816  neu  gestaltete.  1837  zum  Kriegs- 
minister ernannt,  starb  er  1841. 

sb)  Oldwig  von  Natzmer,  1782  geboren.  Im  Pagenhause  zu  Potsdam 
erzogen,  in  der  Garde  aufgewachsen,  stand  er  in  ptTsöiilicli  freundschaft- 
lichen Bezichung-en  zum  königlichen  Hause.  Bekannt  ist  s^  iiio  Sendung  zu 
York  im  Januar  Lsl2.  1814  wurde  er  militärischer  Begleiter  <li  s  I'hnzen 
Wilhelm,  des  nachmaligen  Kaisere,  der  ihn  gern  seinen  Lehrer  in  militiirischen 
Dingen  nannte.  1815  wui'de  er,  33  Jahre  alt,  General.  1830  naluu  er  seine 
Entlassung  und  starb  1861. 

w)  Der  am  16.  UKrz  1851  von  dem  Premierlieutenant  Ton  Bochow- 
Plessow  erschossene  Polizei-PrSsidcnt  von  Berlin.  Geboren  1805  auf  Schloss 
Simmershausen  bei  Wasungen  in  Sachsen-Meiningen,  trat  er  am  30.  September 
1826  In  den  preussischen  Dienst. 


Axoh. 


12 

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178 


m 

Zur  Lokalgeschichte. 


1795. 

8.  Hai  Mittags  mit  meiner  Fraa  und  beiden  ältesten  Töchtern  im 
Georgischen  Garten')  in  grosser  Gesellschaft  gespeist. 

15.  Abends  vom  Bmder  Baersch  in  GeseUschaft  mehrerer  im 
Theerbnschischen  Garten^)  bewirthet  worden. 

10.  JnlL  Mittags  yom  E.  G.  R.  Beyme  in  grosser  GeseUschaft 
bei  Richards  im  Thiergarten^)  herrlich  bewthet  worden. 

1796. 

16.  JnlL  Vormittags  in  der  Bank^ '  miph  gebadet,  nnd  von  da 
nach  Gharlottenbnrg  geritten,  nnd  bei  v,  Bomsdorif  des  Mittags  ge- 
speist, und  nachher  mit  ihm  nach  dem  Schlossplatz  gegangen,'  wo  er 
seinen  Soldaten  Bier  zu  trinken  gab,  welches  jährlich  einmal  geschieht 
140  Menschen  bekamen  5  Tonnen  Bier  nnd  12 — 16  BouteiUen  Wein.  Es 
wurde  getanzt  Alle  Frauen  und  Kinder  der  Soldaten  waren  hier  ver- 
sammelt, —  welches  mir  sehr  wohl  gefiel. 

9.  August  Mit  Frau  und  Kindern  nach  dem  dustem  Keller  ge- 
fahren und  den  Abend  daselbst  geblieben.') 

18.  Nachmittags  nach  dem  Welling  mit  Frau  nnd  4  Kindern  ge- 
fahren, und  daselbst  die  Kirschen  vom  Baume  geholt,  die  ich  vor  einiger 
Zeit  schon  gekauft  hatte.*) 

28.  Nach  Tische  mit  meiner  ganzen  Familie  nach  dem  Schützm- 
platz  gefahren,  wo  ein  gewisser  Ensler  aeroslätische  Experimente  machte. 
Er  liess  nämlich  einen  grossen  Hirsch  mit  2  Hunden,  eine  Sau  mit 
einem  Hund  und  einen  grossen  Reiter,  die  mit  brennbarer  Luft  geffillt 
waren,  in  die  Luft  steigen.  Der  Zulauf  der  Menschen  war  unbeschreib- 
lich gross.  ^ 


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Aus  den  Tagebüchero  des  alten  Heim.  179 

U.  Oktol>6r.  Ifit  dem  D.  Hnffland  und  semer  Frau  und  D.  Riemer 
die  Zimmer  des  Grafen  von  Dönhoff  das  Radiiwilifiche  Palais  and 
Schneiders  Menbles-Magazin  besehen.  0 

1797. 

20.  Angost  Nach  Tische  nach  SehOneberg  geritten.  Viele  Menschen 
waren  hier  und  auf  dem  Wege  dahin,  um  das  in  den  Zeitungen  ange- 
kündigte  Wettrennen  mit  anzusehen.  Es  war  aber  keina  und  die 
Menschen  waren  g^fil  worden.^ 

22.  November.  Heate  starb  die  berfthmte  nnd  berftehtigte  Hnren- 
wirUiin  Madame  Schnwitz»  zn  der  ich  vergangene  Nacht  gerufen 
wurde.") 

1798. 

15.  ApriL  Nadi  Tische  mit  meiner  Familie  bei  den  QSrtner  Zittel- 
mann")  gefahren,  wo  ans  die  mannigfaltigen  schönen  Blnmen  ftberaos 
ergötzt  haben. 

1804. 

10.  Januar.  Hente  war  der  feierÜehe  Einzog  der  Prinzeashi  Amalie 
V.  Hessen-Homburg,  der  viele  Tansende  von  Menschen  in  Be>veguug 
setzte.  Ich  wollte  bei  Schmitz  in  der  Leipzigerstr.  diesen  Einzug 
mit  ansehen,  ich  frfihstdckte  aach  daselbst,  allein  die  Zeit  worde  mir 
zu  lange  nnd  ich  ging  mit  meinem  Sohn  nnd  dem  jungen  v.  Karstadt 
nach  Schöneberg  und  von  da  zorflck,  in  den  Garten  des  Kanfinanns 
Nietze^  wo  der  Zug  vorbeiging.  Nachher  ging  ich  aofi  Palais  des  Prinz 
Heinrich  zam  Eammerdirektor  v.  Granenthal,  wo  der  Anblick  von  so 
vielen  1000  Menschen  mich  sehr  vergnügte.  Schade!  dass  bei  diesem 
Volksfest  an  der  Opembrflcke  im  Gedränge  8  Menschen  theils  todt  ge^ 
dr&ckt,  theils  todt  getreten,  nnd  mehrere  sehr  besdddigt  worden  sind.*') 

1809. 

12.  JnU.  Anf  dem  Gesnndbrannen,  der  hente  als  Loisenbad  ein* 
geweiht  wurde,  in  Gesellschaft  von  beinahe  300  Personen  gespeist  Ich 
bedanre  nnr  den  Besitzer  desselben,  den  armen  Apotheker  Assessor 
Flittner,  denn  aller  Wahrscheinlidikeit  nach  wird  er  bei  dieser  Anstalt 
seine  Rechnnng  nicht  finden.**) 

20.  September.  Grestem  Abend  ging  ich  gegen  12  Uhr  zu  Bette 
and  kaum  hatte  ich  eine  Stande  im  Bette  gelegen,  als  Feaerlänn  war . . . 
Da  ich  bemerkte,  dass  es  so  helle  in  meinem  Schlafzimmer  wnrde,  als 
es  fest  bei  Tage  za  sein  pflegt,  so  stand  ich  anf,  sah  znm  Fenster  hin- 
aas und  fand  die  Petrikirche  in  vollen  Flammen  stehen.  Ich  weckte 
sogleich  meinen  Sohn  —  Eriegsratii  Nagel  nebst  seiner  Frau  kamen 
zn  mir,  nnd  non  gingen  wir  anf  den  Boden  nnd  sahen  das  granen- 
vollate  prächtige  Fener,  wodvroh  die  ganze  Stadt,  wo  man  alle  Straaaen 

IS* 


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180 


Georg  ffiegerist 


and  Thürme  fast  so  gat  wie  bei  Tage  sehen  konnte,  einem  Panorama 
gleich.  An  9  Häuser  haben  mehr  oder  weniger  dorchs  Feuer  gelitten, 
und  der  grosse  Thurm  des  Waisenhauses  ist  auch  damit  abgebrannt") 

1811. 

'28.  Januar.  Mu  ihIs  im  Komddiensaal  den  Baucbsprecher  Charles 
reden  gehört  Einmal  liurt  man  so  etwas,  16  ggr.,  die  jeder  Zuhörer 
bezahlen  musste,  ist  die  Sache  nicht  werth. 

1812. 

24.  Januar.  Fast  die  ganze  Stadt  feierte  den  Tag,  wo  vor 
lUÜ  Jabreu  Friedrich  II.  geboren  wurde. 

1813. 

10.  Juli.  Ist  der  Ober -Bürgermeister  v.  Gerlach  auf  eine 
gläii/.endo  und  ausgezeichnete  Art  begraben  worden,  welches  er  in 
jeder  Hinsicht  verdiente.*"^) 

1814. 

22.  Januar.  Kam  die  Russische  Kaiserin  Abends  spät  hierher,  warn 
grossen  Verdruss  der- Einwohner.  ^''} 

29.  Dezember.  Vor  Tische  auf  dem  Schloss  in  Gesellschaft  Von 
15  Personen  die  dort  im  Keller  befindlichen  Rheinweine  vom  Jahre  11, 
die  dem  Kellermeister  HabeP')  angehören,  geprobt  Jeder  konnte  so- 
viel ihm  beliebte  trinken. 

1815. 

24.  September.  Kam  der  Kaiser  von  Russland  hierher.  Bei  dessen 
Einzug  wurde  die  Nationalgarde  so  beleidigt,  dass  sie  ihre  Fahne  zer- 
rissen und  mehrere  ihre  Gewehre  zerschlagen  haben. 

22.  Oktober.  Im  Thiergarten  das  grosse  Volksfest,  welches  durch 
den  Hedianikus  Winkler  zum  Gedftchtniss  der  vor  400  Jahren  er- 
haltenen Kurwflrde  der  HohenzoUem  gegeben  wurde,  mit  Vergnfigen  mit 
angesehen. 

6.  November.  Abends  war  wegen  Verlobung  der  Prinzessin  Char- 
lotte mit  dem  Grossffirsten  Nikolaus  die  ganze  Stadt  erleuchtet,  und 
einige  Gebäude  vorzflglich  schön. 

1816. 

13.  August.  Im  Thiergarten  die  Kunstreiter  und  von  ihnen  Van- 
dammes  Gefangennahme  vorstellen  gesehen. 

1817. 

9.  Februar.  Abends  im  Universit&tegeb&ude  der  Feier  wegen  des 
vor  4  Jahren  geschehenen  Aufrufs  der  Studenten  zum  Kampf  gegen  die 
Fnmzosen  beigewohnt,  die  mir  recht  gut  gefiel. 


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Axa  den  Tacebftcbera  dM  alten  Heim. 


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29.  Juli.  Heute  just  in  der  Mittagsstuude  kam  im  Koinödicnhaus 
Feuer  aus,  und  in  Zeit  von  einer  Stiinde  war  nichts  mehr  von  dessen 
Dach  zu  sehen.  Eine  stärkere  Flamme  sah  ich  nie  zuvor.  Aas  Löschen 
\fsa  hier  nicht  zu.  denken. 

1818. 

22.  April.  Ifittegs  beim  Oob.  Kath  Pochhammer  in  Gesellschaft 
mehrerer  Ärzte  gespeist,  nachdem  wir  zuvor  seine  neue  Bado-Anstalt 
besehen  hatten.    Recht  gut  hat  ans  allen  diese  Anstalt  gefallen.") 

18.  Joni.  Wegen  der  grossen  Parade  Unter  den  Linden  zur  Feier 
der  gewonnenen  Schlacht  bei  Belle-Allianre  von  halb  10  bis  2  Uhr  in 
der  grössten  Hitze  Kranke  zu  Fuss  besuchen  müssen.  Vor  3  Jahren 
hat  jeder  Soldat  bei  dieser  Schlacht  doch  wohl  mehr  als  ich  aosstehen 
möflSen,  das  hat  mir  das  Gehen  erleichtert. 

1820. 

11.  Juli.  Nach  Tische  nach  dem  Tempelhofer  Berg  geritten,  und 
die  Arbeiten  zur  Errichtung  des  Monuments  in  Augenschein  genommen. 
Die  Aussicht,  die  wir  oIkmi  auf  dem  Gerüste  hatten,  war  Uber  alle  Be- 
schreibung schön  und  prachtvoll,  wie  man  sie  von  keinem  hiesigen 
Thurme  haben  kann.  Statt  dieses  Monuments,  welches  in  der  Ferne 
wenig  Eindruck  machen  kann,  da  es  nur  70 — 80  Fuss  Höhe  hat,  hätte 
man  lieber  eine  Säule,  wie  die  zu  London  ist,  errichten  sollen,  so  dass 
man  von  oben  die  ganze  Gegend  von  wenigstens  12  Meilen  im  Doroh- 
messer  hätte  übersehen  können.'') 

1828. 

12.  JalL  Vor  Tische  mit  meinem  Sohn  nach  Schöneberg  und  von 
da  nach  der  Hnsarenstrasae  gefahren,  nnd  das  Lokal  der  kflnstlichen 
Oeeondheitswässer  besehen,  welches  ans  sehr  wohl  gefiehl"') 

28.  Angost  Viele  Exekutionen  als  Hängen,  Rädern,  Eöplbn,  Spiess- 
mthenlaafen  habe  ich  mitangesehen,  aber  daas  mehrere  aasgeprfigelt 
worden  nicht  Gestern  hatte  ich  anf  der  Stadtvoigtei  Gelegenheit,  dies 
tranrige  Ereigniss  mltanznsehen.  Vor  einigen  Wochen  hatten  die  Schnster- 
gesellen  die  Schneidergesellen  geneckt,  wobei  es  zu  heftigen  öffentlichen 
Streitigkeiten  gekommen  war.  150  solcher  Gesellen  wurden  arretiert 
und  auf  die  Hausvoigtei  in  Arrest  gebracht.  In  Gegenwart  aller  dieser 
Gesellen  und  einer  Menge  von  Gensd'anncn  und  Gerichtspersonen  wurden 
mehrere  der  unruhigen  Gesellen  mit  15  bis  20  Kantschuhiei)cn  bestraft 
Nur  bei  dreien  dieser  Unglücklichen  konnte  ich  die  Strafe  mitan^clipn. 
Der  Anblick  dieser  :»  und  der  übrigen,  die  noch  Strafe  erleiden  sollten 
und  ohne  Röcke  blass  und  furchtsam  beisammen  standen,  ergriff  und 
rührte  mich  so,  dass  ich  gerne  laut  zu  weinen  hätte  anfangen  mögen, 
nnd  ich  eilte  diesen  traurigen  Ort  zu  verlassen. 


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Ctooig  Siegeiitt. 


2'*^.  November.  Heute  war  der  feierliclio  Einziij^  der  Prinzessin 
von  Bayern.^')  Ich  stand  am  Brandenburger  Thor  bei  den  Magistrats- 
personen, und  bekam  die  Prinzessin  ganz  genau  zu  sehen.  Sie  hat  oine 
ausgczoichiu't  scliöne  und  liebenswürdige  Gesichtsbildung.  Von  halb  12 
bis  halb  4  habe  ich  am  Thor  gestanden.  Abends  wollte  ich  um  die 
Illumination  zu  besehen  fahren,  allein  allenthalben  waren  die  Wege  ver- 
sperrt und  ich  nmsste  über  2  Stunden  zu  Fuss  ^^cben  und  kam  selu- 
müde  nach  Hause.  Ganz  Berlin  war  heute  in  Bewegung  und  Abends 
gegen  8  ülir  wurden  auf  der  Nothbrücko  am  Zeughaus  -'  )  72  Menschen 
zu  Tode  gedrückt.  In  Paris  hätte  ich  einmal  beinahe  das  nemliche 
Schicksal  haben  können. 

1824. 

10.  November.  Bei  Jagor-*)  in  der  Stadt-Verordneten-Gesellschaft 
wegen  Einführung  der  Städte- Verordnung  vom  Jahre  IÖ09  diesen  Tag 
in  Gegenwart  von  125  Personen  gespeist.''') 

1826. 

10.  April.  Gestern  starb  wider  alles  Yermnthen  der  PoUseirath 
Eckert,  worfiber  sich  alle  Spitzbuben  sehr  freuen  werden. 

11.  Juli.  Heute  fr&h  den  Leichnam  des  König!.  KeUermeisters 
Habel,  dessen  Arzt  ich  ftber  40  Jahre  war  und  den  ich  immer  als 
meinen  wahren  Freund  erkannt  habe,  zu  Grabe  geleitet. 

1829. 

10.  Juni.  Mit  meiner  Frau  ausgefahren,  um  den  Einzug  der 
Weimarisclien  Prinzessin  anf  der  Charlottenburger  Chaussee  mit  anzu- 
sdien,  wir  kamen  aber  zu  spät.-"*) 

6.  Aagast.  Nach  Tische  vor  das  Hallesche  Thor  nach  Tivoli  ge- 
fahren und  daselbst  eine  ganze  Welt  gesehen.  Wenn  dies«-  Welt  noch 
das  wird,  was  sie  werden  kann,  so  wird  sie  zur  grossteu  Zierde  von 
Berlin  gereichen.") 

1830. 

2").  Juni.  Heute  vor  3ü()  Jahren  wurde  die  Augsbnrger  Confession 
sanktioniert.  Dieser  Tag  wurde  in  allen  evangelis<'lu  n  Ländern  und  so 
auch  hier  hoch  geschätzt  und  durch  Blumen  iu  den  Kirchen  gefeiert. 
Alle  Windmühlen  trotz  des  günstigen  Windes  standen  still.  Alles  Volk 
war  geputzt. 

IS.  September.  Vorgestern,  gestern  und  heute  'sind  Abends  und 
die  Nächte  über  prosser  Aufrahr  in  der  Stadt  gewesen.  Die  ganze 
Garnison  hat  in  den  Strassen  unter  den  Wulfen  gestanden. 

21.  Vergangene  Nacht  ist  es  ruhig  in  den  Strassen  gewesen.  Aber 
gestern  und  vorgestern  war  in  den  Strassen  noch  ein  grosser  Auflauf 
von  Menschen.    Die  ganze  Garnison  bat  seit  ü  Nächten  unter  den 


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Aus  deo  lagebacbem  des  alten  Heim. 


183 


Waffen  gestanden,  und  dnrcli  flaches  Einhaueii  hat  die  Cavallerie  die 
Meoge  von  Menschen  auseinander  gejagt. 

22.  Die  Unralien  des  Pobels  und  der  Neugierigen  haben  ein  Ende. 
Vom  ersten  sind  viele  tiichtii;  ab|2:e]>rügelt  worden  auf  Befehl  der 
oberen  Behörden  und  das  von  Keclits  wegen."') 

2.  Oktober.  Vormittags  nach  Tivoli  gefahren,  daselbst  recht  gut 
gefrühstückt  und  uns  besonders  an  der  herrlichen  Aussicht  auf  die 
Stadt  gai'  sehr  ergötzt. 

1832. 

30.  Juni.  Vormittags  das  Schloss  des  Prinzen  Albreoht  besehen. 
An  Schönheit,  Pracht  und  Reichhaltigkeit  der  in  den  Zimmern  befind- 
liclien  Sachen  übertrifft  es  wohl  alle  Palais  in  Deutschland.  Aach  die 
Gärten  zeichnen  sich  sehr  aas.*') 

1833. 

80.  Juli.    Nachmittags  nach  Pankow  gefahren.   Hier  wurde  das 

Fliep^enffst  gefeiert,  die  Menge  Menschen  war  hier  so  gross,  dass  wir 
kein  l  iiti'rköminen  finden  konnten.  Im  Scliönliausischen  Garten,  wo 
wir  hinfuhren,  war  die  Menge  des  Volkes  ebenso  gross,  als  icli  sie  fast 
nie  gesehen  habe.  Der  ganze  Weg  von  hier  bis  Berlin  war  voll 
Menschen. 

28.  August.  Nachmittags  nach  Tivoli,  wo  der  im  Jahre  (1813) 
ül>er  die  Franzosen  bei  Grossbeeren  erhaltene  Sieg  durch  ein  Volksfest 
geleiert  wurde.   An  OÜÜOO  Menschen  waren  gewiss  versammelt. 


0  Das  Georgesclie  Lokal  oder  „Geoil^'',  wie  die  Berliner  kurzweg 
sagten,  befand  sich  in  der  BellevuestrasifK'  auf  der  linken  Seite  auf  df-m 
Gelände  (Xo.  K;  Iiis  ','0).  das  der  Direktor  der  kgl.  Kealschule  Ilecker  auf 
Hefelil  Friedrielis  des  Giossim  von  der  Lietzower  Kirche  in  Charlottenbarg 
in  Erbpacht  erhalten  hatte  und  wo  er  ursprünglich  (als  Prediger  an  der 
Dreifaltigkeit^kircbe)  den  FriodrichBtädtischeu  Kirchhof  anlegen  wollte,  der 
aber  auf  Befehl  des  KOnfge  aof  den  Fiats  links  vom  Pofsdamer  Thore  ycr- 
legt  worde,  wo  sich  hente  noch  ein  Ueberrest  von  ihm  vor  dem  Potsdamer 
Bahnhofe  befindet.  Das  Land  in  der  Bellevaestrasse  pachtete  la  Garde, 
nachher  George.  Zu  unterscheiden  von  diesem  Lande  der  Kealschole  ist 
der  eigentliche  Kealscbolgarten  zwischen  Bellcvue-,  Königgrätzw»  und 
Lenn^str.  (cf.  v.  Ixaumer,  Der  Thiergarten  bei  Berlin  p.  57.) 

•i)  Der  Therbuschisclie  (iarten  war  in  <ler  Oranienburgcrstrasf^e  \o.  18, 
wo  noch  heute  das  bekannte  Festlokal  „Therboscbsche  liessourcu  '  sich 


I 

184  Qwug  SteguM. 

befindet.  Die  Ressource  selbst  befand  sich  damals  in  der  Niederwallstr.  12; 
der  Garten  in  der  Oranicuburgerstrassc  diente  den  Mitgliedern  als  Sommer- 
aufenthalt. 

3)  Richards  Ciartenwirthschait  (nachher  Kemper)  war  in  der  Thier- 
gartenstrasse,  in  der  sich  zn  jener  Zeit  Lokal  an  Lokal  reihte.  Schon  zur 
Zeit  Friedrieb  Wilhelms  I.  war  dort  ein  Wirthshans  „Zum  letzten  Heller'. 
Richard  verschönerte  es  im  hohen  Grade  und  machte  es  zu  einem  LiebUngs- 
anfenthaltsorte  der  Berliner;  der  jüngere  Chodowiecki  hat  es  in  einem  Kupfer- 
stich Ton  1781  der  Nachwelt  aufbewahrt,  (v.  Kaumer,  der  Thiergarten  bei 
Berlin  1840  p.  55.) 

4)  Die  Panke  ist  gemeint  Sie  war  Helms  Lieblingsbadeplatz  im 
Sommer,  da  es  in  der  Stadt  aosser  an  der  langen  Brücke  zu  dieser  Zeit 
keine  Flussbadeanstalton  gab. 

»)  „80  nennt  man  einen  Erdfall  oder  Vorticfungf  mit  Gebüsch  im- 
geben, vor  dem  Ilalleschen  Thore.  Auf  der  Anhöhe  ist  eine  IlUtte,  von  wo 
man  f'ino  sehöne  AusHicht  auf  die  Stadt  hat  "  So  beschreibt  Gardicke  in 
sciiKMii  Loxiron  von  Berlin  i  soii  diesen  berühmten  WalHahrtsort  der  Berliner 
am  Kusse  des  Teiiipelliol'or  Berges,  dorn  Bornemann  in  seinem  lS3o  in  der 
Spenerschen  Zeitung  erschienenen  Autsatz:  „Die  Umgegend  Berlins  im 
Jahre  1790  und  1830"  folgenden  Dithyrambos  widmet:  „Der  dustore  Keller 
—  ominOsen  Namens  —  war  es  fast  aUein,  der  in  wolkigen  Gemächern 
lechzende  Stammgüste  trftnkte,  nnd  Winters  allmonatlich  ehimal  aas  weiten 
Schflsseln  krSftig  speisete,  dass  hoebnothwendig  zwischen  Gemttsen  und 
Braten  ein  geschmeidiger  IlUringssalat  wirksam  eingreifen  mnsste."  (StreckAlss, 
Berlin  im  18.  Jahrhundert  III.  490.) 

•)  Der  Wedding  war  damals  eine  '/«  Stunde  vor  dem  Oranienburger 
Thore  belegene  Meierei  an  der  Panke,  die  lSi)ü  vier  Feuerstellen  und 
91  Bewohner  hatte.  In  seiner  Nachbarschaft  befand  sich  noch  das  Licsen>e!K- 
Etablissement  an  der  I'aiike,  woher  die  heutige  Liesenstrat^se  ihren  Namen 
hat,  das  Ft)rstliaus,  die  Scharfrichterei  und  das  Ilochj^crieht. 

7)  Der  Schützenplatz,  den  die  Berliner  Sehützcngilde  1717  von 
Friedrich  II.  erhalten  hatte,  befand  sieh  in  der  neuen  Schiit zenstrasse 
( Linienstrasse  5)  in  der  Kr>nigsvorstadt  und  stiess  an  die  Stadtmauer  zwischen 
Prenzlauer-  und  KönigstlKU'.  Am  27.  August  fand  das  Königsschiessen  der 
ebenfalls  von  Friedrich  wieder  hergestellten  SchtttzengUde  statt,  an  das  sich 
das  Vogelschiessen  anschloss.  Natürlich  durften  auf  diesem  beliebten  Volks- 
feste aerostatische  Künstler  nicht  fehlen,  nachdem  1788  Blanchard  durch 
seine  Luftfahrten  Berlin  in  einen  Taumel  von  Begeisterung  versetzt  und 
reichen  goldenen  Lohn  davongetragen  hatte.  Die  neueste  Damenhutform 
i"!  la  Montgoltier  erregte  bald  den  Z<  rn  aller,  denen  diese  Fngetiittme  im 
Theater  jede  Aussieht  versperrten.  Aucii  Blanchard  hatte  schon  Scherze 
mit  Ballons  in  Gestalt  von  Thieren  getrieben.  Die  ..brennbare"  Luft  Knslers 
war  Wasserstoff.  (Nicolai,  Besclireibuug  von  Berlin  u.  Potsdam  1.  Plan, 
üacdicke,  Lexikon  p.  biV?.). 

a)  Das  Kadziu  illsehe  Palais,  j(!tzige  Reieliskanzleramt.  Wilhelmstrasse  77, 
liess  der  General  v.  bchulenburg  1734  von  lüchter  erbauen. 


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Ana  den  TagfltbQ«li«ni  des  alten  Helin. 


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9)  Die  Voaslsehe  Zeitung  vom  19.  August  1797  enthalt  folgendes  Inserat: 
,Die  Linnische  gymnastische  Kunsthoroirrr  Ct  sellschaft  macht  einem  hohen 
Adel  und  vcrehrungswünlijr^^n  l'ublikuin  hierdurch  bekannt,  dass  sie  Sonn- 
abend den  !9tcn,  Sonntag'  d»'n  "iOten  und  Alontaj^  den  21ten  August  zum 
letzten  Male  mit  vielen  Vcrllnderungen  spielen  wird,  und  bittet  um  zahlreichen 
Zusprach.*  Heims  „Wettrennen*  wird  eine  Darstellung  circensischer  Spiele, 
Wagenrennen  etc.  gewesen  sein,  wie  sie  auch  Rens  noch  in  seinem  Zirkns 
in  römischem  Gewände  auffttbren  Hess. 

10)  Madame  Schuwitz  berüchtigten  Angedenkens  hatte  ihre  Wirth.schaft 
in  der  lichrenstrasse.  1798  erschien  die  berühmte  „Standrede  am  (Jrabe  der 
Madame  Sefanwitz.  Ein  Neujahrsgeschenk  fttr  Incroyahles*,  vnd  1800 
»Schreiben  der  Madame  Schawitz  an  den  Verfasser  nnd  Verleger  ihrer  Stand- 
rede. Stralau,  in  des  Küsters  Handbnchdraekerei.' 

u)  Die  Zietelmannsche  GUrtnerei  befand  sich  in  der  Magazinstritöse  und 
lieferte  vortrcflnichcs  Obst,  schüne  Blumeu  sowie  alle  Arten  feiner  Küchen« 
gew&chse.  »Die  Gärtnerei  ist  in  Bedln  zn  einem  hohen  Grade  der  Voll- 
kommenheit gekommen.  .  .  Überhaupt  haben  die  Gärtner  mit  nnglanblicher 
Indnstrie  seit  50  Jahren  den  meist  sandigen  Boden  .  .  zu  natzen  nnd  zu  ver- 
bessern gewnsst  .  .  Es  sind  viele  Gegenden  in  und  um  Berlin,  die  vor  50, 
ja  vor  31)  Jahren  noch  blosser  todter  Flugsand  waren,  die  jetst  in  schönster 
Kultui'  stehen."  (Nicolai  iL  ö69.) 

la)  Prinzessin  Amalie  von  Hessen-Homburg  war  die  Draut  des  Prinzen 
Wilhelm  von  Preussen,  des  jüngsten  l^ruders  Friedrich  Wilhelms  III.  Die 
Vcrmiihluiig  fand  am  12.  Januar  statt.  —  Kammerdirektor  v.  f'trunenthal, 
ehemals  Verwalter  <\qt  Prinz  Ileinrichschen  (Üiier,  hatte  vom  Pi  i!!/'  n  eine 
Wohnung  auf  Lebenszeil  in  dessen  Palais  erhalten.  Als  dir  Tnivc  rsiutt  das 
Palais  bezog,  weigerte  er  bich,  diese  Wohnung  zu  verla.ssen,  Hess  es  auf  einen 
Rechtsstreit  ankommen  imd  wich  erst,  als  der  König  ihm  eine  jährliche 
Miethsentschadigung  bewilligte.  (Köpko,  Gründung  der  Universität  Berlin 
p.  71.)  —  Die  Opembrücke,  auch  Neustttdtor  Brücke  genannt,  von  Bouman 
dem  Alteren  1774  aus  Sandstein  erbaut,  führte  im  Zngc  der  Linden  über  den 
F(  stungsgrabcn,  den  .stinkerigon  Graben",  wie  ihn  Kronprinz  Friedrich 
Wilhelm  (IV.)  einst  nannte. 

m)  «Die  Quelle  dieses  Bades  ist  auf  einer  Wiese,  und  wird  durch  Söhren 

nach  einem  einzelnen  Gebäude  hingeleitct  und  einige  tausend  Schritte  von 
demselben  entfernt  ist  noch  eine  (^>uel!e.  Die  Kntdeekung  dicsi  s  mineralisehen 
Wassers  geschah  zuHilH^-  IT'»!  durch  dm  Ki'u'iu:  Friedrich  I.  Derselbe  wolmtc 
nämlich  in  einem  in  tlrr  P'olge  weggrliuaciieu  Lustwnlde,  welcher  der  Ka- 
ninchengarten genannt  wurde,  einer  Jagd  iiei,  und  verlangte  Wasser  zum 
Trinken.  Es  wurde  ihm  von  diesem  Quellwasser  geltracht,  luid  der  König 
fand  in  dessen  Genm»  etwas  so  vorzügliches,  dass  er  noch  mdir  davon  trank, 
die  Quelle  zu  reinigen  und  von  den  Ärzten  zu  untersuchen  befahl.  In  der 
Folge  haben  viele  Menschen,  sowohl  Gesunde  als  Kranke,  sich  dieses  Wassers 
nicht  ohne  Nutzen  bedient.  Es  wird  mehr  zum  Baden  als  Trinken  gebraucht, 
und  hat  in  rheumatischen  und  chronischen  Gliederreissen,  bei  Hautkrank- 


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heiten  und  bei  SchwMche,  nach  Beschaffenheit  der  Umstände  kalt  oder  warm 
gebraucht,  öfters  heilsame  "Wirkungen  geäussert.  .  .  Das  Wasser  ist  schon 
mehrmalen  chemisch  untersucht  worden  und  enthält:  Kochsalz,  salzsaure 
Kalkerde,  schwefelsaure  Kalkerde,  liiftsaure  Kalkcrde  und  Eisen,  und  Kiesel- 
uud  Thouerde.  Sehr  grosse  Wirkungen  hat  mau  sich  von  diesem  Wasser 
nioiit  snt  Tersprechen."  (Gaedicke  p.  245.)  Zu  dem  Feste  batte  auf  Bitten 
der  Schanspielerin  Bethmann,  einer  Schwester  des  Besitzers,  des  Medizinal- 
assessors, Apothekers  und  BnchhSndlers  Flittner,  Friedrich  Wilhelm  Gnbitz 
eine  Cantate  „Erinnerung  nnd  Weihe*«  gedichtet»  die  Tom  KapeUmelster 
Seidel  komponiert  nnd  unter  seiner  Leitung  von  Königlichen  Sftngem  nnd 
Sängerinnen  —  auch  Friederike  Bethmann  wirkte  mit  —  ausgeführt  wurde. 
Unter  dem  I.aul. dache  alter  Bilume  war  die  Mittagstafel  für  500  Personen  auf- 
geschlagen, in  deren  Verlauf  Flittner  immer  anffrrregter  wurde  und  schliess- 
lich nicht  mehr  zureelinungstahig  war.  Den  Scliluss  des  Festes  l)ildete  Tanz 
in  einer  mit  Blumenbchängen  geschmückten  Scheune.  (Gubitz,  Krlelmisse 
I.  Mi  Ii.  Dort  ist  auch  die  Festcantatc  abgedruckt.)  Bekanutlich  hat  in 
diesem  Sommer  der  Gesundbnmnen  sein  200  jähriges  Bestehen  festlich 
begangen» 

14)  Dieser  gewaltige  ürand  war  dadurch  entstanden,  dass  eine  der 
Hftokerinnen,  die  in  den  an  die  Kirche  angeklebten  43  Baden  ihren  Kram 
feilhielten,  ihren  blechernen  Kohlentopf  in  noch  nicht  erloschenem  Znstande 
unter  die  hölzerne  Khrchentreppe  geschoben  hatte.  Sehr  yerderblich  war 
der  herrschende  Westwind.  Durch  Flugfeuer  worden  auch  der  Thurm  der 
'  Waisenkirche  nnd  mehrere  ITUuser  in  der  Stralauerstrasse  in  Brand  gesetzt 
In  der  Gertraudtenstrasse  geriethen  7  IlUuser  in  Flammen.  Einzelne  in  der 
Spree  stehende  rtlihle  hinter  der  Stralauerstrasse  brannten  wie  die  Lichter. 
Der  l»rennende  Thurm  stürzte  um  Mitternacht  gliicklieherweisc  in  sich  zu- 
summeu.  Die  Kirche  brannte  bis  auf  die  IJnifaäsungsmaueni  nieder;  erst 
nach  Tajien  erloschen  die  Flammen  im  Innern.  Die  Mauern  blieben 
lange  Zeil  als  gewaltige  Kuine  stehen^  wurden  dami  abgerissen;  der  Platz, 
mit  BUumen  bepflanzt,  diente  als  Tummelplatz  für  die  Kinder,  bis  sich  auf 
ihm  1852  die  jetzige  Fetrikirche  erhob,  nicht  ohne  groasm  Widerspruch  der 
Umwohnenden,  welche  diese  „Stadtlunge"  gern  erhalten  gesehen  htttten. 
(cf.  Parthey,  Jngenderinnernngen  I  140.  Streckfüss  II.  337.)  Hoffentlich 
wird  dort  Jetzt  dnroh  Niederlegnng  der  alten  Häuser  zwischen  Petriplatz, 
Gertrandten-  und  Scharrenstrasse  ftir  licht  und  Luft  gesorgt 

»)  Der  Geheime  Ober-Finanzrath  und  Kammerpräsident  von  Gerlach 
war  am  28.  April  1809  zum  ersten  Oberbtttgermeister  Berlins  nach  EinflUimng 
der  StAdteordnung  gewählt  worden.  (Strecktuss,  Berlin  im  19.  Jahrhundert  L 
p.  107.) 

1$)  Kaiserin  Elisabeth,  geborene  Prinzessin  von  Baden.  Sie  kam  um 

5  Uhr  Nachmittags  an,  was  doch  nicht  spät  ist;  der  Verdruss  der  Einwohner 
wird  Mohl  nur  dadurch  hervoigerufen  worden  sein,  dass  es  schon  diHik<-l 

und  die  Berliner  Strassenbehmchtung  nicht  dazu  geeignet  war,  abends 
einziehende  Fürstliciikeiten  den  neugierigen  Hi'rliiiern  yji  /eigen.  DatÜr 
entschädigte  sie   die  iiaiäcrin   durch   die  Feiei'  ilires  Geburtstages  am 


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Am  dem  Tigobaäiera  des  alten  Heim. 


187 


24.  Jannar,  der  durch  Cour,   Diner,  Illamination  gefeiert  wurde ;  am 

25.  reiste  de  weiter.  (Grüfin  Vom,  69  Jahre  am  PrelUAischen  Hofe 
p.  407.) 

n)  Johann  i>imon  Habel,  geboren  den  3.  November  ITHS,  krnij^licher 
Kellermeister,  war  aus  dem  Wlirttembergisohen  in  Berlin  ('iiif,a  \vandert. 
1779  begründete  er  die  bekannte,  noch  heute  blUlieude  Weinhandiung  unter 
den  Linden  30.    Er  starb  am  9.  Juli  1S2G. 

18)  Die  Berliner  Nationalgurde  war  1806  von  den  Franzosen  organisiert 
worden,  um  in  der  Stadt  die  öffentliche  Ruhe  aufrecht  zu  erhalten. 

• 

la)  Am  20.  Olctober  1415  hatten  auf  dem  hohen  liause  zu  Berlin  die 
SCInde  der  Mark  dem  ersten  bohenxoUemseheii  EnrftirBten  als  ihrem  erb- 
lichen Landeehenrn  gehuldigt  Das  Fest  am  22.  Oktober  1815  bot  den 
Sehsnliutlgen  viel.  Am  Vormittag  war  nnter  den  Linden  nnd  im  Lvslgarten 
grosse  Parade  und  darauf  Festgotteedienst  im  Dom.  Am  Nachmittag  fand 
das  Volksfest  auf  dem  Exerzierplatze  im  ThieigartCE  (den  jetzigen  Königs- 
platze) statt,  an  dem*  an  60  000  Menschen  thcilgcnommeii  haben  sollen  Es 
gab  Wettlaufen,  Stangenklettern,  Llahnensehhigen  um  Preise  (Ualstücher, 
seidene  Westen,  Chemisetts,  Pfeifen,  Hiieftaschen,  selbst  silberne  Löffel  und 
Uhren),  Luftballons  stiegen  auf  iu  allen  möglichen  Formen;  Musik,  Tanz 
and  nach  eingebrochener  Dunkelheit  Feaerwerk  felilten  nicht.  Trotz  der 
ungehenren  Menschenmenge»  die  da  versammelt  war,  passierte  kein  Unglücks- 
fall; alles  yerlief  in  TOllkommenster  Bahe  und  Ordnung.  (Streckfliss»  Berlin 
19.  Jahifa.  n.  225.) 

m)  Durch  diesen  Brand  wmrde  das  alte  von  Langfaane  erbaute  xmd  am 
1.  Januar  1802  erOffinete  Nationaltheater  vernichtet  Auf  seinen  Grundmauern 
erhebt  sich  der  jetzige  Bau  Schinkels.  Darstellungen  des  Brandes  geben 
Streekfiise  II.  ö9b  ff.  und  K.  Genöe,  Hundert  Jahre  des  Königlichen  Schau- 
spiels. 

ai)  Die  Pochhammersche  Badeanstalt,  da.s  Mariannenbad  genannt,  befand 
sich  Neue  Friedrichstrasse  18  und  19.  (Dosse,  Berlin  oder  Nachweisung 
sämmtlichcr  Strassen  etc.  p.  77.)  1802  bestand  iu  Berlin  nur  ein  öffentliches 
Badehaus,  vom  Geh.  Ob.-Med.-Bath  Welper  an  der  langen  Brücke  auf  einem 
Schiffe  erbaut;  warme  nnd  kalte,  aueh  mediiinische  Bäder  wurden  dort  ver- 
abfolgt  1830  gab  es  innerhalb  und  ausserhalb  der  Stadt  einige  swansig 
Badeanstalten.  (Berlin  wie  es  ist  p.  99.) 

u)  Am  19.  September  1818  hatte  die  Grundsteinlegung  zu  dem  National- 

denkitial-  auf  dem  Kreuzberge  stattgefunden;  die  EnthtUluDg  erfolgte  am 
3m.  März  isiil,  <lem  Jahrestage  der  ersten  Einnahme  von  Paris.  Heim,  dessen 
Vorliebe  liir  Thürme  seinen  Unwillen  darüber  erklärlich  erscheinen  IHsst,  dass 
das  Denkmal  nicht  bestiegen  werden  kann,  meint  mit  der  Säule,  wir  die  zu 
London  i.st,  wahrscheinlich  das  Monument,  das  zur  lOrinnerung  an  den  iiireht- 
barcn  Brand  Londons  1666  dicht  bei  London  Bridge  errichtet  ist,  und  von 
dem  aus  man  einen  grossartigen  Blick  über  die  City  und  die  Themse  hat. 
Eine  Aussicht  von  12  Meilen  im  Durchmesser  vom  Kreuzberge  ist  aber 
trotz  der  höchsten  S&ule  doch  etwas  zu  viel  verlangt  Auf  der  Peripherie 
dieses  EreiBes  wUrden  wir  die  Städte  Werder,  Trebbin,  Zossen,  Fttrsten- 


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188 


Gmmv  SI«fUlit 


walde,  Strausberg,  Bieseiithal,  Oranienburg,  Nauen  finden.  Heim  haben 
offenbar  bei  der  Erinncriinjj:  an  London  enfrlische  Meilen  vorgeschwebt. 

23)  1823  erbauten  r)r.  Struve  und  der  Apotheker  Holtmann  ihre  Fabrik 
künstlicher  Mineralwasser  in  di  r  ln-migon  Ilollmannstrasse.  „Man  rindet  hier 
die  künstlichen  Karlsbader-,  Kfj^er-,  Emscr-,  Maricnljadcr-,  Öelter-  und  andere 
Wasser  in  der  möglichsten  Vollkommenheit,  Ein  grosser  schöner  Garten 
und  bei  lugttnstigem  Wetter  ein  bededctor  360  Fuss  langer  Gang  dient  den 
Trinkenden  zur  Bewegong.*'  (Rompf  II.  175.)  Leider  ist  der  schöne  Garten 
Jetzt  der  Bauspeknlatlon  zum  Opfer  gefalle 

u)  Die  Kronprinzessin. 

ift)  1823  wurde  die  alte  Hnndebrileke  durch  die  nene  SchlossbrUcke  von 
Schinkel  ersetzt  Die  nene  Brücke,  über  welche  der  feierliche  Zug  gcgang^en 

war,  um  sie  einzuweihen,  war  am  Abend  gesperrt  worden,  so  dass  die  schau- 
lustigen Vülksniasscn  die  alte  Nothbrlickc  passieren  iiuisston.  Das  (Jcdrän^c 
war  dadurch  entstanden,  dass  alles  nach  dem  Lu^t^^a^^t'n  wollte,  wo  tlie 
Studenten,  die  der  Prinzessin  einen  Fackelzug  gebracht  hatten,  die  I'^'ackelii 
zusammenwarfen.  2ij  oder  2b  Personen  waren  theils  zertreten,  theils  ins 
Wasser  gesttirzt  nnd  ertranken.  Die  Berliner  Zeitungen  meldeten  Uber  das 
Unglttek  kehl  Wort.  (cf.  die  Erzählung  Ludwig  Bellstabs  bei  Streekfiiss 
I.  443  ff.) 

m)  Hofiraitear  Jagor,  Unter  den  Linden  23. 

17)  Die  prenssisehe  Stlldteordnung  ist  am  19.  November  1808  erlassen. 

m)  Prinzessin  Angusta  von  Sachsen^Weimar,  die  Enkelin  Karl 
Augusts,  nachmalige  Kaiserin  Augusts. 

9»)  Nach  der  Vollendung  des  Nationaldenkroals  wurde  der  ncugetaafte 
Kreuzberg  ein  beliebtes  Ziel  der  Spaziergänger  nnd  der  Fremden.  Diesem 
Umstände  verdankte  Tivoli  seine  Entstehung.  In  zwei  Jahren  schufen  die 
unternehmenden  Gebrüder  Gerieke  dort  liaumptlanzungen,  Laudhiiuser  ent- 
standen, und  der  cif^entliche  Vergnügungsort  Tivoli  wurde  der  Sammel- 
platz der  Berliner.  Hören  wir  den  schon  zitierten  liorneniann:  „Es 
ist  die  feinere  Welt,  die  sich  vor  unseren  Blicken  hier  versammelt  hat  und 
an  den  mannigfaltigen  Vergnügungen  eich  ergOtzt  oder  daran  iheilnimmt 
Hier  kreiset  ftohsinnlge  Jugend  mit  hastenden  Schritten  in  den  Ingftngon 
eines  Cireus  .  .  .  dort  ladet  der  Sehnellbaum,  dort  die  Schaukel,  dort  das 
Drillseil  zu  lustigen  Schwingungen  ein;  vor  allem  aber  die  Bollbahn,  die  auf 
und  abschleudert  und  schneller  ist  der  Kinglauf  durehfiogcn.  ehe  noch  der 
Furchtsame  sieh  besinnen  kann,  sich  fürchten  zu  wollen.  Uniformierte  und 
nett  gckloidote  Dienerschaft  bewirthet  mit  geschäftiger  Hand  die  begehrenden 
Gäste.  .  .  Wir  treten  ein,  waltet  etwa  noch  winterliche  Zeit,  bewillkoninniet 
von  hundert  Stimmen  gesangreicher  Vügel,  versteckt  zwischen  den  Blütheu- 
zweigen  erlesener  Orangen ;  StrOme  von  Balsamdüften  wehen  uns  entgegen . . . 
noch  höher  steigert  sieh  das  Feenartige,  indem  die  immensen  Speise-  nnd 
Ballsttle  sich  uns  Offlien.  .  .  .  Becht  in  der  Mitte  untschliessen  diese  Salons 
das  Küchen»  und  Bestellungslokal,  ausgeschmückt  mit  Zartheit  und  Eleganz 
sonder  gleichen."  (Streckftiss  II.  492.)  Weniger  begeistert  schreibt  der  Ver- 
iluser  von  „Berlin  wie  es  Ist"  1831:     ,  ,  e»  iBt  nötbig,  dass  die  Berliner  für 


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Ans  d«n  Tagelifldiem  tfei  iHen  Helm. 


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dies  TTntemehmen  thAtig  mitwirken,  und  sieh  dadurch  in  dem  Tivoli  einen 

Nntionalvergnflgnngsort  verschaflrGn.  .  .  .  Solch  gemeinsames  Streben  kann 
aber  nur  ans  Nationalität  hervorgellen,  und  diese  würde  selbst  Diogenes  in 
Berlin  nicht  finden."  (p.  302.) 

•o)  Es  handelt  sich  um  die  berflchtigte  SehneiderreTolntion.  Es 
ist  beseichnond,  dass  erst  am  24.  September,  nachdem  schon  am  16.  der 
LUrm  begonnen  hatte,  die  Spenersche  Zeitung  einen  ofliziilsen  Artikel  zu 
brinf^on  wag-to,  der  den  Ursprung  des  Aufruhrs  so  darstellt:  ,,Am  15.  Sep- 
teuiber  hatte  mau  oincn  Scluicidcrirt'sellon  \  f'rh;iftet,  der  unter  seinen  Zunft- 
genossen Neuerungen  predigend,  vun  diesen  selbst  der  lichfirde  war  ange- 
geben worden.  Dies  mochte  wohl  einen  rolizeibeamten  dazu  geführt  haben, 
am  folgoiden  Tage  einige  andere  Gesellen  als  arbeitslose  Hemmtreiber  zu 
▼erhallen,  die  es  nicht  waren.*  (Dies  Verfahren  wird  gemissbiiligt,  Selbst- 
hilfe aber  den  Oesellen  ni<dit  zogestanden,  da  es  Sache  der  Behörde  sei,  ein 
solches  Verfaliren  zu  bestrafen.)  «Dessenongeachtet  erlblgte  am  Abend  des 
16.  September  in  der  zehnten  Stunde  ein  Zusammenlauf  von  Gesellen  auf 
dem  Köllnischen  Markt,  welehe  mit  Geschrei  die  T.nslassung  der  Verhafteten 
▼erlangten.  Diese  Unordnung  veranlasste  das  ller/iistrünien  der  Neugierigen 
in  nicht  gerin^^er  Menge,  wodurch  der  ganze  Öclilossplatz  gefüllt  wurde. 
Schnell  erschienen  die  Behörden  ....  Ihre  einfache  Einiahnung  genügte, 

die  Neugierigen  zu  zerstreuen   Am  17.  Abends  zwischen  7  und 

8  Uhr  loclcte  die  Neugier  eine  Menge  Mflssiggänger  auf  den  EOllnischen 
Marict  und  den  Schlossplats.  Ohne  ihr  Erseheinen  würden  es  keine  Ruhe- 
störer gewagt  haben,  sich  heute  zu  teügen,  doch  in  der  Menge  ▼ersteckt, 
erlaubten  sie  sich  unziemliches  Geschrei,  und  insultierten  durch  mehrfache 
Steinwürfe  die  Polizei  und  die  Gendarmerie,  die  ....  die  ganze  Masse  zer- 
streuen musste.  Niu*  die  Widersptxüehen  zogen  sieh  gefJIngliehe  Haft  oder 
Verwundung  zu,  durch  Hache  Säbelhiebe,  von  denen  in  der  Dunkelheit  und 
im  (iewühl  manche  scharf  gefallen  sein  können."  Dass  dieser  Bericht  seltr 
rosig  gefilrbt  ist,  zeigen  die  Notizen  ileiius  und  auch  verschiedene  andere 
Berichte,  die  sieh  namentlich  Über  das  brutale  Vorgehen  der  Polizei  imd 
Soldaten  entrüsten.  VergL  Streckfhss  II.  p.  358. 

31)  Den  Ui-sprung  des  Prinz  Alhrechtschen  Pidais  in  der  Wilhelnistrasse 
bildet  das  l'alais,  welches  der  Baron  vun  Vernezobre  1737  bis  39  erbaute, 
und  dessen  Baugesehiehte  der  Birch'Pfeiflter  den  Stoff  zu  ihrem  Lustspiele :  ,  Wie 
man  Httuser  baut*  lieferte.  WiUirend  seiner  mannigfachen  Schicksale  ~  es 
wurde  ▼erkauft,  Friedrich  der  Grosse  logierte  1763  den  Türkischen  Ge- 
sandten Achmed  Effendi  dort  ein,  der  wahrhaft  türkisch  gewirthschaftet  hat, 
1772  kaufte  es  Prinzessin  Amalie,  die  Schwester  des  Königs,  schliesslich 
arbeiteten  Lithographen  darin,  der  Kammermusikus  Tausch  bildete  H(>boi«ten 
aus,  1812  wurde  das  Luisenstilt  hinein  verlep^t,  ein  GeraUldereparatur-Atelier 
wurde  aufgeschltigen  —  verfiel  es  immer  melir,  l)is  ls30  Prinz  Albrecht  es 
übernahm  und  Schinkel  ihm  in  den  folgenden  Jahren  seine  jetzige  Gestalt 
gab.  1833  wurde  es  von  seinem  neuen  Besitzer  bezogen.  L.  Schneider 
(Schriften  des  Vereins  für  die  Geschichte  der  Stadt  Berlin,  Heft  IH)  fasst 
die  abweehselungsrelehe  Benutzung  dieses  Hauses  in  folgender  drastischen 


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Oeoig  Stogeiiii    Ans  dan  TigebaohflRi  Am  dtMi  Hain. 


Weise  zusammen:  ÄfusikkoTiservatorinm  und  Armenspeisungsanstalt,  Ge- 
mäldegalerie und  Wohithütigkeitsstiftuug,  Bauiiiwollendepot  und  öffentliche 
Drehrolle,  französische  Feldpost,  fürstliche  und  PenBionttrwohnang,  Vacci- 
nationslokal  und  türkischer  iiareni! 

sa)  Das  als  allgemeines  Volksfest  sehr  beliebt  f^'-ewcsene  Sommerfest 
der  Tuchmacher,  das  in  der  Zeit  zwischeu  den  Bcfrciungüki'iegen  und  lbl8 
in  hoher  Blüthc  stand. 


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Register. 


Ackermann  12.  41. 

Albrecht,  Prin»  von  Preussen  183.  189. 

— ,  Prinzessin  169.  104. 

AlOTundwr  1,  Kaiser  von  Rusaland  99. 

U&  119.  194.  14K.  162.  m 
Alopaeus  169.  170. 
V.  Altenstein  32.  71.  129.  141. 
V.  Alvensleben  1»)6.  172. 
Amalie,  Prinzeaain  von  Hesaen-Hombiug 

179.  iSfi. 
V.  Angern  167.  176. 
Angle-s  10.  107.  132. 
V.  Anhalt  109.  170. 
Augereau  107.  ll:i.  132.  133.  138. 
Aogoat,  Piias  von  FreoMan  101.  102.  103. 

12&  149.  m  162.  167.  16&  161. 
Aogurtai  PrimeHdn  v.  FlretUNMn  168.  182. 

1B8. 

Auguste,  Prinzessin  v.  Hessen-Cassel  154. 

169.  162. 
Aiu|mm:!i  67. 

Baretz  33.  6& 

Bause  87.  93. 

Bayhcs  3. 

Beelitz  109.  177. 

BeOennanii  64.  81. 

Berands  26.  29.  82.  A3. 

V.  Berg  108.  175. 

V.  T^erlei.Hch  160.  173. 

licrnaUolte    (Kronprinz    von  S<'hweden) 

IIL  125.  186.  138. 
Bwrson  86.  90. 
Brthmann  87. 

,  Frau  88. 
Beurnünviile  99.  123. 
Bmith  80.  90.  96. 

Bvym»  16.  87.  99.  104.  106.  108.  118.  121. 
126.  128.  129.  188..  142.  167.  169.178. 

Beyrich  68.  83. 
Bieater  13.  61.  78. 


Blflcher,  Fttrst  112.  113.  114.  115.  110. 

117.  125.  12a  136.  189.  140.  169. 170. 
-,  Graf  89.  94. 
V.  BInmemthal  160. 
Bodart  103.  127. 
Bo<le  04.  81. 

Boehm,  Dr.  8.  14.  15.  16.  32.  40. 

Boehr,  Dr.  1.  8.  9.  14.  lö.  38. 

Bohrer  89. 

V.  Bomadorff  178. 

Bonaparte,  Lncbui  116. 

Bünnes  8. 

(hl  Bonnet  05. 

Bonnier  98.  121. 

Bonpland  63.  78. 

Bomemann  67.  82. 

Borsche  169. 

Bouman  106. 

V.  Boyen,  Kriegsmiuister  118.  143. 

— ,  General  1G6.  lÜO.  171. 

Biemer,  Dr.  1.  6.  8.  12.  23.  24.  88.  60. 

Bre.so  100. 

Rrft«?»  hneider  70.  86. 

Breuer,  IV.  23. 

V.  Briukuianu  108. 

V.  Broekbanaen  160.  176. 

Brown,  Dr.  4. 

V.  Buch  04.  78.  79. 

V.  Buchholz  63. 

Buchler  149. 

V.  Bttiow,  Genanl  109.  134.  136. 
— ,  Heimich  167.  178. 
Bnrdach  12.  41. 

Bnttmann  65.  07.  08.  82. 
y.  Byron,  Prinz  167. 

V.  Caprivi  118. 
V.  Oaimar,  Graf  96. 
Caspari  116. 

Charlotte,  Pr-nze.ssin  vonPreu8sen(K.ii.senn 
von  Kussland)  166.  168.  162.  164.  180. 


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192 


Begiftor. 


V.  Cichocki  lOß. 
Cosmar  107. 

Crelinger,  Kaafmaim  89.  95. 

Geh.  Rath  1C9. 
Oos  17. 
Cnrier  71. 

Dam  104.  128. 

Davonst  104.  128.  185.  170. 

Dawkins  169. 

Debry  121. 
Des^onettos  Iti.  45. 
Dicffeubacb  tl. 
Doftbbdin  87.  92. 
Dolgoraekit  FOnt  160. 
V.  Dorville  107.  174. 
Duroc  98.  122. 

Eck  30.  £6. 
Eckert  182. 

Elirenberg,  Dr.  86.  68.  69.  70.  84. 

l'.itliliom  170. 

Elisabeth,  Kronprinzessiu  157.  158.  1031. 
182.  188. 

EUwbeth,  KaiBeiln  ytm  Bnsaland  I8O1. 186.  1 
Ephraim  166.  168.  171. 

Erhard,  Dr.  .32.  68. 
Erman  61.  7<i. 

Emst  August,  Herzog  von  Camberland 
157.  168.  169. 

V.  Faudel  63.  88.  166. 
Ft'ihi.-r  R7.  88.  89.  92. 
l'erdinand,  Prinz  von  Proiissen  100.  102. 

103,  104.  liJh  151.         156.  159. 
— ,  Piiuesaiii  149.  150.  161.  162. 167. 160. 
Faadnr  61.  74. 
Fichte  Ol.  78. 
Fiedler  00. 
Fischer,  Dr.  9.  40. 
Heck  86.  90. 

IVaii  87. 
Flittner  179.  186. 

Fonney  1.  2.  4.  0.  8.  13.  14.  15.  16.  19. 

20.  24.  25.  27.  30.  38.  40.  64. 1U2. 110. 
Frank,  Job.  Peter,  Dr.  6.  43. 

JoMf.  Dr.  14.  4a 
Friedrich  Wilhehn  H.  149.  150.  160. 
—  ni.  32.  105.  106.  108.  112.  113.  114.  124. 

128.  l:is.  149.  U'o.  ir.2.  153.  154.  165. 

156.  157.  158.  163.  164. 
— ,  Kxonpiiiii  164. 166.  166.  167.  168.  168. 


Fritze  3.  9.  15.  40. 
Fromme  165.  171. 

Oall,  Dr.  15.  16.  43.  44. 
Gebel  24.  51. 
Gedicke  61.  76. 
Geoffgee  178.  188. 

V.  Getlftch  13.  7a  180.  186. 

Gcrslioiin  170. 
Gesenius  70. 
GiUy  165. 

Girtanner,  Dr.  4.  5. 

▼.  Gneis,  nan  08.  139.  170. 
V.  GdiH-kiiigk  Ol.  74. 
V.  (Tol.lbeck  12.3. 
V.  d.  Goltz,  Graf  lö9.  176. 
G«iiiier  16.  44. 

Goereke  1.  &  9.  14.  15.  16.  21.  27.  28. 
29.  37.  44.  153.  164.  16t 

Goethe  71.  93. 
Grabe  31.  58. 

Gftfe,  Karl  Ferdinand,  Dr.  21.  26.  26. 
37.  38.  82.  88.  49.  68.  64.  68. 

Grapengiesser,  Dr.  9.  11.  20.  84.  40.  60. 

Graun  86.  91. 
Grcien  158. 

V.  Grohuann,  General  118.  143. 
— ,  FrBaident  169.  176. 
V.  Grunenthal  179.  186. 
GyUenfkjOld  169. 

Habe!  1<^0.  180. 

V.  HaK'  ii.  (iraf  Ol.  04.  167. 

Hahneuianu  2U.  55.  118.  143. 

Hake  168.  170.  17& 
Hardenberg,  Fflisfe  34.  60l  62.  86.  87.  98. 

99.  100.  104.  100.  110.  118.  121.  123. 

129.  131.  141.  142.  144.  165.  106.  167. 

169. 

Harraeh,  Gitfin  (FOntfn  Liegnitz)  168. 
16& 

V.  Hatzfeldt,  Grafen  106.  166. 

Ilauck  29.  30.  54. 
Uaugwitz,  Graf  126.  165. 
Hecker  15.  16.  21.  30.  44.  48.  66. 
HedenoB  88.  68. 
Heiuibach,  Dr.  61. 
V.  Heinitz  13. 

Heiiirieb,  Prinz  von  Proas.scn  161.  101. 
llelene,  Erbprinzessin  von  Mecideuburg- 
Sdfawwia  161. 161. 


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BflgiBtor. 


m 


HeUer  169. 
Uengstcnbcrg  70. 
Henke  10.  45. 

Herdt  87.  91. 

Hering  (Willibal.l  Alexisl  71.  85, 
Hermbstiidt  22.  30.  öö.  04. 
V.  UeimsdorS  08. 
Hen,  Dr.  2.  13.  14.  89.  42. 
Herne  30.  67.  160. 
Hessen  Dftmurtadt,  LandgrAfin  163. 169. 
lüi. 

Hean  158.  103. 

T.  Hiero&>nii  20.  46.  163. 

mner,  Dichter  61.  77. 

— ,  Hofrath  8.  105. 

Himmel  87.  BS.  02. 

V.  Hiukeldey  171.  177. 

V.  Hoffmannseck,  Graf  64.  70. 

V.  Holtejr  89.  05. 

Horlacher  29.  30.  54. 

Horn,  Dr.  l".  10.  Sa  21.  23.  80.  44.  fiO. 

V.  Horn  lol. 

Horuschuch,  Dr.  67.  82. 

Hfibener  90.  97. 

Hafdand»  Dr.  2.  12.  14.  16.  16.  20.  21.  22. 

24.  25.  28.  29.  Sa  88.  47.  62.  162.  161. 

169.  179. 
V.  Huhn,  Dr.  20.  46. 
Humboldt  Alexander  83.  60.  62.  63.  67. 

68.  69.  71.  78.  16& 
— ,  WUhelm  S2.  46.  48.  60.  67.  71.  143. 

Jackson  168. 
V.  Jacobi  116.  141. 
Jagow  182.  188. 
Jeniaeb  ni.  77. 

Jenner,  Dr.  11.  28.  29. 

Iffland  63.  86.  87.  ÖÖ.  ÖO.  166.  167. 

Joinville  103.  104. 

V.  Jominy  106.  110.  136. 

Jordan  21. 
Jüngken.  Dr.  32.  58. 
Junker,  Dr.  2.  30. 

Kalkreuih,  Graf  64. 

Kalow,  Dr.  33.  58. 

V.  Kamptz  68.  117.  110.  120.  121.  142.  144. 

146.  147.  100. 
Earbe  8. 

Kari|  Prina  von  Mecklenbmg'StarelitB  31. 

157.  162. 

Karl,  Prins  von  Preussen  166.  158.  164. 


Karl  August,  Groäslierzog  von  Sauhaen- 

Weimar  158.  103. 
Karsten  64.  70. 
Ka.seUtx  87.  92. 
Kepler  20. 
Kessler  99. 
V.  Kickebusch  171. 
Eieaer,  Dr.  29.  56. 
Kieeewetter  67.  82. 
Kinkall  166. 

V.  Kirebeisen  166.  169.  171. 
Klnatsch,  Dr.  30.  56. 
Klaproth  22.  27.  60.  64.  72. 
Klemnann,  Dr.  1.  19. 

Klenze  67.  82. 

V.  Klewitz  160.  176. 

Klotz  ()0. 

Kluge,  Dr.  14.  28.  31.  43. 

Knigge  60.  71. 

V.  Knobeledorff  HO. 

V.  Knoblauch  115. 

Koch  86.  166.  167. 

Koelpin  2.  38. 

KoelB  87.  166.  171. 

V.  Koeneo,  L.  E.  16.  22.  43. 

— ,  Eberhard  29. 

KoWrauscb,  Dr.  20,  21.  2^.  16.  50. 
Konstantin,  Grussfürst  119.  145.  147. 
T.  Kotiebae  16.  61.  62.  78.  117.  142. 
Kianicbfeld,  Dr.  82.  68. 

Krause,  Dr.  82. 

— ,  Keg.-R«th  llf». 
V.  Krüdener  IGS. 

Krüger,  Johanna  (Auguste)  116.  141. 
— ,  Maler  SO. 

Krukenberg  24.  62. 
Kriinitz,  Dr.  1.  8.  36. 
Kuii.stinanu  31. 
Kurelia,  Dr.  1.  8.  36. 
Köster  160. 

V.  Ladenberg  119.  146. 

V.  Laniprecht  61. 

Langenthal,  Oharlotte  123. 

Laube,  Dr.  1. 

Lavater  60. 

Lecoq  165. 

Lehmann  2. 

Lents  61. 

Leoyeo,  Dr.  3. 

V.  L  Estoc.j  20.  169.  176. 

Levi  jun.  87. 

13 


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Begiater. 


Lichtensiein,  Dr.  64.  68.  80. 

Link  05.  71.  81. 

Lipke  170. 

Lipten  60.  73. 

Lobttein,  Dr.  12.  42. 

Loder  14.  42. 

Lnbnig  99. 

LonilKud  02.  87.  126. 
Luiiuser  22.  34. 

Louis  Ftedinand,  Prins  vonPronssen  100. 

154.  128.  161.  161.  162. 

Lnccbesini  166.  171. 
Ludolff  l;].  109. 

Ludwig,  Prinz  von  Preussen  149.  159. 
Luise.  Königin  28.  40.  105.  152.  15S.  164. 

155.  101.  162. 

Mack  124. 
Malfatli,  Hr.  25.  53. 
Maofredi  Öl. 
Mangold  24. 

Uaxcus,  Dr.  6.  19.  20.  46. 

V  Masseubach  62.  165. 
V.  iMassow  103.  127.  166.  172. 
Meckel.  Dr.  11.  41. 
Meierotto  OO.  Ol.  72. 
MUnbard  104. 
Melchior  66.  90. 
Mewdorff,  Dr.  1.  20.  22.  29. 
Meyer,  Geb.  Ratb  1.  15.  30.  :?8. 

Dr.  Heinrich  19.  20.  32.  4ö.  1G9. 

liofapotheker  21.  4A.  CO, 

Scbauapieleriii  87. 

MogalU  16.  43 

Moldenbauer,  Dr.  30. 

V.  MoelU  ndorK  98.  165.  168.  171. 

V.  Moltke  104. 

Moreau  III.  136.  187. 

Moscbeles  89.  94. 

T.  MoU  68.  119.  120. 

Mühry  2.  20.  39. 

MttUer,  Jobannes  59. 

— ,  Geb.  Rath  105. 

Muiaiinia»  Geii.<Chir.  1.  2.  11.  14.  10.  20. 

21.  87. 

— ,  Auskultator  108. 
MiueU,  Frau  G«b.  Batb  149. 

Napoleon  l.  07.  98.  99.  lOL  102.  106. 106. 
107.  108.  110.  III.  112.  IIS.  116.  116. 
118.  120.  122.  124.  126.  126.  129.  ISO. 
134.  137.  136.  139.  140.  148.  146. 


Naase  fi7.  S2. 

V.  Natzmer  170.  177. 

Naumann  90. 

V.  Neale  166. 

Neaadw  68.  88. 

Neist  116. 

Neumann  29.  54. 

Ney  125.  134.  137.  139.  140. 

Nicolai  12.  18.  61.  62.  73. 

Niemann  90.  67. 

Nikolaus  I.  120.  146.  166.  162.  180. 
T.  Noatis  120.  146. 

T.  Omptoda  100.  173. 

Pallaa,  Dr.  8.  4a  \ 

Partbey,  Hofratb  04.  81. 

- ,  Gustav  126.  133.  134.  137.  142. 

Pauli  1. 

Pecbeux  III.  137. 
Petacb,  Dr.  110. 
Poebhammer  181.  187. 

V.  Podewil-s  100. 
Pourtal^.•*,  <iraf  102. 
Prahuier  0.  10. 
Preuss  29.  37.  51. 

Priitwits,  rnn  168.  16$. 
PorUnje  80.  67. 

V.  (^oast  87.  92. 

Radalwm,  Piina  Anton  fi&  61.  87.  88. 161. 
167.  161.  104.  109. 

— ,  Prinzes-sin  Eli.sa  158.  164. 
— ,  Prinzessin  llL'lene  14. 
— ,  Priiizeäaia  Luise  129.  155.  157.  158. 
16L  162. 

Prins  Micbael  105. 
Ramler  60.  73. 

Ransicbon  20. 

V.  Rappard  105.  107. 

Rauch,  BUdbauer  68.  89.  00.  95. 

V.  Bancb,  General  170.  177. 

V.  Raamer  18. 

Ranpacb  90.  95. 

V.  d.  Recke,  Graf  119.  167. 

V.  Reden  03. 

Reich  9.  24.  30.  32.  08. 

Beichardt  87.  90.  93. 

Bett  17.  21.  48. 

V.  Reitzen.strin  Gl. 

Bicbards  178.  181. 


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Register. 


195 


Richter,  Dr.  2.  23.  38. 
Riemer,  Dr.  166.  179. 
Bobeijot  96.  121. 
Robert  67. 

V.  Rochow  61.  167.  174. 
Roloff  40. 
Rose  60.  63.  73. 
Bmenstiel  18.  166.  171. 
T.  Rachel  126. 
Rackmann  99. 

Rudolph!  21.  31.  36.  49.  51.  63. 

Ruat  25.  27.  28.  29.  31.  32.  33.  34.  53.  54. 

Back  24.  167. 

Saint-Hilaire  104.  128. 
SaintMnrsan  105.  106.  107.  129.  130. 
Saud  117.  142. 
Sender  61.  77. 

Schadow,  Gottfried  67.  68.  69.  92.  9dL  167. 

-,  WUhelm  88.  93.  94. 

Scharnweber  62.  63. 

V.  Scbeibler  15. 

T.  fidieve  6.  8.  90.  166.  167. 

Schiavoneltl  87.  Ol. 

Scbickler  166.  171. 

V.  Schill  104.  105.  128.  129. 

Schiller  61.  77. 

Schinkel  88.  89.  90.  95. 

Schlabreodoril,  Onf  16&  170.  171. 
— ,  säcb.s.  Gesandter  166. 
Y.  Schlechtendal  OL  76. 
Schlegel  61.  76. 
Schleiermac^er  71.  7S. 

Schleiiiita  13. 
SdÜMnin  90.  57. 
Sdilicbt  165. 

Scbmaltz  101.  116.  129.  141. 
ScbtuetUu,  Graf  101.  125. 
— ,  Otttfln  160. 
Sdunidt»  Dr.  28.  51. 
— ,  Kriminal-Direktor  119. 
Schmitz,  Fräulein  166.  179. 
Schneider  64.  79. 

BchrOtter  12. 
Schaar  64 

V.  Schuckmann  25.  169.  176. 

V.  Scliulenburg  15. 

Schulta,  Hofrath  29.  30.  31.  54.  99. 

— ,  ^Tbeater-SchulU)  30.  83. 

Behulse,  Theaterdichter  67. 

V.  Schütz  165. 

Schuwita  179.  185. 


Schwarzenberg,  Fürst  118.  143. 
Schweigger,  Dr.  IG.  46. 
Schweitier,  Dr.  24.  62. 

Schwerin,  Graf  168. 
V.  Seegebartb  170.  177. 
Seile,  Dr.  1.  2.  11.  12.  37. 
Sethe  120.  145. 
SiebeiMchiih  20. 
▼.  Siebold  16a  16S. 
Solms,  Prinz  104. 
SontHg,  Henriette  89.  90.  95.  96. 
Soult  104.  128. 
Spalding  61.  76.  16a 
Sprengd  14.  48. 
Steffens  68.  83.  141. 
Stegemann  169. 
Steglehner  30.  55. 

V.  Steiu,  Minister  102.  103.  104.  120.  123. 
126.  127.  12a  139.  146. 

Stein,  Professor  64.  61. 
V.  Steinberg  1G6. 
Sterneinann,  Dr.  1. 
Stich,  Schauspieler  89.  94. 

Angoete  (Crelloger)  89.  94.  95. 
V.  Stolbcrg,  Qraf  114. 
Stosch,  Dr.  1.  2.  14.  16.  37.  65.  6a 
Strauss  üS.  84. 
Stubenrauch  165.  171. 

Tarone,  SaU  169.  176. 

V.  Taube  169. 

V.  Tauenzien  IIL  112.  115.  137.  138. 
Teller  61.  75. 
Tbaer  OS.  6a  78. 
Tbeden  1.  87. 

TheerbuBchiaeher  Garten  17a  183. 
Thiele  71. 
\  V.  ThioUatz  105. 
V.  ThtUnmel  63.  78. 
Tieok  8a  88.  90.  94  95. 
Ttomnudortt  eS.  81. 

ITnger  75.  165. 
Unzülmann  87.  92. 
— ,  Friederike  67.  92. 
Uninna  167.  174. 

Victor  103.  127. 
ViUanmo  la 
Voigt  2a 

Voitus,  Dr.  11.  41. 

Voss,  Gräfin  124.  153.  161.  162. 


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196 


Register. 


Wackeniagel  71.  85. 
^Vagenel•  GH.  90.  OG. 
V.  Wahlen-Jafgaee  119.  144. 
Walbeig  70. 

-VVall,  Dr.  1.  8.  12.  16.  ÖO. 
.  Walther  20.  47. 
Wander  2. 
V.  Warsiug  1G7.  175. 
V,  Wartenflleben,  Graf  66* 
Wegscheiiler  70, 
Weikard,  Dr.  6. 
Weinhold  30.  66. 
Weiss  71.  8ö. 

Weitsch.  Dr.  16.  20.  24.  20.  60.  46.  60. 

Wellington  116.  119.  140.  145. 

Welper,  Dr.  8.  14.  16.  16.  24.  30.  40.  10&. 

Won.lt  1.  M. 
Wichel  31.  57. 

Wiesel,  Pauliue  103.  104.  128. 
Wilhelin,    Prims   tos   Preuesen  (Sohn 
Fkiedricb  Wilhelms  IIL)  81.  164.  166. 

157.  102. 

Wilbelmine,  Landgrftfin  von  Hessen-Kassel 

149.  169. 

Wilhelmine,  Prinzessin  von  Oranien 
(Königin  von  HoUand)  164.  169.  162. 
164. 

Willce  168. 


Willdenow  64.  79. 
WinkJer  180. 
Witte,  Dr.  67.  82. 

V.  Wittgenstein,  Fflrsl  C2.  106.  119.  120. 

129.  132.  157.  168.  169. 

— ,  General  108. 
V.  Wuellner  98.  121. 
Wolderm.inn  169.  170. 
Wollart  22.  28. 

Woltt,  Dr.  1.  2.  13.  14.  104.  166. 

— ,  Dr.  (Posen)  1(1.  45. 
— ,  Schauspielerin  89.  94. 
Wülfsohu  12.  42. 
Wohiy  168. 
Wolter  163.  166. 
V.  Wnlffen  170. 

V.  York  loö.  laa. 

Xadig,  Dr.  24.  68. 
V.  Zastrov  149.  160. 
van  Zee  1G7.  174. 

Zelter  9n.  90. 

Zenker,  Dr.  1.  3.  12.  14.  16.  10.  37.  Ou.  149. 
V.  Zicby  107.  109.  132.  166. 
Zimmer  166. 
Zittelmann  179.  186. 
ZoeUner  60.  61.  78. 


Browuscbes  System  4. 
Charit«  6.  21.  23.  24.  32. 
Cholera  88. 

Drehmasehine  17.  19.  45. 
Friedrichs  Vorlt-suni'i-n  24.  52. 
Gesellschaft    aaturlorschendur  Freunde 
62.  68. 

Gesetdose  Gesellschaft  66. 
Qinstinianische  Gemäldesammlung  88.  03. 

llnfelandsche  Gesellschaft  20.  21.  22.  24. 

25.  28.  29.  30.  31.  17.  69. 
Influenza  13.  42. 
Inokulation  3. 
Irren»  und  Arbeitshaus  16. 


Kuhpückcn-implung  11.  23.  51*. 
Magnetismus  22.  23.  24.  61. 
Medinnisch-physlkaliache  (Klaprothsche) 
GeseUschaft  21.  2&  27.  80.  31.  60. 

04.  05. 

PliiloniathiHche  GcscUschaa  21.  60.  64. 
lieichsches  Mittel  9. 

Bhinoplastik  (TagUacocsische  Operation) 
-  26.  26.  27.  63.  64. 

Singakademie  08.  91. 
Univerwitält  CA.  80. 

7.  Versammlung  deutscher  Naturforscher 

und  Aerzte  68.  69. 
Walthersches  Kabinett  16.  43. 


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ARCHIV 

D£K 

JRAHDENBUneiA" 

GESELLSCHAFT  FÜR  HEIMATKUNDE 

DSR 

PROVINZ  BRANDENBURG 


Uuter  Mitwirkuug  des  Mürklscheu  FroYinzial-Miiseums 

herausgegeben 
vom 

dMtUiohifts  •  VonUadt. 


8.  Band. 

 — . 

Berlin  1901. 

Druck  und  Verlag  von  P.  Stank icwicz'  Buchdi'uckerci, 
Beniburgerstrasse  14. 


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Aus  der  märkischen  Heimat 

Natur-  und  Landschaftsbilder  in  Gedichten 

gesammelt 
von 

Dr.  L.  H.  Fischer. 


Den  Genossen  seiner  Wanderfahrten 


der  Heraungeber. 


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4 


Vorrede. 


Die  eigenartigen  Reize  der  märkischen  Landscliaft  haben  von  Jahr 
zn  Jiilir  in  Folge  der  Herstellung  und  VermebroDg  billiger  Verkehrs- 

inittel  und  durch  die  Verbreitung  des  Kadfahrens  einen  immer  gröfseren 
Kreis  von  liewunderern  gefunden.  Wer  dieser  Bewunderung  wolil  dieh- 
terisdicn  Ausdruck  vorlieheii  lial'c,  d;is  war  die  Fi:iir'\  welche  den 
Herausgeber  zur  ZusannnenstclliinL;  der  naclifolf^enden  Sainnihnif;  ver- 
anlafste,  einer  Arbeit,  die  zur  eigenen  Belehrung  und  Ei'banung  niitci- 
nomnieii  wurde  und  nicht  für  die  ( )rtcntlichkeit  bestimmt  war.  Wenn 
diesem  Vorsntz  ungetreu,  der  Herausgeber  schlielslich  doch  die  Ver- 
örtentlicliung  untcrninunt,  so  thut  er  es  in  dei'  Hoffnung,  dal's  das  Buch 
in  den  Kreisen  der  Naturfreunde  und  Litteraturfreunde,  für  die  allein 
es  in  lii'liacht  kommt,  hier  und  da  Anregung  l)ieteii  und  Freude  bereiten 
wird:  vielleiclit  dal's  dem  Naturfreund  l»cini  Dur(  lil»lattern  des  Huches 
die  Erinnerung  an  genufsreiche  Stunden  auf  der  Wanderung  durch  die 
märkische  Landschaft  neu  sich  belebt  oder  die  getreue  Scliildei  uiig 
scharf  beobachteter  Naturvorgänge  Freude  bereitet,  vielleicht  dafs  dem 
Litteratnrfreund  diese  Übersicht  über  die  märkische  Landschaftsdichtung 
einiges  Interesse  abzugewinnen  vermag. 

Schon  allein  die  Rücksicht  auf  den  Umfang  verbot  aucli  nur 
das  Streben  nach  Vollständigkeit  bei  dei"  Auswahl  der  geeigneten 
Gedichte ;  ja  es  ist  nicht  au>gesclil(tssen  ,  dal's  trotz  aller  aufge- 
wandten Mühe  einzelne  über  den  engen  Kreis  der  von  ilinen  be- 
sungenen Heimat  hinaus  nicht  bekannt  gewordene  Dichter  nicht  er- 
mittelt sind.  Streng  genommen  gehören  die  Gedichte  der  Vorgänger 
unseres  Schmidt  von  Wemenohen  nicht  in  diese  Sammhing,  denn  sie 
enthalten  keine  Natnrschildemngen,  sondern  Empfindungen  nnd  Be- 
trachtungen, die  eine  bestimmte  Ortlicbkeit  der  Mark  in  dem  Dichter 
hervomift,  aber  keineswegs  dnrch  die  Eigenart  des  Ortes  bedingt  sind. 
Als  die  ersten  Versoche  landschaftlicher  Dichtong  in  der  Mark  sind  sie 
aber  litterarhistorisch  und  knltnrhistorisch  interessant,  nnd  dies  mag 


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—  vm  — 


ihre  Aufnahme  entschuldigen.  Dafs  die  Gedichte  des  vielgeschmähten 
and  erst  in  den  letzten  Jahrzehuten  besser  gewürdigten  Wemenchener 
Predigers  den  breitesten  Ranm  in  der  Sammlang  einnehmen,  bedarf 
keiner  Rechtfertigung.  Ist  er  doch  der  eigenartigste  nnd  bisher  nicht 
flbertroffene  Poet  der  mftrldschen  Landschaft  Zwar  hat  Lndwig  Geiger 
in  seinen  Berliner  Neadrncken  auch  eine  Auswahl  der  Gedichte  von 
F.  W.  A.  Schmidt  (Mosen  nnd  Grazien  in  der  ICark.  Berlin  1889)  her- 
ausgegeben. Diese  Sammlung  will  aber  ein  Bild  der  gesamten  dichteri- 
schen Persönlichkeit,  nicht  blofs  des  märkischen  Landschaftsdichters 
geben  und  ist  deshalb  fdr  unsere  Zwecke  za  wenig  ausfährlich.  Dafs 
unter  den  lebenden  Dichtem  dem  bekannten  Botaniker  Carl  Bolle  ein 
verh&ltnism&fsig  grofser  Raum  fiberlassen  ist,  werden  seine  Freunde  mit 
um  so  gröfserem  Dank  begrOfsen,  als  es  durch  die  Gute  des  Dichters 
mir  irergönnt  ist,  eine  ganze  Anzahl  bisher  nicht  verOfientlichter  Ge- 
dichte zum  Abdruck  zu  bringen. 

Die  Orthographie  der  Originale  ist  beibehalten,  im  wesentlichen 
auch  die  Zeichensetzung.  Die  von  den  Dichtem  herrfihrenden  er- 
klärenden Anmerkungen  sind  in  Anffihrangsstricbe  gesetzt. 

Herzlichen  Dank  schulde  ich  and  sage  ich  anch  an  dieser  Stelle 
dem  Vorsteher  der  Göritz-Lübock-Stiftang,  Herrn  Otto  Göritz,  dem 
liebenswürdigen  und  selbstlosen  Helfer  bei  wissenschaftlichen  Be- 
strebungen. Ebenso  bin  ich  Herrn  Geh.  Begierungsrat  Stadtrat  Emst 
Friede!  für  mancherlei  Anregung  und  UntersÜtzung  zu  reichem  Danke 
verpflichtet. 

Dr.  L.  H.  Fischer. 


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Inhalt 

Friedrich  Ernst  Wlliiiseu 

1.  Der  Weidendamm   1 

2.  Die  Castauien-Baeume   2 

3.  Der  Thier-Garten   8 

Flu  E.  Raafsey sen 

Ode  an  die  Stadt  Bei^in   5 

CnroilM  Laise  jvn  Kleake 

An  das  Belle  Vae  dea  Frinaen  Ferdinand   6 

Carl  PkUipp  Xeilti 

Sonnenaufgang  Aber  Berlin   6 

Carl  Philipp  ConTt 

Im  Thiergarten  zu  Berlin  '  ,  .  g 

Friedrich  Wilhelm  Au^ast  Schmidt  (Schmidt  von  Weruonchon) 

1.  Natur   9 

2.  An  das  Dorf  Fahiiand   10 

3.  Der  ffipont  bei  Fahrland   13 

4.  Unser  Berg   15 

5.  Die  Gegend  von  Potsdam  .  ,   16 

Ü.  Das  Dorf  Döbritz   18 

7.  Der  Frttblingstag  auf  der  Dorfpfane  ...»  .  22 

a  Der  Bonntag  im  Dorfe  Üts   94 

9.  Die  Wiese  beim  Weddiug   26 

10.  Die  Pichelnberge  bei  Spandau   27 

11.  An  den  Jungferuwald  bei  Berlin   29 

12.  Der  Kirchhof  za  Tegel   30 

18.  Eüsladiing  tu  einer  Lqstfahrt  nach  Tegel   82 

14.  Der  See  bei  LanlEe   84 

15.  Frohe  Aussicht  «...  86 

1(5.  Werneuchen   38 

17.  Das  Frühjahr   40 

18.  Unare  Gnwebank   42 

19.  Die  Wadnifa   48 

20.  Meine  Gegend  .44 

21.  Das  Landleben   46 

22.  Der  Meierhof   47 

23.  Der  Bauerhof   48 


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—  X  — 


24.  Entsrhuldigung   CO 

25.  Froho  B^.tscbaft   61 

20.  Lied  im  Frühling   52 

27.  Frühliiig8-Lied   62 

28.  Bor  ApiU   6S 

89.  Der  Bauer  in  Ostam   63 

30.  Die  Dorfbewohner   61 

31.  T)vr  Friihliugsabeud  auf  dem  Lande   56 

82.  Maitreude   67 

33.  Der  Joninaabend   £8 

84.  SommerdOrre   60 

86.  An  die  Natur  im  Herbst   60 

86.  Der  Landmann  im  Winter   60 

87.  Ländliche  Winterscenen   62 

88.  Der  Wald  im  Winter   63 

Fr«nz  Freilierr  von  Gaadjr 

Berliner  Mai   04 

fr*  BnuoM 

1.  Der  WeibelliB   66 

2.  Denkst  da  des  Tttge?   66 

3.  Stillleben   67 

4.  Herbstatimmen   67 

6.  Wintenieeht   68 

6.  Winterschlaf   68 

7.  Am  Moor   69 

8.  Fiiedhoi  im  WiUde   69 

Karl  Webe 

1.  Das  klingende  Fiiels  am  Schlofsberg   7ü 

2.  Die  bt  lligen  Hallen   72 

Kmauael  (ron)  Geibel 

Senasond   72 

Ctoeige  Heteklel 

1.  Zwischen  8nmpf  und  Sand   74 

2.  Auf  niürkischer  Haide  .76 

;j.   Out of-tlie-way-plnces   78 

4.  ^Märkischer  Frübliugsstrauis   81 

6.  An»  der  Dreiliaden-Gbronik   82 

Theodor  Fontane 

1.  HftTelland   83 

2.  Alles  still   86 

3.  Mittag    86 

4.  Auf  der  Ku^pe  der  Müggelberge   86 

C'iurl  Bolle 

1.  Kin  Heim  am  Wasser   80 

2.  Aus  der  Inselwelt  des  Tegeler  Sees   87 

1.  Scharfenberg   87 

2.  Baumwerder  ..88 

8.  Reis  werdet   88 

4.  Valentinawerder   88 


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—   XI  — 


.Seit« 

6.  Maienwerder   89 

6.  Haeselwerder   80 

7.  Lindwerder   90 

S.  KeiluTWorder   90 

9.  Schujtpt'tt.swt  riler   90 

10.  An  die  in  alle  Wiude  verspreugte  Colonio  von  Valenlinsweider  .  91 

11.  NftebtUebe  Feuer   91 

3.  H»ttBbaa  in  Scharfenberg   92 

4.  Zu  nah'  dem  Scbiefsplatz   92 

T).  Aui  Grabmal  Kuntbs  im  Tegeler  Schlofsgarten   94 

6.  Die  Fichte  von  Ilasselwerder   04 

7.  An  unsere  Spree   9G 

8.  Der  Stein  im  Htiinboldthidn   97 

9.  Der  beilige  Helbogweg   96 

10.  Pfaueninsel   {tf> 

11.  Per  Hnvenow   99 

12.  Am  Uuvenowsee   lÜO 

18.  Der  Wartthorm  von  Gransee  ^   100 

14.  Bonte  Sommervfigel   101 

15.  Möven  überm  Wasaer   101 

1<5.  Die  Weindrossel   101 

17.  Die  Ilftidelerche    102 

Ib.  Die  liacbötelzo   102 

19.  Die  Turteltaobe   103 

20.  Der  Eisvogel   103 

21.  Der  Stint   104 

22.  Die  Buche   lO") 

23.  Der  Eisbeerbaum   luö 

24.  Utmua  eAisa   100 

26.  Der  Stnmpf  der  Silberpappel   107 

26.  Der  Weinbei:g  im  Norden   106 

27.  Dracaena  Dra<'o   '   lOS 

28.  Die  Linde  am  Scbildhorn   109 

20.  Die  Arve  auf  der  Pfauenin.sel   109 

SO.  Linnaca  borealia   110 

31.  Taxodinm  diBtichiom   110 

Waldemar  Kopp 

Freienwalde  a.  O.  cur  Welbnacbtaselt   III 

Bldolf  (irlmin 

In  der  FichtenbaiUe   112 

Heleuo  von  liill^r^n 

An  die  Mark   IIS 

Engen  TrewUiHeb 

Alt-Brandenburg   113 

Otto  Fnmi  Oenaiehen 

I.  Auf;  der  Gedichtsammlmtg:  „Unter  dem  ZoUemaar**. 

J.  MUrker-Lied   III 

2.  Eislauf   115 

&  Heiniicb  von  Kleist  .  .  .  . '   116 

4.  Erika   116 


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—    XU  - 


II.  Aus  Pfarrhauasegen. 

1.  SoDDtagsgloeken   116 

2.  Das  Dorf  eben  im  Warthebrach   117 

8.  Erik»   117 

4.  Gut  Brandenbmg  hie  allerw^   118 

LodOTlka  Hesekiel 

Ein  Blick  auf  Potadam   119 

Bmui  Georg  Moyor 

1.  An  die  Mark    119 

2.  l  liuriii  ,   120 

Kobert  Behl« 

1.  Der  Sefalofaberg  bei  Borg   120 

2.  Uebenwhwemnrang   121 

Panl  lUseli 

1.  Märkische  Wanderung   124 

2.  Aui  der  GUenicker  Bracke   126 

Ewald  Müller 

1.  Treis  des  Spreewahits   126 

2.  Uie  gut  Brandenburg  allweg   126 

a  Auf  dem  Sehloilibeige   127 

4.  Nftchtttche  Fahrt   1S7 

Haas  Gerhard  Grlf 

San8430oci   ISS 

VtH»  Eiehbergr 

1.  Auf  den  MUggelbergen   130 

2.  iüoater  Cborin   131 

8.  Ein  Gang  dorch  die  H0lie   ia2 

Mta  Uwe 

Die  mirkiaohe  Heide'   184 

▲delf  Brittd 

Kahnfahrt     134 

Hubert  Malier 

J.  Be^Tüföung  der  Mark   135 

2.  An  emem  märkiscbeu  äue   136 


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Friedrich  Ernst  Wilmsed. 

Geb.  29.  Janoftr  1786  wa  Halle,  Prodiger  der  deotsdi-refoniilerteo  Gemeinde  in  lüigde- 
borg,  1777  Frediger  an  der  ParochielMrche  in  Berlin,  atnb  nm  ISOOl 

1.  Der  Weidendamm. 

Die  Muse  flieht  zu  dir,  einsamer  Cranz  von  Weiden! 

Wo  ihr  doin  West  in  kühle  Schatten  winkt. 
Ihr  Bäume!  die  ringsum  der  Sproc  Oestadc  kleiden. 

Wo  oft  mein  Herz  die  Euh  in  ätrühmen  trinkt. 

Seid  ihr  mein  Liedl  ~  Fem  Tom  gesebXfUgeii  GetOmmeL 
Wohnt  die  Natur,  die  das  Einsame  liebt 

Iii  euch,  und  rund  umher  wölbt  sich  ein  heitrer  Hlnunely 
Von  keinem  Ranch  der  stolzen  Stadt  getrübt 

Auf  euren  Wipfeln  spielt  mit  iliren  letzten  ötrahleu 
IMe  Abendsonn',  eh'  sie  ins  Meer  sich  senkt: 

Moeb  will  sie  dieh,  o  Spreel  mit  flttTB'gem  Golde  mahlen, 
Eh'  sie  der  neuen  Welt  ihr  AntlitK  schenkt. 

Ein  ^^rüner  Käsen,  den  HestrHuche  wild  umpfangen. 

Beut  zum  kunstlosen  Kuhesitz  sich  dar: 
Wo  haaricht  über  ihm  der  Weiden  Blüthen  hangen: 

In  ihnen  jauchzt  der  Vögel  muntre  Schaar. 

An  seinem  Kücken  fcbwUlt  anf  grttnenden  Terrassen 
Ein  Garten  sanft  zam  schönsten  Tempe  an; 

Hier  schwizt  Vertumnus,  ihn  in  Lau1)en  einzufassen, 
Und  Bacchus  pflanzet  Tranbenhügel  dran. 

Er  ziert  dehn  stflles  Haus,  worin  die  Weisheit  wohnet, 

O  Snlzer*)!  den  sie  ihren  Liebling  nennt 
Und  ihm  mit  EVenden  der  Natur  sein  Forschen  lohnet, 

Die  nur  ttir  SohtUer  sohXit  und  kamt 


•)  Der  bekannte  PUloaoph  und  Ästhetiker  (1780-1779). 

AMh.  1 


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2  - 


Hier  fll6(lB«n  ruhig  dir  die  Tage  deines  Lebeiu 

Dem  Dienst  der  ernsten  GOttin  heilig  hin: 
Wie  StrOlime,  schwer  von  Gold:  denn  Iselner  flieflit  vergebens» 

Und  jeder  bringt  die  Wahrheit  zum  Gewinn. 

So  sei  sie  stets  vor  dich  mit  Uiren  besten  SchBcsen 
Freigebig,  nnd  bei  Enkeln  einst  dein  Rühmt 

Noch  lange  dein  Gesehttft,  die  SehOpfong  dein  ErgtSzsen 

Und  dieser  Garten  dir  ElysiomI 

(Die  Spaziergänge  von  Berlin.  8i  quid  vacui  snb  umbra  Insimas.  1761,  ohne  Ort 
und  Namen  des  Verfassers.  4  BU.  in  4**.  BibliotbelL  der  GOrito-Labeck-Stiftung.) 


t.  Die  Caatnnien-BMiime.*) 

Euch,  Zierden  von  Berlin  I  und  seines  Volks  Vergniigeo, 

Die  ihr  in  seiner  Mitte  blüht! 
Lieblingen  gleich,  die  sanft  im  Schoos  der  ICntter  liegen, 

Bttch»  BKnmet  feyrt  mein  dankbar  lied. 

Freundschaftlich  nehmt  ihr  mich  in  eure  stillen  Schatten, 

Wo  mich  ein  kühler  West  erfreut. 
Und  krönet  jeden  Tag,  eh'  Kuh'  und  Schlaf  sich  gatten, 

Mit  Freuden  der  Geselligkeit. 

Ich  seh  des  Flusses  (Tott,  wie  still  mit  Wohlgefallen 

Sein  trliuleliul  Haupt  empor  er  liHlt: 
Ünd  schaut  sie  lilchelnd  Hand  in  TTund  vorUber  wallen, 

Die  junge  und  die  schöne  Welt. 

Von  seinen  Ufeni  eilt  ein  Ilcer  .'Schalkhafter  Weste, 

Zu  schwiirmcn  um  die  frohe  Schaar. 
Muthwillig  sehcrzen  sie.  die  stets  willkommen  Gäste, 

Um  blüh'nde  Wangen,  Brust  und  Ilaar. 

Sie  rollt  indessen  fort,  nimmt  still  in  knraen  Wellen 

Durch  Königstadtc  ihren  Lauf, 
Die  majestätsche  Spree!  und  ihre  StrUhme  schwellen, 
So  wie  sie  forteilt,  stärker  aui'. 

An  Ihren  Ufern  prangt  der  Bau,  den  einst  Bellonen 
Ihr  königlicher  Freund  zum  Tempel  gab.**) 

Mit  trozig:em  Gesicht  schaut  hier  von  ihren  Thronen 
Des  Schreckens  Göttin  hoch  herab. 

Zehn  Thore  Ofhen  sieh.     Ans  ihrem  Heiligthnme 
Versoigt  mit  Waffen  sie  den  Held: 

Ihr  donnerndes  Gcschofs  trUgt  schnell  zu  Friedriclia  Ruhme 
Des  Krieges  Schrecken  durch  die  Welt. 

*)  Das  Kastanionwäldchcn. 

*)  Du       Fdadrieb  L  «rbsute  2«ai^as. 


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—  3  — 

0  möchten  wir  doch  bald  von  deiner  Hand,  Irene, 

Die  Thoro  fest  verschlossen  sehn! 
Und  friedlich  Uunn  mit  uns,  Bellouu!  deine  Sühuo 

In  dieser  Bäome  Schatten  i^ebn. 

(IMe  Spaziergänge  von  Berlin.  Vgl.  oben  Nr.  1.) 


8.  Der  Thler^Oarteii.*) 

Empfange  mich,  heiliger  Ilain!  den  neben  die  Tempel  Mincrvens 

Silvan  dir,  Friedrich!  znr  Ehre  gepflanat! 
Empfangt  mich,  ihr  Laaben,  wo  oft  am  Morgen  in  grünender  WGlbong 

Hein  Herz  die  Ftenden  des  FrUhlingB  gefühlt! 
•Hier  bin  fehl  —  In  langer  Allee  an  Wanden  frischdnftender  Tangem 

EU*  ich  zum  Bette  des  FlnOlgOttB  hinab ! 
Vom  Abhang  hernnter  sieht  schon  mein  Blick  dem  Scbanplaz  entgegen, 

Der  Pracht  und  Anmuth  und  Hoheit  vereint. 
Da  will  ich  am  stillen  Gestade  die  Sorgen  des  Tages  vertränicen. 

Auf!  Seele!  sei  heiter  und  sanft  \v\p  der  Bach! 
Wie  hier  in  silberner  Fluth  die  Abendsunue  sich  spiegelt, 

So  strahlte  der  Kuhe  Bildniis  in  dir! 
Hier  atiune  BrlMadinng  mein  Geist!  nach  den  OeMhSIten  des  ICoigene 

ünd  nach  der  Hitze  des  sehwttlen  Mittags; 
Hier  wo  der  Abendwind  ktthl  4nroh  die  Qebftsdie  daher  schlfipft 

Und  sefaetsende  Weste  am  Wasser  hinfliehn. 
Ein  heitrer  Himmel,  den  nicht  das  kleinste  W^llk'gc  n  Vfflrdnnkdt» 

Erscheint  auf  der  zitternden  Flache  des  Bachs: 
Der  Gottheit  Ebenbild  stellt  sich  so  in  der  Seele  voll  Unschuld 

Und  in  dem  Herzen  des  Kedlichen  dar. 
Nnn  fuhren  mich  grünende  Gänge  zum  stillen  Tempel  Pomonens 

Und  laden  zum  einsamen  Lustgaug  mich  ein : 
Wo  nichts  im  Denken  mich  stöhrt,  als  etwann  ein  fliehendes  liehe, 

Das  schnell  sidi  im  dlehten  Gestrftnebe  ▼erliehrt. 
Der  Nachtigall  zBrÜiohes  Lied  tOnt  ans  dem  dichtem  Oestrftnche 

Und  lockt  den  Gatten  durch  schmachtenden  Lant: 
Wetteifernd  schallet  ihr  dort  der  Gesang  der  Gespielinn  entgegen, 

Und 'reizt  ihren  edlen,  willkommenen  Stolz. 
Ein  sohlanpennirmiger  Gang  von  jungen  frisehgrttuenden  Fichten 

Vf-rliphrt  sich  in  feierlich  düstrer  Allee. 
So  leiten  den  Sterblichen  stets  duixh  Krümmung  die  Pfade  dea  Lebens 

O  Todt!  allgemach  in  dein  dunkclos  Thal. 
Fern  in  der  Tiefe  des  Hains  und  eingebobcmt  in  Sträuchcr 

•)  Den  Tiergarten  hatte  vor  "Wilmscn  schon  Wippel  besungen :  Der  Tlrspnuip  dos 
BeriiniBcben  Labyrinths.  Berhn  1747.  4  Bll.  in  4*.  CBibhothek  der  Göritz-Lübeck- 
Btiftmiir.)  MyUiologische  Spielerei,  kdne  Landsdiaflaaehildennif .  Über  den  Tiergarten 
2Ur  Zeit  Frictlrichs  des  Grossen  vgl.  Der  Tiurgarten  bei  Berlin,  seine  Entslolning  und 
seine  Schicksale.  Berlin  1840.  S.  43  fi.  imd  Ferd.  Meyer,  Der  Berliner  Tiergarten  von 
der  iltesken  Zeit  bis  nr  Qssenwart.  Bsfün  1892.  S.  Vitt, 


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—  4  — 

Erhebt  sich  und  winkt  mir  ein  einsames  Hans: 
In  blflhender  Einsiedelei  schuf  es  einst  sich  ein  Liebling  der  Musen 
Und  zähKe  hier  Tage  dem  Herzen  gelebt. 

Ein  Freund  der  schönen  Natur  gcno(b  er  die  ruhigen  ^^uden, 

Die  sie  mit  freigebigen  Hilndcn  uns  reicht: 
Und  pflanzte  Gärten,  die  ihm  Ponioim,  Ceres  und  Comus 

Mit  ihren  Schlizzen  verschweudrisch  gefüllt. 
In  ihnen  sammelt  sich  nun  in  jedem  blumigten  FrUtiliug 

Zu  Festen  der  Freude  dit:  Jugend  Berlins: 
Und  feyert  bei  Liedern  und  Wein,  und  Saitenspiclen  und  Tänzen 

Sein  Angedenken  in  fröhlichen  Reihn. 
Doch  welche  Aussicht  sieht  dort  mit  unwiderstehlichem  Reize 

Das  weit  umherschweifende  Auge  zu  sich! 
Dort,  wo  die  heitere  Spree  in  stiller  GrOsse  dahin  rollt 

Und  auf  ihrem  Klicken  Reichtbümer  uns  trügt 
Da  eilt  der  begierige  P>li<-k  angemessen  und  nimmer  gesättigt 

Ins  Ferne  der  liindliclien  Scenc  dahin: 
Erblickt  hier  |[<"prdrii  und  Triften,  dort  Hiiuser,  verstockt  ins  Gebüsche, 

Und  Felder,  auf  dem-n  der  Segen  schon  blüht. 
Die  Aussicht  eröfnet  das  Herz  und  füllt  es  mit  süfser  Emptindung 

Des  lebhafteu  Dankes  zum  Uerru  der  Natur: 
Dann  kehrt  der  irrende  Flufs  zurück  zu  etaisameren  Lauben, 

Wo  ganz  die  Seele  in  Ruhe  Tcrslnkt. 
£ttch,  stille  Lauben!  hat  oft  ehi  Freimd  der  harmonischen  Musen 

Mit  seinem  göttlichen  Flaccua  besucht. 
Und  hier  nach  Jahrhunderten  noch  der  lyrisclien  TOne  Begeistrung, 

Die  Rom  und  Milcenen  entzückte,  gefühlt. 
Auch  oft  ein  liebendes  J'aar,  von  Tugend  und  Unschuld  geleitet. 

Euch  reiner  Zlirtlichkoii  I-  rcuden  geweiht, 
Und  hier  mit  umschlungenciu  Arm  die  wahre  Wollust  getrunken, 

Die  nur  die  Seele  fühlet  und  schiizt. 
Seid,  einsame  Lauben,  seid  stets  nur  den  banfleren  Freuden  geheiligt 

Und  Schauplttze  reiner  unschuldiger  Lust, 
Euch  müsse  der  Thoren  Schwärm  nie,  noch  der  Sdave  sch&ndlicher  Lttste 

Durch  pöbelhaft  niedrigen  Auftritt  entweihn. 
Und  wenn  Ja  sein  ftrevelnder  Fuss  sich  eurem  Heiligthum  nahet, 

Dann  foltr'  ihn  im  Herzen  der  Anblick  der  Ruh, 
Mit  der  die  unschuldige  Xatur  vor  seinem  strafbaren  Antliz 

In  milder  Seh"mc  und  Heiterkeit  prangt. 
Wenn  aber  mit  frohem  Gesicht  und  auf  dem  Antliz  die  Seele 

Zu  euch  ein  Edler,  ein  Menschenfreund  kommt, 
Dann  giefst  in  sein  fühlendes  Herz  Zufriedenheit,  Seligkeit,  Ruhe 

Und  Freude  in  vollen  Strühmeu  herab. 
Den  Jflugling  besonders,  der  euch  ein  Herze  voll  neuer  Empfindung, 

Ein  weiches  Herze  noch  bildsam  euch  bringt. 
0  dem  seid  günstig,  und  weckt  durch  mftchtigen  himmlischen  Einflute 

Die  Kehne  der  Unschuld  und  Tugend  in  ihm! 


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—  5 


I^ch  euren  besseren  Reiz  bewahret  vorm  lokkenden  Lwiter 

Die  junge  Srde,  die  beugsam  iiocli  wankt; 
Daun  segnet  sein  Ih-rz  euoli  noch  einst  an  der  Seite  der  zärtlichen  üattiun 

Und  filhlt  euren  Kinflufs  gedoppelt  mit  ihr. 
Flicht  denn  auch  ein  Dicliter  etwa  in  eure  geheiligten  Öchallou  . 

Zu  spiihn  euren  mannigfaltigen  Heiz: 
O  dann  en^tUIe  da  Hain,  vor  ihm,  dem  Seher  der  Schöpfung, 

Ganz  deine  nnerscliOpflicbe  Pracht! 

(Venniiehte  Gedichte.  Berlin  bei  Arnold  Wever.  0.  J.  104  8.  S.  1S-2&) 


Ph.  £.  Raufseysen. 

Qeb.  1743  in  Daiudg,  studierte  in  J«M|  hielt  als  Megieter  Vorlemingett  in  Oreifewald, 
wurde  Im  Erlege  Soldat  und  Sekntlr  beim  General  Kldet,  geet  31.  Deaember  177& 

Ode  an  die  Stadt  Berlin. 

Der  Tttchter  Thüfskons  niHchti^'e  Königinn] 
Berlin!  du  grofsen  donnerbewehrten  Thors 
tind  der  süsslUchehid  holden  Frya 
heiliger  Tempel!  eey  mir  gegriilst! 

Weit  ^VAnyA  drin  Scepter  über  die  Auen  hin  — 
einst  Sund  und  Wüste;  izt  ein  Arkadien!  — 
Aus  hoher  Hayne  Labyrinthen 
winkt  ein  Arkadien  mir  entgegen. 

Ana  ihrem  Jungen  Schilfe  erbebt  der  Spree 
Ni^ade  ihr  mit  I^otos  bekränztes  Hanpt, 
and  staont  sich  an,  der  Thema  and  Seine 
Nimphen  doreh  sich  beschXmt  za  sehen.  ^ 

Mit  Ehrfhrcht  tret  ich  in  (h-iiifii  Portikus, 
wo  mir  dein  Schimmer  dämmernd  entgegen  wallt, 
ich  seh  in  dir  Athen  und  Spaita  —  — 
darcb  der  Corintbfer  Pracht  verschönert. 

Hier  herrsehet  Friedrich!   Er  seines  Volks  Odin! 
hier  streuet  se-ine  segnende  Hand  die  Saat, 

die  einst  ein  künftiges  JahrlniTnlert 
Glücklich,  und  dankbar  ihn  segnend,  erntet. 

(Raniseysens  Gedichte  nach  dem  Tode  des  Verfasaera  herauagegeben  von 
G.  Danowina.  Berlin  1782.  S.  209  ff.) 


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Caroline  Luise  von  Klenke. 


Todif»  r  (1.  r  Karschin,  am  '21.  Juni  1754  in  Fraustadt  (Provinz  Posen)  geboren,  wie 
ihre  Muller  zweimal  in  den  Fesseln  einer  ungh'h  kliclien  Klie,  lebte  nach  der  Trennung 
von  ihrem  Zweiten  Mann  still  und  zurückgezogen  im  lluuse  ihrer  Mutter  in  Berlin. 

Qeat  21.  September  1802  in 


An  das  Belle  Vue  des  Prinzen  Ferdinand  K.  H.  (1788). 


Ihr  jugendlichen  Bäume! 
O  wachset  bald  empor! 
Und  hfillet  goldne  Trämne 

In  euren  Sehattenflohr, 
Der  Zukunft  holde  Bcencn 
Lafst  schweben  um  euch  her, 
Kntlocket  Wonncthräuen 
Ihr  I'rust,  die  Freudenleer, 
Ihr  ewi;^  stillos  Leiden 
Nur  eurem  »Schutz  vertraut. 


Gebt  reinre,  hOh*rB  IVenden 
Dem  Bräntigam,  der  Brant, 
Die  sieh  hier  zfirtlieh  sagen: 
„Ich  lebe  nur  für  Dich!» 
Und  unter  Lebens  Pla^^en 
Lab'  hier  das  Altrr  sich. 
Denn  dal's  in  siirser  Fülle 
Ein  jedes  Herz  hier  tanzt, 
Das  ist  der  Fürstin  Wille, 
Die  Kueh  hieher  gepflanzt. 

(Gedichte.   Berlin  1788.  .S.  336.> 


Carl  Philipp  Moritz. 

Geb.  am  ;16.  8|epteinber  1757  «1  Hameln,  wurde  Hntmadieilehriing  hl  Braunschiroig, 
beauehte  das  Gymnaaiam  in  Hannover,  studierte  hl  Erfurt,  war  vorübergehend  Scbaa- 
apider,  wurde  Lehrer  an  Basedows  Philantropin  in  Dessau,  in  Potsdam,  am  Grauen 
Kloster  in  Berlin  und  naeh  einer  Heise  durch  England  Professor  am  Cöllnischen 
Gymnasium  in  BurUn ;  bereiste  Italien,  lernte  in  Born  Goethe  kennen,  wurde  Professor 
der  Altertumskande  Jn  BerUn  und  Mitglied  der  Akademie.  Qesi  S6.  Jon!  1798. 

Sonnenaufgang  über  Berlin. 
Aull  dem  Tempelhoilschen  Berge;  am  10.  August  1780. 

Die  Sonne,  die  den  goldamsilamten  Fächer 
Des  Morgenroths  entfaltet  hat» 
Vergüldet  nnn  mit  ihrem  Strahl  die  Dädier, 
Und  grüfst,  mit  Lächeln,  onsre  EOnigsstadt 

Aus  grauer  D.iinmrung  wälzen  hohe  Erker, 

Besonnte  Gipfel  sich  hervor, 

Des  blaugcwiUltten  Tages  Glanz  wird  stärker 

lud  miyestütisch  steigt  Berlin  empor. 


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—  7  — 

Mit  Beiner  H.'Uiscr  und  Pallästo  Menge 
Hat  es  die  ganze  Flur  bedeckt: 
Dort  dehnt  es  sich  in  ungeheurer  Länge 
Und  hat  die  weiten  Anne  ausgestreckt: 

Von  da,  wo  geiner  Däclur  lielles  Schimmern 
Sich  in  des  Waldes  Grün  verliert, 
Bis  an  die  "Wiesen,  deren  sanftes  Flimmern, 
Im  Sonncnglanz,  die  Morgenseite  ziert. 

Schon  seh'  ich  hier  Palinste  an  PaUBBten, 

Die  ihre  stolz<M)  Illiupter  blähn, 

Und,  wie  an  einer  f^eraden  Schnur,  in  festen, 

Gescblofsnen  Keiim,  gleich  unseru  Kriegern,  stehn. 

Wie  eine  Stadt,  erhebt  in  Ihrer  lütte» 

Der  Königssitz  sein  Hanpt,  und  ragt 
Hoch  über  Sie,  wie  über  eine  Hütte 
Das  kleinste  unsrer  Felsenhäoser  ragt. 

Rand,  nm  «lie  hohe  Kfinigsbiirg  za  sehmttcken. 
Im  Kreis',  erheben  Überall 

Pall.'lst'  und  Tempel  sich  vor  meinen  Blicken, 
Und  wie  ein  Fels  das  müeht'ge  Arsenal 

Wie  in  dem  Ofen  goldne  Fenerglnthen, 
Wie  TrOpfehen,  die  der  Morgen  tfaaat, 
So  gUast  der  ganxe  Strom,  in  dessen  Finthen 
Der  Stildte  KOnigtam  ihr  Antlits  sefaaut 

Nan  strömt  das  Licht  herab  wie  FlammcnbUclie, 
Und  alle  Gipfel  sind  besonnt, 
Unttbersehbar  Ist  die  weite  Fläche 
Der  Stadt,  nnd  reicht  bis  an  den  Horizont. 

Und  Thürnie  diinuncni  noch  in  weiter  Ferne, 
Und  sind  beinah  dem  Aug'  entrückt, 
Das  dennoch,  voll  von  siUlier  Sehnsaeht,  gerne 
In  diesen  DSmmerschein  hinüber  blickt. 

Wer  mit  der  Morgenröth'  erwacht,  den  lohnet 
Sie  mit  der  Fülle  jeder  Lust, 
Und  Heiterkeit  und  sUfser  Fri(>de  wohnet 
Dann  einen  fi^mzen  Tag  in  seiner  Bmst 

Du  aber,  triinfer  Schlummrer,  o  erröthe 

Vor  ihrem  holden  Anfjesicht, 

Das  dicli  so  freundliehlächelnd  weckt,  und  tödte 
Die  besten  Stunden  deines  Lebens  nicht! 

(Sechs  deatacbe  Gedichte,  dem  Könige  von  Preusscu  gewidmet.  Zweite  Aid. 
1*00.  Beritn  1781.  a  11  n.  12.) 


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Carl  Philipp  Conz. 


Geb.  am  28.  Oktober  1762  in  Lurcli;  Schillers  JugoiKigespiele ;  slndierte  in  Tübingen 
Theologie  und  war  in  der  Foigeieit  mn  mehreren  Stellen  als  Frediger,  seit  1801  in 
TnbingMi  als  Professor  der  klas^ehen  litterstiir  und  seit  1812  als  Piofessor  der 

Eloqaeiis  ebendort  thltig.  Gest.  20.  Juni  1827. 


Im  Thiergarten  m  Berlin. 

September  1792. 


Entflohen  dem  Gewühlc 
Der  stolzen  Königsstadt, 
Müd'  ihrer  bunten  Spiele 
Und  ihres  Lännens  satt, 

Ell'  ich  zu  deinem  Frieden, 

Du  kÖniiL^lichor  TIain! 

Nimm  segnend  du  den  Müden 

In  deine  Schatten  ein! 

Wo,  fircnndlicber  nmschlnngen 
Von  der  gewölbten  Nacht, 
In  deinen  Dttmmeiiingen 
Mir  Rohe  wieder  lacht; 

Hier  kann  mein  Geist  sich  linden; 
Hier  kann  ich  wieder  rein 
Mein  Innerstes  empfinden, 
Und  mit  mir  selber  seyn: 

Der  Sonne  Strahlen  sjiiclen. 
Gemildert  durch  da;?  Grün, 
Und  heben  zu  (ü  fUhlcn 
Der  stillen  Unschuld  hin: 

Wo  die  Terasse  winket, 
Wo  milde  Schönheit  thront, 
Lnstwandl'  ich  Jetzt;  es  sinket 
Die  Sonn'  am  Horizont; 


In  herbstlicli  mildem  Glänze 
Bricht,  wie  durch  rothen  Flor, 
Die  Landschaft  dort,  im  Tanze 
Der  Weste,  sehOn  hervor; 

Fem  trttgt  ihr  lindes  Wehen 
De^i  Sefrens  Düfte  fort; 
Der  Mühle  Flügel  drehen 
Am  Hügel  stiller  dort. 

Die  Auen,  schweigend,  liegen. 
Getuscht  mit  Rosenglut; 

Die  bunten  Scenen  wiegen 
Sich  schöner  in  der  Flut! 

• 

Es  sonnt  sich  im  Gesträuche 
Die  grane  Schwanenbmt; 
Dort  piutschert  sie  am  Teiche, 
Und  mdert  auf  der  Flut: 

Wie  freudig  seh'  ich  immer 
Der  stolzen  Taucher  Kuh' 
Und  in  der  See  dem  Schimmer 
Der  DoppelbUlse  zu! 

Wie  reiner  doch  nnd  milder. 
Denn  Kunst  und  eitle  Pracht, 
Natur  sind  deine  Bilder, 
In  ihrer  Zaubermachtl 


Was  anch  der  StJ&dter  Spiele 
Dnrchlttrmen  diese  Flor, 
Ich  hOre  nichts,  ich  fUhle 
Nnr  dich  allein,  Natnr! 

(Gedichte.  Zfliich,  bey  OroU,  Fflssli  und  Compagnie.  1806.  4*.  8.  193-195.) 


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Friedrich  Wilhelm  August  Schmidt. 

(Sdunidt  von  Wenieiicli«!.) 

Geb.  am  28.  mis  1764  sii  Fahriaad  bei  Fotadam,  itodierte  in  Halle  Theologie 

und  schlofs  äieh  hier  besonders  an  Christian  Tleinridi  Schnitze  an,  der  ^püter  Pfarrer 
in  Döberitz,  einem  unweit  Fahrland  gelctrenon  Dörfclien,  wurde.  (Vgl.  Nr.  0  der  fol^'i^nden 
Gedichte.)  VerhftltnißmRfsig  juiiLr  wurde  or  Prediger  am  Invalidenhause  zu  Berlin  und 
vertauschte  dieses  Amt  am  1.  Oktober  1795  mit  der  Stelle  eines  Predigers  zu  Wer« 
noachen  bei  Bevnan,  in  der  er  bis  aa  seinem  am  26.  kjpA  1SS6  erfolgten  Tode  ver* 
blieb.  Die  in  aeinen  Qediditen  vielfadi  erwlhnte  Henriette,  ist  adne  wate  Gattin, 
Johanna  Henriette  Friederike  geborene  I'rcndel,  mit  der  er  sich  schon  in  Berlin  ver- 
heiratet hatte  und  die  bereits  am  1.  November  IPOn  starb.  Goethes  bekanntes  Spott- 
lied „Musen  und  Grazien  in  der  Mark"  stempelte  unsem  Dichter  als  den  Vertreter 
des  Platten  und  AllzunatOrlicheu  in  der  deutschen  Dichtung  und  vernichtete  aui  Jahre 
binans  aein  litterariadies  Anaeben.  SpMer  trat  Jakob  Grimm  gans  entaebieden  fflr 
ihn  ein  and  nannte  Qm  „einen  wiridichen  Didbter  vnd  einen  begabten^.  In  der 
neueren  Zeit  haben  Theodor  Fontane,  Johannes  Trojan  undLodwig  Geiger  dem  Viel* 
gsadunähten  eine  gercolite  Würdigung  zuteil  werden  lassen.  Vgl.  Ludwig  Geiger, 
Musen  und  Graiieu  in  der  Mark  (Berliner  Neudrucke  Bd.  8),  Berlin  18ti9. 

1.  Natur. 

Wann  ein  Fink  im  stillon  Holze  schlugt 
'  Zum  Gesumm  der  Wespen  und  der  Fliegen, 
Wann  der  Wind  die  Birken  sanft  bewegt, 
Knarrend  sieb  die  jungen  Tannen  wiegen, 
Und  die  Erdbeem  an  des  Hohlwegs  Seiten 
Liebliches  Gedttft  verbreiten. 

Oder,  wann  Tom  Abendhanch  gekühlt 
Sieb  die  ElsenstrUncb*)  im  Wasser  mahlen. 
Weiften  Scbaam  der  See  an's  Ufer  spflhlt, 
Sebneckenbansehen,  ffles  nnd  Unschelschalen, 
Und  der  Rohrspatz,  vom  GescbUf  amblättert, 
lYOhlicb  dnreh  die  Wiese  schmettert. 

O  dann  kann  ich  oft  Im  wüsten  Bmeh**) 
Oft  im  wilden  Wald  mich  selbst  vergessen, 
Meine  Ranpeig'agd,  mein  Taschenbuch, 
Stadt  und  Hans,  und  Zeit  und  Abendessen, 
Kann  oft  stundenlang  im  Walde  stehOD, 
Stundenlang  aufs  Wasser  sehen. 

Wohl  mir  o  Natur,  dass  ich  mich  dein, 
Mehr,  als  ttber  Ball  und  Maske,  freue, 

Dich  zu  sehn,  vor  hoifseni  Sonnenschein, 
Und  vor  Wind  und  Kr-erfn  nie  mich  scheue! 
Kf'nint'  ich  hnld  auf  deinen  stilLsten  Auen 
Mir  mein  einsam  Iliittchen  bauen! 

(Calender  der  Musen  und  Grazien  für  das  Jaiir  1796.   S.  6  n  6.) 

*)  „EUer  fietttla  alnua.  Lin.**  •*)  „Sumpfige  Wiese,  T^wfmooi«*. 


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2.  An  das  Dorf  Fahrland. 

Da,  dem  die  stUbesten  Freadea  der  Mhen  Jugend  ich  danke, 
Das  mein  romantiBch  Gcfllhl  in  seinen  traulichen  Winkeln 

Frlih  mir  geweckt,  o  Doifl  wie  gern  mag  ich  deiner  g^enken! 
Ha!  ich  kenne  dich  noch,  als  hJltt'  ich  dich  gestern  verlassen, 
Kenne  das  hangende  Pfarrliaus  noch  mit  verwittertem  I?ohrdach, 
Wo  die  treuste  der  Mütter  die  erste  Nalirung  mir  schenkte, 
Kenne  die  Balken  des  Gicliels,  wo  IHngst  der  Regen  den  Kalk  schon 
Losgewaschen,  die  I  hür  mit  grofseu  NUgeln  beschlagen, 
Kenne  das  Gärtchen  vom  mit  dem  spitzen  Stacket,  und  die  Laube 
Schräg  mit  Latten  benagelt,  und  rings  vom  Samen  der  dicken 
Ülme  des  Naebbars  nmstreat,  den  gierig  die  Hühner  sich  piekten. 
Nfanmer,  nimmer  Teigefe*  ich  der  herrliehen  Schaukel  von  Stricken, 
Die  an  den  Nnssbaom  selbst  ich  geknttpft,  der  Pfütze  des  Hofes, 
Wo  nach  dem  Regen  die  Enten  sich  wuschen,  m  o  öfter  ich  mnthig 
Neckte  die  zischende  Gans,  die  die  wolligen  Kleinen  in  Schuts  nahm, 
Jenes  Winkels  im  Hof,  wo  der  Htis  hinter  dem  Holzstofs 
Schlau  sich  versteckte,  wo  forschend  hinter  modernden  Hrettem 
Hühnereier  oft  fand,  die  jauchzend  der  Mutter  ich  brachte; 
In  der  Mitte  des  Hofs  der  Futterraufe,  die  müfsig 
Oft  ich  Ii  erumgedreht,  der  ^Scheune  durchlöcherter  Lehmwand, 
Von  den  Bäumen  des  Gartens  beschattel^  wo  einsam  die  ^ster 
Haust',  und  auf  kleinen  Rabatten,  mit  hohem  beschnittenen  Bnxbanm 
Eingefasst  und  Salbei,  die  sehOnen  Johaimisbeerbttsehe, 
Nicht  viel  grosser  als  ich  mit  rothen  Trotteln  mich  lockten. 
Mochte  die  Zeit  mit  geschäftiger  Hand  doch  Alles  zerstören, 
Wenn,  o  Dörfchen!  nur  Du  die  Gestalt,  die  ich  kenne,  bewahrtest! 
Wenn  ich,  von  keinem  gekannt,  in  deine  Stille  mich  schleiche, 
Find'  ich  des  Kirchhofs  Mauer,  von  Wind  und  Wetter  zerbröckelt, 
Noch?  die  gelloclitenen  Zliune,  mit  lilal)lühenden  Disteln 
Und  Kamillen  am  Boden  umkränzt,  düs  knarrende  Heek*)  noch, 
Und  die  Schmiede  dabei  mit  dem  Abends  funkelnden  Schornstein? 
Noch  im  Walde  von  Sakrow  die  Stelle,  wo  röthliche  Reitzker**) 
Suchten  mein  Vater  und  ich,  um  sie  Abends  gebraten  zu  essen? 
Noch  die  Löcher  voll  Schwalben  am  sandigen  HUgel  der  Windmilhr, 
Und  das  Becken  der  Heide  voll  hoher  schupplchter  Fichten, 
Duftend  von  Harz,  voll  Hambutten  und  hunder^ährlger  Eichen, 
Deren  EicbelnUpfchen  so  gern  ich  gesammelt?  die  öde 
Kräiienbtttte  mit  lockendem  Uhu,  zur  Seite  das  Scheusal, 
Pas  sich  im  Hirscfelde  zum  Schrecken  der  Vögel  bewegte? 
Grünt  in  jenem  Gebäge  der  tiefgewoudeue  Busch  noch, 


*)  ,J'  Heck  heisst  in  Niedersachsen  t\h-  aus  Reisern  geflochtene  oder  aus 
Latten  zusaaiuieugeschlagene  Thtire,  welche  den  Kiiignng  und  Ausgang  eines  Dorfes, 
der  ganzen  Breite  des  Fahrweges  nach,  verschliefät.' 

**)  „Reitsker,  eine  Art  wohlschmeckender  Erdachwttmme,  Agariciw  deliciosas. 
Linn/* 


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—  11  — 

Wo,  trotz  hüpfenden  KrOten,  die  heimlieh  rettende  Bartnnfs, 

Sonst  von  keinem  erspSht,  vor  mir  sich  vergebens  versteckte? 

Säuselt  auf  halbem  Wege  nach  Carzow*)  der  knorrigte  wilde 

Birnbaum  noch,  wo  Zijjeuner  und  Bettler  gewöhnlich  sich  lagern? 

O!  wie  warst  du  so  schün,  wann  zum  erstenmal  wieder  die  Kühe 

Wateten  brüllend  am  Ufer  der  Havel  durch  blühende  Mumraelu**), 

Dumpf  von  Wespen  nmsommt,  wenn  im  Bltttensehatten  der  Muren 

Kirschen  die  Kttefalein  so  Droh  dnrefa  die  Flügel  der  glückenden  Henne 

Knokten,  im  Strolihm  Weiber  auf  blnmiger  Wiese  die  Leinwand 

Bleiefaten,  nnd  singend  am  Graben  das  nene  Oraa  sieh  die  Knhmagd 

Sichelte!   Schlug  es  denn  Fünf  im  Thürmchcn,  so  langte  vom  Nagel 

Meister  Katsch,  der  Scliulraeister,  den  grofsen  Schlüssel,  um  dreimal 

Anzuziehn  den  Hammor  der  Betglock';  über  des  Kirchhofs 

Blühende  Wolfsmilch  sehritt  er  in  schweren  Pantotieln;  os  glänzte 

Unter  der  Mütz'  ihm  hervor  der  gelbe  Kamm;  aus  dem  Schalloch 

Grüfst'  ihn  die  lärmende  Schaar  der  liebegirrenden  Schwalben. 

Beim  Backofen  der  Bauern,  geschwttrzt  am  dampfenden  Rauchlocb, 

Schief  Tom  Wetterdaehe  beschirmt  nnd  von  Nesseln  nmwnchert, 

Spielten  fröhliche  Kinder  im  8and\  am  Bttekon  den  Poblroek***) 

ZogelmOpfl,  mit  dem  alten  geduldigen  Hnnde  des  Jttgers; 

Andre  bUesen  vom  Stengel  die  wolligen  EOpfe  verblühter 

Butterblumen,  und  lauerten  still  am  Garten  des  Amtmanns, 

Wo  die  schlechtesten  Tulpen  der  fJärtncr  über  den  Zaun  warf! 

liings  war  dann  Alles  so  still;  denn  im  Felde  sii  teii  die  Bauern 

Haber,  fällten  Holz  für  der  Stadt  Theerofen,  und  suehicn 

Watend  die  grünlichen  Eier  der  wilden  Enten  im  Schilfbrueh. 

Doch,  wann  matter  die  Strahlen  der  Sonne  wärmten,  und  sanfter 

Die  durchlöcherten  Kasten  voll  Fisch*  'am  Ufer  der  See  hob, 

Schlenderte  jeder  naeh  Haose  mit  Axt  nnd  Kober  nnd  SA'tnch. 

Dann  erqnidct  von  der  nährenden  HUch  und  dem  kräftigen  Schwarzbrodt, 

Reckten  Männer  nnd  Weiber,  tmd  Knecht*  nnd  Kinder  und  Uägde, 

Samt  den  ehrbaren  Spitzen  mit  schweren  Knüppeln  am  Halse, 

Unter  dem  Rüster f)  vor'm  Hause  sieh  aus.    Der  blüh'nden  Ebreschen 

Bittersüfses  Gedüft,  die  grünlichen  Dächer  voll  bunter 

Tauben,  der  trommelnde  Tauber,  der  schönen  Kttötanieublütcn 

Niedliche  Pyramiden,  der  hohen  Weiden  am  Dorfpfuhl 

Erstes  gelbliches  Grün,  und  der  wiederkehrende  Kuckuk, 

Der  vemebmiieh  herUber  vom  andern  Ufer  des  See's  rief, 

Alles  war  dann  so  herrlich,  und  Alles  weckte  znr  Freade! 

0,  wie  warst  dn  so  schOn,  wann  die  Fliegen  der  Stnb'  im  September 

Starben,  nnd  rotfa  die  Ebreechen  am  Hause  des  Jägers  sieh  färbten; 

Wann  die  Beiher  zur  Flucht  im  einsam  schwirrenden  Seerohr, 


*)  Kartzow,  Dorf  nordwestlich  von  Fahrland,  «a  der  Strasse  nach  I)jioii. 

**)  „Mummeln,  Caltha  palustris.  Linn/' 

***)  „Pohlrock,  ein,  nach  pohlniacher  Alt,  bis  auf  die  FOsse  geiade  htrabgelMnder 

Leibrock,  ein  Neglige  für  Kinder." 

t)  „Rüster,  oder  Ulme,  Ulmus  campebtris  Linn." 


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—  12  - 

Ahndend  den  Stunii,  sich  versammloten.  wann  er  am  Gitter  der  Pfarre 

Heulend  die  braunen  Kastanjen  aus  platzciulm  Schalen  zur  F.rde 

Warf,  und  die  schüchternen  Krannuctsvo^j^el  vom  Felde  zu  Busch  trieb; 

Wann  im  November  er  Abends  die  Wetterdächer  der  kleinen 

Fenster  zerrt',  und  nur  selten  die  Wolken  serrids,  dab  der  Vollmond 

Mahlt*  ein  Wellohen  die  Scheiben  ab  auf  die  Dielen  der  Stabe  1 

Froher  alsdann  als  der  Sperling  Im  Dach,  dem  von  hinten  die  Federn 

Ueber*s  KOpfdien  der  Sturmwind  blies,  unterhielt  ich  so  gerne 

In  dem  rothcn  Kamine  die  Glut  mit  knitternden  SpKnen, 

Die  auf  (Irm  Hof  ich  trosainmclt,  indessen  die  redliche  Mutter 

Spann,  und  dem  lesenden  Vater  die  wiinucndo  Schnautze  der  Dachshund 

Traulich  über  die  Lende  legte.    Mit  inniger  Wollust 

Wandert'  am  Morg'en  ich  dann  durch  d<;ini'  Gaj>sen,  bckuckte 

Deine  Ziiune  vom  Kegen  geschwärzt,  die  zerbrochenen  Aeste, 

Und  die  LOcher  im  Sande,  die  Nachts  vom  Daohe  die  Tropfen 

Ansg^Ohlt.  0  wie  tanzte  das  Herz  mir,  so  oft  ich  die  Flocken 

Rieseln  hört*  an  den  Scheiben  des  Nachts,  und  nicht  wnbte,  was  Himmel 

Oder  Kirchdach  sei,  sobald  ich  am  Morgen  erwachte. 

Um  mit  Hnnden  zugleich  und  hungrigen  Dohlen  die  erste 

Bahn  zu  machen.   O  Dorf!  soll  einst  ich  des  ländlichen  Friedens 

Schmecken  mit  meiner  Getreuen,  so  sei  er  .'ibnlich  dem  deinen. 

Labe,  mein  Herz,  auch  entfernt,  dich  oft  an  il<  r  Sülsen  ICrinncrung! 

(Calender  der  Musen  und  Grasien  für  das  Jahr  1796.  8.  S^—Q^.) 


3.  Der  Sipunt  bei  Fahrland/) 
An  *, 

Folge  mir,  Verehrer  Da  der  nackten 

LUndlichen  Natur  —  hlt  ^^eh'  voran  — 
In  «'in  Märkiseli  Thal:  drim  Katarakten, 
Feucrber^-,  Kaskad'  und  Sccorkan, 
Ponieranzonwald  und  helst  iisiirucn, 
Die  mit  Trotz  dem  Blitz  entgegen  zürnen, 
Sind  nicht  immer  Dein  GemUld';  im  Geist 
Folge  dann,  wohin  Dein  Freund  Dich  weis*t: 

Denke  dir,  wir  sind  in  Faluiand  mitten 
Unter  Kindern  noch,  die  froli  mit  Ball 
Oder  Drachen  spielen  vor  den  Hütten. 
Eben  winmiert  Vier  der  Glocke  Schall. 
Munter  kr&ht  der  Hahn  mit  gelber  Tolle; 
Denn  der  Tag  Ist  schOn,  und  Wolkenwolle 
Birgt  der  Sommersonne  Flammenstrahl. 
Doch  wir  eilen  nun  zum  wttsten  Thal. 


*)  „Der  Sipunt  ist  ein  wüstes,  romantisches  Thal  beim  Dorfe  Fahrland,  ohn> 
weit  Potsdam« 


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—  13 


Hinter'm  Dorf  anf  dieser  morschen  BrQeke 
Stchn  wir  billig  erst  ein  Weilchen  still. 
Hier  schon  finden  Deine  Ii  eitern  Blicke 

Vorspiel  dessen,  was  noch  kommen  will: 
Uferried  und  Rolir  und  Wasservr)fjel, 
Kleiner  Fischerkiihne  woils«-  Sögel, 
Auf  der  Hägewiese  Zicf^-'  und  Kuh. 
Aber  weiter,  Freund,  dt  ni  ^Sipaut  zu!  — 

Wir  sind  da!  —  Fallrt  Dich  ein  sttfees  Schrecken 
Zwischen  diesen  Bergen  hier  von  Kalk, 
Wo  der  Blntflnk  baut  fai  Krenzdombecken, 
In  der  Eiche  Kranz  der  Lerchcnfalk? 
Wuchert  irgendwo  die  Heidenessel 
Üppiger,  als  hier  in  diesem  KesselV 
Ü})}>ifr«'i'  'l''t'  f.'"f'nn'  Roltzkor  am 
Aulgeborstuen,  dicken  Kieferstamm? 

Witterst  Du  der  wilden  Erdbeer  Würze 
Und  des  wilden  Wennuths  bittern  Duft? 
Mahnt  Dich  an  des  Herbstes  Regcnstfinse 
Des  zerrills'nen  Berghangs  tiefe  Schlaft, 
Wo  des  WIndekraates  Ranken  klettern? 
Schwürt*  es  je  von  Zitterpappelblättem 
So  romantisch  in  Dein  horchend  Ohr? 
Sang  Dir  je  ein  solches  Vügelchor? 

Si(')ist  Du  reolits  die  wiiilc  Katze  ^a'ioaeu 
In  der  Grul)e,  liinterni  Krieciigerauk y 
Hörst  Du  links  die  Siedler  in  den  Binsen 
'i'i'iiurig  unken  ihren  Kiiigeöungl 
Sprich,  entzückt  Dich  dieser  wilde  Quendel*), 
Dieser  Schmetterlinge  LustgotSndel? 
Dieser  Schwarzdoin,  den  Gtespinnst*  mndehn? 
Dieser  KrötenmUnze  schwMrziich  Grün? 

Hier  in  dieser  Hecke  nisten  Ottern. 
Horch I  wie  schauri«:»'  diese  Tanne  rauschtl 
Nach  der  Vo^'elnester  Eierdottern 
Sehlüpt't  hier  ol't,  vom  Jäj^cr  nie  belauseht, 
Selilau  der  Iltis  aus  des  Küstern  i5aucho. 
Urliben  streiften  jüngst  im  Scldeiieuslrauclie, 
Als  der  Lenz  den  letzten  Schnee  zertbaut, 
Heideschlangen  ihre  bunte  Hant**) 


*)  „Feldkflmmel." 

*)  ifii»  hiesigeii  Sehlangsn  htatan  sieb  snr  Zelt  des  gWlbllmwigiiiiioktiunM.'* 


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-  14  — 

Der  ▼eifairne  Zann  an  jenem  Httgel, 

Den  der  Holz  wann  tingcitört  zernagt, 

Ist  ein  Schlupfort  liir  den  feigen  Igel, 

"NVt'iin  sf-in  grimmer  Feind,  dnr  Fuchs,  ihn  jagt. 

DirsL's  Sumpfrohr  —  sah'st  Du  je  es  grOfser?  — ■ 

Birgt  die  schwarze  Ente  vor  dem  St^H'ser; 

Und  die  Eidechs  ruschclt  mit  dem  Molch 

Zwisehen  Bteinen  dort  nnd  hohem  Loleh*).  — 

Und  nun  wollten  wieder  heim  wir  kehren? 
Ueberfallen  itzt  Dich  Furcht  und  Grau? 
Nein!  erst  pflücke  diese  Heidelbeeren! 
Fandest  nirgend  sie  so  reif  und  blau. 
So,  mein  Freund,  und  nun  die  Wendelstiogen 
Dieses  Bergs  hinan!    Die  Zweige  biegen 
Wir  im  Klettern  Ja  so  leleht  sorttflk, 
Und  die  Anesieht  lohnt  dem  tnmknen  Blick. 

Muthig  weiter,  Freund!  Der  wildo  Tauber 
Freu't  mit  Gurren  uns'rer  Ankunft  sich.  — 
Und  nun  staune!  —  Dieser  Gegend  Zauber, 
Diese  Sccncn  überraschen  Dich! 
Komm!  auf  jenem  Kaseiisiiz  voll  Eckern**) 
Bnh*n  wir  ans.  Indefe  die  FrOsehe  qoAckem, 
Weide  sieb  Ddn  Ange  froh  nnd  frei 
Neben  mir  an  dieser  Schilderei: 

Ol  betrachte  diese  Labyrinthe 
Von  Rothbtichen,  Kiehn-  und  Birkgehulz, 
Scliaurig  still,  wenn  nicht  des  Fürstrrs  Flinte 
Driuneu  blrscht  auf  eines  Eichhorns  reiz; 
Diesen  sehilhgen  Kanindienwerder! 
Diese  Tannen,  wo  der  TanbenmOrder 
Ans  dem  hohen  Neste  gierig  lansehti 
Wenn  des  Amtmanns  Floebt  vorttber  ranscht! 

Dieses  dichten  Weiiiichts***)  gelbe  Ruthen! 
Diesen  Acker,  roth  von  Heidekorn! 
Dieue  eingehägten  Pferdehathen! 
Diesen  Glimmer  anf  dem  Wiesenbom» 
Der  dnreh  £iehen  flmkelt!  o!  nnd  diese 
GrUne  Bürste  der  gemSh*ten  Wiese! 
Und  die  Havel!  die  ihr  Uler  wäscht, 
Wo  der  Spiefaerf )  oft  den  Dnrst  sich  lüscbt. 


*)  „Trespe,  Lolium.  Ltnn.'* 
♦•)  „Eicheln." 
•*•)  „Ein  mit  Weiden  besetzter  Platz." 
f )  ,yBin  Junger  Uvraob,  der  das  erste  gabeliormig«  Geweih  noch  nioiit  abgelegt  hat." 


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—  15  — 


Jene  Eiehen  dort  voll  Bindenriwe! 
Jenes  Leinföld  mit  dem  Wannrngswisdi! 
Vom  im  stOlm  See  der  Wassernüsse 
StaclielhiUsen  zwischen  Erl^^cbüsch! 
Jene  Fichten,  wo.  Trotz  hariuMi  Schleifen, 
Unbesorgt  die  Sommerdrosseln  pfeifen! 
Die  WacIiholderstrJluche,  rinjjs  zerstreut, 
Wo  der  Sonne  Glath  die  Beeren  bläut I 

Drüben  Fahrland's  Thurm,  atu  dessen  Lnke 
HOrbar  kaom  die  Abendglocke  singt! 
Dort  die  Hirtenfiran,  die  Napf  nnd  Krake 

Ihrem  Mann  nach  jener  Huthung-  bringt! 
Fern  des  Buchenwaldes  NebelschwUrjse! 
O!  und  hier  des  Abendsternes  Kerze, 
Die  so  hell,  so  hell  im  Westen  blinkt, 
Du  der  Feuerbail  der  Sonne  sinkt! 

Sprich,  ob  Dich  nicht  Alles,  Trotz  den  MUngeln, 
Die  des  welschen  Mahlers  Kunst  erblickt, 
Ob  nicht  Alles  rings,  bis  zu  den  Stengeln 
Dieser  wilden  Nelken,  Dich  entzflckt?  — 
O  wolanl  so  soll's  uns  femer  stiemen, 
Deine  Reitze,  Vaterland,  zu  rühmen, 
Wenn  ein  Undankbarer,  dir  nicht  hold. 
Nur  dem  Ausland  Lohp;esilnge  zollt. 

(Almanacb  Knuaotisch-lAiuiUcher  Gedichte  fOr  1798.  Airiin  1798.  &  l~a) 


4.  Unser  Berg. 


Wer  da  will,  mag  siechen 
In  dem  Ranch  der  Stadt; 

Wir  cntfliehn,  wenn  Bitith'  und  BlaU 
Aus  den  Knospen  kriechen, 

In  die  freie  Welt, 

Schweifen  Uber  Wies'  und  Feld. 

In  verlafsner  Oede 
liagt  am  Havelmoor 
Hocih  des  Waldes  Beig  hervor; 
Hier,  so  geht  die  Rede, 
Wankt,  vom  Spuk  gehnrt, 
Längst  kein  Jiger  mehr  und  Hirt. 


Oben  ist  ebi  SteUehen, 
Einsam  und  geheim, 
Recht  gemacht  fllr  Kurs  und  Reim, 

Wo  aus  hundert  Kelchen 

Bergrviol'  und  Dom 

Duften  um  des  Bächleins  Born. 

Keine  Kunstlaterne 
Zaubert'S  an  die  Wand, 
Was  hier  Liebchen  Schönes  fand; 
Rtaigs,  in  NMh*  und  Feme, 
Schaut  der  trunkne  Blick 
Hier,  Natur,  dehn  Mefstentttek. 


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—  16 


Vor  uns  scbieAt  der  HaTol 
Blitzend  SObemafe 
Hin  dnrch  Kress*  und  Schlaogengras; 

Trotz  der  Warnungstafel 
Schlüpft  (Irr  Mardrr,  k<'ck, 
Seitwärts  durch  der  äciionang  Heck. 

Ans  den  Schifl^ki^tt^ 
Krftnselt  grauer  Qualm; 
Hinter  Schilf  und  Binsenhalm, 
Am  Gestade,  braten 
Wasserschnepf  und  Schwan, 
Ungeetttrt  vom  Fischerkabu. 

Wiesel,  Dachs'  und  Füchse 
Und  Kaninchen  baun 
Oben  in  des  Dickicbts  Graun; 
Unten  knallt  die  Büchse 
Nach  dem  Habichtsnest, 
wahrend  fem  das  Posthorn  bllst 


Beefats  der  Hufen  Teppich, 
Und  der  Wiese  Gmmmt, 
Wo  des  Sumpft  Rohrdommel  brummt! 
Links  der  Stamm  voll  Eppich, 
Der  von  Alter  borst, 
Mit  des  Falken  Wipfelhorst! 

Unterm  Daeh  der  Eller 
Ruht  sieh's  hier  so  ktthl 
Auf  der  Gmse*)  Seidempfllhl. 
Herrlich  ohne  Taller 

Schmeckt  beim  Abendroth 
Heideibeer'  und  Hasenbrot 

O,  verschwiegne  Wüste, 
Deine  Hühncngruft, 
Deiner  Turteltauben  Klufl, 
Deiner  KrMh'n  Geniste, 
Deiner  HOhle  Tuf 
Gilt  uns  mehr  als  Gold  und  Bnf. 


O,  was  ist  sein  Schimmer 
Gegen  dich,  Natur? 
GOnnt  mir,  grolto  MSnner,  nur. 
Blieb*  ich  gleich  auf  immer ' 
Gegen  euch  ein  Zwerg, 
DieA  GefOhl  und  diesen  Berg! 

romantiBeh-lSiidlidher  Gemihlde  ffir  1796.  8. 132-198.) 


6.  Die  Oegend  yoo  Potsdam, 

an  «,  sls  decselbe  die  königlichen  Zimmer  dsselbst  besehen  wollte. 

Du  brennst,  die  innre  Pracht  der  KüiiigsschlOsser 
Durch's  Augenglas  mit  Staunen  anzusehn; 
Ich  eile,  Freund,  nach  diesen,  wilden  HOh*n, 
Und  ntttae,  traun!  den  sehOnen  Morgen  besser. 
Bei  todter  Kunst  verweilt  dein  Auge  nur; 
Hier  aber  lebt  und  webt  Natur,  Natur! 

Hier  will  ich  ruh'n  an  dieser  hohen  Föhre**;, 
Am  ZwilUngsaste  hängt  ein  Dohlennest, 
Zu  Trotz  dem  Regensturm  von  gestern,  fest 
Sflfls  tOnen  rings  der  firohen  Finken  ChOre. 
Der  Schufer  trieb  auf  dieses  Berges  Bauch; 
Denn  LämmerwoU*  hUngt  noch  am  Dornenstrauch. 

*)  Raseiibtink. 

*)  „Fohre,  Kiehnbamn,  phios  ^hestris,  Lfam.** 


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-   17  — 


O!  keinen  Rheinfall,  Iceine  Kokosinsel, 
Kein  Lavathal  und  keinen  Palmenhain» 

Nur  diese  Wunder  wiird'  ich  konterfeien, 
Jiäll*  Einen  Tag  ich  Lütki  ns*)  Mcist«Tpiiiscl ; 
Nur  diese  Gegend  hier,  vom  Lenz  verjüngt, 
üo  weit  der  Arm  der  Havel  sie  umschlingt. 

Diefs  grüne  Thal,  wo  kleine  Bauerpferde 
Sich  über'n  Hals  in  stiller  Eintrarlit  scliun  ri. 
Vom  Korn  getrennt  durch  vSumj)!"  uml  >ciueicn  Zaun; 
D<  «  I^i  igiiangs  Adern  hier  von  Holust  rd«-, 
\V(t  lioeh  die  wciisc  Milchkuli.  brauny<Hcfkt, 
In  s  ciichlc  (iras  sich  wicderkaui-iid  streckt; 

Die  Weide  dort,  die,  in  den  Bach  gei)urzoIt, 
Den  Lauf  ihm  hemmt,  bespritzt  von  Wasst  rstaub, 
Die  keck  noch  tn  ibt  ihr  blUulichgrüiies  Laub, 
Übschon  sie  längst  der  Wiiitersturm  entwurzelt; 
Dcg  Baches  Forchen,  himmelblaii  und  klar, 
Der  Uferschollen  langes,  grünes  Haar; 

Den  Efeu  an  der  Brücke  iiiürln  in  Steine, 
Der  lang  herab  von  ihrem  Bogen  liiingt; 
Die  Schleuse  dort,  von  schneller  Flut  gedrHngt; 
Die  rothen  DistelkOpf  am  Ackerraine; 
Das  Baumskelett,  quer  Über'n  Weg  gestreckt. 
Vor  dem  bei  Nacht  das  Pferd  des  Reuters  schreckt; 

Am  Wege  fem  den  weUlsen  Meiicnzeiger, 
Des  Weinbergs  RebenpfAhr  und  Vogelschcu, 
Die  Fähre  dort,  und  hier  die  Schäferei, 
Hoch  ttber  mir  den  Zug  der  grauen  Reigcr, 

Drr  WassenuUhle  gl.Mnzendschwarzes  Rad, 
Des  gelben  Dorfthunus  blaues  Zifferblatt; 

Die  Weiber  dort,  die  Milch  nach  Potsdam  tragen, 
Von  Sonnenglnt  wie  von  der  Last  geplagt; 
An  jenem  Fichtenwald,  wo  nie  es  tagt, 

Das  lleiigstgespann  vor'm*  wcirs«'n  Kämerwagen; 

Der  Villen  ntthe  Üaclier,  o!  und  da 
Des  alten  licitlentempels  Hudera; 

Dieis  PlUtzcheii  hier,  voll  brauner  Eichelschalen, 
Von  Kosendorn  und  Schling-^estliud"  umrankt; 
Den  Hänfling  hier,  der  froii  am  Zweige  sehwankt: 
Dies  Alles,  Frcun<l,  wollt'  ich  entzückt  dir  mahlen, 
Doch  weil  ich  das,  trotz  j(  (lern  Wunsch,  nicht  kann, 
So  staun  icii  still  die  WuJlde^  Gottes  an. 


*)  Peter  Ludwig  Lütke,  geb.  den  4.  Hin  1760,  gest  den  19.  Mai  1831  lo  Berihi 
als  Professor  der  Landschaftsmalerei  und  Hitg^ed  des  Senats  der  Akademie  der  Kflnste. 

Anh.  2 

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-  18  — 


0!  rücktest  du  in  dieser  Nacht  der  Tannen, 

Mit  mir  unif^clnvit  rt  von  dreistem  Federwild, 
liier  dfiiirii  'l'ulms  fort  von  Bild  zu  Bild: 
Du  ginjjest,  traun  1  befriedi^'ter  von  danncn; 
Ja!  hättest  mehr  als  Moislcrwerk  erblickt, 
l'nd  niclits  dem  Pirirtm-r  in  die  Hand  jj^»-driiekt. 

(CaleuUer  der  Musen  und  Grazien  lür  das  Jahr  1796.  Berlin,  üaude  uud  Spener. 
&  107*-«.) 


6.  Das  Dorf  Döbrits,*) 
an  Rudolph  Agrlkola.**) 

Trotz  dem  blendenden  Pomp  der  weitgepriesenen  Hauptstadt, 

Ihren  PallSsten,  die  stolz  mit  Altanen  sich  blähen  und  Löschhorn, 

Ihren  Hoidackcn  und  Negern  und  Leiblakaien,  von  Goldtahn^^'f) 

Starrend,  den  blitzenden  Kappeln  der  ThUnne,  dem  prahlenden  Kunstscbrank 

Voll  Antiken  und  Tand,  den  Sarkophagen  von  Marmor, 

Trotz  des  vergötterten  Parks  Fasanen,  Statuen  und  Taxus, 

Sübfrt  •^chen,  Knskad'  und  Lerchenb-iumen  und  Ahorn, 

Bliel»  niir's  im  Herzen  so  leer;  denn  sii  li!  es  kannte  von  Kind  auf 

Jene  Keitze  der  reinen  Xatur.    Voll  (lUäb'jidcr  Selmsueht 

Floh  ich,  zu  heitern  mich,  jüngst  in  die  stillen  Scliatten  von  Dübritz. 

Auf  dem  verblichenen  Zlferblatt  des  verödeten  Tliurmes 

Wies  der  Zeiger  auf  Acht.   Gestärkt  durch  ein  ländliches  FrOhstttck, 

Eilt*  ich  zum  Dörfchen  hinaus  am  Arme  des  redlichen  Freundes, 

Zu  durchwandeln  im  trauten  Gespräch  die  entzückende  Gegend. 

Aber  noch  Einmal  wandten  wir  um,  denn  es  kratzte  sein  Dachshund, 

Winselnd  laut,  an  die  Pforte  des  Hofs  und  wollt'  uns  gclr-toii, 

Vor  uns  vrrjag-t'  er  den  Schwann  mnthwillig^er  Sjiatzen,  di<t  hadernd 

K<)rm*r  suclil«'n  im  Stroh  des  bcsehattcten  f b-iiscluMis.    Moin  Auge 

Weilte  betrachtend  so  gern  bei  der  Mauenaute  des  Kirchhofs, 

Bei  «ler  (iruse  dei'  Dächer  von  Kohr,  bei  dt  iii  struppichlen  Storchnest, 

13ei  Korbweiden  und  Pllug,  und  Eggenziukeu  und  Holzscheit, 

Bis  wir  am  Mtthlenende  den  Zaun  erreichten,  auf  beiden 

Seiten  mit  Stufen  vcrschn,  um  bequem  Iiinübcr  zu  steigen. 

Hier  verwehret  dem  Fremdling  den  Steig  ein  warnender  Strohwisch 

lieber  die  Wiese  des  Dorfs,  doch  nimmer  dem  redlichen  Pfarrer; 

Dennoch  betrat  er  ihn  nicht.    Wir  schlenderten  neben  der  Hutbung 

Nrsselumwuchertem  Hagy),  umflattert  von  jubelnden  Finken, 

Hin  nach  der  Lindenallee:  O  der  netten,  ländlichen  Aussicht! 


*)  Einst  nördlich  von  Fahrland  gelegen,  jelzl  seit  der  EinricLiung  des  Döberitxer 
Trappen-Übungsplatses  von  der  Erde  verschwimden. 

**)  Johann  G  ittfrii  «!  Rudolf  A.,  geb.  am  7.  Mai  17il-2  zu  Ncu-Zittau  bei  Heeskow 
in  der  Mark,  wai  \  <>i.stt  lier  einer  von  ihm  gegrünileten  KnabeuschiUo  in  Berlin  und 
danach  PrLMÜger  an  der  Sophienkirclie  daselbst.   Gest.  S.  Januar  1833. 
♦**)  Lahn  =  dünne  Metallplatte,  Draht 
t)  „liag,  Verzauuung." 


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—   19  — 


Fem  die  Hofen  des  Dorfli  voll  gelber  wellender  Qertte 

Stachellthrenp  am  Wald  die  weifte  Kuppe  des  Sandbergs, 

Wo  Holzhasen  nur  laoscbeD,  versteckt  im  gewundenen  Kniebuscb, 

Voll  Walilschnepfen  die  Sclionung,  ein  Volk  Keppliülinor  im  Brachfeld, 

XHher  im  t  ])cneu  Thal  der  Wipsen  gehHutV  ltc  Heumahd, 

]Ia}xero'?pn*l  und  l^uendol**)  und  Haferdisti'ln  und  Windhalm. 

Langsam  klimmtpii  wir  nun  ber<ran  nach  der  rasselnden  Mühle 

LHngs  dorn  einsamen  Ilüttchen  du»  .Müllers  mit  nuiosigem  Pultdach, 

LHrmender  Sperlinge  voll    Ks  meckert"  am  .schielen  Gehäge 

Mit  MilchklOckchen  am  Uals  die  dreiste  Zieg'  uns  entgegen. 

Freundlich  nickte  die  Frau,  und  schalt  den  yerfblgenden  Hofhund, 

Bis  herab  von  der  schwebenden  Treppe  .der  fleißige  Mann  kam. 

Herzlich  drückt'  er  uns  beiden  die  Hand,  und  wies  mit  der  Mtttze 

Vor  sieh  hin;  hier  sehn  sie,  begann  er,  die  Thünne  von  Potsdam 

Alle  du  i,  und  Sanssouci  rechts,  und  jenseits  der  Havel 

Drülx  11  doli  Brandenburgischen  Dom,  hier  hinter  uns  Sj^andau. 

Nauen  dort  links,  der  Thurm  versteckt  sieh  nur  hiiitei-  dem  l'.irkholz, 

Unten  ein  Dorf  hei  dt-m  andern,  am  Berg  mein  verfallenes  Wohnhaus. 

»Selten  komm'  ich  in's  Dorf,  auch  selbst  idcht  immer  des  Sonntags, 

Leider,  aber  der  Weg  ist  so  weit,    liier  zieh'  ich  im  Garten 

Bohnen  und  Kohl,  und  wie  scbOn  dort  meine  Tulpe,  der  Hohn,  blüht! 

So  der  Müller.  Wir  schieden,  und  fanden  am  Berge  den  Holzweg. 

Ha!  ein  dunkler,  romantischer  Hain  voll  rissiger  Eichen, 

Heidenhonig  und  Ginst***)  und  Wespennester  und  Ilirschbmnstf), 

Lagerranken  und  Plifferling'ff)  Und  wildwuchernder  llimbeem 

Säuselte  trauliclie  Schauer  umher.    Hier  girren  die  wilden 

Tau  Inn  in  seliger  Kuh;  hier  nistet  im  Wipfel  die  Weihe, 

lüift  der  bninstende  Hirsch,  am  Laubholz  nagend,  die  Hirschkuh, 

Seltner  noch  vom  anschlagenden  Huiul  und  helltrmenden  lliclhorn, 

Als  von  der  Nacht  Schlagrcgen  erschreckt,  und  dem  krachenden  Windbruch. 

Endlich  dümmerte  heller  im  Vorholz  wieder  das  Togsllcbt 

Müde  sanken  wir  nun  am  Kessel  des  rohrigen  Torftnoors 

Nieder,  in  stille  Betrachtung  vertieft,  auf  den  moosigen  Markstein. 

Qnappen  spielten  im  schlanunigen  Fennfff),  Robrschnepfen  ninschwirrten 

Fröhlich  der  I'ferdeschwemm«'  Geschilf;  sanft  netzte  der  Krebsbach, 

Schleichend  durch  KnitenfiiiinzcijV  die  nithliehen  Wurzeln  der  lOrlen. 

Herrlich  er;.;öt/(en  das  Au^'  hier  iMann;isehwirigel §§)  im  Kuhgrund, 

Dort  des  Knoblauchs  purpurne  Blum'  iu  den  Fabren  der  Hufen. 


*)  „Hagcrosen,  die  Blflfbe  des  HagcbuttenstrsQclis,  Bosa  canina,  Linn." 
•*)  „(iuendel,  Thymus  Serpillum,  Linn." 
***)  „Ginst  oder  Pfriemenkraut,  Genista,  Linn." 

f)  „Hirschbrunst,  ein  Waldscliwaium,  rhallus  impadicos,  Linn." 
■^j-)  „i^itiurling,  Agaricu»  piperatua,  Linn."  • 
-;  ;  ;  i  .,Fenn,  im  Mark  Braodenbnygiscben  ein  Sumpf  voll  Bhisen,  Schilf  und  Ge» 
röbricbt.' 

§)  „Krötenmflnze,  ein  Name  der  Laclimünze,  wuil  sich  die  Kniteii  gern  unter 
ihr  aaftialten,  Mentha  aquatica,  Linn." 

§§)  „Mannaschwingel,  Feetnoa  fluitanSi  Unn." 

2* 


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I 


—  20  — 


Diese  ])rangten  hier  golb  von  Hederich*),  jene  dort  röthlioh 

Von  Buchwelzen,    liier  kam  von  tler  Lämmervvoido  der  Schäfer 

NUher  lioran  mit  dem  schnobernden  Hund;  umgürtet  vom  Scbmacbtriem, 

Kiefer:  gebe  docii  (Jott  uns  bald  cimn  j^'^nädij^cn  Kegen  I 

Drüben,  Herr  I'rediger,  stellt  es  reelit  schwarz,  dort  jenscMts  der  Havel; 

Aber  ich  fürclUe.    -  der  I'^luls  lüist  kiin  (Icwittcr  hfrültcr. 

Sagt  man.    Du  Iii  in  r  Goltl  hier  versengt  uns  noch  alle»  im  Sande. 

Zwar  das  Wetter  ist  schön,  gcwil's  recht  schön  zu  der  Erndte; 

Rocken  nnd  Gerste  sind  gelb,  und  bald  ist  der  Weizen  auch  todtreif, 

Aber,  aber  die  lieben  Kartofioln.  —  So  schwatzt  er  noch  manches, 

Seinen  Kober  erüfnend,  von  seinem  Häuschen  auf  Rädern, 

Von  Windwurzel**)  und  Schur.  Da  sagt  meüi  redlicher  Führer: 

Einen,  mein  Lieber,  besuclien  wir  noch  da  drüi)cn  im  Hüttchen 

Xcben  der  Maulbeeralice,  den  Jlolzscliuhmaehcr  des  Dorfes. 

().  wahrhaftig  ein  gliieklieher  Mann:  doch  hOren  wir  selbst  ihn. 

Vorne  sals  er  am  Tisch  mit  sieben  Kindern  und  Hausfrau 

In  der  Laube,  die  jüii^-^st  er  am  heiligen  Abeufl  vor  Fliii-^stcn 

Neben  der  Pforte  »les  Hofs  aus  (lullenden  Birken  gellochten. 

Herr,  begann  er  zu  mii",  iu  der  weiten  umliegenden  Gegend 

Giebt  es  der  fröhlichen  Menschen  genug,  doch  ich  bin  der  frohste. 

Sehn  sie  nur  hier  mein  wirthliches  Weib!  so  giebt  es  nur  Eine. 

Weirser  blttht  ihr  der  Nacken  als  Hirse,  das  redliche  Angc 

Blauer  als  Wicken  nnd  Blachs,  und  die  Wange  rOther  als  Feldmohn. 

Fieke!  was  schämst  du  dich  denn?  —  Zwar  liefs  sie  lange  mich  zappeln; 

Denn  so  rasch  und  so  jung  war  ich  nicht,  als  der  Gärtner  der  Herrschaft, 

Und  der  rüstige  .Tiigor  mit  frrofscn  Stiefelmansehetten ; 

Al>er  doeli  zwanzigmal  klüger  als  die,  und  wahrhaftig  auch  besser. 

Ehinals  war  ich  ein  tüchtiyfer  Kerl:  im  vordersten  filiede 

Stand  ich  nahe  beim  Flügelmann;  eine  tücksche  Granate 

Sengte  mir  ehist  bei  Torgau  den  Bart  und  rückte  mir'»  Kinn  schief. 

Dennoch  sagte  sie  Ja;  und  seit  dem  Tage  der  Hochzeit, 

Wo  sie  der  Rosmarin,  mit  purpurner  Seide  bewickelt. 

Patzt',  nnd  hier  Herr  Schultz*  ihr  den  Ring  auf  den  quellenden  Finger 

Schob,  vertragen  wir  uns  nicht  anders  wie  Engel  im  Himmel. 

Kecht  als  sollt'  ich  es  hören,  und  desto  verträ^rlielicr  leben, 

Jubelt  den  ganzen  Tag  in  der  hohlen  Weide  der  Feldspalz 

Hier  von  der  liebenden  Sie,  die  treu  <lie  sperrende  Brut  ätzt 

Brodt,  Herr,  hab'  ieli  genug;  dcmi  Krull  wird  noch  innuer  gerufen, 

"Wo  es  auf  Sehweii.s  ankoiiinit  und  Geduld,  und  nie  litt  er  noch  Muugul. 

lat  die  Arbeit  auch  i'ar,  und  dingt  ihn  keiner  um  Taglolm, 

Deimoch  feiert  er  nicht;  denn  Ik'I  wer  Wülste  wohl  besser, 

Wo  der  Kiebitz  brütet  im  Brach,  wo  das  flüchtige  Repphabn 

Heckt,  in  welchem  Gcstäudc  die  schlaae  Nachtigall  nistet? 


*)  „Hederich,  Sinapis  arvensis,  Linn." 

*  )  „Windwurzel;  wenn  die  Wolken  die  Gestalt  einer  Wurzel  annehmen,  so  nennt 
der  Laudmann  diefa  eine  Windworsel;  die  Folge  dieser  £r8cheinung  ist  Stunnwind.*' 


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—  21  - 


Wer  wohl  anders  als  Krall  versorgt  die  Stildter  mit  Morcheln, 

PfifferliDgen  und  Koitzkcm,  und  sacht  im  verwachsen rn  Kiehnliolz 

Unter  dem  weifslichblinkenden  LauV»  <iie  herrlichen  ErdherrnV 

Sie,  Herr  Prediger,  tJaiicn  micli  si  lbst  vor  di  r  iiicdrijjfen  Iluusthür 

Oft,  wie  ich  Vo^«^n»aner  jjescliiiitzt  und  Hc^en  gebumleu. 

Zwar  mein  Hültohen  ist  klein,  und  >ciinial  der  niedliche  Garten, 

Aber  doch  grofs  und  weil  noch  genug  für  verträgliche  Leute. 

Sehn  bic  nur  hier  (wir  krochen  hinein)  mit  gewürfelter  Leinwand 

Ist  mein  geräumiges  Bett*  nmhungt,  und  mit  Schttssel  nnd  Tellern, 

Die  der  TOpfer  bemahlt  mit  schienen  Versen  und  Vögeln, 

Prahlet  der  Schrank,  und  es  fehlt  mir  an  keinem  nOthlgcn  Hansrath. 

Bald  twar  rasselt  der  Herbst  in  den  welkenden  Ranken  der  Erbsen: 

Doch  dann  kriech'  ich  in's  Httttchcn  und  sclnnr»r"  am  Winnenden  Ofen. 

Zerrt  dann  Abends  der  Sturm  die  Klinke  des  l'^irtehens.  als  wollt'  er 

Wiitlicnd  hinein,  so         ich  vergnügt  dem  knatternden  Kiehn  zu, 

Sing"  auch  eins  wohl  da'/u.  «lenn  s<>  manches  lustige  Stückchen 

Hab'  ich  ja  von  tlcn  Soldaten  gelernt  nnd  so  muneltes  vom  Bergmann.  — 

Aber  nun  kehren  wir  heim,  begann  mein  geliebter  Getalirte; 

Mittag  ist  es  wohl  lang',  und  DOrtchen  mHgte  schon  warten. 

Näher  führet  von  hier  ein  selten  betretener  Fasspfad 

LSngi  dem  Krähenberge  zum  Dorf,  dnrch  der  Gräfin  Gehäge; 

Diesen  verfolgten  wir  itzt  Umschwärmt  von  Käfer  nnd  Homifs 

Könnt'  ich  nicht  müde  mich  sehn  an  Heidenelken  nnd  Erdschwamm. 

T'nd  nun,  sieh!  onpfing  uns  der  Garten  des  adligen  Hofes. 

Vom  Kunstjjärtner  gepfli-gt,  g«'d«  iliteu  an  wHnncnder  .^onne 

Rechts  Zwi  rgViMumclien  voll  iiergamotten.  Citronen,  Ix'enetten, 

Amarellfii  und  <^Miitten,  am  ^^aueI•gelälld.  r  die  l'tii>clien, 

Links  .Amai-anien,  Lf\kf)i.n  und  .Iniitnkir-clM'n  und  Fuchsschwanz, 

Kaiserkronen  und  Mirlhe,  Je  länger  je  lieber  und  Nelken, 

Jenseits  der  Rasenallee  ein  Beet  voll  gestäbelter  groiser 

Znckerscboteu,  ein  andres  voll  Netznielonen,  bei  Jedem 

Stand  ein  Stäbchen  und  dran  auf  Papier  der  lateinische  Name. 

Vom  auf  gepflastertem  Hof  des  Kittergates  stolzierten, 

Blähend  am  Fensterstaeket,*)  der  Malva  porpome  Qaäste. 

Mitten  erlmb  sich  die  Sonnenuhr  an  dem  Steinernen  Pfeiler. 

Türkische  Junten  wandelten  da,  Perlhühner  un<l  lYanen 

Bei  Fischreüi'  P  und  Kranieh  und  Storch  mit  vcrsrlinittenen  Schwingen. 

ländlich  gelangten  wir  drauf  an  den  Zaun  der  frie.dliehen  IM'arre, 

Fanden  gedeckt  d«  n  l.indüehen  Tisch:  und  mit  freundlichen  Worten 

Schalt  die  AVii:!iiu  uns  au>,  dai's  ln  ut  wir  so  lange  geblii  ltcn. 

(Culendcr  der  Blusen  und  Liruiien  iür  dau  Jalir  ITliO.  Bedin,  Uaudc  und  Suener. 
S.  71k -Tl«.) 


♦)  „Stärket,  VerzlltmnnR  von  Latten,  o<hM-  Stillten.  (lotL'I.'irhm  vürzilL'Uch  bei 
Landwohnungen  vor  den  Fenstern,  zu  beiden  Seiten  der  UaustliUr,  angcbruclit  zu 
Bcyn  pücgt." 


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—  22  — 


7.  Der  FrUblingstag  auf  der  Dorfpfiftrre.*) 

Rings  von  Elsen  und  Haseln  und  breiten  Eichen  umsHuselt 

Hat  nicht  fern  von  den  Krttmmcn  der  reichern.'! hrenden  Havel 

Sich  citi  einsames  Dörfchen  versteckt,  von  redlichen  Bauern 

Froh  bewohnt,  doch  von  keinem  so  froli.  als  dem  glucklichen  Pfarrer. 

Töne,  iJindliche  Leier,  nie  li^ld  (lern  städtischen  Schweiger, 

Töne  du  laut  von  den  Fi-cudcn  mir  Eines  entzückenden  Tages, 

Die  der  Glückliche  kotint,  itzt  da  das  lierrlichc  Frühjahr 

Lacht,  und  zum  erstenmal  Abends  mit  Idebehen  er  wieder  den  Frosch  hört, 

Frfih,  wann  der  Kuhhirt  stOIbet  in's  Horn,  und  die  Sperlinge  jubeln, 

Flieht  ihn  der  Schlaf,  gestOrt  von  keinem  nSchtliehen  Schrecken, 

Nur  voh  des  Tttchtercbens  Quarren  vielleicht,  und  dem  bellenden  Hofbund. 

Still  noch  schlummern  ^futter  und  Kind,  da  eilt  er  im  Schlafrock 

Schon  hinaus  in  den  Hof,  wo  laut  ihm  entgegen  der  Hahn  kräht, 

Forscht  hausvUterlich  dort  nach  den  Riegeln  an  jeglichem  Stalle, 

Ob  nicht  lüstern  nach  Pferd,  und  Kühen  nnd  gaxenden  Hühnern, 

Nachts  ein  schelniisclier  Dieb  das  t>iisclicn  llab'  ihm  entwendet, 

Oder  gierig  der  Marder  die  niedlichen  Tauben  ihm  würgte, 

Deren  schon  manche  spatzieren  am  Dach  und  gurren  am  Flugloch. 

Dicht  ai;^  Hof  Ist  der  Garten;  auch  diesen  begrttIM  er  mit  LScheln, 

Athmet  den  Duft'  der  Violen,  und  sieht,  wie  herrlich  die  Kuhblum**) 

Ihre  gelben  Blätter  nach  warmen  Regen  entfaltet 

Guten  Molden!  rufen  vom  Gäftchcn  die  Bauern,  zur  Arbeit 

Eilend,  wandelt  in's  Haus  er  zurück,  ihm  übrr  den  Zaun  zu. 

Nun  ist  Weibchen  erwacht,  erwacht  die  fruhUehe  Kleine, 

Die,  ver^^'cssend  des  Urei's  im  inlcnen  Tiegel,  dem  Vater 

Olm'  ein  Auge  zu  wenden,  mit  grofser  Verwunderung  zukiickt, 

"Wie  aus  gewaltigem  Napf  ihm  so  sUis  die  geronnene  .Milch  schmeckt. 

Dreist  ihn  packend  nachher  bey  Mütz  und  Nase  beginnt  sie 

Jucbend  in  seinen  Armen  den  Tanz,  ^idessen  die  Hausfrau 

Wischend  viel  und  kehrend  die  luftige  Stube  geputzt  hat. 

Klein  ist  der  Bücherschrank,  wo  lange  der  glückliche  Mann  nun 

Weilet  im  trauten  Gespräch  mit  l.'lngst  vermoderten  "Weisen, 

Wo  er  innig  vertraut  mit  jener  himmlischen  Wahrheit: 

Brüd<M*  wir  alT  und  Kinder  des  liebenden  Vaters  im  Himmel, 

Sinnt,  sie  so  zu  verkünden,  dais  Jung  und  Alt  ihn  verstehu  kuun, 

Bis  der  lieblielie  Duft  von  Kierkuchen  und  Zwiebeln 

Sieh  aUuiahlich  verbchieichl  hin  zu  des  J^esenden  Drehstuhl, 

Und  mit  unsichtbarer  Gewalt  den  Quartanten  ihm  zuklappt. 

Frtthlicb  steigt  er,  macht  Liebchen  noch  keine  Hoflfhung  zum  Essen, 

Hoch  in's  ThUrmchen,  umschriecn  von  hundert  scheltenden  Schwalben, 

Rings  zu  schau'n,  ob  vielleicht  ein  Hingst  erwarteter  Stttdter, 

*)  Eine  l)0.stiinnito  i  »rfliclikeit  hat  «ler  Pi' 'itrr  witbl  nirlil  im  sinne,  doch  weisen 
einztlue  Stellen  auf  die  vom  Freunde  des  Dichierä  Christiau  Heinrich  Scbultxe  ver- 
waltete DObeiitxer  Dorfpfarre  hüi. 

**)  „Leontodon  taraxum.'* 


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—  23  — 


Oder  ein  ohrlichor  Nachbar  7A\m  Mitt.iirfssen  noch  komme. 

Oder  er  wandelt  allein  im  schonen  Gohiigc  der  p:utcn 

rJrafin.  dos  Dorfes  Mutter,  wo  alles  so  traut  und  s<t  still  ist, 

Wann  nicht  etwa  licrüber  vom  Erlenbusche  der  Kuckuck 

Ruft»  und  mit  krummem  Messer  vertilgend  den  üppigen  Auswuchs 

In  der  Berberisheckenallee  ihm  der  GftrtDer  begegnet 

Herrlich  schmeckt  es  zu  Mittag^  den  lieben  Leuten,  wann  endlich 

Zwölf  es  ^schlagen  im  Thurm  mit  leisem,  klagenden  Klange. 

Emsig  singen  sie  drauf  ihr  kleines  Mädchen  in  Schlummer. 

Liebchen  suchet  nach  Hut  und  Handschuhen,  wehrend  f1*T  Sonne 

Lüstern  zu  lecken  den  Schnee  vom  weifsen  Xaeken  und  Arme, 

Und  nun  schlendern  si«-  licitcr  in  s  Dorf.    Vor  jeglicher  Hütte 

Heckt  ein  gewaltiger  Küster*)  sich  aus,  der  Sperliii^i'  ZuUucht; 

Räder  lehnen  daran,  und  Hopfenstangen,  und  Leitern. 

Freundlich  stehn  sie  oft  still,  und  reden  gern  mit  den  alten 

Mttttem,  welch'  im  Arm*  flachshaarigtc  Buben  und  Mägdlein 

Tragen,  oder  aufs  Gras  zu  den  Küchlein  sie  fUbren  am  Leitband. 

Freundlich  reden  sie  auch  an  der  langsam  mahlenden  BockmUhl 

Hinter  dem  Dorf  mit  den  Jungen  des  Müllers,  die  statt  der  AgraffSen 

Blüthen  o^rstockt  :in  den  Hut  und  Schillebolde**)  verfolgen. 

Hinter  der  Mühle  des  Dr»rfs  erhebt  sieh  der  schattige  Her^'-wald. 

Duftend  von  Vogelkiclin ''^*)  am  schmelzenden  Str.ihle'  der  Sonne, 

Dorthin  wandeln  sie  nun,  und  ziehn  sich  links  um  den  Waldsee. 

Lachend  des  schüchternen  Frosches,  der  hinter  der  Münze  des  Ufers 

Sicher  blieb',  und  erschreckt  vom  uaheu  Geräusch  in  den  See  plumpt. 

Dürtchen  sanmielt  im  Gehn  Schafgarb*  und  runzlichte  Morcheln, 

Während  der  liebende  Mann  vom  Stamm  ihr  niedliche  Querle 

Schneidet  und  schillt,  und  Birken,  ihr  Wasser  zu  sammeln,  eich  anzapft. 

Bald  ist  Liebchen  ermüdet,  und  sinkt  an  der  knarrenden  Fichte, 

Da,  wo  die  wenigsten  Nadeln  der  Sturm  vom  Wipfel  gesll't  hat, 

Sorglos  bin  und  hüpft  wieder  auf,  denn  der  trügende  Rubsitz 

War  ein  .\ineisliauf<  n,  dureliwininiolt  von  seinen  Bewohnern. 

Kher  nun  will  sie  niehf  ruli  n,  bis  l)cydü  die  (»rotte  der  Gräfin, 

Ausgeputzt  mit  .Miiseliehi  und  weilser  Rinde  von  Birken, 

Auf  dem  Rückweg  wieder  erreicht.    Sie  erblicken  von  weitem 

Schon  den  Hügel  von  Steinen,  den  Aberglaube  zum  Grabmal 

Jenem  Verzweifelnden  gab,  der  hier  selbst  am  Baum  sich  erhenkte. 

Stille  horchend  im  Felde  dem  klüglich  singenden  Pttug  nach, 

Oder  dem  Specht,  der  fern  im  £ichengehr>lz  in  den  Stamm  hackt, 

Winden  sie  langsam  sich  ilzt  am  wüsten  Rrn<  lM    icr  Schnepfen 

Hin  durch  junge  Elsen,  und  Haseln,  und  wilde  .Joiiann^sbecni, 

Bis  die  Wetterfahne  des  Thurm's,  die  lange  verrostet 

Immer  nach  Osten  hin  zeigt,  nah'  über  die  Linden  hervorragt. 


*)  „Ulme." 

**)  „Bän  bekanntes  fliegendes  Insect,  der  Wasserjungfer  oder  Libelle  fthnlleh.*' 
ffiaa  Han  in  den  Gipfln  der  Klehn-  und  Tannenbäume.*^ 


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—  24  — 


Nun  beflüg-elt  Liebe  die  Seliritte  der  sorgenrlon  Mutter, 

Liebe  zur  lallenden  Kleinen;  im  Arm  der  TfU  geriii  liiipft  sie 

Schon  den  Eltern  entgegen,  erkennt  die  Rufenden  beide, 

Freut  sich  mit  Händen  und  inilsen,  und  sucht  am  Tuche  der  Mutter. 

Spttter  steigen  sie  drauf,  bevor  der  Abend  sich  rötet, 

An  der  Brttcke,  bemahit  mit  weiften  Streifen  und  grünen, 

Unter  mancherley  Scherz,  vergnttgt  in  den  niedrigpen  Wildlcahn. 

Diesen  seliiebt  der  Pfarrer,  nictit  ohne  Sorgen  der  Gattin, 

Kundig  des  leichten  Rudei-s,  zurück  von  der  sandigen  Anfiirt 

Rechts  nm,  wo  das  Dörfchen  der  See  bespühlt  und  die  Fischer 

Wohnen.    "Würzig  duften  vom  Ufer  her  blühende  Kii*schen, 

Und  Holunder  am  hangenden  Zaun,  und  mit  inniger  Wollust 

üurgeln,  versteekt  im  Geseliilf,  die  Frösch'  am  kreidigen  Ufer. 

Doch  am  westlichen  Himmel  zeigt  fern  ein  schwarzes  Gewölk  sich; 

D  Örtchen  bOret  zuerst  den  Kackuck  lachen  im  Seerohr, 

Sebreien  die  wilden  tancbenden  Enten,  und  knarren  den  Lanbfiroeeb, 

Sieht  schon  Blitze  kreutzen,  und  wtlbnt  sich  vor  Regen  nicht  sicher, 

Bis  sie  am  Arm  des  Geliebten  erreicht  die  fMedliehe  Wohnnng. 

Wirthlich  tischt  sie  darauf  in  der  labenden  Kühle  dos  Abends 

Herrlichen  Krllatcrsalat,  und  halbdurehsehnittene  Eier 

Unter  den  Linden  auf  vorn  an  dem  Stackete  d<  r  Pfarre. 

O  der  entzückenden  'J'afi  lniu.sik I  wann  mit  wcideiier  langer 

Ruthe  sein  muntrem  VfHkehen  der  Giinsi-jun^^e  vorbeytreibt! 

O  der  l;indliehen  Lust!  wann  spUterhin  in  der  iJiinunrung 

Von  dem  jungen  Kastanjenbaum  Maikäfer  sie  schütteln, 

Und,  in*s  Kflmmerchcn  schleichend,  auf  fementlegener  Hntiiimg, 

Wo  der  Pferdehirte  mit  eisernen  Ringen  am  Knttppel 

Seiner  Heerde  gebent,  sein  nachtliches  Fener  erblicken. 

(Catender  der  Mosen  und  Gr«il«i  fOr  das  Jsbr  1706.  Beilni)  Hsode  und  Spener. 
8.  80-89.) 


8.  Der  Sonntag  im  Dorfe  Ütz.*) 

Die  Früliling>>oniu-  schimmert  schon  so  früh 
VVmi  hohen  Hascjherg  in's  Thal  hinunter; 
Entgegen  jubelt  ihr  das  Federvieh ; 
Die  Schwalben  schrei'n,  der  Truthahn  kullert  drunter. 
Wie  reitzend  sind,  du  schOnes  Dllrfchen  Uetz! 
Heut  deiner  Gfirtcn  Apfelblfltenreiser, 
Dein  gothiscfa  Kirclilein,  deiner  Fischer  Kietz,**) 
Dein  PfarrgehOftc,  deine  Bauerhäuser! 

)  „Eh  liegt  im  liavellande,  swischen  Pot^daiu,  .Spandau  und  Nauen.' 
)  .^Derjenige  Tbeil  eine«  Dorfs,  in  welchem  die  Flseher  wohnen/' 


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—  25  — 


Der  Landmann  ruht  von  scinera  Fröhnd ienst  heut; 
Kein  l'fhifrrad  sing-t  auf  seinen  Gersten  Uckern, 
Der  ruihe  Ölier,  vom  harten  Joch  hefrei't, 
FrU&l  Klee  im  Thal,  wo  Bock  und  Ziege  meckern, 
In's  Stttdtchen  tragen  Mägd'  und  junge  Frau'n 
Heut  weder  Buttermilch  noch  Kibitzeier. 
Das  Zugpferd  reibt  sich  an  der  Hnthnng  Zaun, 
Und  firent  Bich  anch  der  lieben  Sonntagsfeier. 

• 

Des  Kirchthurms  Klocke,  die  im  Schalloch  ruht, 
Tönt  rings  umher  mit  IHndlichem  (rcbimmel: 
Der  Kandidat  aus  Potsdam  spricht  so  gut 
Von  Rcdliehkeit  und  Fleifs  und  Ruh'  im  Himmel. 
Und  jeder  Greis  erwHhlt  mit  heiter  m  Blick 
Dann  auf  dem  Kirchhof  seine  Sciilummerstelle; 
Die  Jugend  aber  eilt  in's  Dorf  zurück, 
Und  sehnt  sieh  hungrig  nach  der  Erbsenkelle. 

Nach  lisch'  ersteigt  des  DorfeslSeelenhirt 
Den  Mfihlenbeig,  um  rings  umher  zu  blicken. 

So  weit  im  Gnmd  die  tiefe  Wublitz^  irrt, 
Indefs  im  Gras  die  schönen  Tiiehtcr  stricken. 
Jetzt  kömmt  ein  Kahn,  und  Gästp  steiften  aus, 
Sind's  Stiidtrr?  ja!  —  Die  siilsi-n  Mädehen  wiek'^ln 
Ihr  iStriekzeug  auf,  und  hüpfen  schnell  in  s  Haus, 
Um  Zucker  dort  zum  Kaifee  zu  zerstückeln. 

Sie  bringen  vor  die  Thür,  so  wirtblich  schön, 
Uit  schwarzer  Sdiieferplatt*  ein  Kaileetischchen. 
Hier  ist  man  froh,  sich  wieder  wohl  zu  seh'n; 
Man  athmet  Duft  Ton  hundert  Blttthenbfischehen, 

Und  findet  hübsch  des  Gartens  Tulpenflor, 

Der  Linde  Grün,  des  Fensters  Blumentöpfe. 

Aus  Vorsicht  bringt  der  Wirth  —  sein  Dach  ist  £ohr  — 

Dratbdeckei  fUr  der  GUste  Pfeifenköpfe. 

Die  stiidt  schc  Frau  sehleieht  nun  die  (ilass'  entlang, 
Wo  manches  Kind  ihr:  ^guten  Ahend!"  stammelt, 
O!  wie  entzücken  Egg'  und  Schneidebank  I 
Gehftuftes  Rohr  bei'm  Winterfrost  gesammelt! 
Kiehnstubben  hör  ans  fernem  Forst  geschleift! 
Der  dicken  Linden  losgesptthlte  Wurzeln, 
Worüber  oft,  so  viel  die  Klucke  keift, 
Vom  Hund  gejagt,  die  Jungen  Hühner  purzeln! 


*)  „Ein  Arm  der  BaT«!.** 


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—   26  — 


li.iU'-ti!  -•'  i  n.  V'.n  >'  :jn<  D!,itz<:-  braun. 
Im  IlrTi'ttuch  da  uii'i  r*-in*-n.  "w*  i^en  H*  mdeii. 
I^ic-  JJirnen  gaflvü  dur«  L  dc-Ji  i'ianiwc-nzaun 
BIM*  nnd  v^i^cbamt  nach  den  g^esehm&ekteii  Fremden. 
Doch  dieM  zieht  der  Schenke  Jubel  an: 
IM  lacht  der  jon^  Schwann  und  UUmt  nicht  wenig. 
I>l<  Knechte  Jaoehzen  bei  der  langen  Bahn 
Und  wcrft'n  oft  acht  Kegel  nm  den  Kr>nlg. 

Pf*  rdi-  -'.lA  zur  liüi  klahrt  ange?jijnni: 
Vom  Felde  trcil-t  d'-r  Kuhhirt  durch  die  GatseD. 
O!  schönster  Ort  im  gaozen  Havelland! 
Wer  kannte  je  dic:h  ungerührt  rerlassen? 
Ja!  wJUr'  ich  KGnig:  heut  verschmyht*  ich  Bnig 
irnd  JUtterftaa!  und  Thrr»n  und  MarmorBchwellen, 
Tnd  b-'-rtr-  <;em  die  fran/.*-  N'aeht  hni<lun-h 
Dein  P'ro^'^hkonzert  und  deiner  Uonde  Beilen. 
(Almaoach  der  Moaen  and  Grauen  fOf  das  Jahr  1M02.  Berlin  1602.  S.  10:*-10«.) 


9  Die  Wiese  beim  Wedding.*) 


Di.-. 
Bliebe 

Zwar  80  nett  beblttmt, 
Dennoch  ungertthmt, 
Wenn  »ie  nicht 


Zwischen 
Breiten 
Büschen 
Gleiten 

Ihre  Wellchen  fort. 
Niemand  lauert  dort, 
Krebs'  im  Kahn 
Schlau  zu  fah'n. 
Und  die  schnelle 
Bachlibclle 
Zu  erwischen. 


SiilM-  rnicht!  — 
Tiiml'  lnd  raeine 
Krohc  kleine 
LeycT  priese. 


Jene 
Helle 

.Scheine 

«.Miclle 

Mfiinr  ^Vi«•>•<•.  wir 
Li<-l»Ii(  h  >ch\väuelt  «iel 
hals  ich  li-fth 
Xir;;cii«l'>  srt. 
Als  in  Sträuclicn 
IhrcH  weichen 
Kand'B,  mioh  wflhnc. 


Munter 

Zappeln 

irnter 

Pappeln 

L'cber'm  (^Uiell  j^'clx  ii<xt, 
Fiscliclien  flink  und  leicht. 
SctiiH  uikI  l\i)lir 
Spriel^l  im  Moor, 
Und  Gewäsche 
Froher  Frösche 
LSrmt  darunter. 


*)  „£in  Landgut  bei  Berlin.** 


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—   27  — 


Hfttto 
Liebchen 
Bottc, 
StübchcD, 

Selbst  ihr  Gartenbeet 

Doch  wohl  schon  verBehmaht, 

Um  nur  dort 

Lang-'  am  Bord, 
Trotas  der  Glücken, 
Kloc  zu  pflückrn 
Kress'  und  Klette. 


Oede 
Stelle! 
Jede 
Quelle 

UnsersGrams  verrinnt, 
Wenn  wir  bei  dir  sind. 
Heiterst  mich 
So,  dass  ich 

Neugeboren, 

Soll  Olm  und  Thoren 

Nicht  befehde. 


Alle 
Morgen 
Walle 
Sorgen- 
Frei  in  dein  Revier 
Frauchen  neben  mir, 
Bis  der  Frost  — 
Wenig  Trost!  — 
Kicd  und  Kankon 
Diurt  am  blanken 
Wasserfalle. 

(Nener  Berlinischer  Musenalmanach  für  1794.    Herausgegebon  von  Friedrich 
Wilh.  Aug.  Schmidt  und  £ni8t  Christoph  Bindemann.   Berlin.   iS.  bl-til.) 


10.  Die  Picheisberge  bei  Spandau. 

An  Herrn  gehviuien  äükietar  Uerzbcrg  in  Berlin. 

Lebendig  schwebt  vor  meiner  Phantasie 
Der  Festtag  noch,  der  uns  vom  Lager  kOmte, 
Der  uns,  bothaut  von  Morgonnebel,  früh, 

Auf  jen<'  Il'.irn,  voll  f5<'istergrau'n,  entfernte. 
Was  fand  ich,  o!  für  dich  Mdancholio, 
Dort  für  ein  Cbermaas  der  reichsten  Ärndte! 

Dort  war's,  wo  Wodan  einst  in  greiser  Zeit 
In  der  Alrune  Obr  die  Zukunft  hauchte, 
Wo  einst  der  Priester  Teut's  im  Feierkleid 
Des  Messers  Kling  in*s  Blut  des  Widders  taachte, 
Wo  sühnend  einst,  dem  Heidengott  geweih't, 
Das  Opfertbier  auf  hellem  Holzstoß  rauchte. 


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Dort  war's,  wo  sonst  im  sichern  Diebesloch, 
Trotz  Sohwcrd  und  Stranfr  und  allen  Frevelrächern, 
Der  Tullian  der  Vorzeit  sich  verkroch, 
Und  iSchiiippchcn  .schlug  bei  vollen  Moslerbcchern. 
Dort  blutete  der  Pilgrim:  sah'st  da  nooh 
Die  Schadelrost'  in  jenen  Iltislöehcm? 

Ha!  welch  Gewühl  dort  von  Insektenbrut I 
—  Dem  Forscher  der  Xatur  die  schönste  Schule  — 
Von  Wills  utiil  Stint  in  waUlunnvachs'ner  Fluthl 
Von  Schlang'  und  Ki-ra'  im  grilngogor'nen  ITulel 
"Wie  gräislieli  lockt  im  Busch,  voll  süsser  Wulh, 
Die  Iliadiu  sich  der  breitgehömto  Buhle! 

Ein  Myriadenheer  "WaldvOgel  ntthrt 

Dort  von  Wachhoiderbeercn  sich  und  Wiepenj 
Dort  wanken  Vogler  nur,  auf  deren  Ueerd 
Verführerisch  die  Idauen  Meisen  fii'  pen, 
l'nd  seltner  arme  "VVcihcr  noch,  bi  schuert 
Mit  abgestürnitcni  Katlholz  in  den  Kiepen. 

« 

Wenn  iirgreodwo  ein  seheuer  Berggeist  hau8% 
So  mufi»  er  dort  in  finsterer  Wüste  lauem: 

Was  isfs,  das  sonst  das  Wipfclluub  durchsaus't? 
Vernehmlich  iichzt  aus  jener  Klüfte  Sehauörn? 
Was  packt'  uns  sonst  niit  nnsichthan  r  Faust 
in  jenes  Götzentempels  ödeu  Mauern':' 

Geht  dort  einmal  ein  mflder  Wand'rer  irr, 

So  mute  er  tagelang  von  Vogelkirschen 

Sich  sftttigen,  umflattert  vom  Geschwirr 

Des  Federwildes,  begafit  von  Keh'n  und  Hirschen, 

Noch  glücklich,  wenn  aus  dickem  Dorngew-irr 

Der  Bache  Hau'r  ihm  nicht  entgegen  knirschen. 

« 

Er  rettet  »elljsi  aus  dieser  \Vüste  Grüul 
Zum  Pfad  sich  nie  hinaus,  und  überschrie  er 
Auch  gleich  der  wilden  Katze  Nachtgeheul, 
Bis  ihn  der  Jager  leitet,  oder  früher 
Vielleicht  im  Thal  des  KlafterschlSgers  Beil 
Sein  Kompafe  wird  und  fernes  Korngcwichcr. 

Zwar  von  <les  l'rncnberg's  verrufner  Klutt, 
Die  wilder  Apfelbaum  und  Schleh'n  umdunkcln, 
Und  d«  ren  Zugang  Kegen  abgestuft, 
Hört  man  im  Dorf  viel  Wundersames  munkeln: 
Dorthin  gebannt  durch  Hexenzauber,  ruft 
Ein  Bies'  heraus,  sobald  die  Sterne  ftinkeln. 


-  29  - 

Doch  hätt*  ieh,  trotz  dem  Grimm  des  Tüokenbold*8, 
Der  dort,  wie  im  Asyl,  keck  und  vermessen 

Den  Waller  neckt,  so  gern  auf  Wurzelholz, 
Voll  gelben  Sand,  Iiis  in  die  Nacht  gesessen; 
Ja,  hiitt'  auf  dicli,  GotÜhl  der  Seliwcrmutli,  stolz,  . 
Kin  Weilchen  seihst  mein  Ilüttendach  vcr^jffssen. 

(Almanacb  romantiscb-lttndJicher  Gemfthlde  für  1798.  Berlin.  S.  100—104.) 


II.  An  den  Jungfernw^ald  bei  Berlin. 
Im  October. 

Du,  den  seit  Tier  Jalu?en  ich  nnn  kenne, 
Oft  dorebwandelte  bei^auf,  beigab, 

•  Hai  der  erste  Park  der  Kunst  gewönne 

Nie  bei  mir  den  Kang  dir  wieder  ab: 
Fühllos  ^eh'  ich  ihn  vorbei,  verachte 
AI!"  sfin  Spichvcrk,  seit  ich  dich  gesehn, 
Seil  icli  (Ii  eil  zum  Busenfreunde  machte, 
O  du  GoitesgartCD,  wild  und  8ch»in! 

Lieber  sind  als  seine  INIarmorbiisten, 
(Jrabmal,  Grotf  u;id  Otaheitisch  Dach, 
Mir  di»'  'r.'vnncnliiilicr,  die  hier  nisten, 
l'nd  die  licli'  im  stillen  Fichtensehlag, 
Lieber  deine  krummen  EieiienstUmme, 
Deine  weiften  Birken,  schwarz  ge:»treii't, 
Und  dein  heimlich  Thal  voll  FJiegenschwlimrae, 
Wo  Holnndcr  fttr  den  Rothbart  reift. 

Nie  im  Lenz  und  Sommer  milde  laufen 
Konnten  meine  Ftlfte  sich  in  dir; 
Und  beinah  schon  jeden  Ameishanfen, 
Jeden  Platz  voll  Reizker*)  kenn'  ich  hier, 
Jeden  Busch,  wohin  des  Jfigers  Stapfen 
Nie  vielleicht  gebahnt  sich  einen  Pfad, 
Wo  den  abgefallnen  Tannenzapfen 
Nie  ein  RothwUd  auf  der  Flucht  zertrat 

Aber  jetzt,  da  du  in  Nebclbroden 
Und  in  dicken  Ilccrrauch  dich  gehfillt, 
Da  der  Sturmwind  auf  den  falben  Hoden 
Deine  Blätter  scliüttelt  kalt  und  wild; 
Da  die  Amsel  sieh  zur  weiten  Reise 
P\*rtig  maelil,  kein  lliinfling  l.'in;:»'!-  harrt, 
Und,  den  liegen  witternd,  hucli  im  Kr(  ise 
Haben  schweben,  und  der  Grünspecht  knarrt: 

*)  Reisker,  ein  Waldschwamm,  Agaricmi  ddicioeas.  Linn.** 


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—  30 


Jetst,  0  trauter  Wald,  wttr*s  auch  am  trAbsten 
Regentag,  darcbsnch*  ich  weit  umher 

Auf  vcrwachsncm  Sclilcifweg  dich  am  liebsten, 

Sausten  deine  Wipfel  nocli  so  sehr; 

IaIiu  am  Baum,  hetrachtond,  wenn  die  Tropfen 

Dicliter  fallen,  mieh  auf  meinen  Sto.  k, 

Oder  lausche  durch  den  wilden  Hopfen, 

Wann  die  Kicke*)  pfeift  nach  ihrem  Bock. 

Wie  sich's  dann,  wann  mit  zerzausten  Locken, 
Both*  und  gelbe  Blätter  auf  dem  Hut, 
Ich  bei'm  fernen  Schall  der  Hammelklocken 
Wiederkehr',  in  Liebchens  Armen  ruht: 
()  das  weifs  nur  der,  der  das  Gepränge 
Kitler  Stlldtei-  pern  verp^iist  bei  dir, 
l'nd  dem  (iott  im  StiilK.'lu'n  traut  und  enge 
lOin  zufriednes  Herz  beschert,  wie  mir. 

i^Üedichte.   Berlin  I7ü7.   S.  210— 22H.) 


18.  Der  Kirchhof  cn  Tegel  *•) 

Dieses  Doifes  graue  Gicbclhtttten, 

Von  Holundcrstriluchen  wild  umwachsen, 
Seiner  Bauersleute  biedre  Sitt  •?), 
Seiner  Ililhne  Ivräirn,  der  Iliihm  r  Gaxen, 
Haben  oft  mieh,  kam  der  Storeh  g^ellogeu, 
Aus  der  Stadt  Getümmel  hergezt>gcn. 

Aber  öfter  wahrlich  I  deinethalbcn, 
Stiller  Wohnort  nllchtlicher  Gespenster, 
Sehlieh  ich  her;  denn  deine  tausend  Schwalben, 

Dein,   lang-en,  trüben  Kirchenfenster. 

l  lul  dein  Pfriemenkraut,  dein  wilder  Wermuth 

Sind  so  recht  fUr  meiner  Seele  Schwermuth. 

Sei  gcgrüfst,  vcrfairne  Kirehhofsmauer, 
übergrUnt  von  hohen  Maulbeerbäumen! 
LKfet  sich  nirgends,  als  In  deinem  Schauer,  . 
Doch  so  stlfe  vom  bessern  Leben  trOumen. 
Ha!  des  alten  Thorwegs  schiefe  Pfosten, 
Wie  sie  sinken!  Ilflsp'  und  Klinke  rosten. 


*)  „Ricke,  das  Weibchen  des  Behbocks.** 
♦♦)  „Bei  BerUn.*« 


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-  81 


Ans  der  Orabgpebeine  morscben  Tbeilcben 
Sprierst,  o  Tod,  auf  deinem  Eigenthame 
Zwar  nur  hie  und  du  ein  blaues  Veilctien, 
Xebcn  Ehronpreilb  und  GjinseV)lume : 
I^ci  den  schwarzen  Tafeln,  halb  verwittert, 
Doi'Wt  Flieder  nur,  vom  West  crsciiUttert: 

Docli  am  Beinhaas,  wo  des  Maaerpfeffers*} 
Blttttersterne  sich  im  Scliatten  rttnden, 
Kann  ich  endlich  vor  des  stildt'schen  KUliTers 
Fadem  Witz  ein  ZuflaebtsOrtehen  finden. 
Ol  wie  einsam!  nur  der  Küster  hftmmert 
Manchmal  an  der  Thurmahr,  wenn  es  dämmert 

Und  auch  ihr  ktinnt  hier  in  P'rieden  bloilx  n 
Vor  dem  Lärm  der  \Vt')t,  ihr  Grabcsschliiler: 
Unter  Kletten,  die  am  Orab  belcleiben, 
StOrt  encb  nicht  der  stUle  Todtenkäfer; 
Ruhe  Wehn  die  Nesseln,  die  den  gelben, 
Eingesnnknen  HOgel  überwölben. 

Ohne  Furcht  \<>v  >>;iii<lulir  oder  Sense 
Auf  lies  sortren  Amtmanns  Leiehenstcine, 
Grasen  zwar  des  Pfarrers  juny:e  Gänse 
Manchmal  hier  im  FrUhllngssoimeuscheinc; 
Zum  Geschrei  der  Medermäus'  nnd  Eulen 
BlOkt  auch  hier  des  KUsters  Lamm  zuweilen: 

Docii  was  schadet's'.-'  In  dem  Todesselilummcr 
Seid  ihr  doch  vor  Men.sehcn  nun  gehorj^en, 
l  iul  von  Menschen  kam  doch  euer  Kummer, 
Kanu-n  euie  Thränen,  eure  Sorgen. 
"Wold!  dal»  Tugend  euch  den  Fulssteig  bahnte 
Zu  dem  Glttck,  von  welchem  hier  euch  schwaimte. 

Achl  wie  ihr,  in  euren  stillen  Sifrgon, 
Wünscht'  i(  !i  nft,  im  innersten  beklommen, 
Vor  den  Menschen  tief  mich  zu  verln'rgenl 
KTinnt'  ich  doch,  wenn  einst  mein  StüruUein  kommen, 
Nach  des  Sehicksnls  Scldä^n  n.  die  mich  trafen, 
Unter  diesen  Maulheerljäuiacn  sehlafcn! 

(Almanach  romantisch-ländlicher  GcmäliKlu  für  1798.    BerUn.   S.  10—22.) 
*)  „Hauswurz,  Uaoülaucb.** 


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—  32  - 


IS.  Einladung  zu  einer  Lustfahrt  nach  TegeL 

An  Herrn  Regituentfiquartiorineistcr  und  Aaditour  Knüppel  in  Berlin. 

(Abemda  im  Jnny  1798.) 

Soll  im  Ernst,  iiioin  Lieber,  in  dem  dumpfen 
Arbeitsj^tübclien,  vor  dem  Aktenschrank, 
Frohsinn  und  Gesundheit  dir  verschrumpfen? 
O!  zerbrich  einmal  der  Lai;e  Zwang! 
Morgen  soll  ein  kleiner  Bauerwagen 
Frfih  um  Fünf  uns  durch  den  Jungfemhahi 
Nach  dem  wimderschODen  Tegel  tragen: 
Schlechterdbigt  mutet  du  Geflihrte  seynl 

Von  des  Auslands  Pflanzen  und  Gebüschen, 
Säumt  dein  G.ii'iiior  zwar  im  Sommer  nie 
Diefs  und  .Ttucs,  f  reund,  dir  aufzutibchen : 
Manche  (iiujipen  vitn  Oranfrorie 
Auszustellen  in  beniahlten  Kasten, 
Keiu  zu  schaufeln  jeden  Gartensteig. 
Dennoch  mute  dein  Hen,  das  fOrchf  ich,  fasten; 
Denn  Natnr  allem  bleibt  grote  und  reich. 

Anders  zielm  in  Tegels  Paradiese 
Feld  und  See  dich  an  und  wilder  Park; 
Jal  der  Weinberg  dort  ist  schon  ein  Kiese 
Gegen  andre  Berg'  in  nnsrer  Mark. 
Iiier  zu  Lande  kam  dir  wohl,  ich  wette! 
Solche  Landschaft  selten  zu  Gesicht. 
Nnr  vergifs,  das  bltt'  ich,  die  Lorgnette, 
Und  die  fh>he,  heitre  Lanne  nicht. 

^lorg^en  statt  des  Kochs  verwUrzter  Speisen, 
Genüf^e  dir  ein  ländlich  Mittagsmahl; 
Ärmlich  soll's  nicht  seyn:  aus  seinen  Keusen 
Holt  der  Fischer  uns  den  besten  Aalj 
Ihren  fettsten  l'uter  uns  zu  köpfen 
Weigert  sich  die  flinke  Wirthin  nicht; 
Wilde  Erdbeer'n  bringen  uns  in  Tupfen 
Auch  die  Kinder  gern  zum  Nachgericht. 

Bauerbrod,  und  frische  gelbe  Butter 
Soll  uns  mehr,  .ds  Wionortort'.  orfreu"n. 
Aber  freilich,  Freund:  ein  P'lasrlionCutter, 
AVohlgefüllt,  mul's  unsre  Sor^^e  seyn! 
Brunncnschwengel,  Hahn  und  (Jluckc  stimmen 
Ein  Terzett  uns  bei  der  Tafel  au. 
Und  des  Weinbergs  schrägen  Hang  erklimmen 
Wir  Tergnligt  mit  Weib  und  Kindern  dann. 


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—   33  ^ 

Dort  wird  Halt  gamaeht  an  Jener  Stelle, 
Wo  im  Kreise  blaner  Flieder  bMUit, 
Wo  dein  Aage  Spandan's  Citadelle 

Mit  dem  Thurm  im  Hintergründe  sieht, 
Vom  den  langen  See,  voll  weisser  THubchen, 
Links  des  Schlosses  Dach,  mit  Blei  ^'cdeckt, 
Neben  uns  vielleicht  im  grünen  Leibchen *) 
JLuch  die  Giirtuerfrau,  die  Samen  steckt.  • 

Über  langgestreckte  Gerstenhafen 
Hören  dort,  aus  Nadelholz  hervor, 
Wir  gewil^  «b  n  fernen  Kuckuck  rufen 
Und  den  Krauirli  schrei'n  im  Wiesenrohr. 
Hat  dir  das  l)eluigt,  so  geht's  berguntcr, 
Um  der  Thiller  Schönheit  nah'  zu  sehn; 
Aber  ungern  nimmst  du  Abschied,  unter 
Lantem  Ansnif:  ol  wie  schOn?  wie  schOn! 

Müde  sinkt  mein  Weih,  ht-ira  Schlag  der  Wacbtel, 
Unten  hin  auf  weichen  Kusenhang, 
Und  wir  sammeln  Raupen  in  die  Schachtel, 
Oder  Heidelbeeren,  den  Kam  entlang. 
Während  neben  uns  die  Feld-Cikade 
Im  serkerbten  Farrenkrante  singt, 
Sohlendem  froh  wir  naoh  dem  Seegeatade, 
Wo  ans  Furcht  der  Frosch  in*s  Wasser  springt 

Welch  Nattirgemälde!  Wunderdinge 
Bannen  hier  aof  ESnem  Fleck  dich  fest: 
Dort  des  Schilfes  lange  grüne  Klinge, 
Wasserlilien  hier,  Ton  Schaum  benäfkt, 
Fem  der  Kohlensehiffe  leichte  Wimpel, 
In  der  NUh'  ein  angepfllhltes  Flofs, 
Und  zur  Seite  Wasserspaz  und  Gimpel, 
GrflCBend  uns  auf  jungem  Elsensprol^  —  * 

Doch  des  Gastfaoft  S<diom8teinwolken  winket 

Von  dem  einsam  scfaOnen  Zauberort,  • 
Der  Levante  schwarzen  Trank  zu  trinken,  '"^ 

Leider!  viel  zu  früh  uns  wieder  fort. 
Herrlich  kühlt  die  Laube  von  Ebrcsclien  o'''^ 
Nun  die  Wandrer  mit  hestäubtom  Schuh;  "  ^^f^ 
Während  Bauern  in  der  Scheune  drösch^ii,  ''"^'.^ 
Und  im  Stalle  brüllen  Stier  und  Kuh.   '  ^'«i»*»'* 

Zu  der  Nachtigallen  Luslakkorden  imTj 
Blöken,  bei  der  Rückfahrt  über  Feld, 

Lämmer  uns  eutgegeu  aus  den  Hord^,,jiiii  ii:)fiii  iut)'il.,  t 

tnad  vAi  J^aa  ob  .jJisit  ati^^V 


*)  Ja,  aadem  .Gsgendsn  DaataeUaiida  Mieder.*"'*''       nabaesiul  mb  lOl  lioia 
Anh.  S 


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—  34 

Wo  der  Fix  de«  Schllfere  Wache  hiUt 
Ans  den  Thangewölken,  lieht  und  wollig, 
Lauscht  der  Vollmond  o!  so  glau  hervor. 
Und  tif'r  Fr<".s('ho  Völkchen  scliwat/.t  so  drollig 
Zwificben  l^lerdemünz*  und  Kolbenrohr. 

Alle  diese  ländlich  netten  Sachen 
Sollst  da  morgen  hOren,  morgen  sehn; 

Aber  lange  mufst  du  heut  nicht  wachen. 
Um  bei  Zeiten  wieder  aufzustehn. 

Immer  war  ich  des  Kalenders  SpfUtcr; 
Doch  von  iiiiir^i  n  spricht  or  mit  Verstand: 
Morgen,  er  hat  Recht,  ist  schönes  Wetter, 
Denn  das  Abendroth  zieht  über  Land.*) 

(Ahiiauacli  rumaniisch  -  llLadlicher  Gem&hlde   fUr'B  Jaiir  1798.    Berlin  1798. 
S.  146-160.) 


14.  Der  See  bei  Lank«. 

Uns  schmeckteu  von  des  Landuiann's  TLscü, 
Im  BirkgebÜBcb, 
Vortreflnidi  Kretie'  und  Fladen; 
Doch  itzt,  ihr  lieben  Weiber,  läftt 
Ein  sanfter  Weet 
Znr  WasBcrfohrt  nns  laden. 
Der  See,  umkrllnzt 
Von  Erlen,  glftnzt 
So  hell,  wie  Silberglätte; 
Wir  lOsen  gleich 
Dort  im  Gesträuch 
.  Den  Kahn  von  seiner  Kette. 

Gar  lieblich  anf  der  Wasserfahrt, 

Gefährten,  paart 

per  Scherz  sich  mit  Gesänge, 
Nur  fange  nicht,  du  büser  Kahn, 

Zu  wackeln  an; 

Sonst  wird  den  Weiblcin  bange. 

Vergnügt  wie  wir, 

Als  wenn  sie  schier 

Sich  ipit  nns  freuen  könnten, 

Kreiset  nm  den  Kahn 

Der  dreiste  Schwan, 

Und  sehrei'n  die  schwarzen  Enten. 

*)  „Wenn  nach  untocgdgaiigener  Sonne  der  Wind  die  Wolken  von  Osten  gegetf 
Waslen  tnibt,  so  sagt  der  Laodttami:  die  AbendrOtbe  deht  Aber  Land,  und  venpricht 
Bich  fOr  den  £elieiid«n  Tig  beiftsrai  Wetter/' 

e 


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Du,  Imsen  Vatertaod'B  Natur» 

Ein  Dummbart  nur 

Kunn  deinen  Reitz  bezweifeln: 

Auch  hier,  o  Sonne,  strahlst  da  hold, 

Dul's  blitzend  Gold 

Die  nassen  Ruder  trUufeln; 

Und  Thal  und  Höh  n 

Aach  hier  so  schön, 

So  Toll  der  Gottes  Wnnderl 

Und  blfiht  uns  kein 

Zitrooeohain, 

So  blflbt  iina  doch  Holunder. 

Du  aber,  lieber  Fährmann,  iachtl 

Nimm  dich  in  Acht, 

Und  lenke  fein  verstllndig! 

Wir  kltmen,  ohne  Zweifel,  dort 

Nach  jenem  Port 

Doch  alle  gern  leboidig. 

Ein  Fischerhans 

Knekt  dort,  heraus, 

Umstellt  mit  Bens*  nnd  Netsefaen: 

Ihr  Lieben,  hier 

Erreichen  wir 

Ein  niedlich  Landongsplätzchen. 

Und  nun  zum  Busch!  Die  iSonne  meint 
Es  brav,  und  scheint 
Gerad'  uns  auf  den  Scheitel. 
Zum  Stricken  ist  hier  nieht  der  Ortt 
Drom,  Weibehen,  finrt 
Fort  mit  dem  Strickzengbentel! 
Doch  habt  ihr  drin 
Nach  unserm  Sinn 
So  irgend  was  zu  sehmaiisen: 
Ei  so  beschert! 
Und  schmaus't,  und  hört 
Die  hohen  Fichten  sausen. 

Wir  sammeln,  wenn  wir  aosgeroht, 
Eaeh  in  den  Hat 
Auch  blane  Heidelbeeren; 
Denn  ans  dem  schönen,  wilden  Wald 

Mul's  man  so  bald 

Nicht  wieder  heimwärts  kehren. 

Erst  wenn  der  Hirt 

Zum  Dörflein  irrt, 


^  86  — 

Und  rm^s  die  Kinckehen  schweigen, 

Der  Schuhu  sclircrt: 
Dann  ist  es  Zeit 
In  unsern  Kalin  7.n  stci^'-en. 
(Almanach  der  Museu  uud  Urazieu  für  daa  Jalir  1802.  Berlin  1802.  S.  76—80.) 


15.  Frohe  Aussicht. 

Bald  bist  du  mein,  ereehnter  Friede 

Des  stillen  Fleckens I   Herzlich  müde 

War  ich  sclmn  lUng'St  der  eiteln  Stadt, 

.War  liiugsl  s<ehon  ihres  Zwanges  satt. 

O  sergcr  Tag,  du  wirst  ersdieinen, 

Wo  Jett  eh  cn  mit  den  lieben  Kleinen, 

V  on  Kapp'  und  Mäntelchen  ge»chiitzt, 

Auf  Stroh,  im  Korb  des  Wagens  sitzt 

Daun  geht  es  nach  dem  schönsten  Ort» 

In  deinen  Schoos,  Werneuchen*),  fort! 

Ja  dann,  ihr  lieben  Leutchen,  dann 

Bin  ich  erst  recht  ein  froher  Mann! 

Ha!  welch  ein  Leben  dort  in  frischer 

Gesunder  Luft!   Hai«!  bin  ich  Fischer 

Und  fang'  im  ein;<esenktrn  Xi-tz, 

Am  Kand  des  Teicha,  Karausch  und  PIöt2**Jj 

Bald  Vogelsteller,  der  am  Sprenkel 

Rotiibiiri  erwischt,  im  Dohneiüieukel 

Krammtsvogelchen  mit  schwanen  Schleifen, 

Wann  die  Ebresdienbeeren  reifen; 

Bald  GOrtner,  der  am  Orabensteg 

Die  Gartenkanne  füllt  von  Blech, 

Sich  mit  der  Heck6n8Cbe<  re  trügt, 

Vom  Stamm  die  dürren  Za  kf-n  sligt; 

Das  Moos  von  Bast  und  Kinde  kratzt 

TTnd  durch  den  Zaun  mit  Xacbbar'ii  schwatzt. 

Auch  sucli'  ich  gern  mit  lier  Lorgnette, 

Nicht  ungeneekt  von  meiner  Jette, 

Vom  Beet,  voll  Gurken  und  Schallotten, 

Das  geile  Unkraut  auszurotten, 

Und  schUg*  am  Baun  mit  langem  Stab 

Den  Kindern  reife  Maulbeer'n  ab. 

Auf  unserm  Hof,  so  still  und  traut, 

Wo  imgestOrt  der  Hausspats  baut, 

StOrt  uns  kein  fader  Thor  der  Stadt; 

•)  „Ein  Flocken,  drei  Meileu  von  Berlin." 

**)  „Ein  beluanter  Weifsflsch  mit  plattem  Leib;  dsher  dsr  Nsme.  8^ 

Wrtb." 


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-  87  - 

Hier  scblKgt  der  Puter  uns  ein  Bad, 

Und  drollig  blHht  am  Wass(;rborn 

Der  Hofhahn  sich  mit  krummen  Sporn. 

Wenn  Mutter  ihre  Betton  sonnt, 

Kein  Wetter  droht  am  Horizont, 

Und  Tauf  und  Trauung  nicht  verhiiideru, 

Wird  oft  lUMli  lOttag  mit  den  Kindern 

Ein  LvBtgang  nacb  dem  Bnseli  gemacht, 

Der  Hase  weidlich  aofgelacht, 

D«r  sldi  Yon  fem  ana  sicherm  Neet 

Vom  kleinen  Dachshund  schrecken  lUlst 

Die  Taschen  füllt  man  hier  mit  rothen 

Hambutten  oder  Aokorsclioten. 

Steckt  sich  im  Sclilenderii  manchen  6tein 

Mit  schüaen  blauen  Adern  ein: 

Und  selbst  das  Kleinste  jjuciit  zum  Siruus 

Sich  Pimpinell*)  und  Bocksbart ♦♦)  aus. 

Heimwandelnd  Über  Heid*  nnd  Wiese 

EntBÜckt  nns  Hond  and  Wolkenriese. 

Dann  sitzen  wfar  am  Undenbanm, 

Ergötzen  ans  an  manchem  Traum 

Aus  Zukunft  und  Vergangenheit, 

Indeis  die  Gans  des  Nachbars  schrei't. 

Und  hie  und  da  noch  blockt  ein  Schaf, 

Das  Vögelein  zum  leichten  Schlaf, 

Im  Stehn,  von  Lindrnlaiib  bedeckt. 

Das  Küplclicn  unter  n  Flügel  steckt, 

Die  Mllcherin  bei  frommer  Kuh 

Den  Eimer  fttUt,  und  singt  dazu« 

Und  auf  dem  Hof  der  Knecht»  gebftckt, 

Noch  Kielm  nns  für  die  Küche  pickt 

Wann  spllt  die  KrOt'  im  Garten  hüpft, 

Nach  Mücken  durch  den  Braunkohl  schlüpft, 

Hirschkäfer  und  l^halUne  schwirrt, 

Und  todtenstill  das  CTül'schen  wird: 

Dann  riefjrcln  wir  die  Ibmsthür  zu, 

Und  schlafen  aus  in  guter  Ruh', 

Bis  Frühroth  durch  die  Luiden  blinkt, 

Zum  letzton  Mal  der  WScbter  shigt, 

Und  Schwalb*  mid  Sperling,  wieder  wach, 

Sich  grüben  auf  bestrohtem  Dach.  — 

Wenn  Herbstwind  Busch  nnd  Banm  entblättert, 

Mir  Fenster  nnd  Stacket  zerschmettert: 

Dann  nehm*  ich  noch  zum  Traubenschpitt 


♦)  „Pinipini'lla,  T.iiin." 
♦*)  „Tragüj>ügon,  Linn." 


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-  88  - 


Die  Eleiiien  nach  dem  Weinberg  mit; 

Und  herrlich  labt,  dnrch  frühen  Frost 
Verstlfst,  des  Winzers  rother  Most 
Wenn  späterhin  die  Scheiben  schwitzen, 
Vom  Frtlhreif  Bauin  und  Wieso  blitzen, 
Vom  Frost  die  Seen  tibersehelfem, 
Der  Hofhund  heult,  die  Füchse  belfern, 
Der  Nord  die  Flocken  kräuselt,  hu! 
Penn  kleben  wir  die  Bitschen  zn 
An  Stabenthür  nnd  Fensterrabm, 
Und  fren'ln  nm,  dall  der  Winter  kam. 
Im  Sttlbeben,  Idein  nnd  sehr  antik, 
Macht  nna  ein  Zeisig  Waldmusik; 
Im  Bauer,  nnter'm  Tische,  steckt 
Ein  Staarmatz,  der  die  Gäste  iiockt, 
Oft  schimpfend  mit  der  Hausfrau  keift, 
Dessauer  Marsch  und  Polisch  pfeift. 
Die  Mutter  wickelt  weiche  Knocken 
Von  gelbem  Flaehs  sieh  um  den  Bocken, 
Hein  Jonge  glitscht  mit  nassem  Strmnpf, 
Erstairti  anf  sogefttmiem  Sompf ; 
Und  Gnste  spielt  mit  Wtibnaebtsntlssen, 
Mit  Fibel,  Pupp*  nnd  Nadelkissen.  — 
So  schleicht  —  o  wer  nur  warten  kann  — 
Die  liebe  Zeit  aufs  neu  heran, 
Wo  an's  (iesiins'  der  kleinen  Hütten 
Die  Schwalben  ihre  Nester  kitten.  — 
O  sel'gc  Zeit,  du  wirst  erscheinen 
Für  mich  und  Frau  und  liebe  Kleinen  I 
Ja  dann,  ihr  lieben  Lentchen,  dann 
Bin  ich  erst  recht  ein  froher  Mann. 

(Almsaaeb  der  Mosen  nnd  Graden  fOr  1802.  Beriln  1802.  &  254—280.) 


1%.  Werneuchen. 
An  Friedexike  Brendel*) 
Im  April  1796. 

Wenn's  künftig'  Jahr  um  diese  Zeit 
Vom  blauen  Himmel  nieht  mehr  sehnei't, 
Wenn  vor  der  Pfarre  kleinen  Zellen 
Der  LindcnbUume  Knospen  schwellen, 
Schon  hie  nnd  da  die  FrOsche  qnäckem, 
Die  eiBten  jungen  LXmmer  meckern, 
Der  lockern  Erde  FrOhlingssaft 

*)  ScbwAgerin  des  Dichters. 


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Steigt  in  der  Birk'  und  Erle  Schaft, 
Und  Vögel  in  den  Ahornhecken 
Die  wcillsen  Eierchen  verstecken : 
Dann  kommst  du.  unsere  Glilclces  froh, 
Im  Hute  von  geflochtnem  Stroh, 
Zu  athmen  hier  voll  Veilchendnft 
Weroeuehens  reine  Frttblingsliift. 
0  Flreiiiidiim!  taiuend  Freuden  warten 
Auf  dich  in  Hans  und  Hof  xmd  Garten. 
Im  Erknerstttbcfaen  Beblüftt  da  hier 
Doch  nur  bis  morgens  fVüh  nm  Vier'. 
Die  Henn'  erweckt  dich  dann  vom  Schlaf, 
Sitzt  auf  (]ov  Pfort',  und  kakelt  brav. 
Auch  pfeift  und  singt  mit  frohem  Sinn 
Der  Grofsknecht  und.  die  Melkeiiinn. 
Wir  tragen  dann  den  Fliesentisch 
In  ODsrer  Laube  NuCsgebüsch, 
Um  Thee  dort  von  Salbei  za  trinken. 
Die  sclirSgen  Beetenfenster  blinken 
Am  reinen,  rotlien  Morgenstrahl, 
Der  Kibiz  roft  im  Binaentbal. 
Mit  freiem  TT  aar  and  nngeschnttrt 
Wird  dann  im  Gartonsteig  spatziert. 
Wer  wird  .so  Mngstlicli  sich  verstecken 
Vor  .Sonnenbrand  und  Soiumcrticcken? 
Dann  hilfst  du  gelbe  Kuben  fegen, 
Siehst  nacl),  ob  Giius'  und  Hühner  legen, 
liesuchbl  iiucli  unter'm  Dach  die  Tauben 
Mit  glattem  Hals  nnd  blanen  Hauben. 
An'8  PfOrtchen  lockt  die  Neugier  dich: 
Ein  Bronnengast  erkundigt  sich, 
Wie  weit  nach  Freienwalde  sei; 
Anch  singt  mit  warnendem  Geschrei 
Ein  Bettelmann  am  Wanderstab 
Ein  Lied  vom  Delinquenten  ab. 
Nach  Tische  kommt  im  «rriinen  Kock 
Ein  Pachter  mit  dem  Krückenstock, 
Um  sich  von  Holland  oder  Polen 
Die  wilrmste  Neuigkeit  zu  holen. 
Wir  wandeln  nun  mit  mäls  gern  Schritt 
In's  Feld;  er  nimmt  ein  Bronnglas  mit, 
Am  Schlehdom,  in  Tersteckten  Gründen, 
Die  Pfeife,  mhend,  anzuzünden. 
Indem  man  traulich  schwatzt,  ersdiallt 
Hervor  aus  schwarzem  Fichtenwald 
Die  V>reite  Holzaxt  fleifs'ger  ^liinner 
FUr  Schneidemttbr  und  Ziegelbrenner. 


—  40  - 

Die  Wachtel  sehUigt  im  grünon  Korn, 
Und  fernher  tönt  ein  JJtgerhorn. 
Uat  über  SIoos  und  Maulwurfshauicn 
Mein  Junge  müde  sich  gelaufen: 
So  steofirn  wir  mit  heiterm  Blick 
Gemach  nach  mueim  Thami  zarttck. 
Doeh  wird  der  Omg  nooh  oft  gehemmt 
Vom  Hirten»  der  die  Sehaafe  schwemmt. 
Vom  Bauer,  dessen  Ackerpferd 
Nach  Uause  mit  der  Kg-ge  kehrt; 
Denn  wer  dich  kennt,  mag  gerne  zaudern 
In  deiner  (iegenwart,  und  plaudern. 
Im  Flecken  eilt  am  kiUilen  Abend 
Die  Jugend  uns  entgegen  tra>)end, 
Wird  gern  beschenkt  und  gern  gcküfst, 
Und  jede  fleifo'ge  Frau  gegrülst, 
Die  hinterem  Zaun  im  Garten  j&tet, 
Und  derben  Teig  zum  Backen  knAtet 
Dem  Eticfalein  auf  dem  Pfarrhof  mengst 
Da  Brot  und  weichen  Käse,  trHnkst 
Sic  vor  dem  Born  aus  kleinem  Küliel; 
Und  lüstern  schaut  die  Kräh'  vom  GiebeU 
Auch  hast  du  Fehd'  und  Spais  genug 
Allt.'lglieh  um  dein  Busentueh 
Mit  unscrm  grolsen  Puterhahn, 
Der  helles  Roth  nicht  leiden  kann.  — 
Doch  Fraocben  mft  snm  Abendessen! 
Bei  Btilirei  nnd  Salat  von  Kressen, 
Schafkäs*  nnd  Heth  nnd  Birkenwasser 
Bespötteln  wir  den  reichen  Prasser. 
Spät  schleicht  man  bis  zum  Heck  hinauf; 
(iic))t  sieh  im  Gehn  manch  Käthsel  auf, 
Erzählt  von  Fee  und  Zwerg,  und  laelit. 
Und  wünscht  >^ich  lier/.licli  ^'Ute  Nacht; 
Schläft,  o!  so  sanft  und  s<)  gesund. 
Und  hHrt  nicht  Horn  noch  Bauerhund. 

(Aimauacii  der  Musen  und  Grazien  t  d.  Jahr  1802.   S.  lU— 15.) 


17.  Das  Frühjahr, 
an  Henriette. 

Von  des  Frühlings  Wunderdingen, 
Wann  der  Winter  ausgetobt, 
Dir  ein  Liedchen  vorzusingen, 
Hab'  ich  jUnj^st  dir  angelobt: 
Nimm  denn  liier,  was  ich  versproclieu, 


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—  41  — 


Nimm  ee,  holde  Minncrin! 

Die  mir  nie  ihr  Wort  gebrochen, 

AuB  der  Hand  des  Treusten  hin: 

Sieh!  0  sieh!  die  Sohwalben  streichen, 
Aus  dem  See  imd  Uber  Meer 
Eilend  mit  den  weiflMn  Bftnchen 

Vor  dem  Fenster  hin  und  her. 

O  nnd  clraiifsen  welch  Gewimmel 
Auf  den  Fluren  weit  und  breit! 
Im  Gewässer,  unter'm  Himmel 
Lauter  Freud'  und  Herrlichkeit! 

Seit  die  Sonne  holder  laohtei 

Auch  den  letzten  Schnee  zerschmolz, 
Und  den  Kuckuck  wieder  brachte, 

Strebt  im  diohtverwachsnen  Holz 
Bald  der  Keim  der  jungen  Eichel 
Unterm  Laube  braun  und  kraus, 
Und,  besciiUumt  von  Kuckucksspeichel*), 
Jedes  Erlenblatt  heraus. 

Übersät  mit  KräuterblUten 
Wird  der  Fichtonhüfifel  bunt; 
Braune  Heidelcrclien  brüten 
Im  versteckten  Erdbcerp-und. 
Ein  verborprnes  Aestchen  suchen 
Zeisig,  Graaemück  und  Fink, 
Still  zu  bann,  in  hoben  Buchen, 
Thnn  so  fHJhHch  nnd  so  flink. 

In  dos  Ackers  Gänsedisteln**) 
in  der  Vo^relmilch***)  am  Rain, 
In  den  Foldkaniillcn  nistein 
Küfer,  Griir  und  Sprengticlein. 
Froh  umsuuimt  von  l'ferdebreuibcn 
ÖAien  sich  im  Winterkorn 
Hie  nnd  da  schon  blane  Tremsen  f), 
Neben  wildem  Bitterspom. 

Rohr  und  Pferdemünze  ff)  sprielsen 
An  der  Panke  hohlem  Bord; 
Ihre  kleinen  Wellen  sehiersen 
Ueber  breite  Blätter  fort 


•  i  „K u c kuck 86p ei c hei,  welGBer  Scliaoni,  der  sich  im  Fiilhling  an  den  Zweimen 
angelegt,  und  von  den  kleinen  Flöhensclmecken  herrührt;  der  grorae  Haufe  halt  ihn 
fflr  Kucknckispeichel.  S.  Adelungs  Wörterbuch."  ••)  „Üänsediateln,  Sonchus, 
Linn."  )  „Vogelmich,  Omitiiogalum  hiteum,  liott."  f)  „Tremsen,  Koniblttmeil.*< 
tt)  „Pferdemünse,  Mentha  sylvestris,  Linn.'* 


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—  42  — 


Lanpr  im  nassen  Sai^rle  strecken 
Vor  ficm  bnntprereit'ten  Haus 
Klein  und  p^roise  Uferscli necken 
Sich  im  Weidcuschatteu  aus. 

Jenen  Garten,  wo  vor  Jabreil, 

Trautes  "Woibclini,  wir  so  gern 
Seitwärts  bei  einander  waren, 
Wo  begrUlst  vom  Abendstern, 
Mit  des  Apfelbaumes  Triebe, 
Mit  dem  öproi's  am  Bcotoubox"'}, 
Unsre  reine  Seelenlielie 
So  allmählich  keimt  und  wnehs, 

Hat  der  junge  Lenz  aufs  neue 
Uns  so  herrlich  bunt  gemacht: 
Tulp',  Auiikel  und  Levkoie 
Lachen  da  in  voller  Pradit; 
Botfaer  Mohn  kackt»  weift  gerttndelt, 
Ans  der  grünen  Schal'  henror, 
ünd  der  Abendvogel  tKndelt 
Um  den  Hyadnthenflor. 

Dorthin  laTs  noch  oft  uns  wandern, 
Trene,  mit  yergnügt^  Mntfa, 
Anf  dem  Rarcn,  wo  vor  andern 
Wir  80  gern  uns  auegemht, 

Uns  von  neuem  angeloben; 
Unterm  Dach  von  Moos  and  Stroh* 
Das  uns  Gott  hat  ;iufgoliol)en. 
Mach'  uns  ganz  ihr  Segen  Iroh. 
(Calender  d«r  Musen  und  Grasien  Ittr  das  Jahr  1796.  S.  88—98'.) 


18.  Unare  Grasebaak.**) 

Unterm  Jnbel  froher  Lerehenhähne 

Schleicht  so  gern  den  Acken-ain  entlang, 
Zwischen  Lolcli***)  und  kriechendem  Gerank 
Mir  am  Arm  die  minnigUche  äcbOne, 

An  des  Heideberges  Schattenlehne 
Ansznrahn  anf  nnsrer  Qnuebank, 

Die  der  Huldin  stille  Freudeuthr.Mnc, 
Um  Uur  Loos,  oft  mit  Entzücken  trank; 

•)  „Beetenbox.  Buxbaum,  womit  die  Gartenbeete  häufig  eingefafst  zu  sein 
pflegen." 

**)  „Gnuebank  oder  Kuiunbank." 
„Lolch  odw  Trespe,  LoUum,  Linn.*' 


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—  48  - 

Wo  ihr  oft  beim  Finkemiohlag  im  Bwiehe 

An  dor  Pnnkr  dichtborohrtem  Bog-, 
Um  des  femeu  Waldes  graue  Tasche, 

Um  der  Wiese  Kleid  am  Entenbracb, 
Bunt  TOD  roth  imd  weiikier  Blnmemnusche, 
Ach!  8o  froh  das  Hebe  Herzchen  schlug. 

(Oalender  der  Mosen  nnd  Cbaden  für  dos  Jahr  1790.  6.  71  ^) 


19.  Die  WUdnirs. 

Bndlich  bin  ich  hier  In  deinen  Sohanem, 
Schone  WUdnilb  du;  der  Tag  ist  schwül, 

Und  der  Sand  so  tief;  doch  labcndktlhl 
Wehn  die  liirken,  die  am  Wege  tranern. 
Sei  nicht  furchtsam,  bunter  T>istelHnk, 
Jubh^  du  und  hüpfe  froh  und  Hink, 
Unbesorgt  vor  allen  Vogelbaaem. 

Nein  wahrhaftig!  selbst  der  keckste  Bube 

Stellt  fUr  dich  hier  seine  Sprenkel  kaum. 
Sei  du  ruhig,  Kautz,  im  hohlen  Baum, 
Und  du  Tlamster  dort  in  deiner  rirube; 
Uh'  er  matt  sich  in  der  Hitze  «uclit, 
Blei)>t  der  Jagdhund  lieber  in  der  Bucht, 
Und  der  Fürster  in  der  kühlen  Stube. 

Kämen  Weiber,  Morcheln  hier  zu  lesen, 
Nicht  zuweilen  noch  vom  nUchsten  Ort; 
Karrten  nicht  aus  jenem  Dorfe  dort 
Bauern  her,  um  Hirkenreis  zu  Besen 
Abzuschneiden;  irrte,  auiser  mir, 
Manchmal  niclit  der  wilde  Jäger  hier: 
Wür't  ihr  lilngst  vorlassen  schon  gewesen. 

0!  ich  mufs  durch  diese  Haseln  tiefer 
Mich  hinein  arbeiten:  innner  frisch! 
Welch  ein  wilder  Dickigt!  welch  Oezischl 
War's  von  Nattern?  oder  rauscht  die  Kiefer 
Seitwärts  hier  voll  Harz  und  Kindenschwamm? 
Ha!  dich  kenn'  ich,  alter  Ulmenstamm, 
Bengt  der  Storm  doch  jedes  Jahr  dich  schiefer. 

Ungern  freilich  sehn  (\e<  liebetollcn 
Rothwilds  Augen  eines  Wan<lrcrs  Kunft. 
Schreeklich  zeugen  von  des  Ebers  Hrunst 
Dieses  Hügels  aufgewühlte  Scholien. 


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—  44  — 

Doch  wa  BtOren  euch  fiel  mir  nie  ein; 

Meinetwegen  mögt  ihr  fröhlich  seyn, 
4  Weidlich  rammehn,  broneten  oder  rollen. 

Dietes  Eppichs  sehwarse  Beerentrauben 
Sind  doch  BeMer  für  meinen  Oanm  sa  herb, 
Sfaid  fllr  euch,  die  Ihr  im  EUdienkerb 
Einiam  heult,  Ihr  schOnen  Bin^tanben; 
Und  so  durstig  meine  Zunge  lecht, 
Scheint  es  minder  rathsam  mir  als  rocht, 
Honig  hier  aus  diesem  Spalt  zu  rauben. 

Nagst  dn  Zeit  aach  hier,  wie  allenthalben? 
Ach!  vom  KOhleiliftiistäien,  das  hier  stand. 
Blieb  nichts  mehr,  als  diese  morsche  Wand; 
Raupen  spinnen  ruhig  auf  der  falben 
Ilockc  nun,  und  in  des  Daches  Kest 
Haben  Wespen  nur  ihr  jjraiies  Nest; 
Denn  zu  öde  scliien  er  selbst  den  Schwalben. 

Schade  wär's,  diefs  Bftmnchen  zu  verderben, 
Mit  dem  schlanken  Wuchs,  sonst  schnitt  ich  gleich 
Seinen  zarten  Bast  von  Stamm  und  Zweig 
Für  mein  häuslich  Weib  zu  Erdbecrk^rben. 
Doch  genug  zerknickte  schon  der  Sturm 
Und  durcli  micli  soll  kein  Marieuwurm 
Hier,  kein  Waöserschois  am  Baume  sterben. 

Schrie  der  Schuhu  dort?  Komm  nur  und  mahne 
An  den  Rückgang  mich;  schon  dämmert's  hier. 
Sicher  ging'  ich  irre,  zcitrti-  mir 
Nicht  den  Weg  des  Thunnes  Wetterl'aime. 
Jettclien  hat  gcwils  schon  .infgctischt, 
Was  so  süfs  nach  iu-irsem  Uang  orlrisclit: 
Gartenerdbeer'n  oder  Schaftuilchsabne. 
(Almanach  romanüsch-lilndücher  GemiUilde  für  1708.   Berlin  1798.   S.  36—40.) 


80.  Meine  Gegend. 

O  du  Anger,  wo  der  Wolfsmilch  Blüte 
Sparsam  kaum  gedeiht  im  dürren  Sand, 
Wo  ich  kanm,  so  viel  mdn  Blick  sich  mühte, 
Einen  Strand  von  wilden  Rosen  fand; 
Ärmlich  GUrtchen,  das  mich  oft  empfangen 
Hit  der  Aemmerlinge  Bymfonie, 
\ur  im  kleinen  Thurm  von  Hopfenstangen 
Vor  der  Sonne  Glut  mir  Schutz  verlieh; 


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45  - 

O  du  Berg,  bestreat  mit  Fichtenäpfeln, 
Wo  ich  «innend  manchen  balben  Tag, 

Moclit'  CS  stürmen  und  vom  Himmel  trdpfelll, 

In  drr  Ila^'cbutto  Düften  lag; 
Oedor  Busch,  nach  dessen  Dohnenbilgeln 
Einsam  oft  mich  stille  Si  Imsucht  trieb, 
Wiese  du,  besä  t  mit  Maulwurfshügeln, 
O  warum  dcmi  hab'  ich  euch  so  lieb? 

Du  entlegnes  Thal,  in  dessen  Mitte 
Noch  im  Herbst  ich  oft  die  halbe  Nacht 
In  des  Erbsenwiichters  Ilalniciilitttte, 
Die  er  längst  verlassen,  zugebracht; 
0  ihr  heimlichtrauten  Scliauerstellen, 
Wo  ich  oft  den  liebsten  Namen  schrieb 
In  des  Ilügelsaudcs  gelbe  Wellen: 
O  waram  denn  haV  ich  euch  so  lieb? 

Ha!  die  Schönste,  der  in  Liebesfesseln 
Längst  ich  sang  der  Liebe  Huldigung, 
Wandelt  mir  in  Kosen  eure  Nesseln, 
Eure  Armuth  um  in  Königsprunk! 
Ach  in  diesem  Thal  hat  sie  gesessen, 
Hat  diefs  Gärtchen  hier  einst  hübsch  genannt, 
Von  dem  Brombeer'n  dieses  Bergs  gegessen, 
Sich  ennttdet  einst  in  diesem  Sand! 

Darum  hat  mit  seinen  Wundergrupp'rn 
Nun  für  mich  kein  Welschland,  keine  Schweiz, 
Kein  St.  James  mit  seinen  Marmorgruppen, 
Keines  Sultans  Park  den  kleinsten  Keiz; 
Darum  fühlt,  trotz  ihren  Lorbeerbüachen, 
Ihrem  WasserfiEdl  nnd  Dach  von  Gold, 
Doch  mein  Satyr  Drang  sie  anssozischen, 
Damm,  darum  bin  ich  euch  nur  hold. 

Fiel'  es  einst  uns  in  der  Mohren  Steppen, 
In  der  Lappen  knlte  Wüstcnoi'n, 
Zu  den  Eskimo  s  un.-  hinzusclileppen, 
Fem  vom  Vaterland,  dem  Schicksal  ein, 
Und  Sie  hstte  dort  es  schOn  geftmden, 
Ginge  dort  auch  gern  an  meiner  Hand: 
O  so  fitnd*  ich  dort  nach  wenig  Stonden 
Meine  Gegend  und  mein  Vaterlandl 

(Oslender  der  Mosen  imd  Gnoien  för  das  Jahr  1706.  8.  M— 66*.) 


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21.  Das  Landleben. 


Fort  mit  eurer  grofsen  Stadt! 
Wer  OefUhl  im  Bosen  hat 
Wird,  nmsänmt  von  Wald  und  Wiesen, 
Sich  ein  friedlich  Dorf  erkieson. 

Früh  erwacht  aus  leichtem  Traum, 
Jubeln  im  Kastanjenbamn 
Grascmück'  und  Nachtip:an. 
öfT^iet  man  den  kleinen  Stall: 
Kuokt  mit  freundlichem  Gebrumm 
Sich  die  Kuh  vcrstiiiidi)?  um. 
Entchen  buden  bei  der  Tenne 
Sich  im  Pftibl,  indeAi  die  Henne, 
Die  sie  gestern  ansgebracht, 
Ängstlich  sie  am  Band  bewacht 
Bei  des  Entrichs  Lnstgeschnatter 
Grüfst  man  freundlich  den  Gevatter, 
Der  vorbei  am  Zaune  geht, 
Wo  die  liohe  Linde  weht, 
Und  an  grünbemoosten  Tlankeu 
Kürbisse  mit  Warzen  ranken. 
Frei  vom  duninuMi  15('ttel8tolz 
Sägt  man  unter  m  Schoppen  Holz, 
Dafe  die  Erbsen  besser  schmecken, 
Wenn  wir  unser  Tischchen  decken. 
Anf  dem  Teich,  vom  Schilf  nmzischt, 
Ftthrt  man  sich  im  Kahn,  mid  fischt 
Hechte,  die  am  Ufer  pltttsohen, 
Pflückt  im  Garten  Nüss'  nndZwetschon, 
Wo  der  Stieglitz  niclit  erschrickt, 
Der  um  reifen  Mohnkopf  pickt: 
Wo  die  Gans  mit  grauem  Flügel 
An  des  Wa.sf^crgrabcns  Spiegel 
Mit  den  Töchtern,  gelb  und  jung, 
Emsig  zupft  am  grünen  Strunk; 
Hört  entzttokt  im  Banm  voll  Mispeln 
Bienen  snmmen,  Weste  lispdn, 
Sieht  erpicht  anf  sttfeen  Banb 
In  der  Lilje  Blüthenstaub, 
Fröldich  wimmelnd,  raache  Hmnmeln 
Sieh  mit  grünen  Küfern  tummeln; 
Flickt  das  schiefe  Weinspalier, 
Jätet  dort,  und  schaufelt  liier; 
Lies't  vom  Beete  Stein,  uud  Stecken, 


Nascht  von  dichten  Aalbeeriieeken,*) 
Sncht,  wenn  Frauchen  kochen  will, 
KOrbel,  Petersiy*  nnd  Dill. 
Nach  dem  Wolfsberg  geht  es  dann, 

Wo  der  Spuk  nicht  ruhen  kann; 
Dort,  umkrächzt  von  dreisten  Raben, 
Ziehn  den  Hock  wir  aus,  und  graben 
Aus  dem  Sande,  hoeb  erfreut, 
Urnen  von  der  Ueidenzeit, 
O!  der  schOnen  Gegend  Keitz: 
Fern  der  grauen  Mühle  Kreutz, 
Des  gepflügten  Ackers  Streifen, 
Dirnen,  die  die  Hemnahd  hänfen« 
Und  der  Bleicherin  Gesänge 
Kürzen  nns  des  Weges  Länge. 
Auf  dem  Gang  nach  Hanse  sltat 
Man  ein  Weilchen,  naDsgespritzt, 
An  dem  See,  wo  Binsen  ruschein 
über  Schneckenhaus  und  Muscheln} 
Schilift  zu  Haus  auf  einer  Schütte 
Frischen  lleu's,  ist's  in  der  Hütte 
Im  August  einmal  zu  schwül. 
Sorgenlos  imd  herrlich  kühl. 
Wenn  der  reiehe  Mann  anf  Schwanen 
Rache  mnlb  nnd  Richter  ahnen. 
Nett  ist  unser  Stttbchen,  da 
Hängt  gemahlt  die  Groftnnama 
Bei  dem  braven  Eitervater; 
Unter'm  Ofen  spinnt  der  Kater. 
O*  wold!  Ifindliehes  Gemisch 
Bunter  S^kIk  n:  über  m  Tisch 
Die  beblümte  grüne  Decke, 
Vor  dem  Fenster  Nelkenstöcke, 
Auf  den  Dielen  gelber  Sand, 
Hundert  Nägel  an  der  Wand 
Voller  Flinten  nnd  Pistolen, 
Stiefeln  auch  mit  breiten  Sohlen; 
Fliegenklapp'  nnd  Sohlttsselbnnd. 
Jägertasch'  und  WachteUmnd. 
In  der  dmikelu  Laube,  vom 
Vor  dem  Haus,  von  Schotendorn**) 
Sieht  man  blinken,  welche  Wonne  1 
Weilse  Tauben  an  der  Somie, 


Aalbeere  =  sehwane  Johannisbeere.  Bibes  nigram. 


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47 


Oder  hOrt  znr  AbeEdseit, 

Wie  des  Thurms  Horncule  schrei't. 

Sp.'lt  begielst  im  Garten  man 

Seine  Zwiebelnbectc  dann, 

Eing^efalst  mit  Amaranten, 

VVemi  der  Sunue  Ütrulden  bräunten; 

Oder  flielielt  noeh  zuletzt, 

Wenn  der  Than  die  Wiese  netzte 

(Almau&cb  der  Museu  und  Grazion 


Knieend  mit  der  krummen  Hippe 
Kleegras  fUr  die  Pigrdekrippe. 
Stildtorl  sieh,  gesund  iiii<i  roth, 
Lachen  uns  bei'm  Abendbrot 
Bei  Salat  und  derbem  Schinken  1 
Sieb  den  reinen  Landweiu  blinken, 
Preise  loat  des  Dorfos  Olttck, 
Kehr*  in  seinen  Schoos  znrOek! 

r  das  Jalir  18ü2.    Berlin  18U2.    S.  90—96.) 


22.  Der  Meierhof. 
An  einen  Fround  in  Berlin. 

Didi  drttekt»  o  Freund,  des  StUdterlebens  Last; 
leb  Bchwlnii  umher  auf  kleinen  Wandenmgen, 
Da  hab'  loh  dir  ein  landlich  Lied  geenngeni 
Das  du  zum  Trost  von  mir  gefordert  hast 

liier  nimm  es  hin:  vielleicht,  mein  Lieber,  wird 
Es  dem  Gefühl  in  deinem  Busen  frommen; 
Doch  muls  dein  Kopf  ei-st  wieder  zu  sich  kommen, 
Vou  allem  Lärm,  der  dich  bisher  muschwirrt. 

Sah'  neben  mir  im  Geist  aof  dieser  Bank, 

Von  Flicderlaiib  und  Haseln  dich  umbl&ttert. 
Und  sieh  empor:  die  weilse  Ivatzc  klettert, 
Vom  Spatz'  gefloh'n,  das  Scheonendach  entlang. 

An  dieses  Taubenhauses  rundem  Tfahl, 
Den  Vorsicht  jüngst  mit  glattem  Blech  beschlagen, 
Kann  nie  der  Iltis  mehr  hinauf  sich  wagen, 
Der  oft  bei  Nacht  dort  heimlich  würgt*  und  stalil. 

I>ir  lilanf  Taubenilucht  pickt  neben  mir, 
Und  zeigt  mir  dreist  die  gelben  Außenringe 
Im  Stalle  klappt  des  Knechtes  Futterkliiige;  *) 
Dort  blükt  ein  Kalb  und  Hengste  wiehern  hier. 

Der  Pächter  kommt;  er  drttckt  mir  treu  die  Hand, 
ErzShlt  mir  viel  von  seinen  Fohlonstuten,**) 

Zeigt  dann  im  Garten  mir  die  edeln  Ruthen 
Gepfropfter  Bäum'  und  ihren  Kunstverband. 


*)  „Die  breite  Kliage  an  der  Futterbank,  das  Stroh  damit  zu  Uexel  zu  scheiden.*' 
**)  „Stuten,  die  ein  sftugendss  FoUmi  habsii.'* 


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—  48  - 

0!  schlichest,  Freimd,  da  Dor  ein  einsig  Mal 

Durch  dieses  WeiiiB  gewölbte  Lattcngänge, 
Durch  dieser  hohen  Rosenhecken  Enge, 
Durch  dieser  Eiben*)  schattendes  Portal; 

Und  sHhst  von  hier  der  Aussicht  Kolorit, 
Des  weiten  Thals  getuschte  Perspektiven, 
Den  Biehenfont  mit  aasgehaa'nen  Tiefen, 
Wo  durcli  GewOIk  die  Sonne  Wasser  zieht; 

Und  sähest  dann  in  diesem  HUttchcn  hier 
Die  Pächterfrau  den  neuen  Flachs  sich  hechelni 
Die  Kinderschanr  hei'm  Vesperbrote  lächeln, 
Den  Vater  selbst  bei  seinem  Kesselbier; 

SUh'st  vor  dem  Fenster  an  die  rauhe  Wand 
Der  Hütte  sich  die  EUrbisranken  hfikeln: 
0  Freimd,  o  Freund,  wie  wflrde  dann  dich  ekeln 
Vor  deiner  Stadt  und  ihrem  Flittertand! 

Schon  krankt  dein  Geist;  genesen  knnn  er  nur 
Weit,  weit  entfernt  von  Fasching,  Ball  und  Bühne. 
Komm,  rette  dich  in  raeinen  Ann,  und  sühne 
Dich  wieder  aus  mit  Einfalt  und  Natur. 

(Almaaaeh  der  Mosen  und  Oraiiea  fttr  das  Jahr  ISOSt  BeiUn  1802.  S.  97  »100.) 


21  Der  Banerhof. 

Mit  tiefem  Spalt,  wo  Spatzen  bau'n, 
Schwirrt  auf  der  Gasse  vorn  die  Lmde; 
Dahinter  lie^t  der  Kei.serzaun, 
Durchrankt  von  grüner  Efeuwinde. 
Die  Pfort',  auf  keinen  Klopfer  stolz, 
Schliefst  eine  Klinke,  nur  von  Holz. 

Vom  auf  der  Hfltte  ragt  erbOht 
Des  spitzen  Giebels  lEramme  Gabel, 
Der  Storch,  der  gern  im  Neste  steht, 

Biegt  klappernd  oft  zurück  den  Schnabel 
Die  lange  Feuerleiter  schmückt 
Das  graue  Strohdach,  gelb  geflickt. 


*)  nlaxnsbiome.** 


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-  49  — 

Der  Hfitte  nmde  Sehelbeii,  grdii 
Und  rOlhUdi  linkst  vom  Re^^wetter, 

Mit  brauner  Fensterlad',  umziohn 
Mit  Bast  gebundner  Reben  Blätter. 
Vom  Flugloch  schwebt  die  Taub'  herab; 
Baaclischwalben  scbieüBen  auf  und  *b. 

Oodrückt  vom  groteen  Feldstein  knarrt 
Der  Ziehbom  oft  mit  nassem  Elmer. 
Die  schwarze  Henn'  im  Hofe  scharrt 
Mit  ihrem  Buhlen  in  geheimer 
Verträglichkeit;  das  Küchlein  zipt 
Am  grünen  Wassertrog,  und  nippt. 

Am  kleinen  Backhaus,  schwarz  von  BnflB, 
St  eil  n  Ofenwisch  und  Fladenschiebor; 

Daneben  reift  die  welsche  Nuls, 
Des  Flieders  schwarze  Traube  drüber; 
Rings  liegen  Reis  und  Nadelholz, 
Voll  Harz,  das  an  der  Sonne  schmolz. 

Bald  hUmmcrt  auf  der  Schneidebank 
Der  Bauer  seine  stumpfe  Sense; 
Bald  flickt  er  Rad  und  Wagenstrang, 
Bald  seiner  Pferde  Kummt  und  Trense, 
liier  hängt  im  Schoppen  Seil  und  Sieb; 
Dort  krankt  ein  junges  Hohn  am  Pip. 

Lang  unter'm  Erndtewagen  streckt 
Sich  Wasser*)  aus,  des  riofs  Gebieter; 
Längst  war,  von  keinem  Dieb  geschreckt, 
Er  Nachts  der  Gans  und  Ente  Hüter, 
Die  leiiiuittemd  aof  des  TeioheB  Flut 
Voransehwimmt  vor  der  gelben  Brat 

Zur  Seit'  im  wüsten  (Jarten,  wo 
Mohnblüte  sich  und  Rose  rüthet, 
Hoekt  still  im  gelben  Hut  von  Stroh 
Ein  altes  Mtttterchen  und  Jätet. 
Hier  blOhen  Nelk*  und  goldner  Lack; 
Dort  grünen  Höhr*  nnd  Pastinaok. 

Dicht  hinterm  Garten  rufen  dumpf 
Rohrdommeln  her  vom  Schll^ewSsser; 
Am  ausgehöhlten  Weidenrnmpf 
Röhn  Fiscfaenreose,  Netz  nnd  Eesser**); 
Hier  schreit  der  Kiebitz  im  Gezweig, 
Der  Kranich  dort  am  Eisenteich. 

*)  „Ein  gewdhnHchsr  Hame  der  Banemhimde.**  —  **)  „Kesser.  ein  Ueiiies 
FIseheraets,  gew^dmllch,  aber  uiriditig^  KOsoher  genamut  8.  Jkdetang's  WtMerimoh.** 

Axtth.  4 

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-  50 

Das  Abend roth  im  West^  welkl    -  ' 

Stolz  nickend  ttihrt  die  rothen  Kühe 
Der  Bulle  heim,  und  Aenne  molkt. 
Verplaudert  wird  nach  Schweils  und  Mtthe 
Der  Abend  uuf  dem  Bäiikchen  voni, 
Iiis  spät  ertönt  des  Wächters  Uurn. 

(Calender  der  Musen  und  Qrazien  fOr  das  Jahr  1796.   S.  131.) 


24.  Entschuldigung. 

An  ein«!  Freoad  in  Bailin. 
Im  Mbi  180a 

Alwcbied  hat  der  Winter  zwar  genommen, 
Und  der  Weg,  im  J&nner  zngeschnei't, 

Bessert  sich;  doch  nach  Berlin  zu  kommen, 
Hab'  ich  itzt  wahrhaftig  keine  Zeit: 
Soll  umsonst  der  kleine  (larton 
Auf  des  Hauswirths  rtlegc  wartm? 
Soll  den  Frühlinp^,  hier  so  schön,  so  ^(  Ik  ii, 
Ich  im  Rauch  der  Hauptstadt  schöner  sehn? 

Unsre  Gartenfreude  zu  veroitehi, 
Ist  der  Frost  zu  schwach  auf  seiner  Flucht; 
Was  von  kleinen  grauen  Samenbeuteln 
Man  nur  hat,  wird  dreist  hervorgesucht, 
Und  der  FnfiBBteig  zwischen  Beeten 
Naeh  der  HeCascbnnr  festgetreten; 
Und  gesehwind,  wo  sich's  noeh  blieken  MAt,  ' 
Weggepntat  der  Banpe  weillMs  Nest. 

Was  der  Storm  im  Januar  zertrttmmert 
Hie  nnd  da  an  Lanben  und  Spalier, 
Das  wird  emsig  nun  soreeht  gesimmert. 

Ausgebessert  Zmuji  und  Lattenthttr. 
An  der  Jurche  Feldsteinmauer 

Suchen  wir  uns  dann  in  lauer 
Mittag:;^tun(le  schon  den  schönsten  Straus 
Blauer  Veilchen  zur  p]rhohlung  aus. 

Täglich  halten  itzt  mit  Sülsen  Bitten 
Ueberau  mich  meine  Kinder  fest: 
„Hasch'  uns,  lieber  Vater,  docli  Kalitteul  ''; 
Zeig'  uns  doeh  der  (iraseniiieke  Xestl" 
Soll'  ich,  stall  die  Lust  zu  theileu, 
Freund,  nach  deinen  Mauern  eilen? 
Hätt^  auch  itzt  mein  Weib  nicht  mehr  zu  thun. 
Als  auf  BSnken  deines  Parin  zu  mhnV 

*)  „ticbmetterlioge." 


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-  61  - 

Bald  lAftt  fto  «in  IfeHeben  lNni*ii  aEiim  BiHten 
Für  ein  Hahn,  das  niiAnfhOrlich  gpinckt, 
Bald  dem  jungen  Pater  Krümchea  bieten, 
Der  Bochen  ans  der  Schalo  kuckt, 

Bald,  verhütend  groisen  äcbadeu, 

Mich  die  Vogelflinte  laden, 
Wenn  der  Habicht  über'm  Hofe  kreis't, 
Der  SU  gern  einmal  ein  Entleiu  speis't. 

Komm  du  selbet,  die  Grillen  zu  verjagen, 
Wieder  za  uns  her  aufs  schtbie  Land! 

Berstende  Kastaiyenkeime  ragen 

Schon  in's  Fenster,  wo  dein  Bette  stand. 

Nach  dem  Ritt  dich  zu  erfrischen, 

Eilt  dann  Liebchen  auf'zutisciien. 
Was  du  vor'ges  Jahr  mit  Recht  erhobst: 
Ihr  geschältes  Maskatellerobst. 

(Ahnauach  dur  Musen  uud  Grazien  für  das  Jahr  1802.   S.  lü— 10.) 


25.  Frohe  Botschaft, 
an  Henrietten,  im  Aprill. 


Immer  war  dir's  noch  za  kalt, 

Gutes  Mädchen;  aber  bald 
Wird's  der  Sonne  wohl  gelingen. 

Froho  Botschaft  dir  zu  bringen, 
(rin^'  ich  aus;  hür,  Liebchen!  an, 
Was  ich  schon  erzählen  kann: 

Hinter  den  Berliner  HOh'n 
FSngt  der  Morgen  schon  so  schOn 
Durch  die  Elsen  an  zu  dMmmem,  • 

Und  mit  krausen  Blütenl.'iiiiüurTi 
Hat,  Min  wärmern  ]^'ni!i1i!i^^>l;;iuch, 
Sich  geputzt  der  Hascistrauch. 

Halb  erwachend  qnaken  dnmpf 
Schon  die  FrOsch*  im  Wiesensnmpf, 
Hachen  Ring*  und  kleine  Blasen 
Auf  dem  Wasser;  übcr'n  Rasen 
Hüpfen  manche  schon  licnim, 
Sonnen  sich  und  sehn  >ich  um. 


Und  das  Stachelbeergebtlsch 

In  den  Gärten  grünt  so  frisch, 
0!  und  Fink  und  Lerche  singen, 
Und  mit  gelben  Schmetterlingen 
Freu  11  ira  Grünen  inniglich 
Schon  die  gelben  Gänschen  sich. 

Herzchen!  zwar  verdrieftt  es  dich, 
Dafli  der  Schnee  noch  immer  sich 
In  den  Fahren*)  will  verstecken. 

Und  die  liebe  Sonne  necken; 
Doch  Gedult:  der  arme  Wicht! 
Lange  necken  soll  er  nicht. 

Bald,  mein  sOI^  Mttdchen,  bald 
BlOhen  Garten,  Feld,  nnd  Wald. 

Freu  dich,  liebe  gute  Seele! 
Nächstens  komm'  ich  und  erzähle. 
Sind  die  Schwalben  wieder  hier, 
Von  noch  schönern  Sachen  dir. 


(Galender  der  MoMn  und  Gxaiien  iflr  das  Jahr  1790.  &  32  u.  8S.) 


*)  „Die  tiefun  Furchen  swischen  den  Ackerbeeten.  8.  Addongs  WOrterlraeb.** 


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—  62  — 


81,  Lied  im  Frülilliig. 


An  HenriAtton. 


Am  Birkenzweige  blättert 

Der  volle  Krim  sich  auf. 
Das  frohe  Eichhorn  klettert 
Am  Stamm  hinab,  hinauf. 
Die  trugen  WinterschlUfor: 
Waldbiene,  Wesp'  und  Käfer 
Und  Hummel  wachen  auf. 


Ult  grünen  Wasserlinsen 

Fiirbt  sich  das  Wiesenmoor. 


Es  hüpft  aus  Schilf  und  Binsen 


Der  muntro  Frosch  hervor. 
Die  Wasserjungfern  fliegen 
Am  Ufer  hin,  und  wiegen 
Sich  froh  aui  jungen  Kohr. 


Und  an  den  G  arten biiumen 
Wird  alles  weii's  und  grün. 
Die  Maienbliimchen  keimen, 
Hohmder  und  Jeanin. 
Bald  wird  die  Bob',  o  Wonne  I 
Am  wlrmem  Strahl  der  Sonne 
Für  dich,  mdn  Jettchen,  blfihn. 


27.  FMhlingy-Lied. 

Die  liebe  wanne  Sonne  sangt 
Daa  Undenblatt  herans; 
Vom  Weste  lieblich  angehaucht 
Kriecht  Jedes  Veilchen  ans. 

Der  Kalmus  sprofst  am  Weidendamm, 

Die  Wasserlilj'  im  Teich ; 

Der  Laubfrosch  hüpft  am  Elsenstamm, 

Die  Krüt'  im  grünen  Steig. 

Im  Grünon  srli wärmt  der  Schmetterling 
Vergnügt  um  Kalb  und  Kuh, 
Und  klappt,  auf  KirächenblUtcn,  flink 
Die  Flüglein  auf  und  zu. 
Der  Sperling  mit  dem  Liebchen  thut 
So  tranlicb,  so  geheim, 
Und  piekt  dabey  sieh  wohlgemnth 
Der  Erbse  zarten  Keim. 

Der  Himmel  rings  so  frei  nnd  hell, 
Im  Straneh  das  VOgelein, 
Die  Blttt'  im  Wald,  die  Blflt*  am  Qaell, 

0  Mensch,  ist  alles  dein. 
Hinaus,  hinaus  aus  Stub'  und  Stadt 
Was  hören  kann,  und  sehn, 
Und  fühlend  Herz  im  Husen  hat; 
Der  Lenz  ist  Ja  so  si  liün. 
(CaleDÜer  der  Müsen  und  Grazien  far  das  Jahr  1796.   S.  9  u.  10.) 


(Gedichte.  1797.  &  140  ff.) 


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—  63 


S§.  D«r  AprlL 

Sie  heben  an,  der  Lerchen  Feldg^ei>iingc; 
Die  Unk'  erwacht  aus  ihrer  Winterrull; 
Zum  Anger  eilt  im  blökenden  Gedränge, 
Voll  Uebermuth,  der  Stier  mit  seiner  Kuh. 

Süfs  dnften  uns  von  jedem  Fenster  zu 
Aus  Wassergläsern  Veilchen  schon  im  Menge. 
O  schöne  Zeit!    O  holdes  Dörfchen  du! 
Wer  tauscht  dich  itzt  um  eines  Throns  Gepränge? 

Am  Zaime  sprieflBt,  diurefawlirmt  von  FrtthUiigsiglath, 
Das  Junge  Gras;  und  frohe  Kinder  sehndden 
In*8  XOrbehen  Nesseln  für  die  Gaosetmit. 

Und  Liebchen  Uilst,  geschirmt  vom  Sonnenhut, 
Den  Silugliiig  heut  zum  erstenmal  mit  Freuden 
Am  jungen  Grün  die  Wnnderaugen  weiden. 

(Almanacli  der  Muüeu  und  Grazien  iür  das  Jahr  1802.   S.  22.  23.) 


St.  Der  Bauer  in  Ottern. 

Endlich  hat  der  Wind  den  Schnee  zerhaucht; 
Endlich  sieht  man  wieder  Schwalben  üiegeu. 
G(»tt  sei  Dank,  dafs  man  nicht  länger  braucht 
Hinter'm  Ofen  auf  der  Bank  zu  liegen. 

Grasig  wird  des  kleinen  Dörfchens  Plan: 
0!  so  freut  euch  wieder,  Schaf  und  Binder! 
Alle  Dutterblumen  fan<jen  an 
AufzubliUin  zum  Spiel  für  unsre  Kinder. 

Seht  doefa  hier  am  Heek  den  Sehlehenboseh! 
Wie  gepudert  prangen  Zweig*  nnd  Iste: 
Seht,  das  frohe  Zeislein  flattert  hnseh! 
Ein  und  ans,  und  baut  wohl  schon  am  Neste. 

Stut"  und  Wallach  wiehern  uiiter'm  Joch, 
Und  der  rüugsterz  wird  zur  Hand  geiiouimen. 
Frisch  aar  Arbeit!  Endlieh  kann  man  doch 
Wieder  leieht  in  Gottes  Erde  kommen. 

Ja!  bald  schmaust  man  nach  des  Tivges  Last 
Nicht  des  Al»ends  mehr  bei  Kiehn  im  Heerde; 
Nein,  hübsch  draufsen  unter'm  Lindenast 
In  der  Abendröth'  auf  Rasenerde. 


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—  54  — 

EdtB*  im  Oarteii  um  den  Ofoi  bald, 
liebes  Weib,  mit  trocknen  Flohtenzacken; 
HOnt  du  nicht?  Die  Osterklocke  schallt: 
Fladen,  Fladen  mafii  die  Matter  backen! 

DafB  im  lieben  grünen  Feste  man, 
Wenn  die  Frösche  hinter'm  Garten  unken, 
Bier  dazu  im  Froirn  zapfen  kann; 
Denn  im  Osterfest  wird  Bier  getrunken! 

Lustig-,  Jnnf^'  und  MMfrdlein!  baarfufs  springt 
lleut'  iu's  l^ng,  um  Kalmus  drin  zu  suchen; 
Wer  nicht  Futtor  für  die  Kühe  bringt, 
Der  bekouiint  auch  licincu  Fe>ltaf:^skuehen. 

(Aimunacii  der  Musen  xmd  Grazien  lür  da«  Jabr  1802.    S.  42—44.) 


SO.  Die  Dorfbewohner. 

Im  FrObjflhr  1800. 


Hailtiftchen  flichem; 
Ans  Snmpf  nnd  LOehem 
Scblllpft  Haselmans 
Und  Frosch  herans. 

An  unsem  Dächern 
Klebt  froh  ihr  Nest 
Die  Schwalbe  fest 

Zu  b«den  Beiten 

Der  Laube  spreiten 
Lind'  und  Jesmin 
Ihr  helles  Grün, 
Und  Lllmmchen  liiutcn, 
So  weils  als  Schnee, 
Ira  Wietienklcc. 

Kirscliblüthen  zittern 
An  n artengittern 
!Mit  süfsem  Ruch; 
Bewegt  vom  Flug 
Des  Hünflings,  schüttern 
Sie  olt,  nnd  schnei'n 
Sein  Nestchen  ein. 

Der  ITasc  rammelt; 
Die  Biene  sammelt 
Im  Iforchelnthal 
Znm  ersten  Mal. 
Per  Tauber  dammelt. 
Und  macht  sich  kraus 
Am  Taubenhans. 


Die  Fische  laichen 
In  Kalmnsteiohen* 
Von  VOgelein» 
Die  groft  und  klein 
Nun  wieder  streiehen. 
Tont  Minnesang 
Die  Heid'  entlang. 

Die  Qntille  strudelt; 

Der  Westwind  hudelt 
Den  Apfeizweig. 
bn  Lümmersteig, 

Den  Schnee  besudelt 
Und  schmelzelnd  Eis, 
Spri<-l'st  Elirenpreiö. 

Die  Küclilcin  ziepen; 
Nestvögel  pic{)cn 
Im  FliedergTün, 
Und  Frauen  ziehn, 
Mit  iMilch  in  Kiepen, 
BarföCSig  hin 
Zur  Städterin. 

Frühmorgens  pfropfen 
Wir,  stängcln  Hopfen, 
Und  sä'n  Spinat 
Und  Kopfsalat 
Der  Wehl,  voll  Tropfen 
Und  knospend  itzt, 
Wird  angestützt 


-  66  — 


Drmf  geht'8  yon  dannen 
Zum  Hain  voll  Tannen, 
Wo  man  auf  Moos 

Sich,  wie  in  Schoos 
Von  Ottomannen, 
Vom  Waldinsekt 
Umsumset,  streckt. 

Um  kalte  Schale 
Zum  kleinen  ^lahle 
Zu  geben,  hockt 
Die  Frau,  und  brodct, 
Vom  Abendatrahle 
Der  Sonne  roth, 
Schwarz  Banerbrot 

Wenn  Tnlp'  und  Nelken 

Aus  ThaugewOlken 

Der  Abend  nUfst, 
Ist's  noch  ein  Fest, 
Die  Schafe  melken 
Zu  i^chn  auf  Streu 
Der  Schüferei. 

"Wie's  Ahendpfeifchen, 
Von  Mücken i lii Lüchen 
Am  Zaun  geueckt, 
Uns  herrlich  schmeckt, 
Schwebt  hiAter  Streifcfaen 
Von  Wolkenflor 
Der  Mond  herror! 

Und  wenn  für  Moiigen, 
Vom  Berg  verborgen, 
Das  Abendroth 
Gut  Wetter  bot: 
Schlaft  ohne  Sorgen 
Im  KJimniorlcin 
Man  frülich  ein. 

(Almanach  der  Musen  und  Grazien  für  IfiO'i.  Berlin  1R02,  S.  48—55.  —  Neuer 
Berlinischer  Musenalmanach  fflr  1794  herau8ge$;eben  von  F.  W.  A.  Schmidt  und  S.Ch. 
fimdemaim.  8. 101—107  unter  dem  Titel:  Die  Dobritzer.  Im  Frühjahr  179a) 


Bei  ihrer  Bleicbe 
Singt  dnrch  Oestrftnehe, 

Den  Arm  geschürzt, 
Den  Rock  gekürzt, 
Die  Dim'  am  Teiche, 
Und  spritzt  auf  Gras 
Die  Leinwand  nal's. 

Des  Hüttcliens  Mutter 
Macht  Käs'  und  Butter; 
Denn  itzt  beschert 
Die  Kuh,  genührt 
Mit  grünem  Fntter 
Im  Elsenbnich, 
Ihr  Milch  genng. 

Dfe  Lnst  an  mehren, 

Wenn's  warm  ist,  scheren 
Wir  Schafe  noch: 

8o  schmaust  man  doch 
Um  Zwölf  mit  Ehren 
Sein  klein  Gericht, 
Und  schämt  sich  niciit. 

Nachmittags  waden 
Im  See  und  baden 
Wir,  leicht  bedeckt, 
Im  Bohr  yersteckt, 
Und  mh'n  anf  Schwaden 
Von  Thymian 
Am  Ufer  dann. 


Sl.  Der  Frtthlingsabead  auf  dem  Lande, 

an 

Seit  ich  geplagt  von  Gicht  und  finstem  Launen 
Der  AVinterstub'  aufs  stille  Dorf  entrann, 
Um  hier  den  jungen  Frühling  anzustaunen, 
Bedaur'  ich  dich,  der 's  so  nicht  haben  kann! 


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—  56 


Mehr,  als  bei  dir  der  OpernsHiigrcr  Fistel, 
Der  Bühne  Praclit,  der  GalhxhüUe  Prunk 
Entzückt  der  Grille  Lied  in  junger  Distel, 
Der  Liiminer  Tanz,  des  Heupferds  frolicr  Sprung. 

Hier  steh'  ich,  fern  von  TTöferoy,  zu  angeln 
Nach  Barb'  und  Schleih  auf  schmalem  Grabenstog. 
Wie  Pills  durchwüi"zt  den  Zeisigbusch  von  Tangein, 
Au  uicincr  Seite,  Nelk'  und  i-'iclitcnpuch! 

Wie  lachend  grünt  der  gell)e  Sprols  der  Weide 
Bei  Wasserkolb'  und  jungem  Entengras! 
Wie  UebHoh  tOnt  ans  HaeelnuisgestSiide 
Des  Aenunerlings  Diskant»  der  Amsel  Bads! 

Auf  Eiem  lauscht  im  schilfgen  WasserbeokeDt 
Vor'm  Schüfe  des  Jttgers  scheu,  die  wilde  Gans. 
Li  liehlbeerstraadi*)  und  Berberitzeuhecken^) 
Baa^^i  runde  Nester  Fiok  und  Seidenschwanz.*^) 

Das  Eiehbom  sehmaust  der  Bhrke  Bltttenzäpfcfaen 
So  drollig  hier,  und  putzt  sich  Bart  und  Ohr. 
Am  Boden  schau'n  mit  runden,  weifsen  KOpfchen 
Die  Pilz*  aus  Moos  und  llaidekraut  hervor. 

Der  flachen  Quelle  Amkelndes  Gerinne 

Füllt  sanft  hinab  in's  niedre  Wiesenthal. 

Auf  ihren  Weilchen  schwimmt  die  Wasserspinnej 

Das  Ufergras  durchschlüpft  der  glatte  Aal! 

Der  Gärtner  schwitzt  bei  Bcetenschnur  und  Spaten, 
Obschon  am  Wald  das  Abendroth  erlosch, 
Und  seines  Giebels  treue  Störche  waten 
Derweil'  im  Sumpf  nach  Wasserschlang'  und  Frosch, 

Laut  quaken  scliou  des  Teiches  kleine  Völker; 
Und  heller  gllinzt  des  Neumonds  gelber  Schein. 
Der  Dilmm*rung  froh  umfliegt  der  Ziegenmelker  f) 
Des  Schafttalls  Oitterthor,  und  scblttpft  hinein. 

Vom  an  des  Zauns  gestutzten  Weidenflechten, 
Die  Wallntü^baum  und  Flieder  ttberragt, 
Schwatzt,  wemi  sie  ausgemolken,  mit  den  Knechten 
Vom  nahen  Jahrmarktsfest  die  Junge  Magd. 

Ol  welche  Lust!  umflattert  von  Phalttnenff) 

Im  Blütenduft  des  Pflaumenbaums  zu  mh'n, 

Indofs  im  Erlenbusch  mit  Wonnetönen 

Der  Sprosser  klagt,  and  ferne  Kühe  muh'n!  — 

*)  .fUehlbeerstrsuch,  eine  Art  des  Weifsdonis,  Crataegus  Ozyacsntha,  Lina.« 

—  **)  „Berbcrit/enhecken,  I?prbrrip,  I-inn."  —  •♦•^  „Seidenschwanz,  eine  Art 
Drosseln.  Die  Spitzen  einiger  Feüeru  am  Schwänze  sehn  aus,  als  wenn  sie  mit  Seide 
geatickt  wSren,  TurdtiB  eristatua.**  —  f)  „Ziegenmelker,  oder  Nacbtacbwalbe,  von 
welcher  der  AbergIaa})0  vorgiebt.  dafs  sie  den  Kahen,  Ziegen  und  Schafen  die  Milch 
ansaauge."  —  ft)  »l'halanen,  oder  NacbtTögeln."* 


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—  S7  — 

HStt'  ich  mein  Wdb  noeh  hier  und  meiiie  Kinder 
In  diesem  Thal,  8o  recht  fOr  nüeh  allein: 
Dann  könnt'  ich  traun!  vergnügter  und  gesfinder 
An  keinem  Ort  der  weiten  Erde  seyn. 

(Oalender  der  HuseD  und  Gxaiien  IOk  dM  Jahr  1799^  8.  HO«-*.) 


88.  Bftaifreude. 
An  Henrietten* 

Fort.  Liebchen,  mit  dem  Wiuterpelz! 
Der  Wubi  uiuliebelt  dich. 
Konnert  ertönt  im  Birkgehttlz, 
Bebn  frühen  Vogelstrich. 
Und  tlglieh  (9xbt  der  Wiese  Sehmels, 
Die  Heide  frischer  sich. 

O  sich!  wie  froli  um  Lindenbast 
Die  Wickelraupe  kriecht! 
Der  Sehillebold*)  Tom  Narbenast 
Des  Birnbaums  niedeifliegt! 
Und  dieser  BItttbe  Dnnenqnast 
Des  Frfihlings  Odem  wiegt 

Iklit  ausgespuiuiten  Flügeln  sciiitilt 
Der  Schwan  iMif  nnsrer  Spree. 
Der  WasserblUmchen  LenzgedOft 
Umhancht  den  Unkensee; 
Und  anf  der  weichen  Gansetrift 
Sprieftt  Wegewart  nnd  Klee. 

Wie  Alles,  Alles  weit  und  breit, 
Vom  linden  Schmeicbelwind 
Hit  Wonneblttthen  Überstreut, 
An  warmer  Sonne  minnti 
Vom  Storche  bis  zum  Spats  sich  freut, 
Vom  Karpfen  bis  zum  Stint! 

Weh  dem,  der  itzt  bei  StMtertand 
Den  Mai  verlieren  mnUl  — 
Komm,  konmi  nach  nnsrer  Quelle  Band, 
UmJarSnzt  von  Qytisus, 
Zu  ruh'n  an  grfiner  Heekenwand 
Bei  Eis'  und  Wassemufs. 

(Ahninadi  der  Mosea  nnd  Giaiien  fflr  das  Jahr  1802.  8. 29.) 

*)  „Ein  fliegendes  Jjisekt,  Ubellula  granüis,  Linn." 


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—   58  — 

'  tt.  D«r  lonlbsalMnd. 

Ein  matter  Parpurschimmer  dilmmert 
Noch  graugesHunit  von  Westen  her, 
In  seiner  kleinen  Esse  bUmmert 
*  Der  müde  Nachbar  Schmld  nicht  mehr. 
Bs  hflpft'  auf  Behrlgen  Leiteivproaseo 
Das  Hflhneryölkehen  lingst  zur  Roh. 
Die  Schwalb*  hat  Ihr  Konzert  geschlossen, 
Und  eilt  dem  Hangebettcben  zn. 

Wir  seh'n  uns  ~  drückend  war  die  Hitze  — 
Nach  einem  KflhlnngsCrtchen  um: 

Dort  lockt  mit  seinem  Rasensitze 
Der  Laube  Kaprifoliura. 
O  Hüttchen,  das  nach  SommerschwUle 
Uns  manchen  Ab<>nd  schon  vcrharüf, 
Empfang-'  nns;  sind  in  deiner  Külde 
Die  Mücken  gleich  ein  wenig  arg. 

Wie  still!  es  knarrt  der  Perpendikel 
Vcniehmlich  an  der  Kirchenuhr; 
Es  rauscht  mit  Düften  der  Aurikel 
Ein  leises  Schauerltiftchen  nur. 
Und  o!  dort  über  m  Eichelkumpe, 
Von  grauem  Heetranch  ttberdeckti 
Wird  eben  itzt  die  goldne  Lampe 
Des  groÜBMk  Mondes  angesteckt 

Sanft  möge  rings  dein  Abcndschlummcr, 
Hecht  sanft,  gellebte  Gegend,  seyn! 
0  schlief  auch  jeder  kleine  Kummer 
Der  guten  Mensehen  mit  dir  ein! 
Schliefet  dort  in  Beiersdorf*),  ihr  Lieben, 
Schliefst  woUgemnth  die  Augen  zu! 
Euch,  liebe  gute  Nachbarn,  drüben 
In  LOhm*)  mid  Seefeld«)  sanfte  Roh! 

Auch  dhr,  wo  ich  in  Hittt'  und  Sargen 

Manch  th eures  Kleinod  hinterliefe, 

0  Heimath  hinter  jenen  Bergen, 
Auch  dir  heut  Ruhe  sanft  utkI  sills!  — 
Doch  Htill  davon!    Die  Thr.iticn  schicisen 
Tn's  Au^c  mir;  kommt,  Weib  und  Kind, 
Lalst  uns  die  Primeln  noch  begieisen; 
iSie  trauern  schon:  geschwind,  geschwind! 

(Almanach  der  Musen  und  Grazien  fOr  das  Jahr  1802.   S.  63—65.} 

*)  Dorfer  in  der  KlUbe  von  Weraenehen. 


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—  69 

84.  Sommerdttrre. 

Noch  immer  bUat  der  trockne  Ost: 

FUr  Beet  und  Flur  ein  Bchlediter  TrOBtl  — 
Kein  Wölkchen  rings  am  Horizont! 
Lein,  Garst'  und  Wicken,  heifs  durchsonntj 
Stehn  klfiglich  da,  versengt  und  falb; 
Und  hungrig  brüllen  Kuh  und  Kalb. 
Die  Wasserkanne,  voll  und  schwer, 
Schleppt  man  im  Garten  hin  nnd  her 
Und  giQt»  im  BehwelAi  des  Angestohts; 
Doch  Schweife  imd  Iflihe  fraehten  idehts) 
Die  Schaf  erregen  dicken  Staub. 
Znsammen  schrumpfen  Blttäi'  nnd  htnb» 
Die  Rose  darbt  im  Blumentopf; 
Der  Mohn  im  Garten  hünfrt  den  Kopi. 

I  t 

Die  Nelke  stirbt  am  grünen  Stab; 

Und  unreif  fällt  die  Pflaum'  herab. 

Die  Bienen  tragen  wenig  Seim 

Zum  Honigkorb  des  Schauers  heim. 

Das  Entlein  lernt  nicht  schwimmen;  denn 

Am  Dorf  vertrocknen  Fftihl  nnd  Fenn.^ 

Nnr  Küfer,'  Brems*  nnd  Raiq»entarDt 

Gedeihen  in  der  Sonnenglntfi.  —      •  • 

Nach  Kühlung  athmend,  sitzen  wir  < 

Des  Abends  vor  der  Htittcnthür. 

Selbst  was  im  Dorf  nur  lallen  kann,      •     ,.  * 

Kuft  Gott  um  milden  Regen  an.  .  '  L    •  ..  . '••■v. 

0  möchte  bald  der  Hof  bahn  kräh'n!  '  •  •  '• 

Die  ^lühlc  sich  gen  Abend  drch'n! 

Im  BImenbanm  der  Lanbfkosch  schreib 

Und  fernher  zncken  Wetterschein! 

O  Wonne!  w;enn  toU  Hofbimig  dann  • 

EVohlockt  der  arme  Ackersmann! 

Wenn  Pferd  und  Stier  und  Gans  und  Huhn 

Und  selbst  die  Wünnchen  fröhlich  thunl 

Und  auf  die  li(  }»e  Aerntezeit  - 

Zum  Voraus  sich  der  Dri)sc]ier  freu't! 

(Almanach  der  Mosen  nnd  Grasien  für  daa  Jahr  IflOB.  fi.  71-*78.) 


*)  „Fenn,  Snmpt**  * 


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—  eo  - 

St.  Aa  die  Natur  im  HeriMt 

Wann  die  Kirdieosoliwalb*  ihr  Giebelneet) 
Und  der  Storch  sein  Seheimendach  yerlStet, 
Wann  die  Fledennans  sieb  in  der  Ifaner 
Vor  dem  nassen  Wind  ein  Obdach  wttblt, 

Und  im  Tannenwald  ein  schinnend  Zelt 
üas'  und  Dammhirseh  vor  dem  Begenschaaer; 

Wann  die  Erithe  sehon  so  nlediig  alreiehtt 
ffittterte  Nebeldnnst  die  Sonn'  erbleicht, 
Wann  die  Wolken  treiben,  und  der  Regen 

Von  dem  Birkenbusch  die  Blätter  leckt, 
Wann  der  Fufssteig  drunter  sich  versteckt, . 
Und  da«  Fahrgleis'  in  den  Seitenw^en; 

Wann  der  Herbstwind  dnrch  die  Brache  sanst, 
Wild  am  Bohr  die  dttrren  Bttachel  zanst, 

Und  das  Schflf  zerknickt,  und  tiefe  Kerben 
In  der  angeschwollnen  Havel  zieht, 
Wann  die  letzte  Blum'  am  Bord  verblttht, 
Rötblich  sieb  die  Ufer  weiden  fllrben: 

O  Natnrt  anefa  dann  begrttfli'  ich  so, 

Wie  im  Blüthenmond,  dich  innigfroh! 

Wird  mir  doch,  wann  ich  nun  Liebchen  eile. 

Bald,  von  ihrem  weifsen,  weichen  Arm 
Sanft  umschlungen,  wieder  wohl  und  wann: 
Schwirre  Regen  dann!  und  Sturmwind  heule! 
(Gedicht«.  1787.  8.  89—40.  Vorher  im  Göttinger  Musen-Almaoacb  fflx  1790. 

aii6i) 


S6.  Der  Lnndmaim  im  Winter. 

Wenn  rings  der  Winter  saust  und  scbnei't, 
Der  StMdter  sich  der  Opern  freut, 
Sich  näiT  bch  vcrmuimut,  auf  Biüleu  springt, 
Und  Punsch  bis  an  den  Morgen  trinkt: 
.    Hann  fehlt*s  nns  amen  Banerslenten 
"  Aach  nicht  an  Fread*  and  Lnstbarkeitfln. 
Wie  lustig  I  wenn  dnreb  Schneegewölk 
Die  Morgensonn'  am  DachgebUIk  * 
Die  Zapfen  von  Krystall  durchschimmert, 
Und  Rauhreif  an  den  R.'lunieii  flimmert! 
Wenn  vor  dem  Hüttchen,  sonder  Scheu, 
Die  Meise  hackt  in's  Fensterblei! 
Und  sich  am  Born,  mit  Stroh  umwanden, 


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—  61  — 

IMe  KrBh'  «ntzweft  mit  Hahn  und  Hunden  I 

Dann  giebt's  hier  Zeitvertreib  genng^: 

Wir  flicken  Wagenrad  and  Pflug, 

Und  bessern  Garten,  Schcnn'  und  Hans 

Und  Flegel,  Sens'  und  Harken  aus. 

Wenn's  im  Dezember  friert,  so  laufen 

Wir  nach  iler  8tadt,  um  einzukaufen 

Für  s  kleine  Volk,  zum  iieii  gen  Christ, 

Was  sehmeekt,  nnd  nickt  so  tlieaer  Ist: 

Spinojangfem,  welsch» Nttn'  nnd  Kringeln*); 

Da  hOrt  man  SdiUttenpferde  klingeln. 

Und  eilt  ans  alt*  dem  städtischen  Sans 

Vergnügt  mrllek  zum  kleinen  Haus.  — 

Schlägt  nnsre  Uhr  Nachmittags  Vier,- 

So  wird's  erst  recht  lebendig  hier: 

Dann  schliefst  der  Küster  seine  Schule, 

Und  auf  des  Dorfe«  Enten pfuhle 

Prüft,  mit  dem  Schreibzeug  unter'ni  Arm, 

Das  Eis  ein  froher  Bubenschwarm. 

Hier,  nnter  Linn  nnd  lautem-  Wftze,- 

Fliegt  mancher  Schneeball  an  die  Mtltae, 

Bis  rings  der  Kiehn  der  Hutten  lodert; . 

Und  Vesperbrot  der  Magen  fodert       ,  . 

Um  Weihnacht  singen  Abends  gerne 

In  weifsen  Hemden,  mit  dem  Sterne, 

Die  Weisen  aus  dem  Mohrenlund: 

„Die  Sonn'  hat  uns  so  schwarz  gebrannt.* 

Dann  lUufTt  zusammen  Kind  und  Greis; 

Gewaltig  jucht  der  frohe  Kreis, 

So  oft,  mit  Goldpapier  gesekmttokt, 

Herodes  ans  dem  Fenster  nickt  — 

Oft  lauem  wir  im  wannen  Kittel 

Den  Füchsen  anf  mit  derbem  Knittel, 

Die  nnsre  HühnerstHlle  wittern, 

Wenn  hell  von  Frost  die  Sterne  zltteni, 

Ertappen  auch  den  Hasen  wohl, 

Der  sorglos  nascht  vom  braunen  Kohl. 

Geht's  einst  im  Schlitten  nach  dem  Wald, 

Wo  keines  Jägers  Hicfhom  schallt, 

Kehl  Dammhirsch  gras  t,  das  EleUiom  kaum 

Sich  seigt  im  hohen  Tannenbanm: 

Wie  lächelt  dann  im  Schnee  nnd  Stnrm 

Entgegen  nns  des  DOifchens  Thurm, 

Sobald  wir  wieder  heimwärts  lenken, 

Zn  mh'n  anf  nnsem  Ofenbänken! 


*)  ffBin  nicht  kostbares  Backwerk." 


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^  02  - 

Im  hMm  BtObehan,  eng  und  traut, 

Gicbt's  nufi  Kartoßeln  mit  der  Haut, 
Gesundes  Halbbier,  hat  man  Durst, 
Auch,  wenn  es  hoch  kommt,  frische  Wont.  . 
Dann  reiist  die  Mutter  GUnseledera, 
Und  zum  (Jeschnurr  von  SpinnenrUdem 
Erzählt  man  viel  von  j^ruusen  Sachen: 
DreifUTs'geui  Hasen  oder  Drachen, 
Der  tmaAg  in  den  Bchoretdn  springt, 
Und  Kancbeiii  Speck  imd  EHer  briagt; 
Selüttpft  dann  In't  Bettdieo,  hoehgethUrmt» 
Schuft  fester  nnr,  Jemebr  ee  ittlnnt, 
Und  will  um  aller  Füreten  Fracht 
Nicht  Wttchter  Beyn  in  aolcher  Nacht. 

(Abaaaach  ioinaiittMli4indlicfa«  Cto^^  asi— 8ft.) 


87.  Ländliche  WinterteeoMi. 

Nach  der  alten  Begel 

Ploh'n  die  Reisevögel 

LSngst  schon  in  die  Fremde. 

Wie  ein  weifses  Hemde 

Deckt  der  Schnee  die  Wintersaat, 

Und  der  kalte  Jänner  naht. 

Bings  Tom  SomienBeliimmer 
Eis-  und  Schneegeflimmer! 

Wie  die  Tannenzacken 
Von  der  Schneelast  knacken! 
Wie  der  Sturm  im  Dickicht  Uchzt, 
Wo  die  Dohl'  im  Wipfel  krächzt! 

Durch  yerdorrte  Stoppeln 
Sucht,  mit  Hnndekoppehi, 

Über  Heid'  und  Fluren, 
Nach  des  Wilddiebs  Spuren, 
Nun  der  .7:iger  mit  dem  Kohr, 
Oder  hetzt  den  Dachs  hervor. 

Drüben  eilen  Schlitten 
Nach  der  Heimath  Hütten. 
Wie  die  Pferde  raaehen! 
In  die  Hände  hauchen 
Sich  die  Wandrer,  weite  bereift; 
Denn  der  Schnee  im  Wege  pfeift. 


63 

Unter  Bauerfafifvem 
Hebt  auB  Ulmenroisem      >  •  . 
Dort,  mit  Kopf  und  Steine, 
Sich  des  Thurms  Laterne. 
Horch!  wio  schwach  die  Glocke  smgt, 
Weil  der  Schnee  den  Ödudl  verschiiD^ 

Auf  des  DorfeB  breiten,  . 
Waavergriben  gleiten, 
Unter  Kräh'n  nnd  Baben, 

■\Vilde  ßauerknaben; 

Und  so  kalt  der  Nordwind  stürmt,  • 

Wird  ein  Sehneemann  anigethttnnt. 

Still  im  Spinneratübchen 
Sitzt  daa  Baneriiebciien, 
,  Haq^eind  für  den  Bnlilen 
Garn  von  vollen  ^olen, , 

Der  sie  frei't  zum  Osterfest, 
Wenn  der  Froeoh  sicli  hfiiren  UUbt . 

1  Draulsen  wird  vom  alten  \ 

Vater  Holz  gespalten. 
•  Mutter  quirlt  indeasen 
Hehl  zum  Abendeaeen, 
Facht  xait  grauem  Flederwiaeh 
Kohlen  an,  und  deckt  den  Tisch. 

•     '     Lalst  das  Leichhuhn  immer  • 
Schrei'n  bei  Stemenschimmer! 
Lafst  den  Kobolt  spuken! 
Sind  doch  Krug  und  'Erokeu, 
Stüter  TroBtl  noch  voll  Eofent*), 
Und  der  Torf  im  Ofen  brennt! 
(Ahnaiiaeh  lOnMBÜBqh-iaitdtlBlier  ^GevUflde*!»  «1796.  a  186-189.) 

•   •   1  /: 

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.  •  *        *  «« 

tS,  Der  Wald  im  Wlnftar.         ?  j;  r  i  -.i 

Dicht  über  Eis  und  Fliiniuorflooken  wiegt 
Sich  nebelgrau,  umflorend  das  Gebüsch. 
Ist  s  müglich,  schöner  Wald,  bist  du  derselbe, 
Der  mich  im  Lenz  'entsflckt?  Kein  Bab*  umfliegt 
Mich  heut,  da  sonst  hi  Uebliobem  Gemiseh 
Hier  tausend  VOgldn  htxg  das  BlattgewQlbe. 


*)  I>Omi«a  Bier. 


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-  64  — 


Wie  wild  der  Nord  den  Tangelstranch  zerknickt, 
Und  Klumpenschnee  von  seinen  Nadeln  schlägt! 
Wie  todtig  ring-s!  hier  diese  leise  Fährte 
Hat  ani'  der  Flucht  ein  KUuber  eingedrückt, 
Den  ans  dem  Nest,  von  Dornen  eingeliägt, 
Der  PeitBCbe  Knall,  das  Horn  der  Treibjagd  störte. 

In  ihrer  Grub'  im  Büchclforste  bannt 

Der  .THnnorfrost,  trotz  grimmer  Ilungersnoth, 
Schon  laii^^e  fest  das  Schmalthier  und  den  Keuler. 
Dem  Kölil<  r  selbst  erstarrt  die  Schwielenhand; 
•  Vergebens  lordem  Weib  und  Kinder  Brodt; 

Verlassen  steht  der  halbgethürmte  Meiler. 

Wie?  ist  es  Zauber?  —  blntg^fKrbter  Sehneel 

Und  hie  und  da  noch  Reste  von  Gebein!  — 

Ein  Streich  votn  Fuchs  und  seinen  Raubknmponen. 

Ha!  locktet  ihr  das  unbesorgte  Keh 

Mit  List  in  diesen  Hinterhalt  hinein? 

0  hütet  enchl  der  Förster  wird  es  ahnen. 

Doch,  Wandrer,  nicht  sa  wdt!  denn  dicker  wird 

Der  Xebeldilft;  die  Sonne  schwand  hinab; 

Noch  bringt  zum  Dorf  dich  fem  er  Hunde  Blaffen. 

Well  dem,  der  bin^^'  in  dieser  Wildnifs  irrt! 

Er  findet  leicht  bey  Nacht  sein  kaltes  Grab, 

Wenn  tief  im  Schnee  ihm  Knie  und  Muth  erschlaffen. 

(Ahnanach  der  Mnsaii  und  QiaiieB  lOr  daa  Jahr  1808.  a  167--1W.) 


Franz  Freiherr  von  Gaudy. 

Qeb.  19.  April  1800  zn  Frankfurt  a.  0.  «Is  Sohn  eines  preursiscben  Generaneatnsnta, 
besuchte  daa  CoUöge  fran^ais  in  Berlin,  dann  die  K!oRt<  rsrhnle  zu  Pförta,  die  er  mit 
dem  Zeugnis  der  Keife  vorliefs;  trat  in  daa  1.  Garderegiment  zu  Potadam  ein,  nahm 
aber,  da  er  ea  in  15  Jahren  nicht  über  den  Rang  eines  Leutenanta  hinaus  gebracht 
hette,  1888  Mliieii  Abiehied  imd  lehta  in  BerUn  littttrariaehen  -Studien.  Oeiterben 

6.  Fehrau  1840. 

Berlioer  Mai. 

Der  Nachtigall  und  der  Zeisig, 
Die  leiden  am  Schnupfen  boid', 
Verlcriechen  sich  stumm  in  lieisig 
Und  etrlnben  ihr  Federkleid. 


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—  65  - 

Blaisgrliue  EichenblUtter, 
'  Sie  zittern  nackt  und  blofs; 

Gern  krochen  ^Ae  bei  dem  Wetter 
Znrttek  in  dea  Knospen-Schoote. 

Es  fror  von  der  Kastanie 
Die  BlUtlic  starr  uud  steif, 
Denn  als  sutyrische  Frang-e 
Umspielt  sie  Schnee  und  Keif. 

Doch  wenn  auch  die  VOgel  Terstommen, 

Rollt  auch  der  Frost  das  Blatt  — 

M;iik;iCer  siiTmiion  und  bronunen 
Diensteifrig  vor  der  Stadt. 

Maikäfer,  drei  ganze  Dnteend', 
LiefB  schwärmen  die  Poiizci, 
Sonst  wähnten  Berliner  statsend: 
Verboten  wäre  der  Mai. 

(Poetische  nnd  prosaische  Werke  hersnsg.      Arthur  Muellw.    Berlin  1858. 
1.  Baad,  a  14  fg.) 


Fr.  Brunold. 

Fseadonym  Iflr  Augast  Ferdinand  Meyer. 

Geb.  am  19.  Noyember  1811  sn  Pyrits  in  Pommern,  Lehrer  in  Stettin,  spftter  eine 
ganse  Reibe  von  Jahren  in  Joaehimsthal  in  der  ückennaik,  wo  er,  nachdem  er 
Ostern  1879  in  den  Bnhestaad  getreten  war,  am  27.  Februar  1894  starb. 

1.  Der  Werbellio. 


Wie  «'in  ( Jitltesauji;«'  trl'iti/cct, 
Drüber  dunkl«!  Brauen  ;^'lilh'ii, 
Lieg-t,  von  Berg  und  AVald  umkrlinzet, 
Märchenhaft  der  Werbcllin. 

Und  das  Xobclkinfl,  die  Sage, 
Schmücket  ihn  mit  Blüth'  und  Kranz, 
LUngst  vcrgoss'n«'  schöne  Tage 
Steigen  auf  in  vollem  Glanz. 

Anf  der  Flut,  in  Abendfeier, 
Schwimmt  ein  Schi£f!ein  sonder  EU*, 
Branngelockten  Haar's  am  Steuer 
Lebnet  Otto  mit  dem  Pfeil. 

ÄMCh. 


lleihvig,  seines  lleiviMis  Minne, 
Seii.dit  ihn  Iilauen  Auges  an, 
L  nd  <'s  geht  ihm  durch  die  Sinuc, 
Was  sie  einst  fUr  ihn  gctban. 

Wie  sie  ihn  aus  Haft  und  Banden 
Jüngst  belleil  durch  Muth  und  List 
Vi'wsi  nnd  Held  er  seinen  Landen, 
Dichter  üir  geworden  ist. 

Lieder  tOnen,  Harfen  klingen!* 
Und  ein  Stern  vom  Himmel  fällt. 
Ferner,  femer  schallt  das  Singen, 
O,  wie  schön  Ist  doch  die  Welt. 

6 


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Well*  auf  Welle  schäomt  zur  Stande, 
Mond  vollendet  seinen  Lauf, 
Ana  vemmk'ner  Stadt  Im  Oronde 
Laaten  Glocken  dumpf  herauf. 


Wie  ein  Gottesaiige  glUnzet, 
Draber  dunkle  Branen  glllh'n. 
Liegt,  von  Bei^  und  Wald  nmkrSiixet, 
Mttrebenbaft  der  Werbellin. 


Wal(i  und  See  im  Wolkeiulonkel! 
Trugen  Flug's  ein  Weihe  dort, 
Stille  rings  —  dann  Sterngefankel, 
Und  die  Sterne  läuten  fort. 

(Gedichte.  Dritte  Auflage.  ZOrich  und  Stuttgart  1887.  B.  4  u.  (».) 


2.  Denkst  du  des  Tags? 

Denkst  du  des  Tags?  Es  war  sor  Sommerzeit; 
Wir  ftahren  durch  den  Wald,  den  dicht  belaahten, 
Weglos,  wie's  Frohgemut  so  gerne  thut  — 
Wir  Sttnger,  die  wir  zwanglos  uns  gefhnden 

Auf  Kaiserjagdgninrl,  n;u'h  Ilubortusstock  — 

Wo  Kaiser  AVilheliu  oft,  der  sieggclcrönte. 

Mit  seinen  Paladinen,  jagdfrob,  jagte. 

Es  lag  vor  uns  die  Kanzel,  wo  der  Herr 

Vielmals  gestanden,  weidreeht,  Wild  eiiej^end. 

lOin  Blick  dorthin,  und  elr  ein  Wort  ge.sproclien, 

Wur'n  wir,  als  künui'  es  gar  nicht  anders  sein, 

Ein  Lied  anhebend,  singend  aueh  schon  droben. 

Wie  feierlich  klang*s  durch  die  Sommerfirische, 

Im  Waldeadom,  das  Eiehendorfl^che  Lied: 

,Wer  hat  dich,  Wald,  so  hoch  erbaut  hier  droben," 

Indes  zu  lausenden  die  Hirsche  gingen, 

Im  Waldgrund,  rudelweis,  wie  andachttranken. 

Wer  es  erlebt,  vergessen  wird  er's  nimmer. 

(Jesegnet  wird  die  Stunde  stets  ihm  bleiben; 

(Jeheiligt  ihm  der  Tag,  die  Stunde  sein. 

leh  lenke  heimwärts  meinen  Wandersehritt. 

Die  Ilirbchc  ziehen  wieder  rudelweis 

Zur  kUhlen  Flut  des  schönen  Werbellin, 

Indes  im  Waldesrauschen  mir's  erklingt. 

Wie  damals:  Lebewohl!  du  schOner  Wald! 

O,  lebe,  lebe  wohl!  —  Denkst  Du  des  Tags? 

(Der  Bftr.  lUustrierte  Wochenschrift  fOr  vaterlttndische  Geschichte.  XIX.  (1893.) 
8.  287.J 


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-  67  - 


3.  StUUeben. 


Thahvärts  liegt  ab  vom  Wege 
Das  Dorf  im  m;iik'sclien  Sand, 
Als  wUren  Schicksalsschläge 
Hier  vüllig  unbekannt. 

Stillleben  heiCst's,  und  fiachtig 
Das  Aug'  darüber  schweift^ 
Als  wUre  eitel  nichtig", 
Was  durch  den  öinu  hier  läuft 

Das  Vieh,  die  Haasgenoflseii, 

Der  Storch  im  Nett  fehlt  nicht; 

Im  Teich,  wie  ausgegossen, 
Sich  spiegelnd,  Sonnenlicht. 

Gleich  bleibt  sich  Jahr  und  Stunde, 
Der  Tag  geht,  wie  er  kam, 
Und  doch  wie  bracht*  die  Konde, 
Dada  Krieg  sei,  hier  auch  Gram. 

Wie  hat  der  Sohn  gelehnet 
Sich  an  die  Mutter  an, 
Wie  war  das  Aug*  bethrttnot 
Dem  braven  Landwchrmann. 

Wie  hat  die  Arm"  geschlungen 
Er  um  sein  Weib  und  Kind, 
Schmerzvoll  auch  hier  erklungen 
Die  Absehiedslieder  sind. 

Wie  wurd'  auch  liier  gelauschet 
Auf  jeden  Kriegsbericht, 
Wie  Wort  um  Wort  getauschet, 
Wo  fehlte  Nachricht  nicht. 


Und  als  sie  heimw.'irts  kehrten, 
Durch  Sieg  und  Kuhni  b«'<7läckt, 
Wie  war  für  die  Geehrten 
Ein  jedes  Haas  geschmückt. 

Nur  drüben  in  der  Htttte 

Ein  Mädchen  weinte  dort, 
Sie  lenkte  ihre  Schritt«' 
Nicht  zum  Begriiisungsort. 

Den  sie  in  heiftem  Lieben 
Getragen  in  der  Brust, 
Der  war  bei  Toul  geblieben, 
Des  Dorfs  einz'ger  Verlust 

Nicht  Kohl*  und  Feuer  brennen 
Ver8ehwteg*ner  Liebe  gleich  " 
Nun  macht  der  Tod  ihn  nennen, 
Ob  arm  sie  —  und  er  reich. 

Nun  haben  ihre  Schmerzen 
Sie  allen  gleich  gestellt 
£8  wogt  in  jedem  Herzen 
Der  Fulsschlag  einer  Welt 

Es  klopft  in  jedem  Kaume 
Der  Stnndenschlag  der  Zeit, 
Darüber  wie  im  Traume 
Woget  Unendlichkeit 

ThalwHrts  lief^-t  ab  vom  Wege 
Das  Dorf  im  uKirk  schen  Sund, 
Als  wären  SchicksalsscblUge 
Hier  völlig  unbekannt 


Die  Sonnenstrahlen  dehnen 
Sich  Uber  Dort  und  Feld. 
Auch  hier  Glück,  Freud'  und  Thräncnl 
Stillleben  nennt's  die  Welt. 
(Gedichte.   Dritte  Auüago.   Zarich  u.  Stuttgart.    1887.   S.  84—80.)* 


4.  Herbststinimen. 

Herbstgefilde !  Morgenfri.schel 
Neblich  rings  die  weite  Welt; 
ürUnroth  ranken  Hronibcc  rreben 
Thaugetränkt  im  Stoppelfeld. 


Tief  am  See  in  lidheni  Si  hilfe 
Gellend  laut  Kibitzc  sehn  i  n: 
Wilde  Enten,  hoch  mn  ilimmel, 
Ziehen  fort  in  hingen  Keih'n. 


6* 


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-  r,8  — 


Der  Wind  pfeift  bohl  und  eisig 
HIb  fiber  den  Oden  Raum, 
IMe  Sperlinge  sitzen  za  Hänfen 
Im  alten  Weidenbaam. 


Die  alte  Ertlhe  im  Gipfel 
Verktlndet  schreiend  Gefahr, 
Und  bin  zum  nächsten  Banme 
Zieht  sehwirrend  die  Sperlingsschaar. 


Schnell  ttber  die  Stoppelfelder 
Schreitet  ein  Wanderer  hin, 
An  seinem  Leibe  flatternd 
Die  Sommerfllden  zlebn. 

(Gedichte.  Diitte  AofUge.  Zdrich  n.  Stattgait  1887.  &  278.) 


(.  vnntaniacht 

Mondlioht  anf  der  Haide  liegt, 
NachtflXMt  sich  anf  Windhaim  wiegt; 
Droben  glänzt  der  Sterne  Schaar 
Hoch  am  Himmel,  hell  nnd  klar. 

Einsam  rings  im  üden  liaum 
Sffdi*  Ich  still  am  Fiditenbaom; 
Über  meinem  Hanpte  zieh*n 
KrähenzOge  schwirrend  hin. 

Windhauch  kalt  dureiiseliüttclt  mich  — 
Herz,  mein  UerzI  wie  winterlieh! 
Öde  Heide,  weit  nnd  hni% 
Winter  In  mir,  um  mich  hent 

(Gedichte.  Dritte  Auflage.  Zflrieh  a.  Stuttgart  1887.  8. 283.) 


Die  'raiinenhäuiue  wiegen 
Uli'  ir;iu|»t  so  M)r<jfeusc]iwcr ; 
Aul'  allen  Zweig«,'!»  liegen 
Schneeflocken  rings  umher. 

Kein  Vogt-l  lälsl  ssicli  hören, 
M'ii  C  still  ist's  in  ih'm  Wald; 
kiiigs  um  die  idtfu  Fi'ilircn 
Liegt  Winter  rauh  und  kalt. 

Im  Wald  lierrseht  lu-ilig  Schwelgen, 

Keiri  Sriinictistralil  ilin  traf  — 
Dil'  P.äuine  sich  trauernd  neigen 
Zu  langem  Wintc-rschlal'. 

(Qcdicbte.   Dritte  Auflage.   Zürich  u.  Stuttgart  1887.   S.  282.) 


6.  Winterschlaf. 


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—  69  — 


9.  Am  Moor. 

Es  wiegen  die  Wasserbinsen 
Sielt  tief  in  dunklem  Moor; 
Die  kalten  Abendwinde 
Raaaeln  in  reifem  Bohr. 

Das  Heer  der  wilden  Enten 
Bricht  scheu  ans  dem  Schilfe  jetzt; 
Rohrdommel  sich  diclit  am  Stamme 
Der  gekappten  Weide  Betzt. 

Sie  schaut  nach  den  dunklen  Hnmmeln, 
Die  auf  dem  Wasser  sind, 
Die  Enten  ziehn  am  Himmel, 
Im  Kohrc  rasselt  der  Wind. 

(Ctodicbte.  I>ntte  AoOage.  Zftiicli     ätattgart  1887.  S.  280.) 


8.  Friedhof  im  Walde. 

Vom  Dorf  entfernt,  im  Fichtenwald, 
Wcgab,  thalwUrts,  waldein  • 
Liegt,  ringsum  Föhren,  ^'^rau  und  alt, 
Ein  Friedhof,  eng  und  l<lein. 

Am  Krenze  Moos  und  Moos  am  Zaon, 

Kein  Laut  die  Ruh'  durchbricht j 
Altklugen  Aug's  hinUberschau'n 
Die  Reh'  im  Hondenlicht. 

Die  Todten  längst  vergessen  sind, 
Kein  Name  lebet  fort; 
Man  trog  schon  Kind  nnd  Kindeskind 
Zorn  Friedhof  dicht  am  Ort. 

Schlaftrunken  riii^rs  die  Fichten  steh'n, 
Die  Rehlein  schau  u  darein  — 
Der  Herr  scheint  durch  das  Thal  za  geh'n, 
Es  kann  nicht  stiller  sein. 

Vom  Dorf  klingt  Abendläuten  het; 
Der  Ton  ruft:  Weihnachtszeit! 
Am  Friedhof  wird's  Xacht  mehr  und  mehr, 
Diclittiockig  still  es  schneit. 

(Gedichte.   Dritt«  Auflage.  ZOrich  u.  Stuttgart  1887.   8,  284.) 


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Karl  Weise 


Geb.  am  10.  November  1S13  zu  Halle  a.  >  ,  orU  rnte  das  I  »rcohslerhandwerk  und  Ii»  ,  ■« 
sich  nach  längerem  Aufenthalt  in  Frankfun  a.  M.,  Lübeck  und  Berlin  in  Freien- 
mlde    0.  als  Dredutonndster  nieder,  wo  er  am  31.  Ittn  1888  starb.  „Freieiiwalder 

Wh«  Sadia.** 


L  Das  kUngende  FIteb  am  Schlobberg. 

Was  tOnt  diirdi  die  nXchtiicfae  Stffle 
Herfiber  an'a  Uuuehende  Obr? 
Dort  dringt  es  ans  scfawiizlicher  Hfllle 

Umwaldeter  Berge  hervOT. 

Laut  stimmt  es  die  Seele  zur  Freade, 

Leis'  weckt  es  Gefühle  so  bang. 

Erst  t"«nt  es  -wie  AbendgelUute, 
Daun  rauächeud  wie  Kirchengesang. 

Einst  lauschte  dort  Abends  ein  Sänger. 
Das  freundlichste  Plfttzchen  der  Flnr, 
Es  fesselt  den  Lauscher  nicht  länger, 
Er  sachte  des  Klingenden  Spur. 
Vom  prangenden  Teppich  der  Felder 
Verschwand  er,  die  Harfe  zur  Hand, 
Hinüber  In  s  Dickicht  der  Wälder, 
Hinwandelnd  auf  felsiger  Wand. 

Was  klingt  hier  aus  duftenden  Gründen? 
Ein  Bächlein  mit  flinimcnidcm  Glanz; 
In  reizenden  Schlaugengewinden, 
Die  Wellchen  holdkrttnseind  im  Tanz, 
Durchzieht  es  bewaldete  Strecken, 
KlUst  Veilchen  im  Rasen  und  Moos; 
Ihm  Oflhen  bei  knospenden  Hecken, 
Zwei  Hflgel  den  blühenden  Schooft. 

Wildwachsende  Rosen  zu  frischm, 
rniflnt«  t  <  »Ii-'  X.'sseln  am  Steig; 
Wallt  atuvärts  y.u  KrN  nir^^Kiisehen, 
Noch  tiefer  zu  Ilasel/^-^t  /w .  i-j^; 
Nun  hüplt  es  von  Klipjt.  n  zu  Klippen 
Hinunter  zur  blomigen  Au', 
Empfangen  mit  schmachtenden  Lippen, 
DnrcbAinkelt  vom  himmlischen  Blau. 


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-  71  - 

Der  Sänger  zop:  f^egen's  Gefalle, 
Bis,  wo  es,  von  Bergen  umringt, 
Auf  wonniger  heiliger  Stelle 
Verborgener  Tiefe  entspringt; 
Bis,  wo  es  in  labender  Friselie, 
Von  kosenden  Blflmcben  nmechmflckt, 
Ans  lieblichem  Farbengemische 
Die  blühenden  Flnren  erblickt 

Auf  grünenden,  bügelnden  Matten, 
Von  rauschenden  Buchen  begränzt, 
Wo  Birken  die  Quelle  beschatten. 
Wo  Epheu  sie  dunkelt  und  kränzt, 
Hier  lieb  er  die  Harfe  erklingen, 
Eier  sang  er,  von  Andacht  dnrcbglttht; 
Der  Banger,  die  Quelle  sie  ringen 
Dem  ewigen  SchOpfer  ihr  lied. 

In  Kronen  des  Waldes  versunken 
Sinkt  tiefer  und  tiefer  hinab 
Die  Sonne,  ein  leuchtender  Funken, 
Hinunter  in's  purpnme  Grab. 
Nnn  prangen  in  perlender  SdiOne 
Die  Floren,  o  WonnegennDi! 
Es  kOhlt  rie  die  himmllsdie  Thrllne, 
Es  netzt  sie  der  gOttUche  Enb. 

Es  setzt  sich  der  Sänger  zur  Quelle, 
Die  ninnuer  und  nimmer  verstummt, 
Die  ewig,  ob  dunkel,  ob  helle, 
Ihr  Lied  dem  Allmächtigen  snnunt. 
ErzSble,  Dn  Tränte,  erzähle, 
Was  hast  Du  erlebt  nnd  geschaut? 
Vertrau'  es  der  denkenden  Seele, 
Date  sie  es  dem  Liede  vertraut 

ErzHhle  aus  glücklichen  Zeiten, 
Wo  Götter  Dich  kosend  umlauscht, 
Wo  herrlich,  zum  Spiele  der  Saiten, 
Hier  Bardengesänge  gerauscht 
Erzähl'  aus  verflnsterten  Tagen, 
Entries'le  aus  schaurigem  Grund 
Urstoffe  graus  klingender  Sagen, 
An  Wundem  so  reich  und  so  bunt  — 

(Gedichte.  Brater  Band:  Blumen  dorWAlder.  Zur  Erinnerung  an Fieyenwaldes 
Fliuren.  Freyenwalde  v.  J.  S.  12— 1&) 


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72  - 


2.  Die  heiligen  Halleo, 
(GeeaogweiM:  Lobe  den  Heizen.) 

Sterbliehe  P%er,  die  Hallen  dem  GOttlfehen  banen, 
Kommetp  die  Hallen  ans  göttlichen  HSnden  za  sehanen! 
Pilger  erwacht! 

Wenn  sie  bei  ^forgenrots  Pradit 
:,:  Himmlische  Thränen  bethanen.  «,: 

Herrliehe  Sttolen,  hoch  raoaehfe  in  den  Wipfeln!  dort  IBaten 
Mahnend  die  Glocken,  den  grünenden  Dom  ta.  dnrehflchreiten. 
Bleibe  nicht  fem, 
Wo  sich  die  Anne  des  Herrn 
Ueber  die  Betenden  breiten! 

Heilige  Stille!  —  Wer  predigt?  Es  tönt  in  der  Tiefe 
Fühlender  Seelen,  als  ob  der  Allmächtige  riefe! 
HOrst  Du  es  nicht? 
Ja,  der  Allmächtige  spricht: 
:,:  .Wandle  gerecht,  denn  i<di  prttfe*. 

Wo  Dich  die  Säulen  des  GiUtliclien  blühend  umwallen. 
Lais  auch  Dein  Loblied  dem  Göttlichen  blühend  erschaüen! 
Jauchzend  dem  lierni, 
Pilger  von  nahe  und  fem 

Zieh't  dnrdi  «die  heiligen  Hallen!*  :,: 

(Gedichte.   Erster  Band:  Blumen  der  Wftlder.   S.  C7.) 


Emanuel  (von)  GeibeL 

Geb.  18.  Oktober  1815  za  Lflbeck,  empfängt  sdne  Bildung  auf  dem  Katharineom 
sehier  Vaterstadt,  ividmet  sieh  in  Bona  nnd  iptter  in  BeiUn  dem  Btadiom  der  klassi- 
schen litteratnr,  wird  HansMirer  bei  dem  nissischen  Oessadten  in  Athen,  bereist 

mit  seinem  Freunde  Emst  Curtius  die  griechischen  Inseln,  widmet  sich,  in  seine  Vater^ 
Stadt  zm-ückgekehrt  nnd  IS}:?  vom  Könitz  Friedrich  Willieltn  IV.  durch  ein  lebens- 
längliches Jahrgehult  geehrt,  ganz  der  Diditkuiist.  Vom  Konig  Maximilian  II.  von  Bayern 
1852  nach  München  berufen  und  mit  hohen  Auszeichnungen  bedacht,  kehrte  er  nach 
dessen  Tode  1868  nach  Lflbeck  sarttck,  wo  er  am  G.  A|Ntü  1884  starb. 

Sanssouci. 

Dieis  ist  der  Knnifr>^iiark.    I\in<,'-s  Ulinine.  lilumen,  Kasen; 
Sieh',  wio  ins  Museliclliorn  di«'  Strintritoiifn  blasen, 
Die  Nymphe  spiegelt  khtr  sich  in  des  lierkeiis  Sehol's; 
Sieh  hier  der  Flora  Bihl  in  holier  Kos«  n  Mittm, 
Die  Lttubeugäüge  sich,  so  re^airecht  ge^schnitten, 
Als  würcn's  Verse  Boileaa's. 


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~  73  - 

Vorbei  am  lntt*gm  Hnb,  toU  fremder  YogfMmausa, 
LaA  uns  den  Htng  empor  zu  den  TernuMen  Uimmen, 
Die  der  Orange  Wneha  mnkrttnzt  mit  lUbem  Grün} 
Dort  obm  ragt,  wo  IHsch  sich  Tann'  und  Bache  nüscfaen, 

Das  schmucklos  heit're  Schlofs  mit  breiten  Fenstemischen, 
Darin  des  Abends  Feuer  glfibn. 

Dort  lohnt  ein  Mann  im  Stuhl;  sein  Haupt  ist  vorgesunken, 
Sein  blaues  An^o  sinnt,  und  oft  in  hellen  Funken 
Entzündet  sieh'b;  so  sprüht  aus  dunkler  Luft  ein  Blitz; 
Ein  dreigespitzter  Hat  bedeckt  der  Schlttfe  Weichen, 
Sein  Krückstock  irrt  im  Sand  nnd  schreibt  verworme  Zeichen  — 
Nicht  irrst  du,  das  ist  KOnIg  Frita. 

Er  sitzt  und  sinnt  und  schreibt.  Kannst  du  sein  Brttten  deatenV 

Denkt  er  an  Kunersdorf,  an  Roftbach  oder  Leuthen, 

An  Hochkirehs  Nacht,  (iurchgflUht  von  Flammen  hundertfach? 

Wie  sie  so  roth  geglUnzt  am  Lauf  der  Feldkanonen, 

Indes  die  Reiterei  mit  rai'selnden  Schwadronen 

Der  Grenadiere  Viereck  bracht' 

Schwebt  ein  Gesets  ihm  vor,  mit  dem  er  weis*  und  milde 
Sein  sebiacfaterstarktes  Volk  sa  schOner  Menschh^t  bilde, 
Ein  FHedensgmte,  wo  Jüngst  die  Kriegespaoke  scholl? 
Ersinnt  er  einen  Beim,  der  seinen  Sieg  verklXre, 
Oder  ein  Epigramm,  mit  dem  bei  Tisdi  Voltaire, 
Der  Schalk,  gezüchtigt  werden  soll? 

Vielleicht  auch  treten  ihm  die  Bilder  nah,  die  alten, 
Da  er  im  Mondenlicht  in  seines  Schlafrocks  Falten 
Die  suiiiic  Je  lüt"  ergrül",  des  Vaters  Ärgernis; 
Des  treaen  Freandes  Geist  will  er  heraaf  beschworen, 
Dem  —  ach,  am  ihn  —  das  Blei  aas  sieben  FeaerrOhren 
Die  kühne  Jflnglingsbrast  zerrift? 

Träumt  in  die  Zukunft  er?  Zeigt  ihm  den  immer  TOllem, 
Den  immer  kühnern  Flug  des  Aars  von  Hohenzollem, 

Der  schon  den  Doppelaar  gebiinrligt,  ein  Gesieht? 
Gedenkt  er.  wie  d«  reinst  ganz  Deutschland  hotl'end  lausehe 
l  ud  bangend,  wenn  tlaher  sein  schwarzer  Fittich  rausche? 
O  nein,  das  alles  ist  es  nicht. 

Er  morrt:  ,0  Schmerz,  als  Held  gesandt  sein  einem  Volke, 
Dem  nie  der  Mose  Bild  erschien  aof  goldner  Wolke; 
Aagost  sein  aof  dem  Thron,  wenn  kein  Horaz  ihm  singt! 
Was  hilft's,  vom  firemden  Schwan  die  weillien  Federn  borgen! 
Und  doch,  was  bleibt  uns  s^uist?      Erschein,  ersehen,  o  Morgen, 
Der  ans  den  Götterliebling  bringt!'' 


L.iy  M^cvJ  cy  Google 


—  74  — 

Er  spricht* 8,  und  ahnet  nicht»  dafli  jene  MorgenrOthe 
Den  Horizont  schon  ktUIrt,  daft  schon  der  jnn^  Goethe 
Mit  seiner  Rechten  fast  den  vollen  Krans  berührt. 

Er,  der  das  schouc  Kind,  noch  roth  von  süfscm  Schredien, 
Die  deuteclic  Poesie  aus  welschen  Taxnshecken 
Zum  freien  Dichterwalde  fUhrt. 

(Gedidkte.  72.  Auflage.  1873.  a  317.) 


George  Hesekiel. 

Geb.  am  13.  Aogost  1819  sa  Halle  als  der  Sohn  des  Genendsnperintendentea  und 
Dichten  FHedridi  Hesekiel,  empfing  seine  Schnlbilduig  in  s^er  Vaterstadt  und  aaf 
der  Klosterschnle  m  Borsleben,  studierte  zuerst  Thcnlorrje.  dann  Geschichte  und 
Philosophie  und  {fing  noch  als  Student  zur  litterarischen  Laufbahn  über.  Lan^ro  Jabrt* 
war  er  ßedaktear  der  Neuen  Preursischen  (Kreuz-)  Zeitung  in  Berlin,  wo  er  am 

26.  Februar  1874  starb. 


I.  Zwischen  Sumpf  und  Sand« 


Gott  griiis'  Dich,  mMrldsche  Haide 
In  heilem  Sonnenglanz, 

In  grün  und  grauem  Kleide 
Und  dunkler  Kiefern  Kranz! 

Wie  wogt*s  von  edeln  Düften 
Von  Harz  und  Haidekraut! 
Und  drüber  in  den  Lüften 
Wie  wirbelt's  da  so  laut! 

Die  blauen  Glöckchtji  lauten, 
In  Waffen  steht  der  Dorn, 
Die  Bienenschwärme  beuten 
In  Schwad'  und  Haidekom. 

Es  summt  und  surrt  geschäftig  — 
Ileimlieh  Wallen  und  Weli'n  — 
Die  Sonne  spie<;eit  sich  prUchtig 
In  tiefen  blauen  See  n. 

Im  Sande  lialli  begraben 
Der  hohlen  Weide  Stumpf, 
Die  Lijide  st<>lii  <  rb;(I)cn, 
Die  Erle  still  im  Sumpf. 

Die  Sagen  werden  lebendig, 
Die  grauen  Zeiten  jung, 
Die  Ilaide,  sie  ist  beständig 
Und  hat  Erinnerung. 


Die  Kiefer  senkt  am  Brudie 
Den  Wipfel  wie  im  Schlaf, 
Als  trUumt  sie  von  dem  Fluche, 
Der  einst  die  Wenden  traf. 

Hier  an  der  Hügelwange 
Da  riefen:  Waidmanns  Heil! 
Schon  Markgraf  Hans  der  Lange 
Und  Otto  mit  dem  Pfeil; 

Dem  ist  manch'  Lied  erklungen, 
Wenn  Liebe  ihn  verwund't. 
Hier  hat  er  sttlb  besungen 
Manch  sttfSen  rothen  Mund. 

Und  seine  Minnelieder, 
Hier  kling-en  leis'  sie  fort, 
Das  Weh'n  und  Flüstern  wieder 
Wird  sein  melodisch  Wort. 

Dort  auf  dem  Damm,  dem  langen, 
W^ogto  die  grimme  Schlacht, 
Die  zornigen  Pommern  zwangen 
Mai'kgral'  Ludwig  s  Macht. 

Und  ttber'n  Wald  herüber 
Zwei  stumpfe  Warten  seh'n, 
Die  Quitzow's  Uedsen  drüber 
Ihr  Stemenbanno'  weh'n. 


Digitizüu  by  C(.)0^1e 


75 


An  jener  grttnen  Schanze, 
Wie  tehlng  der  Derffling  gat! 

Da  brach  im  blut'grai  Tanze 
Der  Schweden  Uebeirnnth; 

Da  fuhren,  wie  eiserne  Wetter, 
Brandenburgs  Reiler  darein, 
Und  ihr  Trompetengeschmetter 
Brans'te  dnreh  Hark  mid  Bein. 

Dort  auf  der  schlanken  Spitze 

Am  fernen  Horizont, 

Dort  hat  mit  Fricdrich's  Blitze 

Sein  Adler  sich  gesonnt. 

(Zwischen  Sumpf  und  Sand.  Vi 


Im  Kirchlein  dicht  daneben 
Ward  eine  Schaar  geweiht 
Zum  Kampfe  für  das  Leben 
Und  die  Unsterblichkeit 

Vom  Kirchlein  auf  der  Haide, 
Wo  sie  den  Segen  nuliui, 
Zog  sie  im  schlichten  Kleide 
Mnthig  naeh  Notre-Damet 

Was  Alles  einst  gewesen, 
Schrieb  eine  feste  Hand, 
Wer  Augen  hat  zn  lesen, 
Zwischen  Sompf  und  Sand. 

dische  Dichtungen.  Berlin  1868.  S  1—4.) 


&  Auf  märkiscber  Halde. 

I. 

Hast  Da  die  Haide  gesehen» 
Wenn  die  Stfinne  im  Herbste  wehen? 
Die  Kiefern  sich  tröpfelnd  neigen 

Mit  regenschweren  Zweigen? 

Die  Thiere  fröstelnd  im  Lager  liegen, 

Die  Wolken  zerrissen  darüberfliegen? 

Die  Raben  am  Dnrncnhago 

Mit  schwerem  Flügelschlage 

Und  iieibrrni  Schrei 

Rudern  vorbei? 

Hast  Da  die  Haide  gesehen? 
Den  Hond  darttber  stehen 
Mit  fahlem  licht 

Und  unbewegtem  Angesicht, 

Wenn  die  Nebe^  sich  heben 

Und  wallen  und  weben 

Uei)cr  dem  Luch 

Ein  Leichentuch? 

Ferne  verhallend  ein  Tlunilen^ebell 

Und  ein  Lichtstrahl  \ erschwiudcud  schnell! 

Ich  habe  die  Haide  gesehen 
Im  Herbst  an  solchem  Tag, 
Da  mocbt*  ich  ancfa  verstehen, 
Was  leise  sie  zu  mir  sprach. 


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Vor  sechs  und  fünfzig  Jahren 
Ein  Herbsttag  war's  wie  heat, 
Da  hat  die  Halde  erfahren 
Ein  bitter  Herzeleid. 

Da  stoben  über  die  Haide 
Die  Trümmer  von  Friedrich's  Armee 
Der  Sturm,  der  heulte  sein  Leide, 
Die  Kiefern,  sie  bebten  vor  Weh. 

Durch  märk'sche  Haide  flogen 
Die  raschen  Wagen  dahin, 
In's  Unglück  fortirezogen 
Die  schone  Königin. 

Die  bange  Mütter  im  Wagen 
Zwei  Knaben  h&tt  sie  mnfaftt. 
Die  sollten  einst  Beide  tragen 
Der  KOnigskrone  Last. 

Hinüber  Tielgestaltig 
Jagte  die  schreckliche  Flucht, 
Nachraaeelte  gewältig 
Des  Frankenheeret  Wucht 

Blutend  und  zerrissen 
Hinsank  das  Vaterland, 
Da  barg  das  Preuisengewissen 
Sich  tief  in  Sunij  i  und  Sand. 

Da  zuckt'  es  über  die  Ilaide, 
Da  raschelt's  im  Schilf  am  See  — 
Wir  tragen  um  l'reufsen  Leide, 
Wir  rufen  um  PreuüBcn  Weh! 

n. 

Tiefer  Schnee  liegt  auf  der  Haide, 

Schwarz  vom  Kiefernwald  umkränet» 
l'nd  als  trüg'  sie  selber  Leide 
Matt  die  Sonne  niedergUluzt 

Ob  der  Eiche  kahl  und  dflster 
Sich  die  Dohle  krUcbzend  wi^ft, 

Um  den  nackten  Zweig  der  Rüster 
Sich  der  Baahreif  duftig  schmiegt 

Ueber  glatte  Wegesstrecke 
Qner  des  Wildes  Fährte  länft, 
Mächtig  an  der  Domenhedte 
Sich  der  Schnee  im  Winde  häuft. 


—  77  — 


Wald  uiul  band  und  krumme  Lauken, 
Alles  gleich  in  Eis  und  Schnee, 
Wie  wir  Alle  im  Gedanken 
An  des  Vaterlandes  Weh. 

Schwoigond  lieg-t  die  märk  sclic  Haide, 
Dicht  ^^chüilt  iu's  Sclint'f<^c\vaiid, 
Schweigend  liegt  in  seinem  Leide 
Still  das  ganze  Vaterland. 

Und  der  Fremde  t,'-laul>t's  begraV)eu, 
Und  di  r  Fronide  {glaubt  es  todt  — 
Uei!  zum  Lelelienschmauü  die  Huben 
Krttcbzen  schon  das  Gastgebot. 

Df»eh  die  Haide  ist  an!"  Wache 
Unter  weiiseni  Leichentuch. 
Und  die  p^rinnne  Prenisenraehe 
Flüstert  ihrcü  leisen  Sprueb. 


m. 


r)a  war  der  Lenz  pfekommen 
i'iiichtig  iu  Grüu  und  Gold 
Und  hat  auf  Lnch  nnd  Haide 
Sein  bnntcs  Banner  entrollt; 
Ihm  gingen  die  zarten  Schäfchen 
Am  Weidenbanme  vorauf, 
Am  Domenhage  die  Blttthen 
ErrOthend  sprangen  sie  auf. 
Balsamisch  wog-tcn  die  Düfte 
Uelier  das  feuchte  Kevier, 
Die  alten  »Störclie  bezogen 
Freiiiliir  das  alte  (Quartier. 
In  all'  den  Luclicn  und  Laaken 
Waren  «lie  AVa^ser  «'rwaeht, 
Die  Kielern  lau><  lilcn  und  tauschten 
Ihre  Grülse  sacht. 

Die  Schwalbe  zwitschernd  die  Lüfte 

Anf  spitzer  Schwinge  durchftihr 

Der  Auferstehung  erfreute 

Sieh  jegliche  Creatur! 

Da  donnert's  über  die  Haide  — 

Wittert's  so  fHib  schon  im  Jahr? 

Den  reichsten  Erntesegen 

KUndct  das  immerdar. 

Da  wettert's  mit  Macht  h erUber 

Da  donnert's  Schuis  aul  Sehuis. 


Da  braust'  es  Uber  die  Haide 

Wie  ein  eiserner  Grufs. 

Ein  Len2  auch  war  gekommen 

Ueber  das  Vaterland, 

Der  wettert  Uber  die  Haide, 

Der  rasselt  tlber  den  Sand. 

Laut  rief  des  Königs  Stimme 

Zum  Kampf  in  Noth  und  Tod, 

Du  rüstet  und  da  raffet 

Das  Riesenaufgebot; 

Ks  weht'  uns  an  wie  Kisen, 

Kisen  reckte  ilie  h'aiist, 

l)ie  alte  lu.'irkiselie  Ilaide 

In  Sturm  und  Dwnner  brahst; 

Denn  als  der  Küni;^  «ji^erulen, 

Da  rief  auch  die  Haide:  „hicrl-' 

Die  alten  Fahnen  rauschten 

Ueber  das  alte  Kevier; 

Die  Wälder  wurden  lebendig. 

Die  Kiefern,  sie  hielten  Tritt, 

Die  Luche  und  Knttppelditmme, 

Sie  kämpften  gewaltig  mit ; 

Sie  fafeten  und  /.ogen  die  Feimle, 

Sic  zopfen  nnd  hielten  sie  fest.  — 

Das  ist  die  miirkiseiie  Haide, 

Die  sieh  iiiclit  spotten  l!if>^t  I 


(Zwiscbea  Sumpf  und  Sand.  VaterländiacUe  Dichtungen.  BerUu  1863.  S.  (iO— G7.) 


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8.  Ont-of-fhe-way-places. 


Ziellos  durch  das  Land  zu  fahren, 
Kleino  Stüdte  aufzutinden, 
Ötiidte,  die  in  wenig  Jahren 
Werden  ganz  und  gar  yerschwinden, 
Weil  sie,  fem  von  Eisenbahnen, 
Leben  müssen  von  der  Ahnen 
Oft  nur  karg  gemess'nem  Segen; 
Solche  Städte  such'  ich  gerne 
Mttbsam  auf  in  Wald  und  Wiese» 
Denn  sie  sind  ein  Rest  vom  Keine, 
Draus  erwachsen  ist  ein  Kiese. 
Freilich  mUhsam  ist  solch  Jagen 
Nach  den  lieben  alten  Zeiten, 
Knüppeldämme,  Leiterwagen 
Werden  JAr  manch'  Weh  bereiten; 
Oft  wirst  Da  des  Sandes  Beate, 
Thier  nnd  Menschen  bleiben  stecken, 
Und  die  Festkost  braver  Lente 
Ist  mitunter  zum  Erschrecken; 
And're  haben  Eisenbalmen, 
Hie  behalten  stets  die  Ptiltze, 
And're  speisen  die  i'asanen, 
Sie  vcrzrlireii  ihre  tirütze. 
Einer  kann  nicht  Alles  tischen, 
Nicht  für  Alle  ist  das  Eine, 
Wer  sieh  will  am  Wein  erfrischen, 
Nun,  der  fliege  nach  dem* Rheine! 
Zu  den  Bergen  zieht's  die  Damen, 
An  das  Meer  die  Austerix  sser, 
Und  die  Kranken  oder  Lähmen 
Fühlen  sieh  am  Heilquell  besser. 
Doch  wer  von  den  alten  Tagen 
Hören  in<M-hte  leise  Kunden, 
Steig"  jnii  auf  den  Leiterwagen 
Und  vertrilume  ein  Paar  Stunden! 

Lieblich  welit's  vom  See  lierUl)er, 
Leise,  langsam,  wie  vel•dro^seu 
Ziehen  still  die  Wolken  drüber 
Gleichen  Schritts  mit  nnsem  Russen. 
Um  den  See  die  kax^e  Waide, 
Die  dem  Wollvieh  kaam  behagte. 
Und  dann  weit  and  breit  die  Ilaide, 
Drin  Herr  Waldemar  schon  jagte. 
Stille  trüumeiul  fortgezogcn 
Und  uiugaukelt  von  Gestalten 


Sind  die  Stunden  uns  Terflogon  —  « 
Lassen  wir  den  Wagen  halten! 

Drühen  liej^t  im  SoiiiK'ii-chi  iiie 
So  ein  alt  und  sauber  Ü<  ru  lieiy, 
Kiroh'  and  Thurm  von  rothem  Steine» 
In  der  Mauer  Ansfallpförtehen. 
Anf  der  langen  Bohlenbrtlcke, 
Drüber  unsere  Schritte  drOhnen, 
Wandeln  wir  mit  heiter'ra  Blicke 
Zu  der  Stadt,  der  alten  Seliünen! 
Seit  Jahrzehnten  wie  be^j^raben, 
Ist  sie  doch  noch  schön  geblieben, 
Und  mein  Lied,  das  soll  sie  haben  — 
Scliün  ist  immer,  was  wir  lieben! 
Ei!  sie  lächelt  uns  so  milde, 
Zeigt  sich  nns  im  alten  Glänze 
Mit  dem  Fisehleln  in  dem  SchUde, 
Mit  dem  Thnrm  nnd  Maoericranze. 
Tritt  durch's  Thor  nnd  »Herr  Gevatter!« 
Grüfst  auch  Dich  der  Thorwart  bieder, 
Sieh'  es  schwirrt  kein  Eiseng;atter, 
Nur  die  Flucht  d^T  Tauben  nieder. 
Kühl  und  reinlich  sind  die  Stralsen, 
Wie  gewuschen  blank  die  Steine, 
Menschenkind,  o,  kannst  Da  s  fassen? 
Da  betrittst  sie  ganz  alleine! 
Draoflsen  noch  in  Sand  nnd  Sompfe 
An  der  Arbeit  sind  sie  wacker, 
Still  die  Frauen  an  dem  Strompfe, 
Laut  ist  nur  der  Gottesacker. 
H(  i  (Im  Hellen  'J'odten  spielen 
Olmc  Scheu  die  lieben  Kloinen, 
Nach  den  Gräl)erii,  ew'«::en  Zielen, 
Laufen  sie  mit  nackten  Beinen; 
Und  die  alte  Mutter  Linde 
Haoscbt  mit  leiser  Mahnung  driiber, 
Doch  das  btmto  Kleingesinde 
Tobt  in  Jagendlust  Torttber. 

Zu  dem  Markt  sind  wir  gekommen, 
Und  ein  Huus  mit  Gicbelspitzen 
Uat  uns  gastlich  aufgenommen, 
Lftfot  uns  freundlich  niedersitzen. 
Auf  der  Bank,  der  blanken,  alten, 
Die  niitsammt  dem  schmalen  Tische 
Dem  Jahrhundert  Stand  gehalten 
iiier  in  dieser  Fensternische. 


—   80  — 


UKdchen  dann  mit  IHadiea  Lippen, 
Blondbezopfte,  blaai^eaiigte» 
Brachten  Bier,  das  nur  zum  Nippen, 
Aber  nicht  zum  Trinken  taugte. 

Still  und  kUli!  ist's  im  Gemache, 
Kühl  die  weilson  Sandsteinstufen, 
Still  vom  KelK-r  bis  zum  Daclio. 
Xir<jen(ls  Lärm  und  lautes  liutcn. 
Lieblicii  Kauschen  in  den  Bäumen 
Drauisen,  nirgends  Fuhren,  lieiten  — 
Ei!  wie  lieblich  laikt  rieh's  tiHumen 
Hier  von  alten  stillen  Zeiten! 

Vor  dem  Fenster,  kühn  gezogen, 
Steinmetzwerk,  voll  Kunst  bereitet, 
Hobt  sich  hoch  ein  Bronnenbogen 
Grttn,  von  Hanslaach  übcrkleidet 
Doch  kein  Wasser  füllt  das  zierlich 
Ansgeschweifbe  Bmnnenbecken, 
Draus  die  Gräser  nngebttrüch 
Ihre  dOrren  Ilulme  strecken. 
Giebt  kein  Wiisser  mehr  der  l^roimon 
Mit  dem  hübsehen  Sandstcin  i-.ny-eiy 
Nicht?  die  IMumpi-  hat  s  ^^cwonnen 
Mit  dem  ubgeriss'ucu  Schweng«-!? 
Frenndlich  gab  Bescheid  die  Alte, 
Die  im  Kämmeflein  gesessen 
Und  durch  eine  Vorhangspalte 
Uns  gemustert  hat  indessen. 

„Ei  durch  eines  MUdehens  Locken" 
Klef  die  gute  Alte  ehrlich, 
«Ward  der  schüne  Brunnen  trocken 
«Und  die  Plumpe  unentbehrlich!' 
«Ach!*  sprach  sie  anf  unsre  Fragen, 
„S'ist  'ne  traurige  Geschichte, 
^Uiid  sie  hat  sieh  zngctrap;'en, 
„Als  noch  juny:  war  mein  (üesiclitc. 
,Seht,  da  sehrä;^e  i^ogenilber 
_Hei  dem  Wirili  /mv  «j^riinen  Tanne 
„Dient',  's  sind  sechzig  Jahr  und  drüber, 
„Meine  Muhme,  die  Johanne; 
„War  die  schOnste,  frommste  Dirne, 
„Soweit  klingen  uns're  Glocken, 
„Und  um  ihre  weifte  Stimc 
„Flogen  lange  sehwarze  Locken. 
,AIle  .Mäinier,  jun;^'  und  alte, 
„Sind  umsonst  ihr  nachgezogen, 


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—  81 


^Dalö  sio's  mit  dem  Ilauswirth  halte, 
^Sagten  sio,  es  war  rrloj^foii. 
^Einrs  Abcmr.s  hat  t'rliitti  rt 
„Ihre  Frau  auch  so  gescholten, 
«Und  Johanna  hat  gezittert, 
,,Doch*B  mit  keinem  Wort  vergolten. 
^Aber  schwer  hat  sie's  empftuden, 
»Und  der  Haueknecht  aus  der  Eiche 
„Hat  am  Morgen  sie  gefunden 
.In  dem  Brunnen,  eine  Leiche. 
^Ei,  das  ging  von  Mund  zu  Munde, 
„Lafst  ans  Hais  und  Groll  begraben! 
, Keiner  wollte  seit  der  Stunde 
„"Wasser  aus  dem  Hriiimrn  haben. 
„Alse  durch  des  Mädchens  Locken, 
„Die  ihr  srltter  .so  getahrlich, 
„Wurde  die>er  nruunen  trocken 
„Und  die  Tuaipe  unenibehrliehl" 

Emsthaft  sprach's  die  Frau  im  Eckehen, 
Und  mit  ihrer  blanen  Schürze 
Wischte  sie  ein  kleines  Fleckchen 
Von  der  blanken  Messingsttirze. 
Solche  traoiigen  Geschichten 
LalJB  ich  gerne  mir  erzUhlen, 
Was  die  Menschen  auch  bericliten, 
irrfii  ist  es,  oder  fehlen, 
l'nd  in  uieiueni  khünen  Stiidtchen 
Fliegen  iihulirlir  (iesejnehten 
Oft  nur  an  wie  Sunnenfadchen  — 
StotV  zu  inaneiierlei  (Jediehten. 

(Zwiscbeu  Sumpf  uiiü  Saud.  VaterULudische  Dichtungen.  Berlin  18G3.  S.  80—92.) 


4.  Märkischer  Frtthlingsstraufs. 


Drei  Zwciglein  von  der  Weide, 

I>u  (brachtest  sie  in's  TIans, 
Das  ist  von  meiner  Haide 
Der  erste  Frülilingüstraufs. 

Die  Seliäfchcn  an  der  W<  idr 
Sie  sind  liir  luieli  nicht  >tuuuu  — 
^Vic  stall'  von  Kieferzwrigi'ii 
Das  grüne  Band  darum! 

Arcb. 


Noch  fegt  der  Stnrm  dit;  Haide, 
Hestreut  nnt  Schnee  die  Bahn, 
Und  doch  rückt  schon  von  Weitem 
Der  cdlc  Frühling  an. 

Va'  (Ii<'*r1   w  ie  l'Iorki'lix  ide 
'  L'nTs  hiauiic  Kuospeuhaus, 
Die  Schäfchen  an  d<  i-  Weid«', 
Sie  rücken  muthig  aus. 

6 


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—  82  - 


Das  siutl  die  ersten  Boten  j     .So  gehen  die  Gedanken 

Des  Frühlings  hier  zu  Land,  Den  Thaten  still  voran, 

Die  halten  auch  dem  Toben  Und  deuten,  leicht  noch  schwankend, 

Des  SchneeBtnniis  wacker  stand.  |  Was  bald  soll  werden,  an. 

Drei  Zweig^lein  von  der  Weide 
Da  brachtest  sie  in*B  Hans, 
Das  ist  von  mttrkischer  Haide 
Der  erste  FrOblingsstraiite. 

(FfeUend  Ltnb.  Gedichte.  BevUn  1871.  S.  79  -80.) 


&.  Aut  der  DreUlnden-Chronik. 

Sommer  1866. 


Drüben  auf  der  hn  itcn  Halde, 
An  dem  See,  dem  blauen,  blanken, 
Wo  in  ihrem  gold'nen  Kleide 
Lieblich  die  Nyniphäen  schwanken; 
Wo  das  Sandmeer  tief  und  tiefer 
Leicht  bewegt  die  Felder  decket. 
Und  die  fiehte  märk'sche  Kiefer 
Sich  zum  Himmel  knorrig  recket; 


L 


I  Wo  im  Luch  die  Erlen  lauschen 
Und  die  Birken  ängstlich  stöhnen. 
Wenn  die  Finthen  niederranschen 
Und  die  WetterschlKge  dröhnen; 
Drüben  in  des  Prinzen*)  Walde, 
In  dem  Jagdhaus  zu  drei  Linden, 
Bei  den  Linden,  ach,  wie  balde. 
Will  ich  neue  Lieder  linden. 


V. 


Erst  war's  ein  alter  llaidekni^, 
.iel/t  heilst  das  Haus  drei  Lindiii. 
Und  einen  bessern  Namen  könnt' 
Aach  Meyerinck**)  nicht  finden; 
Ks  liegt  in  Lindenblfithen  schier 
Versanken  and  begraben, 
Ein  recht  erquicklich  Waldrevier, 
Das  Dichterherz  zu  laben. 


Oft  hat  der  Prinz  die  Jligerrast 
Behaglieh  hier  gefunden, 
Von  drückender  Gedankenlast 
Ward  er  hier  frei  fUr  Standen. 
Im  Hause  IKfst  er  ein  Asyl 
Den  Dichter  freundlich  haben  — 
Und  edle  Bosse  Ittfist  er  still 
Im  Garten  dran  begraben. 


(Fallend  Laub.  Gedichte.  Beriin  1871.  S.  98  n.  100.) 


*)  General-FeldmerschAll  Prins  Friedrich  Carl. 
**)  „Oberhofjägeniieister  von  M.,  damals  Hofmaischali  des  Printen.** 


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—  83  — 

Theodor  Fontane. 

Geb.  am  30.  Dezember  IblD  zu  Neu-Huppia,  verlebte  seine  Kindheit  in  SwinemOnde, 
kttii  mit  18  Jahna  auf  die  G«w«rbflsQliiiIe  in  BerUn  und  unrde  1886  gegea  seinen 
Wnuioh  Apotheker.  Seine  Sehnsaeht,  in  die  litterarische  Lanfbafan  einzutreten,  fand 

erst  1S49  ihre  ErffiUang.  Reisen  nach  England,  durch  die  Provinz  Brandenburg,  anf 
die  Schlachtfelder  von  Schleswig,  Böhmen  und  Frankreich  >,'iiben  .seinem  littorarisohen 
Schaffen  Bichtung  und  Inhalt  Hochangesehen  starb  F.  in  £erlin  am  20.  September  1898. 

1.  Havellaad. 
(Statt  eines  Vonravt's  sa  dem  8.  Baad  ^Wanderangen'*.) 

Grüfs  Gott  Dich,  Heimath!  .  .  .  Nach  langem  biiumen 
In  Deinem  Schatten  wieder  zu  träumen, 
Erfüllt  in  dieser  MaienlnBt 
Eine  tiefe  Sehnsneht  mir  die  Brost. 
Ade  dqh  Bilder  der  letzten  Jahre, 
Ihr  Ufer  der  Somme,  der  Seine,  Loire, 
Nach  Krieges-  und  flremder  WSsser  Lauf 
Nimm,  heimische  Havel,  mich  wieder  anf. 

Es  spiegeln  sieh  in  Deiiirui  Strome 
Wahrzeichen,  Burgen,  Schlösser,  Dome: 
Der  JnlinB-Thnrm,  'den  HHrehen  nnd  Sagen 
Bis  BOmerseiten  rückwärts  tragen, 
Das  Sehildhorn,  wo  beewnngen  im  Streite, 
Fttrst  Jazko  dem  Christengott  sich  weihte. 
Der  Harlnnger  Berg,  defe  oberste  Stelle 
Wcitschanend  trug  nnsre  erste  Kapelle, 
Dns  Flauer  Sehlofs,  wo  fVr>stelnd  am  Moigen 
Hans  Quitzow  steckte,  im  Köhridit  verborgen. 
Die  T' faue  11  i  nscl ,  in  <lcren  Dunkel 
Rubinglas  glühte  .Joiianiies  Kunkel, 
Schlots  liabelsbcrg  und  ,,Schlörschen  Tegel", 
Nymphäen,  SchwUne,  blinkende  Segel,  — 
Ob  rothe  Ziegel,  ob  steinernes  Grau, 
Du  verkliirst  es,  Havel,  in  Deinem  Blau. 

Und  schönest  Du  alles,  was  alte  Zeiten 

Und  neue  an  Deinem  Bande  reiliten, 

Wie  seh(»n  erst,  was  fürsorglirli  lUogst 

Mit  liel»ondein  Arme  Du  inüTHnirst. 

Jetzt  Wai?ser,  drauf  Elsen büselie  schwanken, 

Lücher,  Brüeher,  Horste,  Danken, 

Nun  konmit  die  Sonne,  nun  kommt  der  Mai, 

Mit  dei'  Wasser- Herrschaft  ist  es  vorbei: 

Wo  Snmpf  nnd  Lache  jüngst  gebrodelt, 

Ist  alles  In  Teppich  umgemodelt,  — 

6* 


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—  84  - 


Ein  Biesenteppicb,  blomengeziert, 

Viele  Meilen  im  Geviert. 

TansendsohOnehen,  gelbe  Bannntel, 

Zittergräser»  hell  and  dunkel, 

Und  mitten  inne  (wie  das  lacht!) 

Des  rothen  Ampfers  lenehtende  Pracht. 

Ziehbnmnon  Uber  die  Wiese  zerstreut, 

Trog  um  Trog  zu  trinken  beut, 

Und  zwischen  den  Trögen  und  den  Halmen, 

ünt«^r  nUhrendem  Käuen  und  Zermalmen, 

Die  stille  Heerde;  .  .  .  das  Glücklein  klingt, 

Ein  Lul'tzag  das  Läuten  herüberbringt. 

Und  an  dieses  Teppichs  bltthendem  Sanm 
Die  lachenden  Dörfer,  Ich  sühle  sie  kanm: 

Linow,  Lindow, 
Rhinow,  Glindow, 
Beetz  und  Gatow, 
Dreetz  und  Flatow, 

Bamiiic,  Damme,  Kricle,  Krielow,  » 
Petzow,  Ketznw,  Ferch  am  Scli\vilo\v, 
Zachow,  Wa(!hu\v  und  Grois-Bliliiiitz, 
Marquardt- Uetz  um  Wublitz-Schlanitz, 
Senzke,  Leuzke  und  Marzahue, 
Lietzow,  Tietzow  nnd  Rekahne, 
Und  zum  Schluft  in  dem  leuchtenden  Kranz: 
Ketzin,  Ketztlr  nnd  Vehlefanz. 

Und  an  D<  iiieii  Ufern  und  an  Deinen  Seen, 
Wim,  stille  Ilasei,  sali>t  all  Du  ge.scIiehnV! 
Aus  der  Tiefe  herauf  die  Unken  klingen,  — 
Hunderttausend  Wenden  hier  uniergingen; 
In  Lflften  ein  Lärmen,  ebi  Bellen,  ein  Jagen, 
„Das  ist  Wlildemar^S  sie  flUstem  nnd  sagen; 
Im  Torfmoor,  neben  dem  Cremmer-Damme, 
(Wo  Hohenloh  fiel)  was  will  die  Flamme? 
Ist's  blos  ein  Irrlicht?  .  .  .  Nun  klärt  sich  das  Wetter, 
Son n en .schein,  Trompetengesehmetter, 
Derfliinger  greift  an,  die  Schweden  iiiehn, 
GrUlb  Gott  Dich  Tag  von  Fehrbellin. 

Grüft  Gott  Dich  Tag,  Du  Preuteen-Wiege, 
Geburtstag  und  Ahnherr  unsrcr  Siege, 
Und  Grufs  Dir,  wo  die  Wiege  stand, 
Geliebte  Heimath,  Havelland! 

(Gedichte.  Zweite  Tennehrte  Auflage.  (Berlin  1875.)  S.  ja  l  -  jjj.) 


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85  - 


8.  AllM  atittl 


Alles  BtiUt  es  taxust  den  Beigeii 
Hondenstrahl  in  Wald  nnd  Flur, 

Und  darüber  tbront  das  Sdiweigen 
Und  der  Winterhimmel  nnr. 

Alles  still!  vetgeblicli  Jansehet 
Man  der  KrKbe  heisrem  Schrei, 

Keiner  Fichte  Wipfel  rauschet, 
Und  kein  Bäehlein  snnunt  Torbei. 

(Gedichte. 


I  Alles  still!  die  Dorfes-Hfllten 
Sind  wie  Gräber  anznsehn, 
Die,  von  Schnee  bedeckt,  inmitten 
Eines  weiten  Friedhofe  stehn. 

Alles  stnil  nichts  bOr*  Ich  klopfen 

Als  mein  Herze  durch  die  Nacht;  — 
Heifte  Thrflnen  niedertropfon 
Anf  die  kalte  Winterpracht. 

7.  Auflage.  Berlin,  WiUk  Herts  1001.  a  18.) 


S.  Mittag. 

Am  Waldessaume  träumt  die  FOhre, 
Am  Himmel  weifse  Wölkchen  nur; 
Es  ist  so  still,  dafs  ich  sie  höre 
Die  tiefe  Stille  der  Natur. 

Bings  Sonnenschein  anf  Wies'  nnd  Wegen, 

Die  Wipfel  stumm,  kein  Lüftchen  wach, 
Und  doch,  es  klingt,  als  ström'  ein 
Leis  tönend  auf  das  Blättordach. 

(Gedichte.  7.  Auflage.  Berlin,  Wilb.  HerU  1901.  S.  16.) 


4.  Auf  dar  Kufipe  der  Müggelberge. 

(Semnonen-Vlsion.) 

Uebcr  den  Müggelsee  setzt  mich  der  Feiige. 
Nun  crklctt  r  ich  die  Miiggelberge, 
Mir  zu  liäupieu  lausclien  die  Kronen 
'Wie  zu  Zeiten  der  Semnonen, 
Unsrer  Urahnen,  die  hier  im  Eichwaldsschatten 
Ihre  GottheitsstAtten  hatten. 

Und  die  Spree  liinauf,  an  Buchten  und  Seen, 
Seh'  ich  wieder  ilir  Lager  stehn, 
Wie  damals  beim  Aufbruch.  Tansende  siehn 
Hin  Uber  die  Dahme  .  .  .  Der  Vollmond  schien. 

Am  Eierhjiuschon  bebt  es  an: 
P'ino  Vorlmt.  etiiciie  dreii'sig  Mann, 
Ein  Bardentrupp  folgt  von  Friedrichshagen, 
Wo  noch  jetzt  Nachkommen  die  Harfe  schlagen, 
Bei  Kiekemal  and  b^  Kiekebnscb 


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—  86 


Blasen  Horner  den  Abscbiedstosoli; 

Auf  Flöfsen  kommen  Andre  geschwcmmen, 
Ilaben  den  Weg  bis  Schmöckwitz  genommen, 
Bis  Schmöckwitz,  wo,  Wandel  der  Epochen, 
Jetzt  Familien  Kaft'ee  kochen. 
Aus  der  „Wuhlhaidc  treten,  wirr  und  verwundert, 
Geschwindschritts  immer  neue  Hundert, 
Und  bei  Woltersdorf  und  am  D&meritz-See 
Sammelt  sieb  sdion  das  Corps  d'armde. 

Jetzt  aber  —  der  Dümeritz  ist  iiberschriUen  — 
An  des  Zuges  Ausgang:  und  inmitten 
Erblick'  ich  Mädchen,  erblick  ich  Fraun, 
Alle  thusneidisch  anzuschaun, 
Alle  mit  Batten,  alle  mit  Hacken. 
Dräns  blond  die  kleinen  Germanen  kaeken  — 
So  ziehen  sie  südwärts  mit  Kiepen  and  Kobern, 
Von  der  Htiggel  ans  die  Welt  za  erobern. 

(Gedichte.  7.  Auflage.  Bsiün,  WOh.  BoU  1901.  8.  7&) 


Carl  Bolle. 

Geb.  21.  November  1821  zu  Berlin,  brachte  drei  Jahre  seines  Knabenalters  in  Chu- 
lottenburg  za  und  vollendete  nach  mehrfachem  Wechsel  der  Schale  die  Haapuett 
seines  Gjrmnssislrtndinms  auf  dem  damals  nnter  dem  Dliektorat  des  spitena  Ksd* 
sistorialrats  Fournier  stehenden  Collie.  Besuchte  die  Universitäten  Berlin  und  Boon, 
medizinische  Studien  mit  naturwissenschaftlichpn  vertanschend  und  solche  die  jüngeren 
Jahr«^  hindurch  vermöge  nelfaeher  Reisen  praktisch  bethfttigend.  Längere  Zeit  bie!? 
ihn  viie  Erforschung  der  capverdiachen  und  canarischen  Inseln  von  Europa  enifemi, 
aal  wdchen  letsteien  er  eine  hervorragende  Neigung  zur  spanischen  fllpcaefae  oad 
latteratar  gefnmn.  Aoeh  die  Kematnis  nnserer  heimisehen  Flora  ist  nach  Kitltan  von 
ilim  gefördert  worden.  Grofse  Liebe  zur  Botanik  hat  ihn  anf  der  ihm  gehörigen  Insel 
Scharfenberg  ein  Arboret  grOnden  lassen,  welch<'<  -ü»'  Mehrzahl  der  im  mftrkischen 
Klima  gedeihenden  Bäume  and  Stn4ucher  in  sicti  vereinigt.  Im  Ehrendien5t  seiner 
VateiBtadt  als  Mitglied  der  Parkdepatation  tbätig,  wohnt  Dr.  C.  Bolle  gegenwärtig  in 
Beriia,  wo  er  den  grofsten  Teil  semea  Lebens  nigebraeht  tiat 

1.  Ein  Heim  am  Wasser. 
T8nladnng  an  einen  Freund.*) 
1868. 

Ein  lieblich  Fleckchen  onsrer  mSrkschen  Erde 
Hab'  ich  erwShlet  mir  znm  beimachen  Heerde 
Daranf  der  Tage  Best,  den  Gott  will  geben, 
In  Grün  nnd  Stille  harmlos  za  verleben. 

•i  „U.  Epenstein.'' 


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—  87  — 

Rings  Wald  und  See,  umtönt  von  Rohrgeüüßter, 
Die  wilde  Ente  und  den  Schwan  als  Xistcr 
Zu  Nachbarn,  und  durch  weite  Wasserfluthen 
Von  Bösen  ich  gesondert  wie  von  Guten. 

• 

R'm^^  Wald  und  See,  doch  nicht  in  fernen  Zonen, 

Wie  im  Exil  die  Weggezognen  wohnen, 
Xein,  nah'  dem  Orte,  wo  wir  All'  geboren, 
Kaum  btundenweit  von  unsres  Babels  Thoren, 

Auf  diesem  See,  an  Wimpeln  reich  und  Booten, 
Mit  Ufern,  die  Asyl  von  grofsen  Todtcn, 
Wiegt  sich  der  Jugend  Lust  mit  Sang  und  Kliingen, 
Erfrischt  sie  sich  auf  feuchten  Wogengängen. 

Dorthin  sei  nach  des  Tages  Müh  geladen, 
Wenn's  dir  gefällt  im  Strom  die  Stirn  zu  hadon, 
Wcnn's  dir  beliebt,  dem  Fall  der  Frucht  zu  lauschen, 
Die  sich  vom  Zweig  löst  mit  freiwül'gem  Bauschen; 

Wenn  da  die  HOdi  dir  Ittftt  von  meinen  Ziegen 

Und  meiner  Bienen  Honig  dir  genügen; 

Und  nicht  begehrest  andrer  Biiume  Schatten 

Als  die  zum  Gast  einst  Humboldts  Kindheit  hatten.*) 

(Biahisr  nicht  gedrackt.) 

S.  Ava  dar  Inselwelt  des  Tegeler  Sees. 

1.  Scharfenberg. 
1867. 

Ist's  nicht  das  Ufer,  wie  gemacht  aum  TrUumen, 
Des  Sees,  an  dem  als  Kind  mein  Herz  schon  hing? 
Das  niedre  Dach,  von  ries  ^;^en  Waldesbäomen 
Wie  eingehüllt  in  einen  grünen  King? 

Ist's  nicht  der  Berg,  den  Ficht'  und  Flieder  säumen, 
Wo  sich  ihr  Nest  ban  n  Grasemück'  und  Fink?  — 
Was  braucht  von  jenseit  dieser  Wrllo  Schäumen, 
Wer  solch'  Idyll  von  dem  Geschick  emphog? 

Sei  Ziifia<dit  mir  naeb  schweren  Sehieksalstonden, 

Du  hold'  Asyl  zu  guter  Zeit  geftmden! 
Nieht  soll  die  Zukunft  Gröiuw  mir  bewahre 

Als  dieser  Inselwohnnng  stille  Laren. 
Femher  nur  dring*  ssom  weinmnrankten  Hanse 
Der  lauten  Welt  alltltgliches  Gebraose. 

„Ein  aralt«r  Apfelbaum  auf  Scharfenberg  gilt  der  Tradition  nach  als  gelegent- 
Ucher  LieblingMrits  AleKandera  v.  Homboldt  in  seiner  Knabeaseit" 


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88  — 


2.  Baamwerder. 

Gern  grtUlB'  ich  deines  buschigen  üfen  Kante, 
Baamwerder,  lang^'  entwöhnet  schon  vom  Pfluge, 
Dorchflatiert  nnr  von  wilder  Vögel  Fluge, 
Das  einst  man  nadi  dem  hohen  Waldwucbs  nannte. 

Nur  eine  Säehe  noch,  werth,  dato  sie  bannte 
Des  Baomfireunds  BUck,  blieb  an  des  Strandes  .  Boge 
Ganz  nnversehrt,  in  vollen  Saftes  Zuge, 
Als  einzige  vom  Beil  nicht  übermannte. 

Ein  Espciibain  säumt  zitternd  kleine  Wiesen. 
Der  Kahn  legt  an  voll  lebenslnst*ger  Paare, 
Die  jnbelnd  freie  Brache  hier  begrttften. 

Rtrandabwärts  aber  auf  feinsandgen  Banken 
Gewahrt  man  Badende  mit  feuchtem  Haare 
Tritonen  gleich  sich  in  die  Flut  versenken. 

3.  Reiswerder. 

Am  Schlimmsten  hat  da  wohl  der  Meuscli  gfewilthet. 
Noch  kein  Jahrzehnt  ist's,  als  hier  hig-  ohi  Garten, 
Den  Erl'  und  Fichte  als  (Jcheg'  bewalirten, 
Drin  man  zur  Sonmicrzeit  das  Eis  geliütet. 

Da  kam't  ihr  Kugeln,  die  ihr  Unheil  sprühtet.  — 
Ein  neuer  Hei  r.  \vnhl  einer  von  den  Harten. 
Weg  mit  dorn  liaumwiiclis,  dc?;s  schon  Kiiufer  harrten. 
Weil  für  das  lloiz  man  wcn'gc  Tliaier  bietet 

Hin  sanken  auch  die  blendend  weillsen  Wände, 
Die  einst,  anheimelnd,  deckt'  ein  wohnlich  Dach. 
So  ging  mit  KeiBwerder  es  schnell  zu  Ende. 

Zur  Wüstenei  ist  er  seitdem  geworden, 
Bei  der  der  Kngelsucher  ein  nur  sprach. 
Der  scheuen  Tritts  schleicht  an  verbotnen  Orten. 

4.  Valentinswerder. 

Unähnlich  ganz  den  Schwestern,  de-n  .so  >iillen, 
Von  denen  sonst  er  wenig  unterschieden, 
Ist  Jetzt  dem  Valentin  das  Loos  beschioden. 
Sich  mit  der  Menge  lauter  Lnst  zu  fUllen. 

W«'ithin  erglänzt  der  Strand  \un  weiisen  Villen. 
Die  Dampfer  lassen  ihre  Kcsst  l  si.  d«'n. 
Nie  von  der  Passagiere  Strom  gemieden, 
Per  froh  sich  dränget  nach  verschiedenen  Zielen. 


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MiiBik  dnrchtOnt  des  Tanssaals  weite  Hallen, 
Und  Tische  stehen  rdh'nweis  unter  Linden, 
Durch  die  im  Sonntagspatz  die  Gttste  wallen. 

Anders  bei  Vater  Bruckmanu  war's  vor  Zeiten. 
Da  gab  man  nur  die  Segel  preis  den  Winden, 
Allein  sich  firenend  an  der  Boote  Gleiten. 


5.  Maienwerder. 

Fast  kalil  und  liin^rst  von  jedem  l?eiz  ^csp&net 
Liegt  Maienweider  nah  des  Festlands  Kunde, 
Das  schwach  besuchte,  Wengen  nui-  bekannte, 
Wo  keine  Birke  sfiften  Saft  mehr  tbrOnet 

An  harte  Arbeit  hat  man  es  gewöhnet, 

Das  nur  des  Lebens  Prosa  znirewandte, 

Die  Feldirueht  n;ihrend  auf  ^ediinf^tem  Sande, 

Vom  Lied  des  Kulurspatz  nur  im  Schilt'  umtünet. 

Da  AschenbjrOdel  nnter  den  Geschwistern, 
Von  diesen  Inseln  dn  am  meisten  liagd, 
Warst  niemals  da  nach  besserem  Schicksal  lüstem? 

Sah'st  tritumend  nie  du  der  Veranda  Kebcn 
Und,  hell  erschimmernd  durch  Cypressenpracht, 
Auf  dir  sich  dnes  Schlosses  Bau  erheben? 


6.  Hasselwerder. 

Ein  hohes  Land,  so  darf  man  wold  es  nennen, 
Ist  Hasselwerder,  grad'  im  Angesichte 
Von  Tegel,  dem  viel  wilden  i}uscli\\  erks  Dichte 
Bekleidet  noch  die  blumenreichen  Lehnen. 

Karg  nor  darf  sich  des  Vorlands  Hasen  dehnen, 

Auf  dem  emporwuchs  jene  ries  gc  l  ichte, 
Die  nnt  des  Wipfels  dinikcinrh-iii  (Gewichte 
Des  Seees  Horijsoute  liebt  zu  krönen. 

Von  Menschen  anbewohnt,  aof  schmalem  Grate 
Selbst  von  der  Heerde  Zahn  noch  nicht  zerbissen. 
Blieb  diese  Insel  firel  von  Hack*  and  Spate; 

Und  sjtit^istcn  nocli  dei"  l'iclienstiimme  Lehden, 
Die  sie  umhüllt  mit  grünen  l-insternissen, 
60  war'  sie  heut  noch  jungfräulicher  Boden. 


—  90  — 


7.  Lindwerder. 

Nicht  wUr'  envünscht  es,  dafs  Lindwerder  fehle, 
Ein  winzig  Glied  im  kleinen  Archipele, 
Den  iiiebenflUtig  ans  der  8ee  gespendet, 
Wo  Tegel  Ktthne  hin  zur  Havel  sendet. 

Wie  lieblich  wirft  sein  Bild  zurück  die  Welle, 
Auf  blauer  Fluth  allein 'ge  grüne  Stelle, 
Wohin  ein  Aug',  das  stttin'gea  Flimmern  blendet, 
En  hoher  Rttoter  Schatten  gern  sieh  wendet 

Ein  wild  Gewirr  von  Busch  und  Vt  roniken, 
Drin  selt  ne  Menschen^pur  auf  gras'geni  Stege, 
Vom  Rohr  verhüllt  vor  indiskreten  Blicken, 

Des  Ortes  Zauber  in  ein  Wort  zu  fassen  : 
Fernher  ein  Nachen  auf  dem  Schwancnwegc 
Scheint  er  von  Feen  einstmals  stehngelassen. 

8.  Reiherwerder. 

Noch  hUng^t  der  stille  Ort  am  alten  Namen, 
Geht  auch  der  Ptlug,  wo  Hochwald  einst  gewesen 
Aul  Keiherwerdcr,  den  sich  auserlesen 
Zum  Horst  einst  Angler  ohne  Kuih'  und  Hamen; 

Bis  dals  die  Tage  minder  prünstig  kamen 
Kür  Nest  und  Brut  in  dem  gemeinen  Wesen, 
Drin  die  von  schupp  ger  Wasserbente  äsen, 
Kiiiiii  mit  dem  Falken  selbst  den  Kam])i  aufnahmen. 

Das  luftgetrag  ne  Dorf  der  grauen  Fischer 
Verschwand,  gescheuclit  von  hoher  l'ferzinne, 
Wo  von  der  Havel  her  der  Wind  weht  frischer. 

Im  Waldesdickicht  birgt  der  Keiherstilndc 
Verlomer  Hest  sieli  Hingst  zur  Zeit  der  Minne, 
Gel'afst  drauf,  date  auch  diese  Ein'gung  ende. 

9.  Schupperlswerder.*) 

Wer  viel  aus  alten  Büchern  hat  erfahren 
T^nd  eifrig  schr.pft"  aus  Klios  Wissensbronn, 
Dem  ward  wolil  Kunde  vdn  San  Borondon, 
Nicht  unberühmt  als  aelitc  der  Canarcu, 

Die  selten  nur,  ein  geisterhaft  Gebahren, 
Erschien  als  paradiesische  Region 
Und  die  zu  suchen  mehr  als  ein  Colon 
Vergebens  war  aufs  hohe  Meer  gefahren. 

*)  „Diesen  hslbvergessenen  Namen  trog  tbatsftchlich  fraher  der  Osffiehe  Theil 
des  Valentinsy  von  diesem  doreb  einen  jetst  veisampften  Wasserarm  getrennt.** 


—    Ul  — 


Dem  ähnlich  spukt's  in  onsres  See's  Nebeln, 
Dnrdi  kleinrer  Wasser  DOnmieilidit  yerhüllt, 
Ganz  nnerwtthnt  bei  Bergbaus  oder  Scbwebehi. 

*  Von  Schuppertswerder  kennt  maa  nur  den  Namen, 

Gefragt,  lebt  Keiner,  der  die  Nengier  stillt; 
Doch  wnfSten's  Manche,  welebe  vor  uns  kamen. 

10.  An  die  in  alle  Winde  versprengte  Colonie  von  Valentins- 
werder.*) 
1878. 

Noch  stebn  die  Bftnme,  die  ench  Schatten  boten 
So  lang'  zn  fHedlicher  Villeggiator, 
Wo,  wenn  der  Wind  durch  hohe  Wipfel  Ahr, 
Ihr  Frende  hattet  an  den  Segelbooten. 

Entlang  dem  Ufer,  dem  für  Euch  Jetzt  todten, 
SpKh'  ich  nach  enrer  kleinen  Zellen  Spur 
Nie  spät  genug  schlug  dort  der  Rückkehr  Uhr 
Den  damals  vom  Exil  noch  nicht  Bedrohten. 

Wer  kannt'  hier  besser  Buchten  und  Gestade? 
Wer  auf  den  Inseln  war  ein  lieh'rer  Gast, 
Furchtloser  kreuzend  jene  Wogenpfade? 

Drum  lasset  den,  der  Eure  Liebe  theilet, 
Auffrischen  Bilder,  die  nun  bald  verblalst. 
Wer  weiÜB,  wie  lang*  er  selbst  am  See  noch  weilet! 

11.  N  ii  c  h  1 1  i  c  h  e  Feuer. 

Die  Nacht  ist  stcrnenlos  herabgesunken; 
Da  sieht  am  iSee  man  Feuer  sich  entzünden, 
Die,  angefacht  von  lauen  Sommerwinden, 
Goldhcll  aufsprUhu  in  Flammen  und  in  Funken. 

Wie  schön  ist  doch  der  Loho  rothes  Prunken! 
Genährt  vom  Kirnkiuick  neben  dürren  Rinden 
Mag  sie  des  Anglers  spüte  Wacht  uns  künden, 
Wenn  rings  die  Welt  schon  ruhet  schlafestrunken. 

Ks  folgt,  wem  solchen  Bivaks  Lodern  winkte, 
Gleichgültig  gegen  weich'ren  Lagers  Mangel, 
Wohl  einem  allgewaltigen  Instinkte. 

Mii'sgönnct  nicht  dem  Manne  sein  Behagen, 
Wenn  er  die  Beut'  emporschnellt  mit  der  Angel! 
LaTSt  Fischer  fischen,  wie  die  Jttger  jagen. 

(Vorher  noch  nicht  gednickt.) 

♦)  „Voui  Dichter  an  seinen  lieben  Freund  H.  Scbalow  apeoiell  gerichtet,  der 
lange  Zeit  Sonunergast  auf  Valentinswerder  gewesen  ist  und  daselbst  den  Gnmd  su 
seinen  wertbvoUen  ornithologischen  Beobachtimgen  legte.'* 


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—  92  — 

8.  Hawbsa  In  Sditrtaberg. 

1888. 

leb  bau*  ein  Hans  —  und  morgen  wird  gerichtet  — 
Am  Inaelbofd,  ans  Steinen  fest  geselilclitet» 
Wohl  tiefer  sieh  yersteckend  zwischen  Orttn, 
Als  sonst  es  Brauch  nnd  Sitte  am  Berlin; 

Ein  Obdach,  drin  man  trftnmt,  vielleicht  auch  dichtet. 
Was  sonst  die  Parze  noch  nns  gOnnt,  verrichtet 
War  einst  gewohnt  von  Strand  zn  Strand  za  ziehn 
Und  sah  der  Tropensonne  goldroth  OlUh'n. 

Gar  manchen  holden  Ort  hab"  ich  bewohnet. 
Jetzt  eignen  Heimes  Ranch  allein  ersehn'  Ich, 
Dera  schon  d!e  Jahre  eng'rc  Schranken  stecken. 

Ob  wolil  der  Bau  die  kurze  Frist  noch  lohnet? 
Dem  Sjfielnest  gleicht  er,  das  ein  kleiner  König 
Gefiedert  flicht  sich  zwischen  Zaun  und  Hecken. 

  (Vorher  noch  nicht  gedruckt.) 


4.  Zu  oah'  dem  Schlefiptatz.*) 
(Fragment  in  Teninen.) 

Ein  See  liegt  nordwärts  von  Berlins  Bannmeile, 
Zn  dem  Im  Sommer,  grttn  den  Hnt  bekränzt, 
Viel  Volk  sich  drKngt  in  flrohgcstimmter  Eile. 

Da,  wo  an^  Hn velland  der  Barnim  grenzt. 
Sieht  Wälder  mau  in  seiner  Flulh  sieh  spiegeln, 
Die  blan,  wie  nnr  das  Mittelmeer,  erglänzt. 

Leicht  brandet  sie  am  gras  gen  Saum  von  Hügeln, 
Bald  klar  sich  dehnend,  uiiermelslich  weit. 
Bald  sanft  versprühend  unter  Scliwanentlügeln. 

Bi'seliirmt  vom  Dach,  das  Taunrndickicht  leiht, 
Mit  dem  sich  kuorr'ge  Kicht'nkronen  gatten, 
ümduftet  von  der  Kosen  Lieblichkeit, 

Giebt's  Steine  dort,  geweiht  erhab'nen  Schatten, 
Mit  hehren  Namen  drauf,  die  Deutschlands  Stolz, 
Die  glänzender  nie  fremde  Länder  hatten. 

Und  sieben  Inseln,  reich  an  Kohr  und  Holz, 

Die,  wie  Xympli.Tn,  auf  Strömungen  sieh  breiten, 
Erfreu'n  sieb  da  des  Beifalls  flüchtigen  Zolls. 

Sie  mhn  in  tiefen,  bnsch'gen  Einsamkeiten, 
Als  hätten  nie  der  Weltstadt  Schein  nnd  Bauch 
Nächtlings  geschanet  sie  auf  Meilenweiten. 

*)  „IKwer  vicljährigen  Gefährdung,  welche  Scharfenberg  lange  einen  anhdinUclMii 
Baf  verliehen  hatte,  wurde  dasselbe  1883  durch  Beichstsgsbeschluss  ledig.** 


Drei  dieser  Inseln,  also  s^laubt'  ich  andi, 
3ei*n  mir  zu  aieherem  Besitz  beschieden, 
Weil  ich  erworben  sie  nach  Rechtes  Brauch, 

Well  anf  der  Einen  ich  ein  Hans  üi  Frieden 
Gebaut  hatf ,  nestgleich,  hinter  Spreewaldsrrttn, 
Das  Flora  nicht  nnd  nicht  die  Mosen  mieden. 

Ks  wollte  Niemands  Blicke  auf  sich  ziehn, 
So  schüchtern  barg  sich 's  unter  ries'gen  Bäumen. 
Nur  Wen'gen  war  bekannt  es  in  Berlin. 

Mir  war's  Asyl.    In  seinen  solilichten  Hiiuraen 
Zehn  jahrlang'  lebt'  ich,  als  des  Eilands  Gast, 
Dem  Pflanzen  hingegeben  und  dem  Träumen; 

Bald  stumm  gelehnt  an  meines  Fahrzeugs  Hast, 
Bald  wiegend  mich  in  meines  Rosscs  Bügeln, 
Bald  Ton.den  Ästen  schüttelnd  silfse  Last; 

Dem  Reiher  folgend  nnd  der  Möve  Fitigeln, 
Des  FisebM  Silberblick,  der  aufwärts  schnellt. 
Nicht  moeht*  an  der  Natur  die  Lust  ich  zügeln. 

Vergessen  von  der  Welt,  mied  ich  die  Welt. 
Es  war  allein  auf  jene  Seegestade 
Mein  Wunsch  und  meiner  Sehnsucht  Ziel  gestellt. 

Dort  liebt'  ich  es,  zu  lagern  nach  dem  Bade, 
Froh  an  den  Ii'liederhecken  sanft  zu  ruh'n, 
Hinabzuschanen  anf  verwachs'ne  Pfade. 

Es  war  kein  lautes  Glück,  kein  w^os  Thun. 
Nicht  Vielen,  aufser  mir,  mocht'  es  ^(  iiü^en, 
Mir  war's  was  ich  erstrebte  einst  und  nun. 

Wer  liätt'  auch  nicht  geschauet  mit  Vergnügen, 
Wie  grün  un<l  grüner  Baum  sich  hob  und  Strauch, 
Die  rasch  empor  mit  üpp'ger  Jvroue  stiegen. 

Wie  von  dem  Rietgras  zu  des  Daches  Lauch 
Jedwede  Pflanze  sich  mit  Urwaldsfrische 
Entfaltete  in  feuchter  Seeluft  Hauch; 

Wie  keine  Axt  mehr  scheuten  die  Gebüsche, 
Und  wie  man  hoffen  dürft'  in  kurzer  Frist, 
Da(^  junger  Wald  sich  mit  der  Feldfrucht  mische. 

Das  war's,  was  du,  mein  Seharfenberg,  nur  bist. 
Zu  viel  der  Freude  dünkl's  wohl  dem  Geschicke, 
Das  Wermuth  gern  in  Nektarschalen  giefist. 


94  - 


Wohl  ftchien  die  Intel  naohbarioe  dem  Blicke, 
So  hatte  anfangs  selber  ich  geglaubt 
Und  fast  geArenet  mich  an  diesem  Stdcke. 

Der  Wahn  ward  leider  mir  zu  bald  geraubt, 
Als  drUbenher.  fern  aus  der  Jungfeniluiide 
Die  mUclit  gcn  Kugeln  mir  gesaust  um's  Haupt, 

Die  Sobiffsgescliosse  iu  dem  Gui'sstahlk leide, 
Blitzschwnngrc  Bolzen,  die  vom  Schiofsidatz  aus 
Darch  Luit  aud  Wasser  kamen,  mir  zum  Leide. 

Jetzt  hatt'  ich  Krapp  zom  Nachbar,  der,  o  Graus! 
Thor  und  Vulkan,  mir  den  erhitzten  Hammer 
Vernichtend  schmetterte  auf  Flur  und  Haus. 

« 

Seitdem  flofe  viel  des  Wassers  hin  ztmi  Heere. 

(Ksher  noch  nicht  gedrodtt) 

6.  Am  Grabmal  Knnths  im  Tegeler  Schlofiigarteo* 

Fünf  Linden  ragen  hocli  in  Waldestiet'e. 
Ein  Grab  daran ter,  angelehnt  an  Mauern. 
Manch  Menschenalter  mag  es  ttberdauero 
Mit  seiner  Inschrift  kurzer  Hierogh  phe. 

Ist's  nicht,  als  ob  gudUmpft  ein  Eelio  riefe 
Zu  allen  Hörern  und  zu  allen  Schauem, 
Die  Seele  füllend  mit  tiefernstem  Trauern, 
Denkt  dessen,  der  hier  ruht,  als  ob  er  schliefe. 

Ein  herrlieh  Erdenl<i<  s  sich  ihm  entrollte. 
Sein  Wissen,  reich  und  schön.  7m  taiis'  ndmalen 
Dürft'  er  es  giedsen  in  demautne  iSchaien. 

Es  deckt  dies  Grab  den  Lehrer  der  Humboldte. 
Wer  mOehte  gern  Yor  dem  das  Haupt  nicht  beugen, 
Der  seinem  Ruhm  erzog  zwei  solche  Zeugen? 


A.  Die  Ficbte  von  Hasselwerder. 

Kine  Fflnprsche  an  Frau  Gabriele  vom  Bfllow,  geborene  von  Humboldt 

1877. 

Auf  Hasselwerder  hebt  sich  rothumrindct 
Ein  Fichtenbaum  als  ragen4,er  Colol% 
Den,  weithin  schweifend,  leicht  das  Auge  findet 
Von  jeder  Scholle,  die  der  See  umflofs. 


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—  95  - 


Wohl  blieb  von  euch,  ihr  Riesen,  die  ihr  sehwindetf 

Er  übrig  noch  als  letzter  Urwaldsprofs, 

Der  hoch  sein  Schirnidach  trägt,  wo's  stürmt  und  windet, 

Ein  Schmuck  des  Eilands,  einsam,  stolz  und  groi's. 

Ihn  grIUiBteii  Haaehe,  die  den  See  befahren. 

So  gern  wie  mein's,  kein  sterblich  Ange  wohl, 
Weil  er  und  ich  so  iaage  Nachbarn  waren. 

Vom  Steinsitz,  der  die  Stirn  des  HUgels  krOnet, 
Webt  Bwischen  nns  ein  Band  sich  liebevoll, 
Und  seines  Anblicks  wir'  ich  schwer  entwöhnet. 

Drnm  fOr  die  mirksche  Pinie  will  Ich  bitten, 
Die  länger  ntfn  als  ein  Jahrhundert  schon 
Sich  fest  and  fester  dürft*  ins  Erdreich  kitten. 
Des  Seeaars  nnd  des  Kormoranes  Thron. 

Die  Eiemeute  waren  s,  welche  litten, 
Daita  sie  tkh  wölbte  mit  so  mttchfger  Krön'; 
Es  schonten  ihrer  in  des  Sees  Mitten 
Blitz,  Sturmwind,  Schneedruok  und  der  Finthen  Drohen. 

Sie  war  ein  liiiuinclipn,  für  ein  Kind  zu  brechen, 
Als  neben  sich,  auf  aeiner  Väter  Land, 
Sie  einen  Knaben  f^ndlich  hörte  sprechen, 

Der  nicht  sie  brach.    Nur  leise  wollt'  er  reiben 
An  ihrer  Knospen  Balsamharz  die  Hand, 
Die  einst  der  Menschheit  sollt'  den  Kosmos  schreiben. 

Gleich  einsam  sind  wir:  ich  und  die  Dryade, 
Dio  in  <ler  Ficht'  auf"  Hass^chvcnlcr  haust; 
GhM<  li  prcisfjfgeben  und  der  M;ichi'^n-n  Gnade 
liedUrltig,  gleich  verfolgt  von  stärkrer  Faust, 

Ihr  drohet  von  geschliffner  Axt  der  Schade, 
Mich  schreckt  das  Wui-fgeschol's,  das  graunvoU  saust 
Um  Scharfenbergs  verwunschene  Gestade 
Au  dem  da,  Flora,  holde  Gälten  baust. 

Ob  uns  der  Strahl  noch  leuchten  wird,  wenn  wieder 

Der  Frühling  naht  und  sanft  auf  Tegels  Flur 
Die  Sylvien  wieder  schütteln  ihr  Geiieder? 

Wie  düstre  Schneelnft  durch  der  Wolken  Risse 
Jetzt  sinkt,  verwehend  weiAer  Flocken  Spnr, 
Schaa*n  zagend  Baum  nnd  Mensch  ins  Ungewisse. 

« 


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-  96  - 


Dir  aber  mag  das  bessre  Loos  pcwUhrcn 
Die  Herrin,  weldic  mild  dein  Schicksal  wäfjft. 
\(H'li  Inii^'''  Hingst  du  am  Saum  der  Malche*)  wUbreu, 
Deiu  ew  gcö  ürüii  vom  Zephyr  leicht  bewegt. 

Zwar  sanken  um  diel),  gleich  dem  Ualm  der  Ähren, 

Die  alten  Eichen,  die  dich  treu  umhej^t. 

Sei's  ein  Grund  mehr,  dais  nicht  der  roniferen 

Erhabenster  das  Beil  den  Stamm  zerschlugt. 

Dich  hätte  jener  grofse  Baomverehrer 
Fürst  Pückler  wohl  bezahlt  mit  vielem  Gold, 
Dafe  er  dich  schützen  möcht'  vor  dem  Verheerer. 

Ich,  der  der  Groben  Schwelle  nie  beschritten, 
Kann  heut  nur  thnn,  was  ich  schon  llCngst  gewollt: 
Um  Schutas  dir  dich  die  Tochter  Humboldts  bitten. 

(Monateschrift  des  preossiscben  Gartenbauvereins.  Februar  187R) 


7.  An  unsere  Spree. 


Xajad«',  bekränzt  mit  Klsen, 
Fluisgilttin  heimischer  Sjin  c. 
Sanft  Hilst  dein  Xais  du  bich  wiilzcn 
Stromabwärls  zum  Jlü^^gelsee. 

Vom  Walde,  dem  blieb  dein  Name,  | 
Der  traumhaft  im  Schallen  ruht.  ■ 
Bis  wo  >ich  vermischt  die  Dahme 
.Mit  deiner  windischen  Flut; 

Bis  wo  du  hast  Kuh'  gefunden 
Im  Flüsse,  (b'n  Schwänen  hold, 
Wo  S|ian(lau  (b  ii  Tiii'iii.  (b'ii  runden, 
Läist  ragen  voll  t'rankniiiobi. 

Ihi  hast  nur  ein  schlichtes  Kinnen, 
Das  einfach  und  stille  <:;-eht. 
Den  Weltruf  dir  zu  j^ewinnen, 
Dran  hast  du  gedacht  erst  spät. 

\Vohl  rollt  mit  stolzerem  Prangen 
Manch  Kinnsal,  Europas  Zier, 
V'om  Xcwabord,  eisuniha!i<rcn, 
Fcndiiu  zum  Guadalquivir; 

Vom  Tajo,  camoensbcsnngen, 

Ins  writf  Wcltnreer  entleert, 
Zur  AN  olga,  die  leckeren  Zung-cn 
Den  ätcrlet  schenkt  und  beschccrt. 


Frfrischet  hat  mich  voti  tb  iien 
>laii<  Ii  eines  mit  kühlem  Kuis: 
Wif  konnnt  s,  dais  allein  mich  sehnen 
Xach  dir  ich.  o  Spreea.  mulsy 

Dal's  mehr  als  der  Donau  \ValleD, 
Die".s  mächtiii"  />'!<'lsi  zum  Kuxiu, 
'  Mir  tä-licli  flu  willsi  gefallen, 
'  Bescheidner  Fluis  von  Berlin? 


Ich  denk'  an  deine  ("arinen, 
An  Käscher  und  Anj^elruth', 
An  Stralows  AVri'len.  im  (irünen 
Drn  Schatten  werfend  so  gut; 

An  Aale,  die  Rensen  spenden  — . 
Ob  Fische,  ob  Schlangen  sind'sV 
An  Fnische  mit  satt'gen  Inenden, 
j  Grois  wie  ein  verwunschener  Prinz. 

'     leh  danke  in  Traum  und  Wachen 

i  Dir  S]>r<'e,  an  der  Kind  ich  war, 

j  l'ür  Bad  und  Fisbahn  und  Nachen, 

I  Für  Brii>en,  wclieud  durchs  iiaar; 

■ 

Für  Schufö,  der  im  Binsicht  knallet 

Die  Fietzc,  die  Kntc  schreckt, 
l'ür  ^Va>serwrasen,  der  wallet 
Und  leidvoll  Krinncrmig  weckt; 


*)  „Die  MaMie  i.st  l  iiie  weite  Bucht  des  in  Rede  stehenden  See's,  welcber 
Haaselwerder  sich  vorlagerU" 


Digitizec 


—  9T  — 


Für  tjuisende  von  Geschenken,  j 
Durcli  dich  «geboten  ^^ar  mild, 
Soweit,  lün^s  den  schilfg«'!»  Hlänkeii,  ; 
Die  Strömung  olivenfarb  quillt.  >. 

Sie  haben  im  Lied  m'-epricsen 
Dich  wen'jj^cr  oft  als  den  Rhein, 
Hast  doch  zwischen  Busch  und  Wiesen 
öu  Eiu'gcs  mit  dem  gemein. 

Seid  beid'  ihr  niclit  deatsehe  FlflMe, 
Abspiegelnd  in  euren  Wellen 
Des  Vaterlands  GrOfs'  und  Sttl^e 
Bei  diesem  und  jenem  COln? 


Auch  wo  du  springest  aus  Grotten, 
O  Rhein,  in  der  Rhlitier  Gau, 
lici  (ieniswild  und  l)ei  Marmotten, 
Von  Gletschern,  so  Icalt  und  so  blau; 

Auch  wo  dn  dich  birgst  in  Rohren, 
Mein  Spreefiufs,  ein  Sorbenkind 
Aus  niedrigerra  Fels  geboren, 
Im  Kicsbett  murmelnd  geschwind, 

Da  klfaigts  eneh  in  flremden  Zungen : 
Ladlnerwort,  Wendenlaat.  — 
Was  einst  an  der  Wieg*  gesungen, 
Bleibt  bis  zum  End'  uns  vertrant. 


Drum  mOgc  der  Strom  gedenken, 
Den  sieh  die  grofse  Stadt  labt: 
Kann's  die  Berlinerin  krMnken, 
Dafe  sie  wcnd'sehe  Amme  gehabt? 

(DerBftr.  Illnstriorte  Woehcnsehriit  f.  vatnländ.  Geschichte.  XIX.  189.1.  S.  100.) 


8.  Der  Stein  im  Humboldthaia. 

(1888.) 

Kill  Tumnlu-^  ans  niiirkisclicii  (Icschiebcn, 
Don  <lir  getliürmi  die  licV)e  \'atrr.stadt, 
Die  nicht  den  (Ji-öiseren  geboren  hat, 
So  lang  nie  auliagt  aus  dem  Sprecthal  drüben. 

Du  schiedst.  —  Dein  grolser  Name  ist  geblieben. 
Vm  Stein,  geschlitf«'!!  von  der  Crflnth  glatt. 
Soll  hier  er  schweben  als  ein  Ruhmesblatt, 
Wie  sich  kein  schOnres  je  Berlin  geschrieben. 

Mag  Erz  und  Marmor  kUnden  deinen  Namen, 
Mag  prangen  er  anf  glHndzend'ren  Altfiren, 
Als  dieser  hier,  wo  wir  dich  fh)mm  verehren, 

Vor  allen  Andern,  die  von  fernher  kamen, 
Sind  wir  vcrbiiiidiii  dir  durch  inn'ge  iiande, 
Der  Wcltenstaub  gemischt  hat  unsroni  Sande. 

(Miltbeilung  des  Veicius  für  »iie  Geschichte  berlins,  1888.) 


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—  98  — 


9.  Der  heilige  Bielbogweg. 

Ein  Kloster  stand  im  Pommerland, 
Eh'  Ponimeriand  ward  Protestant, 
Beibog  von  altersber  genannt, 
Darin  der  Abt,  der  Jesum  pries, 
Den  Heidennamen  dauern  liefe. 

Denn  Bielbog  war  des  Lichtes  Qott, 
Deik  mild  erlösendes  Gebot 
Von  Land  and  Heer  verscheacht  die  Noth, 

Solang'  als  Svantewit  er  stand 
Hoch  auf  Arkona's  Feisenwand. 

Der  gleiche  Nam'  an  andrem  Ort 
Hat  heimlich  sich  gepflanzet  fort. 
So  heiilst  ein  Steg  nach  jenem  Wort 

Xdcli  hout'f^cn  Tag^  nah  Tx'i  I^crliii*), 
Hinschlängelnd  sich  durch  WaldesgrUn. 

Indefe  viel  hundert  Jahre  lang 
Das  Wasser  rann  die  Spree  entlang, 
Vererbte  sich  der  Vorweltsklang 

Vom  Urahn  stets  dem  Eiikelsobn 
In  stiller  Brust  als  lieber  Ton. 

Den  Bidbogweg  mag  gern  ich  gehn, 
Wo  hoch  die  Fichten  ringsum  stebn 
Und  Obdach  leihen  frommen  Reh'n. 
Auf  ihm  CS  Ntcts  wie  Frieden  lag, 
Glciciiviel  wohin  man  wandern  mag. 

O,  wSr*  doch  rings  um  unsre  Stadt 
Jedwede  Strab'  ein  Lichtgottspfad 
Für  edle  That  und  guten  Rath. 

Wir  bitten,  dafs  ein  Seg'en  lag* 
Auf  balbvcrgcfs'nem  Bielbogwcg. 

Gegrübelt  ward  schon  hin  und  her. 
Ob  auch  der  Nam'  authentisch  wUr*. 
Ich  halt'  es  nüt  der  alten  Mähr. 
0,  wischet  nicht  mit  Illtnden  rauh 
I^ns  weg  (las  bischen  Himmelblau. 

(Der  Biir.  lUostrierte  Wochenschrift  für  vaterllUuiische  Geschichte.  XX.  (1694.) 
S.  229.) 

•)  In  ciiuMii  Ciri  nzprotukoll  ans  tlor  Zeit  des  GrofBon  Kurfdrstcn,  in  welchem 
ilir  iin-nzi'n  zwix'lif'ii  'Icr  Jk'rliner  Ilci'le  uwA  il*  r  nlti'ii  Si)an<luiier  Nonmiihcitle  ffst- 
gohftzt  wurden,  las  liiiicui  eiiu-  «cliwer  zu  eiilzilU-imle  St»'lle  uls;  Ibili;;«'!'  Ilfiiuijiweg, 
eine  Auffassung,  die  allgemeine  Anerkennung  nicht  ^cfnnden  hat. 


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—  99  - 


10  PfiniMiiiiseL 

IS.  August  1891. 

Ein  Eiland,  keinem  sweiten  zu  ▼ergleichen, 

Sc'lnviinmt  lotosg-leich  auf  blauen  Ilavelseen. 

Das  Heim  scheint's  noch  zu  sein  der  holden  Feen, 

Die  längst  von  andrem  Orte  mullsteu  weichen. 

Der  Pfaucntiupp  liiiat  unter  "Woduuseiehen 
Des  Schweifes  Rad  in  farb'gem  Glanz  sich  drehen. 
Higr  durften  KOn'ge  kommen  oder  gehen, 
Vergessend,  dab  sie  Herrn  von  mitcht'gen  Beiehen, 

Und  wünschend  nur,  am  stillen  Strand  zu  bleiben. 
Wenn  jetzt  vorbei  den  FHhnunnn  Flutlicn  treiben, 
stül'st  ans  Land  ungern  sein  Boot  im  Dunkel; 

Es  schaudert  ihn,  denn  sah  n  nicht  nUchtlings  Fischer 
Den  unigohn,  der  einst  haust'  hier  als  Giftmischer? 
Das  ist's,  was  noch  die  Sage  weil^  von  Knnkel. 

(Mittlieihingeu  des  Vereins  fQr  die  Gesclüclite  iierlin».  189L) 


11.  Der  Hnvenow. 

Es  birgt  ein  See  sicii  in  des  Krdreiehs  Falten, 
Wo  man  die  GrafschniTt  hieis  einst  nach  Kappin, 
Dem  alle*  l?»'ize  die  Natur  verlieh'n. 
Die  märkscher  Boden  jemals  duri'l'  cntl'altcn. 

Als  ob  er  schlnmmre,  liegt  er  da  im  alten 
Und  miyestät'schen  Buchenwaldes  OrQn. 
Ein  jedesmal,  wenn  er  mir  neu  erschien, 
Anfblitzend  durch  der  Vorzeit  Baumgestalten, 

Fühlt'  frf'titli^rr  die  I'nNo  icli  orbclM'n. 
So  weltviT^Tsscn  schlän^ch  bWli  diT  SiMi-^^^el, 
Um  den  die  Kicsenslänuue  aufwärts  streben. 

Von  fernher  sieht  man  nur  die  Spitzen  ragen 
Aus  tiefer  Waldschlncht,  schreitend  Über  Hügel, 
Die  Saatengrttn  allein  und  Fichten  tragen. 

(Bisher  nicht  verftifentlieht) 


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—   100  — 


12.  Am  Huvenowsce. 
Scbarfenbei]g  im  Mai  1880. 

Der  lluvenowsec  lag  im  Frtthlingsgewaod, 
Vom  Buchenwald  j»erlgrau  und  maigrUn  umspannt 
Bald  aufwärts,  bald  abwürts,  den  Hcr^ipfad  ontlano:, 
Durch  rasclielndcs  Laub  hin  verlor  sitli  mein  (iMnjr: 
An  Wassern,  dem  KJord  «>-leicli  von  Xorwe^^ens  Meer, 
llercynisclicn  "Wald  s  schmaler  Streif  rings  umher. 
Und  da,  wo  die  Wildnifs  am  heimlichsten  graut, 
Ein  Tumulus  ragti  in  der  Urzeit  erbaut, 
Dem  der  Borgwall  sich  anlehnt  im  Schirm  der  Fluth,» 
Drin  der  fischende  Wilde  barg  karges  Gut 

Wem  thftrmten  sie  wohl  hoch  einst  dies  Httnengrab? 
War's  ein  HSnptling  greis,  wankend  gebückt  am  Stab? 

AVar's  ein  Knabe  1>lond  oder  ein  weises  "Wc  ib; 

Ein  l'ricstei',  dem  Linnongewand  liüllt'  den  heil). 

Der  die  Opferklinf;  zückt',  ins  ZukfintVjije  schaut', 

Dem  man  eiirfurchtsvoll  horciitc,  wenn  er  sprach  laufr'  — 

Wohl  fra^'t  PS  sich  leicht,  fhu'li  <ler  WiederhaU  stumm 
Giel>t  als  Antwort  zurück  nur  Bicnengesunini. 
Nur  den  Pfiti'  dos  Pirols  und  der  Amsel  Schlag, 
So  treu  wahrt  sein  Käthsel  der  blühende  Ilag. 
Eins  aber  ist  sicher,  ma;;  Hronz*  oder  Stein 
Ihre  Waffe,  ihr  Werkzeug  gewesen  sein: 
Jene  schweifenden  Stttmm'  im  Urwaldrevier, 
Galt's  Todte  za  ehren,  sie  ftlblten  wie  wir. 

(Erster  Tlioil  oines  in  der  Monnts.schriff  de.s  Verein.'^  zur  r.ef.u.lernnR  des  Gaiien- 
Iwues  in  den  konigl.  preulij.  »Staaten  (Maiheft  18äü)  vcrOiTcutlicbten  Uedielites  auf 
Karl  Koch,  den  berahmten  Professor  der  Botanik.) 


13.  Der  Wartthurm  von  Oransee. 


Ein  Thurm  steht  auf  der  HOlio, 
Blickt  weit  hinaus  ins  Land, 

Der  vor  viel  hundert  Jahren 
Schon  stolz  dort  oben  stand. 


Von  Feldstein  und  von  Ziegeln 
Bant'  einst  ihn  BUrgemnith, 
Zn  sclüitzen  un<l  zu  schirmen 
Des  Städtchens  Hab  und  Gut. 


Den  Luginsland  verschonte 
Bisher  der  Zahn  der  Zeit; 
:  Die  Treppe  nur  am  Grunde 
'  Mahnt  an  Vergänglichkeit. 

Das  Denkmal  deiner  Viltcr, 
!  Wo  man  sieh  tapfer  schlug, 
Gransce,  hast  du  vergessen, 
Ehrst  da  nicht  hoch  genug. 

Ein  Wandrer  zog  vorüber. 

Der  die  Vorwtistung  sah.  — 

Vielleicht,  kehrt  er  einst  wieder, 
»Steh'n  neu  die  stufen  da. 

(Iluppiner  Kreisblatt,  Anfangs  der  äieUuger  Jabre./ 


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—    IUI  — 


14.  Bunte  Sommer vögel. 

Der  Tropen vogel  folgt  des  Wanderns  Zuge. 

Er  schweift  hinüber  selbst  in  unsre  Zone, 

Ihm  gab,  dals  er  auch  n<irdiseh  Land  bewohne, 

Ein  Gott  das  Mittel  im  pfcilt»cbnollen  Fluge. 

Den  Kirschbaum  plündert  der  Pirol,  der  kluge, 

Blauraken  nisten  in  d<  r  Eichen  Krone, 

Die  Weide  dient  dem  Wiedehopf  zum  Throne, 

Aus  der  er  mit  gebog'nem  Schnabel  luge. 

Sie  Alle  tragen  hell'ren  Lichts  GeprSgc 
Auf  ihrem  Federkleide  bont  und  zart, 
Sic  Alle  fliehn  der  Sonnenstrahlen  Schrtfge. 

Nur  kurse  Zeit  auf  grünem  Zwe^  sieh  wiegen, 
Das  ist  bei  uns  nun  einmal  ihre  Art, 
Weil  südwärts  ihrer  Heimath  Fluren  liegen. 

(Ondthologiscbes  Centralblatt,  1878.) 


1&.  Möven  tlberm  Wasser. 

Die  Mttve  adelt  auch  die^  still  (Tewii^^ser. 
Sir  gaukelt  drauf  in  lichter  Woiilgestalt, 
Bald  rasch  hinjagend,  leise  bchwebend  bald, 
Und  tauchend,  aber  niemals  darum  nttsser. 

Xiclit  scheint  s,  der  Ocean  geli«  !  ilir  Vicsser, 
Wo  sich  der  Tang  am  Dünen>trantlo  bailt. 
Auch  unsre  Welle  liebt,  krybtall'n  und  kalt, 
Der  nimmer  mütU-,  weilse  Luftdurchmesser. 

Wie  traundudt  ist  ihr  Kommen  und  ihr  GLhen! 
Ein  See  Viedarf  der  Möven  und  Seeschwalben, 
Manchmal  dem  Meer  ein  wenig  gleich  zu  sehen. 

Einst  sang  von  euch,  ihr  Vr)gel,  Hemrich  Heine, 
Gewöhnet  zur  Unsterblichkeit  zu  salben. 
Was  er  verklärt  mit  seüicr  Dichtung  Scheine. 

(fibeudaselbst.) 


16.  Die  Weindrosael. 

WehidroBseln  führt  der  Herbst  zu  uns  hierüber 
Vom  Land,  gelegen  weit  nach  Mittemacht 

Wir  sehn  sie  plötzlich  bei  uns,  wenn  es  tagt, 
Sdbald  der  erste  nächt'ge  Keif  vorüber. 


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-   102  — 


Wohl  wurden  Luft  und  "Wasser  rauh  und  trüber, 
Das  f'rtll'nde  I.aub  hat  dr^nnoch  seine  Pracht. 
Am  Siockc,  sflit,  wie  blau  die  Traube  lacht, 
Siils  für  uns  Menschen,  Vögeln  wohl  uodi  lieber. 

Die  ersten  Beeren  sind's  vom  Kel>enliange, 
An  denen  rastend  die  Weindrossel  pickt. 
Wenn  sie  die  Mark  erreicht  aut'  ihrem  Gange; 

Zwar  ärmlicher  und  schwerer  grofs  zu  ziehen, 
Als  Wclschland  von  der  Pergola  sie  pflückt, 
Doch  für  die  Vögel  wertb,  daTs  sie  versiehen. 

(Ebendaaelbst.) 


17.  Die  Haidelerche. 

Ist's  ird'scher  Sang  noch,  der  die  Luft  durchmessen 

Und  nieder  sich  zur  sand'gen  Lichtunfj  senkt, 
Wenn  kaum  der  See  des  Eises  Bande  sprengt? 
Es  klang  so  selig  und  so  weltvergessen, 

Als  mOcht'  es  traumhaft  Freudenthränen  pressen 
Aus  Augen,  die  der  Kummer  lang'  bedrängt, 
Und  Frühlinjrssehnsuclit,  hold  aufs  Neu'  geschenkt. 
Erwecken  unter  traurigen  Cypressen. 

Du  bist*8,  o  Lied  der  Lerche  Ton  der  Haide, 
Das,  bei  der  mildroi  Sonne  erstem  OrlUton, 
Die  Seele  fttllet  mit  woUttst'gem  Leide, 

Das  aus  der  Wolke  sich  auf  dUrlt'ge  Fichten, 
Auf  Silbermoos  und  Ginster  will  erglefeen 
Als  lieblichstes  von  der  Natur  Gedichten. 

(Ebendaselbst) 


18.  Die  Bachitelze. 

Von  kleinen  Vügeln,  die  sich  zugesellen 
Des  Menschen  Ueim  und  seinem  trauten  Dache, 
Ist  keiner,  den  ich  lieber  kund  euch  mache, 
Als  diesen,  den  im  Flug  und  Laufen  schnellen. 

Er  wohnt,  lein  Freund,  bei  Scheunen  und  bei  Stlillen, 
Des  Hofes  rege,  nimmer  müde  Wache, 
Und  nicht  verstummet  vor  des  Habichts  Bache 
Sein  Ruf,  eh'  Htthne  krüh'n  und  Hunde  bellen. 


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108  — 


Als  Ackermännchen  folgen  die  Bachstelzen 
Dem  Landwirth,  hinter  dessen  Pfluges  Schar 
Sich  braune  6choileu  unablässig  wUlzen; 

Als  Wippstert  machen  sie  ihr  Beverenzchen 
Dem  Hanswirth,  der  sie  flrüh  begrttfet  im  Jabr, 
Und  ohne  Aufhören  wackeln  sieht  Ihr  ScbwMnzohcn. 

(Noch  nieht  vsrOffentUcht.) 


19.  Die  Turteltaube. 

Ein  Bibelwort.  —  Es  ist  der  Lenz  erschienen; 
Die  Turteltaube  INfst  sieh  wieder  hören 
In  Tinsrem  Lande.  —  Ja,  so  ist's.    Nicht  stören 
Darf  die  Natur  der  Zeiten  endlos  Binnen. 

Noch  hent,  wenn  neu  die  Maienbttsche  grttnon. 

Will  trHumerisch  die  Seele  uns  bethören 
Der  Taube  Girren  in  den  hohen  Führen, 
Die  ihrer  Lieb'  als  Zufluchtsttttte  dienen. 

Wir  hier  am  See  erwarten  nie  veiigebens, 
Dafs  sie  des  Südens  LUfte  zu  uns  Idten, 
Wenn  Alles  schwillt  von  sttfeer  Lnst  des  Lebens. 

An  meinem  Ufer  auch  baut  sie  ans  Stecken 
Ihr  Nest,  wo  Schwarzdomdiddchte  sich  breiten.  • 
Geh*  leis  yorttber,  nicht  sie  za  ersehrecken. 

(OniithologiBches  Centnabhitt»  187a) 

80«  Der  EiavogeL 

Wer  hascht  Tordber,  glänzend  wie  Juwelen, 
Am  Werftstranch  rasch  entschwindend  nnsren  Blicken  V 
Wer  will  des  Wassers  Borde  lieblich  schmtlcken, 
Wo  er  sich  sonnt  anf  eingeschlagnen  Pfühlen? 

Kein  Colibri  kann  schimmernder  sich  wählen 
Das  Federkleid,  dem  Ang*  ein  fh>h  Entzücken, 
Als  du,  Eisvogel,  der  mit  blauem  Rücken 
Und  Scharlachschnabel  tauchst  in  diese  Wellen. 

Die  Alten  wul'stcn  von  aleyonschen  Tagen, 
Wo  Meerfluth  sanft  in  wonniglichem  Wiegen 
Des  Vogrels  Nest  und  Eier  Hebt'  zu  tragen. 

l>ei  uns  bereitet  er  die  Wochenstube, 
Nur  Ufer  wJihleud,  die  erhaben  liegen, 
Und  bohrt  ins  Erdreich  eine  tiefe  Grube. 

(Ebeudaöüibst.) 


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-   104  - 


21.  Der  Stint. 

(Zar  Zeit,  wo  man  ihn  fäii>;t,  iin<l  wenn  auch  weniger  begehrt  wie  sonst,  als  rnne  alt- 

berliner  :Speise  zu  Markte  bringt) 


Du  Zwerg  der  SalmonideD, 
Die  Edelfische  sind, 
fJesuclit  und  auch  g'<'raieden, 
HerzUeber  Jdeiuer  Stint, 

Bist  keine  Fürstenspeise, 
Schmeckst  doch  gar  Vielen  gat, 
Wenn  dich,  beAreit  vom  Eise, 
EmportrSgt  FrOhlfngsflut. 

Gewimmel,  silbeiii-blHulick, 
So  zieht  man  dich  an*B  Lidit. 
Fast  Jeder  ruft:  Abscheulich! 
Der  dich  im  Netze  riecht. 

Mit  Haut  und  Darm  und  Kragen 
Gebacken  aul  dem  Ileord, 
Wirst  dann  du  voll  Behagen 
Von  alt  und  jung  vorzehrt. 


I 


Auch  schmoret  Flamm'  und  Fankc. 
Die  an  die  Köchin  blies, 
Dich  gar  in  jener  Tunke. 
l>ic  sauer  heilst  und  süis. 

Wenn  wilde  Winde  blasen 
Und  heult  der  Boreas, 
Wirft  oft  der  Sturzweir  Rasen 
Den  Stint  aufs  Üfer-Gras. 

Wo  Möven  dann  und  KrUhen 
!  Gar  lilstem  nach  ihm  sind, 
'  Und  sammelnd  auch  erspSben 
!  Ihn  darf  manch  armes  Kind. 

I 
I 

Dir  f^h'iclu  drin,  dais  sicii  s  melde 
Der  Xas',  kein  Sehuppeniier, 
Doch  heii'jst'ö,  gleichwie  vom  Gelde; 
Xon  <t]«'t  auch  von  dir. 


(Der  Bär. 

a  108.) 


Illustrierte  Wocheniächrjtt  lür  vaiorlanUiscbe  Geschichte  XX 


U.  Die  Buche. 

Du  edelster  von  unsern  Waldcsriesen, 
Holdserge  Buche,  denen,  welche  lieben. 
Beutst  du  die  glatte  Rinde,  dafö  sie  schrieben 
Drauf  Namen,  welche  Herzen  sanft  umschlieilien. 

^lit  dir  hat  hieh  Xatur  un?-  karg  bcwit  scn. 
Wohl  moglieh  auch,  dais  nur  die  Keate  blieben 
Vom  Hain  mit  Blättern,  die  orang'  verstieben, 
Wo  havelwärt«  die  Sprcegewüsser  fliegen. 

Drum,  still  gelehnt  an  deine  lichten  Spuren, 
(Jehl  stf'ts  ein  Ktwas  gh  ieli  gelieinieia  Grul'se 
Zu  deiner  Krone  wehciideu  Contourcn. 

Du  Gast  des  Bergwatds  und  der  OstseekQsten, 
Willkommen  da,  wo  in  geseH'gem  Schlüsse 
Als  heimischen  Baum  dich  märk'sche  Lüfte  küi'sten. 

Dort  Huchiiolz.  «Ins  \vir  heut  franzrisiseh  heiisen, 
Spiiclist  laut  zu  uns  von  hoher  Fürsten  Gnaden, 
Die  liebreich  zu  sieh  die  Verstoi'snen  la<len 
Und  Glaubensbrlidcr  bittrer  Noth  entreiisen. 


—    lüo  — 


Ihr,  die  hierher  ihr  Höht  vor  Blut  uud  Eisen, 
Vetfolgte  Opfer  wüster  Dragonaden» 
£ach  Wallenden  auf  des  Exiles  Pfaden 
Ma|f  hold  die  neue  Heimath  sich  erweisen. 

Zwar  sind's  nicht  mehr  die  ThHler  der  Cevenuen; 
Kill  ruuhrcä  Land  cmpfUDget  die  V'crbunnten, 
Die  zOgemd  sich  von  schtln'rer  Heimath  trennen. 

Weit  war  der  Weg,  ei-  f^iiijjf  durch  Sand  und  Luche. 
])cr  erste  Markstein,  den  sie  froh  «M'kannten 
Vom  Ort  der  Zutlucht,  war  die  groise  Buclie. 

Ich  habe  wohl  sio  noch  j,'ckaiinf  «Ii«'  alt«-. 
Xnn  lai!^---!  veiMii(>r.<<'!ito,  die  hcrüliuiUj  i'.uche. 
Wo  staiMj  >ioV  Dort,  am  l'arkrand  südwärt;>  .suche 
Den  Fleck  auf  leicht  gewellten  Erdreichs  Falte. 

Da  war's,  wo  über  kurzem  Stamm  sich  ballte 
Des  Wipfels  Rest,  der  des  Verderbens  Fluche 
Kaum  zu  entrinnen  maciite  noch  Versuche, 
Um  den  sich  grauer  Flechten  Grabsehrift  malte. 

Sonst  von  der  Buche  ist  nicht  viel  zn  sagen, 

Sic  vijeehte  langsam  bin  und  schien  vergessen, 
Noch  eh'  mau  ihre  Trümmer  abgeschlagen. 

Mir  lebt  sie  in  getreuem  Angedenken, 

Weil  manchesmal  ich  unter  ihr  gesessen 
Hab'  jugendfrisch  auf  jabresmttden  Banken. 

(Noch  nicht  verOffeDtlicbt.) 


23.  Der  Eisbeerbaum. 

Ein  Bild  sei  festzubannen  mir  gestattet, 
Daa  auch  hinabsank  zu  Erinnerungen. 
IjalM  von  ihm  reden  mich  zu  Euch,  ihr  Jungen, 
Von  moos'gen  Trttmmem  spricht  es  laubumschattet. 

Im  weiten  See,  wo  sparsam  Kohr  sich  gattet 
Mit  BmsengUrteln,  schwank  und  bleich  geschwungen, 
Erhebt  ein  Werder*)  sich  aus  Niederungen, 
Drauf,  Äbte,  vor  Chorin,  gebaut  ihr  hattet. 

Nun,  um  zerborst'ne  Quadern  wild  Gcranke. 
Ein  mftcht'ger  Eisbeerbaum,  nah*  der  Kapelle, 
Stand  träumerisch  am  steinbcsüten  Hange, 

*)  Der  Pehlitswerder  im  Parsteiaer  See. 


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106 


Desgleichen  nirg-ends  in  dpr  ^fark  zu  finden. 
Noch  ist's  nicht  lang,  seit  an  des  Paarsteins  Welle, 
Vom  Windstois  umgeweht,  er  mofst'  verschwinden 

(Noch  nicht  veröffeotliciit. 


S4.  Ulmos  «AiML 
Zar  Erinneniog  «d  den  Orkan  vom  22.  ICai  1891. 

I. 

4 

Vielhunderljährig,  an  des  Eilands  Pforte. 
Standst  du.  o  l^aum,  mit  miicht'f^cm  Stamm  und  Acstcn, 
Inwendig:  fiohl,  nach  auisen  ohn'  (icbi(>len, 
Um  den  ich  klagend  reihe  heut  die  Worte. 

Noch  lang'  schien's  hin,  bis  einst  dein  Lanbwerls  dorrte, 

Gewohnter  Schatten  nngeztthlten  Gästen. 

Ein  StUrk'rer  kam:  der  Sturmwind  aus  Südwesten, 

Der  dich  zerbrach,  leer  machend  deine  Orte. 

Wer  durch  den  Forst  znm  scharfen  Berg  wollt'  wallen, 
Der  liefo,  dalis  ttber  ihn  der  Kahn  sollt*  holen, 
Vom  FofB  der  Rttster  her  den  Rnf  erschallen. 

Mohr  als  der  Marder,  Insais  deinem  Mulme, 
Vermisse  ich,  die  bald  verglüht  zu  Kohlen, 
Dich  meines  Hofes  naebbarliche  Ulme.*) 

n. 

Vielfach  Gethier  mag  warm  und  sicher  wohnen 
In  hohler  Bäume  rar  gcw^nem  Stamme, 
Den  noch  der  Forstmann  opfert*  nicht  der  Flamme, 
Asyl  der  Honigbien*  nnd  ihrer  Drohnen. 

Die  Ulme  war,  wenn  nicht  lür  Millionen, 
Doch  Tausenden  so  Unlcrschlupf  wie  Amme. 
Ein  schlimmes  Völklein  auch,  das  ich  verdamme, 
Sais  lang'  einheimisch  unter  ihren  Kronen. 

Xun  hat  der  Schwärm  von  streitbaren  Momisscn 
Hei  jähen  Sturzes  furchrharcm  Gekrache 
Aus  altem  Wohnsitz  liichn  und  weichen  müssen. 

Zum  Tod  des  Menschen,  hciCst's,  genügen  sieben, 
Ihr  Horst  hängt  jetzt  an  meines  Tbnrmes  Dache. 
Ich  wollt',  die  Rüster  wäre  steh'n  geblieben. 

(IQttbeUangen  des  Vereuis  fOr  die  Geschichte  BeiUns.  1801.) 

' )  Der  beim  öturz  des  Rieseubuumes  urschrcckt  ÜieUeude  Edelmarder  ist  liistoriscli. 


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—   107  — 


29.  Par  Stumpf  der  Silberpappel.*) 

I. 

Der  Banni  i^^t  todt  Nar  seinen  Stampf  noch  ragon 
Sieht  kurz  und  dick  man,  wo  des  Haines  Kühle 
Grenzt  an  der  Menge  lastwandelnd  Gewühle; 
Doch  war  er  Bles*  in  kaum  verflosanen  Tagen. 

Dreisaekig  dürft'  er  mtt€ht*ge  Gabeln  tragen. 
Sein  Laubi  dem  Sohnee  gleich  in  der  Lüfte  Spiele, 
Geschattet  hat  es  für  nnendlidi  Viele, 
Die  ihn  pasBireten  za  Fni^  und  Wagen. 

So  ward  er  Freund  von  Genei-ationon : 
.Man  hioi^  ihn  Stiefelknecht  des  alten  Fritzen; 
Ihn  kannten  Alle,  die  Berlin  bewohnen. 

Und  als  er  fUhlf ,  dass  ihm  sein  End'  ersdiiene, 
War*8  eines  Kaisers  Wort^  das  noch  ihn  schützen 
Gewollt  hat  and  erhalten  als  Raine. 

U. 

Man  sagt,  es  sei  der  letzte  Rest  gewesen 
Von  Silberpappeln  zar  Allee  gereihet; 
Jetzt  seheint  zu  Flora*s  Altar  er  geweihet, 
Zn  ew*gen  Grünes  Sitz  er  aaserlesen. 

Denn  statt  verdorr  ndcii  Abtwerks  strupp  gcr  l^esen, 
Sind's,  drauf  gepüanzt,  dai's  sich  das  Aug'  erfreuet, 
I'pheu  und  Taxus,  gegen  Frost  gefeiet, 
Klematisrankeu,  deckend  alle  Blüfsen. 

Wenn  aber  mild  des  Sonmiers  Brisen  fStcheln, 

RokrHnzt  den  Stummel  aacli  der  Fuchsia  Blüthe 
Und  mengt  ihr  Roth  zu  andrer  Blumen  Lächehi. 

So  sprieist  aus  niorseher  Papi)el  junges  Leben!  — 
Gcscluuack  und  l'ietiit  in  dem  Gemüthe, 
Das  ist's,  wovon  sie  mag  ein  Beispiel  geben. 

(Hüttig's  Deutscher  Gartuu.   Ih7«.   t>.  tiou.i 

*)  Stand  am  hinteren  Ende  «1er  TiergartenstraR.se  unweit  des  Bogens,  den  diese 
mit  (Ut  Hof jilger  Allee  bildet,  l'iest-  Ruine  der  einst  stärksten  und^höcli.sten  Silber- 
pappel iu  Berliua  Umgebung  wurde  zu  einer  Art  grandiosen  Blumenständers  um- 
gewandelt. 


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—    lUÖ  — 


so.  Der  Weinberg  im  Norden. 

Ein  kleiner  Weinberg,  nah  des  Woinstocks  GreDSe, 
Aufs  Neu'  beptianzt,  wo  Roben  sonst  sich  wanden, 
Die  Winzer  fröhlich  an  die  l'fHhle  banden, 
Erfreut  im  Uerbste  mehr  mich  als  im  Lenze. 

Ein  Zeuge  sei  er,  wie  uns  mild  erglänae 
Die  Sonne  ancti  in  diesen  mltrksohen  Landen, 

Wo  traiibenschwer  einst  Bacchus  Hügel  standen 
Und  Keltern  trieften  neben  Pfiag  und  Sense. 

Nicht  wollen  wir,  wie  einst,  am  Most  uns  laben. 
Wir  sind  sclion  froh,  die  Traube  nur  zu  pflttelLen 
Und  zu  geseirn  sie  zu  Pomona's  Gaben. 

So  wird  ein  Kl«'ines  uns  doch  vom  Genüsse, 
Den  andrcnnrt?:.  auf  sonn>ci-  Hüngc  Kücken, 
Das  Füllhorn  spendet,  voll  zum  tibertlusse. 

(Bisher  angedruckt.) 


27.  Draeaena  Draco. 

Gelegentlich  der  Ankunft  zweier  Drsehsnb&nme,  die  Herr  Faul  Haberkern  auf 

Valentinswerder  unserer  Stadt  schenlit. 

a  September  1691. 

Nicht8][8cheint  zu  kostbar,  um  Berlin  zu  schmücken, 
Zu  femgeboren,  ihm  zu  sein  Geschmdde. 
Seid  drum  gegrtUkt,  ihr  jungen  Dragos  beide, 
Die  oflhe  Hand  der  Heimath  lied  entrücken. 

Von  hohlen  Küsten,  die  den  Sinn  entzücken, 
"Wo  veilchenblau  den  Schatten  wirft  der  Teydc, 
Trug  Spröi'slinge  canar'schcr  Felsenhaide 
Der  Ocean  zu  uns  auf  breitem  Bücken. 

Oft  schaut'  ich,'  Urbauni,  dich,  gewalt'ger  Drache, 
Der,  schattend  über  Tcneriftas  Frieden, 
Lang'  hütete  die  Frucht  der  Hcbpcrideu. 

Bald  halten  deine  Enkel  Ehrenwache 
Am  Malstcin  Humboldt's,  der  von  dir  geschrieben 
So  schto  hat  auf  der  Guancheninsel  drüben. 

(Mitteilungen  de«  Vereins  f.  d.  Geschichte  BetUns.  1801.) 


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—  109 


29.  Die  Linde  am  Schildhorn. 

Noch  blüht  der  Grunownld  von  Avildf>n  Lindenf 
Dio  hier  und  (hi,  zorj^trriit  an  der  Liniere, 
Zum  Wasser  kehren  ihrer  AViptel  j^chwere, 
Uralt,  des  Laubwalds  frilh're  Pracht  zu  künden. 

Die  mächtigste  kannst  da  beim  Scbildhorn  finden. 
Sie  ladet  dich  zu  ihres  Stammes  Leere, 
Wo,  wenn  du  wthisehest,  daflB  sie  ihn  gewittire, 
Sie  Schutz  dir  bent  vor  Regen  oder  Winden. 

Die  Baumwelt  rechnet  nach  ^imz  andren  Jahren 
Als  wir  PygraU'n,  auf  welche  tlillt  ihr  Schatten; 
So  hat  auch  viel  wohl  diese  Lind'  erfahren. 

Sie  stand,  als  Jazko  hier  den  Strom  durchschwömmen, 
Der  letzte  KOnig,  den  die  Wenden  hatten, 
Eh*  er,  besiegt,  die  Taufe  angenommen. 

(Noch  nicht  verOfFentticbt) 


19,  Die  Arve  auf  der  PfaueninseL 
(Pfaras  Cemhrs.) 

Ans  IIochp:ohir;?e  mahnt  der  Arve  öchulteu, 
Die,  zweifjetheilt,  als  düstre  Pyramide, 
Wie  wenn  der  Alpen  Schnee  sie  ung-crn  niii'de, 
Kiuporsteigt  auf  des  l'i'aueneilands  Matten. 

Gar  Viele,  die  dies  Paradies  betraten, 
Sah*n  sie    Ich  aber  will  zuerst  im  Liedc 

Sie  feiern,  dafs  si<»  Poesie  umfriede, 

Du,  ihres  Pflegers  Geist  magst  es  gestatten. 

Hat  K(>n  {^»"en  aucli  sie  naeliharlich  gestanden, 
Gestreut  für  sie  der  Zapfen  süfse  Manduin, 
Zwei  waren's  doch,  die  besser  sie  verstanden. 

Ein  Fintelmann,  der  sie  vertraut  der  Erde, 
Ein  Andrer,  der  gehegt  sie  und  umwandeln 
Mich  oft  sie  Heils  mit  eines  Freunds  Geberde. 

(Noch  niclit  veröffentlicht) 


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110 


80.  LinoAea  bortaUi.*) 

Die  Stelle  ist's,  die  einsame,  pracllose, 
Im  tiefen  Forete  zwischen  Heidelbeeren, 
Zu  der  so  gern  wir  unsre  Schritte  kehren, 
Weil  hier  Linnaea  ranket  dureh  die  Moose. 

Wrr  nie  sio  pflückt  in  schatt  ier  Wälder  School'se, 

Obgleich  er  Flora  will  als  Göttin  «  liron, 

Der  muts  wohl  uii^^ern  ^roiscii  Gut  entbehren; 

Nicht  stand  das  Glück  zui*  Seit'  ihm  als  Genosse. 

Bald  sind  es  hundert  Jahre,  daft  sie  kennen 
Am  gleichen  Fleck  hier  in  der  Tegler  Haide, 
Die  sich  der  grünen  Trommel  Brüder  nennen. 

Und  jedesmal,  irescliaut  am  IIcim.iN'M  te, 
Krweckt  sie  wieder  tief  enqd'iindiie  I  i  i  uih-. 
Die  unaussprechbar  bleibt  durch  biniple  AVi  itr 

(Noch  nicht  möffentlicbl.) 


31.  Taxodium  disüchium. 

Ihr  Was6<  rcedem  oder  Sumpfeypresson, 
Die  man  geplianzt  auf  fcuehtem  Wic'^cnijlan, 
Wo  nachbarlich  den  Spreestrom  furcht  der  Kahn, 
KOnnt  ihr  des  Südens  laue  Luft  verj^ressen, 

Den  Hissisippi,  welcher  unermcsscn 
Entgegen  rollt  Westindiens  O'-can 
Und  jener  Ströme  urwaldrciiehe  Bahn, 
Au  welchen  i'ünl'  A'ationen  einst  gesessen? 

Man  staunt  darüber,  wie  bei  uns  ihr  dauern 
Wollt  und  den  breiten  Gipfel  üppi^  heben 
Trotz  winterlicher  Fröste  argem  Lauem. 

Wie  seltsam  ra^^t  ihr  mit  fremdart'f!:en  Stämmen, 
Anmuthif*'  breitend  zarten  Lanbwerks  liehen, 
Wo  Moder  sonst  und  Sumpi'  die  Schritte  hemmen. 


•)  iHSMiiders   in  Skandinaviens  WilMcrn  liiinli^'o  inimerjn'flne  nordische 

>hi08gl»kkclien  gfhOrt  mit  soini'n  fadeul<irniigi'n  KriiH-hzM eitlen  und  den  nickenden, 
hell  rosafarbigen,  dtifti^en  BlfltenglÖckcliCD  xu  den  sierlichstcn  Uebilden  der  inBansen- 
welt  uml  \\ni.h-  di  shalt)  dazu  atisersehcn,  Linn^'fl  unsterblichen  Namen  zu  tragen. 
K.  Schubert,  Pllaiuenkuudo  II,  S.  *J(». 


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—  III  — 


In  Gusow,  wo  <lei'  rauhe  alte  Degen 
Derftlinger  sich  erschuf  (mh  Tusculum, 
Um  reich  an  Jahren,  reicher  noch  an  Ruhm, 
Der  BlumengOtliu  Kiudcr  dort  zu  püegeu, 

Erblickt,  wer  wandert  auf  vorwachs'nen  Wegen 
Und  in  dea  Parkes  Wirrsal  schaut  sich  mn, 
Den  wundersamsten  Baum,  den  da  herum 
In  weitem  Umkreis  wohl  das  Land  mag  hegen. 

Die  ait'ste  ist  es  mftrk*8cher  Sompfc^^ressen. 
Wie  lang*  sie  steht,  mag  kaum  noch  jemand  wissen» 
Auch  hat  man  ihren  Umfang  nie  gemessen. 

Man  liest  von  ihr  in  uns'res  Fontane  Schriften. 
.So  ward  sie  der  Vergessenheit  entrissen 
Und  Ireut  der  Ehre  sich,  der  wohlverbrioften, 

^Nüch  nicht  veni£Ft*ntlieht.) 


Waldemar  Kopp. 

Lli  h.  am  H.  September  IS^ü  zu  Doniinin  in  Pomtnorn,  stuiliorte  klassische  Pliilologie, 
war  (i vinnusinllehrrr  r.n  ' iri'ifenbt'rg  in  roniiucrn,  übernahm  isiii'  'Vu-  Li-itmi«?  ilcs 
Progyiiinasiunii«  in  i  rt-itnwulde  a.  0.,  das  ISdÜ  zu  einem  vollen  UvuinaMiini  erweiteil 

wurde.  Er  starb  daselbst  am  17.  Januar  1881. 

Freienwalde  a.  O.  zur  Weihnachtszeit 

Der  Winter  brach  herein.    Ein  Bild  auf  Avciiscin  Ciriimle. 
So  li('o;t  die  .schniuekc  Stadt,  nnd  rings  in  weiter  iiunüe 
Hat  alles  weil's  sieb  anj^-ethaii. 
l>as  Oderbrueh  t  rglüht  im  Sonuensirahl<  iiy;lanze, 
Und  durch  die  weite  Au  in  ihrer  Berge  Kranze 
Schielet  schwarz  der  Zng  der  Eisenbahn. 

Was  brinjji-t  er  heute  mit?    Es  sind  nii  lit  Sonmiergilste 
Wie  in  der  Badezeit,  nein,  zu  dein  A\'eihnuchtste!>te 
Sneht  ^i'vn  nuinch  Kind  das  Vaterhaus 
„Willkommen!"  ttint  es  laut  in  seiner  Lieben  Kreise, 
„ Willkommen I**  winkt  ihm  leis  in  wohlbekannter  Weisse 
Die  Weihnaehtstanne,  j^rün  und  kraus. 

Verliefst  ihr  uns,  als  noch  in  ihrem  vollen  Laube 
Die  Waldeskrone  stand,  als  sie  noch  nicht  ZUm  liuubc 

Dem  Herl)>t<'slri>sr  i,^eworden  war? 

'Iiii<,''t  jj;-ar  ihr  \\<•L^  als  liell  die  T,ereh(>n  sani,''en. 

Piro!  und  Drnssi  i  sieh  von  Zweij;  zu  Zweige  schwangen 

In  ali  der  kleinern  Öanger  »Schaar? 


Doch  jetzt  im  l'.i'umiciitlial  er^rlitzort  rs  wie  Funken, 
L  nü  knirsclit  es  unteiin  Fuis,  von  weilser  Last  gesunken 
Siehst  du  der  dunklen  Zwcij^c  Pracht. 
Die  ernste  Führe  ragt  an  schnecbedeektcn  Hiingen 
Bereift  zum  Himnoel  auf  tmd  braune  Stamme  drHngcn 
Sich  in  der  hellen  Waldesnacht. 

Wie  lautlos  still  ringsum I    Da  schnarrt  es  von  den  Zweigen: 
Des  Holzes  Heher  war's,  zuerst  brach  er  das  tichwcigen, 
Der  bunte  Specht  erwiederi  bald, 

Und  nuuiter  zwitschernd  wiegt  am  Strauche  sich  die  Meise. 
Die  graue  KrKhc  schwebt  erst  ob  den  Wipfeln  leise, 
Dann  krüchzt  sie  hallend  durch  den  Wald. 

Zwei  Hohe  stellen  dort,  sie  scheinen  still  zu  lauschen, 
Ob  durch  das  Unterholz  auch  Treiber  klappernd  rauschen, 
Verschwunden  sind  sie  nun  waldein. 
Doch  sieh',  wie  vogelgleich,  von  Hunden  laut  getrieben. 
Die  Schwaben  in  dem  Tann  wild  auseinander  stieboni 
Begrtti^t  vom  roten  Feuerschein! 

Am  schönsten  prangt  der  Nord  im  säubern  Winterkleidc, 
Auch  Freienwalde  strahlt,  hart  auf  der  Landschaft  Scheide, 
In*s  Thal  Jetzt  hell  und  hoch  und  ftei. 
Doch  flicht  der  Blttten  Schnee  dir  wieder  wcifoe  Kranze 
Und  setzt  sie  dir  auf's  Haupt,  crtünt'it  im  neuen  Lenze: 
„Du  bist  am  schönsten  doch  im  Mai!" 

(Bilder  ans  der  Mark.  Dichtmigen.  Freienwalde  a.  O.  ISTr».  S.  13  ff.) 


Rudolf  Grimm. 

Als  zweiter  Sohn  Wilhelm  üriainis  geb.  niu  Msirz  18.il  in  Güttinyen,  studierte  in 
Berlin  und  Bonn  Philologie  und  Jnra  nnd  statb  als  K^erungsrat  ttei  der  Regiemng 

au  Potsdam  im  November  1889  in  Beriin. 


In  der  F; 

Hoher  3f iktagTi' stülc  Haide! 
Schlanke  Fichten  streben  aufwärts. 

Wo  durch  ow  '^ct  Ilimmelsbläuc 
Weilse  Wrdkchen  einsnni  so<2fcln, 
Einham,  wie  des  Herzens  Sehnsucht; 
Hoher  Mittag,  slille  Haide!  — 

Wfinnc  brütet  rin^  der  Boden, 
Nadel^latt  und  nadelduftig. 


Dafe  es  lieblich  dttnkt  die  Thierchon: 
Rfifer  summt  und  Ämeis*  wandert; 
Hoher  Mittag,  stille  Halde!  — 

Horch,  da  singt  ein  einsam  VOglein, 
Singt  eintönig  gleiche  Weise, 
Flieget  auf  und  singt  sie  wieder. 
Und  laut  schallt  es  dnrcli  die  Stille; 
Hoher  Mittag,  stille  Haide! 


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—   113  — 


Helene  von  Hülsen. 

Geb.  «n  16.  Febrnar  1829  auf  dem  Bittergut  Blankenfelde  bei  Beriln  als  die  Tochter 
des  Grafen  Edoard  von  Haeseler,  yermShlte  eich  1810  mit  Botho  von  Httlaen,  der 
von  1851  bia  tu  a^em  1S86  erfolgten  Tode  das  Amt  des  General-Intendanten  der 
Konischen  Theater  zu  Berlin  bekleidete.  Qeat,  &  Mai  1893. 

An  die  Mark. 

.    Ftlr  dich,  o  Mark,  wird  stets  mein  Horz  erglQh'n» 
iPag  mich  die  Welt  mit  delnoa  Reisen  necken, 
Mit  deinen  weiten,  Oden  Sandesstrecken, 
Mit  deiner  Kiefernwälder  fahlem  Grün! 

Nur  wer  dich  Heimat  nennt,  der  kennt  dicli  ganz, 
Liebt  deine  stillen,  schiIfVerwachs'nen  Seen, 
Die  Saatgefllde  mit  den  sanften  Höhen, 
Der  schlichten,  anspruchslosen  Dörfer  Kranz! 

Drum  schweig  ich,  Mark,  von  deinen  Reizen  still, 
Nur  heimlich  lächelnd,  anstatt  sie  zu  neiden, 
Die  ihren  Blick  an  Fels  und  Meere  weiden, 
Die  ich  mit  dir  doch  nicht  vertauschen  will. 

Dfiin:  was  er  liebt,  nur  heilst  dein  Jlenschen  schön! 
Nur  was  ihm  iVlühe  bringt,  weils  er  zu  schützen, 
Was  schwer  sich  fügt,  ist  einzig  sein  Ergötzen, 
Drum  will  ich,  Mark,  stets  treulich  zu  dhr  stebn! 

(Der  Bär.  inustriorte  Wochenschrift  fOr  die  Geschichte  Berlins  und  der  Mark. 
1880,  8.  381.) 


Eugen  Trowitzsch. 

Geb.  am  2(>.  Marz  isk',  lebt  als  Inhaber  der  bekannten  Ktinigl.  irofbnchdrackerei  und 
Vorlagsbucbhandlong  Trowitcsch  n.  Sohn  in  Frankfurt  a.  O. 

Alt-Brandenburg. 

Aus  Sand  und  Kiefern  hat  dich  Gott  gesehaft'cn, 
Alt-Brandenburg,  mein  liebes  Heimatland. 
Im  Schweifs  mufs  deine  Güter  sich  cn^affcn, 
Wer  dich  bewohnt,  mit  harter,  starker  Hand. 

Still  ist  es  rings.  Der  "Wind  pr«  ift  durch  die  Wipfel; 
Von  weitem  klingt's  wie  ferner  rilockenton. 
Und  stolz  wie  deiner  schl.uikcn  P..'(niiK'  tlijjfcl 
Geht  durch  die  Heide  festen  Schritts  dein  Sohn. 
Arrii.  a 


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Ein  trotzig  Volk  and  stark  sind  deine  Mannen; 
In  Sorg^  und  MOli'  zogst  da  sie  liebend  grofe. 
Erst  wenn  die  Perlen  von  der  Stime  rannen, 
Giebst  da  die  Schatze,  die  da  birgst  im  Sdioofs. 
Doch  dafür  spendest  da  aach  reiche  Gaben, 
Die  man  von  Jo  an  deinen  Kindern  schätzt; 
Was  !>io  im  Eni>t  sich  vorgcnominen  haben, 
Mit  Fleite  and  Treae  wird  es  darcbgesetzt. 

So  baaen  weiter  sie  der  Vater  Hafen 
Und  leben  still,  die  Manner  in  der  Mark. 
Doch  wenn  des  Vaterlandes  Trommeln  rafen, 
Dann  sind  sie  da  and  löwenstark. 

,,Sicg  oder  TodI"  so  tönt's  aus  ihrem  Sande. 
Lieb  Heimatland,  wie  ^Mlrdest  da  so  grofiB! 

Ja,  mitten  drin  im  Brandenburger  Lande, 
Da  ragt  es  lioch,  das  dont-^chp  Kaisorsclilolsl 

(Alt  r»randenbiir<.',   Text  von  Kiigeu  Trowitzsch.   Für  vierstimmigen  Mäimerchor 
komponiert  vuu  I.dwiu  Scluiltz.    Berlin,  Butc  imd  Bock.) 


Otto  Franz  Gensichen. 

Geb.  am  1.  Febrnnr  ISA!  zu  Driesen  in  der  Neumaric,  vorgebildet  auf  dem  Gymnasinm 
ED  Landsberg  a.  d.  Warthe  ond  auf  dem  Friedrich  Wilhelin8>Gymnaidiim  in  Berlin, 
siitdiorte  in  Bertin  Mathematik,  später  Philosophie  nnd  altklan^che  Philologie,  war  in 
der  Folge  ebendort  als  kritischer  und  politischer  Schriftsteller  und  KtMiilletonlst  un 
mehreren  ZdtscLriften  ibütig.  1871  — 1S7S  Dramaturg  am  Walluer-Tbeater,  lebt  seitdem 

alä  unabhängiger  Schriftsteller  in  Berlin. 

I.  Aus  der  Gedichtsammlung:  „Unter  dem  Zollernaar*'. 

1.  MarkerUed. 

(Singweise:  Es  liegt  eine  Krone  im  grOnen  Bheut) 

O  märkische  ncimath,  o  Brandenbarg-Land, 
Von  Fremden  bespöttelt  and  flUschlich  verkannt, 
Mir  lächelt  so  lieb  deine  trauliche  Flar, 
Und  ich  jaachzo  hinauf  za  dem  blaaen  Azar: 

(  )  du  1I(  rz  meines  Deutschlands,  so  schlicht  und  so  stark, 
bei  gegrüföt,  sei  gegriU^t  mir,  du  heimische  Mark! 

Dich  schmückt  kein  Gebirge  mit  ragender  Praclit, 
Kein  wolkenlos  stldlicher  Himmel  dir  lacht, 
Doch  stolz  ist  dein  Wald  und  lieblich  dein  See 
Und  reizvoll  die  Inseln  der  Havel  and  Spree 
Nur  wer  dich  nicht  kennt,  schilt  dich  üde  und  karg; 
Sei  gegrüllst,  sei  gegrttM  mir,  du  heimische  Mark! 


—   115  - 


Es  zieht  nach  don  Bergen  die  Sohne  der  Schweiz, 
So  zieht  mich  dein  still  melancholischer  Kelz 
Allinimcr  im  Wachen  und  Triiunicn  zu  dir. 
Und  ewig  entringt  sich  der  Sohnsuehtsrul  mir, 
BiB  einst  meine  Lippen  ▼eratnmmen  im  Sarg: 
Sei  gcgrUfst,  sei  gegrilföt  mir,  da  belmisoiie  Mark! 

(„Unter  dem  ZoUenuMr".  Beriin,  Alexander  Dimcker.  1899,  S.  9.) 


S.  Eislauf. 

Lüssest  du  den  Lenz  nchon  alineu, 
Wintertag,  so  lind  und  klar? 
Wie  sich  auf  des  Eises  Bahnen 
Kreuzt  die  stahlbcschuhte  Schaar  I 
Wie  im  Glanz  der  Morgensonue 
Sich  die  Paare  sacheo,  fliehn! 
Sei  ipegrflilBt  mir,  Born  der  Wonne, 
RoQSsean-InBel  zu  Berlin! 

Fernher,  kaum  noch  unterschieden, 
Braust  <lrr  Weltstadt  wirrer  Schall, 
Findet  iiier  im  Waldcbfrieden 
Nur  gedämpften  Wiederhol], 
Bricht  sieh  an  der  Bäume  Zweigen, 
Die,  bewegt  von  keinem  Hauch, 
Schneebedeckt  Bich  tiefer  neigen 
Zu  dem  frisch  bereiften  Strauch. 

Welch'  ein  Glitzern,  welch'  ein  Prangen! 
I^eich  mit  Diamanienpracht 
Scheint  so  Halm,  wie  Beis  behangen 
Von  der  guten  Mutter  Nacht. 
Spröder  Schönheit  achUchte  FUllo 
Schmückt  die  märkisch  ernste  Flur,  — 
Leiser  unter  Wintenihttlle 
Pocht  der  Herzsdilag  der  Natur. 

Oh  beglückend  Irohcb  Schweifen, 
Oh  erfi'ischcnd  heitrer  Tanz, 
Wenn  mich  holde  Blicke  streifen 
Aus  geliebter  Augen  Glanz; 
Wenn,  vereint  zu  einem  Paare, 
Leicht  beschwingt  wir  gleiten  hin, 
Zauberin  im  Lockenhaare, 
Meuies  Herzens  Königin! 
(„Unter  dem  ZoUemaar".  8.  90  n.  31.  Str.  1-4  des  achtetrophigen  Gedichtet.) 


9» 

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—  116  - 


S.  Heinrich  von  Kleist 

Der  .Sonno  Stralilen  sunt't  erV^laistcn, 
Leis  rauscht  das  welke  Laub  herab,  — 
Hier  will  ich  einsam  sinnend  rasten 
An  diesem  Oden  Dichtergrab, 
Das  auf  des  Wannsee*s  sandigem  Hfigcl 
Im  Waldesschatten  sich  erbebt, 
Darüberhin  auf  weichem  Fltfgel 
Der  Herbstloft  leiser  Seufoer  bebt. 

Den  dir  das  Leben  nicht  beschieden, 
Du  ungestümer  Fenergcist, 
Hier  suchtest  sterbend  du  den  Frieden, 
Du  miirk'selier  SHiigcr,  Heinrieh  Kleist. 
Wenn  auch  sein  Heim  dein  Todtenbette 
In  un;Lrr\veiliU'r  Erde  faiid,  — 
Du  srll>er  weihtf^t  diise  Slätte 
Zum  Heilig'thuin  fürs  Vaierhmd. 
(„Unter  dem  ZoUeniaar".    6.  18.    btr.  1  u.  2  de»  zt>hn»tiophigen  Üt-dicUtea.) 


4.  1 

Zum  trauniuniu ubciK'ii  Walde 
Die  Krähe  langsam  zieht: 
Ehitünig  umschwirrt  die  Haide 
Der  Grillen  Abendlfcd. 

Du  Kiuil  <lcr  ernslrji  Heide, 
Kothbiahende  Erika, 
In  deinem  grünen  Kleide 
Stehet  du  gar  lieblich  da. 

Gleichst  einem  AVeilmaclitstllnnlein 
Mit  rothen  Aepfelcin,  — 
VA,  solltest  der  Wicbtelmäunlcln 
ChrUtbUumchcn  du  wohl  sein? 


Traun,  jeiu-s  Orfllonprliclit«'!'. 
Das  sinj,^end  sieh  um  dieli  >eliuart,  — 
[  Die  langen,  welken  Gesichter 
!  Sind  recht  nach  Zwergenart. 

j      Verzauberte  AViehtellcutc 
I  Können  sie  füglich  sein 

Und  Üben  vielleicht  schon  hentc 

Ihr  Wcihnachtsliedclien  ein? 

I     Lass'  hier  am  Waldessäume 
^  In  deinem  Dufte  mich  mim 
'  Und  saubre  empor  mir  im  Trauine 
.  Der  Kindheit  Avalun! 

(„Unter  dem  ZoUemaar'*.  8.  11  u.  12.) 


II.  Aus:  Pfarrhaussegen.*) 

1.  Sonntagsglocken. 

Sonnta^>;rl<H'ken  verhalicu  .  l  ud  mit  ehernem  Munde 

rclM-r  das  Wartlichnich.  ■  Stinnnen  all»;<-niaeh  ein 

J.an(lsl)cr;:s  (;inrk,  n  v»»r  allen  |  Au<-Ii  <lie  Dr>rler  der  Kunde: 

Tüncn  über  das  Lueh.  j  Burkow,  Dechüel,  Koruein. 

*)  Die  nachfolgenden  Proben  sind  BmcbstQcke  ans  einem  grofseren  enttblenden 
Gedicht 


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-   117  — 


Wonn^  Augenweide 
Bietet  so  Flar,  wie  Hag, 
Hell  aoB  hohem  Getreide 
Jabelt  der  Wachtel  Schlag; 

Fröhliche  Lerchenstimmen 
Jauchzen  von  droben  darein, 
(irillen,  Ilumniehi  und  Immen 
Fallen  di*unten  mit  ein. 

(Pfarrfaannegeii.  Dicbtang. 


Zwischen  den  Höhen  zur  Rechten 
Und  der  Warthe  Gerinn 
'  Rasseln  gleich  ehernen  Knechten 
Dampfend  die  Züge  dahin. 

Fördern  in  ruhlosem  Hasten 
Schneller  als  seg^clnder  Kiel 
Unermefsliche  Lasten 
'  Aucii  am  Sonntag  zum  Ziel. 

BerUn,  Alexander  Ihmcker,  1806.  S.  1  und  S.) 


2.  Das  Dörfcbeo  im  Warthebruch. 


Friedlich  in  der  MorgenBonue  i 
Lag  das  reiche  DOrflein  da,  I 
Dran  des  Pfarrers  Blick  mit  Wonne  | 
Sitt*ger  Ordnung  Spuren  sah. 
Hans  und  Hof  fast  stets  aus  Steinen  | 
Einfach,  doch  massiv  gebaut; 
Tfin  und  wieder  nur  von  kleinen 
llUtten  noch  ein  Strohdach  schaut.  | 

Auf  den  Tele<rrniihen(lr;ihtfu  : 
Sal's  der  Schwall k-m  frohe  Scliaai", 
Und  des  Duri'es  llälnie  krähten 
Unmclodisch  immerdar. 
Zu  des  Tttmpels  tiefstem  Grunde 
Taucht  der  Enten  Federkiel;  I 


Mauikorbledig  treibt  der  Hunde 
Rasselose  Schaar  ihr  Spiel. 

Auf  dem  Dache  pfirrt  der  Tauber 
Um  die  Taube  iTalilf-riseh, 
Und  der  Aniincr  sirälik  sich  sauber, 
Singt  sein  Liedclicn,  kurz  und  frisch. 
Zeitweis'  aus  dem  nahen  Pferche 
Tönt  der  Schafe  Blöken  drein; 
Nickend  Utuft  die  Haubenlerche 
Traulich  über  Steg  und  Stebi. 

Wie  so  klar  die  Fenster  blitzen I 
An  der  Kirchhofsmauer  schon 
Röthen  sich  die  Berberitzen, 
Und  es  blüht  der  wilde  Mohn. 

(Pfsrrfaanssegen.  S.  16  n.  17.) 


S.  Erika. 

Erika? 

Miirkische  Heide  liegt  schweigend  da« 
Mittagssonne  haucht  Itthmende  Gluth, 
Alles  Leben  entschlafen  ruht. 
Kttfer  und  Immen  nur  summen  schwer 
Um  die  röthlichen  BlUthen  daher. 
Aus  harzduftifrem  Föhrenwald 
Dumpfes  Girren  der  Wildtaube  schallt, 
Wie  wenn  im  S<-hhimmcr  von  Zeit  zu  Zeit 
Tief  aufallmic  die  Einsamkeit. 


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—  118 


Erika! 

Mtfgdlcin  sitzt  trSomend  im  Heidekraut  da, 

Achtlos  hat  sie  sich  Blilthen  gepflückt, 
Sie,  die  nie  inclir  mit  Blumen  sich  schmückt 
Klar  wie  des  Harzes  langsames  Nafs 
Weint  sie  Thränen  in  s  licidegras, 
Seufzt,  ein  Bihl  der  Verlassenheit, 
Kückhall  dem  Atheui  der  Kinsamkeil: 
„Mn\>  ich,  der  Leid  nur  von  Liebe  geschah, 
iMiibam  verblühn  wie  die  Erika?" 

(Pfarrhaassegea.  S.  28  a.  29.) 


4.  Out  Braodeoburg  bla  «llorwege. 

Scheltet  mir  nicht  mein  märkisches  Land, 

Will  es  nicht  hriren  und  leiden  I 
Zeigt's  nicht  sclnoff  gipfelnde,  felsige  Wand. 
Hat's  doch  an  Wäldern  gar  reichen  Bestand, 
Strömen  und  Seeen  and  Weiden. 

Ist  auch  sein  Stammvolk  vielleicht  nicht  ganz  echt, 
Mischling  von  Deutschen  und  Wenden, 
Ist's  doch  ein  markiges,  stolzes  Geschlecht, 
Trutzend  auf  Freiheit,  unbeugsam  Im  Beeht, 
FleUlsig  mit  rastlosen  Händen. 

Warf  ihm  Natur  auch  nicht  reich  in  den  Schoolb 

Fülle  der  irdischen  Gaben, 
Ist's  doch  durch  eigene  Thatkraft  jetzt  groA, 
Wulste  der  Schollen  dürrsandigem  KloDs 
Lohnende  Fracht  za  entgraben. 

Einst  als  des  Keiches  Sitndbüchse  verlacht, 
Hält  in  der  Marken  Gehege 
Horstend  der  Katseraar  heute  die  Wacht, 
Hier  ruht  das  Scepter,  das  Siegsschwert  der  Schlacht, 
I>ram:  Gut  Brandenburg  hie  allerwege! 

(rfarrliaussügen.  8;  30.) 


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—  119  — 

Ludovika  Hesekiel. 

Geb.  am  .'5.  Juli  lKi7  als  älteste  Tochter  von  George  Hesekiel  (.S.  oben  .S.  74).  Bereits 
im  Alter  von  20  Jaltreu  litterariscb  thätig,  zeichnete  sie  sich  während  der  Kriege  1866 
und  1870/71  wf  dem  Gebiete  der  freiwilligen  Knuakenpflefe  ans  und  iridmete  eich,  necfa 
dem  Tode  ibree  Vaters  (1874)  in  Potsdam  lebend,  den  Beatrebungen  rar  Hebung  der 

BrwefbsthütiRkcit  des  weiblichen  Geschlechts.    Im  Jahre  1887  verrailhlte  sie  sich  mit 
dem  Dialconus  Johnsen  in  Neustadt  bei  Koburg.   Gest.  6.  April  IbSO. 


Ein  Blick  auf  Potsdam. 


Dranten  liegt  im  Sonnenscheine 
Eine  bunte  Zauberwelt, 
Die  aus  San«!  uiui  Sumpf  alleine 
Sieh  die  Zollein  aufgestellt. 
Wie  ein  MUrchenschlofk  Euch  winket 
Dort  von  Marmor  der  Palast, 
Drüben  blaues  Wasser  blinket, 
Drauf  die  Sonne  schon  Terblaftt 


Duft'go  Nebel  zaubriseh  hüllen 
Kings  die  weite  Haide  ein, 
l'nd  die  Seele  ganz  erfüllen 
Lieder  uns  und  Melodei'n. 
Lieder  aus  den  alten  Tagen, 
Die  vergangen  und  dahin, 
All'  die  heim'schen  alten  Sagen 
Wehen  leise  durch  den  Sinn. 


Grüne  weiter,  liebe  Haide, 
Strahlet  Ihr  PalKste  stolz, 
PreuAwns  stolzeste  Oesehmeide 
Schnitzte  Fritz  aus  Kiefernholz. 
Die  aus  Sand  und  Sumpf  alleino 
Sich  die  Zollern  hergestellt. 
Prahle  stets  im  Sonnenscheine, 
Wunderbare  Zauberwelt. 

(Der  Bär.  Zeitschrift  für  vaterlandische  Gesduchte  und  Altertumskunde. 
8.  m) 


V, 


Hans  Georg  Meyer. 


Geb.  11.  >'ovember  lö49  zu  Berlin,  studierte  in  Heidelberg,  Berlin  und. Leipzig  Piülo- 
sophie.  Geschickte  und  Geographie,  nahm  am  Kriege  gegen  I^ankrelcb  teil,  aetate 
seine  Stadien  in  MOndien,  Berlin  und  Halle  fort  und  vorde  Lehiar  am  Gymnasium 
som  grauen  Kloster  in  Beriin,  wo  er  noch  jetzt  als  Professor  thfttig  ist 


1.  An  die  Mark. 


Traute  Mark,  mein  Heimatland, 
Mir  von  Jugend  auf  verwandt! 

Mit  dem  Sülsen 

Klang  der  Lieder 

Lafs  im  Frühling  dich  begrülsen! 

Deine  schönen 

Wälder  tönen 

Tansendfadie  GrUllse  wieder. 


Weifse  Federwolken  wchn 
ttber  sehilfiunkrftnztcn  Seen. 

Auf  den  Feldern 

Gold  ne  Wogen, 

Sonncnlii'lit  in  Buchenwäldern; 

Husch  und  Weide, 

Braune  Heide, 

Von  Gewitterfaaucb  umzogen« 


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120  — 


Bleibe  fromm  und  bleibe  stark, 
Stern  der  Ehre,  deutsche  Mark! 
Treulich  halte 
Fest  am  Rechten! 
Waffenfroh  des  Amtes  walte! 

ine  Söhne 
Werden  sclWuie 

Bosen  nm  die  Schwerter  flechten! 

 (G«dichte.  Berlin  1898,  S.  4.) 


2. 

Glatte,  weiise  Felder  jn-angen, 
T^nser  Sehlitten  saust  dahin; 
Schellenklingeln,  rote  Wanden, 
Frinehe  Luft  und  freier  Sinn. 

Alle  IL'ihen,  alle  Flüchen 
Seliwei^'-end  in  krystallncm  Gia;«i ; 
Horch,  die  stillen  Willder  brechen 
Von  der  weichen,  weiisen  Last. 

llinfi^edehnt  in  •,'^raueni  Schimmer 
Schläft  der  regungslose  See, 
Und  des  Himmels  matter  Flimmer 
Zittert  von  verhaltnem  Schnee. 

Nieder  von  den  llöbn  im  dichten 
Walde  geht  der  rasche  Lauf; 
Fldtzlich  ans  verschneiten  Fichten 
Sagt  das  alte  Kloster  anf; 


I 


Chorin. 

Hoch  und  Hchlaiik  und  vielgestaltig, 
Sehneebcfh  ckt  und  altersgrau, 
Halb  zerstitrl  und  doch  gewaltig 
Steht  der  wunderbare  Bau. 

Zart  vom  Himmel  abgehoben. 
Hingehaucht,  zum  Greifen  nah, 
Wie  aus  Luft  und  Schnee  gewoben, 
Wie  gedichtet  steht  er  da. 

Si  lumer  kann  er  nicht  erglUnzcn, 
Wenn  der  Frühling  wieder  prangt, 
Der  in  dichten  BlUtenkränzen 
Um  die  Bogenfenster  rankt. 

Ach  mit  deinen  griinra  Zweigen 
StOr'  ihn  nicht  in  seiner  Rnh*; 
Schlaf  nnd  Stille,  Winterschweigen, 
Weilte  Flocken,  deckt  ihn  zo. 

(Gedichte.  Beilin  188&   B.  1061) 


Robert  Behla. 

Geb.  am  2.  Jtmi  1850  zu  Lnckau  i.  L.,  studierte  in  Leipzig,  Berlin,  Prag  and  Wien  AnaMi- 
wissenschaft,  nahm  am  Feldzug  1870/71  teil,  liess  sich  1876  als  Arzt  in  seiner  Vaterstadt 

nieder,  wo  er  l^fiS  zom  Kreiswundarzt,  1893  zum  Sanitfttsrat,  1901  zom  Kreisarzt  ernannt 

Murde.  13.  int  Oberarzt  der  Landwehr  und  beschäftigt  sich  hauptsiichlich  mit  zoologi- 
schen, antliroprtlo'^isclipn,  parasitolotrischen,  hygienischen,  ethnologischen  und  arch.'vo 
logischen  Sludien  und  voronenliiclite  thiriibcr  /.ahlreiche  Ahh.indlmitrtMi  in  verschiedenen 
Z^tschriften.  Ein  warmer  Verehrer  heiuer  Ueiinatsscholle  luid  Erturscher  der  Lausitoer 
Vollgeschichte,  namentlich  des  Spreewalds,  trat  er  1895  als  Dichter  auf,  als  Singer 

des  Spreewalds. 

1.  Der  Schloarberg  bei  Btirg. 

Du  Schlorsber^,  stolzer  Bau  ans  alten  Zeiten, 
Oewalt'ger  Erdwall,  dn,  so  sagumsponnen, 
J;i  nianrh  Jahrhundert  ist  an  dir  verronnen. 
Der  Wandrer  blickt  zu  dir  anf,  schon  yon  weiten. 


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121  — 


Da  gleichst  a&  Rohm  dem  Brocken  und  Oybine,  . 
Du  Residenz  des  EOnigs  einst  der  Wenden, 
Erriclitet  Torher  von  german'schen  Händen, 
Dich  schaat  der  Forscher  an  mit  emster  Miene. 

Dein  Alter  zeugen  Bronce»  Gold  und  Steine, 
Ocftmden  in  nnd  neben  dir  im  HalnCi 
Da  strahlst,  o  Berg,  in  einem  Heiligenscheine. 

Um  dich  da  ranken  sich  su  viel  der  Sagen, 
Noch  lauge  Zeit  magst  du  bei  Burg  dort  ragen, 
Ein  Denkmal  stolz  aus  Mh'ren  Spreewaldstagen. 

(Spreewiadskl&nge.   Lflbbenau,  1890,  S.  120.) 


2.  Ueberschwemtnnng. 

Ringsum  im  Walde 

Auf  BUujiiea  und  Striiuchem, 

An  HHoseru  und  Höfen. 

In  Grüben  nnd  Kähnen 

Lagert  der  Schnee,  der  blendend  weilise, 

Fnfthoeh  deckend  die  Erde. 

T^n absehbar,  weit  auf  den  Wiesen 

Endlos  dehnet  sich  aus 

Des  Schneees  Fläehe,  glitzernd  und  schimmernd 
Im  hellen  Schein  dor  niedriiren  Sonno. 
l'n«!  da«!  fernschwi  itiiule  Augo  schant 

Nichts  als  des  Schneees  Weiis  und  den  llinimel  darilber,  den  blauen. 

Eilig  weht  ttber  den  knirschenden  Schnee, 

Den  hartgefrorenen, 

Der  eisige  frostige  Wind 

Und  treibt  der  Schneekrystalle  Trümmer, 

Die  zierlichen,  losen, 

Wie  auf  dem  Meer,  dem  ewig  beweglichen. 

Lieber  die  weite  Ebene, 

Und  weiise,  flUchtige  Wölkchen  huschen  dahin, 
Pfeilschnellen  Schlangen  vergleichbar. 
Klirrend  und  säuselnd 

Fegt  der  rauhe  Wind  Schneemassen  kreoz  nnd  quer, 

AosfUllend  Tiefen  und  Gräben, 

Aofwerfend  Bei^  nnd  Thäler 

Und  an  den  Ufern  kUhne,  gcwOlbte  Bogen 

Phantastisch  bildend. 

Weifs  erscheint  der  Wald  allerorts, 

Ein  weiCscs  Schneefjinvand 

Trägst  du.  alter  Spin  wald, 

Aus  dir  ward  ein  Öcbneewald.  — 


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122  — 


Da  plötzlich  nahen  geschwinde 

Südliche  Winde  Und  und  lau, 

Nässig  und  trübe  erscheint  der  Schnee, 

Sinket  zusammen, 

Hier  und  du  blicken  hervor 

Die  Kücken  der  Wiesen,  die  wintci'bgrttuen. 

Trübe  auch  wird  der  Ilinnnel, 

Wolken  ziehen  zusammen, 

Schwere,  niedere,  düster  und  grau: 

Immer  finstrer  wird  der  Himmel,  , 

Und  fanmer  schwSrser  die  Wolken, 

lYopfen  fallen  herab,  einzeln  zuerst, 

Dann  dichter  und  Immer  dichter  stürzen  herab 

Regengflsee  in  grofter  Menge. 

Schnell  schmilzt  der  Schnee,  der  nttssiggrane, 

Und  mit  dem  Schmelzwasser 

Mischt  sich  der  Regen,  der  plirtsehernde, 

Der  wassorbringende,  und  l)aldigst 

Füllen  sich  Wiesen  und  (Gräben, 

Und  hundert  Kanäle,  die  grolseu  und  kieiucn, 

Schwellen  zum  Kande. 

lieber  das  Vfer  treten  die  Witeser 

Und  schnell  sich  verchien 

Zu  einer  Fläche,  der  stürmisch  bewegten. 

Hoch  gehen  die  Wogen, 

Vom  Winde  gepeitscht,  dem  pfeifenden, 

Sich  brechend  in  weiften  WeUensehMomen 

An  Erlenstampfen  nnd  Wurzeln, 

Ueberschweramend  ^Wiese  und  Wald,  Höfe  und  Ställe, 

Fortreilsend  mit  sich  im  wilden  Getose 

Brücken  und  Bänke,  Bäume  nnd  Kähne, 

Heuschober,  hoch^'-ethUrmte, 

rnibrcchend  die  Stanji^en,  <\\o  Stützen. 

In  den  brausenden  P'lutlien,  den  >Yilden, 

Schwinniien  wirr  durcheinander 

Trümmer  von  Mühlen,  Bänken  und  Brücken, 

Feldgerälhen  und  Fischcrneizen, 

Wurzeln  von  Bäumen,  Aeste  und  Zweige, 

Bündel  von  Heu, 

Ertrunkenes  Vieh. 

Machtlos  schauet  der  Mensch  aus  dem  Blockhaus, 
Dem  wasserumwogten, 
Auf  das  wilde  Element, 

Die  verderbliche  Ilochfluth. 
In  einem  Bett,  in  breiter  endloser  Strömung, 
Zwischen  Bäumen,  auf  ebenen  Wiesen, 
Brandet  daher  die  Spree, 


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—  123  — 


Gleich  einem  reii'senden»  wilden  Gebirgsstrom» 

Meilenweit  sieht  das  Ang-e  nur  Wasser, 

Einen  einzigen,  grolsen  See, 

Baume  und  Sträucher  stebn  im  Wasser, 

Ueberau  Wasser,  — 

Alter  Spreewald 

Wardst  Uber  Nacht  du  zu  einem  Seewald  V  — 
Und  wieder  kehret  soharf  nnd  rauh, 
Der  eiaige  Wind,  der  nordgeborene, 

Der  kältebringende. 

Hell  glänzen  in  der  Nacht 

Die  Sterne  am  klaren  Himmel, 

Die  Mondscheibe,  die  volle, 

Spiegelt  sich  wieder  im  Wasser, 

Dem  weitausgedehnten. 

Und  am  Morgen  welch  Wunder! 

Eis,  spiegelndes  Eis 

Bedeekt  die  Wasserflilche, 

Ein  Eispanser  hat  die  Wellen  gebannt, 

Zu  glatter,  glänseuder  Ebene. 

Endlos  dehnt  steh  aus  das  Eisgeflld, 

Das  schimmernde,  blinkende, 

Und  meilenweit  über  den  Wiesen 

Gleitet  dahin  der  .Mensch  auf  stählernem  Scliuh. 

Ihm  zeigen  den  Weg 

Reihen  von  Sträuchem  und  Bäumen, 

Ragend  hervor  ans  dem  Eislabyrinth, 

Der  elnst'gen  GrSben  stumme  Grenzen. 

In  ein  gewaltiges,  groAes  Eismeer 

Ist  verwandelt  der  Spreewald, 

Geworden  zu  einem  Eiswald.  — 

Lange  Monde,  in  stiller  Oede, 

Trägt  er  sein  Wintergewand,  das  weiise, 

Das  Trauergewaud  im  Wandel  von  Eis  und  Schnee, 

Unter  sich  bergend  die  schlummernden  Knospen  und  I'Uanzen, 

Der  Erlösung  harrend. 

Sehnsn^tsvoU  nach  erwärmendem  Lnlthaucfa» 

Blicken  die  Knospen  der  Bttume, 

Bittend  den  Lens,  den  firinger  der  Wärme, 

Endlich  zu  kommen  und  einzukehren, 

Dals  unter  dem  Kusse  der  jungen  FrtthllngSSOnne 

Das  Eis  nun  schmelze,  das  IHstige, 

L  nd  die  Wolle,  die  so  lange  geträumt  im  Winter, 

Wieder  erwache. 

Schon  ist  gekommen  der  MUrzenmond, 
Und  noch  stehst  du  immer  kahl  und  Od, 
Wirf  ab,  da  eisiger  Spreewald, 


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—    124  — 


Den  Winterpelz,  den  weiften, 

Setamttcke  dich  wieder  mit  Grttn, 

Mit  dem  bunten  leichten  Sommerkleid, 

DaOs  da  prangest  im  Festesgewand 

Und  würdig  erscheinst, 

Zu  cnipfanpfon  zur  Sommerzeit 

Besucher  aus  nah  und  fern, 

Von  allen,  die  suchen 

Stlirkun^  au  Körper  und  Seele 

Und  Trost  in  deiner  wclicinsameii  Stille 

Und  den  ransehenden  Erlenhallen. 

Sei  bald  wieder  der  Alte, 

Du  herrlicher, 

Elirftirchtgebictender, 

Herzerquickender. 

Schattenspendender 

Grünender  Laubwald. 

(Spreewaldklänge.  S.  26—30.) 


Paul  Risch. 

Geb.  am  20.  Januar  1802  zu  Fehrbellin,  empfing  seine  Ausbildung  nls  Lehrer  aaf  dem 
SemiiMr  in  Oranienburg  und  ist  seit  1885  in  Berlin  ala  Lehrer  thäUg. 

'  1.  Märkische  Wandrung. 

Wie  einsam  geht  der  Weg  dabin 
Durch  Sand  und  arme  Heide, 
Und  doch  thut  mir  in  meinem  Sinn 
Das  Wandern  hier  nicht  leide. 
Ein  Flüstern  liür'  ieh  wohlbekannt, 
MuÜB  still  oft  stdh'n  und  lauschen. 
Mein  Herz  vernimmt's,  o  mHrkisch  Land, 
Was  deine  Föhren  rauschen. 

Vom  Hügel  dort  am  Heidesaom 
LafB  ich  die  Blicke  fliegen, 
Da  unten,  schön  wie  Hürchentraum, 
Seh  ich  es  lachend  liegen, 

Kin  Hdttesauf^e,  dessen  Rand 
Lichtgriine  AVicscn  kränzen. 
So  lieb  ich  dieli,  o  mürkisch  Land, 
W^o  deine  Seeen  plauzen. 

Das  Dorflein  drüben,  wie  SO  traut 
Im  dichten  Laubpehe<:;-e! 
l)ei-  Siorch  vom  Kireliiurmneste  schaut, 
Ob  riugs  sich  alles  rege. 


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—    1^5  — 


Ja,  Segen  blüht  ans  kargem  Sand, 
Den  trutzgen  FleiA  za  lolmen. 
Ich  rtthme  dich,  o  mitrlüsch  Land, 
Wo  Kraft  und  Treue  wohnen. 

Ich  sfir  don  Arm.  der  stark  hindurch 
Sich  ringt  aus  Sumpf  zum  L(!b(Mi, 
Seh  deinen  Adler,  Brandenburg, 
Empor  ZOT  Sonne  aehwebenl 
Mich  knüpft  ein  hefmatselig  Band 
An  deine  schlichten  Heiden! 
Dir  gilt  mein  Lied,  o  mUrkiseh  Land, 
Gilt  dir  gleich  taneend  Biden! 

(Zuerst  gedruckt  mit  einer  Komposition  von  Ad.  Z&ndet  in:  Lledenchatz.  Saium- 
hm^  viel  stinm)iu:er  Chorlieder  far  Knaben  und  Mädciien  herausgegeben  von  Ad.  Zander 

und  L.  Li.  Fischer.) 


2.  Auf  der  Glienicker  Brücke. 

Jungfemsee!  ~  in  dem  Jungfemsplegcl 
Soll  sich  die  Schönheit  rings  beschauen, 
Grünes  Laubwerk  und  rOtliohe  Ziegel, 
Silberne  Wolken  und  leuchtende  Auen.  — 

Von  der  Heiland-kii  <  Iic  da  drüben 

Kündet  den  Abend  der  Gloekenklang. 

Weiise  SchwUne,  sie  rudern  und  üben 

Üingcludeu  iicigcn  am  Ut'cr  entlang. 

Zwischen  schwarzgrUnen  Waldkulissen 
Schimmert  die  Hayel  fern  dahinten; 
HOgclkroncn,  gezackt  und  zerrissen, 
GlUhn  in  dem  Goldlicht  verlöschender  Tinten. 

Aus  des  Purpurs  fetuigem  Glänze 
Ivagt's  wie  ein  riesiges  Löwcnhaupt, 
Kielerngipfel  der  Kömersehanze, 
Welche  man  also  gestaltet  glaubt. 

Ach,  wohin  sich  die  Augen  wunden, 
Hierfabk  und  dorthin  ohn'  Ermüden,  — 
Kotzende  Bilder  an  allen  Enden, 
Ueizcnde  Bilder  gen  Nord  und  Süden! 

„Überfahrt  nach  dem  Babclsbcrge!*' 
Lockt  dort  der  Knabe  aus  dem  Boot.  — 
Heute  zu  spHt  schon,  du  kh  iner  Ferge!  — 
Leise  verglimmt  ist  im  Westen  das  Kot. 

(Bisher  nicht  gedruckt.) 


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—   126  — 

Ewald  MOller. 

Geb.  am  21.  Januar  lt^<i2  in  Drebkau  in  der  Lausilz,  lebt  ab  I^hrer  in  Cottbua. 

1.  Preis  des  Spreewaldes. 
Sangbar  nach  der  Weise:  „Es  liegt  eine  Krone  im  grOnen  Kliein". 

Dir  gilt  mein  Singen,  o  Spreewaldland, 
Smaragdene  Perle  im  märldBchcn  Sand, 

O  Kleinod,  vom  Spreestrom  in  Silber  gefafst, 
O  Wald,  drin  die  Sage  noch  hcrbergrt  als  Gast, 
Du  «jrllnc  Oase  im  heimischen  Thal: 
Sei  gegrüüst  mir,  o  Spreewald,  ^-iel  tausendmal! 

Ihr  ragenden  Hallen  im  Waldesdom, 
Wie  rauscht  euch  va  FttDsen  der  murmelnde  Strom, 
Ihr  Wiesen,  ihr  Fluren  vom  Segen  so  schwer, 

Wie  schmiegt  um  di«'  Hütton  ihr  traulich  euch  her. 
Du  zaub'risches  Kihmd  im  Schönhoitsstrahl: 
Sei  gegrtUSt  mir,  o  Spreewald,  viel  tausendmal  1 

Du  schnftt  dir  die  Burschen  so  stark  und  so  kühn 
Und  die  Mädchen  so  hold  wie  die  Rosen  bltthn. 
Es  lebt  deutsches  Fühlen  in  wendischer  Brust, 
Zn  Sang  und  zu  hohem  Streben  die  Lust 
Treu  schlagen  die  Ilerzen  zu  Brandenburgs  „Kral": 
Sei  gegrttÜBt  mir,  o  Spreewald,  viel  tausendmal! 

Dir  gilt  mein  Singen,  o  Sprcewaldland, 
Dir  trag*  ich  entgegen  des  Herzens  Brand. 
Manch'  Land  wohl  rühmt  sich  schOn'rer  Natur, 
Doch  giebt*8  auf  der  Welt  einen  Spreewald  nur. 
Drum,  reizvolles  Eden  im  heimischen  Thal: 
Sei  gegrtUlBt  mir,  o  Spreewald,  viel  tausendmal! 

(Bisher  nur  als  Einseldmck  verOlfentlichtO 


t.  Hie  gut  Brandenburg  aUwegt 

Md.:  .,8tr0mt  herbd  ihr  VOlkerBcharen". 

Unter  allen  deutschen  (Jauen  j     Ob  du  Reichtum  an  Metallen 

I'r<'is  ich  dicli,  o  Mark«  liand,  '  Auch  niclit  birgst  im  Bergesschacht, 

Sinti  aueli  liiige]  nur  zu  schauen,  i  Körnerschwer  docli  Saaten  wallen 

Dehnt  aucl»  weit  sich  dürrer  Sand.  !  Auf  dem  Feld  in  gold'ncr  Pracht. 


Doch  mich  grUlüt  mit  schliciiten  Heizen  j  Zwar  statt  Feuersaft  der  Heben 
Flufe  und  Wies'  und  lYaldgelieg',        Beutst  du  Baumfindit  nur  am  Ste^; 
Mag  Natur  mit  Fracht  aucli  geizen:   ■  Dennoch  mOcht'  nur  hier  ich  leben: 
Hie  gut  Brandenburg  allweg!  .  Hic  gut  Brandenburg  allwegl 


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—   127  — 


Und  das  Volk,  das  dir  enlsprossen, 
Ist  ein  iiiaikiges  Geschlecht, 
Freiheitliebend,  mutdui'chtiossen, 
Zftfa,  Tinbcugsam  stets  im  Recht, 
Voll  Gkmttti  voll  Gottvertrauen, 
Nie  zur  Mttb'  und  Arbeit  tr8g\ 
Auf  sein  Wort  darf  fest  man  banen: 
nie  gnt  Brandenbarg  allweg! 


In  Alldeutischlands  weiten  Marken 
Strahlst  als  Haupt  du  licht  und  klar: 
Denn  zum  Horst,  zum  stolzen,  starken, 
WShlte  dieh  der  Kalseraar. 
Drom,  wenn  In  den  Landen  allen 
Prüfend  ich  den  Beichtom  wüg*, 
Besser  will  mir  keine  gefallen: 
Hie  gut  Brandenbarg  allweg! 


(Bisher  nor  nls  p:inzeldrack  und  als  Text  für  Kompositionen  von  M.  Ostermeyer 
W.  Handweg  und  Fr.  Leitmsnn  veröffentlicht) 


8.  Auf  dem  ScUofaberge. 

Das  ist  der  Grand,  von  dem  in  fernen  Tagen 
Man  sah  die  Wendenbarg  ins  Blane  steigen, 
Der  Grand,  auf  dem  beim  wilden  Altarreigen 
Die  Sklaven  graasem  Opfertod  erlagen. 

Auf  diesem  Plan  hat  Schwert  an  Schwert  geschlagen, 
Manch  Pfeil  gebot  dem  Kühniilcn  ew'ges  Schweigen. 
Hit  Zittern  mocht'  der  Christ  die  Burg  nur  zeigen, 
Nur  zitternd  ihres  Herren  Namen  sagen. 

Und  jetzt?  —  Ein  Wall,  dreizinkig,  giebt  uns  Kunde 
Vom  Fuls  der  Burg,  kein  Ki'st,  kein  Stein  der  Mauer; 
Des  Königs  Nume  tönt  von  keinem  Munde. 

Jetzt  mit  der  Pflngschar  fttreht  den  Plan  der  Baaer, 

Der  Lanzenspitzen  oft  entnahm  dem  Grande 
Als  werten  Fond  dem  sinnenden  Beschaner. 

(Verhsitene  Qloten,  Dresden,  Eflhtmami.  1888.  S.  137.) 


4.  NäcbtUcbe  Fahrt 

Die  DSmmerang  begräbt  die  Tagesneige, 
Die  Nacht  spannt  schwarze  Schleier  dorch  den  Wald, 
Kein  Hanch  bewegt  die  schlammerschweren  Zweige, 
Nur  aas  der  Fiat  der  Wellen  Marmeln  hallt 

Da  gieiist  der,  Mond  die  volle  Silberschale 
Anf  Waldcswipfel,  Wiesen,  Schilf  and  Fiat 
In  lichter  Zaaberpracht  mit  einem  Male 
Bin  Märchenland,  der  stille  Spreewald  raht. 

Und  hier  und  dort  taucht  zwischen  Kiesenbäumen 
Ein  Stern  den  Strablenblick  znm  feuchten  Grand, 
Als  wollt  erspfthen  er  in  lichten  Schtfamon, 
Wovon  geheim  erzählt  der  Wellen  Hand. 


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—  128 


O  bist  du  je  den  Wemlonwald  durcbfabrcn, 

Wenn  magisch  drinnen  webt  die  Sommoniacbti' 
Dir  ist     uls  wär'  aus  tVrnrn  Kindesjabrea 
Das  holde  MUrchenaller  neu  erwaeht. 

Vor  trunk'nen  Blicken  aus  der  Flut  sieh  heben 
Siehst  du  der  Nixen  Schar  im  Mondenseliein 
Und  fern  am  Wiesenuter  Klfen  sehweben, 
Die  hold  umschlungen  wiegen  sich  im  Keih'n. 

Da  trifit  das  Herz  ein  wiindorsanies  Schauern, 
Als  wUr'  es  noch  von  Ju{j;endträunien  voll, 
Und  was  die  Welt  dir  sandt  zum  Zürnen,  Trauern, 
Dich  falst  die  Wehmut,  und  es  weicht  der  Groll. 

Und  wieder  grüisen,  wie  aus  Naelit,  die  Sterne, 
Dich  selig  Stillscin,  frohen  Il(>llVn>  Dlück 
Aas  zeituninaclitet-gold'nor  .Tiifreiutferne, 
Und  was  einst  dein,  im  J'iauiii  k«  hrt  dir's  zurück. 

O  bist  du  je  den  WendenwaM  dinH'hfahren, 
Wenn  magisch  drinnen  webt  die  Sonnnernacht? 
Dir  ist's,  als  wilr'  aus  fernen  Kindesjahreu 
Das  holde  Märchenaltor  neu  erwacht. 

(Kdier  nur  als  Einxeldnick  in  Zeitschriften  verOif entlicht.) 


Hans  Gerhard  Gräf. 

Geb.  am  5.  Mui  ISÜl  in  Wt  iiiiar,  verlebte  seiue  Kiiulheit  in  Dresden,  wo  er  auch  das 
Gymnasiam  besachte,  stndierte  in  Beriin  und  Jena  Natarwissenschaften,  deutsche 
Sprache  und  Litteratnr  sowie  Kuns^eschichte.  Nach  einer  Reise  durch  Italien  und 

die  Peloponnes  und  seiner  Doktuqiroinotioii  in  Jena  1802—1901  Hilfsarbeiter  iin  der 
Herzoglicht'ii  Bibliothek  in  Wolfenbftltel ,  darauf  r.ililiutlu'kar  der  st:lilti«(lit'n  Volks- 
bibliuihck  in  Freihurg  in  Breisgau,  lebt  jetzt  cbendort  ohne  amtliche  Thatigkeit. 

Sanssouci. 

Ein  Jnlitai^.  Schweigend  brUtet  das  Sonnenlieht, 
Und  Sonnenwitime,  zitternd,  fluthct  rings  amber 
Auf  zierlich  rein  gepflegten  Beeten,  wo  Rosen  blfihn 
Und  Lilien,  wo  an  Spalieren  Reben  still 

Und  Pfirsiche  reifen,  schwellend  junjre  Feigen  auch, 

Lustig  zu  sehn.    Aus  grüner  Nacht  der  Ta\ns\vand 

Blickt  geisterhaft  hier  eine  wcilsc  Marnioi'bank, 

Älit  Greilenlüisen,  dort  die  runde  Hrnst 

Von  einer  Sphinx.    In  jenem  schattigen  Laubengang 

Welch  zierlich  Golicrkinderi>aar,  das  sieh  bckriinzt? 

Sprich  leise,  Frennd!  Psyche  and  Amor  ist's. 

Wie  lieblich  krOnt  die  Rosenlast  das  Haar!  wie  sttte  vertrAomt 


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—   129  — 


Lauscht  sie  dem  Kauschen  jenes  Wassers,  das 

In  schön  geschweifter  Schale  Rund  die  Nymphe  gieftt. 

Und  dort!  die  Wipfel  überthttrmend  ragt  ein  Scbloft, 

Hit  Säalenballen»  Nischen,  Stataen  reich  gescbmttdkt 

Wo  bin  loh  hier?  in  welch  erträamtea  Dlditerlaad 

Führt  mich,  allgatig  leitend,  hent'  mein  Genius? 

O  welch  ein  Frieden!   Selige  Weiteinsamkeit 

Häng^  hier  den  Rätliseln  hingeschwundener  Tage  nach, 

Und  in  den  Wipfeln  heimlich  weht  ein  Flüsterwort, 

Als  si»räehcn  sie  von  denen,  die  gestorben  sind. 

Und  diese  Stille I  wunderbar  gewürzt 

Durch  einen  heilsen  Haueh  voll  Sülsen  Urangendufts, 

Den  mir  der  räuberische,  buhlende  Wind  herab 

Von  der  Terrasse  Uber  die  Stufen  führt. 

Siebl  ein  Bothkehlchen,  das  in  kecker  Wirklichkeit 

Und  G^^wart  neugierig  sich  niederläßt 

Und  anf  dem  Arm  einer  schlafenden  Venus  munter  wippt 

Des  Ortes  Schntcgeist!  sag'  mir,  zogen  sie  aUe  fort. 
Die  Schöpfer  dieser  Schönheit?  güigen  sie  schon  zor  Rnh? 
Warum  denn  treten  sie  nicht  hervor,  daft  alisQgleich 

T>i<  Marmorbilder  hören  und  Blumen  rings 

Kin  froh  GelUchter,  ein  bedeutend,  sclühi  Cles})rUch? 

Doch  siehe  da!    Hier  löst  vielleicht  das  K'Hthsel  sich: 

Steinplatten,  liegend,  auf  dem  Boden  lanfrg:<'reilit ; 

Die  Inschrift?  Thisbe,  Phyllis,  Alkmene  —  seltsam  kiiiigt's! 

Wer  grub  die  Asche  sorglich  ciu  der  GriechenlVaua? 

Und  dort  ebi  neues  Wunder  thut  sieh  meinen  Augen  auf. 

In  frischem  Eichcugrün  ein  Tempelmnd: 

Auf  SSulen,  schlank  und  zierlich,  zweimal  vier; 

Um  ihren  Leib,  den  glatten,  blendend  wehren,  marmornen. 

Schlingt  Epheu  grüne  Anne.    Drinnen  sitzt 

Auf  hohem  Sessel,  sinnend  ein  junges  Weib, 

Im  Selixjofs  ein  Hündchen  und  ein  aufgeschlagen  Buch. 

Wer  ist  die  seluint',  wclmuiivoll  Nachdenkliehe V 

Mit  iMarmurschiidern  sind  die  Sltnlen  all  {jfezierf, 

Und  jedes  trägt  das  Bildulis  eines  Ileldenhaupts: 

Hier  Philoktetes,  Ntsos  dort  und  Pylades  — 

Wer  schuf  dies?  war*s  der  Freundschaft  fromme'  Hand? 

Gewift,  sie  war's.  Und  jene  Frau?  Da  plOtsUcb  küftt 

Die  Sonne  ihren  Busen,  der  Marmor  tOnt, 

Und  leise  klingt  es:  „Friederike'  durch  die  Lnft^ 

(Lyrische  Stadien.  Weimar  1808.  8.  87  f.) 

♦)  Gemeint  ist  der  in  der  NKhe  des  Neuen  ralaih  gelegene  Freandschaftstcmpel 
mit  der  Marmorstatiie  der  Markgröfin  von  Bayreuth,  der  geistreichen  Lieblingsschwester 
Friedrichs  des  Grülscn.  (Beschreibung  yon  Sans-Sooci,  dem  neuen  Palais  und  Ctuur- 
lottenhof  mit  ümgebuogen.  Potsdam  1844.  8.  23.) 


Areh.  9 

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-    130  — 


Fritz  Eichberg. 

G«b.  «m  6.  Angnit  1864  so  SoMia  i  d.  Keanittk,  liMaehte  die  llittobchqto  seiiiet 
Heimateortety  widmete  Bidk  dem  Kaiifmennimtende  and  lebt  in  Bcritn,  e«t  1887  eis 

Mutber  einer  dguettenlftbiik. 

1.  Auf  «teil  Mtl8g«lbefg6fi. 

Dich  p;rürs'  ich,  herrliche  Oberspree, 
Euch  Müggel berge,  dich  Müggelsee! 
Wie  sohimiiicrt  in  leuchtender  Soimenglat 
Im  Wellcntanze  die  weite  Flut, 
Aul"  der  sich,  gleich  ütulzcii  Jiicscnschwiiuüu, 
Der  Boote  Segel  blähen  und  delinoa. 
Hier  grfiften  die  Dächer  von  Friedrichshagen, 
Dort  Rahnsdorf,  ein  Ort  aus  den  Wendentagen, 
Und  drliber  hin  geht  der  Augenmerk 
Auf  Woltersdorf  und  den  Eranichberg. 
Auch  Rüdersdorfii  HOhe  voll  Kalkgestefn 
Erscheint  in  der  Ferne  bläulichem  Sclicin. 
Mit  seinem  Schlosse  sieht  man  zur  Linken 
Das  uralte  KtJpenick  freundlich  winken; 
Tiul  fern  aus  dem  Dun^to  recken  sich  kUlm 
Die  stolzen  Thürme  des  grolsen  Berlin. 
Das  bcliinucke  Orüiiau  liegt  an  wcmlischer  Spree, 
■  Das  liebliche  Z<'Utht?n  am  Zcutlicner  See. 

Und  siehe!  auch  Schmöckwitz,  an  Kelz  nicht  karg, 
Das  traolicbste  Fischerdürfchen  der  Mark, 
Das  von  drei  Seeen  liebend  nmschmiegt, 
Wie  eine  Perle  im  Meere  liegt.  — 

So  schweift  der  Blick  Ton  den  MttggelhOhen 

Entzückt  hinaus  Uber  Land  und  Seeen. 

Ihn  lallt  (k  r  Waldungen  weiter  Kranz, 

Der  blauen  Gewisser  Silberglanz, 

Die  aus  der  sinnenden  Kieferiihaide 

Hnt^j^efrenleuchten  wie  ein  Cochim  ide. 

Sie  sind  di  r  Mark  belebende  Zier, 

Sie  winken  wie  Augen  der  Liebe  dir 

Zu  frOhlieliciu  Kasten  im  ^^'allk■sscho^s, 

Auf  schimmerndem  Sande,  auf  schw  eilendem  Moos.  — 

Und  hObnt  auch  der  Fremdling  den  märkischen  Saud, 

Mir  ist  CS  ein  liebes,  ein  reizroUes  Land 

Mit  seinen  Brttchen,  Seeen  und  Mooren, 

Mit  seinen  Bergen,  so  traimiverloren, 

Mit  seiner  Kiefern  kraftigem  Hauch 

Und  selbst  mit  dem  bösen  Sande  auch. 


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—    131  — 


Denn  auf  dem  Baad,  an  den  Beeen  voll  Blftne, 
Da  lebt  ein  Volk  von  seltener  Treue; 
Sein  Wort  ist  frei,  wie  der  freie  Wind, 

Sein  Blick  ist  klar,  wie  die  Scceu  sind, 
Und  wie  die  Fichte  auf  Bergeshnhn 
MuTst'  manchen  Sturm  dieses  Volk  bcstchn, 
Und  dürftiger  ScIidIIc  mit  regem  Fleil's 
Hat  es  doch  entrungen  der  Früchte  Preis. 
Um  dieses  Volk  schon,  so  schlicht,  wie  stark, 
Beneide,  Fremdling,  die  stille  Mark.  — 

(Mark  Bnuideabufg  in  Sage  und  Lied.  Ein  Kranz  heimatlicher  Qedichte.  Ver- 
lag TOD  F.  Footane    Go^  Berlin  W.  1894.  8.  19  n.  20.) 


t,  Klottar  Cborio. 


An  des  Waldsccs  stillem  Strand 
Liegt  des  Klosterbaus  Ruine, 
Wo  aus  lilüh'ndem  Gartenland 
Tanne  ragt,  die  dunkelgrüne. 

Einsam  liegt  der  weite  Bau 
In  des  Mondes  bleichem  Schinuner, 
Und  der  Wind  streift  kühl  Und  rauh 
Über  moosbedeckte  TrUmmer. 

Hohe  Giebel,  zackenreieh, 
Und  das  Kirchendach,  das  seiiliehte. 
Heben  sich  verschwommen,  weich. 
Ab  im  Ungewissen  Lichte. 

Um  der  WUnde  rot  Qesteln, 

Um  die  spitzen  Fensterbogen 
Und  der  Pfeiler  stolze  Keihn 
Uat  sich  Epheu  reich  gezogen. 

Und  durch  P'enster,  Thor  und  i'iiür 
Lugt  er  in  die  Innenrinme, 
Daft  mit  seiner  grünen  Zier 
Alles  Öde  er  nmsftume. 

(Maik  Bnmdenbnig  in  Sage  und 
18D4  8.  98,  97.) 


Drinnen  aber  ist  es  stumm, 
Stumm  uiiti  sefiaurig  wie  im  Grabe, 
Buchend  schweift  der  Hliek  herum, 
Dafs  ihn  Glanz  und  Pracht  erlabe. 

Doeh  was  Augenweide  schafft. 
Fehlt  dem  altersgrauen  Steine, 

Schatten  nur,  gespensterhaft. 
Dehnen  sich  im  Mondenscheine. 

Durch  den  Boden,  schuttbestreut, 
Durch  die  nackten  Kirchenmauern, 
Bilder  der  Vergänglichkeit, 
Geht  es  hin  wie  Todestrauem. 

Hin  ist  alle^Herrlichkeit, 
Die  erfüllt  die  weiten  Hallen, 
Was  verschont  vom  Sturm  der  Zeit, 
Ist  durch  Menschenhand  gefollea. 

Nur  die  Bäimie  ringsumher 
Rauschen  wie  in  düstrer  Klage, 
Rausehen  eine  Wundermär 
Von  der  Pracht  yerblichner  Tage.  ~ 

Lied.  Verlag  F.  Fontane  &  Co.,  BerUn  W. 


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182  — 


8.  Ein  Gang  durch  die  HOUe>*) 

Mit  Grausen  werdet  ihr  es  lesen 
Mifstrauisch  meinem  Wort  nicht  glauben, 
Dftfe  in  der  HOUe  ich  geweeen. 
Ich  will  eneh  allen  Zweifel  rauben, 
Vom  Mifttrann  sollt  ihr  edbnell  c^nesen; 
Die  HOUe  will  ich  wahrhaft  achildem 
Und  malen  euch  in  prUcht'gcn  Bildern, 
Was  ich  p^osehn.    Schnell  wird  sich  mildem 
In  eurer  Brust  dann  aller  Schrecken; 
Ihr  werdet  gar  an  euch  entdecken, 
Dafs  Triebe  sich  im  Herzen  rühren, 
Die  Hölle  selber  aufzuspüren. 
Nun  hOret  meiner  Schildrang  Worte: 

Es  lebt  im  Volk  ein  alter  Wahn, 
Dafs  gar  verlockend  stets  die  Bahn, 
Dai's  breit  der  Weg  und  weit  die  Pforte 
Zur  IKUle  sei.    Ich  mufs  bekunden: 
Das  Gegenteil  hab  ich  gefunden. 
Auf  engem  Pfade,  viel  versclüungen, 
Da  war  ich  ans  des  Sommers  Helle 
Ans  gltth'ndem  Sonnenbrand,  zur  Schwelle 
Des  HOUenreiohee  Torgedrongen. 
Erwartend,  dafli  des  Abgrunds  Lohe 
Alsbald  mir  heifs  entgegenschlage, 
Dafs  mich  die  Teufel sschar,  die  rohe, 
Erbarmungslos  mit  allem  plage, 
Was  eine  Hölle  schrecklich  nineht  — 
Gewärtig,  dafs  aus  Schlundes  Nacht 
Gelichz,  Gewinsel  and  Gestöne 
Viel  armer  Henscbenseelen  tOne, 
So  drang  ich  vor  —  and  seht,  Ich  fand 
Nicht  Tenfelsgrimm,  nicht  Hollenbrand, 
Zur  Qual  und  Folter  kein  Verlieft, 
Fand  statt  der  Hüll*  ein  Paradies. 

In  einem  Thale,  eng  begrenzt 
Von  WUnden,  die  sich  steil  erheben, 
Ward,  was  Katar  kann  SchOnes  geben, 
Vom  güt'gen  Schtfpfer  mir  kredenst. 
Nach  heüben  Sommertages  Schwüle 
Umpflng  wohlthuend  mich  die  Ktthle 
Des  stillen,  friedcvollen  Thals, 
Durchs  dichte  Blätterdach  dringt  kanm 

*)  Eine  Waldschlneht  nmdOstUdi  roa  Boekow  fai  der  Kihe  der  PritihageiMr  Hafai«. 


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—  las  — 


Dm  müde  Lieht  des  Soimeiutrabls 

Hernieder  in  den  Dämmerraom. 

Nur  hie  und  da  verstohlen  Irrt 

Der  Lichtschein  über  .\foos  nnd  Kräuter, 

Wo  um  die  Blume  lebensheiter 

Der  Falter  und  die  Biene  schwirrt.  — 

Froh  schritt  ich  fort.    Ein  Blichh  iu  zit  iit 

Mit  muntcrm  PlUtschern  durch  die  Schlucht; 

Es  singt  ein  firtJhlieh  Wanderlied 

Und  eilt,  als  sei  es  anf  der  Flneht, 

Durch  SteingerOll  nnd  Farrenkrant 

Vom  moosbedeckten  Steine  schant 

Eidechschen  mit  den  klugen  Augen 

Ihm  nach  und  denkt:  für  dich  mag  taugen 

Der  ungestüme  Wanderdrang; 

Ich  bleib  daheim  gern  sommerlang.  — 

Und  weiter  schritt  ich  schauend  hinr* 

Bei  Jedem  Schritt  ein  schOnres  Bild, 

Bei  jed«n  Bild  mit  weichrem  Sinn 

Pries  ich  die  Gottheit  dankerfUlt 

Aus  schattenreichen  Buchenzweigen 
Erklingen  süfse  Vogelstimmen, 
Die  mit  des  Büchleins  Sang  Tcrschwimmen 
Znm  wohlgemuten  Liederreigen. 
Das  Schlinggewttchs  wild  wnehemd  sitzt 
Am  Wurzelwerk  der  glatten  Erlen, 
Dran  glHnzen  hell,  glfich  Silberi)orlen, 
Die  Tropfen,  die  der  Bach  verspritzt. 
Und  zwischen  Eiii  Ti,  Buchen,  Fliehen 
Und  dunklem  Grün  der  Tannen  wirken 
Die  weifsen  Stämme  schlanker  Birken 
Wie  Harmorsllulen,  die  den  reichen, 
FrisehgrQnen  Bltttterhimmel  stfitzen, 
Dnreh  den  die  Sonnmlichter  l»litzen, 
Durch  welchen  auf  des  Thaies  Pracht 
Tiefblau  der  Äther  niederlacbt.  — 

Das  ist  der  Ort,  den  ich  gesehn. 
Die  Hölle,  die  ich  aufgesucht; 
Wer  hatte  solcher  Je  geflucht? 

W'f  nicht  den  Wunsch,  selbst  hinzugehn? 

iio  g^eht:  euch  winkt  mit  süisc^m  Heiz 

Der  Ort,  dr>n  TTf>Ile  man  benjumt, 

rn(i  den  icii  als  ein  Eden  fand, 

Bei  Buckow  in  der  niHrk'schen  Schweiz.  — 

(Mark  Brandenburg  iu  Sage  und  Lied.    Verlag  von  F.  Fontane  &  Co.  Berlin  W. 
18M»  8.  100-103)   


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—  184  — 

Fritz  Löwe. 

Geb.  am  10.  April  1865  zu  Finkenwalde  als  Sohn  eines  Pastors,  studierte  Philologie 
ond  !ElieolQgie  in  Oreif8w«ld,  Tflbingen,  Berlin.   1892  evangeUscher  Pftmrar  in  Oflli- 
f oznien,  dann  in  Espiiito  Santo  in  Bnurillen,  wo  im  einsamen  Ürwald-Pfarrhaoae  daa 
mlrUsoiie  Reiteriied  ,3anatiifl"  entstand.  Seit  1806  Pastor  in  Rathenow. 

Die  märkiscli«  Heide. 

Ein  melancbolifloh  BUd  die  dürft'ge  Heide 
Mit  ihrem  wei(teii  Sand  nnd  dttrren  StSmmen; 
Und  doppelt  tranrlg  gar  im  Abenddämmem, 
Wo  sich  die  Schatten  recken,  wo  mit  Krttcbzen 

Dem  Horste  zu  die  magern  Krähen  flattern, 
Von  fem  noch  eines  Hähers  schriller  Sclirei 
Und  einer  Klule  dumpfer  Kiif  ertchit 
In  dieser  trüben,  sand'gen  Kinsainkeit 
Mit  ihren  Kiefern,  ihrem  Heidekraut.  — 

Ein  dfüMg  Laad  und  doch  dem  Mlikerhenen 
So  lieb  nnd  traut,  öbSs  ihm  des  Südens  SohOne 
Nur  Sehnen  weckt  nach  seiner  mlirk'schen  Heide. 
Und  wenn  er  wieder  stumm  und  lässig  zieht 
Durch  ihren  Sand:  er  fiihlt  sich  stark  und  ftroh 
T'^nd  p^lücklich  wie  am  Muttorherzen  wieder 
Bei  seinen  Kiefern,  soim m  iicidekraut. 

(Reoatoi.   hAn  märkisches  Beiterlied.   Leipzig  1894.    S.  33.) 


Adolf  Brand. 

Geb.  am  14.  November  1874  zu  Berlin.    Herausgeber  der  Zeitschrift  »Der  Eigene"*. 

Lebt  in  Neu-Kahnsdorf  am  Müggelsee. 

KahnhJirt. 

Des  Abends  Schatten  schleichen  auf  den  See 
Und  folgen  hmscliend  unseiin  kleinen  ivahn. 
Die  Tiefen  bliek^n  stumm  und  rätliselvoll  — 

Die  Sterne  aber  sinnen  in  die  Nacht. 

Dort  durch  den  l'ferwald  kommt  still  der  Mond, 
Im  Kiefernhaar  blinkt  bleich  sein  mattes  Gold, 
Und  aus  dem  Schilfe  steig'en  Nebel  auf  — 

Die  Sterne  aber  sinneu  in  die  Nacht. 

Die  Wasser  glllnzen  und  die  Tiefe  bebt. 
Da  siehst  mich  grofö  und  bang  nnd  fragend  an 
Und  meine  Polse  po<^en  sehnsuchtsvoll  — 

Die  Sterne  aber  sinnen  in  die  Nacht  .  .  . 


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135  — 


Die  Wellen  schmeicheln  leise  um  das  Boot, 
Die  Finthen  träumen  und  die  Kuder  ruhn, 
Der  Wind  nur  zieht  uns  schweigend  stromhinab  — 

Die  Sterne  aber  sinnen  In  die  KMtit. 

Wir  faliren  wieder  auf  den  See  binaos, 
Und  wieder  lab  der  Mond  so  bleich  und  groib 
Und  wieder  spielt'  im  Bobr  der  Abendwind. 

Leicht  glitt  der  Nachen  anf  den  Waaeem  hin, 
Sie  saft  am  Stener  und  ich  fuhr  den  Kahn, 
Da  lagst  zu  ihren  Fttften  wie  eiv  Kind. 

Sie  sang  nnd  sprach  von  ilirer  Einderzeit, 

Du  Irni^f  ]ito8t  still  nnd  thatst  mit  Worten  schön, 
Und  deine  Stbnme  klang  so  weich  nnd  lind. 

An  meiner  Seite  aber  saflB  der  Tod 
Und  zeigte  stumm  mir  mein  verblutend  llerz, 
Und  meine  Ruder  Jagten  pfeilgeschwind. 

Wir  stiegen  aus  und  ihr  gingt  dann  allein, 
l'nd  als  mein  Herz  verlilutet  war  im  Wald, 
Saug  in  den  Blättern  noch  der  Abend  wind. 


Hubert  Müller. 

1800  als  Sohn  eines  märkischen  Gutsbesitzers,  der  vciaimtr,  geboren,  besuchte  das 
Seminar  in  Oranienburg,  wurde  Lehrer,  wanderte  nach  Amerika  aus,  kehrte  verzweifelt 

larttck  und  starb  mn  1880  im  IiteiihaiiBe. 

t  BegrÜGiung  der  Marie. 

0  schlichte  Hark,  da  Land,  das  mich  geboren, 
Sei  mir  gegrllf^t  ans  tiefttem  Hensensgmnd! 

Ich  kehre  heim  .  .  .  Dir  sei  aufs  nen'  geschworen 

Der  frevelhaft  gelüste  Treaebund! 
Oehetzt.  zorlVt/.t  und  bis  zum  Tod  prmnttet, 
Betret'  ieii  \\  iod('r  deinen  leichteu  Sand, 
Drin  meine  sel"gc  Jugendzeit  bestattet  — 
Sei  mir  gegrülst,  mein  teures  Heimatland! 

Zwar  sah  ich  scliöirre  Ilininiel,  schön're  Auen, 
Mit  allen  K'eizen  der  Xatur  erlüllt: 
Doch  ach,  auch  manches  Elend,  manches  Grauen 
Hat  sich  dort  schreckhaft  meinem  Blick  enthüllt! 
Es  wachem  überall  die  gleichen  Plagen, 
Und  zUg*  man  aaeh  zom  fernsten  Erdenrand! 
Will  gern  mein  altes  Kreaz  nan  wieder  tragen  — 

Sei  mir  gegrttibt,  mein  teores  Heimatland. 


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—  136  — 


Das  Hiitth'in,  dort  am  dunklen  Erlenteiche, 
Der  Fiilireiihain,  von  Wiesen  ^lün  umsäumt, 
Der  breite  Aeker  hier,  der  frücbtereiche, 
Der  boffhuugsvoU  dem  Herbst  entgcgentirKamt: 
Gewife,  die  Heimat  i8t*8,  die  ich  gemieden, 
Dieselbe,  die  so  sehnOde  ieh  Terkannt! 
Mir  ist's,  als  wftr'  ich  nie  ron  ihr  geschiedenl 

Sei  mir  gegrtl&t,  mein  tenres  Heimatland  I 

Es  liebt  der  Bednine  seine  Wtfate, 
Der  Älpler  seine  Berge,  hoch  und  stark; 
Es  liebt  der  Normann  seine  Meeresküste, 
Und  ich  ^  ich  liebe  meine  dfiUit'ge  Hark! 
Das  Glück,  das  mir  nnr  karg  hier  zngemessen. 
Die  Trübsal,  die  ich  überreich  hier  fand: 
Ach,  alles,  alles  habe  ich  vergessen! 

Sei  mir  gcgrül^t,  mein  tenres  Heimatland! 

(Gedichte.    Zweite  vennehrte  Auflage  der  Lieder  eines  ausgewanderten  Kor- 
uiärkers.   Berlin  1»92.   Juliuä  Lieber.   S.  93  u.  94. 


8.  An  einen  märkischen  See« 

Blauer  See,  der  aus  Gebüschen  freundlich  wir  ein  Auge  lacht: 

()  wie  manche  holde  Stunde  hab'  bei  dir  ieh  froh  verbracht! 

Oft  auf  deine  Zeichensprache  hab'  ieli  träumerisch  lauscht, 

Und  mir  ist  in  schnellem  Zuge  drüber  Zeit  und  Leid  verrauscht. 

Und  was  du  mir  da  verkündet,  ward  in  mir  zur  Melodie  — 

Heimatland,  da  vielgeschmKbtes,  auch  auf  dir  mht  Poesie! 

Da  auch  bist  nicht  bar  des  SchOnen,  bist  auch  nicht  an  Reizen  karg; 

Doch  da  durftest  nicht  in  Muibe  zeigen,  was  dein  Bosen  barg. 

Mulstcst  ja  dein  Schwert  oft  zücken  für  so  manchen  blnfgen  Stranib, 

Und  von  dir,  mit  Stolz  orlUUt  niich's,  ging  die  Rettung  Deutschlands,  aus! 

Zwar  wirst  du  vergeblich  spähen,  WO  dein  roter  Adler  lebt, 

Während  Picuisens  Aar  gewalt'ii-on  Fluges  auf  zur  Sonne  schwebt. 

Ja,  du  bist,  mein  Land,  mit  Lorbeer  wie  kein  andres  reich  gcseliniüekt, 

Aber  ach,  der  Kranz  der  iJiehtkunst  l)heli  noch  immer  dir  entrückt! 

Wohl  in  allen  deutschrn  (iaucn  klingt  und  bingt  es  herrlicii  rings  — 

Du  nur  gleichst  di  r  sanduiuwehten,  rUist  Uiaften  stillen  Sphinx! 

Doch  lal's  es  dieh  nicht  vi-nlrieit^en,  blicke  froh  mein  Heimatland!* 

KOnnt'  ich  dir  die  liarfc  drücken  in  die  narbenvolle  Hand! 

Solltest  dann  ein  Liedlcin  singeu,  warm  und  wahr  und  stolz  und  stark, 

Dafs  man  nicht  mit  Spott  mehr  spreche  von  den  Musen  in  der  Mark!  — 

Blauer  See,  der  aus  Gebüschen  flreundlich  wie  ein  Auge  la^t, 

0  wie  oft  hast  du  im  Herzen  Helmatsohnsucht  mir  entfacht! 

(Gedichte  8.  95.) 


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ARCHIV 


DBB 

BRANDENBURBIA 

GESELLSCHAFT  FÜR  HBIHATKDNDE 

DBB 

PROVINZ  BRANDENBURG 


Unter  Mitwirkung  des  Märiüsolieii  ProYiuzial-Museuins 

herausgegeben 

OiMllfohifti  -  Vontaiidt. 
9.  Band. 

 -»HK«  

Berlin  1902. 

Drnck  und  Verlag  von  P.  ätankicwicz'  Baohdmckeroi, 
Bemborgerstrasse  14. 


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Festschrift  (I) 

zur 

Feier  des  zehnjährigen  Bestehens 

der 

Biandenburgia 

Gesellschaft  für  Heimatkunde  der  Provinz  Brandenburg 

den  Mitifliedeni,  Gtonern  und  Prennden, 

vom  Vorstand  und  Ausschuss. 


Hi*  gut  Brandenburg  alhweget 


Vorwort. 


Am  20.  Marz  1892  begründet»  feiert  die  Brandenborgia  in  diesem 
Jahre  ihr  ZolinjiDirisreR  Bestehen. 

Zu  Elirpii  ilit'ses  Ereignisses,  jinsseidpiii  aber  um  iliivn  Ilolieii 
Gönnern,  ihren  Freunden  und  ihren  Mitgliedern  ein  Zeichen  der 
Erinnerung  zu  widmen,  hat  der  Vorstand  nnd  Ansschnss  am  9.  Febrnar 
(I.  J.  bcsclilussen,  zwei  Fostsclirifteu,  gleichzeitig  uls  Baud  U  und  lU 
des  Archivs  der  Gesellschaft,  drucken  nnd  verteilen  zn  lassen. 

Die  Festschrift  (1),  9.  Band  des  Archivs,  erscheint  zum  Tage  der 
.liibiläinnstVioi*  und  enthält  einige  Arbeiten  von  Mitgliedern  unserer 
Gesellschaft. 

Die  Festschrift  (II),  10.  Band  des  Arcliivs,  wird  den  Bericht  über 

die  wissenst  haftlichc  Feier  am  22.  April  d.  J.  und  etwaige  Nachträge 
euthulten. 

Wir  bitten  nm  frenndltche  Aufnahme  unserer  literarischen  Gaben 
nnd  nm  ferneres  Wohlwollen  fRr  unsere  vaterländischen  wissenschaft- 

iiclieu  uud  gemeinnützigen  iiestrebungeu. 

Berlin  am  (jeburt.sta^  ivaiser  Wilhelms  des  Grossen  11)02. 

Brandenburgia 
Gesellschaft  für  Heimatlcunde  der  Provinz  Brandenburg 

Ernst  Priedel 

Geheimer  HogierungHrat  and  S(Acltr*t 
J.  Vorsitsender. 


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Inhaltsverzeichnis. 


Seite 


Denkschrift  über  die  Heraoflgabe  einer  bnmdenburgiscbeu  Heimatkunde.  Von 

Robert  Slielke   5 

L  ber  den  Auteil  der  gebirgsbildenden  Krttfte  bei  der  Huiaubbilduug  der  uiarkisclieu 

Landschaft.  Von  Ednaid  Zaelie   26 

JNe  alte  Doilkirdie  vom  Knhadorf  in  der  OstrPrignitB.  Von  Pastor  Kupp  in  Kuhsdorf  89 

Wandhugen  des  Waldes.  Von  Cari  BoUe   60 

Markgrttfln  Hargarele  von  Brandenbnig.  Von  Georg  Schuster   58 

Brandenburger  in  Italien  fan  Zeitalter  der  Benalssanoe.  Von  Friedrich  Krflner   .  70 

Znr  GescUcbte  der  Bleaendorf  (Blftsendorl).  Von  Geoig  Galland   78 

Goethe  In  seinen  Besiehongen  m  Berlin.  Von  Ferdinand  Meyer   07 

FUnfhimdert  und  fflnfag  Jahre  Berliner  MAnsgeschiehte  1160—1700.   Von  Emü 
Bahrfeldt  104 


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DENKSCHRIFT 

ÜBER  Dl£  HERAUSGABE  EINER 

Brändbnburgisghen  Heimatkunde 

DER 

GESELLSCHAFT  FÜR  HEIMATKUNDE 

IMi  PROVINZ  BRANDENBURG 

zu  IHREM 

10  JÄHRIGEN  STIFTUNGSFESTE 

•     GEWIDMET  •  - 

VON 

ROBERT  MIBLKE. 


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Zehn  Jahre  der  Thätigkeit  hat  onsre  Gesellschaft  der  heimatlichen 

iMirschung  gewidmet.  Whs  sie  geleistet  hat,  ist  in  den  bisher  erscliieneneu 
IH  Binulcii  ihrer  V<M  öfV<'utlicliimi>eii  Mii'dergeU'<it.  Sit-  bezeugen  aher  aucli 
xuglei(-)i,  dass  wir  erst  ani  Anfange  UQsrer  wisseuscbaftiichea  Arheit 
stehen.  Wer  mit  der  Liebe  des  Eingesessenen  das  Einzelne  und  dos 
Zusammenhängende  der  engeren  Heimat  verfolgt  und  sieht,  wie  immer 
wieder  neae  Reiser  aus  anscheinend  schon  verdorrton  St&mmen  treiben, 
wer  aber  auch  beobachtet,  wie  häiiiig  eine  alte  Überlieferung  unter  dem 
lleranwaehsen  einer  neuen  Zeit  verkünuiu'rt,  dw  wird  es  mit  mir 
bedauern,  dass  noch  kein  abschliessendes  Werk  den  Stand  des  gegen 
wärtigen  Wissens  für  die  Zukunft  festlegt.  Aus  dieser  Wahrnehmung 
heraus  habe  icb  schon  seit  der  Gründung  onsrer  Gesellschaft  den 
Gedanken  verfolgt,  den  Stoff  zu  einer  brandenbnrgischenYolkskunde.su 
sammeln,  um  ihn  vielleicht  einmal  geschlossen  zu  veröffentlichen.  Blit 
grosser  Freude  gritt*  ich  es  daher  auch  auf,  als  mein  verehrter  Freund» 
Herr  Professor  i)r.  Friedrich  Wagner  zunächst  gespiüchsweise  die 
Notwendigkeit  einer  unifassemlen  Landeskunde  der  Provinz  Brandenburg 
eröi'terte  und  seine  Vorschläge  einem  engeren  Kreise  unsrer  Mitglieder 
darlegte.  Wenn  ich  nun  meinen  bescheidenen  Entwurf,  der  mir  ur- 
sprunglieh nur  als  Arbeitsplan  zu  einer  brandenbnrgischen  Volks- 
kunde diente,  an  diesem  Festtage  der  Öffentlichkeit  vorlege,  so  habe 
ich  manche  Bereicherung  jenen  ITerren  zu  verdanken,  die  mir  auf  unsem 
vei  trauliclu'ii  Zusammenkünften  mit  vielen  Anregungen  zur  Seite  standen. 
Ks  ist  mir  eine  aDgenehme  Pflicht,  diesen  Herren,  unsren  Mitgliedern: 
Geheimem  Regieniügsrat  E.  Priedel,  Prof.  Dr.  Friedrich  Wagner,  Prof, 
Dr.  Krfiner,  Dr.  G.  Albrecht,  Rektor  O.  Monke,  Dr.  O.  Pniower, 
Dr.  Regling  und  Dr.  Zache  öffentlich  zu  danken.  Ich  darf  hoffen, 
dass  ihre  Mitwirkung  sowie  die  andrer  Mitglieder  und  Freunde  unsrer 


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Gesellschaft  auch  welterhiu  für  das  Zustaadekommen  des  Werks  über 
brandenbnrgische  Heimatkunde  nicht  fehlen  wird. 

Die  Gesellschaft  für  Hoimatknnde  der  Mark  Brandenbur«^  tritt 
beute  in  ilir  zweites  Jaliizehut  ein.  Möge  es  ihr  uud  ihrem  verehrteu 
Vorsitzenden  vergönnt  sein,  das  Werk  erstehen  zu  sehen,  dessen  Grund* 
linien  ich  im  Folgenden  zu  skizzieren  versucht  habe. 

Berlin,  im  Februar  1902. 

Robert  Mielke, 


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I 


Aufgabe  und  allgemeiner  Plan  der  Heimatkunde. 


Eine  brandenbnrgische  Heimatkande  za  schaffen,  ist  eine  Aufgabe 
die  alle  Freunde  und  Kenner  unsres  Landes  dringend  zur  Mitarbeit 
auffordert.  Die  Grände  fQr  diese  Forderung  treten  bei  uns  vielleicht 
mehr  zu  Tage  als  in  andren  Gebieten,  in  denen  man  vor  Jahren  schon 
erfolgreich  an  diese  Arbeit  ji^^^ngen  ist.  Obwohl  in  den  Branden- 
burger Marlcen  ein  Arbeitsfeld  vorliegt,  das  durch  seine  Beziehungen 
zur  allgemeinen  deutschen  Geschichte  und  zu  den  grossen  um- 
gestaltenden kulturgeschichtlichen  und  wirtschaftli(  hen 
Fragen  der  Gegenwart  in  erster  Linie  nach  einer  wissenschaftlichen 
Benrl'fitun^::  drängt,  so  fehlt  hier  noch  jeder  Ansatz  zu  dieser.  In 
andren  Landesieilen  ist  dagegen  schon  viel  in  dieser  Hinsicht  geschehen; 
man  ist  nicht  nur  friih(>r  sondern  zum  Teil  auch  mit  umfassender 
Organisation  an  diese  Aufgabe  herangetreten.  Es  sei  nur  an  die  mehr- 
fach aufgelegte  vierbändige  „Bavaria"  erinnert,  die  auf  Veranlassung 
des  Königs  Maximilian  II.  von  Bayern  einen  grossen  Stab  v«»n  Gelehrten 
unter  Führung  W.  H.  Riehls  bis  zu  ihrer  Vollendung  vereinte;  es  sei 
ferner  auf  die  vielen  Bände  der  „  Oberamtsbeschreibungen " 
Württembergs  hingewiesen,  die  mit  Landesmittelu  unterstützt  werden 
und  ebenfalls  schon  zum  Teil  in  Neubearbeitungen  vorlietreTi.  Solrhen 
Werken  gegenüber  beweisen  andre,  welche  der  Opfei  Ns  illif^keit  einzelner 
Verleger  oder  der  Thätigkeit  örtlielier  Vereine  ihre  Herausgabe  zu  ver- 
danken haben,  daas  eine  in  grosser  Anlage  beabsichtigte  Ijandoskundo 
geradezu  auf  die  Mitarbeit  vieler  und  auf  «lic;  Unterstützung  mindestens 
ständischer  und  städtischer  Bchörflen  angewiesen  ist.  Du  die  einzelnen 
Herausgeber  unmöglich  alle  naturwissensehaftlichen,  geschichtlichen, 
volkskundliclien  und  sj>raehlichen  Gcliicte  beherrschen  konnten,  so 
beschränkt*!!  sie  sich  uaturgomäss  auf  die  Bearbeitunfj:  selbstiindicfer 
Teile.  Aber  aucli  in  dieser  wissenschaftlichen  Beschränkung  sind  uns 
andie  Läuder  und  Proviuzen  weit  voruuä  geeilt.    Baden  hat  mit 


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6 


Aufgabe  und  allgemeiner  Plan  der  Ueimaikunde. 


E.  II.  Moyors  ^Badisclips  Volksleben  im  19.  Jahrliundei-t'',  Brann- 
schweig  mit  K.  Andre's  in  zweiter  Auflage  erschienenen  „Volkskunde", 
treft'liche  Arbeiten  dieser  Art.  Aus  Mecklenburg  sind  die  Kaabe- 
Quadesche  „Vaterlniidskundc"  und  die  mit  staatlicher  Unterstützung 
bisher  erschienenen  drei  Bände  der  Wo.ssidlosehen  „Volksüberlieferungen" 
zu  nennen;  Sachsen  ist  mit  der  R.  Wuttkeschen  „Volkskunde", 
Schlesien  mit  seiner  „Landeskunde"  von  Partsch  und  'l'hüringen 
neuerdings  mit  dem  „Geographischen  Handbuch"  von  Fritz  Regel  ver- 
treten; dieso  allein  kennzeichnen  genügend  (h-ii  Kückstand,  in  dem  sich 
das  Stammland  des  Prcussischen  Staates  befindet. 

l>ie  Provinz  Brandenburg  uiiisclilips^t  ein  Gebiet,  dessen  plan- 
miissige  Durchforschunir  und  Beschreibung  uu\  so  diingender  sind,  je 
mehr  sich  liier  <lie  Verhältnisse  von  .lahr  /.u  .lahr  amiern.  Was  wir  in 
mühseliger  Arbeit  lieutc  noch  für  spätere  Geschlecliter  festlegen  können, 
ist  nach  kurzer  Zeit  viellciclit  unvvicdtMlninglich  (hdiin.  Kein  andres 
Land  im  Deutschen  luMchc  ist  durch  Zu-  und  Abströmen  der  Be- 
völkeruntr  derartig  umgestaltenden  Veränderungen  ausgesetzt  wie  die 
Brandenburger  Marken,  deren  einheitliches  Tiefland  weder  trennemle 
natürliche  Erhebungen  im  Innern  noch  nach  aussen  hin  besitzt;  k«'in 
liand  wird  seilest  in  seinen  Oberllächen-Verhältnissen  so  durch  Verkelus- 
bauten  aller  Art  verändert  wie  die  l'rovinz  Bratidenbure;.  Blicken  wir 
nnr  auf  die  steinernen  Arme,  mit  »denen  die  Hauptstadt  in  einem  4<i  km 
grossen  Radius  über  ihre  alte  Peripherie  hinausgreift,  so  muss  es  klar 
werden,  dass  sich  vor  nnsren  Auq:en  Veränderungen  der  <  )l)ei"tläehe  und 
der  Bevölkerung  und  damit  auch  der  Kultur  vollziehen,  die  grund- 
bewegend für  das  \Olkstum  sind. 

Die  Maik  \>\  auch  ein  dankbares  Land  für  die  Forschung,  weil 
die  Beziehungen  eines  so  modernen  Wesens,  wie  es  sich  in  der  Gross- 
.stadt  Berlin  darstellt,  zu  dem  alten  Kolonialboden  ganz  neue  Gesichts- 
punkte bieten.  Nicht  nur  die  grundänderuden  Einflüs.se  wirtschaftlicher 
and  geistiger  Art  (Absatz  von  Milch,  Briquets  nach  Beilin,  Zusannnen- 
strömen  oiner  arbeitenden  Bevölkerung,  Zeitungen,  Bücher-Zentrale 
Q.  a.)  sind  weithin  verfolgbar,  sondern  die  Aufgabe  selbst  ist  neu  und 
anziehend)  weon  man  die  Einwirkungen  eines  so  riesenhaft  empor- 
geblühten  Gemeinwesens  auf  ein  geschlossenes  x>olitische8  Landgebiet 
in  Betracht  zieht  Da  zeogen  die  Rieselfelder  von  einer  zur  Zeit  noch 
garnicht  abzuschätzenden  landwirtschaftlichen  Betriebsmacht  der  Gross- 
stadt; da  drängen  die  emiH>r8trebenden  Vorstädte  auf  die  Lösung  eine^ 
andren  Zeitproblems,  das  mit  einer  ins  Auge  zu  fassenden  Einverleibung 
durchaus  noch  nicht  erschöpft  ist  Die  Kreisbahnen,  welche  sich  immer 
mehr  zu  einem  Riesenverkehrsnetz  ausgestalten  und  mit  allen  ihren 
kleinen  Verbindnogsadem  dem  wirtschaftlichen  Zentralpunkte  zustreben, 
machen  dieseo  nicht  nur  zum  Stapilj  latz  ungezählter  Gflter,  sondern 


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Aafiabe  und  tdlgemeinmr  thn  der  Helmatkiiiule.  7 

wirken  dorch  das  Aufblfthen  Örtlicher  ladnstrien  (Niederlausitzer 
Brannkohleiiindastrie,  Ziegdindastrie)  aaf  eine  enge  Verbindung  zwischen 
Stadt  und  Provinz. 

Und  diese  selbst  —  die  Mark  Brandenborg  im  alten  Sinne  —  ist 
ein  Kolonisationi^biet,  das  durch  die  Dauer  nad  die  Ergebnisse  dieser 
Entwicklung  ganz  einzig  in  der  Menschheitsgeschiclito  dasteht.  Ein 
so  weitblickender  Geschichtsforscher  wie  der  Leipziger  Universitäts- 
professor Karl  Laniprecht»  Spricht  es  geradezu  aus,  dass  die  Germani- 
sation der  Slavenländer  „ein  wahrhaft  erstaunlicher  Vorgang,  eine 
Grossthat  unsres  Volkes  während  dos  Mittelalters''  ist.  „Während 
Habsburg  im  S&den  im  Besitz  der  Kaisorlcrone  verbleibt,  wächst  im  * 
Norden  langsam  Brandenburg  hervor,  durch  welches  der  koloniale 
Osten  zum  Föhrer  der  deutschen  Geschichte  wird".  Wie  in  Nordamerika 
die  Kreuzung  der  verschiedenen  Zuwanderungen  ein  besonderes,  praktisch 
beanlagtes,  unternehmendes  Geschlecht  heranwachsen  lässt,  so  haben 
wir  in  der  Mark  Brandenburg  eine  gleiche  Erscheinung.  Männer 
von  hervoira^cend  scharfem  Blicke  für  das  Naheliegende  und  Thatsäch- 
liche  (Barfuss,  Schöning,  Arnim,  Knobelsdorf,  Knesebeck,  Schinkel, 
Zelter,  Fontane,  Bismarck,  dessen  Wiege  ja  noch  im  })olitischen  Ver- 
bände der  alten  Mark  stand,  u.  a.)  sind  die  Ergebnisse  dieser  Mischung, 
die  sich  in  den  Ta^en  der  Not  (30  jähriger  Krieg,  Schwedenkriege)  am 
glänzendsten  bewährte.  Wie  gross  die  Anziehungskraft  dieses  Kampf, 
Arbeit,  aber  auch  Lohn  verheissenden  „armen"  T^andes  war,  bezeugen 
die  bedeutenden  Männer,  welche  nach  der  Mark  strömten,  um  im  Dienste 
eines  starken,  weitblickenden  Herrschergeschlechts  Ansehn  und  Ver- 
mögen zu  erwerben  (Lynar,  Derttliuger,  Adam  von  Schwarzenbere:  pp.). 
Was  die  Grossen  dem  Zeitgemälde  in  weithin  sichtb;irt'n  Linien  auf- 
zei(  ImetPD,  wurde  durch  die  stille  Arbeit  am  engeren  Volkstum  von  den 
kleineren  Adelsgeschlechtern  ergänzt.  Die  Arnim,  Bredow,  Buch,  Ilake, 
Itzenplitz,  Klitzing,  Kracht,  Marwitz,  Pluel,  IMotho,  l'utlitz,  Rocliow, 
Röbel,  Knill,  Schulenl)urg,  Treskow,  Wedeil  und  wie  sie  alle  heissen, 
sie  landen  auf  dem  neuen  Boden  eine  Heimat,  in  deren  geistigem  Leben 
manche  von  ihnen  sich  auszeichneten,  in  deren  landschaftlichem  Bilde 
die  alten  Familiensitze  ein  so  charakterisches  Element  sind.  An  An- 
sehen, Regsamkeit  und  zäher  Schaffensfreude  wächst  in  den  Städten  ein 
lUirffergesclüecht  heran,  das  —  ein  weiteres  Zeugnis  des  klarsicbti<<en 
miirkischen  Charakters  —  sich  nur  bedächtig  den  weltumspannenden 
Thuteti  dir  Ilansa  auschliesst,  das  sich  im  engeren  Heimatlande  zu 
politischer  Wirkung  stählt  (Städtebund),  sich  selbst  gegen  höhere 
Gewalt  auflehnt  (Tyle  Wardenberg,  Wilke  Blankenfelde)  oder  in  starrer 
Entschlossenheit  sich  im  Kampfe  am  „sein"  Recht  aufreibt  (Hans 
Kolhase).  Und  auch  der  Baaer  verleugnet  nicht  sein  Kolonenblnt.  Ob 
er  immer  mehr  Ödländereien  in  fruchtbare  Acker  umwandelt,  oder  sich 


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8 


Aaf^be  nnd  allgemeiner  FUm  der  Heinutkiinde. 


zam  Schutze  des  £iTUDp:eiien  waffenstark  zusammenschart,  (^Wir  sind 
Bauern  von  geringem  Gut  nnd  dienen  onsrem  gnädigsten  Kurfürsten 
mit  onsrem  Blut".  —  Landsturm  1813)  so  weiss  er  stets  sein  Lebenssiel 

mit  der  Heimat  Wohl  zu  verbinden. 

Auf  solchem  Boden  konnte  sich  allein  die  grosse  Reaktion  des 
permanisclien  Volksgeistes  vorbereiten  und  vollenden,  die  das  Mittel- 
alter abschliesst:  die  Reformation,  auf  solchem  Boden  der  Geist  eut- 
wicki'lt),  fhn'  die  Schlachten  von  Fehrbelliu,  Leuthen,  Waterloo  und  des 
Kriegt'S  IsTO  71  schlug.* 

Das  wasserreiche,  dürftige  T/and  wandelte  sich  von  den  Askanier- 
zeiten  an  in  ein  fruclitbares  ackerbauendes  und  gewerbliches  Gebiet 
um,  und  je  mehr  dein  NVasser  Scholle  auf  Scholle  entrissen  wurde,  um 
so  grösser  wurde  dit*  Bedeutung  des  Wassers  selbst  für  das  Land. 
Durch  Hohenzollernfiusten  siud  Rhin-  und  Ilavelluch  und  der  Oder- 
und  Warthebruch  der  Kultur  erobert:  durch  dieselben  Fürsten  sind  die 
grossen  Kanäle  angelegt,  die  den  engen  Wirkungskreis  der  Provinz 
erweiterten,  und  sie  an  die  weit  verzweigten  Flulasysteme  des  libiigeu 
Deutschlands  ansddossen.  Das  erste  KriegsschitV,  das  vor  mehr  denn 
zwei  Jahrhunderten  den  einstigen  Auteil  Preusseu-Deutschlands  an  der 
lierr^('haf■t  über  die  J'.rde  vorauskündete,  trug  die  Flagge  Kurbranden- 
bui-y:>:  vielleicht  vermittelt  der  gejdante  Mittellnndkanal,  indem  er  die 
scliitViiare  Spree  und  Oder  an  den  Rhein  aiischliesst,  eine  erneute  Be- 
teiligung des  Märkers  an  der  Gi-oss-SeeschilValirt. 

Die  Beziehungen  des  Landes  zu  dem  übrigen  Europa  sind  ohnehin 
s<  li(»n  durch  seine  Mittelpunktslage  vielseitiger,  als  sie  in  seiner  reichen 
(leschiclite  iuissi  i  licli  zum  Ausdruck  gekommeji  sind,  liier  begegnen  sich 
maritimes  und  kontinentales  Klima,  entwickeln  sich  atlantisclie  und  j)ontische 
Flora,  bezw.  Fauna,  und  dank  der  Einflußsphäre  des  skandinavischen 
Nordens  ist  sein  Boden  zu  einem  wichtigen  Archiv  iür  die  Schöpfungs- 
jierioden  unsrer  Erde  geworden.  Der  Geologe  lindet  in  seiner  Tiefe  die 
überzeugenden  Beweise  der  einstigen  Vereisung,  die  ihn  geradezu  zu 
dem  klassischen  Boden  für  die  G lacialgeologie  machen.  (Rüdere- 
dorf,  Urstromthäler,  Endmoränen,  Moränenlaudschaft  und  Abschmelzzonen. 
Torf,  Braunkohle,  Ziegelerde  u.  s.  w.) 

Eine  brandenburgische  Landeskunde  ist  —  falls  sie  geschaffen 
wird  —  ein  inhaltreiches  Werk  von  grösster  Bedentang.  Ist  eine  solche 
heute  an  nnd  für  sich  schon  mehr  als  das  Erzengnis  fhichtloser 
wissenschaftlicher  Spekulation,  so  wird  sie,  seit  man  die  tiefen  Be- 
ziehungen erkannt  und  verfolgt  hat,  die  zwischen  Land  nnd  Yolk, 
zwischen  Vergangenheit  und  Gegenwart,  zwischen  wirtschaftlicher  nnd 
politischer  Gestaltung  bestehen,  auch  ein  Archiv  werden  mfissen,  ans 
dem  die  Znknnft  manche  L^hre  nnd  Anweisung  zn  holen  hat  Nur 
zwei  Erscheinungen  seien  hier  hervorgehoben,  die  ffir  eine  solche 


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Aafgftbe  and  aUgemeiner  Plaa  der  Hcimutkimde. 


9 


WertoDg  der  landeskoDdlichen  Forschung  sprechen:  die  auffallende 
Yermehrnng  der  hier  in  Betracht  kommenden  wissenschaftlichen  Vereine, 
die  teils  neu  gegründet,  teils  aas  bestehenden  Geschichts-  nnd  anderen 
Vereinen  heraus  Sektionen  gebildet  oder  ihr  Arbeitsgebiet  nach  der 
natur-  nnd  volkskundlichen  Seite  hin  erwdtert  haben.  Dann  die  Reihe 
streng  wissenschaftlicher  Veröffentlichungen,  die  in  Deutschland  von 
Jahr  zu  Jahr  steigt  und  bei  den  Universitäten  selbständige  Lehrstühle 
anstrebt  Noch  ist  es  vielleicht  zu  früh  zu  behaupten,  dass  auch  die 
Volkswirtschaftslehre  überall  auf  solche  Studien  zurückgeht;  es 
lässt  sich  aber  voraussagen,  dass  in  absehbarer  Zeit  sowohl  diese  wie 
die  Yerwaltungswissenschaft  jene  in  der  Volks-  und  Landeskunde'  ein- 
geschlossenen Worte  wird  beachten  müssen;  besonders  aber  wenn  sie 
so  stark  in  die  Erscheinung  treten  wie  bei  uns. 

Wir  haben  ein  Land,  das  Bewohner  ans  allen  deutschen  Stämmen, 
selbst  aus  andren  Völkern  an  sich  zog;  sie  sind  alle  zu  Märkem 
geworden,  haben  sich  in  die  neuen  Verhältnisse  gefügt  nnd  ihren  Ur- 
sprung abgestreift  Es  wurd  stets  für  die  Volkspsychologie  eine  be- 
achtenswerte Erscheinung  bleiben,  dass  eine  Stadt  wie  Berlin,  die  um 
1700  halb  französisch  war,  diesen  Bevölkerungszusate  bis  auf  wenige, 
künstlich  erhaltene  Erinnerungen,  gänzlich  hat  verschwinden  lassen. 
Andrerseits  findet  der  Wirtschaftsstatistiker  eine  Reihe  von  Vorgängen, 
die  gewlssermassen  das  Gesetz  vom  Werden  und  Vergehen  am  eignen 
Volkskörper  blosslegen:  Städte,  die  zu  Dörfern  geworden  sind  (Heckel- 
berg), andre,  die  diesem  Schicksal  entgegengehen  (Sarmund)  oder  un- 
versehens aufblühen  (Wildau  seit  1899  Station,  heut  60U0  Einwohner), 
vergangene  Industrien,  welche  einst  das  ganze  Land  belebten  (Seiden- 
industrie) und  neue,  welche  im  Aufblühen  begriffen  sind  (Töpferei — 
Velten,  Ziegeleien — ^Eberswalde  und  Batiienow,  Geschfltzfabrikation^ 
Spandau,  Torf— Linum,  Braunkohle — ^Niederlausitz,  Tabak— Schwedt  und 
Vierraden,  Obstbau— Werder,  Maschinenbau— Berlin  u.  a.).  Überall  im 
Vordergrand  Leben  und  Regsamkeit,  mit  andrem  Worte  Wechsel  nnd 
dahinter  der  historische  Begriff:  Mark  Brandenburg,  mit  all  (hm 
schlummernden  Kräften,  Trieben  und  Verheissungen,  ans  denen  jene  in 
langer  aber  stetiger  Entwicklung  emporwuchsen. 

Es  sind  also  nicht  allein  wissenschaftliche  Gründe,  die  sich  für 
die  Herausgabe  einer  brandenbnrgischen  Heimatkunde  anführen  lassen. 
Erwägungen  praktischer  Art  sprechen  mindestens  mit^  wenn  man  für 
sie  die  Opferwilligkeit  der  Behörden  aufrufen  und  ein  Interesse  in 
weiteren  Kreisen  voraussetzen  will. 

Vorläufer  eines  soh-lien  Werkes  liegen  bereits  vor,  die  —  obwohl 
sie  mit  breiter  (irnndlage  augelegt  —  nach  der  Schätzung  heutigen 
Wissens  nur  anziehende  Zeugnisse  füi'  ihre  Zeit  sein  können:  die 


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10 


Attl^be  und  aUgeoMliier  Plan  der  UeimatkUDde. 


„Hcsf  lircibung  der  Chur-  und  Mark  Brandenburg  von  J.  C.  liekmanii 
(Berlin  1751/58)  und  das  dreibändige  iuhaltreiche  ^Laodbacli  der  Mark 
Brandenburg  und  des  Markgrafthums  Niederlausitz''  von  H.  Berghaus, 
das  auf  Veranlassung  des  Staatsministers  und  Oberpritsidenten  FlotUvell 
mit  StaatsuDterstützaDg  herausgegeben  wurde  (Brandenburg  1854— öii), 
Ist  das  erstgenannte  ganz  im  Sinne  seiner  Zeit  eine  Zusammenstelluog 
aller  nur  erreiclibaren  alten  und  merkwürdigen  Nacljrichten  —  in  vielen 
Fällen  leider  die  einzige  Quelle  für  ans!  —  so  ist  das  andre  mehr  eine 
Finanz-  oder  Besitz-Statistik,  die  anch  die  natnrwissenschaftUcbe  Unter- 
lage nnr  in  der  Anfreihnng  der  Erscheinungen,  nicht  aber  in  der 
logischen  Entwicklung  erkennt  Und  doch  beruht  der  dauernde  Wert 
des  Berghausschen  Werkes  auf  dieser  naturwissenschaftlich  geo- 
graphischen Grundlage,  während  seine  Statistik  für  die  Gegenwart  keine 
Bedeutung  hat;  seine  geschichtlichen  Hinweise  unzureichend,  sein« 
sprachlichen  Erläuterungen  vielfach  von  falschen  Voraussetzungen  aus- 
gehen und  darum  verfehlt  sind,  und  der  Mangel  jeder  volkskundlicbeo 
Rücksichtnahme  zu  bedauern  ist  Zudem  wird  die  Benutzung  dadurch 
erschwert,  dass  sich  die  Besitzverhältnisse  in  einem  halben  Jahrhundert 
fast  fiberall  verschoben  haben,  und  dass  die  systemlose  Anordnimg 
und  die  trockne  Sprache  einer  praktischen  Benutzung  sehr  hinderlich 
sind.  Hat  der  ausserdem  noch  recht  lückenhafte  Bergbaus  in  Er- 
mangelung einer  Neubearbeitung  trotzdem  jahrzehntelang  nicht  unwesent- 
liche Dienste  der  märkischen  Wissenschaft  geleistet,  so  fordert  die 
Gegenwart  eine  vollständige  Keuschdpfung,  die  durch  gleichmSssige 
Berücksichtigung  aller  Seiten  moderner  Forschung  zu  einer  wissen- 
schaftlichen Landeskunde  wird  und  damit  auch  Wert  für  die  Znkonft 
behält  Dass  eine  solche  Arbeit  die  Kräfte  des  einzelnen  übersteigt, 
ist  wohl  ohne  weiteres  klar,  dass  sie  aber  auch  nur  mit  Unter- 
stützung der  staatlichen,  ständischen  und  stildtisohen  Behörden  durch- 
zuführen sein  dürfte,  wird  begreiflich  erscheinen. 

Die  Verbältnisse  haben  die  Entwicklung  an  und  für  sich  dahin  | 
geleitet,  dass  die  Beteiligung  von  Behörden  in  keiner  Weise  mehr  be- 
fremdet oder  über  die  Aufgaben  diesci-  Ivörperschaften  hinauswächst  | 
Schon  in  der  unter  dor  Autsicht  des  Kgl.  Miiiistcriuins  der  geistlichen  | 
Anf^elegcnheittMi  stetip;  sich  entwickelnden  1  )tMikinul|itlegt'  und  der  Unte^  j 
Stützung  (irtlichcr  Saniiiiluugen  und  \'('reine  IihIm  u  wir  Zeugnisse  dafür, 
dass  die  Kreis-  und   Provinzv»  !  \v.illuii<2:eii  auch   für  wissenschaftliche 
Bestrebungen  Mittel  zur  Verfügung  stellen  können.    Bei   einer  so  weit- 
ausschauenderi,   umfassenden  Ailieit  wie  der  geidnnten  „Heimatkunde" 
dürfen  wii-  unisoniehr  ein  Beharren  auf  diesem  Wege  erhoffen,  als 
ja   auch  ein    ihiu<lbueli   von   (lauerndem  Wert  für  die   Behörden  und 
den   einzelnen   Beamten    wie    für   den   wissenschaftlich  Arbeiteudeii 
bleiben  wird. 


Angabe  und  allgemeiner  Plan  der  Heiroatknnde. 


11 


Es  kommen  siinäcbst  ia  Betracht  das  genannte  Königliche 
Ministerinm,  der  Provinzial-Landiag,*  die  Kreise  nnd  Gemeinden  sowie 
unter  diesen  in  erster  Reihe  die  Stadt  Berlin  als  das  Gemein- 
wesen, welches  trotz  formeller  politischer  Trennung  von  der  Verwaltung 
der  Provinz  Brandenburg  dennoch  als  grösste  Grundbesitzerin  mit  ihr 
in  vielfacher  behördlicher  und  kultureller  Yerbindung  steht,  ab- 
gesehen davon,  dass  neuerdings  durch  das  Versicherungs-  und  Innnngs- 
wesen  pp.  gesetzlich  auch  neue  wirtschaftliche  und  verwaltungs- 
rechtliche Verbindungen  Berlins  mit  den  Vororten  geschaffen 
worden  sind. 

Zu  (li'ii  oben  aufgezählten  (n  ünden,  die  für  die  Ilt  i  aii.Nf^alu'  ciriiT 
biandenburgischcn  Heiiiial künde  s|)rechen,  lassen  sich  noch  andre  l>ei- 
bringen.  hie  WisMM]>chaft  gewinnt  daduicli  ebenso  wie  dio  Aidiihig- 
lichkeit  zur  lleiinat.  Geiade  der  Zurtiiss  der  Bewohner  aus  andicn 
Gebieten  und  der  stetige  Wechsel  der  Bev<dkerung  innerhalb  Berlins 
und  der  Provinz  Brandenburg  legt  eine  grössere  Einwirkung  auf  die 
Einwohnerschaft  nahe,  wenn  sie  durch  ihr<'rseits  dargebrachte  Mit- 
teilungen zur  Herstellung  einer  solchen  Heimatkunde  thätig  fieran- 
gezogen  wird;  sie  lenkt  auch  umgekehrt  die  Aiigen  wieder  mit  Liebe 
und  Teilnahme  auf  die  Eigenart  der  engsten  Heimat,  ihrer  Bewohner 
und  ihrer  Geschichte.  Auch  ist  es  sicher  nicht  allzu  kühn,  anzunehmen, 
dass  durch  diese  Verstärkung  heimatlicher  Empfindungen  die  Achtung 
vor  den  Resten  der  Vorzeit  ebenfolls  gesteigert  wird,  dass  in  der  Folge 
weniger  Mittel  zu  ihrer  Erhaltung  bereit  gestellt  zu  werden  brauchen 
und  doch  wahrscheinlich  die  Schätze  der  Vergaugeubeit  besser  vor 
Vernichtung  geschützt  bleiben. 

Welche  Verluste  in  dieser  Hinsicht  besonders  die  Wissenschaft  der 
Ur-  und  Voi-geschirhte  zu  bekhigen  hat,  ist  jedem  Kenner  der  Ver- 
hältnisse 7.ur  GiMMi^^t'  bekannt:  entziehen  sicii  doch  diese  veiciiizelten 
und  kleini'ii'U  Funde  nicht  mir  der  Beobachtmii;  des  Forschers  gar  zu 
leicht,  sondern  es  werden  \  iele  ausgedehnte  Uriienfeldei-,  Stein)»;ickungen, 
VerwalMingen  n.  a.  tTir  (he  Wissenschaft  ausserordentlich  wertvt»lle 
Keste  in  ihrer  Bedeutung  geschwächt,  weil  man  sie  nicht  genügend 
aufgezeichnet  oder  beobachtet  hat.  (lorade  jetzt,  w"<»  die  Forschung 
ininier  mehr  den  Schleier  von  der-  fernen  \  ergangenheit  hebt,  <lrangt 
die  Flage  zu  der  Entscheidung,  ob  sich  durch  die  Mark  und  die 
Niederlausitz  schon  in  graner  Vorzeit  eine  Völkerscheide  zieht,  die  die 
altgernianischen  Vulksiande  von  den  südlicli  vordringenden  Kulturen 
sonderte.  Dass  sich  eine  solche  Trennungslinie  «juer  durch  die  Provinz 
zieht,  dass  sich  möglicherweise  noch  andre  vorgeschichtliche  Völker- 
scheiden auflinden  lassen,  sind  Fragen  von  wissenschaftlicher  Be- 
deutung, die  durch  die  Heimatkunde  der  Lösung  näher  geführt,  ja 


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12 


Welche  Mittel  erfoidert  die  Hflimatkande? 


vielleicht  gelöst  werden  könneo,  wenn  man  andre  volkskundliche  Beob- 
achtungen mit  heranziebt. 

Von  gleich  grossem  Werte  kann  sich  die  planmässige  Durch- 
forschong  der  Flurnamen  gerade  jetzt  erweisen,  wo  die  Frage,  ob  die 
germanischeu  Urbewohner  in  der  Volkerwanderong  ihre  Heimat  gänz- 
lich verlassen  haben  oder  bedeutende  Reste  zurückgeblieben  sind,  wieder 
erneut  aufgeworfen  ist.  Es  lässt  sich  folgern,  dass  eine  gänzliche  Ent- 
blössung  des  Landes  von  den  germanischen  Bewohnern  für  die  nach- 
rückenden Shiven  Veranlassung  werden  musste,  die  hervortretenden 
Urtlichkeiten  mit  ihrer  Si)racli<'  zu  heneimen,  dass  sie  jedoch  im  andren 
Falle  sicluT  altgermanische  Sprnchreste  übei-nommen  haben.  Da  zu 
dersrltH'ii  Zeit  die  zweite  sogenannte  Lautverschiebung  der  deutschen 
Sjirache  vor  sich  ging,  so  kann  man  annehmen,  dass  sich  unter  den 
Flurnamen,  welche  die  Slaven  in  Süd-  und  Mitteldeutschland  vor- 
gefunden und  mehr  oder  niiiuier  ihrer  Sprechweise  anbequemt  haben, 
sich  solche  mit  den  ältcicii  Konsonanten  wenigstens  in  den  süd- 
lichen Grenzgebieten  der  Mark  finden  werden,  was  einen  sicliert-n 
Schluss  auf  di*'  nnunterbrocllene  Fortsetzung  dir  iievölkerung  erlaubt. 
Auch  die  Volkssjjiache,  welche  in  ausgiebigerem  Zusannnenhange  noch 
nie  in  unserer  liciiiuit  untersuclit  worden  ist,  die  Sagen,  die  nach  den 
grundlegenden  Fuis(  Hungen  von  W.  Schwartz  für  die  eben  gestreifte 
Frage  von  Bedeutung  sind,  die  Ilausarten  und  vieles  andre,  was  aufzu- 
zahlen an  dieser  Stelle  zu  weit  führen  würde,  könnten  durch  die 
Heimatkunde  eine  neue  wissenschaftliche  Bearbeitung  erfahren  und  da- 
durch das  beabsichtigte  Werk  auch  dem  Fernstehenden  näher  bringen. 
Alles  dies  rechtfertigt  sicherlich  eine  Beihilfe  für  unser  Unternehmen 
seitens  der  ständischen  und  städtischen  Behörden. 


II. 

Welche  Mittel  erfordert  die  Heimatkunde? 

Da  die  nötigen  Geldmittel  die  erste  Voraussetzung  für  die  Arbeit 
sind,  so  sei  diese  Frage  zunächst  erörtert.  Sie  dflrfen  nicht  zu  gering 
angenommen  werden.  Ein  Werk,  das  für  Jahrzehnte  den  Stand  der 
wissenscbalQiclien  Forschung  abschliessen  soll,  das  also  kommenden 
Gescblecbtern  nur  die  Ergänzung  und  die  Kritik  der  Einzelheiten 
zumutet,  kann  nur  mit  Mitteln  ins  Leben  gerufen  werden,  welche  die 


Wdehe  Mittel  erfordert  die  Beimatkoade? 


18 


Dracklegnng  nicht  nur  sichern,  sondern  auch  die  eiiizelm'n  Forscher  in 
den  Stund  setzen,  ihre  Wissensgebiete  iui  Lande  selbst  dunli  p:elegeiit- 
licbes  Stadium  an  Ort  und  Stelle  sowie  darch  eine  aasgedehote  Frage- 
bogen •Organisation  zu  prüfen  und  zu  vervollständigen.  Dass  die 
Dni<  kbogen  auch  durch  viele  Abbildungen,  Karten  und  Skizzen  erläutert 
weiden  müssen,  Ist  ein  weiterer  Gmnd,  beträchtlichere  Geldmittel  an« 
zustreben. 

Es  sind  mit  Benifang  anf  den  angehängten  Arbeitsplan-Entwurf 
zonäcbst  fünf  Bände  im  Lexikonformat  für  die  Heimatkunde  in  An- 
schlag gebraclit,  von  denen  jeder  25  Bogen,  bezw.  400  Seiten  Text  ent- 
hält  (die  Seite  mit  26  Zeilen  zn  21  Silben  gerechnet).  Danach  ist  der 
Voranschlag: 

Druck,  Satz,  Papier  und  Spesen  ä  Bogen  150  M. 

bei  5U(K)  Auflage       125x150  M   18750  M. 

1000  Drackstöcke  zu  100  cbcm  ä  0,08  M.    ...  8000  „ 

Für  Photographien,  Reisen,  Ausgaben  der  Leitung  10  000  „ 

Aaslagen  für  Fragebogen  and  Porti   5.000  „ 

Yorbereitnng,  Petitionen  n.  dergl   1060  „ 

Honorar  an  die  Mitarbeiter  50  M.  pro  Bogen  .  .  (5250  „ 

Unvorhergesehenes                                   .  .  960  „ 

Summa  M.    50UU0  AI. 

Es  kann  sich  selbstverständlich  bei  dieser  vorläufigen  Aofetellang, 
die  lediglich  erfolgt,  nm  ein  ungefähres  Bild  des  höchsten  Kosten- 
betrages zn  skizzieren,  welcher  von  dem  geschäftsfuhrenden  Ausschnss 
in  keiner  Weise  fiberschriitai  werden  soll.  Für  Dmck  and  Ab- 
büdangen  wird  sich  vieIMcht  eine  Yerminderang  erzielen  lassen,  die 
zu  einer  ErhÖhnng  des  Bogen-Honorars  verwendet  werden  sollte,  das 
nicht  als  eine  entsprechende  Bezahlung  der  Arbeitsleistang  aafisofassen 
ist,  sondern  nur  als  ein  kleiner  Ersatz  für  unmittelbare  Auslagen 
dienen  kann.  Die  wissenschaftliche  Leistung  lässt  sich  bei  solchen 
Arbeiten  ohnehin  nicht  bezahlen;  sie  kann  nur  durch  die  Opferwillig- 
keit  der  Mitarbeiter  ermöglicht  werden,  denen  aber  nicht  noch  bare 
Opfer  aus  der  eigenen  Tasche  zugemutet  werden  dürfen. 

Um  der  Ausgabe  von  rund  50000  Mk.  auch  eine  Einnahme  ent- 
gegenzustellen, sind  natürlich  nur  die  Beitrage  ins  Aoge  zu  fassen, 
die  ä  fonds  perdu  gezeichnet  werden.  Der  Geschäftsanssobuss  wird 
nicht  umhin  können,  bei  den  hier  in  Frage  stehenden  Körperschaften 
und  Personen  gleich  um  die  Bewilligung  bestimmter  Summen  zu 
bitten. 

Es  würde  sich  empfehlen,  vielleicht  —  auf  drei  Jahre  verteilt  - 
die  nachfolgenden  Beträge  aufzubringen: 


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14 


Welche  Mittel  erfordert  die  Heimatkunde? 


1.  Das  königl.  jUTUSsisrho  Kultiisiiiiiiisteiium  .  .  ölMjO  M. 

2.  I>it'  Fio\ itizial-Stilude  Versainmiuug   ir>0(M)  „ 

3.  Die  Stadt  Berlin   olMH)  , 

4.  Die  ;U  Kreise  n  m)  M   «K^HI  „ 

ö.  Die  185  Städte  ä  öl)  M.  (im  Durcliscliiiitt)  .  .  0  TöO  „ 

Ö.  EtwaSOwissensclKittliclieGeseilscbafteuiilÜOM.  iMHK)  „ 

7.  ZuäcliusK  des  Verlegers                             .  .  (ntöQ  ^ 

ijüüUÜ  M. 

Auch  diese  Anfstellnog  kann  nor  eine  vorläufige  sein;  sie  wird 
bei  der  DnrcbfQhrung  sich  nach  der  Beteiligung  der  einzelnen  Faktoren 
richten  müssen.  Das  aber  lässt  die  Aufstellung  erkennen,  dass  das 
Aufbringen  der  Kosten  nicht  zu  den  unüberwindlichen  Schwierigkeiten 
gehört  und  zwar  umsoweniger,  als  sich  die  Ausgabe  selbst  —  wie  an- 
gedeutet  —  auf  einen  2teitranni  von  mehreren  Jahren  verteilen  Hesse. 


III. 

Iii  welchem  Umfange  soll  eine  brandenburgische 
Heimatkunde  bearbeitet  werden? 

Es  bedarf  keiner  Begründung,  dass  sie  nnr  sichere  Ergeb- 
nisse, wenigstens  bestrittene  Auslegungen  nur  soweit  aufnehmen  darf, 
als  diese  zur  Beleuchtung  gewisser  —  in  unserer  Heimat  allein  zu 
Tage  tretender  —  Erscheinungen  herangez<»gen  werden  müssen.  Z.  B. 
dürfte  die  Frage,  ob  einzelne  Thftler  und  Seen  der  Mark  oder  Nieder- 
lausitz durch  tektonische  Kräfte  oder  durch  die  Wirkung  ehemaliger 
Schmelzwässer  entetaudeu  seien,  durch  die  Cii>geuüberstellung  der  beob- 
achteten Thatsachen  zu  beantworten  sein.  Andre  Streitpunkte,  wie  die 
Entstehung  der  Finower  Thalrinne,  das  Verhältnis  der  im  Gefolge  der 
Lausitzer  Vorgeschichte  ermittelten  Kultur  zu  andren  europäischen 
Kultnrstromnngen,  der  Zweck  und  die  Unterscheidungen  einzelner  Wall- 
bauten, die  Entetehung  des  märkischen  Backstunbaues  n.  s.  w.  können 
nur  durch  eine  möglichst  genaue  Schilderung  der  festgestellten  That- 
sachen und  Erscheinungen  einen  festen  Grund  für  spätere  Forschung 
bilden.  Dagegen  ist  es  erforderlich,  das  Thateachenmaterial  soweit  zu 
sichten,  dass  es  immer  nur  in  seinen  Beziehungen  zur  Mark  bezw. 
Niederlausitz  hervortritt,  eine  Gefahr,  die  z.  B.  bei  der  politischen 
Geschichte  leicht  über  den  Rahmen  hinwegführt  oder  eine  neue 
märkische  Geschichte  liefert,  die  schon  von  andren  Seiten  vorliegt. 


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ÜmfcDg  einer  brandenbnrgiachen  Beinatkiinde. 


15 


Der  Stoff  soll  ferner  mit  BerQcksichtigaDg  der  jüngst  festgestellten 
Ei^bnisse  zu  einem  geschlossenen  Bilde  unserer  Heimat  fahren  und, 
weil  das  Werk  auch  keine  Qnellensamndnng  sein  darf,  die  gedmckten 
Quellen  nnr  in  der  Hauptsache  und  mit  Auswahl  angeben. 

Da  die  Geschichtsereignisse  für  eine  Heimatkunde  nnr  soweit  in 
Betracht  kommen,  als  sie  sich  als  Folgen  der  im  Lande  selbst  vor- 
handenen und  erzeugten  Kräfte  äussern  oder  fOr  das  Land  eine  grössere 
Bedeutung  gewonnen  haben,  so  ist  auch  die  Frage  nach  der  Beröck- 
sichtigung  der  einst  znr  Mark  gehörenden  oder  später  angegliederten 
Gebiete  schon  zum  Teil  beantwortet.  Eine  Heimatkunde  der  Provinz 
Brandenburg  kann  die  ersteren  Gebiete  ebenso  wenig  unbeachtet  lassen 
wie  sie  die  Kulturanfänge  der  letzteren  auf  ihre  manchmal  weit  ab- 
liegenden Ursprfinge  zurück  verfolgen  muss;  aber  sie  wird  beide  nur  in 
ihren  unmittelbaren  Beziehungen  streifen  dürfen.  Wie  jene  hauptsächlich 
in  geschichtlichen  Ereignissen  mit  der  Mark  zusammenhänn^en  und  dem- 
entsprechend in  den  Rahmen  einer  brandenburgiscben  Heimatkunde 
hiiH'in2:oz()gen  werden  müssen,  so  gewinnen  diese  für  die  Mark  —  vnu 
vereinzelten  früheren  Erscheinungen  abgesehen  —  erst  Bedeutung,  als 
sie  in  das  politisclie  Gefüge  des  r.ainlps  treten  nnd  damit  auch  in  ihrer 
Volks-  nnd  Landeskunde  von  erheblk-lier  Bedeutung  werden.  Ebenso- 
wenig kann  man  von  einer  Heimatkunde  erwarten,  dass  sie  bei  der 
Behandlung  gescliichflirlier  Fragen  sich  zu  einer  Entwicklungsgeschichte 
des  Staates  answächst.  Etwaige  Abscliweifuiigon  können  nur  dazu 
dienen,  die  Bedeutung  der  märkischen  Begebeniieiten  in  ein  richtiges 
Licht  zu  setzen.  So  sind  beispielsweise  die  Bewegungen  der  Sciiwedeu- 
kriege  nicht  von  der  Eigenart  des  Lucligebietes,  Friedrichs  des  Grossen 
strategische  Massnalimen  nicht  von  der  Oderlinie  zu  trennen.  .Ta  mehr 
als  das!  Der  Bewohner  des  Tiandes  gewinnt  durch  das  Verstiiiuliiis 
solflicr  Voro^änge  einen  Blick  l'iir  die  Notwendigkeit  der  piiizeliuMi 
Mas<!Ktbiii(>ii  wie  für  die  Bedeutung  der  Landschaft,  der  ihm  lieute 
vielfach  fehlt. 

In  ähnlicher  Weiso  wird  sich  die  Behandlung  der  Sagen  und 
Märchen  einsclniiiiken  müssen.  Wir  können  nicht  jede  einzelne  Sage 
aufzeichnen,  sondern  nui-  auf  die  grössere  oder  geringere  Stärke  hin- 
weisen, mit  der  bestiniuite  Sagen  innerhalb  des  Landes  die  ganze 
Gattunu  vertreten.  Erst  wenn  sie  für  die  Mark  besondre,  tiefere  Be- 
deutung; erlangen  wie  beis|»ielsweise  die  Sagen  von  der  Frau  Gode, 
Harke,  Frick  oder  sich  zu  einer  rein  ortlichen  Fassung  wie  bei  den 
Sagen  vom  alten  Sparr  liera\isgebildet  haben,  gehören  sie  zu  den 
besonderen  ujärkischen  Sagen,  die  in  einer  Landeskunde  ebensowenig 
fehlen  dürfefi  wie  die  (Iründungssagen  von  Städten  und  Klösturn,  die 
Gescldechts-,  Baum-  uud  C^uel leusagen. 


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16 


Wie  soll  die  Mitarbeiterachaft  oiganisiert  werden? 


IV. 

Wie  soll  die  Mitarbeiterscbaft 

organisiert  werden? 

Vor  allem  ist  os  not\vendi<^ ,  die  Einzeldarstellungen  der  ver- 
schiedeneu Mitarbeiter  nach  eiueiii  einheitlichen  Plane  und  nach  den 
naher  noch  zu  bestimmenden  Gesichtspunkten  zu  verfassen,  die  von  dem 
gesciiäftsleiteuden  Ausschuss  mit  den  Bearbeitern  ui  gemeinsamen  Zu- 
sammenkünften aufgestellt  werden.  Das  setzt  voraus,  diesen  Ausschuss 
unter  der  ehrenamtlichen  Oberleitung  eines  Präsidenten,  dem  unter 
Umständen  ein  Geschäftsführer  beizugeben  ist,  und  aus  den  Vertretem 
der  wissenschaftlichen  Hauptgebiete  zusammen  zu  berufen.  Es  dürften 
Vertreter  für  Geschichte,  Naturkunde,  Volkskunde  und  Sprache  sein, 
die  mit  dem  V'orsitzenden  —  falls  der  ev.  Geschäftsführer  aus  diesem 
Krei.se  entnommen  wird  —  aucli  der  Zahl  nach  in  einem  guten  Ver- 
hältnisse zu  einander  stehen  würden.  Sehr  zu  begrüssen  wäre  es,  falls 
sich  hinter  diesem  eiij^eren  Arbeitsausschuss  ein  Kranz  behördlicher 
Vertreter  und  wissenschaftlicher  Gr<lssen  zu  einem  weiteren  Ausschusse 
vereinigen  würde,  der  den  vorbereitenden  Schritten  mehr  Gewicht 
verleihen  könnte. 


V. 

Spezieller  Arbeitsplan. 

Wenn  nnn  noch  im  Anschlnss  an  das  Vorhergehende  ein  Arbeits^ 
plan  für  das  Gesamtwerk  folgt,  so  ist  dieser  selbstverständlich  nicht 
abschliessend  sondern  nur  bestimmt,  weiteren  Kreisen  über  den 
Umfitng  und  den  Inhalt  eine  Vorstellung  zu  geben.  Die  einzebien 
Stoffgebiete  werden  von  ihren  wissenschaftlichen  Vertretern  mehr  oder 
minder  ergänzt  werden  müssen,  um  ihren  Ansprüchen  zu  genügen. 
Doch  schon  jetzt  dürfte  diese  Grundlage,  die  in  den  beratenden 
Sitzungen  des  vorläufigen  Ausschusses  gebilligt  wurde,  erkennen  lassen, 
dass  die  beabsichtigte  Landeskunde  nicht  eine  Nachahmung  älterer 
Landeskunden  ist,  sondern  nach  ihrer  Anlage  zum  ersten  &fal  viel- 


niniti7Pdh\/QQQQlf> 


Arbeitsplan  fftr  eine  Biaiideiibiu|^Mhe  Hiim«tlniiid«.  17 

leicht  den  Yersach  maehti  den  Begriff  einer  engeren  HeimaUninde  nacli 
einheitlichen  and  örtlich  gegebenen  Verhilinissen  tu  omBchreiben. 
Schon  jetst  wird  sie  erkennen  lassen,  dass  sie  lediglich  «of  branden- 
bnrgische  Verhältnisse  zag^chnitten  ist,  dass  sie  diese  aber  auch  nach 
allen  Seiten  hin  verfolgt 

Der  Plan  selbst  entstand  unter  dem  Einfloss  des  Gedankens,  dass 
sich  die  natürlichen  Znsti^de  des  Landes  za  einer  besonderen  Wissens- 
gmppe  znsammenschliessen,  die  sich  der  zweiten  Omppe  voranstellt,  in 
der  der  Mensch  mit  seinem  Denken,  Glanben  nnd  Arbeiten  im  Ifittel- 
pnnlEt  der  Betrachtang  steht.  Als  dritte  selbständige  (trappe  folgt  dann 
die  Sprache,  die  von  beiden  ablUtogig  ist  and  doch  in  ihrer  Entwiddong 
von  gewissen  natfirlichen  nnd  knltorellen  Gesetzen  beeinflnsst  wird,  bei 
der  das  Einzelwesen  zarflcktritt  zn  Gunsten  der  Gattung.  Es  sondert 
sich  demgemftss  der  Arbeitsplan  in  drei  grosse  Gruppen: 

1.  Die  natfirlichen  Zust&nde. 

2.  Enlturznst&nde  (die  ftusserlich  nnd  innerlich  in  dje 

Erscheinung  treten). 

3.  Die  Sprache 

uad  im  einzelnen  in  die  nachstehenden  Unterabteilungen. 


Arbeitsplan 
für  eine  Brandenburgische  Heimatkuade. 


I.  Natürliche  Zust&nde. 

Luft  und  Klima. 
(Büttelpunktslage  der  Mark;  maritimes  nnd  kontinentales  Klima.) 

Geologische  Verhaltnisse. 
Urzustand  (Inlaudeis  —  Tlieorie). 
Gegenwart  (Sand-,  Lehmboden,  Kieferhind,  A(  ker). 

Niederiing(»n  und  Höhen  (WiesensthUi^e,  Acki'ihiud).' 

Wasserverteüuug  (günstig  für  Kanäle). 

Waldverteilang  (das  reichste  Waldgebiet  in  Preusseu). 

Heiden  und  Moore  (wird  nur  von  Hannover  übcrtroD'eu). 

Die  l'flanzenweit 

Ausgestorbene  iMlan/en  (Eibe). 

Durch  Kliniaveiimderung  ausgestorben  (Eiszeit). 
Durch  die  Kultur  verdrängt  (Hirse). 


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18  ArbdtspUui  fftir  dne  BnmdenlxiigiBclie  Helmttkonde. 

Lebende  Pflanzen  (atlantische  nnd  pontiscbe). 
Landständige  (E^iefer,  Zackerrüben,  Elche). 
Etngeföhrte  (Kartoffel,  Tabak> 

Die  Tierwelt 

Ansgestorbene  Tiore. 

Durch  Klimaveräiiderung  ausgestorben  (Mammnth). 
Durch  die  Kultur  verdrängt  (Wolf,  Wisent^  Bär,  Ur). 

Lebende  Tiere. 

Landstäiiiligo  Tiere  (nn("lis,  Fachs). 
Eingewanderte  Tiere  (Ratte). 

Der  Mensch. 

1.  Be völkeruugsdichte  einst  uud  jetzt. 

2.  Körperliche  Anthropologie  der  Gegenwart 

Grösse. 
Hautfarbe. 
Augen  und  Haare, 
ächädeiformen. 
<J.  Bevölkernngsweclisel. 

a)  In  der  Vorzeit  (Gräberfunde,  Germanen,  Slaviscbe  Stämme). 

b)  In  der  geschtchtlichen  Zeit 

1.  Die  deutsche  Bevölkerung. 

Sachsen  (Prignits,  Sachsendorf,  Sachsenbarg). 

Franken  (askaiiische,  hohenzoUemsche  Kolonisation,  der 

fränkische  Adel). 
Flaml&nder  (Fläming,  die  Wische,  Gross-Wusterwitz). 
Spätere  Kolonisten: 

Pfälzer  (Müggelheim,  Nea-Trebbin,  Altenhof,  Beig). 
Holländer  (NenhoUand). 
Schweizer  und  Tiroler  (Töplitz,  Kreuzbmch). 
Vereinzelte  Ansiedlangen  (Franken-Nen-Anspach),  Württero* 
berger-  Mittel-  and  Nenmark). 

2.  Fremde  Bevölkerung. 

Slaven 

Böhmen  (Rixdorf,  Berlin,  Oderbmch). 

Polen  (Oderbrach). 

Rassen  (Potsdam). 

Wallonen  (Uckermark,  Kottbns). 

Franzosen  (Berlin,  Uckermark). 

Juden  (jüdische  Kirchhöfe). 

Zigeuuer  (Sagen). 


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ArtMittplaii  fOr  eine  BrandenlnnglMhe  HeimaUnmäe.  19 
II.  Knlturaustinde. 

1.  Äussere  Zustände. 

1.  Die  liandesentwicklang  der  Provinz. 

2.  BesiedelnngfSYerhältDlsse. 

a)  Vorgeschichtliche  Wohnplätze  anf  festem  Lande  ^Wachow). 

b)  Pfahlbauten  (Spandan,  Alt-Görzig,  Zechlin,  WerbelUnsee). 

c)  Wöste  Dörfer  ^emow,  Thyre,  Wedding). 

d)  Slaviaehe  Siedelnngen  (Stralau,  Postnplmi-Potsdam,  Oeliti-Oeltow). 
Der  Rundling  (Krenzburg,  Jachzenbrilck)«. 

e)  Deutsche  Sieddungen. 

Hofonsiedelnngen  (Honehof  a.  d.  Sipunt  b.  Potsdam). 
Haufendörfer  (Beiersdorf  b.  Werneuchen). 
Strassendurfer  (Schönfeld  b.  Werneuchen,  Mödlich). 

f)  Dorf-,  Stodt-  und  Gutsfluren  (Die  Almende,  Weichbild).  Grenz- 

zfige  (Strausberg). 
Fiskalische  Ländereien  und  Domänen  (Grunewald,  Dahlem), 
h)  Die  Ortsanlagen. 

1.  Ackerbauniederlassangen  (Schmargendorf,  Schöneberg). 

2.  Fischerdörfer,  Kieze  (Fahrland,  Spandau,  Rummelsbui^). 

3.  Wehrbauten: 

Germanische  Anlagen  (Knoblauch,  Runierschanze). 
Slavisclie  Anlagen  CJahi  1.  ^^tralau,  Treiienbrietzen). 
Die  Landwehren  (Fölirde,  Treuenbrietzen,  Zootzen). 
Die  iiiittelaltorliche  Burg  (Lenzen,  Jarina,  Wiesenburg). 
Die  Fe'^tniig  ^^l)a^dau,  Pcitz,  Küstrin). 

4.  Handelsniederlassungen  (Berlin,  Frankfurt  a.  0.). 

5.  Residenzen  (Berlin,  Schwedt,  Potsdam). 

Ü.  Die  Landeshauptstadt  (Kur—  und  llaupstadt  i^raudenburg 
Berlin). 

)l  Wirtschaftliche  Zustände. 

a)  Ackerbau  (Dreifelderwirtschaft,  Fruchtf«»lge,  l^übeubau,  künst- 
licher Dünfror). 

Lose,  ( iciiieindeland. 

b)  Viehzu(;ht  (Milchwirtschaft,  Mästung,  Kassenzuclit). 
.higd  (Hoch-  und  Niederjagd,  die  Hofjagd). 

d;  Fischerei  (<  )derbrucli,  Müggelsee,  Biologische  Station), 
e)  Miihlenbetrieb  (Wasser-,  Wind-  und  Dampfmühleu), 
t)  Garten-  und  W'eiubau  (Werder,  Kros.sou,  Guben). 

g)  Tabakbau  (Schwedt,  Vierraden). 

h)  Imker wesen  (Zeidler-GeoossenscUafteo,  die  Uouiggulde). 

i)  Gewerbewesen. 

2* 


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20 


Arbeitsplan  für  eine  Brandenbaigtsdie  Heimetknnde. 


Haasgewerbe  (Lehmziogel,  Spinnerei,  ITolzschnhe). 

Innungsgewerbe  bezw.  Handwerk  (Hechtreisser-Wriezen). 

Manufakturen   and   Industrien    (Seiden-   und  Wollwebereien, 
Ziegeleien,  Ofen-  nnd  Porzellanfabrikatioii,  filsengiessereien). 
k)  Bergbau  (Kalk,  Gips,  Braunkohle). 
1)  Handel. 

Strassen-  und  Verkehrswesen  (Römische  Aiünzfuude,  iiacksilber- 
funde,  Herwoge,  Cliausseeu). 
Fuhrmannsweseu  (Gobriiuche,  Herbergen,  Zollscliniiikeii). 
Wasser\Nege    (Ströme  und  Kanäle,   Abgaben,  Deichwesen, 

Schifterei,  Hamburger  lleihefahrt). 
Eisenbahnen  (Vcrkelirsbahnen,  Strategisclie  Bahnen), 
Die  Post  (Das  alte  Boten wesen,  die  Postbauteu). 
4.  Grundzime  der  inneren  Geschichte. 

1.  Stünde wesen. 

a)  Bauern  und  Koloneu  (Büdner,  Kossät,  Knecht   Die  Ritter- 
Bauern  von  Zaucliwitz). 

b)  Bürger  (der  Ackerbiirger). 

(Bewegungen  zur  Erlangung  politisclier  Rechte). 

c)  Der  Adel  und  städtisches  Patriziat,  der  Bürgermeister. 

d)  Die  Geistlichkeit  (Wittstock,  Fürstenwalde,  Lebus,  Domkapitel 

zu  Brandenburg). 
Kirchenlehen  (Palsdorf  und  Hohengörne  a.  d.  Grafen  v.  Lindow). 

e)  Die  Fürstenhäuser. 

2.  Rechtsgeschiclite. 

a)  Ding-  und  Gericlitsstätteii  (Die  Klinke,  der  Roland). 
Der  üpstall  (Berlin,  Havelland). 

Das  Wröhegericht  (lierlin). 
Der  Pristabel  (Oberspree). 

b)  Öffentliches  Recht  (Die  öffentliche  Meinung). 

c)  Privatrecht  (Gesinde-Ordnung). 

3.  Yerwaltungsgeschichte. 

a)  Dorf-  und  Stadtverwaltung  (Vögte,  Lehnschulzeu,  Domäneu- 

ämter). 

b)  Kreisverwaltuug. 

c)  ProYinzverwaltung. 

Stenern  and  Abgaben  (Ablösungen). 
Stiftungen. 

Armen-  und  Waisenwesen. 

Beamtenwesen  (Dei  M&rker,  Zuströmen  aus  anderen  Pro- 
vinzen, Thätigkeit  Danckelraanns). 
Die  Wehrverfossnng  (Garnisonen  und  Regimenter). 

d)  Münzen  und  Masse. 


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Arbeitsplan  für  eine  Brandenbuigische  Heimatkunde.  21 

5.  Grundzüge  der  äusseren  Geschichte. 

a)  AltgerinaDische  Zeit  (Karpodakische  Einwanderung). 

b)  Slavische  Zeit  (Pribislaw.  Jacz<i). 

c)  Deutsche  Kolonisation  (Albrecht  d.  Bär,  Anselm  v.  Havelberg, 

Piasten,  Ordensritter). 

d)  Die  Askanier  (Albrecht  der  Bär,  iFohann  T..  Otto  TIT.). 

Die  Maik   in   ihrem  Verhältnisse  zur  Hansa  (Brandenburg, 
Perlebei'fi:,  Prenzlau,  Frankfurt,  Ruppin). 

e)  Die  Wittelsbacher  (Der  falsche  Waldemar). 

f)  Die  Liitzelburger  (Karl  IV.,  das  Landbuch). 

g)  Die  HohenzoUern. 

Fränkischer  Einflnss  unter  den  drei  ei-sten  HohenzoUern. 
Selbständigkeit  und  Eigenart  der  Mark  von  1486 — 1598. 
Die  Mark  als  Grandlage  eines  grösseren  Staates  1599 — 1701. 
Die  Mark  nnter  den  prenssischen  Königen  und  deatschen  Kaisern. 

2.  Innere  Zustände. 

1.  Konst 

a)  Die  bildende  Knnst. 

Yorgeaehichte  (Stein1>auten,  Mellen,  Seddin,  Oiabfonde). 

Eolonisationssdt  (Der  Einflnss  klösterlioher-  Enltnr.  —  Havel- 
berg, Brandenburg,  Lehnin,  Heiligengrabe). 

Zeit  der  Stftdteblfite  (Fhmkfnrt,  Königsberg,  Frenzlan.  —  Ratfaans). 

Zeit  der  kleinen  Dynasten  (Grafen  v.  Lindow.  Die  Patlitze.  Die 
Biberstein.  Der  deutsche  Orden.  —  Freienstein,  Wiesenborg). 

Zeit  der  Residenzen  und  des  Hofes  (Rbeinsbeig,  Dobrilugk.  — 
Die  Akademie). 

Die  modernen  Bestrebungen  (Kunstgewerbe-Ansstellongen,  Garten* 
kunst  [Hohenfinow]). 

b)  Dichtkunst. 

Vor  der  Reformation  (Minnegesang.   Otto  IV.  m.  d.  Pfeil). 
Bis  zum  grossen  Kurfürsten  (Das  Kirchenlied,  Paul  Gerliard, 

Die  geistlichen  Schauspiele,  Hans  Clauert,  Peuker). 
Bis  sa  den  Freiheitskriegen  (Schmidt  v.  Werneuchen,  das 

politische  Lied). 

Bis  zur  Gegenwart  (Willibald  Alexis,  Fontane,  Einfluss  Berlins). 

c)  Die  Musik. 

Die  kirchliche  Musik. 

Die  bürgerliche  Musik  (Der  Gassenhauer,  Zelter). 
Die  höfische  Musik  (Friedrich  der  Grosse). 

d)  Tänze, 

2.  Wissenschaften. 

Scholastik  (Zinna,  Lebnin). 


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22 


ArbeitBplaa  fflr  ebao  Brandenbufi^die  Heirnfttlrotide. 


Universitäten  (Frankfart,  Berlin)  und  Privatgelehrte  (Leatinger, 
Haftiz,  Kankel,  Thumeisser,  Bekmann,  Fr»  v.  Elöden,  Leop. 
von  Buch»  A.  von  Hnmbold,  Heümholts). 

Tiertatlicbe  Hochschule. 

Forstwissenschaftliche  Scholen  (Eberswalde,  Tbaer  in  Moegelin). 
Scholen  (Graoes  Kloster^p  Joachimsthalsches  Gymnasinm,  Saldria) 

Yolksscholen  (v.  Rochow-Reckahne). 
Druckereien  (Lehnin-Marienpsalter,  Frankfdrt  a.  O.,  Berlin). 
Bibliotheken  ond  Zeitongswesen  (Egl.  Bibliothek,  Geschriebene 

Zeitongen). 

3.  Technik. 

Wirken  der  Festangs-Ingenieure  (Ohiaramella  de  Gandino.  Rochns 

Goerini  de  Lynar.  Memhard). 
Hecker  und  die  Gründang  der  Realschole. 
Technische  Hochschale  (Beuth). 

Bei^kadeinie. 

Gewerbeschulen  (Konstschole,  Wredowsche  Zeichenschole  inBranden- 
borg). 

Gewerbeausstellangen  (Berlin  1844,  1879,  1896). 

4.  Sittengeschichte. 

Die  Religionsanschaiiungen. 

a)  Yorwendische  Koltorte  (Harlungerberg,   Schlossberg  Borg, 

Wandlitz). 

Näpfchensteine,  Teufelssteine  (Triebe!,  Gehren). 

b)  Wendische  Kiiltorte  (Jüterbog,  Frenziao). 

c)  Christliche  Kiiltstätt<>n. 

Kiixhcn    (Mutter-    and    Tochterkirchen,    Havelberg  mit 

1")  Parochien). 
Sciuitzheiligo  (TVtrus,  Nikolaus,  P.Firrius). 
Patronatsverhaltnisse   (Koosibtorium,   iStaadespersoneo,  Ge- 
meinrlcTi,  Mng-istrate). 

Altäre  im  Freien  (Niemeck,  Trebnitz). 
Rundniarken  (Müncheberg,  Preozlau,  Kremmen). 
Schleifrillt'u  (Frankfurt  a.  ().). 
Kloster  (Miittfr-  u.  'J  <M  !it*  rk]öster, Zinna,  Lclinin,  Chcrin,  Kagel) 
Die  ()r(leii(( 'i«t''rzit'iis<'r-Zinna,  Lehiiin,  Friinionstrateiisi'r- 
Tiindow,  l)ümiiiikauer-.Strausberg,  (Johi,  Benedektioer- 

Wallfalirtsortc  (Wil^nat  k,  Ueiligengrabe,  Belitz). 

d)  Verhältnis  ilo'  K"!ilV'>siörit'n. 

e)  (lescliicliti'  dtT  Konfcsvidnen  (hie  Relbrniation}. 
f;  Judentum  (Judenvert'ulouno^  lu'fnrnijudeil). 

g)  Sektenwesen  (Calviuisten,  Baptisten). 


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Arbeit«pl«B  fOr  eiiie  Bfandeobingisehe  Baunatknnde. 


23 


8.  Volkskande. 

1.  Äassere  Volkskunde. 

a)  Bauernhans  (Sächsisch-MOdlicb,  Fränkisch-Görsdoff,  Wendisch- 

Lebde,  Lanbenhans-Zäckerick). 
Giebelseiohen  (Pferde,  Hunde  oder  Hasen,  Hahn). 

b)  Das  Stadthaus  (Giebelhaos,  Iianghans,  Laubenhans^Schwiebus). 
Hänsemamen  (Hirsch,  3  Linden-Berlin). 

Banopfer  (Berlin). 

c)  Die  Wohnung. 

Herd  und  Schornstein,  Küche  (Schwibbogen,  Rauchhaus). 
Schlafräume  (Der  Butz-Seedorf). 

d)  Der  Zaun  (Reiszaun,  Spriegelzauu,  Rickzaun). 

e)  Geräte. 

W;i£^pn  und  Schlitten  (Schlittknochen). 
Scinilü  (Einbauin,  Zille,  Polte,  Prahm,  Schute). 
Ackergeräte  (Karreu-  und  Hakenpflng). 
Oewerbegeräte,  Werkzeuge  (Webstuhl,  Buttergeräte}. 

f)  Trachten  und  Schmuck  (Spreewald,  Ziebingen,  Uckermark). 

g)  Speise  und  Trank  (Erbsen,  Fische,  Bier). 

Gebäckformen    nnd    -namen    (Schrippe,    Stollen,  Strützel, 
Mohnpielen). 

b)  Wetterregeln  („ Abendrot- Wedder  got,  Morgenrot-Wedder  Tun 
begot*). 

i)  Yolksheilknnde  (Bdten,  Sympathie). 

k)  Wahrzeichen  (Neidkopf,  Kenle  [Jaterbog,  Mfindieberg],  Kii>pe 
[Berlin],  Hünenhacke  (Templin]). 

2.  Innere  Volkskunde: 

■ 

a)  Das  Jahr  und  seine  Feste. 
Weihnacht  (Die  Zwölften). 

Neujahr  (Bleigiessen,  Karpfen,  Quappe,  Strfltzeln). 

Fastnacht  (Schimmelreiter-Niederlausitz). 

Ostern  (Ostereier,  Osterlaufen,  Osterwassersachen). 

Pfingsten  (Pfingstrdten,  Pfingstkrone,  Wettlauf,  Rosenbaum- 

Beeskow-Storkow). 
Johannis  (Feuer,    Kräutersammeln,   Reinigung,  Stollenreiter). 
Siebenschläfer  (Frühaufstehen). 
Ernte  (Der  «Alte",  Erntefest,  Komstapelnngen). 

b)  Sitte  und  Brauch. 
Geburt  und  Taufe  (Paten). 

Hochzeit  (Hochzeitbittor,  Brautkranz,  Brautlösen,  die  Schwelle. 


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24 


Arbeitsplan  fQr  eine  BranUenburgiscbe  Heimatkunde. 


Tot  nnd  Bogriibnis  (Verkündigung,  die  weisse  Frau,  Toten- 
krone, Umgehen,  Tote  Männer,  Obolus,  Grabinschrifleo, 
Nachzehrer). 

Aberglauben  (Unheilzeichen,  Viehsterben,  Verhexen,  BUtsröhreD, 
Feuersegen). 

Handwerksbrauch  (Grüsse,  Wanderschaft,  Zunftgebräuche,  ßeezen- 

gasse  in  Berlin). 
Spinnstaben  (Spinnrad,  Has|>el,  Wockeo»  Lieder}. 

c)  Volksdichtung. 

Das  Volkslied  (Kaiser  Carolus  sün  bestet  Peerd  etc.,  Albar  du 
nester,  breng  mi'n  klene  Schwester  etc.). 

Arbeitslied  (Wander-,  Turn-,  Soldaten-,  Handwerker-,  Studenten- 
lied). 

Historisches  Lied  (Jan  Kuck,  Herzog  Casimirs  Tod). 
'    Rätsel  und  Sprichwörter  (Besser  twemftl  nt  det  W&ter  treckt,  as 
knuAl  hinner  de  Hell  Yoer). 
Inschriften  (Haus  eto.:  Wir  bauen  liier  sehr  feste  etc.,  Prendan), 
Ortsneokereien,  H&nseln  (Havellaad-Schmeerland,  Berliner  Wind- 
beutel). 

Volkstfimlicfae  Geschichten  (Sparr,  Derfflinger,  der  alte  Frits, 
Zieten,  Blücher,  Wrangel). 

d)  Tiinze. 

Reigentänze  (Erntefest). 
Singtänze  (iioppeldei). 

Kundtänze  (Einfluss  höfischer  und  städtischer  Art  auf  den 
Volkstanz). 

e)  Spiele. 

Kinderspiele  (Zeck-,  Kroisel-,  Murmel-,  Knudel-,  Ballspiel). 
S|»iele  der  Ledigen  (Wettlanf,  Kullern,  Sport). 
Spiele  der  Älteren  (Einfluss  des  Wirtshauses.  Schafkopp,  Skat, 
Kegeln). 

f)  Saften  und  Märchen. 

Bauin-,  Quellen-  und  Steinsagen  (Brielow,  Mansfeld,  Teufelssteine). 

Mythologische  Sagen  (Königsgrab,  der  wilde  Jäger,  Mittags- 
göttin, Frau  G«ide,  laitclien). 

Christliche  Sagen  (Teufel,  Abt  Sebald,  Pater  Wichmann). 

Kirchen-,  Haus-,  Mühlensagen  (Der  Puck,  Müller  Pumpfuss,  die 
V.  Bredow  und  der  Kirchturm  von  Friesack). 

Geschichtlielie  Sagen  (Der  wendische  König,  Zieten). 

Stadtsagen  (Der  Krebs  von  Mohrin). 

HüheDzr.llernsagen  (I>er  alte  Fritz,  Prinz  Friedrich  Karl). 
Märchen  (Volks-  und  Kunstmärchen,  Grioims  Sammlung). 


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Arbeitsplan  fflr  eime  BrandenlnusiBehe  Heimtlkniide. 


25 


HL  Die  Sprache. 

Wortgruppen. 

1.  Flnss-  und  Borgnamen  (Rarband-See,  Sipunt-Berg). 

2.  Orts-  und  Fiurnanien  (Die  „Berlins",  Berlineken,  Nobiskrug). 
8.  Personennamen  (Sippen-  und  Vornamen). 

4.  Pflanzen-  und  Tiernamen  (Kukkuluren,  Muggel,  Kneppner). 

5.  Flüche  und  Schimpfworte  (»Der  Töruebock  soll  dich  holen*. 

Wendscher  Pinak). 

6.  Gaunersprache  (Metzen,  Ausbaldowern,  Schmiere  stehen). 

Die  Volkssprache  und  die  Mundarten. 

Äussere  Vorgänge. 

Unterschied  zwischen  dem  geschriebenen  und  dem  gesprochenen 
Wort  (Verkchrss})rache,  Si)rache  der  Gebildeten,  Zeitungssprache). 
Sprachgrenzen  (Ergebnisse  des  Wenkerschen  Sprachatlas). 

Niederdeutsch  (Verhältnis  Berlins,  Schwankungen  der  Grenze). 
Fränkisch  (Eintluss  der  HolienzoUemschen  Kanzleisprache). 
Wendisch  (Sorbisches  Sprachgebiet), 

Ehemaliger  und  gegenwärtiger  Bestand. 
Deutsches  Spracbgut  im  Wendischen. 

Innere  Torgänge. 

Wesen  der  Sprache. 

1.  Konsonantismns  (p  und  b,  t  und  d,  g  und  k  n.  s.  w.). 

2.  Vokalismns  (a  und  e,  ei  und  i,  an  and     au  und  e,  en  nnd  ü). 

3.  Betonung  (Wort-  nnd  SatEaccent,  Sprachmelodie). 

4.  Satztempo  (In  Berlin  und  auf  dem  Lande). 
Formen  der  Sprache* 

1.  Deklination  (mir  und  mich,  „do  keem  een  groten  Kierl**). 
'2.  Konjugation  (er  that  gehen). 
i].  Wortbildung  (Lengde,  Höchde). 
4.  Diminutive  (Kerlchen,  Karlineken). 

ö«  Satzbau  (Da  hab  ich  keine  Meinung  für,.  Verbindungen  mit 

„und*,  ,aber",  „doch"  u.  s.  w.). 
6.  Wortgeographie  (Wische). 

Das  Idiotikon. 


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26 


Edmund  Zache: 


Über  den  Anteil  der  gebirgsbildenden  Kräfte 
bei  der  Herausbildung  der  märkischen  Landschaft 

Von 

Eduard  Zacbe. 

Herr  Professor  von  Koenen*)  hat  eino  Reihe  von  Abliandlnngen 
veröffcntliclit,  welclio  sich  mit  der  Entstellung  der  I^nndschaften  des 
westlichen  Deutschlands  beschiiftip^en.  Er  koumit  thuch  diese 
Untersuchune;en  zu  dem  Resultat:  „Thiilei-  und  Thalbecken  in  unserem 
Gebiet  verdanken  ihre  Entstehung  viel  wenigei*  der  Erosion  als  dem 
Einsturz,  der  Versenkung".  Er  geht  aber  am  .Scliluss  noch  weiter,  in- 
dem er  sagt:  „In  ähnlicher  Weise  ist  vermutlich  auch  der  Untergrund 
der  Norddeutschen  Tiefebene  gebaut,  und  ist  somit  auch  die  Möglich- 
keit gegeben,  dasa  dort  die  Grestaltung  der  Erdoberfläche  in  ähnlicher 
Weise  wie  in  liGtteldentedhlaad  t.  T.  doreh  Dislokationen  und  Ein- 
stdrze  bedingt  worden  ist,  nunal,  wenn  dieselben,  wie  wir  annehmen 
mfissen,  erst  in  asiemlioh  junger,  postglacialer  Zelt  anstanden  sind. 
Namentiich  ist  es  nicht  unwahrscheinlich,  dass  mit  ihnen  die  Bildung 
der  hratigen  Norddeutschen  Flussläufe  und  Seeen  in  ursächlichem  Zu- 
sammenhang zu  bringen  ist,  zumal,  da  bei  diesen  die  Nordwestrichtung 
und  die^Südnordrichtung  ebenfalls  vorherrscht;  und  da  die  Flussläufe 
ebenfalls  häufig  aus  der  ursprünglichen  Nordwestrichtung  in  post- 
glacialer  Zeit  auf  einige  Erstrecknng  in  die  Südnordrichtung  abgelenkt 
worden  sind^. 

Die  gebirgsbildenden  Kräfte  sind  es  gewesen,  welche  das  Antlits 
unserer  Erde  geschaffen,  d.  h.  die  Niveauunterschiede  hervorgebracht 
haben.  Es  sind  dies  Kräfte,  welche  wohl  niemals  znr  Ruhe  kommen 
werden;  jedenfalls  erst  dann,  wenn  die  Schollen  der  Erdrinde^ so  stark 
geworden  sind,  dass  sie  sich  nicht  mehr  zusammenschieben  lassen. 
Vorläulig  geschieht  dies  aber  noch,  wie  die  Erdbeben  beweisen,  bei 
denen  es  gelegentlich  zu  Verschiebungen  von  Schollen  kommt,  so  dass 
die  Spalten  bis  an  die  Erdoberfläche  reichen.  Der  Grund  för  die  be- 
standige. Unruhe  der  Erdrinde  ist  darin  zu  suchen,  dass  sie  sich  beim 
Erkaltungsprozess  ununterbrochen  zusammenzieht 

In  den  gebirgigen  Strichen  Deutschlands  kann  man  die  Spuren 
der  Erdrindenbewegung  an  zahlreichen  Stellen  beobachten.  Bei  den 

*)  über  das  Verhalten  von  Dislokationen  im  ncurdwestiicben  Dentodiland.  Jahr- 
buch der  Kgl.  Frenas.  Geolog.  Landeaanstalt  iflr  1885.  S.  88. 


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Antdl  der  gebiigsbildmiden  Ktilte  bai  der  mirklseben  Landscbsfi 


27 


Verschiebungen  der  Schollen  aneinander  kommt  es  vor,  dass  eine 
Scholle  einsinkt,  während  die  benachbarten  stehen  bleiben,  oder  nm- 
gekehrt    Diese  Bewegangen  gehen  natürlich  unendlich  langsam  vor 

sich  und  erstrecken  sich  über  sehr  grosse  Zeiträume.  Ein  scliönes 
Beispiel  für  die  Spuren  der  gebirgsbildenden  Kräfte  innerhalb  Deutsch- 
lands ist  die  Rheinebene  zwischen  Basel  und  Mainz.  Sie  ist  eine  ein- 
gesunkene Scholle  der  Erdiinde,  ein  „Graben".  Unigekehrt  wieder  ist 
der  Thüringer  Wald  ein  stehengebliebenes  Stück  der  Erdrinde,  ein 
„Ilorst",  während  die  benachbarten  Gebietsteile  abgesunken  sind.  Je 
älter  die  Gebirge  sind,  desto  häufiger  sind  in  ihnen  derartige  tektonische 
Linien  zu  finden,  an  denen  die  Gesteiusmassen  sich  verschoben  haben. 
Am  deutlichsten  erseheinen  sie  in  Steinbrüchen,  wo  sie  die  Grenzlinien 
zweier  verschiedener  Gesteinsarten  bilden.  Vor  allem  zahlreich  sind 
sie  durch  den  Bergliau  aufgeschlossen  worden,  wo  sie  sich  oft  sehr 
störend  benierklich  machen. 

Im  Gegensatz  nun  zu  den  gebirgigen  Teilen  Deutschlands  haben 
wir  es  in  der  Norddeutschen  Tiefebene  mit  den  jftngsten  Schichten 
der  Erdrinde  zn  thun.  Es  ist  daher  natürlich,  dass  in  ihnen  jene 
Störungen  weniger  häufig  sind  als  in  den  älteren.  Vor  allen  Dingen 
aber  fehlen  im  nördlichen  Deutschland  die  grossen  Niveaudifferenzen 
des  mittleren  und  südlichen  Deutschlands.  Wir  haben  keine  hohen 
Gebirgszüge  und  tiefen  Thäler.  Die  einfachen  Linien  der  heimischen 
Landschaft  scheinen  es  direkt  zu  verbieten,  jene  Kräfte  zur  Begründung 
ihrer  Entstehung  herbeiziehen  zu  dürfen. 

Es  ist  aber  nicht  blos  das  jugendliche  Alter  des  Diluvium^,  es 
ist  auch  seine  merkwürdige  Entstehungsweise,  welche  ihren  Einfluss  anf 

die  heimische  Landschaft  ausgeübt  hat.  Die  jüngsten  Schichten  unserer 
Norddeutschen  Tiefebene,  das  Quartär,  sind  entstanden  durch  die  Auf- 
schüttungen des  grossen  lulandeises;  und  zwar  haben  an  diesem 
Moränenmaterial  die  Kies-,  Sand-  und  Thonschichten  den  Hauptanteil. 
Es  sind  aber  gerade  diese  Sedimente,  welche  die  Mulden  und  Tiefen 
des  grossen  Gietscherbettes  ausgefüllt  haben,  s<»  dass  unsere  Heimat 
einen  vorherrschend  ebenen  Charakter  erhielt.  Daiier  stammen  auch 
die  grossen  Unterschiede  in  der  Mächtigkeit  des  Quart;irs*\  Eine  Tief- 
bohruni;  in  S|iaiidau  ergab  eine  Mächtigkeit  der  Quartärbildungen  von 
li^O  Kl,  eine  andere  bei  Joachimsthal  eine  solche  von  14U  in,  während 
sie  Sonst  in  der  Berliner  rmgegend  zwischen  oO  und  (iO  in  schwankt. 
Vor  der  Aufstellung  der  Inhindei-^flicMic  zweifelte  niemand  daran,  dass 
die  St<ti  unf,nMi  in  den  Quartärbildungeii  ebenfalls  auf  die  Kingrifie  der 
q:(>birgs)iildendeu  Kräfte  zurückgeführt  werden  müssten.   Mit  dem  Aus* 

*)  WahiiscLiafte:  Die  Ursachen  der  Oberüttcbengestaltung  des  Norddeutschen 
Flachluid««:  Stattgert  1901.  8.  80. 


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28 


Eduard  Zache: 


bau  der  Inlandseistheorie  ist  aber  hier  ein  uierkw  ürdiger  Wandel  in  den 
Ansichten  eingetreten.  !Mau  hat  in  dem  thätigen  Gletscher  eino 
gestaltende  Kraft  ersten  Ranges  eikanut.  Sowohl  durch  sein  Gewicht 
als  auch  durch  die  schiebende  Kraft  bei  seinem  Vordringen  soll  er  den 
weicben  Untergrund  nicht  unerheblich  beeinflusst  haben.  Deshalb  führt 
man  jetzt  emen  grossen  Teil  der  Störungeu  im  Boden,  sowohl  des 
Qnarttrs  als  auch  des  Tertiärs,  besonders  alle  Stanchungsersdidnoiigeu, 
auf  die  Eingriffe  des  Inlandeises  znrflck.  Endlich  aber,  und  das  ist  für 
die  Entstehung  der  heimischen  Landschaft  das  wichtigste,  erklftrt  man 
die  grossen  Stromthäler  nnd  die  meisten  Seeen  fär  die  Betten  der  Ab- 
schmelzwasser  des  Inlandeises. 

I.  Die  Oderpinne. 

Der  Oderbrach-Graben. 

Der  merkwürdigste  Abschnitt  der  Odeninne  ist  das  Oderbmch. 
Es  geht  bei  Wriezen  bis  anf  6  m  N.  N.  hinab  nnd  erreicht  dort  eine 
Breite  von  12  km.  Dieser  stattliche  Thalabschnitt  mit  seinen  Dörfern, 
Feldern,  Strassen  nnd  GriLben  macht  von  den  benachbarten  Hdhen- 


nie  XMliVafMbAntdM  OdtrVraeh-OrabtBt. 


riindern  gesehen  durcliaiis  den  Eiiidnick  einer  selbständigen  Landschaft 
und  durchaus  nicht  deu  Eindruck  eines  Flussthaies  wie  etwa  das 
untere  Oderthal. 

Auf  dem  Balmhot  Wriezen  ist  eine  Tiefbohrung  ausgefübi*t  worden, 
weiclic  folgendes  Profil*)  geliefert  bat. 

Monatsblatt  der  GeMttacfaaft  fOr  Heunatknnde  der  Provini  BnndeDbnig. 
Jahrg.  X,  8.  183. 


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Anteil  der  gebiigsUldeodeii  Kxtflte  bei  der  mlikiecheii  Landechalt 


29 


ß,ö  m  lehmigier  Sand. 


4,0  . 

5,0  „ 

1,0  . 

2,0  „ 

1,0  „ 
4,0  m 


0,5 

1,0 
1,0 
0,5 

12,5 
1,0 
1,0 
1,0 
2,0 
1,0 
3,0 

12,0 
2,0 
2,0 
2,0 


Sand. 
Kies. 
Sand. 

Kies  wad  Sand, 
grober  Kies, 
feiner  Kies. 


Quar^<> 
biidongen. 


n 


9 


Schwemmsand  mit  Tlion  und 

Brannkohle, 
fester  Tlion. 

weicher  Thon  and  Braunkohle. 
Kohle  nnd  Sand. 
Kolilenstanb. 
Kohle. 

Sand  nnd  Kohle. 
Kohle. 
Sand. 
Kohle. 

Sand  nnd  Kohle. 

Kohle, 

scharfer  Sand. 

weicher  Sand  nnd  Kohle. 

reiner  scharfer  Sand. 

weicher  Sand. 


Tertiiir- 
bildungeu. 


Es  sind  somit  in  Wriezon  4  Flöze  dnrclisunken  worden.  Es  ist 
ein  Bild,*)  wie  wir  es  auch  in  der  Grubo  Willeubücher  bei  ßoUers- 
dorf  in  der  Naclibarschaft  von  Buckow  wiederfinden.  Das  Braonkohlen- 
p:ebirge  begleitet  den  gesamten  Oderabliang  des  Barnim-Plateaus,  den 
„Hollen  Barnim'',  während  es  auf  dem  Abhang  zur  Spree  fehlt.  Es 
deutet  diese  Thatsacln*  zweifellos  auf  einen  Zusammenhang  hin  zwischen 
dem  Oderbmch  und  dem  iloheu  Barnim.  Neben  dem  Braunkohlen- 
gebirgc  weist  auch  das  Moräuengebirge  auf  eine  f!:ewisso  Zusammen- 
gehörigkeit hin,  denn  es  findet  sich  eine  annähernde  Ül>ereiiistimmung 
in  der  Mächtigkeit.  Bei  Ilerzliorn  **)  ist  das  Diluvium  cn.  Kim  mächtig, 
hei  Itaselberg  11  m,  in  den  Aufschlüssen  der  Grube  Willenbiiclier  einmal 
12,5  m  und  das  andere  Mal  Hf'),5  m.  Wäre  das  Oderbruch  ein  grosses 
£rosionsthal,  so  dürfte  sich  wohl  in  so  grosser  Tiefe  schwerlich  das- 


)  Wahnscbnffe:  Dii  T.a<:onmgOTerblUtiu88e  des  TerUttn  und  QiuurtttfB  der 
Gegend  von  Buckow.    Berlin  lsf»:J.    S.  '2i. 

**)  Zarhp:  VhoT  die  IlerntisbiMiin?  iiiid  den  Verlauf  der  dihivialcn  Morüne 
in  den  Ländern  Teltow  und  Bamim-Lebus.  ZeiUcbr.  f.  ^'atu^wisBenschalten  Bd.  üi,  8.  1, 


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30 


Edfurd  Zaebe: 


selbe  Gebiirge  finden,  wie  hoch  oben  auf  den  benachbarten  Höhen,  d.  h. 
also  in  einem  Niveau,  das  KM)  ra  höber  liegt.  Es  müsste  dann  hier 
ein  viel  älteres  Gebirp:e  gefunden  worden  sein.  Das  Vorkommen  des 
Bravmkohlengebirges  diclit  nnter  der  Oberfläche  des  Oderbrnches  und 
dicht  unter  der  Obertläche  des  benachbarten  Plateaus  ist  ein  deutlicher 
Beweis  für  die  ehemalige  Zusannnengeliörigkeit  l»eider  Landstriche. 
Dieser  Zusammenhang  wurde  durch  das  Absinken  des  üderbruches 
gelöst.  Somit  ist  das  Oderbruch  ein  Einsturzgel )ict.  ein  ^Graben" 
zwischen  den  Itenaclibarten  Plateaus.  Es  fragt  sich  nun,  wie  verhält 
sich  die  Nachbarscliaft  dieses  Eiusturzgebietes. 

Am  Topographie. 

1.  Das  Barnim-PlateaQ. 

Der  „IIoIh'  BarFiiiii"  »Mieiclit  südlicli  von  Freienwalde  bei  dem 
Vorwerk  Tol  lheit )\v  mit  löiJ  in  .^t  iiu'  höchste  Erhebung  über  dem  Meeres- 
spiegel. Wenn  auch  das  Geländ»^  an  Höhe  abnimmt,  so  bewahrt  es 
doch  parallel  mit  dem  0<lcrbriichian<lt^  l»is  zur  Cliau.ssee  Wriezen-Prötze! 
eine  Erliebung  von  über  KHJ  m.  Erst  südlich  dieser  Strasse  flilU  es 
unter  llNI  m  und  erreicht  in  diesem  südöstliclien  Abschnitt  nur  einige 
SO  m  Meeresholle.  Nur  dicht  am  Rande  neben  der  Buckower  8j>alte 
steigt  es  im  Krug-Berg  noch  einmal  auf  KU)  m.  Von  dieser  höchsten 
Flache  nun  fallt  es  nach  allen  Stuten  ab,  am  energischesten  nach  Freien- 
walde zu,  wo  es  mit  steiler  Böschung  in  das  Oderlnucli  abstürzt. 
Besonders  beachten«?\vert  ist  der  Absturz  hinter  Wriezen.  Es  sind  hier 
zwei  deutliche  Terrassen  ausgebildet.  Die  unterste,  schmal.'^te,  hat  eine 
Erhebung  von  51)  Iiis  (i'.l  ni.  An  ihrem  Innenrande  liegen  die  Güter 
Landliof  und  Münchhof.  Hierüber  erhebt  .sich  die  mittlere  Stufe  mit 
einer  Meereshöhe  von  70 — 80  m.  Auf  ihr  liegen  die  Dörfer  Lüders- 
dorf, Schulzendorf  und  Frankeufelde.  Der  südöstliche  Teil  des  Uoheji 
Barnim  hat  einen  mehr  ebenen  Charakter  und  senkt  sich  ganz  all- 
uiählicU  zum  Oderbruch,  so  dass  eine  niedrige  Böschung  vorhanden  ist. 
Ton  der  höchsten  Erhebung  Wlt  das  Gelände  ganz  allmählich  znm 
Finowthal,  zur  Havel  nod  zur  Spree.  Neben  dem  Finowbett  erreicht 
das  Gelände  40  m  Meereshöhe,  neben  dem  Havelthal  45  bis  60  m  and 
neben  dem  Spreethal  60  m.  Die  Folge  dieses  Höhenanfbans  ist  es  daher, 
dass  die  grösseren  Flässe  und  Bäche  des  Bamim-Plateans  sich  auf  den 
langen  Böschungen  zur  Finow,  Havel  und  Spree  finden  und  dass  nur 
wenige  kurae  nnd  unbedeutende  in  das  Oderbrach  fallen.  Die  Wasser- 
scheide zwischen  der  Oder  und  der  Spree  liegt  dicht  neben  dem  Oder- 
bruchrande. So  kommt  es,  dass  das  Bamim-Flateau  den  Eindruck  einer 
schräg  aofgerichteten  Sdioüe  macht,  deren  höhere  Kante  neben  dem 
Oderbrach  hinläuft. .  Die  Scholle  ist  von  ihrer  Umgebung  völlig  los- 


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Anteil  der  gebiigtbttdenden  Krüte  bei  der  mftrklschen  Luidsehaft  81 


gelöst.  Am  weDigsten  deafclich  ist  die  Trennung  yon  der  Uckennurk,  und 
dodi  entofclif  sie  einom  aufmerksamen  Beobachter  aucli  hier  nicht.  Da.s 
Barnun-Plateiiu  geht  ganz  allmählich  in  dns  Finowtbal  über,  ohne  jede 
Spur  einer  Böschunie:.  Umgekeiirt  lieht  sich  dagepren  der  Südraud  des 
Uckemiärkiseheii  IMateaus  hinter  Lichtenberg  mit  scharfer  Böschiinn; 
aus  dem  Fiiiowthal  heraus.  Auf  der  «?;ef»ciiül)erliegendeii  Seite  ist  die 
Abti'ennung  vom  Lebuser  IMatcnu  durch  eine  Kinne  bewirkt,  in  welcher 
das  Rote  Lach  und  der  Scharmütxelsee  bei  Buckow  Platz  haben. 

2.  Der  neumärkische  Rand. 

Im  Bamim-Platean  hatten  wir  eine  kleine,  aber  gnt  isolierte  Scholle. 
Gans  anders  Terhält  es  sich  mit  der  Höhe  anf  der  neumärkischen  Seite. 
Hier  haben  wir  den  Abbmchsrand  des  grossen  baltischen  Horstes.  Die 
Böschung  ist  anf  dem  ganze  Rande  eine  sehr  gleichmässige  und  ziemlich 
schroffe.  Schon  in  einer  geringen  Entfemnng  von  der  Kante  finden 
sich  Höhen  von  60  m  und  eine  nicht  viel  grössere  Erhebung  behält 
das  Gelände  weit  ins  Innere  hinein  bei.  Erst  im  Gebiet  der  Seeen 
werden  80  und  mehr  Meter  erreicht.  Die  Zahl  100  wird  aber  nicht  oft 
und  nur  unbedeutend  überschritten.  Der  Plateanrand  wird  ungefähr 
in  der  Mitte  des  Abschnittes  von  der  Schlibbe  durchbrochen,  welche  aus 
dem  Mohriner  See  kommt.  Sie  besitzt  teilweise  ein  schmales  Bett  mit 
schroften  und  hohen  Rändern.  Parallel  mit  der  Schlibbe  läuft  noch  die 
grössere  Mietzel,  welche  im  Soldiner  See  entspringt. 

Wenn  wir  uns  die  Abwärtsbewegung  des  Oderbruches  als  geschehen 
vorstellen,  so  mfissen  wir  aus  der  Topograpliie  der  beiden  benachlMi  tcu 
Höhen  schliessen,  dass  diese  Bewegung  auf  die  neumärkische  Scholle 
keinen  Einfluss  gehabt  hat,  sondern  nur  auf  die  Bamimscholle,  w  elche 
bei  dieser  Bewegun^:  nicht  nur  ihre  Loslösung  sondern  auch  ihre  Auf- 
richtung erfahren  hat. 

B.  Geologie. 

Nachdem  wir  in  den  obio^en  Zeilen  dargelegt  haben,  wie  die  Heraus- 
bildung der  Landschaft  beeintlusst  worden  ist  durch  die  Bewegung  der 
Erdrinde,  wollen  wir  nun  übergeben  zur  Bescbreibuug  des  Bodens. 

1,  Die  Moränenlandschaft  des  Barnim. 
Aul  dem  hödisten  Abschnitt  des  Barnim  herrscht  eine  sehr  merk- 
würdige Ausbildung  der  Landschaft.  Es  besteht  ein  bunter  Wechsel 
von  Belg  und  Thal,  aber  beide  sind  kurz  und  unbedeutend,  so  dass  es 
anf  dem  ganzen  Eamm  zu  keiner  deutlichen  Thalbildnng  kommt  Dio 
Tiefen  sind  z.  T.  mit  Wasser  erfUlt  wie  der  Baaeee  bei  Freienwalde. 
Namentlich  in  dem  östlichen  Strich  zwischen  Bartzlow  und  Reichenberg 
finden  sich  die  kleinen  abflusslosen  Seeen  ganz  besonders  zahlreich.  Die 
herrschende  Bodenart  ist  der  Obere  Geschiebelehm,  und  wo  derselbe 
fehlt,  finden  sich  doch  seine  Überi'este,  die  Steinbestreunng  bzw.  die 


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32  Edufd  Ztche: 

grossen  Feldsteine.  Es  ist  ein  Boden,  welcher  in  regenloser  Zeit  hart 
'wie  Fels  wird,  so  dass  im  Sommer  häofig  die  Feldfröchte  leiden.  Von 
dem  ebemaligeu  Steinreichtum  jener  Gegend  ist  das  meiste  ver- 
schwunden. Bekmann*)  berichtet,  dass  noch  im  Jahre  1689  der 
Blumenthal  fonnliche  ^fauern  von  Mannshöhe  ans  ihnen  beherbei^ 
habe.  Als  letzter  Überrest  lagert  dort  auf  der  Stadtstelle  der  Mark- 
stein.  Silber  Scillae:**)  giebt  folgende  Schilderung  der  Gegend  von 
Prötzel.  „Es  sind  walire  Kraters,  nur  nieht  von  Vulkanen,  rings  um 
denselben  lagen  zunächst  Steinklampen,  mehr  denn  äOÜ  Gtr.  schwer, 


Oeognostisoh«  Skiese  des  Bariiiin*Plat«aQS. 
Dto  Diolit«  dmt  SelumMwoag  b»Michn«t  dtn  SrbaltwiKtiut«ad  des  0b«r«i  QMcliicbalehmt. 


diese  waren  wieder  umringt  mit  Kieselsteinen,  nnd  immer  folgten 
kleinere  Steine  anf  grossere,  endlich  verlor  sich  dieses  Steintheater  in 
gemeinen  Sand;  nnd  aller  Orten,  wo  ich  damals  hingekommen  bin, 
fand  ich  diese  Lagerang  sowohl  in  den  Feldern  als  in  den  W&ldem**. 

*)  Bekmann:    Iiistor.  Besclireibuug   der  Chor-   und  Mark  Brandenbaij^ 

Berlin  1751,  I.  Teil,  S.  440. 

**)  Silberschlag:  Cieogenie  oder  Erklärung  der  inosaiscben  Erderschalfiiiig.  • 
Berlin  1780,  Bd.  I,  8.  10. 


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AnteO  der  gebitgsbüdfliulen  ^Ifke  bei  der  miikiecheii  Landaclwft  ^ 


Iii  der  Stofailandschaft  oberhalb  Wrieten  stallt  sich^  mehr  and  mehr 
der  San4 .  ein,  der.  auf  der  niedrigsten  Stnfe  das  hMnrschende  Gebilde 
ward.  In  dem  Morftnengebiet  haben  wir  daher  den  Strich  des  Barnim- 
Plateans,  in  welebem  sich  die  Gmndmorftne  des  Inlandeises,  wenn  anch 
nicht  gan<  intakt,  so  doch  den  benachbarten  Crebieten  gegenüber  her- 
vorragend gnt  erhalten  hat 

■ 

2.  Die  Abschmelzzone  des  Barnim« 

Je  .  mehr  wir.  ans  von  der  Höhe  entfernen,  desto  mehr  verschwindet 

der  Geschiebelehm.  Zaerst  findet  sich  noch  eine  Zone  mit  grossen 
Inseln  aus  Geschiebelehni,  schliesslich  werden  diese  immer  kleiner  und 
endlich  herrscht  nur  noch  der  Sand.  Diese  Anordnung  ist  aber  keine 
regelmässige,  etwa  concentrisdl  snm  Moräuengebiet,  trotzdem  findet  sich 
anch  hier  eine  merkwürdige  gesetzmässige  Ausbild iin^i^.  Am  aus- 
geprägtesten ist  das  Sandgebiet  neben  dem  Finow-  and  Havelthal.  Der 
Boden  der  Kgl.  Biesentlialsclien  Forst,  der  dei-  Bcrnaner  Forst  nnd  der 
der  Mühleubecker  ist  Sand.  Es  ist  hier  der  Gescbiebelelini  gänzlich 
zerstört  worden.  Es  ist  das  ein  Zeicben  dafür,  dass  die  Schmelzwässer 
in  der  Richtnng  der  hentigen  Fließe  abgeflossen  sind.  Diese  Fließe 
sind  das  Nooneniließ,  die  Finow,  das  Briesefiieß  und  das  Tegeler  Fließ. 
Ungefähr  in  der  Mitte  zwischen  den  beiden  letztgenannten  Fließen,  bei 
dem  Dorfe  Stolpe  findet  sieb  ein  Vorspnmg  aus  Oberem  Gescbiebelehm, 
in  dessen  Bereicb  sich  auch  der  landscliaftiiche  Charakter  der  Gruud- 
moräne  erhalten  hat.  Es  ist  dies  oflenbar  ein  ausgespartes  Stück,  das 
hier  zwischen  den  beiden  Hau])tgletscherbächeu  der  Zerstörung  durch 
die  ^Schmelzwässer  entgangen  ist. 

Der  erste  grössere  N»'benflus<^  der  Spree  ist  die  Panke,  östlich 
pai'allel  mit  ihr  münden  eine  Anzahl  unhedeuteuder  Fließe  in  die  Spree 
und  erst  kurz  vor  dem  Lebuser  Rande  des  Barnim-Plateaus  stellen  sich 
eine  grössere  Anzahl  von  Fließen  und  Seeen  ein,  die  diesem  Rand- 
Streifen  ein  charakteristisclies  Gei)räge  verleihen. 

Ostlich  neben  der  Panke  in  der  Umgegend  von  Wt'isseusee  bis  in 
das  Weichbild  von  Berlin  hinein  hat  der  Boden  und  die  Landschaft 
wieder  eine  gewisse  Ahnlirhkeit  mit  dem  Stolper  Vorsprung.  Aber  auch 
mehr  in  das  Innere  hinein  behauptet  sich  der  Geschiebelehm.  Es  ist 
hier  senkrecht  zum  Plateaurand»'  ein  breiter  Strich  vorbanden  mit 
grossen  Inseln  aus  Geschiebelehm,  die  hey  renzt  werden  von  Niederungen 
mit  kleinen  Bächen,  welche  hier  in  grosser  Zahl  die  Böschung  durch- 
kreuzen. Die  bedeutendsten  von  ihnen  sind  die  Wühle,  das  Neuen- 
hageriener  Fließ  und  das  Fredersdorfer  Fließ.  Ks  hat  sich  hier  zwischen 
Bernau  und  Alt-Landsberg  »in  , Mittelstück  zwischen  Abschmelz- 
zone und  Moränogebiet  erhnlten,  ein  Zeichen,  dass  hier  die  Absclnnclz- 
wässer  eine  geringe  erudierunde  Thätigkeit  entfaltet  haben j  dafür  spricht 

8 


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weiter  d«r  nnbedeotende  Charakter  dieser  Rinneiif  denen  fast  jede 
Böschung  fehlt,  so  dass  es  meist  nnr  weite  flache  Wiesengrflnde  sind. 
Nordlich  von  der  Ostbahn  hat  das  Qeltade  den  Charakter  einer  weiten 
flachen  Ebene.  Die  Br»6chnng  sum  Spreethal  ist  nor  gering.  Ana  dem 
Eisenbahnfenster  sieht  man  die  Dftcher  der  Dörfer  Bliesdorf,  Mahlsdorf 
lind  Dahlwitz  eben  über  die  Kante  hinftberragen. 

Im  auffallenden  Gegensatz  au  dem  beschriebenen  Bdscbungstöck 
mit  seinem  ruhigen  Charakter  steht  das  benachbarte.  Es  bildet  den 
letzten  Rest  des  Barnim«Plateau8  neben  dem  g^rossen  Riss,  welcher  das 
Barnim-PIatean  rom  Lebnser  trennt  Es  ist  das  ein  schmaler  Streifen 
mit  besonders  gehäaften  Rissen  und  Rinnen.  Es  laufen  hier  eine  An- 
zahl Rinnen  parallel  mit  einander  nach  Süden,  von  denen  die  westlichste 
die  längste  ist.  Sie  beginnt  mit  dem  See  bei  Neu  Gersdorf,  ungefähr 
10  km  vom  Nordrande  des  Bamim-Plateans  entfernt  und  verläuft  in 
last  Nordsfidrichtung  darch  den  Gamengrnnd,  über  den  Langen-,  Mittel- 
und  Gameu-See  zum  Fänger-  und  Bötz-See.  Auffallend  tief  ist  die 
Rinne  erst  vom  Langen  See  abwärts,  aber  auch  die  südlichsten  Seeen 
haben  wieder  ganz  flache  Ufer.  Parallel  zu  dieser  Rinne  in  einem  Ab- 
stand von  4  km  läuft  eine  zweite,  welche  im  südlichen  Blumenthal 
beginnt  und  durch  den  Latt-See,  Herrn-  und  Banern-See  mit  dem 
Stiauß  See  in  Verbindung  steht.  Die  Form  der  Rinnen  ist  hier  die 
gleiche,  nur  kommt  hinzu,  dass  auch  ihr  südlichstes  Stück,  der  Strauii- 
See,  noch  von  steilen  Ufern  eingefasst  ist.  Die  gau/e  lange  Rinne  endet 
heutigen  Tages  im  StrauU-See  blind.  Der  Bötz-See  entwässert  durch 
das  Müliienfliess  bei  Eggersdort  zum  Fredersdorfer  i  litv^s.  in  der  Höhe, 
in  welcher  diese  beiden  Rinnen  gleichsam  bliud  endigen,  denn  das 
Eggersdorfer  Fliess  ist  nur  ein  schwacher  Graben,  beginnt  eine  neue. 
Auf  der  Ostseite  der  Stadt  Stiaiislicrg  entsteht  in  einem  Wiesengrunde 
ein  Wasserchen,  das  in  cineni  Thale  zum  Stienitz-See  hinabfliesst.  Die 
Ränder  des  Thaies  w  erden  nach  uuterwärts  zusehi'uds  schrutfer  und  höher. 
Es  hat  der  Spiegel  des  Strauß-Sees  eine  Meereshöhe  von  64  m  und  der 
Spiegel  des  Stienitz-Sees  eine  solche  von  'M')  m;  daraus  ergiebt  sich  für 
diese  (5  km  ein  Höhenunterschied  von  28  m.  Was  den  geologischen 
Bau  hetrirtt,  so  entspricht  er  ganz  der  landschaftlichen  Gliederung.  Im 
Gebiete  der  unteren  Seeen  herrscht  der  Sand.  Das  gilt  von  der  Straos- 
berger  Feldmark,  der  Strausberger  Stadtforst  und  der  Eggersdorfer  Feld- 
mark. Nördlich  von  diesom  Strich,  w*'liin  die  Rinnen  schmäler  werden, 
stellt  sich  der  Cieschiebelehm  insehn-tig  ein.  Merkwürdig  ist  es,  das< 
neben  der  westlichen  Seeenkette  der  Gesciiiebelehm  bis  au  den  Rand  der 
Rinnen  heranreicht. 

^.  Der  Neumärkische  Anteil. 
Das  Neumärkische  Plateau    ist    der    südlichste   Vorsprung  des 
grossen  baltischen  Moränengebietes.    Der  Obere  Gescbiebelebm  reicht 


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AuMSL  d«r  gebiigsbUdenden  Krifte  b«i  der  miildadken  Laadaehaft  85 

daher  fast  flberaU  Ins  an  den  Plataanrand  heiaa.  Er  fehlt  nur  in 
einem  kleinen  Strich  sfidlich  von  Mohrin,  wo  sich  im  Oberlauf  der 
Schlibbe  ein  echtes  Abechmelggebiet  ausgebildet  hat,  gleichsam  das 
Sammelgebiet  fdr  das  Dnrohbmehsthal  durch  den  Rand.  An  den 
Gehftngen  des  Schlibbethals  ist  daher  gelegentlich  der  Untere  Qeschiebe- 
lebm  angeschnitten.  Südlich  dieses  schmalen  Sandstreifens  tritt  wieder 
am  Bftrwalde  und  Fflrstenfelde  ein  umfangreiches  Geschiebelehm- 
gebiet auf. 

II.  Die  Scharmützel-Rinne. 

Südlich  von  Ffiistenwalde  liegt  einer  der  scfaftnsten  Seeen  der 
Mark,  der  Scharmfltzelsee.*)  Er  ist  lO^a  km  lang  und  IV^  km  breit 
Er  ist  fast  seiner  ganzen  Ausdehnang  nach  von  steil  einfallenden  Ufern 
umgeben.  Besonders  das  westliche  Ufer  fällt  mit  schroffer  Böschung 
ein,  während  das  östliche  zwischen  Pieskow  und  Diensdorf  neben  der 
Böschung  noch  Platz  für  eine  Strasse  lässt.  Diensdorf  selber  liegt  auf 
diesem  Vorland.  An  einigen  Stellen  ist  zwischen  beiden  Dürfern  neben 
der  Strasse  noch  eine  höhere  schmale  Torrasse  ausgebildet.  Grössere 
Schluchten  und  Fliesse,  die  zum  See  hinabführen,  fehlen  gänzlich,  so 
dass  der  See  eine  vollständig  geschlossene  Rinne  bildet.  Der  Spiegel 
des  Sees  hat  eine  Meereshöhe  von  86  m,  und  das  westliche  Qelände 
eiTeicht  bei  Silberberg  94  m  Höhe  und  das  östliche  hinter  Diensdorf 
74  ra.  Aus  diesen  Zahlen  ergiebt  sich  schon,  dass  ein  Blick  von  der 
Höhe  hinab  auf  diesen  See  einen  sehr  imposanten  Eindruck  hervor- 
rufen wird. 

Der  Scharmützel-See  liegt  auf  dn-  Hohe  eines  Plateaus,  das  im 

Süden  und  Osten  von  der  Spree,  im  Westen  von  der  Depression  um 
Storkow  und  im  Norden  vom  Spreethal  begrenzt  wird.  Am  bekannte.sten 
in  diesem  Gebiet  sind  die  Rauenschen  Berge  mit  den  Markgrafen- 
steinen. Die  Rauenschen  Brr{re.  erheben  sich  südlich  von  Fürstenwalde 
als  ein  kleiner  Gebirgsstock  deutlich  aus  dem  Spreethal  heraus.  Sie 
erreichen  in  ihrem  höchsten  Gipfel  148  m.  Zwischen  dem  Gebirgs- 
stock und  dorn  Spreethal  belindet  sich  noch  eine  schmale  Terrasse  von 
45  m  Meereshöhe,  welche  aus  Oberen  Geschiebelehm  besteht.  Im  Gebiet 
der  Rauenschen  Berge  sind  zahlreiche  Aufschlüsse  vorhanden,  welche 
alle  eine  iiinii^e  Veiknüpfung  des  Brannkohlengebirges  mit  dem 
Moranengebirge  zeigen.  Auch  nacli  Süden  an  beiden  Ufern  des  Sees 
ist  die  Beziehim«;  beider  Gebirgsaiten  eine  sehr  enge,  und  es  sind 
gerade  hier  einim'  Aiifsclilüsse  vorhanden,  welche  es  erlauben,  eine 
sichere  Vorstellung  von  der  iCotstehung  der  Landschaft  zu  geben.  £s 


*)  Z ach  Vi    Siiurcn   tektonischer    Kräfte   in   dem    Niederlauaitzer  Vorlande. 
Arcliiv  der  Geaellacbaft  für  Ueimatkunde  der  Provinz  Braudeubuig.  5.  Bd.  1890.  S.  4A. 

3* 


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m 


Edaaid  Zadiei 


sind  dies  die  Ziegeleigrabon  von  Silberberg  und  Saarow  an f  der  wehU 
liehen  Seite  sowie  die  von  Diensdorf  und  Pieskow  auf  der  ösüiishen. 

Die  Silberberger  Grobe  liegt  auf  der  Höhe,  d.  h.  in  nngefUhr 
8()  ni  Meereshöhe.  Sie  stösst  mit  ihrer  Längsachse  auf  das  Seeufer. 
Die  beiden  Längswände  der  Grube  zeigen  die  Braunkohlenflöze  eiiH 
gebettet  in  Formsand  mit  zahlreichen  Stauchungen.  Plötzlich  hört  das 
chokoladenfarbige  Tertiär  an  beiden  LängSNvänden  neben  einer  senk" 
rechten  Linie  aof  (Taf*  I)  ond  hinter  ihr  folgt  das  hellbraune  Dilavium^ 
ein  sebr  kieBiger  und  sandiger  Geschiebelehm.  Die  Grabenwand  ist 


Scb«in»titob«s  Profil  durch  den  8eh»riDttts«l-Se«  bei  Fftrsiea.walda.  .  . 
Bl*  LiniMi  X  xuvd  y  «BtopiMhMi  d«n  LIbImi  e  mnf  d«D  TalUn  I  and  II. 


7 — !^  in  hoch.  Das  Braiinkohlensrebirp^e  erstreckt  sirli  fast  bis  au  das 
Seenter.  Auf  seiner  Oberkante  haben  sich  nur  schwache  Keste  von 
Diluviuni  erhalten. 

Am  Ausfraiige  dieser  Grube  blickt  man  nun  in  eine  zweite  Grube 
hinab,  welche  hart  am  Ufer  mit  ihrer  Snlib»  in  Höhe  des  Seesjiiegels^ 
liegt.  Diese  zweite  Grube,  welche  ncfli  reiciilidi  ÖO  ni  breit  ist,'  steht 
im  Diluvium.  Auf  ihrer  Sohle  wird  ein  heller  l)rauiier  Diluvialthon 
gegraben,  der  sehr  gut  geschichtet  ist.  Er  wird  überlagert  vou  einem 
sehr  gut  geschichteten  scharfen  Sand.  Auf  der  Seeseite  der  Grube 
h«"»rt  der  Thon  neben  einer  senkrechten  Linie  auf  (Taf.  II)  uud  es  folgt 
bis  zum  Seeufer  gut  geschichteter  scharfer  Sand.  Die  Sand-  und 
Thonschichten  sind  an  der  Verwerfuugslinie  etwas  geschle})nt.  Der 
Sandblock  zwischen  der  Grube  und  dem  Seespiegel  ist  durch  einen 
Abzugsgraben  autgeschlossen  und  zeigt  dicht  neben  dei*  Verwertuiigs- 
liriie  energisch  gestauchte  Schichten,  die  zum  See  hin  eine  horizontale 
bis  flach  muldenförmige  Lagerung  annehmen.  ' 

Die  eben  beschriebenen  beiden  Aufschlüsse  befinden  sich  ungefähr 
neben  der  Mitte  des  Sees.  Korz  Tor  seinem  Nordeude  ist,  ebenfalls  auf 
der  westlichen  Seite,  ein  zweiter  Anfschlnss  vorhanden.  Die  Grube 
liegt  ein  Stück  vom  Seenfer  entfernt  Uan  gelangt  in  die  Gmbe  durch 
einen  künstlichen  Hohlweg.  An  beiden  Hängen  desselben  ekibi.  mto 
horizontal  geschichteten  Dilnvialsand.  Sobald  man  die  Grabe  hetritt, 
ändert  sich  das  Bild.  Man  befindet  sich  g&nzlich  im  firaankohlen* 
gebirge,  und  nur  die  rückwärtig  Wand»  d.  h.  die  dem  See  am  nftchstsD. 


Antaii  dttr  gebiigsbUdeodea  Krftft«  bei  der  mirkisehen  Leadscheft.  37 


gelegene,  besteht  zum  grössten  T»m1  aus  diluvialen  Sandschichteu, 
welche  nach  unten  ganz  allmählich  in  tertiäre  übersehen.  Eine  scliarfe 
Grenze .  liisst  sicli  hier  nicht  anp^eben.  Es  ist  also  diese  Wand  der 
Grube  ungetahr  auf  der  Verwerfungslinie  gelegen. 

Die  eben  beschriebenen  Aufschlüsse  lial)en  zweifellos  gezeiG,t,  dass 
das  westliche  Ufer  aus  einem  schmalen  Streifen  Diluvium  besteht,  an 
welcheji  ein  Streifen  Tertiär  sich  anschliesst  und  auf  den  wieder  Dilu- 
vium folgt.  Auf  dem  östlichen  Ufer  kann  man  dieselbe  Beobachtung 
mächen.  Der  eine  Aufschluss  betindet  sich  bei  Pieskow.  Vor  dem  öst- 
lichen Eingang  zum  Dorf  ist  eine  flache  Grube  vorhanden,  in  welcher 
unter  einer  dünnen  Decke  von  Diluvium  das  Braunkohlengebirge  sich 
lindet.  Es  liegt  diese  Grube  auf  der  Höhe.  Die  Diensdorfer  Grubej 
befindet  sich  ein  beträchtliches  Stück  vom  Seeufer  entfernt,  und  eine 
Feldbahn,  welche  in  sie  hineinführt,  hat  mehrmals  schöne  Aufschlüsse 
geliefert.  In  der  eigentlichen  Grube  liegt  auch  hier  eine  dünne  Decke 
von  Diluvium  auf  Teritär.  Sobald  das  Gelände  «iin  Seeufer  hin  za 
fallen  beginnt,  stellen  sich  zahreiche  Stauchungen  eip,  welche  Tertiär  nhd 
Dilnvinra  begreifen.  Gerade  neben  der  Kante  ist  eine  besonders  schdne- 
aofgeschlössen.  Zu  unterst  lagert  das  Tertiär,  darüber  folgt  eine  grnn- 
braune,  gleichförmige,  nngeschichtete  Masse,  hierüber  liegt  ein  gelber 
kiesiger  Sand,  welcher  sackartig  in  das  Liegende  hineinragt.  Die  Decke 
des  Ganzen  ist  endlich  ein  Geschiebelehm,  Welcher  seinerseits  sackartig* 
an  iswei  Stellen  in  die  Unterlage  hineiogreift.  Die  Böschung  selbst  ist 
scharfer  diluvialer  Sand  mit  Steinen.   An  anderen  Stellen  wird  dieser  öst- 

r 

liehe  Abhang  ganz  von  Geschiebelehm  gel)ildet,  oder  letzterer  reicht  doch 
bis  auf  den  ersten  Absatz  hinab.  Auch  dort,  wo  die  Terrasse  fehlt,  ist  der 
obere  Rand  der  Böschung  Geschiebelebm.  Wo  die  Tagenwässer  den' 
Geschiebe] ehm  angegriffen  haben,  liegen  die  Geschiebe  sehr  dicht.  Es 
scheint  also  ans  den  Anfschlüssen  auch  hier  hervorzugehen,  dass  sich 
neben  dem  See  ein  schmaler  Randstreifen  aus  Diluvium  findet. 

Wie  sich  die  Oderrinne  vom  Oderbruch  aus  nach  beiden  Richtungen 
hin  fortsetzt,  so  ist  das  auch  Itei  der  Scharmfitzelrinne  der  Fall.  Nach 
Norden  lässt  sie  sich  über  die  Wnrich- Wiesen  und  den  Petersdorfer  See 
bis  an  der  Einsattlong  zwischen  den  Rauenschen  Bergen  und  den  Soldaten* 
beigen  verfolgen.  An  das  Südende  des  Sees  schliesst  sich  eine  lange 
Schlacht,  welche  mehrere  Seeen  beherbergt;  die  grdssten  von  ihnen  heissen 
der  Grosse  Glubig-See,  der  Spring-See,  der  Melang-See,  der  Tiefe  See 
und  der  Godna-See.  Von  ihnen  stehen  die  vier  ersten  noch  mit  dem 
Scharmfitzel-See  in  Verbindung.  In  der  weiteren  sfldlichen  Fortsetzung 
der  Spalte  liegt  dann  noch  der  Nenendorfer  oder  Prahm-See  und  der 
untere  Spreewald. 

In  der  nördlichen  Fortsetzung  des  Scbarmfitzel-Grabens  findet  sich 
neben  dem  Petersdorfer  See  noch  ein  sehr  schöner  Aufschluss.  Eine 


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38     £^  Zache:  Anteil  der  gebirgsbiidenden  Kräfte  bei  der  märk.  Laodfchaft. 


Grube  zeiß^  ciiion  flachen  Sattel,  dessen  Sattellinie  parallel  zum  Peters- 
dorfor  S»  »'  streicht.  Der  Sattel  ist  flachwellenförmig  zusammengeschoben. 
Zu  Unterst  lagert  cliükoladenfarbiges  Tertiär,  das  auf  den  Wellenbergen 
zahlreiche  Geschiebe  trägt;  nach  den  Seiten  gebt  der  Kies  in  Sand  und 
Thon  über,  and  in  der  näheren  Umgebung  findet  »ich  Geschiebelebm. 

Auch  in  der  weiteren  Umgebung  des  Scharmütxel-Sees  stOest  das 
Tertiär  noch  durch  das  Diluvium  hindurch.  Einer  der  merkwürdigsten 
Punkte  ist  der  Alaun-Berg  bei  Wilmersdorf.  Am  Fusse  der  Bergkappe 
ist  eine  Grabe  mit  gatgeschichtetem  kiesigen  Sand  vorhanden.  Sobald 
der  Weg  zu  steigen  beginnt,  tritt  Geschiebelehm  anf  nnd  ein  rötlich 
branner  Eies.  Beide  lagern  neben  Brannkoblengebirge.  Dieses  Tertiär 
bildet  in  Höhe  der  Strasse  eine  Art  Absats.  Darfiber  erhebt  sich  die 
Spitze  des  Berges,  welche  ans  einer  62  m  hohen  Wand  ans  Oesehiebe- 
lehm besteht,  der  einen  dentlicben  Stich  ins  Schwarze  besitzt 

Durch  die  Beschreibung  der  geologischen  Verhältni.sse  des  Oder- 
bruches und  des  Scharmützel -Sees  hoffe  ich  einige  Belege  beigebracht 
zu  haben  für  die  Ansicht  des  Herrn  \i>ii  Koeneu,  dass  die  Bewe-gungen 
der  Erdrinde  bis  in  die  jüngste  Zeit  gedauert  haben,  auch  in  der  nord- 
deutschen Tiefebene,  und  dass  sie  einen  nicht  unerheblichen  Anteil 
der  Herausbildung  dei-  beimischen  Landschaft  gehabt  haben.  Ich  las.-e 
es  unentschieden,  in  welchen  Abschnitt  der  (^uaitarzeit  die  Bewegung 
getallen  ist.  Das  Wahrscheinlichste  ist  wohl,  dass  die  Beweguuf;  erst 
gegen  Ende  des  Abschmelzprozesses  einsetzte,  als  die  Eisdecke  schon 
verhältnismässig  dünn  geworden  war,  su  dass  sie  durch  die  Bewegung' 
zeriissen  wurde,  wodurch  Eisinseln  entstanden,  weldie  nun,  bedingt 
durch  ihre  Neigung  zum  Horizont,  beim  Abschmelzen  ihre  geologische 
Ausbildung  erhielten. 


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Patlor  Kopp:  Die  alte  Dorftdidie  von  Kubedorf  in  der  Ost-Prignitc. 


39 


Die  alte  Dorfkirche  von  Kuhsdorf 
in  der  Ost-Prignitz. 

Von 

Pastor  Kopp  in  KubsdorC 


Im  siebpnhürgi.schtiD  Sachsenlande  gieht  es  sogenannte  Bnrg- 
kirchen,  in  denen  sich  in  liöchster  Bedrängnis  die  Bewolmer  der 
Dorfschaften  gegen  die  Türken  verteidigten.  So  giebt  es  aucli  in 
unserer  Prignitz  alte  trutzige,  feste  Gotteshäuser,  die  einst  den  Vor- 
fahren Schutz  und  Ilui-t  gewesen  sind  in  schwerer  Zeit.  Die  alten 
Dorfkirchcii  unserer  Gegend  sind  aus  ungefügen  Granitblocken  er- 
richtet; der  Turm,  so  breit  wie  die  Kirche  selbst,  ragt  steil  in  die 
Höbe  und  Absätze,  fensterlos  bis  auf  die  Turnduken  oben  bei  den 
Glocken  und  schmale  Schlitzfenster  in  den  Wänden.  Ein  einfaches 
Dach,  das  quer  zum  Kirchdach  steht,  schliesst  das  Mauerwerk  oben  ab. 
Aach  wo  ein  spitser  Dachreiter  diesem  Dach  anfgesetzt  ist,  vermag  er 
doch  nicht  dem  Ganzen  den  Eindruck  des  Wuchtigen,  Plumpen  zu  nehmen. 
Alle  Anzeichen  sprechen  eben  dafflr,  dass  nicht  bloss'  frommer  Sinn 
einst  diese  Tfirme  so  fest  gebaut  hat,  um  dem  Gotteshaus  AbscUuss 
und  ragende  Höhe  und  den  Glocken  einen  erhöhten  Standort  zu  geben, 
.  sondern  dass  die  harte  Not  der  Zeit  diese  Tfirme  hat  bauen  lehren  als . 
Yerteidigungspunkte  der  bedingten  Ortschaften. 

Unter  den  Kirchen  der  mittleren  Prignitz  trftgt  ganz  besonders 
die  Kirche  des  kleinen  Dorfes  Kuhsdorf,  etwa  6  Kilometer  südwestlich 
▼on  Pritzwalk  gelegen,  diesen  Charakter  als  Yertudigungs-  und  Wehr- 
kirche deutlich  zur  Schau. 

Wann  die  Kirche  erbaut  ist,  hiUlt  sich  in  Dunkel.  Nachweislidi  • 
hat  im  Jahre  1818  der  Pfarrer  Heyso  zu  Curdestorp  der  Nikolai- 
kirche in  Pritzwalk  Landbesitz  in  Predule  (Predöhl)  vermacht.  Diese 
Notiz  giebt  zugleich  Aufschlnss  über  den  ursprfingliohen  Namen  des 
Ortes  „Gnrdes  (ans  Conrads)-Dorf,  woraus  im  Laufe  des  ffinfzehnten 
Jahrhunderts  Knrstorf,  Kusdorf,  dann  Kuhsdorf  geworden  ist*  Warum 
übrigens  der  Pfarrer  von  Curdestorp  von  dem  Landbesitz  der  Pfarre 
etwas  abgetreten  hat,  wird  nicht  gesagt  Vielleicht  hat  er,  wie  es  da- 
mals gang  und  gäbe  war,  mehr  in  der  Stadt  als  in  seinem  Dorfe 
gewohnt  und  wenig  Interesse  mehr  für  Kubsdorf  gehabt.  Ein  plobanus 
(Dorfpfarrer)  Heyso  ist  in  der  Pritzwalker  Stadtkirche  begraben.  Ob 
es  derselbe  ist,  ist  nicht  festsustellen.  Jedenfalls  geht  ans  dem  kurzen 


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40 


Pastor  Kopp: 


Bericht  hervor,  dass  damals  die  Kuhsdorfer  (oder  Kurdsdorler)  Kirche 
bereits  mit  festem  Landbesitz  ausgestattet  war,  und  dass  dieser  keines- 
\ve^  unbedentend  war,  denn  das  Dorf  Predöhl  liegt  reichlich  1'  a  Meilen 
entfernt. 

Wer  vor  dem  Turm  steht,  vor  dem  ragt  die  breite  wnchtige 
Steinmasse  in  fast  erdrückender  Massigkeit  empor,  ohne  dass  das  Auge 
einen  Ruhepunkt  an  Absätzen,   Simsen   oder   Fenstern   tUnde.  Der 


Die  Kirche  von  Kabsdoit. 


Gnmdriss  ist  fast  «luadratisch  (9'  4  m  zu  8'  «  m).  Wie  von  Riesen- 
händen scheinen  die  gewaltigen  Feldsteine,  roh  behauen  senkrecht  auf- 
geschichtet zu  sein.  Die  Mauer  hat  unten  eine  Stärke  von  2*/<  m 
(ungefähr  *.)  Fuss).  Über  der  niedrigen,  spitzbogigen  Eingangsthur 
befindet  sich  im  Mauerwerk  eine  etwa  2  Fuss  hohe  Nische,  die  in 
katholischer  Zeit  vielleicht  ein  Heiligenbild  barg.  Hinter  der  Thür  \fit 
der  Eingang  höher,  rund  gewölbt.  Der  Innenranm  ist  dunkel,  nur 
spärlich  eriiellt  durch  das  Licht,  das  aus  dem  oberen  offenen  Turmraum 
und  diin  h  die  Kitzen  der  schadhaften  Thür  hereinfällt.    Die  Mauern 


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Di«  alt«  DorfUrehe  von  Kufasdovf  in  der  Ost-Pirigmti. 


41 


Teijfingeti  8ich  in  drei  Absätsen  nach  oben  zu,  doch  ist  die  Maaer  m- 
olMffi^  bei  den  Glocken  immer  noch  1,15  m  ,  Fuss)  stark.  Der  erste 
Absatz  ist -ttftf  zwei  Seiten  hoch  abgernudet,  offenbar  bestimmt,  edn 
Q«W6lbe  tu  tragciii;'  -  Ob  ühtir  dies  jenMÜs  ^nsgeffibrt  ist,  erscheint 
zWfnfelhafl^  Wenn-  «s  auch  Jserstort  wäre,  so  müsste  doch  wohl  noch 
eine  Spur  davon  vorhanden  sein.  Das  ist  aber  nicht  der 'EislL'  Mftditig6 
fiichenbalken  liegen  auf  den  Maitferabiätzen  auf.'  Sie  tnsg(ie»"wiederom 
senkrechte  Eichen pfostisD,  ^atif  disiien  ' wieder  Querbalken  ruhen,  sodass 
tnSKll»  wedn  das  Auge  sith  aü  'das  spärllehe  Licht  geivohnt  hat,  vo& 
nibten  'bis  za'  den  ßoblen  hiuanfsehen  kann/  die  den  Glockenboden 
'  bilden.  Eine  stiüle  Trepj^e  ffihrt  von  der  Mitte  ans  anf  17  Stufen  za 
i^eir  WdUdeitreppe,  di«l  iniieilialb  der  sfldliciieB  Maner  anf  10  StdfSdn 
wieder^in  den  inmiren  Tnrmrantn  föhrt.  •  Die  Stufen  sind  von  unfegel- 
tüftssigen  Feldsteinen  l^bildet, '.vor  einigen  Jahren  aber  mit  Gement 
ttbenogeit^  in»  aneh  *  jetzt  (tine  eiSertfe  fialtestaitgS  für  die  Hand  aii  der 
Ifandr  angebra0lit  ■  Ist.  'Eind<  kleins'  •  rnnde  öitnang,  dttibh '  die  «taan-  nicht 
einmal' idiii  Anin'  steeken  kOklnle,  dnrchbrioht  die  an  dieser  dftnnsten 
Stelle  immerhin  noch  fast  meterdicke  Mauer  nach  aussen,  ohnie-  freilich 
die  Wsndelfar^p«  eilencbten  an  können. 

'  ,  8W6i  'üreitare  lireppen 'vOn  Hdz  fQhreta  auf  16  und  ^  StQfen  zmn 
Glockfinboden  ttnanf.'  Voli  der  erster^n:  [disser  Treppen  Sieht  inaH  Mol 
ein  in  eine  jetzt  nnzagängliche  gewaltige  Schiessscharte,  die  nach  innen 
sseli  weit  ausdehnt,  nach  ankseif  sieh  absr  nur  in  «inem  etwa  doppel- 
hattdMiten  Schlitz  dfl^et  Yerleidigtsr,  di«  in  diesem  Schlitz  lagfen  oder 
standed,  'könnten  mit  ihren 'Schnsswäi)i0n  «einen  stOrmenden  Feind  üb^ 
'wehren,  ohne  dass  so  leicht  ein  Worfgeschoss  in 'die  sishiiiale  Manerritze 
hineiiiti'af.  Eine  gleiche  Maberdffimng  im  der  Kordseite  des  Turmes  ist 
von' tfosfaen  zugesstzt '  worden. 

''M^ir  erklimmen, ^Vorstditigi  im  Donkeln  tastend«  den  Glocken- 
b öd en, 'eintti'' weiten  Baum, 'der  eine  ni<äit' v^g  ^juadratisch^  Fläche 
von'  69  qm  bildet  Sechs  grosse,  fast  ^  ih  breite  nnd  über  8  m  hohe 
FenstsrGIf nötigen  mit  je  zwei  Iftnglieh  schmalen  ftundbogenfenstern  und 
eioem  kleinen  Fenster  oben  unter  dem  das  Ganze  abschliessenden  Rund- 
bogen, im  Korden  nnd  Süden  je  eine,  auf  den  andern  Seiten  je  zwei, 
nnr  dmvh  HolzAftbe  nnd  Drahtgitter  verschlossen,  gev^hren  dem  Licht, 
aber  anch'  dem  Wind,  Segen  nnd  Schnee  fireien '  Zutritt  nnd  bieten 
ungehinderten  Ausblick  tiber  die  Feldmark  und  nach  den  Nachbarorfeii 
hin.  Mitten  im<  Raum  stehen  die  beiden  Glockenst&hle.  Die  grössere 
Glocke,  mit  vollem  schonen  Klang,  hat  eine  Höhe  von  85  cm^  eine 
untere  Weite  von  1  m.  ■  Bei  der  kleineren  betragen  beide  Masse  60  und 
65  cm/  Beide  Glocken  tragen  keine  Inschrift,  sondern'  als  ünzigen  Schmuck 
am  oberen  Rande  einen  Kranz  von  je  7  MMaülons  etwa  in  'der  Grösse  eine^ 
Ffinfiimrksttckes,  an  der  grösseren  Glocke  unterbrochen  durch  sieben. 


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42 


Pastor  Kopp: 


kleine  Medaillous  in  Grösse  eines  Zweimarkstücks.  Die  grösseren 
Medaillons  zeigen  in  fortlaufender  Reihe  Darstellungen  aus  der  Leidens- 
geschichte in  sehr  altertümlicher  Weise,  an  beiden  Glocken  die  gleichen; 
die  kleineren  zeigen  geflügelte  Tiergestalten.  Der  gleiche  Schmuck 
beweist,  dass  beide  Glocken  zugleich  gegossen  sind,  Ihr  Alter  scheint 
beträchtlicli  zu  sein. 

Neben  den  beiden  Giockenstiihleü  ist  reichlich  Platz  vorhanden  für 
diB  Uhrkammer.  Die  grossen  weissen  viereckigen  Zifferblätter  von 
EiS€D  stehen,  einfach  und  praktisch,  aber  unschön  in  den  Fenster- 
öffnungen. Die  jetzige  Uhr  ist  im  Jahre  1898  aufgestellt;  nachdem  die 
im  Jahre  1685  besobsffte  ihren  Dienst  versagt  hatte.  Dichtgefügtes 
Gebälk  trftgt  das  Dach,  das  auf  seinen  vier  Seiten  mit  Ziegeln  gedeckt 
ist  Daehreiisr  imd  Spitan  iit  mÜ  Schiefer  gedeckt  Bis  zum  Jahre  1820 
ist  der  Torrn  noch  höber  gevesen  als  jetzt;  dunals  aber  wegen  einiger 
bedenklicher  Bisse  im  oberen  Manerwerk  bis  anf  seine  jetilge  Höbt 
abgetragen  -worden.  Die  Wetterfahne  oben  aof  der  Spitze  trftgt  die 
Jahressahl  1820  und  die  Bnchstaben  AHVQ  (August  Heinridi  von 
Qnitatow). 

Vom  Tnrm  ans  fahrt  ein  niedriger  Eingang  zu  ebener  Erde  in 
das  Innere  der  Kirehe.  Wie  alle  andern  ist  ancb  dieser  Eingang  mit 
einem  eichenen  Balken,  der  in  die  Maner  snrttcksoschieben  ist^  ver» 
riegelt  gewesen. 

Doch  wir  verlassen  den  Tnrm  wieder  durch  den  ftnsseren  Ein- 
gang, um  die  Kirche  von  aussen  in  Augenschein  nehmen  au  können. 
Sie  ist  genau  so  breit  wie  der  Turm,  sodass  kein  Manerwinkel  einem 
Feinde  Deckung  ge^bren  konnte.  Auch  die  Mauern  der  Kirche,  aus 
starken  Granitsteinen  geflgt,  erheben  sich  hoch  ohne  Strebepfeiier,  Ab- 
s&tse  oder  Gesimse.  Nur  die  in  beträchtlicher  Höhe  angebrachten 
schmalen  Fenster  mit  Spitsbogen  unterbrechen  die  W&nde^  je  drei  an 
den  Längs-  und  der  Giebelseite.  Das  mittelste  der  Fenster  in  der 
Giebelseite  oder  Altarwand  ist  zugesetzt  worden,  da  die  Kanzel  es  ver> 
deckt.  Es  mag  anfßUlig  erscbeinen,  dass  jetzt  die  Thür-  und  Fenster^ 
Öffnungen  sämtlich  Spitzbogen  zeigen,  während  zur  Zell  der  Erbanuag 
sonst  nur  der  Bundbogen  gebräuchlich  war.  Vielleicht  erklärt  es  sich 
so,  dass  ein  späteres  Geschlecht  die  schadhaft  gewordenen  Öffnungen 
ausbesserte  und  ihnen  dabei  ihre  jetzige  Form  gab.  In  der  sfidöst^ 
lieben  Ecke  befinden  sich  noch  in  geringerer  Höhe  zwei  kleine 
schmale  mit  Eisenstäben  und  Querbalken  versicherte,  nur  etwa  meter- 
hohe Fensterohen. 

Dichter  Eplieu  überwuchert  fast  die  ganze  Giebelseite  und  liest  aar 
nodi  wen%  von  der  Giebelverzierung  erkennen,  drei  Reihen  \  on  schmalen 
Blenden,  aus  Mauerstein  gebildet,  oben  durch  zierliche  Doppelbogen 
abgeschlosiMn.  £in  kreisrundes  Fenster,  das  den  Kirchenboden  erhellen 


Die  ilto  Doilldreb«  von  Kubadorf     der  Ost-Pvlgnits.  48 


soll,  ist  jetzt  vom  Ephea  gaoB  verdeckt.  Die  Giebelepitie  trägt  einen 
Hahn  als  Wetterfahne. 

Ein  Eingang,  der  sich  früher  in  der  Nordseite  der  Kirche  befiand, 
ist  zngemaaert.    Im  Innern  ist  die  dadurch  entstandene  Nische  znr 

Hälfte  offen  gelassen. 

Der  Eingang  an  der  Südseite  ist  noch  niedriger  als  der  im  Tarm. 
Man  kann  nur  gebfickt  hindurchgehen.  Ein  höchst  unschönes  Gebäude, 
das  sog.  Liekenhiis,  später  angebaut,  verdeckt  rlen  Eiogang.  Die  schwere, 
aber  nur  selir  unvoUkuramen  schliessende  Eiclieiithür  mit  f^lnom  plump 
gearbeiteten  uugefügten  Schloss,  (»ffnet  ein  gewaltiger  Schlüssel.  Wir 
treten  ins  Innere  der  Kirche,  einen  einzigen,  rechteckigen,  hohen,  weiten, 
weissgetünchten  Raum.  Der  Fussboden  ist  mit  Mauersteinen  belegt. 
Manch  alter  Pfarrer  von  Kuhsdorf  hat  unter  diesen  Steinen  sein  Grab 
gefunden,  auch  selbst  Pfarrfrauen  und  -Kinder  sind  in  der  Kirche  neben 
dem  Predigerstahl  begraben.  Die  Balkendecke  des  Bodens  ist  auch 
weissgetüncnt. 

Ins  Auge  fällt  zunächst  die  Kanzel,  die  mit  Altar  und  Sakristei 
ein  Ganzes  bildet,  kunstvoll  in  Holz  geschnitzt,  und  dem  Geschmack 
einer  vergangenen  Zeit  entsprechend,  reich  bemalt  in  allt^n  Farben.  Eine 
Inschrift  auf  der  Wange  der  Kanzeltrepi)e  belehrt  uns  über  die  Ent- 
stehaug dieses  gewiss  zu  seiner  Zeit  mit  Recht  bewunderten  Werkes: 

v,Dieses  Altar,  Cantzel  und  Heichtstuel  ist  gemacht  1707.  Da  Patronus 
gewesen  der  Hochwohlgeb.  Herr  Achatz  Allireclit  von  Qwitzow,  Predigei' 
Hen-  Job.  Feddi  r,  \on  Mr.  Sweidner,  Tischlei*  aus  Perleberg.  Abge- 
mahlet  1729  von  Herrn  Friedrich  Koppen  aus  Perleberg. " 

Aus  alten  Rechnungsbüchern  ist  ersichtlicii,  dass  dies  Werk  im 
ganzen  168  Thaler  gekostet:  eiiu^  für  danialigo  Verhältnisse  gajiz  bedeutende 
Summe,  die  Patron,  Kirche  und  Gemeinde  selir  mülisani  zusammen- 
sparen mussten,  wenn  aucli  einiges  ge.schenkt  wurde,  so  «-twa  6U  Thaler 
von  Frau  und  Fräulein  von  der  .lahn  und  4'  -j  Tlialer  von  den  Dienst- 
boten des  Ortes.  Man  mass  bedenken,  dass  in  derselben  Zeit  auch  das 
heute  noch  stehende  Pfarrhaus  gebaiut  wurde,  mn  die  Opferwilligkeit 
der  Beteiligten  würdigen  za  können. 

Der  Plals  für  den  Geistlichen  vor  dem  Altar  ist  durch  Schranken 
abgeschlüBsen,  das  sog.  Naditmahlgestdhl.  Es  trägt  an  der  Vorderseite 
zwischen  Blathrersiernngea  das  Wappen  derer  von  der  Jahn,  einen 
.springenden  Hnnd  mit  goldenem  Halsband,  als  Belmsier  denselben  Hnnd 
zwischen  awei  HeUebacden.  Die  Unterschrift  lautet:  Christine  Elisabeth 
Ton  der  Jahn.  Zwei  Paare  von  gewundenen  Sftukn  tragen  die  Kanzel 
und  den  mfiditigen  SchalldeckeL  Vor  den  Säulen  steht  auf  der  einen 
Seite  Moses  mit  Stab  und  Gesetzestafeln,  auf  der  andern  eine  JQnglings- 
geataU  (Johannes)  mit  Kelch  und  Palme  als  Darstellungen  von  Gesetz 
und  EvangeUain.  Die  Kanzel  ist  mit  Rankenwerk,  Engelsköpfen  und 


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44 


BMtor  Kopp: 


Säulen  Windungen  verziert  und  beniaH  and  triigt  an  ihren  dr^i  Seifen 
drei  Wapix'n:  vorn  das  Quitzowsche  —  ein  «^chraptretoilter  Sctiild  ' 
gchwarz  und  rot;  im  roten  Felde  ein  schwarzer  und  im  schwarzen 
Felde  ein  roter  Stern;  ein  Wolf  zwischen  zwo!  Bäumen  als  Helmzier  — 
nait  der  Überschrift  Achatz  Albrecht  von  <\)uitzo\v:  rechts  das  Linstausch*» 
-~  der  Schild  wagerecht  p^eteilt,  schwarz  und  weiss,  als  Helmzier  eine 
weisse  und  eine  schwarze  Frau,  einen  grünen  Kranz  zwischen  Pich  haltend 
und  darüber:  Ursula  Hedwi«:  von  Linstau  (die  erste  Frau  des  Eben- 
genanuten);  links  das  Jahnsche  Wappen,  darüber:  Magdalena  Miii^r^a 
von  der  Jahn  (die  zweite  Fr»u)-  her  Schalldeckel  zeigt  im  Inneren  die 
Taube,  das  Sinnbild  de4>  heiligen  Geistes.  Die  Kanzel  ist  darcb  eine 
schmale  Thür  abgeschlossen,  auf  der  mit  Goldschrift  die  Worte  Jes.  58,  l 
stehen:  ^Rufe  getrost,  schone  nicht,  erhebe  deine  Stimme  wie  e\m 
Posaune  und  verkündige  meinem  Volk  ihr  Übertreten  und  dem  Hans^ 
Jakob  ihre  Sünde.**  Hechts  und  links  neben  der  Kanzel  sind  schwebend 
F]ngeigestalten  mit  Posaunen  angebracht.  Unter  der  Kanzel  träg;t  die 
Rückwand  des  Altars  das  Bild  des  Lammes  mit  der  Si^gt^sfabniB  und 
die  Worte:  ,,Siehe  das  ist  Gottes  Lamm,  welches  der  Welt  Sünde  tra^t 
Merkw'ördig  Ist  noch  ein  kleines  alt^s  Bild,  das  über  den»  Schal Ideckei 
der  Kanzel  aogebracht  die  Decke  berübi-t;  es  stellt  in  altertämUciMf 
Malerei  die  EtiisetsaDg  des  heiügeii  Abendmahls  dar»  sonderbarerweise 
13  Jfinger  ausser  dem  Herrn. 

Die  Sakristei  ist  oben  ollen,  aber  durch  ziemlich  hohe  Wände 
von  der  übrigen  Kirche  abgeschlossen.  Die  obere  Hälfte  der  Wände 
hat  Rankenschnitzereien,  auf  den  unteren  Hälften  stehen  die.  Sprüche 
Hatth.  18,  V.  18:  „Wahrlich,  ich  sage  euch:  Was  ihr  auf  Erden  bindet 
werdet,  soll  auch  im  Himmel  gebunden  sein,  und  was'  ihr  auf  Erden 
lösen  werdet,  soll  auch  im  Himmel  los  sein".  Joh.  2i\  v.  22:»  „Nehmet 
hin  den  heiligen  Geist!  Welchen  ihr  die  Sünden  erlasset,  denen  sind  sie 
erlassen:  und  welchen  ihr  sie  behaltet,  denen  sind  sie  behalten**. 
Jesaia  i  v.  18:  „Wenn  enre  Sünde  gleich  blutrot  ist,  soll*  sie  doch 
.schneeweiss  werden:  wenn  sie  gleich  ist  wie  Bosint'arbe,  soll  sie  doch 
wie  Wolle  werden".  —  Die  Sakristei  ist  eben  auch  in  evangelischen 
Kirchen  noch  lange  Zeit  hindurch  Beichtstuhl  genannt  worden..  Der 
alte  „Beichtstohl"  ist  nach  einigen  Kennzeichen  zu  urteilen,  etwas 
kleiner  gewesen.  In  der  Wand  ist  eine  durch  die  Rücklehne  der  Bank 
halbverdeckte  Nische,  eine  gute  Spanne  hoch  und  tief  und  etwas  über 
2  Spannen  lang.  Früher  hat  sich  darin  gewiss  der  Kaston.  für  den 
Beichtgroschen  befanden.  < 

Auf  der  andern  Seite  in  derselben  Wand  ist  noch  eine  doj^talt  so 
grosse  Nische,  von  Spitzbogen  und  Gesims  nnuogen,  davor  ein  ver* 
scbliessbares  Qitter  von  staikem  JSisenblech.  Ein  gioaser  TbOrlmlcea 
daneben  verrät,  dass  ehemals  vor  dem  Gitter  noch  .eine  schvrörec« 


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Die  alte  Dorflcirche  von  Kuhsdorf  in  der  Ost-Prignitz. 


45 


Thür  gewesen  ist.  Diese  doppelt  versicherte  und  verzierte  Nische  hat 
gewiss  die  lieiligen  Geräte  geborgen. 

Das  Fenster  darüber,  das  nördlichste  der  drei  Giebelfenster  ent- 
hält die  kiinstgeschichtlich  grösste  Sehenswürdigkeit  des  alten  Gottes- 
hauses.   Es  ist  ein  kleineres  Fenster  mit  Glasmalerei,  deren  einzelen 


Alt«>  Qlatgcmfcld«  in  d«r  Kubsdorfar  Kirebt. 


farbige  Teile  in  Blei  gefasst  und  so  miteinander  verbunden  sind. 
Einzelne  kleine  Stücke,  etwa  drei,  fehlen  im  Rande.  Es  ist  ein  zwei- 
teiliges Gemälde.  Die  linke  Seite  (vom  Beschauer  aus  gesehen)  stellt 
einen  Ritter  dar,  er  trägt  schlichtes  braunes  in  Stirn  und  Nacken 
fallendes  Haar,  ohne  Kopfbedeckung,  das  Gesicht  ist  bartlos.  Über 
einem  gelben  Untergewand  mit  engen  Ärmeln  trägt  der  Ritter  ein 
blaues,  ärmelloses,  enganliegendes  bis  zu  den  Füssen  herunterfallendes 


I 


46  Pastor  Kopp: 

ObfTgewiind,  oben  an  der  Brust  durch  drei  goldene  Knöpfe,  an  den 
Hüften  durcl»  eiiion  ljunten  (lürtel  zusammengehalten,  unten  mit  breitem 
Saum.  Die  Füsse  stecken  in  langen  gestickten  Schuhen.  Die  Rechte 
trägt  ein  breites  Schwert,  das  über  die  rechte  Schulter  gehalten  wird, 
mit  goldenem  grossem  Knauf  und  nach  der  Schwei-tspitze  zu  gebogener 
Parierstange.  Die  Linke  stütit  sich  auf  das  Schild,  der  die  beiden 
Sterne  der  Quitzows  in  schräggeteiltem  Felde  zeigt,  aber  nicht 
schwarz- rot,  wie  auf  dem  an  der  Kanzel  befindlichen  Wappen,  sonderD 
rot-gold.  Der  Rand  zeigt  auf  drei  Seiten  verschiedenartige  Arabesken. 
Ausserdem  weist  er  die  Inschrift  auf  in  Uncialen  COSVV. DE. 
QVJTSO  —  Cüuradus  .  .  .  de  [von]  Quitzow  — .  Die  rechte  Seite 
ist  ausgefüllt  von  dem  liiidnis  einer  Edelfrau  in  hoher  gelber  Haubo, 
in  blauem  und  gelbem,  über  die  Füsse  wallendem  Gewände,  darüber 
ein  rotes  Obergewand  mit  weiten  Ärmeln  und  Hermelinbesatz.  Die 
VVRU.  RERTHE  —  etwa  Frau  Margarete?  Da  der  Rand  an  vielen 
Stellen  schadhaft  ist,  so  können  einzelne  Buchstaben  weggefallen  sein. 
Nach  dem  Urteil  Sachverständiger  stammt^ dies  Glasgemäldo  ans  dem 
14.  Jahj^nndert,  also  noch  in  die  Zeit  vor  dem  mftchtigen  Ao&chwung, 
den  um  das  Jalir  1400  das  Haas  Quitzow  nahm,  wo  es  darcli  sdmelle 
Ifelmmg  seiner  Haasmacht  ans  der  Reihe  des  niederen  mftrkischen 
Adels  in  die  Stellang  der  Vormacht  nnd  FAhrerschafk  des  Adels  gegen 
St&dte  und  Fürsten  trat  und  es  selbst  wagte,  dem  neuen  Kurf&rsten 
Friedrich  yon  Uohenzollem  die  Stim  au  bieten.  —  Ans  welchem  An- 
lass  das  Büd  an  seinen  jetzigen  Fiats  gekommen,  von  wem  nnd  aus 
welchem  Anlass  es  gestiftet  ist,  darftber  feUt  zonftcbst  jeder  Anhalt 
Es  ist  ein  glfickliches  Geschick,  das  ttber  diesem  Bilde  gewaltet  hat  und 
es  durch  fttnf  Jahrhunderte,  durch  Brand  nnd  ZentOrung  so  unversehrt 
eihalten  hat.  Als  ein  Werk  von  hohem  geschichtlichen  nnd  knnst- 
geechichtlichen  Wwt»  ist  es  eine  einzigartige  nnd  hochbedentende  Zierde 
der  Kuhsdorftr  Kirche,  um  die  manch  reiches  schönes  Gotteshaus  sie 
beneiden  könnte. 

Mitten  in  der  Kirche  steht  eio,  jetzt  mit  einer  grünen  Decke  be- 
kleideter Tauf  stein.  Er  ist  ans  Sandstein,  massig  nnd  schwer,  in 
Becherforro,  oben  achteckig,  einen  Meter  hoch  und  breit,  mit  runder 
56  cm  Üefen  Aushöhlung,  die  einst  dazu  gedient  haben  rouss,  die  Täuf- 
linge völlig  ins  Wasser  zu  „tauchen**  (das  Wort  „taufen**  leitet  sich 
ja  von  „tauchen  ab).  Eine  spätere,  dem  alten  Gebrauch  abholde  Zeit 
hiit  dies  nrNvüchsige  „Tauch"becken  durch  eine  flache  Schale  von 
getriebenem  Kupfer  (\$  m  im  Durchmesser)  ersetzt,  auf  der  in  der  Mitte 
der  SAndenfali  in  rohen  Formen  dargestellt  ist;  der  Rand  ist  mit  Blatt- 
werk verziert,  mit  je  zwei  Hunden,  Hirschen  und  Eichhörnern.  Nur 
eine  lebhafte  Phantasie  kann  vennut^^n,  in  welcher  Beziehung  das  Jagd- 
stück  mit  der  Taufe  gedacht  ist  Hirsch  and  £ichora  iiessen  sich  wohl 


Die  alte  Dotflcirehe  von  Enbadorf  in  der  Oat-Prigniti. 


47 


allenfalls  bibliscli -symbolisch  deuten,  aber  der  Iliind  verstört  alle 
Gedunkenznsamnienhänge.  Diese  Taufschüssel  liegt  auf  eioem  liölzenien 
Deckel,  der  das  alte  Becken  verschliesst.  Leider  hat  das  unansehnlich 
gewordene  Aussehen  des  Sandsteins  Veranlassiing  gegeben,  ihn  zu  über- 
malen (gi*an  mamioriert),  sodass  das  eigentliche  Material  nicht  mehr 
zu  erkennen  ist 

lieber  dem  Patronatestuhl,  der  heutzutage  kein  Wappen  oder  sonst 
Bemerkenswertes  iiielir  zeigt,  l)emerkt  man  in  einer  der  Fensterscheiben 
ein  kleines  Wappenfenster  mit  dem  Jahtischeii  Wappen.  Unter  diesem 
Fenster  führte  vom  Patronatsstuhl  aus  eine  niedrige  Thür  in  die  ums 
Jahr  ITtKl  errichtete  Familiengruft  der  Quitzows,  Das  Gruftgebäude 
ist  vor  4()  Jahren  abgerissen  und  die  Thür  zugemauert.  Die  Särge  sind 
dem  Erdboden  übergeben,  '21  an  der  Zahl.  In  die  Füllung  der  Tliür 
ist  eine  Sandsteinplatte  eingelegt,  die  die  Inschrift  trägt:  „Ruhestätte 
der  vou  Quitzow  aus  Kuhsdorf  und  der  von  Beuhvitz  aus  Bullendorf". 
Der  Wortlaut  ist  nicht  glücklich  gewählt.  Es  sind  dort  begraben  die 
drei  letzten  Herrn  von  Quitzow,  Achatz  Albrecht  f  1720,  Franz  Julius 
f  1774  und  August  Heinrich  f  1824,  ihre  Kinder,  Frauen  uud  sonstige 
Familiengeuosseu,  ferner  der  Schwiegersohn  des  letzten,  Rittmeister 
von  Beulwitz  und  seine  Kinder.  Nur  mit  tiefer  Erschütterung  kanu 
man  das  schnelle  Aussterben  des  blühenden  Hauses  verfolgen.  Flieder- 
gestrüi)p  und  Epheu  wuchert  jetzt  über  dieser  Gruftstätte,  und  mühsam 
nur  dringt  der  Fuss  zu  der  Stelle,  wu  die  Letzten  eines  einst  so  stolzen 
Geschlechts  gebettet  sind. 

In  der  Kirche  bietet  sich  nicht  mehr  viel  Bemerkenswertes.  Das 
Gestühl  ist  vor  2U  Jahren  neu  gestrichen,  ebenso  die  für  den  grossen 
Raum  recht  kleine  Orgelempore.  Die  Emi)oreubrüstung  tragt  die 
Spruche  Matth.  5,  3:  Selig  sind,  die  geistlich  arm  sind,  denn  das 
Himmelreich  ist  ihr;  Matth.  5,  6:  Selig  sind,  die  da  hungert  und 
dürstet  nach  der  Gerechtigkeit,  denn  sie  sollen  satt  werden;  Matth.  5,  8: 
Selig  sind,  die  reines  Herzens  sind,  denn  sie  werden  Gott  sehaaen.  — 
Die  Orgel  ist  im  Jahre  1883  aufgestellt;  das  €^d  ist  damals  darch 
freiwillige  Selbstbesteaemng  des  Patrons,  der  Gemeinde  und  des  Pfarrers 
aiiilKebracbt;  250  Haik  waren  das«  verwendbar  als  Erlte  ans  einem  alten, 
ans  katholischer  Zeit  stammenden  Altarsohrein,  der  für  das  Mtueom 
in  Frankfurt  a.  M.  angekauft  war.  Er  enthielt  im  Mittelstflck  die 
Dnrstellnng  Gottvaters,  der  den  Sohn  sendet,  in  den  Seitenfeldem  die 
zwOlf  Apostel,  alles  schon  Iftckenhaft  und  wnrmstichig.  Da  die  Kirche 
nicht  den  Zweck  hat,  zur  Rarit&tensammlnng  zu  dienen,  so  ist  vom 
kirchlichen  Standpunkt  die  Berechtignng  der  Entftassemng  durchaus 
ansueriiennen. 

Auf  den  Kirchenboden,  der  vom  Turm  aus  nicht  zugänglich 
ist»  führt  eine  an  eine  Bodenlake  über  der  Orgelempore  anzusetzende 


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48 


Fiwtor  Kopp: 


Leiter.  Hier  soll  sich  im  letzten  Jahrzehnt  des  dreissigjährigeu  Kriet^es. 
als  alle  übrii^en  Einwohner  getötet  oder  geflohen  waren,  ein  alter  Kuh- 
hirt mit  seinem  Hunde  aufgehalten  haben.  Nur  des  Nachts  wagte  er 
es  herabzusteigen,  um  in  der  ihn  umgebenden  Wildnis  kärgliche 
Nahrung  zu  suchen.  Die  Leiter  zog  er  2a  sich  b«rftu^.  und  w^r  so  vor 
allen)  Raubgesindel  sicher. 

W(»lil  hatte  die  Kirche  und  der  Turm  mit  ihren  starken  Mauern 
der  allgemeinen  Verwüstung  getrotzt,  aber  auch  sie  trug  starke  Spunn 
jener  Kriegsnöte  an  sich,  die  in  jener  aru^^igeu  Zeit  nacl^.dem  Kxiegt 
so  leicht  ni<  ht  zu  tilgen  waren. 

Im  Jaliie  lüiSöj  also  fast  .')()  Jahre  nach  dem  Friedeussihlus.s 
schrieb  der  damalige  Pfarrer  Stargardt:  (zur  besseren  Lesbarkeit  ist 
die  Recht.s(  hreibung  geändert)  „Und  stehen  uns  des  vorigen  dreissig- 
jährigen  unseligen  Kriegsruins  und  grausamen  Verwüstung  Fussstapfen 
ietzt  aqnoch  allenthalben  vor  Augen,  wodurch  dieses  Land  und  unser 
Kuhsdorf  nicht  aliein  etliche  Jahre  ganz,  öde  und  wüst  gestaodeu. 
sondern  auch  diese  Kirche  und  Gotteshaus  neben  dem  Glockenturm 
daher  ganz  schadhaft  worden,  wären  auch  allem  Ansehen  und  Bt- 
findung  nach  diese  ansehnliche  Gebäude  wohl  gar  über  Haufen  gangeu. 
wenn  nicht  aus  sonderlichem  gottseligem  Eifer  der  Wohlgeborne  Herr 
Achatz  All)recht  von  Quitzow,  ruhmwürdiger  Patronus  hiesiger  Kirchen 
und  Pfarren  als  auch  zugleich  Obrigkeit  und  Gerichtsherr  alllüer  zu 
Kulisdorf  und  Bullendorf  (nach  Absterben  seines  wohlseligen  lleiru 
Vaters  tit.  Herrn  Viktor  von  Qiiitzowsi  samt  seiner  sehr  gotter 
fiirchtiuf'n ,  christlichen  und  hochtugendl»egabten  Eheliebsten  unii 
Frauen,  Frauen  Ursulen  Hedewig  Wohlgebornen  von  Linstowou  mit 
ziemlicher  und  unersparter  Anwendung  ihrer  eigenen  Mittel  zum  Teil 
dazu  verehret  und  zum  Teil  aiw  h  vorgeschossen,  weil  die  Kirche  gar 
arm  gewesen,  gute  Hülfe  und  möglichste  Beförderung  gethan,  dass  die 
Kirche  und  der  Glockenturm  möchten  reparieret  und  in  voUekommeijeD 
Stand  gebracht  werden,  wie  bereit,  Gott  Lob,  geschehen  und  es  der 
Augensrliein  bezeuget ....  Weil  auch  wohlerwähnter  Hochznverehrender 
Herr  Patronus  der  von  Q.uit/ow  wegen  der  Po.sterität  zum  Andenken 
vor  gut  und  nötig  angesehen,  die  Ki^ßten  des  Glockenturmes  und  der 
Kirchen  zu  annotieren  und  zu  verzeicbnen,  Also  hat  maa  sie  folgttidcr- 
ges^t  spezifizieren  wollen.  ;  .  • 

1.  Der  Glockenturm,  denselben  alldieweil  er  answfmdig  no<I 
inwendig  von  unten  bis  oben  au<r  ganz  baufällig  gewesen,  ta  ver- 
fertigen,  ganz  neu  zu  decken,  Bänder  und  Balken  einzubringen,  die 
Mauer  ausserhalb  wieder  instand  zu  bringen,  mit  Dielen,  8paho  zu 
reissen,  Nägeln,  Hlecli,  Stange,  Wetterfahne,  Bändern,  mit.  den  Zieg«l- 
steioen,  Kalk,  Steinkohlen,  Rinderblnt,  eiserne  Klammern,  mit  dem 
Zimmer-,  Schmiede-,  Decker-  und  Maurerlotm  and  für  ^  Bier,  so  bei 


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Sie  alte  Dorfkiiohe  «oa  Kohidorf  in  der  Ost^Prigiiits. 


49 


der  Arbeit  aasgetranken  (ohue  das  Holz,  so  darzü  angeschaffet  und 
▼erbrauchet,  ohne  die  Speisekosten  und  Fuhren  der  Dielen,  welche 
man  von  der  Schneidemühleu  des  Cburil.  Amts  zu  Zechelia  bei  5  Meilen 
Wegs  holen  müssen^  auch  ohne  alle  andern  tägliche  Handreichung,  die 
dabei  geschehen,  nicht  gerechnet}  An  barem  Gelde  gekostet  212  Thl.  8  Gr. 

2.  Die  Kirche  zu  reparieren  und  wieder  in  Stand  zu  bringen, 
als  ausserhalb  das  Dach,  die  Mauern  des  Giebels  auf  beiden  Seiten  des 
Daches,  wie  anch  inwendig  der  Boden,  die  Stühle,  die  Wände  oder 
trauern  zu  renovieren,  die  Fenster,  etliche  Fiiclier  ganz  nen  und  etliche 
auszubessern,  auch  was  hieneben  antrifl't  die  Dachsteine  und  Mauer- 
steine, der  Kalk,  die  Bretter,  das  Glas,  Zinn  oder  Blei,  wie  auch  das 
Maurer-,  Glaser-  und  Tischerlohn  und  das  Bier,  so  dabei  ausgetrunken, 
hat  iiisnosamt  ohne  das  Speisen  und  ohne  andere  dabei  gethaue  Hand- 
reichung und  Fuhren  bar  gekostet  27  Thl.  10  (tiv  — " 

Ehre  den  Männern,  die  damals  in  liarteni,  unendlich  niühseligeni 
Hingen  aus  dem  Brnndschutt  der  Zerstiuuiii;  heraus  eine  neue  Zeit 
haben  herbcifüliitMi  helfen!  Welch  schwere  Kulturarbeit  hat  da  auch 
die  evangelische  Geistlichkeit  geleistet! 

Für  den,  dor  sich  in  jene  Zeit  hineinversetzt,  lassen  die  alten 
Kirchenbiiclier  und  ganz  besonders  auch  die  Kirchenreclmungsbücher 
manch  helles  Sclilaglicht  auf  jene  dunkle,  äusserlich  so  trübselige  Zeit 
fallen,  in  iltM  ujisim-  Volk  langsam,  sehr  langsam  die  furchtbaren 
Folgen  des  grossen  Krieges  überwand.  —  Doch  wir  wollten  nur  die 
Dorfkirche  von  Kuhsdorf  schildern,  uiciit  die  Geschichte  der  Kircheu- 
gemeinde  schreiben. 

Wenn  das  alte  Gemäuer  reden  könnte,  wieviel  könnte  t*s  nns 
erzählen  von  vergangenen  Zeiten!  Sechs  Jahrhunderte  sind  drüber  hin- 
gezogen, manch  Geschleclit  schlninmert  unter  dem  Rasen  des  alten 
Kirchhofs  im  Schatten  des  Gi^tteshaiises.  Die  Burgen  der  Ritter  sind 
längst  verschwunden,  ja  von  ihnen  gilts  hier:  Ihn*  Stätte  kennet  sie 
nicht  mehr;  aber  fest  und  stark  wie  vor  Alteis  steht  <his  ehrwüidige 
Gotteshaus,  heute  bloss  eine  Stätte  gemeiusanier  Andacht,  ein  Zeuge 
des  Glaubens  der  Väter,  einst  aber  auch  ein  Bollwerk  im  Kampf,  Burg 
und  Hort  in  Kriegeszeiten,  Zuflucht  der  Bedrängten,  Trotz  bietend  den 
Feinden:  Die  alte  Wehridrehe  von  EahBdorf. 


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oO 


Oftri  BoUet 


W^andlungen  des  Waldes. 

Von 
Carl  Bolle. 

Als  ein  kostbares  Erbteil,  von  unseren  Altvordern  hinterlassen, 
ist  ans  der  dentsohe  Wald  flberliefert  worden,  Sie  hatten  ihn  aus  den 
landen  der  Allmntter  Natur  selbst  empfangen  und  bewegten  sieh  in  ihm 
wie  in  einem  für  das  Dasein  nnumglinglich  erforderlichen  Elemente. 
Dass  er  noch  snr  Stunde  das  Grfln  seiner  Lanbmassen  in  nnerschöpfter 
Fülle  Ober  das  Vaterland  ausbreitet,  darf  als  eine  Segnving  waltender 
Mächte  betrachtet  werden,  fOr  die  wir  nicht  dankbar  genug  sein  können, 
nmsomehr  da  sich  nicht  alle  unsere  Nachbarländer  gleichen  Vorzugs 
erfreuen.  Möge  es  daher  allseitig  als  Aufgabe  der  Gegenwart  aner- 
kannt werden,  was  von  Seiten  deutschen  Forstamtes  in  ebenso  hoch- 
intelligenter wie  gewissenhafter  Weise  geschieht,  ein  Gut  zn  hftten,  an 
pflegen,  ja  sogar,  wo  möglich,  zu  vervollkommnen,  welclies  inmitten 
einer  aUem  Ursprünglichen  abgewandten  Gesittung  fast  allein  noch  an 
naturwüchsige  Dinge  erinnert  und  demgemäss  in  der  Volksseele,  wie  In 
dem  Empfinden  des  Einzelnen  nicht  minder  zarte  wie  mächtig  vibrirende 
Saiten  anklingen  lässt. 

Denn  der  Wald  war  für  Europa  das  Primitive.  In  der  Urzeit  hat 
seine  Unermesslichkeit,  mit  Ausnahme  des  höchsten  Nordens  und  einiger 
Haide-  oder  Steppengebiete,  den  Weltteil  den  wir  bewohnen,  allüberall 
in  seine  Falten  gehüllt,  gleichviel  ob  eine  wärmere  oder  kältere  Zone 
ihn  mehr  immergrün  oder  mehr  laubabwerfend  erschuf.  Es  ist  un- 
bekannt geblieben,  weldie  Bruchteile  des  Menschengeschlechts  die 
frühesten  Lichtungen  darin  geschlagen,  welche  zuerst  als  Hirten  oder 
Ackerbaaer  den  Jägerstämmen,  die  ungern  aus  ihm  hervortraten,  sich 
in  Friede  oder  Feindschaft  genähert  haben.  Vor  dem  Menschen  mochte 
der  Bär  Herrscher  im  Walde  gewesen  sein,  nur  langsam  vor  der  Stein- 
waffe Jenes  zurückweichend.  Noch  der  Pfahl bauor,  dem  Höhlenmenschen 
bereits  weit  überlegen,  flüchtete  vor  den  wikicn  Tieren  in  den  Wasser- 
dunst  grosser  Seen,  du-  von  schwarzer  Waldnacht  umschlossen  dalagen 
und  wohnlicher  als  die  Landfeste  erscheinen  mochten. 

Was  wir  Altertum  nennen,  das  hatte  hinter  sich  bereits  ein 
anderes  Alterthum,  ihm  ungleichartig  und  schauriger,  nach  Annen 
zählend,  von  keinem  Lichtstrahl  der  Geschichte  erhellt:  die  Nacht  der 
Zeiten;  heut  nennen  sie's  Priihistorie.  Jenseit  dei-  Kelten  und  Pelasger 
in  Europa  undurchdringliches  Dunkel.    Als  der  Urmensch  aufhörte 


MTandlimgeii  des  Waldes. 


61 


allem  HdUtnbewohner  su  sein,  worde  Roden  des  Gehölzes  gleich- 
bedeatend  mit  aufkeimender  Gesittung.  Man  fing  an  die  Feldfirncht  der 
Ceres,  die  Rebe,  den  Ölbaum,  nordwärts  der  Alpen  das  dOrftige  Haferfeld 
und  die  Wiese  mebr  als  den  Wald  zu  lieben,  ja  diesen  mit  ungünstigerem 
Auge  anzusehen,  gut  genug  lllr  den  Faun  und  ffir  den  auf  niederer 
Stufe  stehngebliebenen  Wilden.  Unter  wärmerer  Sonne,  als  sie  jenseit 
des  Scheidegebirgs  leuchtet,  einsetzend,  hat  solche  Gegnerschaft  die  das 
Mittelmeer  nmlagemden  Länder  zuerst  an  ihrer  geselligen  Baumvegetation 
geschädigt.  Noch  heut  kranken  sie  an  den  Folgen  dessen  was  ur- 
sprünglich sociale  Notwendigkeit,  ja  ein  Segen  gewesen  war.  Wo  auf 
italischer  Erde  noch  Virgils  Hirt  sttb  tegmine  fagi  gesungen,  ist  die 
stolze  Bnche  jetzt  fast  allerorten  zum  zweighaften  Strauchwerk  des 
Niederwalds  geworden,  der  Edelkastanie  etwas  tiefer  abwärts,  ihrer  hahr- 
haften  Flrucht  zu  Liebe,  allein  noch  den  eichengleichen  Höhewuchs 
gönnend. 

Neben  deiii  Wal<ll)raii(le,  dürfte  das  Weidevieb,  voran  die  Ziege, 
sich  dieser  Waldfeindschaft  als  verderblicher  Bundesgenosse  am 
wirkungsvoUsteii  angeschlossen  haben. 

Wie  anders.  Gottlob,  unser  deutscher  Wald.  Über  ihm  haben 
günstigere  Sterne  gelenchtet.  Immer  noch  Steht  er  siegreich  da  als 
Schmnck  und  Reichtum  des  Vaterlandes,  prangend  in  nicht  allzustark 
angetasteter  Ausdehnung.  Nicht  Bei'ge,  nein,  dem  lateinischen  Worte 
saihis  entsprechend,  Wald  nennt  sicli  in  Böhmen,  in  Thüringen,  am 
Oberrhein  das  Mittelgebirge  Unser  Volk  liat  niemals  aufgeliört,  sich 
mit  nnzerreissbaren  Fäden  an  seine  Waldungen  geknüpft  zu  fühlen. 
Kaum  weniger  Lioho  wird  diesen  schattenspendendeii  Wölbungen 
f^esrlienkt  wie  in  der  \  orzcit  wo  das  Märclien  sie  sich  zum  Sitz  erkor, 
das  weise  Weib  zauber-  oder  heilkräftiir*'  Kräut»'r  darin  sammelte,  (Um* 
Klausner  Wiu-zelu  grub,  vielleicht  durch  Buscli  und  lianken  liinabs[>ähend 
auf  die  unheimliche  Wolfj^sclducht,  in  der  unter  satanischen  Aurufungeir 
der  Freischütz  seine  nie  tVlilenden  Kngehi  goss. 

Der  Lauf  der  Zeit  allerdings  änderte  viel  und  hat  dies  \<m  jeher 
unvermerkt  gethan.  Unter  dem  Schein  unwandelbarer  kobinischei-  Kuhe 
die  stille  Minirarbeit  durch  die  Naturkriifte  gf^förderten  ewit-en  Wechsels, 
Vet^etatinn  mit  Vegetation  vertauschend  ancli  im  Bann  des  Baumgewogs 
urwiiclisigster  Landesweiten.  Ein  auf  ewigen  Oesetzen  beruhendei-  Um- 
sciiwung  des  Baumbeslandes  vollzielit  sich  in  s(  hw eigender  Periodicilät, 
darauf  hinzielend  dem  durch  zu  lange  Gleiehmassigkeit  der  Begrünung 
prschö]»tten  Waldboden  neue  Säfte  wieder  zuzuführen,  indem  er  die  ver- 
schiedenen Baumarten,  deren  Zahl  in  Deutschland  nichl  allzugr^ss  ist, 
.sich  gegenseitig  in  priistabilirter  Harmonie  ablösen  lasst,  wobei  freilich 
sehr  lauge  Zeiträume  in  Betracht  k(»nnnen.  lYw  Edeltanne  mit  der  Buche, 
die  Kiefer  mit  Bii'ke  und  Espe,  in  bestimmtem  ivieiäluuf  gleichsam 

4» 

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52 


Call  BoUe: 


rhytlmiisch  aliwecliselnd:  der  hiiiglebigen  Eiche,  im  Auenwald  oder  auf 
HöhelxKlen,  bald  die  Hainbuche,  die  Eberesche,  der  Faulbaum,  bald  an 
bevoi'zugtercr  Stelle,  die  uia-^si^eren  Gestalten  \  <m  Esche,  Küster  oder  die 
der  sn  scliöneu  Ahorne  sich  beimischend;  also  stetes,  wenn  aucli 
fjoräuschioscs  Rinken  um  den  Besitz  des  Erdreichs,  das  sich  unter  den 
lloclistäinnien  im  Hcicli  der  Ki-.nitcr,  Gräser  und  Farrn  noch  gelu'imniss- 
voller  wiedeilioit.  Hicj  lH'i  mochte  t)t'i  ungestörter  Ursprünglichkeit  fnilier 
unter  seltneiem  Vorwalten  reiner  Besfiiiide  doininirender  MischwaUI 
Vieles  versrhleieru  und  die  l'flauzeu  gröbsere  Verträglichkeit  unter- 
einander lehren. 

Man  weiss  dass  gro»e  Liinder,  zum  IVil  noch  in  gescliichrliclier 
Epoche,  ein  von  dem  iref^eiiwärti<4en  verschiedenes  Waldbild  dars>:eboteii 
haben.  Als  Julius  Casar  in  Britannien  landete,  vermisste  er  daselbst 
die  ihm  vertraute  jetzt  an  jenen  Kii>ten  so  häutige  Buche.  Hiitte  er 
seine  Erobennmen  bis  Dänemark  ausgedehnt,  so  würde  das  gleiche 
negative  Phänomen  sich  seinem  S<"hart'blick  nichl  entzogen  haben;  er 
hätte  vielleicht  die  jetzt  buchenreichen  Inseln,  innui')i>'o  i}isnJurniii  <jiiitiii. 
wie  Tacitus  si(  h  ausdruckte,  allein  mit  Kiefernwald  bewachse?i  gefunden, 
währeiul  jetzt  daselbst  Stämme  dieses  Nadelholzes  nur  noch  subfossil 
im  Moor  l>egraben  liegen. 

Mehr  Coniferenwuchs  scheint  auch  in  Deutschland,  wie  er  ihm 
später  künstlich  erzeugt  gefolgt  ist,  alleiDigem  Laubliolze  voraug^aogen 
m  sein;  wenigstens  lassen  alte  Schriften  die  Ereignisse  sicti  am  liebsten 
im  dnnkeln  Tann  abspielen;  kber  im  GegensaUe  dasu  sch&tscte  nnd 
hfiteto  das  Mittelalter  vorzagsweis  Eiche  und  Bache.  Diese  Beiden  als  die 
stämmigsten  and  nutzbringendsten,  dabei  anch  reiche  Mast  för  das  anter 
ihnen  weidende  Borstenvieh  spendend,  galten  allein  als  Uartliolz, 
während  die  fibrigen  Bäame,  unter  den  Begrift*  des  Weichholzes  fallend, 
in  <>;eringerer  Achtung  standen. 

Wahrlich,  eine  Welt  an  I^oesie,  diese  alte,  giflne  Waldlien'lichkeit, 
wie  sie,  ans  nahe,  zuletst  noch  u.  a.  der  wendisch  gebliebene  Spree- 
wald innerhalb  Menschengedenkens  bewahrt  hatte;  je  nach  Ort  und 
Zeit  bevölkert  vom  Waldschrat  oder  der  Dziwisa,  vom  Köhler,  vom 
Jäger  nnd  der  Beerensammlerin,  der  liebste  Tummelplatz  der  Phantasie 
unserer  Vorfaiiren  zu  denen  die  Thiere  darin  nocli  mit  Menschenstimmen 
zu  reden  schienen;  anch  religiös  geweiht  durch  die  Kolosse  ungeheurer 
Eichen,  dem  Wodan  oder  Perkuu  heilig,  nicht  alle  vom  Beil  de,«< 
Christenapostels  gefällt.  Ein  Marienbild  in  hohler  Lärche  wunderbar 
erschienen  oder  ein  ebensolches  der  Nische  einer  tausendjährigen  Linde 
einverleibt,  was  waren  sie  wohl  anderes  als  wechselnde  S\  iti hole,  imter  deren 
Deckmantel  der  primitiv  arische  Baundvultus  sich  der  Menge  nnbewusst 
verbarg,  ja  in  der  That  unausrottbar  T-rtleMe?  Hier  war  die  Ileinuit 
des  in  Kudeln  schweifenden  Hochwildes,  hier  leitete  sdiätzend  der 


Wwdlmigeii  des  WaldM. 


63 


gewaltige  Eber  die  Schaar  Rostroifter  Frischlinge,  Iiier  sprang  der  Aflfe 
dm  Nonls,  das  schelmische  Eiclihörnchen,  von  Ast  zu  Ast,  oline  es 
nötig  zu  haben  zwischen  Rliein  und  Weser  den  Erdboden  zu  In  rühren. 

Vogelstiminenlant,  Bpechtdurchhäinmert,  bienenum summt,  und  dann 
wieder  durchtränkt  von  jenem  nnaussprechliclien  Schweigen  in  dem 
der  gi'osse  Pan  schliift,  schwellend  von  >[oos|t(tlstern  und  biirtiii:  durch 
Flechtenbehang,  so  lässt  tinsere  Eiubilduugskraft  das  Feenbild  wieder 
erstehen,  v<>r  welchem  alle  Wunder  der  Civilisation  erblassen.  lyoichtcr 
nachzufühlen  als  zu  beschrcil)en  sind  jene  Sjjiegelbilder  von  Waldlust 
und  W^aldeinsamkcit,  in  denen  Reminiscenzen  der  Verganp:enheit  und 
Genuss  der  Gegenwart  sich  traundiat't  vermischen.  Die  Seele  licii^t 
sich  anbetend  vor  ei!u»r  Allgewalt  der  Natur,  die  unser  »pät^j^rliorc  ncs 
Auge  nicht  mehr  schauen  kann,  nur  n<»cli  ahnungsvoll  und  schiiclitcni  in 
Stunden  des  Glücks  wieder  hcraufzuhc^cliwören  wagt.  Hv'i  solclicn 
Scenen  zu  vci  weilcn,  crsclieint  fast  siunbetliörend.  Ol»  Viele  tViliii;  >iinl 
sie  durcli/.iikosten?  Ks  ist  wiedci'uni  der  Wald,  der  durch  die  Ötiuime 
sciuer  waiiren  Freunde  darauf  Antwoit  liflicn  wird. 

Wir  wunden  uns  von  solchen  Pliauiasinagorieu,  ülier  die  uuMir  als 
<'incr  den  Kopf  sciiuttclu  wird,  ciui'r  innnci*  noi  h  st  luuii-n  und  an- 
heimelnden Wirklichkeit  zu.  Weit  ist  zwar  der  Wei;  \i»n  Dichteiii  wie 
KicheiidorlV  und  Leiuiu  zu  praktischen  Forst  tu. i  uuei-n,  eiuüui  l]urj;^<l<u  r, 
Pfeil  oder  Danckelmann.  die,  von  jeder  ('heilst  liwaugiichkeit  frei,  lehren 
wie  der  /.uui  Forst  ningewatnlelte  Wald  der  Neuzeit  zum  Wohl  der 
Menschheit  und  des  Staats  zu  l»eliandeln  und  zu  verwalten  sei.  liier 
herrscht  positive  Thatkraft  m-lirn  \ erstaiides^euüissein  Wissen  vor;  hiei* 
erkennt  man  im  Wald  einen  wichtigen  Faktor  dei-  Natio!ialökon(unie, 
als  seine  Hau[>tautjnal>e  die  Föi-derung  der  im  kälteren  Klima  doppelt 
wichtigen  1  li»lzpro(|iiktioii.  Es  bieten  sich  dieser  Anschauung  i^eniiiss 
in  allerdings  hmgeien  Zeitabschnitten  die  bewundernswerlesten  Stamnu» 
dem  Abhielt  dar:  die  Axt  tiitt  erntebeieit  an  die  Stelle  von  Sense  und 
Sichid.  Der  Wald  hat  nun  anderen  Zwecken  zu  dieiieu  als  denen, 
welche  dem  ästhetischen  Geschmack  entsprechen.  .Deshalb  kann  er 
nicht  immer  schön  sein.  Anfang  wie  Ende  seiner  Insassen,  der  Bäume, 
lassen  oft  unliebsame  Züge  erkennen. 

Aus  dem  Tninm  des  Ideals  er\^'achend,  unigiebt  den  Ernttchterten, 
der  sich  gegenwärtig  im  Forste  umschaut,  gar  oft  ein  -  ganz  anderes 
Medium  als  das  von  ihm  Gewollte.  Noch  der  Plftnterbetricb  wörd«» 
ootdörftig  zufrieden  stellen,  aber  statt  seiner  dehnen  sich  weite  Kahl- 
schlage  abwechselnd  mit  Schonungen  und  grauem  Stangenholz,  dessen 
Reizlosigkeit  es  kaum  als  den  missgestalteten  Jugendzustand  der  im 
Alter  so  schönen,  rotrindigen  Kienfichte  erkennen  lässt  Wildzäune, 
Drahtgitter,  Telegraphenstangen,  verl>otene  Stege.  Man  ist  froh,  noch 
einen  Weg  vor  sich  zu  sehen,  den  zn  betreten  erlaubt  ist,  wenn  man 


54 


CftrlBoUe: 


sich  des  Abweichons  nach  rpchts  oder  links  hin  enthält.  Aber  hüten 
soll  man  sich,  etwa  im  Grase  des  Ghausseegrabens  lagernd,  früh* 
stäcken  zu  wollen.    Der  Gendann  könnte  kommea. 

So  wird  der  lebhaft  empfandeue  antike  Horror  sylvarnm  zur  heil- 
samen  Funlit  vor  Polizeiverordnungen.  Wenn  man  darüber  nachdenkt: 
Genofeva  dürfte  es  nicht  mehr  wagen  im  Tann  des  Wasgau  oder  der 
Ardennen  sich  heimlich  sesshaft  zu  machen;  noch  schlimmer  würde  es  ihr 
ergehen,  wenn  sie  die  Jangfem-  oder  die  Wuhlhaide  zum  Zufluchtsort 
gewählt  hätte.  Aufgeschrieben  und  wegen  Vagabondagc  und  Obdachlosig- 
keit verantwortlieh  gemachte  AncliKlein-Däuinliog  möchte  ich  nicht  raten« 
Erbsen  auf  den  Waldweg  zu  streuen,  was  ihm  als  grober  Unfug  aus- 
gelegt werden  könnte.  Für  den  Bruder  Niklas  von  der  Flüe  konnte 
sein  Entweichen  unter  den  Schirm  eines  grossen  LärchenlMiiiins  der 
Alpen  noch  als  ehrenhaftes  OI>daeh  gegolten  haben;  unseren  modernen 
i^Naturmenschen''  ist  der  gleiche  Vorzug  nicht  mehr  gegönnt  Dafür 
durchzieht  den  Wald  jetzt  trupp weis  der  Radfahrer,  die  sonst  einsamsten 
Orte  heimsuchend  und  mit  Fettpapieren  bestreuend:  ein  unvermeidliches  ' 
modernes  Kultiubild»  vor  welchem  der  uns  vertrautere  Reiter  za  Ter- 
sehwinden  droht. 

So  sieht  es  jetzt  in  dem  riitionull  )iewii*tsohafteteD,  zum  Forst  um- 
gestalteten Walde  aus,  wo  jeder  Fusßbreil  vermessen,  jedes  Jagen  ab- 
gezirkelt, die  schönsten  Waldwege  verboten  sind  und  kaum  ein  Baum 
sich  mehr  von  selbst  auszusäen  wagt,  weni^fstcns  in  der  Nähe  der 
Grosstadt  nicht.  £s  ist  dies  eben  dei  Wald  im  Lichte  aufgeklärtester 
Oivilisation.  Der  wandernde  Mensch  wird  ungern  darin  gesehen  und 
rangirt  glficli  neben  dem  scliiullif  heu  Forstinsekt.  Zwischen  um- 
friedetem Park  und  Wald  wird,  abgesehen  von  räumlichen  Verhältnissen, 
bald  wenig  Unterschied  mehr  sein,  vorzüglich  wo  sich  das  Gehölz  die 
Üppigkeit  seines,  von  einem  Kest  an  Strauchwerk  noch  durchsetsten 
Baumwiichses  bewahrt  hat.  Schon  ist  nicht  gerade  zum  Schaden  der 
Begriff  des  Schmuckwaldes,  welchem  Letzteren  es  natürlich  an  Unter* 
holz  und  Blumen  nicht  fehlen  darf,  erfunden  und  aufgestellt  worden. 
Wo  Busch  war,  ist  sicher  eine  Fasanerie  angelegt  worden.  Trots  aUe- 
dem wird  N\ei  sucht  überall  Partien  finden,  halbvergessne  heimliche 
Winkel,  die  dem  Natursinn  entsprechen  und  selbst  noch  eine  bescheidene 
Illusion  der  Wildnis  in  anspruchlosen  Gemütern  wachzurufen  ver- 
mögen. Zu  derb  grau  in  grau  zu  malen,  darf  daher  nicht  ffir  alle 
Orte  passen  und  selbst  fär  diejenigen,  die  gemeint  sind,  nicht  allzu 
ernst  genommen  werden. 

Wer  denkt,  ausser  gelegentlicher  antiquaiischer  Gelehraamkeit 
der  socialistischer  Nörgelei,  noch  daran,  dass  unendlich  viel  Wald  einst 
Eigentum  freier  bäuerlicher  Markgenossenschaften  gewesen  ist  und  sein 
Holz,  seinen  Honig  und  Wachs,  seine  Beeren  und  Pilze,  seinen  Vogel- 


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Waadlosgtn  das  Waldei. 


55 


fang,  ja  sogar  seiiio  Jagdbeute  nicht  dem  Einzelnen,  sondern  der 
Gf'meinde  zu  gute  kommen  liess.  Di«»  Baueriiliaide.  iiUordings  langst 
separiert,  Idciht  ein  schwaclior  Abglanz  sidcher  früher  arkiulisclier  Zu- 
stände. Auch  den  Zeidler,  der  den  Honig  der  \Yildbienen  auszunutzen 
veratand,  kennt  wenigstens  der  märkische  Wald  nicht  mehr.  Sein  Bast 
war  die  den  ersten  Fridiling  rosenrot  anlächelude  Daphoe,  der  davou 
noch  heut  der  Name  Seidelbast  gehlieben  ist. 

Zur  Zeit  gidiört  bei  uns  aller  Wald  fast  ausschliesslich  dem  Staat 
oder  Latifundienherreu,  in  deren  Händen  er  auch  am  Besten  aufgehoben 
sein  därfte.  Nor  einzelne  Städte  sind  nebenbei  noch  im  Besitz  mehr 
oder  weniger  grosser  Forsten  geblieben. 

Han  liest  in  Waldsachen  aus  Grimms  klassischen  Rechtsaltertflmem 
manche,  nach  des  Autors  Urteil  „nnveijährbare  Bitterkeit*  heraus.  Als 
Correctiv  dazu  mag  dienen,  dass  es  ohne  straff  geregelte  forstliche 
Organisation  wahrscheinlich  überhaupt  kaum  noch  Wald  hier  zu  Laude 
geben  wurde.  Unter  dem  Einfluss  entgegengesetzter  Prinzipien  hat  sich 
seine  Vernichtung  anderwärts  in  weniger  als  einem  Jahrhundert  schon 
grossenteils  vollzogen.  So  annäherungsweise  in  den  dstlichen  Staaten 
Nordamerikas. 

Ausserhalb  unserer  Grenzen  macht  steh  in  Europa  bei  gesteigerter 
Zerstdcklnng  des  Grundbesitzes  eine  starke  Tendenz  bemerkbar,  den 
Wald  zum  Garten  umzuwandeln.  Der  Baumwuchs  wQrde  wohl  etwas, 
doch  nicht  allzuviel  dabei  verlleren.  Die  Olivenhaine  Italiens  sind  eine  alte 
Eta^ipe  auf  diesem  Wege.  Der  Umkreis  unserer  grossen  Städte  bewsgt 
sich  in  kleinerem  Maasse  hie  und  da  in  analoger  Richtung.  Ein  Schritt 
ihr  entgegen  ist  die  Kolonie  Grunewald,  der  sich  die  Parzellirungen 
in  Schönholz  wie  in  der  Heiligenseer  Bauemhaide,  mit  Übergehung 
anderer  Ausschlachtungen  zu  Vülenterrains,  nur  diese  wenigen  Beispiele 
anzuführen,  zugesellen;  vleUeicht  sänmitlich  nur  Vorläufer  des  grossartigen 
Projekts  dem  Gesammtareal  des  Grunewalds,  dieses  unvergleichlich 
schön  gel^nen  Reviers,  eine  veränderte  Bestimmung  zu  geben,  sei  es 
als  kunstlos  sich  selbst  überlassener  Urwald,  sei  es  als  weit  ausgedehnter 
Volkspark,  dem  Tiergarten  der  Berliner,  diesen  aber  an  Grösse  unendlich 
überflügelnd,  zur  Seite  gestellt  Das  wird  dann  wieder  ein  anderer  Wald 
sein,  der  Wald  des  Frohsinns  und  allgemeinen  Menschengldcks,  wider- 
hallend von  Liedern  und  Klängen  einer  im  Freien  sich  tummelnden 
Menge,  gewiss  eine  der  schönsten  Bestimmungen  des  Forstes.  Da 
werden  junge  Pärchen,  vom  Spiele  abwärts,  still  hei  Seite  schleichen, 
Knaben  nach  Nestern.  Schnietterliii^en  und  Eidechsen  ausspähen  und 
Mütter,  leis  erschreckend,  ihre  kleinen  Mädchen,  naeli  l'ontanes  reizenden 
Worten,  wie  die  Sehueehühner  hinein  und  wie  die  i'ei'lhfihner,  bespritzt 
von  Besingsaft,  wieder  herauskommen  sehen. 


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56 


OmABoU«! 


Dpi'  märkische  Wald,  uns  hier  vorzugsweis  beschäftigend,  hat, 
wenn  auch  in  geringer  Zahl,  Bauniarten  verschwinden  oder  sich  ver- 
ringern sehen,  die  ihm  sonst  eigeii  waren,  so  den  Taxus,  die  Elsbe«»i'o 
und  daneben  die  noch  v»in  Willdenow  als  heiniiscli  gekannten  IT«»(  h- 
sträucher  der  Pinipernuss  (Staphylea  pinuata)  und  des  breitldättrigreu 
PfatVenhuts   (Evoii\iniis   latitVtliaj.     Wir  behalten  uns  vor  darzutliun, 
welche  reichliche  Entschädigung  für  solchen  Verlust  durch  ihm  zugeführt« 
Fremdlinge  seinei-  wartet.    Auch  der  Wildbestaiid  hat  sich  verändert, 
indem   al»oeseheu  von  den  Verschollenen  grauer  Urzeit,   Aueroclis  nn<i 
Elch,  der  Damhirsch  mehrfach  au  die  Stelle  des  aborigeuen  Rotwilds 
getreten  ist  und  die  Wildkatze  und  der  Nörz,  letzterer  an  das  Wasser 
gebunden,   nur  noch  in  sehr  geringer  Zahl  v«»rlianden  sind.    Da.s  Ver- 
schwinilcn  der  grossen  Raubtiere  Bär,  Wolf  und  Luchs,  wird  eher  als 
Cllück  empfunden  werden,  so  aucli  das  Einfriedigen  der  dem  Ackerbau 
zu  grosse  Gefahr  bringenden  Wildschweine. 

Mehr  Anlass  zum  Bedauern  giebt  das  Fehlen  oder  dotdi  die  fort- 
schreitende Verminderung  e<ller  Vogi  larien.  So  verlassen  un>  mehr  oder 
weniger  Stein-  und  Schlangenadler,  Uhu,  Nachueiher,  Auerhahn,  Grau- 
gaus. Stark  im  Rückgange  begrifleu  >ind:  schwarzer  Storeh,  Baumentc, 
Kolkrabe,  Schwarzspecht,  Hohltaube  und,  was  am  meisten  zu  bekliigeii, 
die  vor  nicht  allzulange  noch  bei  Berlin  häufige  schimmernde  Blaurake, 
neben  dem  Eisvogel  das  Juwel  unserer  Ornithologie.  Unableugbar 
bleibt  die  Veminderang  vieler  kleiner  Waldvögel,  die  sich  ungeachtet 
aller  Fangverbote  und  Schatzvorrichtungen  in  bedenklich  fortBohreitendem 
Maasse  vollzieht.  Hierher  gebdrt  auch  als  ein  landschaftlicher  Röck* 
schritt  die  allerdings  vom  Standpunkt  der  Nfitzlichkeit  aus  gebotene 
Ablösung  der  Weidegerechtigkeiten,  welche  die  grasenden  Heerden 
zahmen  Viehs,  diese  reisvolle  Staffag«^  von  Wald  und  See,  mit  ihrem 
Schellengeläut  aus  den  Forsten  verwiesen  hat. 

Mag  es  in  England,  wo  der  natürliche  Wald  sich  in  die  meilen- 
weiten Parks  der  Grossen  gerettet  hat,  mehr  alte  und  schdne  Eincel- 
bänme  geben,  mögen  Schweden  und  Russland  ausgedehntere  Waldbesirke 
aufzuweisen  haben,  unser  deutscher  Wald  wird  immer,  soweit  Europa 
in  Betracht  kommt,  den  ersten  Rang  behaupten  und  seine  Hüter,  unser 
ehrenwertes  Forstpersonal,  kann  demgemäss  all  seinen  BernfiBgsnossen 
in  der  Fremde  zum  Muster  dienen.  Die  märkischen  Reviere  mögen 
unter  anderem  stolz  auf  ihr  altes  Privilegium  sein  hinter  denen  keines 
anderen  Landes  zurückzustehen.  Ihr  ausgedehnter  Umfang  geht»  jetzt 
wie  früher,  in  fast  unermessene  Weiten.  Wer,  um  nur  ein  Beispiel  an- 
zuführen,  von  den  Sandhöhen,  die  wir  Berge  nennen,  von  den  Kranicfas- 
bergen  bei  Woltersdorf  etwa,  den  Blick  über  wogende  Wipfel  des 
Waldmeers  uoentwegt  bis  zu  fernen  Horizonten  schweifen  lässt,  wird 
mir  gern  beistimmen.  So  die  Baruther  Forsten  ehe  die  Glashütten  all 


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Wandhuitait  det  WaldM. 


57 


das  hohe  Holz  frasseu.  Man  glaubt  bisweilen  das  Rad  der  Zeit  rück- 
wärts rollen  zu  hören  und  kann  sich  einbilden  mit  Kohlhaas,  dem  leizUm 
iinsrer  Räuber  giossen  Styls,  durch  die  Spreehaiden  zu  reiten.  Ein 
Forstmann  von  Profesisinn  würde  über  so  geringe  Exemplifikationen 
lächeln,  die  hier  angeführt  werden,  weil  sie  uns  durch  per^^önliche 
Erinnernngen  wert  sind.  Den  viel  schöneren  Buchenwäldern  von  Ebers- 
walde,  Chorin,  Oderberg  nnd  Mentz  weihen  wir  gleichfalls  ein  sym- 
pathisches (Jedenkeii,  Zechliii  nicht  zu  vergessen.  Glänzendere  Be- 
waldung glciclior  Art  besitzen  selbst  Seehmd  und  Fünen  nicht,  deren 
Küf  als  Euchen  ersten  Ranges  erzeugend,  doch  weltknndig  ist.  Wer 
vermutet  wuhl  ihnen  Ebenbüitiges  in  der  beim  Bildungsphilister  als 
steril  vei^clirieenen  sandigen  M;irk  llrandeuluirg?  Alle  Riesengestalten 
noch  stehender  uralter  Eichen,  alle  pluniomenale  Linden  in  Dorf,  Stadt 
nnd  Wald  voUstiindig  aufzuzählen,  wh*d  selbst  das  in  Vorbereitung  be- 
griflne  Merkbuch  Mühe  haben. 

Zu  beklagen  bleibt,  dass  mehr  und  mehr  auf  unseren  Fluren  jene 
Peldhülzer  Schwinden,  die  den  Wald  im  Kleinen  darstellten  und  ihn 
iiiuiiiten  dei'  Ackerwüste  verallgegenwiirtigteii :  daneben  jene  rpställe, 
die  Heimstätte  grosser  Weissdorne,  unter  weh^hen  Hirt  und  Heerde 
Scluitz  und  Stliatten  fanden.  Sie  haben  nun  meist,  mit  Ilütungen  und 
Kojipeln  zugleich,  aufgehört  zu  sein.  Leider,  nmss  man  sagen,  von  der 
<d"t  als  speciell  germanisch  gerühmten  V<>rliel»e  di's  Bauei  n  für  den  Hauni 
ist  aul  unseren  nächsten  ländlichen  N'achb;nii  wenig  genug  gekumrnen. 
Wie  würde  er  sonst  nicht  jene  wilden  Birnbauuu^  mitleidlos  gefällt 
haben,  die  der  Stolz  der  Feldmark  seiner  Väter  gewu'sen  waren? 
Legende  mag  zu  allen  Zeiten  diese  dem  Nationalbownsstsein  schmeichelnde, 
angebliche  Bauinfreuudlicbkeit  des  Landmanns  gewesen  sein,  nur  dasK 
sie  jetat  in  noch  krasserer  Form  anftritt  als  früher. 

Die  vorstehende  Betrachtung  des  Waldes  und  seiner  Wandliiugen 
hat  viel  Herrlichee  das  nicht  mehr  ist,  im  Gedächtnis  aufzufrischen  ver- 
sacht,  auch  viel  hinter  dem  kaum  Zurflckstehendes  in  der  Gegenwart 
anerkennend  gezeigt.  Von  der  Pracht  verflossener  Urzustände  hat  sie 
vielleicht  mit  besserem  Willen  als  Geschick  wenigstens  eine  Ahnung 
geben  wollen.  Es  haben  sich  auch  Dissonanzen  zwischen  tieferer  Natur- 
anschanung  und  faktisch  Bestehendem  enthüllt,  die  niemand  verletzen, 
noch  weniger  die  Hingabe  an  den  Wald  trüben  sollen.  Vom  matenelliBn 
Nutzen  nnd  dementsprechend  von  kalknlatorisch-bfireaukratischer  Be- 
rechnung in  Forstsachen  zu  handeln,  bleibe  selbstverständlich  Kom- 
petenteren überlassen.  Nicht  der  Grünrock,  nur  der  banmfreundliche 
und  selbst  mit  Vorliebe  baumpflanzende  und  baumpflegende  Dilettant  hat, 
das  grüne  Reis  gern  am  Hute,  die  Liebe  zum  Wald  warm  im  Herzen, 
auf  diesen  vaterÜtndischen  Blättern  einmal  zu  Worte  kommen  wollen. 


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Georg  Schuster: 


Markgräliü  Margarete  von  Brandenburg. 

Von 

Q«org  Schuster. 


Markgrafin  Margai'ete,  geboren  i.  J.  1511,  war  die  jaogste  Tochter 
des  Kurfürsten  Joachim  I.  von  Brandenborg  und  seiner  Gemahlin 
Elizabeth,  der  durch  ihre  Stellung  zur  Reformation  bekannten  dänischen 
Prinzessin,  der  Freundin  und  Verehrerin  Alartin  Luthers. 

Margaretes  älteste  Schwester  Anna,  1507  geboren,  vermählte  sich 
im  Januar  1524  mit  dem  Herzog  Albrecht  dem  Schönen  von  Mecklen- 
burg-Schwenn  und  starb  i.  J.  1567.  —  Die  nächstälteste  Elisabeth  wurde  in 
einem  Alter  von  l4'/s  Jahren  mit  dem  55  jährigen  Heizog  Erich  von  Braun- 
schweig-Llinebnig  vermählt.  Erich  starb  im  Juli  154<),  und  6  Jahre 
später  heiratete  die  30  jährige  Wittwe  den  um  8  Jahre  jüngeren  Grafen 
Bopiio  XVIII.  von  Henneberg-Scbleusingen.  Aber  schon  im  Jahre  1558 
schloss  (Uo  hochbegabte  und  weit  über  das  Durchschnittsiniiss  ihrer 
fürstlichen  Standesgenossiunen  hinaus  gebildete  Griilin  Elisabeth  die 
Augen  zum  i*\vigeii  Schhiramer.  Sii'  ist  die  erst«  SchriftstelltM'in  aus 
{b'iii  braiidenburgischeii  Hause.  Im  Jahre  154Ö  schricl»  sie  zu  Guusten 
ihres  Sohnes  erster  Kho,  des  jungen  Uerai^  Ei'ich  11.,  in  einer  umfang- 
reichen  Abhandlung  „Kegienuii^s-Regeln"  nicdn  .  Die  kostbare  Hand- 
schrift, ein  stattlicher  Quartbaud,  wii-d  iiocli  heute  in  Königsberg  auf- 
bewahrt und  beansprnclit  ihres  kulturhistorisch  interessanten  Inhalts 
wegen  einen  bleibenden  Wert. 

Ausser  diesen  Schwestern  sah  Margarete  noch  zwei  Brüder,  Joacliiin 

und  Johann,  an  ihrer  Seite. 

Eine  frühzeitige  Versorgung  heiratstaliiger  Töchter  war  zu  allen 
Zeiten  das  natürliclie  Streben  fürsorglieiier  Eitern.  So  wurde  denn  aucli 
unsere  Margarete,  über  deren  Jugend  und  Erzielning  sonst  nichts  bekannt 
ist,  kaum  lU  Jahre  ult,  im  Januar  15<jO  auf  dem  kurfürstlichen  Sclilo.s.se 
zu  Köln  au  der  Spree  mit  dem  Herzog  Georg  von  Ponnnern-Wolgast 
vei  niiihlt.  Die  Ehe  wurde  schon  nach  Verlauf  eines  Jahres  durch  den 
Tod  ili'^  Herzogs  irelöst.  \l>or  uiclit  «^ar  lange  dauerte  ilw  Witwen- 
staiul  der  Fürstin.  Bereits  uacii  Jahres  frist  warb  der  Fürst  Johann  IT. 
von  Anhalt-Zerbst  um  ihre  Hand.  Sie  wurde  im  Jahre  1534  seine  Gemahlin, 

Margarete  brachte  ihrem  riemahl  ein  Heii-atsgut  von  ^000  Guldeu 
in  die  Ehe;  dieser  verschriel»  ihr  als  jährli<'hes  Zins-  und  Renten- 
einkommen]^[die  sänUliciien  Einkünfte  von  12  Dörfern  im  Betrage  von 
4UÜÜ  Gulden,  sicherte  ihr,  im  Falle  sie  Witwe  werde,  das  Schloss 


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JUlkgiilltt  Mavgartto  ton  Bnuidenimig. 


69 


Rosslau  als  Witwensitz  zu,  ein  Vermächtuis,  das  unter  ZustimiDung 
der  Agnaten,  des  Domprobstes  Georg  und  des  Fürsten  Johann  von 
Dessau,  feierlich  verbrieft,  der  Fürstin  auf  liobenszeit  ^unversetst, 
unverkümmert  und  vor  aller  Ansprache  sicher"  verbleiben  sollte.  Ebenso 
sollten  ihr,  wie  es  in  der  Wittunisurkunde  heisst,  »das  eingebrachte 
Silbergeiüt,  die  Kleinodien,  Schmuck  und  alles,  was  zu  ihrem  fürst- 
lichen Stande  gehöre,  frei  nnd  nngehindert  bleiben".  Damit  schien  diu 
Zukunft  der  Fürstin  völlig  gesichert  m.  sein.  Und  doch  gestaltete  sich 
ihr  Leben  wider  Erwarten  zvl  einem  überaus  traurigen.  Es  war  ihr 
Los,  unter  den  wenigen  Damen  fürstlichen  Standes,  die  vor  nnd  nach 
ihr  ein  ähnliches  schweres  Geschick  duldend  getragen  und  handelnd 
bestritten,  die  erste  Stelle  einzunehmen. 

Schon  im  Jahre  1535  verbreitete  sich  bei  den  fürstlichen  Ver- 
wandten die  dunkle  Kunde,  dass  die  Schwester  mit  ihrem  (  iemahl  in 
Unfrieden  lebe.  Das  Gerficht  erhielt  bald  greifbarere  Gestalt.  Als 
Herzog  Albrecht  von  Prenssen  bei  Gelegenheit  einer  von  ihm  im 
Frühjahr  1587  nach  Deutschland  unternommenen  Reise  auch  dius 
anhaltinische  Gebiet  passierm  wollte,  wurde  ihm  das  erbetene  Geleit 
versagt.  Was  der  Gemahl  und  die  Schwüger  verweigerten,  suchte 
Margarete  aus  eigener  Machtvollkommenheit  su  gewähren,  indem  sie 
den  Vetter  dringend  zum  Besuche  nach  Dessau  in  ihre  »arme  Behausung** 
einlud.  Der  Herzog  kam  zwar  aus  begreiflichen  Gründen  der  Auf- 
fordemng  nicht  nach,  bat  sie  aber  seinerseits  zu  Gevatter.  Margarete 
beeilte  sich,  ihre  Freude  über  die  ihr  zugedachte  Ehre  auszusprechen, 
gleichzeitig  aber  der  Befürchtung  Ausdruck  zu  geben,  dass  der  Gemahl, 
der  sie  nicht  einmal  zu  ihren  Brüdern  ziehen  lasse,  die  Erlaubnis  zu 
einer  Reise  in  das  ferne  Grenzland  verweigern  werde.  In  bewegten 
Worten  gedachte  die  Vereinsamte  ihrer  unglücklichen  ehelichen  Ver- 
hältnisse, des  „Kreuzes,  das  ihr  von  Gott  auferlegt**,  und  ersuchte  den 
Herzog  um  etwas  Bernstein,  Einhorn,  „rechtschaffene  Elendsklauen* 
und  eine  „rechte  Otterzunge*  —  in  damaliger  Zdt  beliebte  Universal- 
heilmittel — ;  „denn  ich  fürchte*,  so  schloss  sie  den  wortreichen  Klage- 
brief, „ich  habe  von  bösen  Leuten  einen  schlimmen  Trank  bekommen*. 
Diesem  Umstand  schrieb  sie  auch  eine  Krankheit  zu,  an  der  sie  vor  der 
Geburt  ihres  zweiten  Sohnes  Joachim  Emst,  des  Stammvaters  der 
heutigen  Fürsten  von  Anhalt,  zvfanzig  Wochen  damiedeigelegsn  hatte. 

Auf  des  Herzogs  Bitte,  ihm  über  die  zwischen  ihr  nnd  dem 
Gemahl  bestehende  Spannung  nähere  Blitteilang  zu  machen,  bestätigte 
die  Fürstin  zwar  die  Thatsache  der  über  sie  im  Umlauf  befindlichen 
üblen  Nachrede,  bestritt  aber  deren  Wahrheit  Es  gebe  leider  hose 
Menschen  genug  in  der  Welt,  unter  deren  unnützen  Reden  ein  armes 
Weib  oft  unschuldig  zu  leiden  habe.  „Man  spricht*,  sc»  Ahrt  sie  fort, 
„in  Nöthen  soll  man  erkennen,  wer  Freund  nnd  Feind  ist;  ich  bin^s 


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60 


wohl  inno  gewnrflcn,  nlu  r  Gott  wird  mir  nocli  weiter  helfen!  Ich  bm 
gtjtllob  des  elirlicheii  (lerkoinmens,  dass  ich  niemals  etwas  anderes  in 
iiieineu  Sinn  nehme  und  anders  handeln  w&rde,  als  ich  vor  Gott  und 
aller  "Welt  za  ehren  will  bekannt  seyn". 

Der  Grflnde  zu  <l»'r  in  diesen  Zeilen  sirli  kiindthuenden  Miss- 
stimmung  gab  es  viele.  Es  scheint,  als  ob  Margarete  sich  in  ihrem 
neuen  Wirkungskreise  nicht  habe  zürecht  finden  können.  Hierzu  kam, 
diiss  der  frühzeitig  von  dauerndem  Siechtum  befallene,  willensschwaclie 
Gemahl  ein  gefügiges  Werkzeug  in  der  Hand  einer  allmächtigen  Hof- 
kamarilla  war.  Die  der  Fürstin  feierlich  verbrieften  Einkünfte  wurden 
ihr  entweder  gänzlich  vorenthalten  oder  ihr  nur  in  unzureichendere 
Masse  gewährt.  Zu  der  Zeit,  da  sie  mit  dem  herzoglichen  Vetter  in 
Vei'bindnug  trat,  empfand  sie  es  besonders  drückend,  ein  ilur  von  ihrer 
Scliwügerin,  der  Kurfürstin  Hedwig  von  Brandenburg,  vor  Jahren  vor« 
geschossenes  Darlehen  von  <HJ()  Gulden  nicht  zurückzahlen  zu  können. 
(Iii  sie  „nichts  Eigenes  habe**.  Nur  die  Aussicht,  diese  Summe  von  den 
Einkünften  des  ihr  in  kurzem  zü  überweisenden  „Leibgedinge*'  Rosslau 
allmählich  ersparen  zu  können,  gewahrte  ihr  einigen  Trost. 

Es  ist  hier  nicht  der  Ort,  den  Ränken  und  Tücken  der  Kamarilla 
im  einzelnen  nachzugehen  und  den  dunklen  Pfaden  zu  folgen,  auf  denen 
die  Lemui'en  eifrig  am  Werke  waren,  der  Fürstin  ein  frühes  Grab  zu 
bereiten.  Der  Hinweis  dürfte  vielleicht  genfigen,  dass  beide  Parteien 
iu  fast  zehnjährigem  Kampfe  ihre  Kräfte  massen,  bis  der  Widerstand 
der  kühneu  Frau  völlig  gebrochen  war. 

Im  Jahre  1547  brachen  die  Stürme  des  schmalkaldischen  Krieges 
verheerend  über  das  protestantische  Sachsen  herein.  Auch  das  Fürsten- 
tum Anhalt  wurde,  obwohl  der  Hei*zog  Johann,  Margaretes  Gemahl, 
infolge  körperlicher  Schwäche  an  den  Kriegsereignissen  keinen  tbätigen 
Anteil  genommen  hatte,  von  den  kaiserlichen  Völkern  schwer  heim- 
gesucht. Johannes  Bruder  Wolfgang,  der  auf  der  Seite  der  scbinal-^ 
kaldischen  Verbündeten  gestanden  und  in  der  Schlacht  bei  Mnhlberg 
mitgefochten  hatte,  verfiel  der  Reichsacht,  verlor  Land  und  Leute  und 
irrte  jahrelang  in  mancherlei  Verkleidungen  als  heimatloser  Flüchtling 
in  den  Schluchten  des  Harzes  umher,  bis  endlich  der  gutmütige  Hensofg 
Albrecht  sich  des  Bedrängten  annahm  und  ihn  an  seinen  Hof  rief 
Erst  durch  den  Passauer  Vertrag  (1552)  erhielt  Wolfgang  sein  Land 
zurück.  T>iese  Zustände  in  den  verarmten  anhaltischen  Ländern  und 
die  damit  verbundene  weitere  Schmälernng  der  ihr  rechtlich  zustellenden 
Apanage  war  der  Ausgangspunkt  jener  Kette  schwerer  Leiden,  die  nun 
über  die  Fürstin  hereinbrachen. 

Ihr  Hofstaat  war  bis  auf  zwei  Mägde  niederen  Standes  entlassen. 
Die  eigenen  Kinder,  die  der  unglücklichen  Mutter  bis  dahin  Trost  und 
Hoffnung  gewahrt,  waren  ihr  genommen.   Der  Gemahl  siechte  jammer- 


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Markgrttfia  Mugarate  von  Bnmdenborg. 


61 


voll  dahin.   Ilm  zu  besuclieu  oder  gar  zu  püegeu,  war  der  Gattiu 

Von  hein  N'erkelir   mit   der  Aiisseiiwclt  al»<,H'><  liiiUten  —  die 

KorresiHiüdi'iiz  mit  den  (Ifscliwistci  n  li:itto  sie  liiiiust  eiiistelien  inüsstMi  — 
auf  Schritt  und  Tritt,  Ta^j;  und  Niiclit  hewaclil  luid  l^tdaucrt,  wiirdt» 
der  aniu'ii  Frau  das  lieben  zur  Qual.  Der  eiir/iire  Mensch,  der  in 
dieser  Not  treu  zu  Margarete  hielt,  war  ilir  neseiiicUter  Leibarzt 
Christoph  Böhmer,  ein  Mann  von  tuiUdlosem  Kufe  und  unbestechli<-her 
Kediiciikeit,  derselbe,  dessen  Kunst  sie  ilire  Kettung  aus  schwerer 
Todesnot  zusciiriel», 

Ihi  bt^aiin  die  iiitrigue  mit  erneuter  Kiaft  ihr  \erhiingnü^N olles 
Sijiel.  l{;inUesii(hti£je  (^e«f']nrhtenträ*?er  und  klal>(li>ii(lifige  (Jeliarden- 
>|taluM  liiiitcrlnachten  dt'm  Müden  (irnuild  dii-  aufregende  Kunde, 
Margarete  habe  ihre  Neigung  dem  Leil»ar/t  Ijüinner  zugewandt,  habe 
ihm  einen  Teil  ihres  Sill»ergeriites  zum  Einschmelzen  überliefert  und 
ihm  auch  ihre  Kleinodien  ausgehändigt.  Noch  schlimmero  l>inge  w  urden 
der  unglücklichen  Fran  nachgesagt,  und  die  geschäftige  Fanui  war 
eifrig  bemäht,  ihre  Handlungen  mit  dem  verfülu*erischeu  Reize  der 
Romantik  xa  schmficken.  XossBve  Anseiehen  schienen  fBr  die  Selinld 
der  f&rstUchen  Fi*aa  zu  sprechen.  Sie  wurde  daher  in  Verhaft  genommen. 
Auch  Böhmer  entging  seinem  Schicksale  nicht.  Während  er,  einst  der 
gefeierte  Höfling  und  Vertraute  des  Hofes,  in  einem  finsteren  Gefäng- 
nisse Gelegenheit  hatte,  tiber  die  Wandelbarkeit  der  menschlichen  ]>inge 
nachzusinnen,  harrte  die  FOrstin  in  einem  Turmgemach  des  AusgangK 
der  angestellten  umständlichen  Untersuchung. 

Bei  dem  Mangel  wahrheitsgetreuer  und  unparteiischer  Nachrichten 
Ober  den  Gang  und  das  Uesultat  derselben  ist  es  unmöglich,  sich  ein 
einigermassen  sicheres  Bild  von  den  Ereignissen  zu  maclicn.  Wohl 
mögen  einzelne  Unbesonnenheiten  dem  giftigen  llofktatsch  allzu  reich- 
liche Nubrung  geboten  imd  boshaften  Vermutungen  Raum  gegeben 
^liaben.  Aber  daFS  der  Verkehr  der  Beschuldigten  die  Grenze  des 
Erlaubten  überschritten,  ist  durdi  nichts  erwiesen  worden,  ist  s<^r 
völlig  ausgeschlossen.  Fast  in  allen  ihren  Briefen  kunimt  di«»  Füi'slin 
auf  diesen  Vorfall  zu  sprechen,  weist  aber  jt'de,  auch  die  leiseste,  Ver-, 
dächtigung  ihrer  Person  energisch  zurück  und  erbietd  sieh  zinn  Hewcise 
ihrer  Unschuld.  Man  wii-d  solchen  fortgesetzten  leideuM  haftlidien  Be- 
teuerungen einer  in  ihren  iieiligsten  Ciefühlen  verletzten  Frau  uni>edingt 
Glauben  schenken  dürfen.  Auch  das  mit  peinlichster  Schärfe  geführte 
Eruiittelnngsvei'fahren,  bei  dem  wiederholte  gi  ausame  Verhöre  des  Arztes 
auf  der  Folter  eine  Holle  spielten,  war  nicht  imstande,  etwas  Nachteilige- 
nach  dieser  Richtung  an  den  Tag  zu  bringen.  Nur  der  Verdacht  hins 
sichtlich  der  BeiseiteschatTuug  der  Kleinodien  hatte  insofern  eine  B»- 
stätigung  gefunden,  als  Böhmer  im  Auftrage  der  Fürstin  deren  eiu- 


62 


Georg  Sohuater: 


gebrachtes  Silbergescliirr  hatte  ausRer  Landes  schaffen  wollen.  Grund 
genug,  Margarete  und  Böhmer  nicht  aus  der  Haft  zu  entlassen.  Der 
schwer  gemisshand»'lte  Arzt  orliielt  erst  nach  zw^i  Jahren  auf  energische 
Fürsprache  der  Kurfürsten  von  Brandenburg  und  Sarlisen  seine  Freiheit 
wieder.  Die  leidenschaftliche  Fürstin  dagegen  fand  selber  Mittel  uud 
Wege  zu  ihrer  Befreiung. 

Nachdem  sie  länger  als  drei  Monate,  von  innerer  Unruhe  über  ihr 
Gescliick  verzehrt,  in  strenger  Haft  zugebraclit  hatte,  gelang  es  ihr 
endlich,  sich  mit  ihrem  jüngeren  Sohn,  dem  Prinzen  Joachim  Emst,  in 
Verbindung  zu  setzen.  To  einer  stürmischen  Dezembernacht  des 
Jahres  1550  wusste  der  Prinz  die  Wächter  zu  entfernen,  und  die 
Fürstin  sprang  nun  aus  dem  mehrere  Meter  über  dem  Boden  befiad- 
lichen  Fenster  ihres  Turine:tMnaclies  auf  den  Wall  herab.  Obwohl  von 
dem  wagehalsigen  Sprungt'  betäubt  und  am  Kopfe  verletzt,  raffte  sie 
sich  auf,  durchwatete  mit  beiden  Mägden,  die  sich  inzwisclicii  zu  ihr 
gesellt  hatten,  den  Wallgraben  und  setzte  unter  Aufbietung  der  letzten 
Kräfte  im  schützenden  Nachtdunkol  ihre  Flucht  fort. 

Unter  vielen  Fährlichkeiten  und  Abenteuern  erreichte  Margarete 
endlich,  von  nagendem  Herzeleid,  von  Hunger  and  Kälte  fast  auf- 
gerieben, die  alte  Hansestadt  LIkbeck. 

Von  Lftbedc  eilte  die  Ffiratin  nach  Travemfinde,  wo  sie  sich  einem 
dftnlfldMD  Kapitän  anvertraute.  Der  wackere  Mann  brachte  die  Be- 
Jammemswerte  nach  einer  der  dänischen  Inseln  nnd  setzte  anf  ihren 
Wunsch  ihren  Vetter,  den  König  Christian  III.,  von  ihrer  Ankunft  und 
ihren  Schidcsalen  in  Kenntnis.  Der  DänenkCnig  gewährte  der  Flflditigen 
eine  freundliche  Heimstatt;  er  stattete  die  Verarmte  mit  dem  Not- 
wendigsten aus  und  ftberwies  ihr  das  Kloster  Maribo  zum  Wohnsits. 

Nach  Monaten  yoU  bitterer  Enttäuschungen  sandte  die  Leidvolle 
im  Juni  1551  einen  treuen  Diener  mit  einem  noch  heute  im  K6nig8- 
berger  Archiv  aufbewahrten  Briefe  nach  dem  entlegenen  Preussenlande. 
Mit  der  beweglichen  Gesprächigkeit  eines  gedrfickten  Gemfites  schildeite 
sie  darin  die  Schwere  ihres  Geschickes.  »Ich  arme  betrübte  FQrstin'*, 
schreibt  sie,  „Icann  Ew.  Liebden  nicht  bergen,  wie  man  tyrannisch  und 
mörderisch  mit  mir  armen  betrfibten  Fürstin  umgegangen  ist,  dass  es 
sein  Lebtage  nicht  erhört  worden  ist,  dass  man  mit  einer  Fttrstlu,  die 
so  hohen  Stammes  gewesen,  umgegangen  wäre,  als  mit  mir  armen 
Frau.  Ich  bitte  £w.  Liebden  um  Gottes  Willen,  weil  Ew.  Liebden 
auch  meines  Fleisches  und  Geblüts  sind,  auch  ein  geborener  Blarkgraf 
von  Brandenburg,  und  ich  so  gar  verlassen  bin  von  aller  meiner  an- 
geborenen Freundschaft,  Ew.  Liebden  wcdleii  si(>}i  doch  Qtier  midi 
erbarmen,  denn  Gott  weiss,  dass  ich  nicht  mehr  liabe,  als  was  mir 
fromme  Leute  zuwerfen,  nnd  bin  doch  auch  so  gar  elendiglich  io 
unseres  lieben  Herrn  nnd  Vetters,  des  Königs  von  Dänemark  Land  an- 


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Markgrafln  MaifBrete  von  Brandenbiirg. 


68 


gekommen,  dass  icli  Ew.  Liebden  nicht  davon  schreiben  darf.  So  hat 
sich  seine  königliche  Majestät  über  mich  erbarmt  und  mich  in  ein 
Kloster  gethan,  darin  ich  nnn  verharrt  habe  bis  in  die  sechsundzwanxig 
Wochen.  Ainh  kann  ich  Ew.  T/iehden  nicht  verhalten,  dass  seine 
königliche  Majestät  mir  zwei  Röcke  hat  machen  lassen  und  ein  Stück 
Kammertnch  geschenkt»  dass  ich  wieder  bekleidet  worden  bin.  dafür 
ich  seiner  Majestät  nimmer  genngsam  danken  kann.  Ich  bitte  Ew. 
LiebdeTi  um  Gottes  Willen,  Ew.  Liebden  wollen  mich  jet2t  in  meiner 
höchsten  Betrübnis  nnd  Elend  anch  nicht  verlassen.'^ 

Solche  Offenbamngen  einer  verzweifelten  Franenseele  sind  von 
erschflttemder  Wirkung.  Sie  verfehlten  darum  auch  ihres  Eindrucks 
anf  den  Hersog  nicht.  Ein  Ffirst  von  mässigen  Gaben,  aber  mit  einem 
Uerzen  voll  ruhiger  Milde,  sonniger  Heiterkeit  und  redlicher  Frömmig* 
keit,  griff  Albrecbt  schlichtend,  begfttigend  und  helfend  fiberall  ein,  wo 
es  not  that.  So  versprach  er  denn  auch,  ungesäumt  die  nötigen 
Schritte  thun  zu  wollen,  um  seine  Verwandte  ihrem  tranrigen  Lose  zu 
entreissen.  Dem  Versprechen  liess  er  die  That  auf  dem  Fasse  folgen. 
Schon  am  18.  August  fertigte  er  zwei  Schreiben  an  die  branden- 
bniigisclien  Fürsten  ab,  in  denen  er  ihnen  das  harte  Geschick  der 
Schwester  in  beredten  Worten  vorführte.  Er  habe  sich  fiberzeugt,  dass 
die  gegen  Margarete  erhobenen  Anklagen  grundlos  seien;  ihr  sei 
schweres  Unrecht  widerfahren.  Aus  Mangel  an  den  notwendigsten 
Mitteln  sei  sie  gezwangen  gewesen,  versrliiedene  Kleinodien  zn  ver- 
pfönden.  Hierfür  seien  uoumstössliche  Beweise  vorhanden.  Er  schlage 
ihnen  voi\  Unterhandlungen  zu  einem  l>illigen  Ausgleich  mit  dem 
anhalti.schen  i lause  einzuleiten  nnd  auf  Mittel  zu  sinnen,  die  Schwester 
ans  ihrer  unwürdigen  Lage  zu  befreien. 

Der  Herzog  liess  es  indes  hierbei  nicht  bewenden.  Um  dem 
augenblicklichen  Notstand  Margaretes  etwas  zu  steuern,  wies  er  ihr 
durch  einen  Kaufmann,  der  Dänemark  in  Handelsgeschäften  bereiste, 
hundert  Gulden  an.  Im  Fnllgahr  1552  erhielt  er  jedoch  die  Nachricht, 
das  Geld  habe  der  Ffli-stin  nicht  ausgehändigt  werden  können,  da  sie 
im  Kloster  nicht  mehr  anzutreffen  gewesen  sei;  auch  wusste  niemand 
ihren  Aufenthalt  mit  Sicherheit  anzugeben.  Angesichts  dessen  Hess 
Albrecht  die  von  ihm  gespendeten  Barmittel  der  Gräfin  Elisabeth  von 
Henneberg  mit  der  Bitte  aushändigen,  sie  der  Fftrstin  bei  nächster 
Gelegenheit  zu  übermitteln,  was  dann  anch  geschehen  ist.  Ihre  Flucht 
ans  dem  Kloster  Mainbo  erklärt  Margarete  später  damit,  dass  sie 
von  ihren  anlialtischen  Verwandten  beim  Könige  „hoch  beschwert  nnd 
angegeben  sei,  dass  sie  bald  wieder  in  Haft  gekommen  wäre,  hätte  ihr 
nicht  ein  ehrlicher  aufrichtiger  Geselle  geholfen,  dass  sie  weggekommen 
wäre". 


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64 


Geoxg  Schlüter: 


Inzwischen  traten  dio  brandenburgisclien  Höfe  mir  den  Söhnen 
Margaretes  in  Verhandluni;  über  die  fernere  Versorgung  der  land- 
tlüchtigen  Muttor.  Da  oinr  Hü<"kkelir  in  ihr  Wittum  und  Leibgeding  iu 
Anhalt  nicht  tlmnlirh  schien,  s'»  sollten  sie  sich  verpflichten,  die  ihr 
gebührenden  Naturalleistungen  und  sunstisen  Einkünfte  iu  barem  Geldo 
aiisziizahlon;  sie  selbst  wüi'de  eiü  üoterkoumien  in  einem  der  braadeii- 
burgischen  Sciilösser  linden. 

Wir  kennen  die  Gründe  nicht,  welche  die  iii/.\Nischen  aus  dein 
Dunkel  der  Verborgenheit  wieder  aufgetauchte  Fürstin  bew<»gen  haben, 
von  iillen  diesen  Vorschlagen  abzusehen.  Nach  mehrnionatlicheni 
Aufenthalte  an  dem  Witwensitz  ihrer  Schwester  Anna  von  Mecklen- 
burg eilte  sie  nach  Münden,  an  den  llof  ihrer  Schwester  Elisabetli. 
Auf  eiiu^m  elenden  Rauerngefiihrt,  das  sonst  so  schone  Antlitz  von 
Gram  und  Schmerz  durchfurcht,  so  dass  sie  „ganz  alt  und  unge.stalten" 
aussah,  nur  von  einer  jungen  Magd  und  einem  Iteitknecht  begleitet, 
zog  sie  in  die  gräfliche  Residenz  ein. 

Die  harte  Schale  des  Unglücks,  die  bisher  diirclizumachen  die 
FOrstin  aosersehen  war,  scheint  damals  ihr  Gemüt  nachteilig  beeinflasst 
SU  haben.  Weuigstons  schreibt  die  OriUin  an  den  Herssog,  nachdem  sie 
die  Schwester  fünf  Wochen  beobachtet  liatte:  „Sie  ist  nicht  alle  Zeit 
bei  sich  selbst,  nimmt  viel  vor,  was  Ew.  Liebden  nicht  gefallen  wQrde. 
Sie  ist  ganz  nnbest&ndig,  kann  sich  mit  niemand  vertragen.  Sie  giebt 
auch  immer  Freien  vor.  Sie  hatte  mich  selbst  auf  den  Weg  gebracht, 
dass  ich  ihr  einen  Grafen  von  Waldeclc  freien  sollte.  Da  ich  nnn 
meinte,  es  w&re  was,  da  liefen  Ihre  Liebden  wieder  ganz  znrfick  nud 
solches  will  sich  in  solchen  Sachen  nicht  wohl  reimen,  wie  Ew.  Liebden 
als  ein  verständiger  Fürst  wohl  zu  ermessen  liaben.**  Znm  Schlnss 
ersuchte  sie  den  Herzog,  Margaretes  Sache  eifrig  bei  ihren  Brüdern  und 
Söhnen  zu  betreiben.  Diese  Schilderaiig  erfüllte  Albrechts  Herz  mit 
Mitgefühl  nnd  bewog  ihn,  zu  Qnnsten  der  beklagenswerten  Base  nun 
auch  bei  den  Anhaltinern  energische  Vorstellungen  zn  erheben. 

Während  die  Verhandlungen  noch  schwebten  und  Aussicht  vor^ 
banden  war,  dass  Jene  ihren  Verpflichtungen  nachkommen  würden, 
überraschte  die  leicht  entzündliche  Phantasie  der  Kranken  ihre  Ver- 
wandten mit  einem  neuen  abenteuerlichen  Plane.  Der  Herzog  hatte  ihr 
bereits  früher  eine  sichere  Zufluchtsstättt^  in  seinem  Lande  angeboten. 
Auf  diese  Zusicherung  kam  Margarete  plötzlich  zurück  in  einem  merk- 
würdigen, aus  Münden  an  Albrecht  gerichteten  Briefe  vom  15.  November 
1052.  „Es  sei  ihr,  der  armen,  betrübten,  elenden,  trostlosen,  verlassenen 
nnd  verachteten  Wittwe,"  so  schrieb  sie,  „ein  grosser  Trost»  dass  sie 
an  ihm  doch  noch  einen  Freund  finde,  dei'  sich  ihrer  annehmen  wolle.'* 
Und  nun  erging  sie  sich  teils  in  aufregenden  Klagen  und  Vorwürfen 
gegen  ihre  nächsten  Angehörigen,  teils  gab  sie,  die  »wohl  verzagen  nnd 


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Markgr&fin  Margarete  von  Brandenbarg. 


65 


vor  Leid  sterben  möchte",  in  wehmütiger  Resignation  dem  Wunsche 
Ausdruck,  die  wenigen  ihr  vonuissichtlich  noch  beschiedenen  Tage 
ohne  aUes  Gepränge  in  beschaulicher  Ruhe  verbringen  zu  dürfen,  teils 
aber  begehrte  sie  im  Gegensatz  zu  dieser  Anspruchslosigkeit  von  dem 
Herzog  die  Einrichtung  eines  eigeni  n  Hauses  und  bestimmte  zugleich 
ihren  zukünftigen  Hofstaat:  ein  Prätlikaiit,  drei  adlige  Jungfern,  ein  Hof- 
meister, eine  Hofnieisteriii,  zwei  Mägde,  eine  Köchin,  drei  Edelknaben, 
zwei  an<h*re  Knaben,  ein  Thürknecht,  ein  Jungfernknecht,  zwei 
Läufer,  acht  Wagenpferde,  drei  Zelter  und  noch  verschiedene  audcre 
Dinge  —  das,  deutete  sie  an,  wurde  etwa  das  Mass  dessen  ansinacheo, 
was  ilir  als  einer  Dame  von  hoher  Geburt  snkomme. 

Es  war  vorausznsehen,  dass  der  Herzog,  der  selbst  in  seinem 
armen  Lande  mit  bescheidenen  Ifitteln  sorglich  hanshalten  mnsste, 
einem  solchen  YorscfaUige  widersprechen  wfirde.  In  einem  umfang- 
reichen Schreiben  ans  dem  Januar  1553  setzte  er  Blaigarete  in 
schonender  Weise  die  Gründe  aoseinander,  die  ihrer  Anfoahme  bei  ihm 
in  der  von  ihr  gewünschten  Weise  entgegenständen. 

Ob  dieses  für  die  damaligen  Zustände  charakteristische  Schreiben 
in  die  Hände  Margaretes  gelangt  ist,  wissen  wir  nicht.  Es  ist  kaum 
anznnehmen.  Hatte  sie  doch  bereits  um  die  Osterzeit  des  Jahres  1553 
Münden  wieder  verlassen.  Niemand  wusste,  wohin  sie  sich  gewandt 
Erst  im  Sommer  erhielten  die  Verwandten  unliebsame  Kunde  von  der 
Verschollenen.  Sie  kam  ans  einem  pommerschen  Dorfe,  und  zwar,  ein 
seltsames  Spiel  des  Zufalls,  von  dem  Grafen  Boppo  von  Henneberg, 
dem  Gemahle  Elisabeths.  Auf  der  Heimreise  von  Königsberg  begriffen, 
wo  er  zum  fiesuche  des  Herzogs  geweilt,  passierte  der  Graf  mit  seinem 
Gefolge  dn  in  der  Nähe  von  Stolp  gelegenes  Dorf.  Hier  begegnete  er 
zu  seinem  masslosen  Erstaunen  der  entschwundenen  Schwägerin  in 
Begleitung  eines  „jungen  Gesellen'^,  Namens  Hans  Jonas  von  Goltz, 
Seinen  stürmi.schen  Fragen  begegnete  sie  mit  der  ruhigen  Antwort,  sie 
sei  auf  dem  Wege  nach  Preussen.  Der  Graf  indes  machte  ihr  begreif- 
lich, dass  hiervon  keine  Kede  sein  könne  und  führte  sie  und  ihren 
Begleiter  nach  Stolp.  Aber  bereits  in  der  nächsten  Nacht  entkamen 
beide  unerkannt  aus  dem  Gewahrsam  des  pommerschen  Landeshaupt- 
manns Claus  Patkammer. 

lui  Oktober  1553  war  Margarete  noch  nicht  am  Ziele  ihrer 
Wanderschaft  angelangt,  üer  Winter  verging,  oline  dass  der  Herzog 
Albrecht  oder  ihre  nächsten  Angehörigen  über  ihr  Schicksal  das  mindeste 
erfuhren.  In  Sorge  um  die  „ganz  übel  geratene  Tochter"  und  von 
tiefem  Herzeleid  niedergebeugt,  bat  die  Mutter,  die  Kurfürstiu  Elisabeth, 
die  selber  durch  das  Fegefeuer  heisser  Seelenschmerzen  gegangen  war, 
den  Herzog,  „dem  ungeschickten  Vornehmen  des  Laufens"  ein  Ziel  zu 
setzen,  Margarete  au  einem  geeigneten  Orte  unterzubringen  und  sie 

5 


66 


Georg  Schuster: 


durch  einen  frommen  Prediger  erinahneu  und  zu  der  Beiclite,  Jer 
Absolution  und  zum  Testamente  Christi,  als  solle  sie  ihren  Abschied 
von  dieser  Welt  nehmen,  auf  das  härteste  erschüttern  zu  lassen,  bis  die 
Verblendete  ia  sicli  gehe  und  sich  „zu  bessern"  versprechen  würde. 
Aber  so  dringend  die  hartgeprüfte  Mutter  auch  dem  Herzog  ihr  „grosses 
Kreuz  und  TTerzeleid"  aus  Herz  legte,  er  vermochte  ihr  keine  tröstende 
Nachricht  zu  spenden.  Sclunerz  und  Kummer  erschütterten  das  in 
Leiden  geprüfte  und  bewährte  Gemüt  und  bratht  n  das  edle  Mutterberz. 
Die  Kurfürstin  starb  am  'J.  Juni  1555.  Die  »(uälende  S<>r<i^e  um  das 
Schfcksal  des  verlorenen  Kindes  bat  die  livichgesiuiite  mit  ins  Grab 
geoommen. 

Im  März  1554  verbreitete  sich  in  Königsberg  das  Gerächt,  dass 
eine  Ytrwandte  des  herzoglichen  Hauses  in  einem  samläudischeu  Dorfe 
hause.  Die  Eonde  drang  audi  an  den  Hof.  Albrecht  liess  daraufbin 
n&here  Erkundigungen  einziehen,  fond  aber  zn  seiner  Traaer  alle 
schlimmen  Gerüchte  hestätigt.  Margarete  waltete  in  einer  Baaemhfitte 
in  Gemeinschaft  ihres  Gratten  Hans  Jonas  von  Goltz,  der  das  Elend  des 
Daseins  redlich  mit  ihr  teilte,  nnter  den  beschränktesten  Verhältnissen 
des  ärmlichen  Haushalts,  mit  ihrer  Hände  ungewohnter  Arbeit  ktim^le^ 
lieh  das  tägliche  Brot  erwerbend.  Fortan  kümmerten  sich  weder  der 
Herzog  noch  ihre  Brfider  um  die  Vereinsamte,  und  viele  Jahre  ve^ 
strichen,  ehe  sie  wieder  ein  Lebenszeichen  von  sich  gab.  Was  die 
Unglflckliche  in  dieser  Zeit  erlebt  und  gelitten,  vermögen  wir  nur  so 
ahnen.  Über  solche  Dinge  pflegen  keine  historischen  Aufzeichnungen 
vorhanden  zu  sein.  Die  Thränen  einer  unglflcklichen  Frau  sind  über- 
haupt selten  Gegenstand  der  Geschichte.  Späteren  Mitteilnngen  der 
Ffirstin  ist  zu  entnehmen,  dass  sie,  von  allen  verlassen  und  verachtet, 
viele  Jahre  in  jenem  samländischen  Dorfe,  in  Gemeinschaft  mit  ihrem  Gatten 
und  einer  Tochter,  in  qualvoller  Armut  zugebracht  habe.  Die  Liebe  sn 
ihrem  Kinde  war  der  tiefgebeugten  Mutter  der  einzige  sittliche  Ebilt  io 
ihrem  Unglück;  sie  war  es  auch,  die  sie  das  selbstverschuldete  Schick* 
sal  mit  geduldiger  Fassung  ertragen  liess  und  sie  endlich,  nach  Verlauf 
von  mehr  als  zehn  Jahren,  bewog,  sich  den  erzürnten  Verwandten 
wieder  zu  nähern.  Sie  bediente  sich  dazu  der  Yermittlnng  des  ihr  ans 
früheren  Zeiten  bdtanntcn  herzoglichen  Rates  Matthäus  Horst.  In 
einem  herzerschütternden  Brief  oÜ'enbarte  sie  dem  vertrauten  Manne  itir 
kummerbeladenes  Gemüt  und  b:it  ihn,  sich  bei  seinem  Herrn  für  sie^ 
„eine  anne,  elende,  tit  fltetrübte  Frau",  dahin  zu  verwenden,  dass  er  als 
»ein  christlich  denkender  Fürst''  ihre  Söhne,  die  Fürsten  von  Anbaif, 
bewege,  ihr  aus  dem  ihr  zustehenden  Leibgedinge  eine  laufende  Unter- 
stützung zu  gewähren.  Insbesondere  müge  sich  der  Herzog  ihres 
armen  Kindes  Dorothea  orltarmen,  damit  sie  es  notdürftig  ernähren  um! 
zu  Gottes  Ehre  und  Zucht  erziehen  könne  und  es  nicht  nach  derilatter 


Digiti- 


ICaripgrillii  Mtigirele  ▼on  &and«&baif. 


67 


Tode  in  der  Irre  mnherziusieben  braache.  „Gott  hat,*  fligte  sie  in  Er- 
gebang  hinso,  „seine  v&terliche  Hand  auf  mich  gelegt;  damit  mnss  ich 
safneden  sein.*' 

Aaf  Horsts  Rat  wagte  es  Margarete  bald  darauf,  den  Herzog 
selbst  um  Hilfe  anzusprechen.    Sie  schilderte  ihm  die  Ffille  ihres 
Elends  mit  folgenden  Worten:  „Ew.  fftrstlichen  Gnaden  ist  nnverborgen 
mein  gprosses,  schmerzliches  Elend,  das  ich  viele  Jahre  gehabt  und  anch 
noch  habe,  so  dass  ich  arme  elende  Person  Armnts  halber  gar  kümmer- 
lich znzdten  nnr  das  liebe  trockene  Brot  zn  essen  nnd  Wasser  zu 
trinken  gehabt  habe  und  mich  mit  Armut  und  anderer  Arbeit  behelfen- 
müssen,  wie  ein  anderes  Weib,  damit  ich  mich  habe  elendiglich  ernähren 
mögen  und  oft  nnd  viel  auf  dem  Felde  thne  arbeiten,  damit  ich  mich 
des  Hungers  erwehre.   Da  ist  nichts  gewesen,  wovon  ich  hätte  nehmen 
können    Ich  habe  keinen  Trost  in  der  ganzen  Welt,  als  meinen  treuen 
Gott.    Weil  denn  mein  himmlischer  Vater  seine  väterliche  Hand  auf 
mich  gelegt  und  mir  das  Krenz  zuerteilt  hat,  muss  ich  in  dem  zufrieden 
sevn  und  denken,  dass  ichs  wohl  verdient  Imb«  aus  der  Ursache,  dass 
ich  mich  mehr  auf  meine  fürstliche  Praciit  und  Gewalt  verlassen  habe 
als  auf  Gott,  deshalb  ich  mit  dieser  Ruthe  zufrieden  seyn  mnss  und 
denken,  dass  mir^s  zn  meiner  Seelen  Seligkeit  zum  Besten  geschieht, 
habe  aber  mein  Vertrauen  auf  meinen  liehen  Gott  gestellt.  Lieber, 
gnädiger  Fürst  und  Herr,  weil  Ew.  fürstlichen  Gnaden  meinem  Reich- 
thnm  wohl  nachdenken  können,  so  bitte  ich  arme,  betrübte  Person, 
Ew.  fürstlichen  Gnaden  wollen  als  ein  cb ristlicher  Fürst  Erbarmen  an 
mir  zeigen."    Den  Schhiss  bildeten  die  iustündigsteu  Bitten,  sie  nicht 
zu  \erlassen.    Kr  möge  ihr,  da  sie  schon  alt  sei  und  sich  allein  nicht 
erhalten  könne,  in  seinem  T.ande  ein  stilles  Plätzchen  anweisen;  sie 
wolle  sich  dort  mit  ihrem  (latten,   der  noch  jung  und  stark  sei  und  es 
an  Fleiss  nicht  fehlen  lassen  werde,  einrichten  und  in  stiller  Zurück- 
gezogenheit der  Erziehung  des  geliebten  Kindes  leben. 

Das  Mass  des  Leidens  war  indessen  noch  nicht  gefüllt.  Eines 
Tages  wurde  das  armselige  Häuschen,  das  die  Schwergeprüfte  ihr  eigen 
nannte,  mit  dem  letzten  Rest  der  winzigen  Habe  ein  Raub  der  Flammen. 
Da  ratt'te  sie  sich  noch  einmal  zu  energischem  Thun  auf.  Sie  eilte  nach 
Königsberg  und  fand  hier  bei  dem  menschenfreundlichen  Horst  freund- 
liches Entgegenkommen.  Seinen  dringenden  Vorstelltiugeu  vermochte 
der  Herzog  nicht  zu  widerstehen.  Er  war  geneigt,  für  Margarete,  die 
er  wieder  mit  dem  notwendigsten  Hausrat  versehen  Hess,  und  ihren 
Gemahl  ein  Landgütchen  im  Litauischen  anzukanfen  unter  der  Be- 
dingung, dass  beide  den  Niessbrauch  desselben  auf  Lebenszeit  haben, 
und  dass  es  nach  ihrem  Tode  der  Tochter  Dorothea  Erbe  sein  solle. 
Würde  diese  ohne  Nachkommen  sterben,  war  der  Rückfall  des  Gutes 
an  das  herzogliche  Uaus  vorgesehen.    Die  Verhandlungen  schienen  um 

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68 


Georg  Schosier: 


l'fingstcii  dos  .laliivs  löiJd  dem  Abschluss  nahe  zu  sein.  Wenigstens 
hat  sich  aus  jenen  Tagen  n<K'h  der  Entwurf  ym  einefti  Reverse  Goltzens 
im  Sinne  der  vorstellenden  Abmachungen  erhalten.  Allein  alle  weiterea 
Nachricliten  brechen  plötzlich  ab,  so  dass  es  zweifelhaft  erscheint,  ob 
die  Sache  überhaupt  zu  einem  erwünschten  Ende  gediehen  ist.  Dafür 
spricht  besonders  die  Tliatsache,  dass  damals  Preussen  schwer  von  der 
Pest  heimgesucht  wurde  und  Margarete,  in  richtiger  Würdigung  der 
schwierigen  T^age  des  Herzogs  und  seines  armen  Landes,  iln*e  Tochter 
Georgia  aus  erster  Ehe  um  thätige  Beihilfe  anging.  Die  Prinzessin,  au 
('inen  in  Schhichau  ansässigen  polnischen  (Irafen  vermählt,  entsprach, 
wie  niciit  anders  zu  erwarten  war,  den  Bitten  der  Mutter  und  erbot 
sich,  alles  mit  ihr  zu  teilen,  was  in  ihrem  Vermögen  stehe.  Sie  nR>ge 
nur  schli'iiiiigst  mit  der  kleinen  Dorothea  nach  Schlochau  übersiedelu. 
Indes  stellte  sie,  vielleicht  zur  Vermeidung  jeglichen  unliebsamen  Auf- 
sehens, die  lieblose  Bedingung,  dass  Margarete  dem  Grafen  gegenüber 
sich  nicht  „uamenkundig'*  gebe,  sondern  als  einfache  Edelfiraut  beseidme 
and  einen  Empfehlungsbrief  der  Herzogin  mitbringe,  der  dem  Grafen 
vorgezeigt  werden  könne. 

Margarete  nahm  das  eigenartige  Anerbieten  frendig  an.  Was 
blieb  ihr  auch  in  ihrer  Bedrängnis  anderes  übrig?  Gern  erbot  sich 
Albrechts  Gemahlin,  ihr  „ein  emi>fehlendes  Zeugnis  auszustellen  und  ihr 
,  zur  Reise  nach  Schlochau  Wagen  nn<l  Pferdt?  zu  leihen,  obwohl  sie 
selbst  in  dieser  Zeit  grade  mit  vielen  Ausgaben  sehr  beladen  sei."  Ob 
aber  div  Fahrt  zustande  gekonnnen,  wissen  wir  nicht.  Ebenso  wenig 
hat  sich  über  die  späteren  Schicksale  der  schwergeprüften  Fürstin  uiue 
sichere  Kunde  eihalten. 

Im  Jahre   löijS  wurde    der  Herzog  Albrecht   eine  Beute  der 
unheimlichen  Seuche.    Er  soll  der  Base  in  seinem  Testamente  ein 

Legat  von  .'JdOn  Gulden  ausgesetzt  haben,  das  aber  nicht  zur  Aus- 
zahlung i;<'koniinen  ist.  Die  letzte  Nachricht  über  Margarete  stanmit 
aus  dem  .Jahre  1Ö77.  Es  ist  ein  von  ihr  aus  Königsberg  an  den 
Admiuistratoi-  in  Preussen,  den  Markgrafen  Georg  Friedrich  \on  Bran- 
denburg gerichtetes  Schreil)en,  woiiii  sie  ihn  um  den  freundlichen 
Liebesdienst  ersucht,  auf  ihren  Sohn,  den  regierenden  Füi*sten  von 
Anhalt,  einzuwirken,  dass  er  ihr  den  ik »Ilgen  Untei'halt  gewähre. 
Damit  „ich",  wie  dort  zu  lesen  ist,  „uff  meine  alte  tage  einmal  zu 
ruhe  und  frieden  konime  uiul  das  Bettelbrod  zu  essen  in  fremden 
Landen  möchte  entbrocheu  sein''.  —  Bis  dahin  hatten  sich  also 
die  äusseren  Lebensumstände  Margaretens  noch  nicht  günstiger 
gestaltet. 

Damit  verschwindet  die  unglückliche  Fürstin  aus  der  Geschichte. 
Wo  8ie  ihre  letzten  Tage  yerlebt,  unter  welchen  YerhältnisBen,  wo  und 


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Harkgiifln  Ifaigwet«  von  Bnadenbnrg. 


69 


wann  sie  ihre  Lebensbahn  beschlossen  —  das  za  ermitteln  ist  der 
Forschung  bisher  noch  nicht  gelungen.  Wahrscheinlich  hat  sie,  nachdem 
sie  noch  am  Knrländischen  Hofe  bei  ihrer  Nichte,  einer  Tochter  der 
Herzogin  Anna,  sich  nnfgehalten.  in  Dänemark  das  Zeitliche  geset^nct. 

Margarete  war  nicht  beraten,  wie  so  viele  andere  ihrer  fürst- 
lichen Mitschwestern,  eine  weltgeschichtliche  Rolle  durchzuführen  mit 
Glanz  und  Erfolg.  Im  Gegenteil.  Ein  (U'korenes  Opfer  von  Miss- 
gescliicken,  ist  sie  durch  des  „Lebens  eitles  Maskeuspiel"  geschritten. 
Wie  schwer  sie  auch  nach  land läutigen  Begrifteii  in  schwachen  Augen- 
blicken gefoblt  haben  mag,  sie  hat  ihre  Verirniri^cn,  deren  Motive 
sich  zum  grossen  Teile  unserer  Kenntnis  entziehen,  überreich  gesühnt. 
Schon  aus  diesem  Grunde  werden  wir  der  Leidvollen  unsere  mensch- 
liche Teilnahme  nicht  versagen  dürfen.  — 


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70 


Brandenburger  in  Italien 
im  Zeitalter  der  Renaissance. 

FHedrlcli  Kiüiier. 


Die  Sehnsncbt  nach  der  landschaftlichen  Schönheit  des  Südens, 
der  Wunsch,  die  Sch&tze  der  Kunst  und  die  Fandstätten  der  Wissen- 
schaft sich  dort  zu  erschliessen,  die  Hoffnung,  Gesundheit  und  Freade 
am  Leben  dort  wiederzugewinnen,  führen  jährlich  Tausonde  auch  ans 
unserer  engeren  Heimat  fiber  die  Alpen.  Vor  vier  Jahrhunderten  war 
es  anders:  zwar  zog  aus  unseren  Marken  schon  damals  Jahr  ans  Jahr 
pin  oino  stattliche  Schar  von  Jünglingen  nnd  jangen  Männern  nach 
Padua,  Bologna  und  andern  GlanzRtätten  der  humanistischen  Wissen- 
schaft, um  von  dort  mit  den  höchsten  akademischen  £hren  geschmückt 
heimzukehren.  Danebon  waren  es  aber  auch  lange  nach  dem  Unter- 
gange der  Staufer  deutsche  Krieger,  die  im  WafTenscbmucke  auch  von 
Brandenburg  aus  über  die  Alpen  zogen,  um  dort  im  ehrenvollen 
Dienste  der  italienischen  Dynasten  Schlachten  zu  schlagen,  Fcstungoii 
zu  Rtürmen  und  Staaten  zu  orolxM'n.  Zu  diesen  beiden  Gruppen  tritt 
noch  eine  dritte,  eine  Reihe  jugendlicher,  oft  noch  sehr  zarter  Gestalten, 
vielfach  dem  Kindesalter  noch  nicht  entwachsen:  Fürstinnen  aus  den 
Geschlechtern  der  Habsburger,  Wittelsbacher  und  Hohenzollern, 
welche  der  Vermahlung  mit  italienischen  Fürsten  bestimmt,  der  neuen 
Heimat  zugeführt  werden.  Die  grosse  Zahl  junger  Dynastien  in  Mai- 
land, Verona,  Mantua,  Florenz,  Bologna,  vielfach  dem  besitzlosen 
Schwertadel  der  Lombardei  entstanmiend,  ist  meist  erfüllt  von  dem 
Wunsche,  durch  verwandtschaftliche  Verbindung  mit  einem  älteren 
Fürstengeschlechte  nach  aussen  und  innen  hin  ihr  fürstliches  Ansebn 
zu  mehren.  Für  alle  diese  Gruppen  von  Italienfahreru  bietet  unsere 
beimische  Mark  eigenartige  Beispiele. 

Es  war  im  Jahre  IS22,  als  bei  Gelegenheit  des  Kongresses  zur 
Schlichtung  der  südeuropäischen  Wirren  im  Gefolge  des  Königs 
Friedrich  Wilhelms  in.  der  Geheime  Rat  und  1  >irektor  der  preussischen 
Staatsarchive  Gustav  Adolf  von  Tschoppe  in  Verona  weilte.  Dort  wie 
auch  in  den  nmliegenden  Gebieten  waren  im  14.  und  den  folgenden 
Jabrfaanderten  die  beiden  Bettelorden  von  hervorragender  Bedeutung 
gewesen:  nicht  bloss  dnrch  ihren  Eiufluss  auf  das  niedere  Volk,  unter 
dem  nnd  mit  dem  sie  lebten  nnd  ans  dem  sie  zum  Teil  selbst  hervor- 
gegangen waren,  sondern  in  höherem  Ifasse  dnrch  ihre  Beziehung  za 


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Bnndenbmger  in  IteUen  im  ZMtbuc  der  Banaiasanoe. 


71 


den  bildenden  Künsten,  welche  in  den  Orden  eifrige  Pfleger  fanden. 
So  sehen  wir  denn  als  eine  dor  häufigsten,  fast  konvontionollen  Figuren 
im  Kirchenbau  und  besonders  im  Altarschmuck  den  heiligen  Franz, 
das  Sinnbild  der  Weittlucht  and  des  selbstsrewiililten  Elends;  auf  der 
andern  Seite  kehrt  „Frau  Armut"  als  allegorische  Gestalt  in  den 
Kirchen  der  Predigermöncho  wieder,  und  in  den  Reihen  der  gefeiertsten 
Maler  des  Quattrocento  steht  in  erster  Linie  der  I>oininikaner  Fra 
Angelico  da  Fiesole;  in  seinem  „Jüngsten  Gerichte",  einer  Perle  unserer 
Gemäldegalerie,  sehen  wir  die  Seligen,  welclie  zu  den  lichten  Höhen 
des  Paradieses,  von  Engeln  l)egleitet,  emporwallen,  in  der  Ordenstracht 
der  Jünger  des  heiligen  Douiinicus.  So  war  auch  naturgemäss  die 
Kirche  dieses  Heiligen  eine  der  ersten  Kuuststätten,  zu  der  Tschoppe  in 
Verona  seine  Schritte  lenkte  und  dei  en  Besucli  ihm  auf  anderem  Gebiete 
eine  ungehoflfte  Ausbeute  braclite.  Er  fand  dort  an  der  östlichen  Wand 
Fragmente  einer  Inschrift,  zum  Teil  bedeckt  durch  einen  während  der 
Ligne  von  Cambrai  erbauten  Altar.  Nur  wenige  Worte  waren  noch 
sichtbar;  zu  diesen  aber  geliurte  die  Bezeichnung  „brandenburgische 
Ritter";  auch  fand  sich  noch  dei-  Name  „.lohann  von  Beynchel"  und  die 
Abbildaog  eines  Wappens.  Dieser  ganz  ungeahnte  Fund  au  geweihter 
Stelle  veraolasste  den  Forscher,  dem  bisher  kaum  beachteten  Aufent- 
halte bnmdenburgischer  Ritter  in  Verona  nachzuspüren  and  den 
geschichtlichen  Znsanunenhang  desselben  anfzniclären.*) 

Als  der  wittelsbachische  Markgraf  Ludwig  der  Ältere  von  Bran- 
denburg l'löl  seinen  jüngeren  Brüdern  Ludwig  dem  Römer  und  Otto 
die  brandenburgischen  Lande  abtrat,  Fiihm  er  seinen  Aufenthalt  in 
Tirol,  meist  in  Bozen,  wohin  ihn  brandenburgische  Ritter  begleiteten. 
Dort  em])fing  er  häufip:  Besuche  benachbarter  Fürsten,  so  auch  am 
8.  Februar  Ki")4  den  dt  s  ihm  verwandten  Markgrafen  Cau  Grande  11 
della  Scala  von  Verona  mit  seinem  Bruder  Can  Signoro  und  vielen  Kdeln 
von  Verona  und  Vicenza.  Der  veronesische  Fürst  wollte  mit  dem  Kur- 
fürsten Ludwig  einen  Vertrag  abschliessen,  wie  ein  solcher  ihn  schon 
mit  mehreren  italienischen  Herren  und  Städten  verband.  Plötzlich  erhielt 
er  in  Bozen  die  Nachricht  von  einem  in  seiner  Heimat  ausgebrochenen 
Aufstande**),  wo  sein  Statthalter  Azz<»  von  Correggio  von  einem 
unebenbürtigen  Stiefbruder  des  Can  Grande,  Frignanus,  verdrängt  war. 
Dieser  hatte  sich  der  Herrschaft  in  Verona  und  Vicenza  bemächtigt, 
ZOT  Anfrechterbaltang  seiner  Macht  mit  den  Herrschern  von  Mantaa 
und  Verona  sich  verbunden  und  bereits  den  Tod  seines  regierenden 
Bruders  bekannt  gemacht,  dessen  Ermordung  er  in  der  That  plante. 

*)  Vgl.  Ticbopp«  in  den  „Mftridiehen  F<MrBchimgen''  1^  17  ff. 
**)  Ygl.  „Storia  della  ribellione  di  Frignano  della  flcila"  (in  »Ohxoiiica  da 
ZHItte«*  L  82  £  II.  311  IL). 


72 


Friedlich  Krftner: 


Ein  Teil  der  brandenbargischen  Bitter  Ludwigs  begleitete  den  sofort  in 
seine  Heimat  zurückkehrenden  veronesischen  Markgrafen.  Ein  deutscher 
Ritter  Friedrich,  dein  Geschlechte  nach  nicht  bekannt,  eilte  nach  Padua 
voraus  und  gewann   dem   bedrängten   Markgrafen    die   Hilfe  dieser 
wichtij^en  Nachl)arstadt.    Auch  unter  den  paduanischen  Rittern,  welch«» 
zur  Untoistiitzmif^  d<'s  Can  Grande  sofort  aufbradien,  befanden  sich 
merkwürdigerweise   eine   Anzahl   deutscher,   im   besonderen  brandon- 
burgischer  Herron,  deren  NaTnen   erhalten  sind,  wie  Roq-er  v.  Opj>en, 
Nicolaus  V.   Buch,   Plülipji   von  Roth.    Bald   sah  sich   der  Markgraf 
von  Verona  an  der  Spitze  einer  ausreichenden  ^^achf,  um  den  Usur- 
pator direkt  anzugreifen.    Als  erster  drang  Philipp  v.  Roth  über  dio 
Etschbrücke  in  die  Stadt,   wohin  ihm  seine  Genossen,  Deutsche  wie 
Italiener,  stürmend  folgten.    Der  Empörer  Friguanus  fiel  von  der  Hand 
jenes  schon  um  die  Gewinnung  Paduas  verdienten  Ritters  Friedrich. 
Die  von  Mantua  und  von  Mailand  dem  Em[)örer  gesandte  Hilfe  kam  zu 
spät  und  keinte  schon  vor  den  Thoren  von  Verona  um.    Aber  anch 
ein  von  dem  Markgrafen  Ludwig   personlich   unterstützter  Rachezug 
des  Can  Grande  II.  gegen  Mantua  blieb  erfolglos.    Die  von  den  bran- 
denburgi.schen  Rittern  diesem  zu  teil  gewordene  wirksame  Hilfe  blieb 
den    italienischen    Gescliichtschreibern    in    dankbarem  Gedächtnis.se: 
Matteo  Villani  in  seiner  Chronica*)  wie  Bfancolini   in   seinem  Werke 
über  die  Kirchen  Veronas**)  widmen  den  deutschen  Herren  Worte  ehrenden 
Andenkens,    die   ihren  Widerhall   linden  in   jener  Inschrift  in  der 
Dominikanerkirche  zu  Verona. 

W^ie  lebhaft  auch  immer  (lie  Eindiücke  jener  brandenburgischen 
Heldenthaten  den  Zeitgenossen  sich  ein[)r:igten,  wie  unvergänglich  auch 
immer  die  Spuren  davon  in  deu  Kuiistdenkmalern  Veronas  fortleben: 
eine  dauernde  Verstimmung  zwischen  den  kleinen  nordischen  Mark- 
grafen und  den  streitl)aren  Fürstenhäusern  in  der  Poebene  hat  jenes 
bran<ieni)urgische  Kriegsabeuteuer  von  l'^')4  glucklieherweise  nicht  zu 
schaffen  vermocht.  Gerade  das  von  Ludwig  dem  Älteren  bestürmte 
Mantua  suchte  zuerst,  n(»ch  vor  Ablauf  eines  Jahrhunderts,  die  An- 
näherung an  dieselben  Brandenburger,  deren  \  <u  ta!iren  einst  die  Heer- 
fahrt gegen  die  un»'innehmbare  Feste  in  den  Simipfen  des  Mincio 
uuternonmien  hatten.  I)as  kriegslustige  und  kriegstüchlige  Geschlecht 
der  Gonzaga  führte  dort  seit  einem  Menschenalter  di«>  Herrschaft.  Der 
zweite  in  seiner  Reihe,  Gianfrancesco,  warb  jetzt  durch  Verniittlun-.^  (h  s 
Kaisers  Sigismund  auf  dem  Baseler  Konzile  1488  für  seinen  Sohn  mid 
Thronfolger  Lodovico  um  Barbara  von  Brandenburg,  die  Enkelin  des 
ersten  hofaenzollemschen  Kurfürsten,  die  Tochter  Johanns  des  Alcho- 

*)  Chronica  di  MaUco  ViUani  ID.  90  ff. 
*•)  Bfancolini  ddle  Chiese  di  Venm«  III.  185.  VIL  176. 


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BrwdmbQcger  In  ttalieo  im  Zeitalter  der  Benaieeanee. 


73 


misten.  Drei  hohe  geistliche  Herren,  <n  denen  wohl  noch  der  Ritter 
Martin  von  Eyb  sich  gesellte,  brachten*)  die  gewünschte  Verlobung 
des  mantnanisohen  Ffirstensohnes  mit  der  10  jährigen  Prinzessin  znm 
Abschlüsse.  Noch  in  demselben  Jahre  trat  die  kindliche  Barbara  die 
Reise  über  die  Alpen  an,  nm  dort  in  ihrer  künftigen  Residenz  sn  deren 
Herrscherin  erzogen  zn  werden.  Bis  Aogsbnrg  wurde  sie  von  ihren 
Verwandten  geleitet,  dorthin  hatte  Markgraf  Gianfrancesco  ihr  200  Reiter 
als  Geleit  entgegengesandt;  bald  traf  anch  ihr  zukünftiger  Gemahl  ein, 
an  dessen  Seite  sie  am  12.  November  1433  ihren  Einzug  in  Bfantua 
liielt.  Es  war  keiner  der  reichsten  Fürstenhüfe  Italiens,  der  sie  jetzt 
aufnahm,,  nicht  veigleichbar  den  Herrschersitzen  der  Medici,  Este, 
Sforza,  aber  ausgezeichnet  wie  jene  durch  die  Pflege  humanistischen 
Geistes  und  durch  die  Förderung  der  gerade  damals  im  Anschauen  der 
antiken  Meisterwerke  neu  auflebenden  Kunst.  Für  den  Unterricht  der 
Sühne  und  Töchter  des  Herrscherhauses,  denen  jetzt  Barbara  sich  an- 
scbloss,  hatte  Gianfrancesco  den  berühmtesten  der  grossen  Humanisten 
jener  Tage  gewonnen,  Vittorino  da  Feltre,  der  mit  eingehender  Kenntnis 
der  griechischen  Sprache  die  antike  Litteratur  in  ihren  Originalwerken 
studierte**).  Er  war  im  Geburtsjahre  Barbaras  nach  Mantua  berufen, 
das  nm  seinetwillen  lange  Jahre  hindurch  von  Hunderten  jugendlicher 
Humanisten  zum  vorübergehenden  Aufenthalte  gewählt  wurde.  Unter 
seiner  Leitung  entfalteten  sich  die  glänzenden  Geistesgaben  der  jungen 
Prinzessin,  ihm  verdankte  sie  jene  gründliche  Kenntnis  der  lateinischen 
und  griechischen  Sprache,  jene  Belesenheit  in  den  Klassikern,  welche 
ihr  in  der  Folge  soviel  Bewunderung  eintrug.  Davon  zeugt  noch  heute 
die  Sammlung  ihrer  nach  Deutscliland  an  ihre  Verwandten  gerichteten 
Briefe  im  K.  Hausarchive  zu  Berlin,  die  Quelle,  aus  der  wir  unsere 
zuverlässigste  Kenntnis  über  den  mantuanischen  Hof  von  damals 
schöpfen.  Mitten  in  ihren  eifrigsten  Studien  hatte  das  emsig  lernende 
Fürstenkind  die  Freude,  ihren  Vater  zu  begrflssen,  der  von  einer  Wall- 
fahrt zum  heiügen  Grabe  heimkehrend  sein  Töchterlein  in  Mantua 
besuchte. 

Nach  Verlauf  von  sieben  durch  Familienzwist  im  Hans«  der 
Gonzaga  getrübten  Jahren  wurde  Barbara  1440  siebzehnjährig  die 
Gemahlin  des  2i\  jährigen  Thronfolgers  und  4  Jahre  später  diireh  (U  u 
Tod  ihres  Schwiegervaters  regierende  Markgräfm  von  Mantua.  Ihre 
geistige  Bedeutung  und  ihr  vielseitiger  Einthiss  in  dieser  hohen  Stellung 
offenbart  sich  uns  in  den  an  ihren  Vater  wie  besonders  an  ihren  Olicini 
Albrecbt  Achilles  gerichteten  Briefen,  in  denen  die  liohe  Politik  die 


*)  VgL  fiber  Barbara:  fieruhara  Uufmaun  im  11.  Jttbresbeiicbt  dt;g  llist. 
VereiDs  f.  Mitt«]fraiik6ii.  Ansbach.  1881. 

**)  F.  Kristeller  im  Hoheiutollenijabrbach  III.  cn. 


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! 


74  Friedrich  Krüner: 

erste  Stelle  ciimiiiinit.  Durch  ihren  Ehrgeiz  erreiclite  sie  es,  dass  das 
grosse  Konzil  des  Jahres  1459  vom  Papste  Tins  II.  nacli  Mantua  be- 
rufen wurde.  Wie  gering  auch  die  Bedeutung  dieser  Fürstcnversammlung 
für  die  Bekämpfung  der  Türken  war,  so  gross  war  der  Erfolg,  den 
Barbara,  die  forstliche  Wirtin  der  Konzilsgäste,  für  die  spätere  Ver- 
sorgung ihrer  Kinder  hier  im  voraus  erreiehte,  und  der  bedeutsame 
Eindruck,  den  der  Papst  von  Barbaras  Persönlichkeit  empfing.  In  der 
That  stand  dieselbe  jetst  unter  den  f&rstlichen  Idaecenaten  der  Dichter 
und  Künstler  in  erster  Reihe,  und  anf  allen  Gebieten  reiften  die 
Früchte,  welche  der  Kunstsinn  des  mantnanischen  Färstenpaares  m 
tragen  begann.  Mit  dem  Ban  der  Kathedrale  des  h.  Andreas  war  der 
erste  Architekt  seiner  Zeit  beschäftigt,  Leo  Battista  Alberti,  wie  so 
viele  andere  seiner  Genossen  der  Renaissance  die  Gäsamtheit  aller 
Gebiete  in  seinem  Kunstschaffen  umfassend:  Baumeister,  Maler,  Knnst- 
schriftsteller,  Dichter,  Priester  und  Doktor  beider  Rechte.  Die  f firstliche 
Residenz,  das  Castello  di  corte,  schmfickte  der  schon  in  seiner  Vater- 
stadt Padua  zu  hohem  Ruhme  gelangte  Maler  Andrea  Mantegna  mit  den 
noch  heute  vorhandenen  Familienbildem  der  Gonzaga,  in  denen  Barbam 
bereits  als  51  jährige  Matrone  erscheint.  Filippo  Bmnelleschi  weilt 
zweimal  l&ngere  Zeit  in  Mantua,  um  bei  der  Herstellung  der  Damm- 
bauten  durch  die  Sdmpfe  des  Mindo  seinen  Rat  zu  geben.  Den  grössten 
Bildhauer  seiner  Zeit,  Donatello,  konnte  Lodovico  zwar  nicht  dauernd 
an  seinen  Hof  fesseln,  doch  verdankt  Mantua  jenem  ausser  7  Statuen 
vor  allen  eine  Büste  des  Markgrafen,  an  der  wir  noch  beute  die  Züge 
von  Barbaras  Gemahle  studieren  kr)unen,  jetzt  im  Besitze  des  Berliner 
Museums.  Bei  allem  pei'sönlichen  Eifer  für  die  Gewinnung  der  be- 
deutendsten Geister  ilirer  Zeit  und  ihres  Landes  vergass  Barbara  nie 
iiir  deutsches  Herz:  nichts  bereitet  ihr  grössere  Freude  als  die  wieder- 
holten Besuche  ans  der  Heimat,  \or  allen  ihres  Vaters,  ihres  Oheims, 
ihrer  Schwester  Sophie,  damals  schon  Königin  von  Dänemark,  sowie 
vor  allen  die  Befriedigung,  ihren  Erstgeborenen,  Federigo,  mit  einer 
deutschen  Furstentochter,  Margarethe  von  Bayern,  vermählt  zu  sehen. 
Nur  8  Jahre  überlebte  sie  ihren  Gemahl  nach  einer  38  jährigen  überaus 
^dücklichen  Ehe.  Im  Jahre  1481  wurde  sie  im  5U.  Lebensjahre  heim- 
gerut'en;  im  Dorne  des  lieilij^en  Andi-cas,  dessen  Vollendung  ihr 
Lieblingswuusch  gewesen,  ruhet  sie  inmitten  der  Helden  und  fürstlichen 
Frauen  des  Hauses  (Gonzaga,  ein  Spross  aus  deutscher  Erde,  anter  der 
Sonne  Italiens  zu  herriiciistem  Wachstume  erlduht. 

Nicht  bloss  den  vornehmen  fürstlichen  und  geistlichen  Besuchern 
aus  Heimat  und  Fremde  iiatte  der  Hof  von  Mantua  zu  Barbaras  Zeit 
eine  gastliche  Stiittc  auf  iliren  Kon»-  um!  l'iliicifahrtou  geboten:  immer 
'  grössere  Scharen    Initsrher  Jünglini^e  zo^cn   st'it  dem  Aufl)lülien  der 
huwauiätischen  Studien,  auch  aus  den  brandeuburgischen  Landen,  über 


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Bnndenlraiger  in  ItaBen  im  Zeltalter  der  Bcnni— unee.  75 

die  Alpen  zu  den  gefeierten  Hochschulen  Oberiialiens.  Völlig  ver^ 
fldueden  ron  beute  war  die  Wahl  der  UniYersitftten,  denen  die 
studierende  Jagend  von  damals  anstrebte.  Hatte  am  Anfrage  des 
Jahrhnnderts  Krakau  noch  die  mächtigste  Anziehung  fflr  Deutschlands 
wandernde  Musensöhne,  zählte  bald  nachher  Padua  die  grösste  Zahl 
deutscher  Studenten,  so  trat  seit  der  Mitte  des  Quattrocento  Bologna 
mit  seinen  hochberfibmten  Bechtslehrem  und  der  dort  blühenden 
umbrischen  Malerschule  unbestritten  in  den  Yordei'grund.  Noch  heute 
stehen  wir  bewundernd  im  Berliner  Museum  vor  den  Madonnen 
Francias  mit  ihrem  müden,  leise  schwärmerischem  Ausdrucke,  die  der 
„Obmann  in  der  GUde  der  Goldschmiede",  später  „Obmann  der 
4  Kfinste'',  der  Maler  Goldschmied,  Baumeister  und  Medailleur,  in  den 
beiden  ersten  Jahrzehnten  des  Cinquecento  in  Bologna  schuf.  Schon 
der  brandenburgische  Kanzler  und  Lebuser  Bischof  Friedrich  Sessel- 
mann, die  rechte  Hand  der  Kurffirsten  Friedrichs  des  Eisemen  und 
Albrecbts,  war  dort  Doctor  beider  Rechte  geworden;  am  Ende  des  Jahr- 
hunderts studierte  mit  einer  grossen  Zahl  von  Norddeutschen  dort  vor 
allen  Nicolaus  Copemicns,  welcher  Padua  mit  Bologna  vertauscht  hatte. 
Gerade  in  dem  ersten  Viertel  des  16.  Jahrhunderts  finden  wir  eine  besonders 
hohe  Zahl  erlauchter  Namen  utfter  den  Universitätsverwandten  von  Bologna. 
Der  „Syllabus  inclytae  Nationis  Germanicae  apud  Bononiam  studentis*' 
nennt  uns  ausser  den  oben  erwähnten  als  Burger  der  Bononischen 
Universität  aus  jener  Zeit:  Johann  v.  Schleinitz,  nachher  Bischof  von 
Meissen;  Otto  Truchsess  v.  Wallburg,  später  Bischof  von  Augsburg; 
Johann  v.  Buch,  den  Verfasser  des  niederaächsischen  Kommentars  zun 
Sachsenspiegel;  die  Humanisten  Conrad  Geltes,  Rudolf  Agricola,  Ulrich 
V.  Hutten;  deutsche  Ffirstensöhne  aus  den  Geschlechtem  der  Habsburger, 
Zähringer,  Wittelsbacher,  Weifen  und  Wettiner,  so  den  Herzog  Ernst 
von  Sachsen,  nachher  Coadjutor  von  Magdeburg,  den  späteren  Hoch- 
meister Albrecht  von  Preossen  und  viele  andere.  Am  meisten  fesselt 
unser  heimatliches  Interesse  unter  den  Bologneser  Studierenden  jener 
Periode  Bfatthias  von  Jagow,  der  junge  altmärkische  Edelmann,  später 
der  erste  evangelische  Bischof  von  Brandenburg.  Nicht  bloss  seine  Ab- 
kunft, auch  die  grosse  Rolle,  welche  er  während  seines  dreijährigen 
Studiums  in  Bologna  spielte,  sichern  ihm  ein  dauerndes  Andenken  in 
der  Natio  Germanica  von  Bologna.  Epiphanien  151B  trat  Matthias*)  mit 
28  jnngen  Deutschen  in  die  Germanische  Nation  ein,  deren  Procuratoren 
damals  Friedrich  von  Leonrod,  Canonicns  von  Eichstädt,  und  Hieronymus 
Buchholz  aus  Berlin  waren;  an  des  ersteren  Stelle  trat  bei  seiner  Heim- 
kehr nach  Deutschland  bald  Sigismund  v.  Thun,  Canonicns  von  Trient 
und  Brixen;  den  fälligen  Gulden  bezahlte  Matthiw«,  wie  die  Matrikel 

*)  Act»  Nttionis  Germaii.  Univ.  Bonoa  ed.  £.  Friedlttnder  ei  0.  Halagol». 


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76 


Friedrieb  KrOner: 


besonders  hervorhebt,  bar.  Sowohl  als  eifriger  Rechtshürer  der  Univer- 
sität wie  darch  seine  ganze  Persönlichkeit  gewann  Matthias  ein  solche? 
Ansehen  innerhalb  der  „Nation*',  dass  dieselbe  schon  nacJi  .Tahresfri^t 
ihm  die  Procnratur  übeilrug.  Die  Bedingungen  für  dieselbe  waren,  das« 
der  neue  Procnrator  geläufig  lateinisch,  wenigstens  mässis^  italienix  h 
sprach,  von  niemandem  abhinir.  nber  20  Jahre  alt  war,  von  nicht  zu 
kleiner  Stator,  entweder  adlig  oder  Doctor.  liinreichend  mit  Geld  ver- 
sehen, wenigstens  ein  Jahr  in  Italien  gelebt  hatte.  Die  bunte  Reih^ 
bemerkenswerter  Ereignisse  aus  Matthias'  Amtsjahre  führt  vor  unsere 
Augen  dn  lebendiges  Bild  des  damaligen  deutschen  Stodeutenlebens  in 
Bologna: 

Beschwerden  der  „Nation"  teils  gegen  die  Universität  teils  gegen 
die  Stadt,  die  unberücksichtigt  blieben,  fuhren  zur  zeitweisen  Auswan- 
derung der  deutschen  Studenten,  einmal  nach  Siena,  das  andere  Mal 
nach  Imola*  Unglückliche  Prozesse  ^der  Nation  gegen  das  Collegium 
Hispanonun  nnd  die  Natio  Flandrorum  verzehren  einen  Teil  des  gemein- 
samen Vermögens.  Ein  Student  .stiftet  eine  Summe  zu  einer  sonntäg- 
lichen Messe  für  die  heilige  Jungfrau  in  der  Kirche  S.  Fridiani.  Bei 
Streitigkeiten  mit  den  Polen  werden  kostbare  Gefässe,  darunter  ein 
besonders  wertvoller  Lptuhtcr,  zerbrochen.  T>:i  eine  grössere  Aii«mhi 
junger  Deutscher  in  Bologna  ihren  Tod  fanden,  kaufte  die  Nation  einfln 
eigenen,  noch  heute  viele  <rrii))er  aufweisenden  Friedhof,  auf  dem  als 
erster  Konrad  v.  Steinberg  bestattet  wurde  ,,occisu8  in  rix»  cum  excii- 
bitoribus''  (erscldagen  im  Streite  mit  den  Wächtern).  Kein  geringerer 
wie  der  als  Humanist  hervorragende  dortit^e  Professor  BeFcaldns  ver- 
fasste  das  Epitaphium  über  dem  Friedhof sthore: 

Siste  gradum,  specta  monnmentum  hoc  quaeso  viator, 
Quod  ])ia,  i|Uod  cultrix  legnm  germana  inventus, 
Condldit,  ut  genti  pateat  commune  sepulcmm, 
Ut  Germanomm  manes  post  fata  quiescant 
Sacra  parentali  capientes  annna  ritn.*) 

Aber  auch  der  heimischen  Volksgenossen  gedachten  die  Procura- 
toren  der  Bologneser  Natio  Germanica:  zwei  dort  verhaftete  reisende 
Kaufleute  aus  Ingolstadt  dankten  der  Nation  ihre  Befreiung.  Freilich 
waren  es  nicht  ausschliesslich  die  edelsten  Vertreter  Deutschlands, 
welche  nach  Bologna  gingen:  so  berichten  die  Annalen  der  Nation,  dass 
eines  ihrer  Glieder,  Daniel  Grenzing  aus  Feldkircb,  zuerst  einen  Böhmen 

•)  Hemme  den  Schritt  und  schane,  o  Wanderer,  staunend  das  Denkmal, 
Das  in  truuiuien  Sinne  die  recbtäbeüisäene  Jugend 
DeDt8chIand$8cbuf  sam  Scliliunmer  fflr  seines  Volkes  Genossen, 
Dsss  vom  Tode  exiafft  die  sbgeschied^en  Manen 
Jibilicbe  Opfer  empfangen  nach  beiUgem  Braodie  der  Vftler. 


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Bntndenbiiigtr  in  Italien  im  Zeiteltw  der  BaneiiSMice.  77 

halbtot  schlug,  sodann  mit  der  Kasse  der  Nation  das  Weite  snohte. 
Wie  konnte  es  auch  anders  sein,  wenn  wir  erfahreu,  dass  im  ganzen 
10300  Deutsche  in  Bologna  studiert  haben;  wie  wäre  es  da  der  Nation 
möglich  gewesen,  alle  zweifelhaften  Elemente  von  sich  fernzuhalten? 
Für  das  Jahr  1516  melden  die  Akten  der  Nation,  dass  Matthias  v.  Jagow 
ans  Aulosen  in  der  Altmark  nach  Erlegung  eines  Dukaten  Doctor  beider 
Rechte  geworden  und  dann  in  die  Heimat  zurückgekehrt  sei;  den  Rest 
der  Gebühren  zu  zahlen  wurde  er  später  von  Bologna  aus  noch  mehr- 
fach gemahnt.  Eine  seltene  Fügung  war  es,  dass  derselbe  bald  nach 
seiner  Heimkehr*)  in  das  Vaterland  Gelegenheit  fand,  die  in  Bologna 
erworbenen  juristischen  Kenntnisse  praktisch  zu  verweilen,  als  er  durch 
das  Vertrauen  des  Kurfürsten  Joachims  I.  znm  Vertreter  des  ober- 
sächsischen Kreises  bei  dem  Reichskamroergerichte  zu  Nürnberg  für  die 
Jahre  1522—1523  ernannt  wurde. 

Die  bei  dem  Sturme  auf  Verona  gefallenen  brandenbui'gischcu  Reisigen 
haben  ihre  letzte  Ruhe  dort  unter  dem  Schutze  des  heiligen  Dominions 
gefunden;  in  der  Gruft  von  St  Andreas  zu  Mantua  schläft  die  branden- 
burgische Fürstentochter  neben  Gatten  und  Kindern;  auf  dem  Kirch- 
hofe des  heiligen  Fridian  zu  Bologna  ruht  mancher  allzu  streitbare 
jugendliche  Märker  von  seinen  Kämpfen  mit  Böhmen  und  Polen  ans: 
die  grosse  Mehrzahl  unserer  Landsleute  aber  wurde  zurückgeführt  in 
das  Vaterland  durch  die  Empfindung,  die  sie  nach  einem  halben  Jahr- 
tausend noch  mit  uns  verbindet,  die  Liebe  zur  märkischen  Heimat 


*)  Pfltter.  Acta  dei  Beichslcammergerichta.  S.  147. 


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78 


Georg  Galland: 


Zur  Geschichte  der  Bieseadorf  (Bläsendorf). 

Von 

Georg  GatUuid. 


1.  Die  Goldsehmlede-  ond  KapfeFSteeherfoinilie  in  Berlin. 

Für  den  Historiker,  der  dem  Wirlcen  der  unter  den  Branden- 
bargisch-Preussischen  Fürsten  des  17.  nnd  18.  Jalurhunderts  thätigen 
Männer  der  Künste  nnd  technischen  Wissenschaften  nachgeht,  Icann 
auch  der  Name  Biesendorf  nicht  ohne  Klang  und  Bedeutung  sein. 
Weiss  er  doch  zum  Wenigsten,  dass  zwei  Bliiglieder  dieser  FamUie  als 
Kupferstecher,  namentlich  durch  eine  Anzahl  Portr&ts  berühmter 
Zeitgenossen,  sich  Rnf  und  Ansehen  verschafft  hatten.  Die  unten  mit- 
geteilten Angaben  Fr.  Nicolais  an  zwei  Stellen  seiner  oft  zitierten 
^^Nachrichten  von  Künstlern  etc.*'  (1779),  denen  auch  Kaglers  KünstUn- 
lexikon  .(München  18.'M— 1852)  fast  wortgetren  folgt,  bildeten  früher 
die  Hauptqnelle  für  die  Lebonsj^escliichton  der  Biesendorf.  Aber  diese 
sonst  so  schätzbare  Quelle  fliesst  leider  an  diesen  bei<len  Stellen  weder 
tief  noch  rein;  und  unter  den  Irrtümern  Nicolais  ist  der  nicht  der 
gerillteste,  welcher  den  gleichnamigen  Kriegsingenieur  des  Grossen 
Kurfürsten,  Joaciüm  Ernst  Blesendorf,  zu  einem  altern  Bruder  der 
oben  erwähnten  Kujjfersteciu'r  macht. 

Nicolai  schreibt  nämlich  S.  iMi  a.  a.  0.:  „Ananias  Biesen - 
dort!",  ein  künstlicher  Goldschmidt,  und  Vater  drever  gescUiclkteu 
S«ihne,  Joachim  lvr?iste«,  Samuels  und  Konstantin  Friedrichs,  war  einer 
von  den  ersten  Bewohnern  des  Friedrichswerders,  bey  dessen  Anbau, 
und  ai  hpitüte  um  für  den  Hof.  £r  starb  in  einem  hohen  Alter 
um  Hill)". 

Bevor  ich  die  hier  durch  den  alten  Autor  beniluton  Verwandt- 
schaftsverhältnisse der  Truger  des  Namens  Biesendorf  richtig  stelle, 
möchte  ich  mich  zunächst  bezüglich  der  Schreibweise  dieses  Namens 
mit  meinen  Tiesern  auseinandersetzen.  Und  da  ist  zu  bemerken,  dass  sich 
Meister  Ananias  in  einem  im  (leb.  Preuss.  Staatsarchiv  belindlichen 
Aktenstück  aBläsendorf  schreibt,  während  die  beiden  Kupferstecher 
auf  ihren  Arbeiten  bald  „Blesendorfl*"  bald  Blesendorf"  unterzeichnen. 
Ich  habe  hier  die  letztere  Namensschreibung  gewählt,  nur  um  eine 
bestimmte  Schreibweise  zu  fi.vieren,  obwohl  auch  die  Zeitgenossen  des 
Ingenieurs  häulig  „Bläsendorf)'*  geschriebe?i  haben. 

Was  nun  jenen  „künstlichen  Goldschmied'',  Meister  Ananias, 
betriät,  so  hören  wir  erst  im  Jahie         von  ihm  selber  näheres.  £r 


Zur  Geschichte  der  Bleaendorf  (Blftsendorf). 


79 


ist  damals  weder  Meister  der  Gilde  noch  Fr e imeistor  in  Berlin  und 
um  ein  solcher  zu  worden,  bewirbt  er  sich  in  einem  Immediatgesuch  au 
den  Kuifürsten  um  die  Konzession  zur  Bctroibuiig  des  Goldschmiede- 
haudwerks  auf  dem  Worder,  Und  die  l'mstiiiide,  dio  er  zu  seinen 
Gunsten  anführt  und  die  ihm  auch  wirklich  di'ii  Krfolg,  das  erwünschte 
Privilegium,  verschafften,  sind  für  uns  intt'ressaiit  genug,  um  die  Wieder- 
gabe des  ganzen  Aktenstückes  (datiert:  ii.  Juli  iü&I)  zu  reclitfertigen. 
„Durchlauchtigster  etc. 

Fnv.  (^hiirfiirstl.  1  »urchlaucht  kan  in  aller  Unterthänigkeit  nicht 
unberichtigt  laßen,  wio  dz  mein  Vater  seehl.  Samuel  BUisendorf 
liiro  Churfürstl.  Durchhuicht  Ileirn  Vater  Ilöchstseehl.  aiulenckens  in 
die  2ü  Jahr.  Vor  einem  (loltschmidt  aufgewardtet,  iindt  in  wehrend 
Zeit  sich  ehrlich  undt  treü  Verhalten.  Weil  ich  dan  auch  soichi's  bey 
seinem  lebezeiten  gelernet  mein  Stücke  brotli  Darmit  zu  verdienen,  mich 
darauf  Vor  etzliclien  .lalireii  l)efreyet,  iiihIt  Altern  gerteners  seehl. 
Meister  HanC  Dreiilers  Tochter  genoiiitnrii,  die  Mittidl  nicht  gelial)t 
habe,  mich  alliier  in  ?>erlin  in  der  Golfschmideii  giilth-  einzukaiiffen, 
undt  deshalb  aufm  Werder  zielien  nuillen  friede  Vor  ihnen  zu  haben. 
Doch  leider  erfahren  wir  dz  sie  mir  gedrawet,  in  einem  undt  dem 
andern  Verhinderlichen  Zu  sein.  Alß  gelanget  an  Ew.  Churfürstl. 
Durclilaac  ht  mein  Untei'thänigstes  und  gehorsalimes  bitten,  Sie  geruhen 
gnädigst  in  erwegnng  Deßeu  die  weill  mein  Vater  am  Cliurfürstl. 
Hofe  so  lange  gedienet,  wie  auch  meiner  Fraw  Vater  welcher  Fünf 
Ilochlrdjl,  Cliurfürsten  aufgewardtet,  mir  die  ITolie  Gnarle  zu  erweisen 
inult  ein  gnädiges  |»rivili'gium  uiitzütheilen,  hamit  ich  macht  luibe 
gesellen  nndt  .hingen  zu  halten  und  aus  zu  lernen,  mein  sehildt 
ans  zu  liengen,  Das  auch  Kein  einziger  auß  <ler  Stadt  mit  schmehe 
Wordton  bey  hoher  strabfie  oder  abmahnung  der  gesellen  so  ich  bey 
mir  babe  oder  ins  kflnÜtige  bekommen  werde  enthalten  sollen,  Undt 
kein  eiiitziger  sich  alliier  zn  setzen,  Es  sey  den  dz  Ihre  Churfürstl. 
Durchlaucht  ihm  ein  Privilegium  mittheilt  oder  aber  in  wiedrigeu  sich 
mit  mir  abfinden  soll,  Damit  ich  raein  Stficke  broth  den  roeinigen 
80  lange  ich  lebe  Verdienen  kan.  GetrGhste  mich  gnädigster  er- 
hörung etc.  Ananias  Bläsendorf. 

Die  darauf  folgende  Erteilung  des  Privilegiums*)  durch  den  Kur- 
fürsten knüpft  dai'an  die  Bedingung:  .  .  daß  bey  Verlust  dieser 
gnädigsten  concession  und  bej  Vermeidung  ernstlicher  straffe  dasjenige 
Silber,  was  er  Vor  probesilber  Verkanifen  und  deswegen  mit  seinem 
Marcke  bezeichnen  wird,  so  gut  undt  so  fein,  durchaus  aber  nicht 
geringer  sUber  seyn  solle,  als  dasjenige  ist,  was  Von  hiesigen 
Meistern  Vor  probesilber  Verkauft  wird,  dz  Wercksilber  auch  gleich- 

*)  Vgl.  darttber  auch  Fnl.  Sarre,  die  Berliner  Goldachmieda*Zimft.  Berlin  18115. 


80 


Geoig  Gallaikd: 


fals  eben  so  gut  seyn  solle,  wie  es  von  obgedachten  hiesigen  Meistern 
verarbeitet  wird  .  . 

Schon  ans  dieser  Gegenüberstellong  mit  den  «hiesigen  Meistern'' 
ist  der  Schluss  zn  ziehen,  dass  Meister  Ananias,  der  vor  den  „Schmäh- 
Worten"  der  eingesessenen  Znnftgenossen  beim  KnrfÖrsten  Schutz 
suclite  und  fand,  von  auswärts  nach  Berlin  gekommen  war.  Sein 
Vater  Samuel  Biesendorf  d.  A.  solf  zu  Grantzkow  in  Mecklenburg 
im  Jahre  1598  geboren  sein"^),  sich  in  Berliu  am  IIA.  Februar  (?  August) 
1630   mit   Katharina  Keichard,   Sebastian  Keichards  nachgelassener 
Tochter  vermählt**)  und  erst  \ihV2  das  Berliner  Bürgerrecht  erworben 
haben.***)    Dass  er  schon  vor  Kilo  in  der  märkischen  Residenz  gcU  bt 
haben  müsse,  ist  selbst  angesichts  der  Tliatsache,  da-ss  er  dem  Kur- 
fürsten Georg  Wilhelm  lange  Jahre  gedient,  nicht  unbedingt  notwendig^; 
er  kann  ja  auch  in  Königsberg  i.  P.  oder  sonstwo  als  Goldarbeiter  des 
Kurfürsten  gearbeitet  haben.    Ausserdem  giebt  es  keinen  mecklen- 
burgischen Ort  Grantzkow;  sondern  es  existieren  nur  ähnlich  lautend^^ 
Ortschaften:  Granzin  in  Mecklenburg-Strelitz,  Gramzow  in  der  Uker- 
niark,  Granow  in  der  Neumark.    Welcher  Ort  könnte  wohl  gemeint 
sein?  Von  der  Hand  zu  weisen  wäre  hier  vielleicht  nicht  die  IlypoMicse, 
dass  der  Name  „Bläsendorf"  mit  dem  sü(hingarisciien  Oi  te  ^lilasendorf", 
der  in  dem  seit  Alters  von  deutschen  Kohmisten  bevctlkerten  Sieben- 
bürgen liegt,  im  Zusammenhang  stehe.    Am  'JH.  April  KJöl  wnrde  dfc 
Stammvater  der  Berliner  Goldschmiedefumilie  Biesendorf  zu  St.  Marieu 
bestattet:  er  hatte  ein  Alter  von  5;}  Jahren  erreicht, 

Ana  n  las,  sein  iiltester  Sohn,  diii-ric  Knde  IGoll  oder  im  Jahre  l('»;»l 
gebitren  sein,  \ermutlich  in  Berlin,  Er  hat,  wie  er  versichert,  bei 
seinem  Natcr  das  (foldscluniedeliandwerk  erlernt.  Wohin  er  dann  seine 
Schritte  lenkte,  wann  er  heimkehrte  und  sich  in  Berlin  mit  Meister  Hans 
Dresslers  Tochter  verniälilte,  wissen  wir  nicht.  Fal.sch  sind  jedenfalls 
die  Angalten  bei  Nicolai,  dass  er  „einer  vou  den  ersten  Bewohnern  des 
Friedrichswerders"  war  und  „K'»-)-  für  rL'n  Hol  -  tliiitig  gewesen  sei,  was 
der  Beteiligte  selbst  wohl  in  jenem  Bittgesuch  an  den  Kurfürsten  von 
U'A\2  sicherlich  nicht  verschwiegen  iiaben  dürfte.  Ob  dagegen  die  bei 
Nicolai  ebenfalls  angegebene  Zeit  seines  Todes,  um  1070,  richtig  ist, 
vermag  ich  nicht  festzustellen. 

Von  seinem  nur  wenig  jüngern  Brnder  Samuel  Bi.  d.  J.  erfahren 
wir,  dass  er  am  11.  Januarf)  Ki.Jo  in  der  St.  Nictdailcirche  in  Berlin 

*)  Sure  a.  «.  O.  8.  76. 

**)  Vgl  KOater,  Altes  and  neuM  Berlin  (Beriia  1737  n.  1762),  ferner  A.  B. 

König,  CoIIectaneen  ilManuskript  in  d.  Berliner  Kgl.  Bibliothek:  hier  Ins  ich  ftls  Tag 
der  Vermahlung  24.  Februar  (nicht  August,  wie  Samce  *.  a.  0.  «ngiebt^ 
♦*•;  Berl.  BttrgerbUcher  im  Stadtarchiv, 
f )  Ntflb  Bin«,  la  Königs  CoIIectaneen  las  ich  11.  August. 


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Zar  Oesohichte  der  Memadod  (BHaandorf). 


81 


getauft  wurde,  mit  Ursel  Brechtel  die  Ehe  eingiDg  und  eine  Zeitlang 
als  Goldarbeiter  im  Haag  (Holland)  lebte*X  wo  er  noch  im  Jahre  1679 
nachweisbar  ist.  Denn  ein  kurfürstliches  Rescript  aus  Potsdam  vom 
12.  (22.)  August  dieses  Jahres  au  den  kurbrandenburgischen  Residenten 
im  Haag,  7ice-Kanzler  Romswiukel,  verffigt  über  eine  Goldschndedearbeit 
wie  folgt:  «Weil  ein  Goldarbeiter  aus  Berlin,  namens  Biesendorf,  be- 
fehligt ist.  Euch  etwas  ffir  Unsere  hensgeliebte  Gemahlin  zuzustellen,  so 
befehlen  Wir  Euch  hiermit  in  Gnaden  solches  anzunehmen  und  es  sicher 
herüber  zu  schicken**.**)  Sonderbarerweise  trügt  ein  anderes  Rescript, 
das  demselben  Biesendorf  ein  Privileg  als  Goldschmied  in  Berlm  be* 
willigt,  das  Datum  des  18.  Oktober  1679.***)  Danach  wftre  damals 
seine  Rückkehr  aus  Hdlland  erfolg:t.  Am  27.  Oktober  1686  wurden 
ihm  auf  kurfürstlichen  Befehl  530  Rthlr.  für  ein  Porträt  ausgezahltf ) 
Lässt  dieser  Umstand  wohl  darauf  schliessen,  dass  wir  es  in  dem 
bisherigeu  Goldarbeiter  zugleich  mit  dem  künftigen  Kui)ferstecher  und 
Ölmaler,  den  Nicolai  als  den  älteren  Bruder  des  Konstantin  Friedrich 
Biesendorf  bezeichnet,  zu  thun  haben,  so  mnss  doch  andererseits  an 
dem  bei  F.  Snri*e  angegebenen  Todesjahr  des  Goldschmieds  Samuel 
Biesendorfs  1(>86  gezweifelt  werden,  um  so  mehr,  als  für  das  Geburts- 
jahr sowohl  des  einen  wie  des  anderen  das  Jahr  1()83  aogenomnien 
wird.tt)  Es  können  doch  unmöglich  zwei  Söhne,  Zwillinge,  den  Vor- 
namen ihres  Vaters  erhalten  haben.  Also  existierte  nur  ein  Samuel 
Bh'scndorf  der  J.,  der  nachweislich  im  Jahre  lf)99  als  Uofkupferstecher 
Kurfürst  Friedrichs  HI  starb,  nachdem  er  im  Jahre  1696  ttue  swiÄte 
Ehe  mit  der  1  Tjälnijifen  Marie  Kntlmrinn  Freei'sfff)  eingegangen  war. 
Er  ist  zweifellos  die  interessanteste  und  bedeutendste  Persönlichkeit  in 
dieser  F;iinili*'.  der  Mann,  der  als  einfacher  Goldscliniied  begann  und 
als  angeseheut'i-  Kinistler  und  Akadeniieprofessor  oiidig^te. 

Ans  seiner  t'rsten  Ehe  mit  Ursel  Bi  (  <  litel  wunlf  iliiii  im  Jahre  1674 
der  iiltcsti'  Sülm  Kuustantin  Friedric  h,  sein  künftiger  Nachf(dger 
als  llnfkupfersteclit'r  (seit  ITlH»)  und  Akademielelirer  (seit  1702),  gebr»nMi. 
Dessen  Eiuknmnien  als  llofkupferstecher  betrug  wie  das  <les  Yutors 
lUhlr.  An  der  Berline)-  Akademie  ist  er  zuletzt  adjunctus  ujdinarius 
gewesen;  zu  einem  Prolcss^riit  hat  er  es  dort  nicht  gebracht.  Im  Jahre 
1725  ist  er  auch  aus  dei-  Liste  der  Hnfküustler  verschwunden.  Er  ist 
weder  s««  ln  dfutend  als  Kupferstecher  nach  so  i)roduktiv  wie  sein  Vater 
gewesen.    K.»ustautin  Friedrich  starb  im  Jahre  1744. 

Ausser  König  a.  n.  O.  vergl  auch  GaUaod,  D.  Grosse  Kurffirst  u.  Morits 
V.  Nassau  etc.  Frankf.  a.  M.  lt)9J. 

**)  Sarro  «  a.  O.  nach  Kgl.  Pr.  Geh.  St.  Archiv. 
***)  Pr.  Geh.  Staata-Archiv ;  Oalland  a.  a.  O.  Anmerknnii  8.  910. 

t)  Geh.  Staata-Archiv  zn  Berlin, 
t^)  ^  TV  nnch  von  ITans  Muller,  D.  Kd  Akii>U  iii;i  >ler  Kanste  SU Beriiu. Berlin  1896. 
ttt)  ^>  Leichenpredigt  der  Marie  Katiiariua  Freraiu. 

9 


82 


Georg  Galland: 


lieber  die  angeblichen  Brflder  Samuel  (II)  und  Konstantin 
Friedrich  Bl.  macht  Nikolai  die  folgenden  2.  Tl.  irrtümlichen  Angaben, 
die  durch  die  obigen  Ansführnngen  berichtigt  werden: 

"'.  „Samuel  Blesendnrf,  älterer  Ih  uder  KoBötantins,  ein  sehr  ge- 
»chickfer  Kupferstecher,  dor  viele  Biidaisse,  zum  Teil  nach  damals 
lebenden  Malorn,  zum  Tlieil  auch  nach  eigenen  Zeichnungen  gestochen 
hat.  Er  arbeitete  iu  der  Manier  P.  van  Gunst*).  Sein  bestes  Stück  ist 
der  Markgraf  J(»hann  Friedrich  von  Anspach  und  dessen  Gemahlin, 
nach  einem  vortreflicheu  Bilde  von  Kaspar  Netschern.  Man  findet  in 
verscliiedeuen  damals  in  Berlin  gedruckten  Scliriften,  unter  andern  iu 
Lorenz  B^ers  antifjuarisclien  Werken  einige  Kupferstiche  von  ihm.  Er 
nullte  auch  gute  Bildnisse  in  Ölfarben;  ward  darauf  1696  iiofkupfer- 
stecUer  mit  250  Rthr.  Gehalt  und  starb  1706.*" 

„Konstantin  Friedrich  Biesen  dort,  malte  schön  in  Miniatur 
und  auch  in  Öl.  I  r  zeichnete  auch  viel  für  Kupferstecher,  und  ätzte 
selbst  vei'scliiedouc  artige  Sat  licu  in  Kupfer.  Ei'  arbeitete  mit  an  seines 
Bruder.s  Kuiiferstichen ,  iiud  ward  nach  dessen  Tude  1707  /.uui  lluf- 
kujiferstecher  ernennet.  Auch  hat  er  für  8(  hltiteru  und  Ensandern  viel 
saubore  architektonische  Hisse  gezeichnet.  Er  starb  etwau  1754,  iu  sehr 
hohem  Alter.'* 

Ausser  einem  Landmesser  Joachim  Biesendorf,  in  dem  ergleicli- 
falls  einen  Verwandten  der  obigen  Kupferstecher  vermutet,  erwähnt 
Nicolai  nach  eine  Schwester  deraelben:  Elisabeth.  |,Ausser  ihrem 
Talent  zam  Singen  und  zur  Musik,  war  sie  auch  sehr  geschickt  in  der 
Sehmelzmalerey.  Die  Fürstinn  Menzikof  nahm  sie  mit  nach  Russland, 
und  sie  ist  zu  Petersburg  gestorben. Der  Autor  schöpfte  hier  aus 
einer  lieutt-  nicht  bekannten  Quelle.  Es  mnss  also  dahingestellt  bleiben, 
ob  es  mit  dieser  Schwesterschaft  mehr  Richtigkeit  habe,  wie  mit  der 
Bruderschaft  jenes  ältern  Ingenieurs  Joachim  Ernst  Biesendorf,  fibor 
dessen  Familie,  noch  unten  Bestimmtes  anzugeben  wäre. 

Soweit  die  heutigen  (Quellen  Aufschluss  und  Gewähr  bieten,  k<>unt4» 
dci  uachsteluMule  genealogische  Versuch  gewagt  werden.  Man  ersieht 
aus  meiner  Zusummeu.steliuug,  dass  uoch  mauche  Lücke  unausgefidlt 
bleiben  nuisste: 


•)  Nach  NagliT  a.  a.  0.  war  Pieler  van  Gnnsl  (!n.  10U7  7,n  AiUHtenlam  ge- 
boren. Seine  gestochenen  Bildnisse  mchaea  sich  durch  Nettigkeit  aus;  mehr  GeUiild 
ala  Genie.  Als  Samnel  Bl.  aus  Holland  nach  Berlin  nurnokkehrte,  war  P.  van  Gunst 
erst  la  Jahre  altl 


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d 


Zur  Qetobloht«  dAr  Bletendort  (Blisendorf). 


88 


IiebensnacUriclitcn 


Sftmnel  1. 


II. 


a)  AuaniaH 
Sohn  von  T. 


b)  Sftmuol 
•Sohn  vuu  I. 


Hohn  von  I. 


UI. 

a)  KoiiBtantin 

Friedrich, 
Sohn  von  üb. 


geboren  i.  J. 
1598  zuGrantz- 
kow  in  Meck> 
lenbnrg  (?), 

viclloichf 
üraiuxow  in 

der 
Vckennark. 


geboren 
vennntlich  i.  J. 
1631. 


getauft  11.  Jan. 
(Aug.)  1Ö33  in 
Berlin 
(St.  mcoUi). 


24.  Febr. 

mit 

Katharina 
Reichard, 
Sfbn.stian 
Reichards 
nachgelassenor 
Tochter  in 
Berlin. 


mit  Meister 

Hanfl 
Dri'ßler.s 
Tuchter  in 

Berlin. 

a)  Mit  Ursel 
Brecbtel. 

b)  Mit  Marie 
Kath  arina 

Freers 
l  J.  1696. 


bcjarraben 
•JO.  Aiuil  1051 
ißi.  Marien) 
in  Berlin. 


War  gegen   20  .Tahre 

lang  GoUl8cbnrK'<l  in  r.r-rlin 
anter  Kurfürst  (ieurg  Wil- 
hehn.  Im  Jahre  1682 
erwirbt  er  dos  Berliner 
Bürgerrecht. 


um  107U.' 


1689. 


Erhält  vom  Kurfüraten 
Friedrich  Wilhelmim  Jahre 
166'J  Privilegium  als  GoM 
Scbujied  auf  dem  Werder. 


a)  Lebt  als  Goldschmied 
im  Haag  (Holland). 

b)  Erhält  am  18.  Oktober 
1079  Privileg  als  Gold- 
scbmieil  in  Berlin  durch 
den  Kurfürsten  Friedrich 
WUhelm. 

c)  i:rh:i!i  inoo  Bestallung 
1  als  Hotkupierstecher  durch 
I  dea  Enrfftrsten  Friedr.  UI. 
i  mit  250  Rthlm.  Gehalt 


getauft 
lü.  Mai  ir>40 
in  Berlin. 

getauft 
22.  Febr.  1074 

in  Berlin 
(St.  Marien). 


21.  April  1Ü84 
in  Berlin. 


21.  Dea.  1744. 


a)  Erhält  au\  11.  Mürz 
1700  durch  KOnig  Friedr.  1. 
Bestallung  als  Uofkupfer- 
Stecher   mit  250  Rthlra. 

Gehalt. 

b)  Wird  1702  als  Ad- 
jnnctns  Extraordinariua 

dem  Lehrerkollegium  der 
Akademie  eingereiht. 

c)  (Nach  dem  Berliner 

Adresskalender  von  1707) 
Adjunoti  ordinarii:  u.  a. 
Konst.  Frdr.  Biesendorff 
Hofkupferstecber,  wohnt 
auf  der  Freiheit  im  Hol- 
steinschen  Hau^ie. 

d)  Seit  1715  (1714  er^ 
.schien  kein  Kalender' 
Steht  er  der  Akademie 
fem. 

e)  .«^eit  1725  ist  er  niebt 
mehr  im  Kalender  zu 
flnden,  war  er  also  nieht 
oMhr  Hoflniptoiat«cher. 

6^ 


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Georg  Gallanü: 


Kaum 

j      Geburt  ' 

Vei«heUcht 

LebemmachriditMi 

h)  TliL-odor 
Suhu  von  Iii». 

1 

^rctauft 
10.  Nov.  1076 
in  Berlin. 

? 

c)  Krnst 
Ludwig 
Sohn  yott  IIb. 

getauft 
hi.  Febr.  1(570 
in  Berlin. 

4.  April  \C,m 
iu  Httrlin. 

d)  Jobann 
Bamnel. 

( 
1 

t 

nach  l<i99. 

I.   Die  Kupferstiebe  Sainael  ßlesendorfs  d.  J. 

1.  In  Sam.  Pnfendorfs  „Res  Gestae  Friderid  Willieltni  Magni  etc". 
(Bariin  1695): 

s)  Porträt  des  Korfarsten  Friedrich  Wilhelm  (kl  f'ol.  Vor 

dem  UtelbL). 

Nach  A.  Clerck's  Gemälde.  Ovaler  Rahmen. 

Elegantes  Blatt,  das  in  der  Durchbildung  des  Kopfes  stecherische 
Feinheiten,  in  der  Drapirnng  wie  in  der  Umrahmung  6eschmai*k  verrät. 

b)  Titelblatt  (kl.  fol.).  Nach  M.  Probners  Komposition,  die  eine 
ideale  Zosaromenstellnng  von  Figuren  giebt. 

c)  Kleine  Vignette  „Pallas  und  die  Musen*'.  Ohne  Bezeichnung. 
Wohl  eigene  Komposition  des  Meisters. 

2.  In  Sam.  Pufeiuloifs  „De  rebus  gestis  a  Carolo  Gnstavo 
Sneciae  Rege"  (Nünibero  lO'.lO). 

a)  Porträt  Karl's  XI,  Königs  von  Schweden,  (kl.  fol.  Vor  dem 
TitelbL). 

Jugendliebe  Erscheinung  im  roiclien  Ovalrahmen,  Hennelin» 
Drapierung  und  Embleme.    Tüchtige  Arbeit. 

Inschrift:  Carolus  XI.  Sueconini,  Gothomm  et  Vandaloriim  Rex. 
Untei-schrift :    Ö.  lilfsendorf  Scr.  Elect.  Brand'''  Sculptor  Scnlp. 

b)  Porträt  des  Autors  „Samuel  Libor  Baro  dt»  Pufendorf**  (kl. 
fol.  Nach  dem  Vorwort).  Ovaler  Festonrahmen.  Karl  Xf.  erliob  im 
J.  1()94  den  Ilofhistoriker  des  Gr.  Kurl'ürsteu  in  den  schwedischen 
Freilierrustand. 

8.  In  Isaaeus  de  Heausobre's  „Sermon  fuuebre  de  Jean  George  II 
Prince  de  Anhalt  (Berlin  \m:>.)  4". 

a)  Darstellung  einer  tiiumphaleu  Kompusitiuu  (fol.  Vor  dem 
Titelbl.). 

Der  Herzog  thront  unter  einem  Baldachin.  Seitwärts  stehen  je  zwei, 
vorn  sitzen  ebenfalls  zwei  allegorische  Gestalten.    Die  letzteren  sind 


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Zur  Geschichte  der  BleBendorf  (BlUendori;. 


85 


mit  „Anhalt''  und  ^Dessau"  l>rzoichnet.  Ausserdem  si«^ht  man  obtM'halb 
eine  heraldisclie  Tafel,  unten  eine  Insclirifttafel.  Das  Gau/,»'  w  irkt  ziemlich 
gesucht  und  lahm,  am  besten  diis  Portrat.  Be^:  S.  Bieäeiidorf  deliu. 
et  sculpsit  1094. 

]))  Der  Pracht  sarg  des  Uerzttgs  iu  Ü  Abbildungen;  Langäeite, 
Küpt-  und  Fussseite. 

4.  Portriit  des  Kuriursteu  Friedrich  III  von  iiruudeuburg 
10%.   kl.  lül. 

r>.  Dasselbe  Rlatt  mit  der  ünterschrilt:  Servus  humillimus  S.  Blesen- 
dorß'  (jui  Sculp.  kl.  toi.    Schönes  Blatt. 

().  Kurfürst  Friedrich  III.  S".    Sehr  jugendliche  Züge. 

7.  Porträt  K<»nig  Friedrichs  I.  kl.  fol.  (4 — 7  im  Ovalriihnien). 
Nachstich  von  4  mit  verändcitcr  Umrahmung,  kl.  ful. 

Ü.  Porträt  der  Iv  ur  I  iir.stin  S()i>hie  Karoline  von  Brandenburg, 
kl.  fol.    Pendant  zu  5  mit  derselben  Unterschrift. 

lü.  Portrat  Karls  XI  von  Schweden.  4". 

Nachstich  von  2  mit  vereiafachtor  Umrahmung  (Palmen-Motiv). 

11.  Doppelblldniss  des  Markgrafen  Johann  Friedrich  von 
Anspach  nnd  seiner  Gemahlin.   Kl.  Querfol. 

Nach  dem  Gemälde  von  Kasper  Netscher.  Virtuoser  geschmack- 
voller Kupferstich. 

12»  Bildniss  der  Eleonore  Erdmuth  Luise  geh*  Prinzessin  von 
Sachsen. 

Nach  dem  Gemälde  von  K.  Netscher. 

13.  Bildniss  des  Angnst  Friedrich  Bischof  xn  Lttbeck.  Kl.  fol. 
Nach  dem  Gemälde  von  L.  Wiand.  Mit  reichem  Ovalrahmen  und 

Kriegsemblemen.  Bez:  „S.  Biesendorf,  Berlin.*' 

14.  Bildniss  des  Heinrich  von  Podewils,  Generalfeldmarschall 
(1615—1696).  Ovale  Festonumrahmnng  mit  Kriegsemblemen.  Feiner 
virtuoser  Stich,  beseelter  Ausdruck  des  vornehmen  Kopfes. 

15.  Bildniss  des  Adam  von  Podewils,  Ministers  (1617^1697). 

16.  Bildniss  des  Eberhard  von  Danckelmann  (f  1722). 

Bez:  ,D.  Richer  pinzit  —  S.  Biesendorff  S.  E.  B.  Scnlptor  f.* 
Kl.  Stich  im  Ovalrahmen. 

17.  Bildniss  des  Daniel  Ludolph  von  Danckelmann,  Geheimer 
Kriegsrat  des  Kurfürsten  Frietlridi  III. 

Bez:    (Wie  Ki).    Kl.  fol.    Friiip  Ailu-it  von  16U8. 

18.  Bildniss  des  Sylvester  Jacob  von  Danckelmann,  Konsistorial« 
Präsident.    Kl.  fol. 

Bez:  (Wie  Iß). 

19.  Bildniss  des  Frd.  Rud.  Lud.  von  Canitz,  Staatsminist(U'. 
Nach  dem  Gemälde  von  A.  Cierck.   Kl.  fol.  —  Schönes  Blatt  mit 

Ovalrahmen. 


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86  Qeois  GiUnids 

20.  Bildnissdefi  Karl  August  von  Alvensl eben,  Kanonikus  am 
Magdeburgor  Dom.  4^ 

Vollendet  schöner,  sarter  und  schwungvoller  Sticli. 

21.  BildnisB  des  Joachim  Balthasar  von  Dewitx,  General- 
lieutenants der  Kavallerie.  Kl.  fol. 

Kriegsrüstong  und  Kriegsembleme. 

22.  Bildniss  des  Christoph  Hanboldus  von  Hoawaldt 
(1067—1693).  4\ 

Bes:  S.  Bl.  scnlpebat  Anno  16U9.     In  Kriegsrftstung.  Ovalrahmen. 
28.  Bildniss  des  Franz  von  Bfeinders,  Ministers  Friedrichs  III 
(1630— 1695> 

Nach  dem  Gemälde  von  G.  Romandon.  Kl.  fol. 
Eleganter  Stich. 

24.  Bildniss  der  Frau  Hedwig  Sophie  von  Oppen  geb.  von 
Kracht  (1633-1694). 

Nach  dem  Gemälde  von  A.  Clerck.  4^ 
Tfichtiger  reisvoller  Stich« 

25.  Bildiiiss  der  Aguese  Helmuth  von  Fleming. 

26.  Bildniss  der  Frau  Maria  Tugendreich  von  Below  geb. 
von  Aroini. 

27.  Bildniss  der  Magdalena  Sibilla  Freifrau  von  Schweinitz 
geb.  Freiin  von  Friesen.   41  J.  alt. 

Nach  tloni  Gemälde  von  A.  Glerck.   Kl.  fol. 

Eleganter  Sticli  von  \{}\)4. 

l^H.  Hildniss  des  Joh.  Gebhard  Raben  er,  Brandeobg.  Rath. 
iJez:    A.  Stech  ad  viv.  pinx.    S.  Bl.  sculp. 

2\l  Bildniss  des  Martin  Weise,  Consul  et  Archiater  (geb.  16U5). 
88  Jalir  alt.    Bez:  S.  Bl.  sculpebat  Bernüni  Anno  1693.  —  4'\ 

Bildai&is  desselben.  Probedruck  mit  unfertigem  Rahmen  ohne 
Bezciclinung. 

;W.  Bildniss  des  D.  Martinus  Willich  (1643—1607). 
Schlieliter  Kähmen.    In  4". 
o'2.  Bildniss  des  Pastors  Cluistoph  Nagel. 
Gediegene  Arbeit  von  16',M>.  —  4'», 

8*1  Bildniss  <U  -  Kurtürstl.  Leibmedicus  Christian  Meutzel  (geb. 
1622  zu  Fürstenwalde.    IW  starb  1701).    In  H». 

Bez:    „8.  BL  ad  \i\um  ping:  et  scnlpebat  ßerolini  Anno  1694.* 
;U.  Bildniss  des  Dilzems  (1I)2S— U)97). 
Bez:  Seemann  deliii,  —  S.  Bl.  sc." 

Bil<lni>^  des  Prof.  Johannes  Klein.    40  J.  alt. 
In  8'.    Ovalrahmen.  Ber:   „J,  Luhn  pinx.  Hamb.  —  J.  Bl.  1691)." 

Bildniss  des  Gottfried  Mussigk.    56  Jahr  alt. 
Stich  von  Um  in  4". 


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Zur  Gescbicbte  der  Blesendori  (Bläsendorf).  QJ 

87.  Bildniss  des  Matthäus  Gottfried  Purman,  Arzt  in  Breslau 
42  J.  alt.  Stich  von  1691  in  8». 

38.  BildnisB  des  Job.  Ohr.  Sehamann»  Konsols  in  Dresden.  In  4". 
Bez:   «J.  F.  Marchant  pin^.  —  S.  Bl.  Berlin  sc'' 

39.  Bildniss  der  Fran  Jnstina  Sigmund  geb.  Dietrich,  kor* 
brandenbnrgiscbe  „Hoff  Weematter*'.  In  8<>. 

Alte  Frau  mit  Kopftach.   Bez:   „S.  Bles.  ad.  viv.  del.  et  sculp.*' 

11.    Gremeinsamc  Werke  von  Samuel  und  Kunstantin 

Friedrich  Giesendorf. 

1.  Kupferstiche  in  L.  Beger's  Thesaaros  Braadeuburgicus  üto. 

(Berlin  Hm).  '  " "  • 

a)  Titelblatt  in  kl.  fol.  —  Flotter  breit  ausgeführter  Stich  einer 

idealen  Komposition. 

Bez:    A.  Tervvesten  inv.  —  C.  F.  Blesendo rf f  f. 

b)  Zierleisten.  Die  bezeichneten  und  unbezeichneteu  illustrativen 
Zierleisten,  welche  Ansichten  des  Schlosses,  de.s  kurfnrsll.  Kunstkabiuets, 
des  Antikensaales  in  der  Akademie  umrahmen,  sowie  mehrere  sonsti<i:o 
Vi{j;netten  mit  idealen  bezw.  allegorischen  Figuren  sind  zumeist  vn 
Sanniel  Bl.  oder  Konstantin  Friedri("li  Bl,  j^ezeichuet  und  j^a!stoclu'n, 
oder  auch  nur  gezeichnet.  Zum  kleinern  Teile  sind  sie  vtin  einem  un- 
bekannten Stecher  J.  C  S.  (vielleicht  dem  englüscheu  Meister  John  bmitli) 
in  Kupfer  übertragen  worden. 

2.  Illustrationen  im  Theatruui  l^uropaeum. 

Die  Frage  des  Anteils  der  beiden  Berliner  Meister  an  den  Kupf»'r- 
sticheu  dieser  umfassenden  Publikation  des  Merianschen  Verlags  nmss 
hier  leider  ungelöst  bleiben,  da  die  Blätter  meist  unbezeiclmet  sind  und 
die  dem  Verf.  zugänglichen  Drucke  der  Sauberbeit  ermangeln.  Vermutlich 
hat  K.  F.  Biesendorf  die  meisten  Abbildungen  damaliger  Berlinei* 
Bauten  geliefert  Darauf  scheint  sich  wenigstens  die  Bemerkong  Nicolais 
zu  beziehen:  »Auch  hat  er  fdr  Schiatern  und  Eosandern  viel  saubere 
architektonische  Risse  gezeichnet.'^  Schlüter  soll  ihn  für  geschickter 
als  seinen  „Bruder**  Samuel,  besonders  in  der  Perspektive,  gehalten 
haben*).  Diese  Geschicklichkeit  kann  also  nnr  auf  architektonisch- 
perspektivische Arbeiten  bezogen  werden.  Im  Figürlichen,  im 'Porträt 
und  in  der  stecherischen  Übung  war  Samuel  der  entschieden  Tüchtigere. 
(S.  oben.) 

III.  Die  K  II  [it  er  Stiche  Konstantin  Friedrich  Biesendorfs. 

1.  Bil(!nis>  des  Phil.  Ii u  d  wig  v  o n  Ca  ns tei n  (l(>(i^t— 1 7(J8).  In  4"*. 
Ohne  Bezeichnung.    Kriegsrüstung  und  ovaler  Kähmen. 

2.  Bildniss  der  Eleonore  Gericke  geb.  Eltester  (1006— ITUö;. 


*)  llauä  Müller  a.  a.  0. 


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Georg  GaU&nd: 

Bez:    S.  T.  Gerike  inv.    C.  F.  Blesendoiff  fecit.    Kl.  fol. 

Das  Medaillonbildniss  im  Profil  wird  v<^n  einem  schönen  geÜügeltPn 
Genius  gehalten,  der  seinen  Fuss  auf  einen  Drachen  setzt.  Sinnbilder 
des  l  odes  bind  der  Knochenmann  und  das  weinende  Kind  mit  umge- 
kehrter Fackel.  Der  Zeichner  dieser  gedankenvoilen  Komposition  ist  der 
Gatte  der  Verstorbenen,  der  Hofmaler  Gericke  (1665—1730). 

3.  Grabdenkmal  des  Medailleurs  Raimond  Fultz. 

Nach  dem  Alabaster  Monument  des  ^Ku^l.  PolniscIuMi  Statuarius'* 
Balthaser  Permoser:  Obelisk  auf  barnckeni  Lutoibau  mit  dem  Kelief- 
bildniss  des  Verstorl>en('n.  Die  Figuitii  des  Cliionos  und  von  vier 
weiblichen  Personifikationen  schmücken  die  Vorderseite. 

Bez:    ,,C.  V.  Biesendorff  sculptor  Regis  fecit." 

IV.   Samuel  und  K.  F.  Biesendorf  als  Maler. 
Von  dem  einen  behauptet  Nicolai:  er  malte  auch  gute  Bildnisse 
in  Ölfarben  —  von  dem  andern:  er  malte  schön  in  Miniatur  und 
auch  in  Öt  Daffir  vermag  ich  keinen  Beleg  zu  geben. 

2.   Der  Ingenieur  Joachim  Ernst  Biesendorf. 

Auch  für  den  Kriegsingenieur  des  Grossen  Kurfürsten  sind  Nicolais 
„Nachrirbtcu",  die  ihn  als  S(»hn  jciu's  Goldarbeiters  Ananias  Rl.,  als 
äUeni  Bruder  der  beiden  Kupierstecher  bezeiclmen,  bisher  die  gewöhn- 
lich benutzte  Quelle  gewesen. 

Nicolai  schreibt  (a.  a.  O.  S.  20  u.  27):  „er  ward  im  Jahr  1640 
in  Zielenz  ig  geboren.  Er  arbeitete  bey  der  Anlage  des  Friedrichs- 
werders 1660  unter  Memhard  als  Konducteur.    Der  Churfürst  lieiS 

ihn  1666  zwey  Jahre  auf  seine  Kosten  reisen,  und  er  hielt  sich  eine 
Zeitlang  in  Rom  aut".  Nach  .seiner  Znrückkunft  ward  er  Obcr-Ran- 
ingenieur  imd  Baudirector,  und  nach  de  Chieze  Tode  auch  General- 
quartiermeister  von  der  Armee.  Im  Jahr  1677  waid  er  bey  der 
Belagerung  von  Stettin  mit  einer  Stückkugel  erschossen.  I'i*  hat  mit 
de  Chieze  und  M.  M.  Sniids  den  neuen  Graben  bev  Mullruse  an- 
gegeben,  und  verbesserte  mit  dem  ersten  die  Sclileuse  und  deren 
Kanal,  auf  dem  Werder.  (Bei  Ph.  de  Chieze  heisst  es:  „Er  hat 
mit  J.  E.  Blesendortf  in  den  Jahren  H)('>2  bis  1668  die  Aufsicht  über 
den  Bau  des  neuen  Grabens  bey  Mullruse  gehaijt,  und  auch  mit  eben 
demselben  den  Seh  leusenk  anal  am  alten  Packhofe  gebauet,  doch 
hatte  M.  M.  Smids  auch  grossen  Antheil  an  diesen  Werken.").  Er 
machte  die  erste  Anlage  zur  Dorotheenstadt,  und  steckte  1678  die 
Strassen  ab,  wird  auch  vermuthlich  daselbst  Häuser  gebauet  haben." 

Für  einen  schon  im  Alter  von  -\1  Jahren  veist(»rbenen  I^auingenieur 
sind  so  viele  Einzelheiten  innnerhin  nicht  unbetriu  htlicli.  Sie  werden 
durch  die  unten  mitgeteilten  Angaben  eines  befreundeten  Zeitgenossen 


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Zur  GMchlchte  der  Btnaendorf  (BllMndorf). 


89 


und  Aktenstücke  des  Pr.  Geh.  Staatsarchivs  teils  bestätigt,  teils 
berichtigt  und  ergänzt. 

Jen«'r  Zeitgenosse  ist  Job.  Rödiker,  der  eine  „Stand-Rcdo  und 
Abdankung*)  zu  letzten  Ehren  des  Hoch-Edlen,  Vesten  etc.  Herin 
Joachim  Ernst  Bläsendorlts"  veröflientlichte  („Colin  a.  d.  Spree, 
Druekts  Georg  Schnitze  H^TH."  18  Bl.  in  4".  Mit  LebenshiuO  .  .  . 
„als  derselbe  ani  22.  Sept.  1()77  in  der  Belagerung  vor  Stettin,  nachdem 
Er,  seinem  Berufte  nach,  in  den  Approchen  arbeiten  lassen,  vom  Feinde 
mit  einem  gezogenen  Rohr  dnrchs  Hertze  geschossen,  und  alsofort 
unter  (h'nen  Worten:  Herr  Jesu,  wie  geschiehet  mir?  sein  Leben 
beschlossen;  Ilernachmais  aber  am  21.  Octobr.  darauff*  in  Gegenwart 
Chur-  und  Fürstl.  Abgesandten,  vornehmer  Stats-l'ersonen  und  Volck- 
reichen  Versammlung  St<iudesmiissig  in  der  (Jölnischen  St  Peters  Kirche 
beygesetzet  worden.* 

Die  Leichenrede  selbst,  die  —  nach  dorn  Gesclnnm  k  der  Zeit  — 
mit  einer  aus  dem  Altertum  geschöpften  Parallele  seines  Todes  l>eginnt, 
mit  dem  Hinweis  aui  die  Belagerung  von  Syrakus  durch  den  römischen 
Feidhcn  ri  Marcellus,  dessen  Soldaten  bekanntlich  den  gro.ssen  Mathe- 
matiker Archimedes  durchbohrten  —  bietet  kein  weiteres  ]»ositives 
Material,  als  dass  wir  am  Schlüsse  ei  rahi  eii,  dass  Eltern  und  Gattin  an 
der  Bahre  des  aul  dem  Felde  der  Ehre,  in  treuester  Pflichteriüliung 
vorzeitig  Dahingegangenen  trauerten. 

Um  So  wichtiger  für  uns  ist  der  dieser  Leichenrede  als  Anhang 
l)eigefügte  kurze  Lebenslauf  Bieseudorfs  von  Bödiker.  Wir  erfahren 
hier,  dass  er  zu  Zielenzig  am  12.  September  lß4()  geboren  wurde: 
als  Sohn  des  früheren  Kommandanten  von  Krosseu,  damaligen  Amts- 
kiistners  zu  Kottl)us  Marcus  Bläsendorff  und  dessen  Frau  M;irgaretha 
geborenen  l'asenow,  einer  Tochter  des  Lizentiaten  und  Bürgermeisters 
von  Soldin.  Nach  dem  Schulbesuch  studiei-te  er  auf  mehreren  Universi- 
täten alte  Sprachen,  Philosophie  und  die  mathematischen  Wissenschaften 
(theoretische  und  angewandte**)  Mathematik).  Bödiker  lässt  ihn  bereits 
in  Leipzig,  Frankfurt  a.  0.  n.  s.  w.  Stipendiat  des  Laudesberm  sein, 
der  bekanntermassen  gern  empfohlene  junge  Talente  snbventionirte, 
die  sich  ihrerseits  dadurch  verpflichtet  ffihlten,  ihre  Kräfte  und  Dienste 

*;  Diese  Bede,  deien  Kenntnicgabe  ieb  Hexm  O.  GQrits  verdanke,  gebOrl,  In 

einem  starken  Quartbande  der  etädtiseben  ßibliothek  der  Göritz-Lübeck  Stiftung 
zu  Berlin,  zu  einer  Sammlung  von  Leicbenreden  und  Gedicliton  dt  s  17.  Jahrbunderts; 
ein  Teil  derselben  bezieht  sich  aui  J.  E.  Hesendorf  und  »ein  tragisches  Ende.  (VgL 
Kai.  II.  1803.  S.  4Ö). 

**)  lugenieur-  und  Baukunst  galten  Uamab  als  augewandte  Mathematik  und 
worden  von  Mathematikern  wie  HeveUne  (Danatg\  I^icolans  Goldman  (Leydeo)  u.  a. 
an  Universitiiten  voiKetragen;  die  beiden  Genannten  standen  beim  Groeaen  Korffliaten 
hoch  im  Ansehen. 


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90 


Georg  Galland; 


dem  Kurffirstcn  >vie  dem  Land  •  zu  widmen.  Friedrich  Wilhelm  hat 
ihm  Südaun,  zur  weitoren  küiisth  risc  lieii  und  tvchnischen  Ausbildung, 
die  Älittol  zu  einem  längeren  Aufenthalt  in  Italien  (Koni)  und  Frank- 
reich gewiihrt,  wiu'über  die  unten  abgedruckten  Aktün^tücke  UDserea 
Leäern  noch  näher  Aufschluss  geben  werden. 

In  Rom,  SU  erzählt  Hödiker,  sei ' HIesendorf  Schüler  des  „welt- 
berühmten Jesuiten  und  Mathematikers  A  tiia  u  isius  Kirch  er'' geworden; 
gleichzeitig  fesselte  ihn  das  Studium  der  Architektur,  üm  liier  auch 
das  welsche  Kriegsliandwei'k  gründlich  kennen  zu  lernen,  diente  er  als 
gemeiner  Soldat  in  der  Leibgarde  Papst  Alexanders  Vll.  Andererseits 
verwertete  er  bereits  seine  ma thematischen  und  sonstigen  wissenschaft- 
lich-künstlerischen Kenntnisse  als  Lehrer  vornehmer  junger  Leute,  die 
den  Kreisen  der  hohen  Gei.stlichkeit  nahe  fttandi  ii.  Als  die  Zeit  dieser 
Studien  altgclaufeu  w;ir.  drängten  ihn  die  heimatlichen  Verptlichtungen 
zur  Kiickkehr.  Leider  l»ei'l(  litet  Bödiker  weder  ül>er  seinen  Aufenthalt 
in  Frankreich  noch  über  die  Dauer  seimM-  Abwesenheit.  Wir  werden 
aber  sjjäter  erfahren,  dass  Blüseudorf  zwei  Jahre,  zwischen  lOtiÜ  und 
lliliS,  auf  Reisen  war. 

I->a  aber  die  Ausführung  des  Müllroser  Kanals  dem  Zeitraum 
von  1()(>2  bis  UW)H  angehört  hat,  su  kann  seine  Teilnahme  an  diesem 
von  de  Chieze  und  ^L  M.  Smids  geleiteten  Werke  w(»hl  nur  kurz  und 
untergeordnet  gewesen  sein  —  was  also  die  obigt*  xVngabe  Nicolais 
modilizirt.  Ebensowenig  scheint  mir  die  Verbesserung  des  Schleuseu- 
kanals  auf  dem  Werder,  au  der  Biesendorf  nur  mitwirkte,  eine  Hau|»t- 
leistung  des  zum  Oberiogeuieur  ernannten  Stipendiaten  des  Kurfui-steu 
zu  sein. 

Das  Schwergewicht  seiner  technischen  Traxls  nach  HiliS  liegt  ohne 
Fl*age  in  seiner  umfanKi'eichen  Thätigkeit  als  Kriegsingenieur,  in  einer 
für  seinen  kurfüi stiichen  Herrn  1>edeutsamen  Epoche.  Man  erwiige,  dass 
er  als  solcher  eine  Lücke  auszufidlen  hatte,  die  dem  Staate  durch  den 
Verlust  hervoira^ender  Meister  wie  Hendrik  Ruse*)  und  Ph.  de  Chiez«' 
geschafi'en  wui'de.  Da-^s  n  sich  in  dieser  Stellung  bewahrte,  kann  daraus 
geschlossen  werden,  dass  ihn  auswärtige  Fürsten,  u.  a.  llerzoo;  Pudnlj.h 
August  von  Brauuschweig-Lüneluirg,  freilich  vei  geblich,  berufen  wollten. 
|)em  ( ;eneral-(^uartieriiu!ister  de  Chieze  war  er  im  Kriege  als  General- 
<^>uartieruieister  -  Lieutenant  zugeoidnel,  und  nach  jenes  Tode  (H>T')) 
lolgte  er  nicht  nur  in  dessen  Stellung,  sondern  auch  als  l)irektor  .dh  r 
Fortitikationen  und  Bausaclien.  Nebenbei  sei  noch  benu'rkt,  dass  er  die 
Prinzen  in  der  Mathematik  und  Fortiiikation  einige  Jahre  hm^  unter- 
richtete. Daiu'i  machte  er  in  diesem  Zeitraum  von  neun  Jahren,  wie 
Bödiker  angiebt,  ö  Feldzügu  mit  dem  Kurtürstcu  mit.    Zuletzt  leitete 

♦)  GaUaud  a.  a.  0.  S.  217. 


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Zmr  Ottdiiclite  der  Blesoodorf  (BUaendort). 


91 


er  die  Belagerangsarbeiten  vor  Wolgast-Anklam  nnd  Stettin.  Hier  >vard 
der  glänzenden  Lanfbahn  des  Mannes  im  noch  jugendlichen  Alter  ein 
Ziel  gesetzt 

Joachim  Emst  Biesendorf  war  seit  dem  7.  Juli  1674  verheiratet 
—  anscheinend  kinderlos  —  mit  Katharina  Elisabeth  von  Peine,  der 
Tochter  des  Kriegskommissars  in  Halberstadt  Johann  Friedrich  von 
Peine;  sie  war  ihm  in  jenem  Feldznge  nach  Stettin  gefolgt  und  brachte 
auch  die  entseelte  HfiUe  ihres  Mannes  nach  Berlin.  Das  treue  Andenken, 
das  ihm  Verwandte  nnd  liebe  Freunde  widmeten,  spiegelt  sich  in  einer 
grossen  Zahl  r&hrender  Gedichte,  auf  die  schon  oben  Tiingewiesen  wurde. 
Die  gewählten  Titel:  „Rnhm>  und  Ehren-Saal  etc.*',  „Trauriges  Denck- 
roahl  .  .  „Klag-  Ruhm-  nnd  Trost-Gedichte'S  «Die  verfinsterte 
Freuden-Sonne',  „Des  klugen  Bläsendorffes  Redliches  Hertz  und  ewiger 
Ruhm,  in  Seinem  Tode  allererst  recht  aussgebrochen,  und  Seiner  Ehe- 
liebsten und  gantzen  Freundschafft  zu  Trost  Mitleidend  entworffen'*  usw., 
lassen  errathen,  welche  Gefühle  der  Liebe,  Verehrung  und  Bewunderung 
hier  zum  Ausdruck  gebracht  sind.  Von  Verfassern  nenne  icli  nur  einen 
„A.  A.  de  Peine-*  und  einen  „Georg  Laui*.  Bläscndorff  Chuii'i.  Br.  Kaht**. 

Niiclitrag:    Aktenstücke  do  Pr.  Geh.  St.  Anh.  zu  Berlin. 

1.  Der  Kurfürst  an  Heyderkaiiipf  (Konzept.  Ki».  1)  A.  \2). 
Dat.:  Kölln  a.  d.  Spree  18.  Sept.  l()l)5.  Wir  Friedrich  Wilhelm  etc. 
Thun  kund  etc.  dass  wir  Joachim  Ernst  Biesendorff  wegen  .seiner 
Zue  architectur  civili  et  militari  tragenden  sonderbabren  beliebung 
die  gnädigste  erlaabniss  gegeben  auff  Zwey  iahr  in  frembde  lande 
Zu  reisen  umb  sich  in  solcher  Kunst  und  Wissenschaft  Desto  mehr  imd 
besser  Zu  perfectioniren,  Allerniassen  er  sich  dan  Zu  betleissigen,  dass 
er  solche  Zwey  iahr  woll  anlege,  sich  bey  sputen  renonimirteri  und  w«»ll- 
erfahrenen  Meistern,  Architecten  u.  Ingenieuren,  angebe,  und  alles  das 
ienige  was  Zu  dieser  Kunst  gehöret,  auss  dein  fundament  und  in  ttnate 
lerne  und  begreitTe,  auch  sonderlich  getlissen  sey  in  solchen^Diiiy;en  und 
Wissenschaften  sich  Zu  üben  und  Zu  perfectioniren,  welche  ihm  hieriiegst 
in  Unsern  Diensten  Zu  statten  kommen  und  darin  er^L'nsere  Jnnge 
Pi  intzen  inlurmiren  und  Unterrichten  kr.mie.  Zu  Verrichtung  solciu-r 
rei.se  und  Denen  dazu  benotigten  Ko.sten  haben  Wir  Ihm  ialirliche 
Vierhundert  Rthr.  gnst.  Verwilliget  und  Zugesagt,  Allerma>.sen  Wir 
Un.sern  [>.  Ileyderkampf  gnst.  anbefehlen  Iliin  solche  Sum  die  Zwey 
iahr  über  wenn  er  reisen  wii'd,  iedtweden  ialu>  tjuartaiiter  mit  hundert 
Kthr.  Zubezahlen.  Wohingegen  er  Blest  iidorf  ;^si(li  Veri)flichtet, 
ohne  Unsere  concession  in  keine  frembde  Di  enste  Zu  gehen,-S()ndern 
»0  lang  er  lebet,  Uns.s^für  alle  andern  Zu  dienen  und  auftzu warten  etc. 

2.  J.  E.  Biesendorf  an  den  Kurfürsten,  (Ebendaselbst).  Ohne 
Datum,  aber  v.  J.   Uiüö.    Dass  Ewre  Churfürstl.  Durchlauchtigkeit, 


i^iijM^cj  L,y  Google 


92 


Geoig  GalUnd: 


Umb  mehre  Kiinsto  undt  Wissonschaften  Zuorlornen,  iiiicli  Zu  vermitteln 
tindt  in  fremKflc  lando  Zuschicken  gnädigst  verwilligot  haben,  erkenne 
g^en  Ewre  Churfiirstl.  Dur<  hlkt.  ich  niitt  Unterthänigster  Schuldigkeit, 
Zweifle  auch  nicht,  das  solches  (Vortnittels  GöUicher  llülffe)  einen  gutten 
Zuwachs  gutter  Künste  Vernhrsachen  wirdt,  wormit  Ewr  Churtl.  Durcbl. 
undt  Dero  hohem  Haasse  die  Zeitt  meines  Lebens  mitt  üntertliänigsten 
Diensten  ich  autt'warten  könne.  Als  ha^t  ii  Zu  solchem  Behuef  Ewre 
Chuifürstl.  Durchlauchtk.  an  Dehro  Ivaht  Undt  geheimen  Ciunmerirer 
Christ.  Sigism.  Heydekampfgoädigst  Befehl  gethan,  an  benötigten  mittein 
iäbrlicb  ein  gewifiea  gegen  qnittang  dana  abfolgen  ZulaBen.  Wan  ich 
denn  besorge,  das  wegen  anderer  hohen  ausgaben  ich  leichtlich  hinten 
angesezet  würde,  undt  sicli  daunhero  Zutrüf^c,  das  ich  in  der  frembde 
notleiden  dürfte.  AU  wollen  Ewre  Churfürstl.  Durchlauchtigkeit  gnädigst 
geruhen  ZuYerordnen,  das  selbige  mittel,  an  welche  ich  bey  Heydekam})f(>n 
angewiesen,  mein  V  a  1 1  e r  Ambts  Castuer  Zu  Cotbus  M  a  r cu  s  B 1  e s e n  d  o  r f f 
ans  dessen  Ainbtsgetallen  gegen  »juittung  Zu  znhlen,  gnädigst  Anbefohlen 
werde.  Wor  vor  Ew.  Churfiirstl.  Durchlauchtigkeit  undt  Dehro  hohen 
Familie  nnterthäuigst  uufzuwartten  ic-h  ver[iflichtt't  Vun,  wie  ich  mich 
denn  nenne  £w.  Churtl.  Durchlaacbtigkeit  weil  ich  lebe 

UntertbänigHter  gehorsambster  Diener  undt  Knecht 
Joachim  £rnst  Ble^endorff. 

3.  Der  Enrffirst  an  den  Amtskastner  zu  Kottbns  M.  Biesen- 
dorf,  (Ebendaselbst),  Dat.:  Klewe  d.  3./12.  Febr.  1666.  Dekret 

Seine  Churfürstl.  Durchlaucht  Zu  Brandenburg  etc.  befehlen  Der»» 
Amts  Castnern  Zu  Cotbus  Marx  Bläsendortt  hiermit  in  gnaden,  Dass  er 
diejenigen  Jahrliclie  4(X)  Thlr.,  welche  Seine  Churfürstl.  Durclilaiicht 
Dessen  Sohne  Jociiim  Kriist  Bles  e  udi»  rlle  n  Zu  behuf  sfiiier  rei.se 
nacher  frank  reich*)  auf  zwey  Jahr  gnädigst  Verordnet,  aus  Denen 
Aratsgefällen  Zalilen  undt  eutricliten  solle. 

4.  Der  Kurfürst  au  <len  Mathematiker  J.  ilevelius  in 
Danzig,  (Ei>eiidort  Rp.  9  K.  lit.  1).).  Dat:  Königsberg  i.  P.  11.  Aug. 
lüOVt.  (Konzept). 

Dem  Hochgelerten  L'iiserni  Helten  besondem  Johau  lieveiio  Kabts 
Verwauten  der  Königl.  Alten  Stadt  Dantzig 

Friedrich  Wilhelm  Churfürst.  Unsern  gnd.  Gruss  Zuvor.  Hoch- 
gelehrter Liber  Besonder.  Es  i.st  Unser  etc.  Jochim  Ernst  Bläsendorff, 
welchen  wir  ümb  sich  in  den  Mathematischen  Künsten  undt  Curiositiiten 
capabel  Zu  machen,  einige  Jahre  in  Frankreich  undt  Italien  Verschicket 


*)  Sicherlich  U«gt  hier  eine  Ungenauigkeit  de»  Schreibers  vor.  Doc  h  heweist  du 
verspätete  Dekret  aus  Kleve,  dasB  BleBendorf  seine  Beise  nicht  vor  Februar  1666 
angetreten  haben  könne. 


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Zor  Geiduchte  der  BleBendorf  (Bllaendorf). 


93 


gehabt,  gesonnen,  nach  Dantzig  eine  Reise  Zo  thnn  und  hat  er  Uns  amb 
gn&digste  permission  deshalb  nnterthänigst  aDgo<;iichet:  D io weil  Uns  noD 
eure  in  Diesen  undt  Vielen  andern  Wißsenscliaften  erlangte  sonderbare 
experieots  bekant,  Und  Wir  gerne  sähen,  dz  Uns  bemelter  Bläsendor£f 
Von  solchen  ewren  Mathematischen  ex[ieriinenten  nndt  cnriositäten 
einigen  Bericht  abstatten  möchte,  als  Gesinnen  wir  an  eaeh  gantz  gdst., 
ihr  wollet  euch  Denselben  recommandiret  seyn  lassen,  und  wie  er  in 
Dergleichen  Stichen  gute  Wissenscbaflfl  erlanget,  also  anch  mit  demselben 
\->n  euren  mathematischen  Instrumenten  Observationen  undt  Dergleichen 
communication  [»fiepten,  welclios  Uns  Zn  sonderbaren  angenehnien  gefallen 
gereichen  wird  und  seind  wir  etc. 

5.  Kurfürstl.  Dekret  an  den  Amtskastner  za  Kottbns 
M.  Biesendorf,  (Ebendort  wie  1—^6)  Dat:  Königsberg  in  Prenssen, 
11.  Angost  lb6<.).  (Auszug.) 

Dem  Joachim  Ernst  Blilsendorft'  werden  zu  seiner  Montirung 
1U>  Rthr.  verehret,  die  der  Ambts  Castner  Za  Cotbus  G.  L,{?)  Blüsen- 
dorlf  gegen  Quittung  auszahlen  soll. 

<).  Kurfürstl.  Dekret  auf  Benjamin  Ku])fers  Supplikation. 
(Ebendort).    Dat.:  Cölln  a.  d.  Spree       August  107, *$.  (Auszug.) 

J.  E.  Bläsendorff  soll  von  des  Supplikanten  Wissenschaft  und 
qnaUtät  erkundigung  einziehen,  auch  ihm  eine  Probe  in  Mathematicis 
thnn  lassen  nndt.  darüber  Bericht  abstatten. 

7.  Relation  des  Gen.  Quart.  Meister-Lieutenants  J.  E.  Biesendorf. 
(Ebendort,  Rp.  21.  124  Potsdamer  Baosachen.)  Dat.:  Minden  20.  Febr. 

—  2.  März  1674.  (Auszug.) 

Am  Schluss  der  für  den  Knrfärsten  bestimmten  Relation  bemerkt 
Bi.:  er  habe  in  Minden  einen  verheiratheten  Mann  und  dessen  Bruder, 
die  ans  dem  Ilildesheiroischen  stammen,  kennen  gelernt  und  beide  wiiren 
geneigt  nach  Potsdam  zn  kommen.  Ks  sind  Wollenweber,  die  kulorirte 
nnd  halbseidene  Stoffe  arbeiten.  Sie  verlangen  freie  Wohnung  u.  s.  w. 

8.  Eurförstl.  Rescript  an  Biesendorf,  (Ebendaselbst).  Dat: 
24.  Febr.  1674.  (Konzept). 

Der  Knrfärst  ist  mit  der  Übersiedelung  jener  Leute  nach  Potsdam 
wohl  zufrieden,  er  will  die  freie  Wohnung  versprechen,  doch  nicht  die 
Reisekosten  ersetzen. 

9.  Kurffirstl.  Dekret  auf  die  Supplikation  des  knrfttrstl.  Baumeisters 
nnd  Bildhauers  Michel  Däbeler  (vgL  ftber  ihn  Nicolai  «Nachrichten" 
S.  28>  (£bendort  Rp.  21.  191  \)  Dat.:  15.  Aug.  1673. 

Befehl  an  J.  E.  Biesendorff  dem  Supplikanten  die  nachgesuchte 
B anstelle  auf  dem  Werder  anzuweisen. 

10.  Relation  Biesendorfs  auf  vorherstehendes  Dekret  Mit 
Planseichnung  (Ebendort)  1673. 


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94 


(ieorg  GuUund: 


Auf  Gnädigstem  befelil  St'iiier  Cliurn.  Diirclilauchtigkoit  t^tc.  halie 
ich  an  Micliol  DölJu'l  Churfstl.  Baiuneister  undt  ßildliawer  (»ine  baw- 
stelle  am  Wassor  hvy  (Wr  Mülle,  welche  ohne  nachtheil  derselben  kriiuite 
gebrauclu't  werdtn  iiiull  ü:utt  belinde,  dass  autV  dei'  andern  seitte  kegeii 
das  srhlosth(»r  fukIi  der  Müllen  zu.  ihm  der  jdatz  vorschrieben  werde*), 
Drei  Ruthen  itr«'itt,  undt  viei-  Kutiien  lang,  von  der  gleiclien  breitte  wie 
die  anderen  —  in  einer  Linie  .  .  .  Undt  soll  das  gesiciite  Von  dem 
schlosthor  uach  dem  Wasser  otteu,  uudt  Lnbebauet  bleibeu.  Blesendorti. 


MftUe 


8  p  r  e  • 


Scbloaslrsiheit 

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11.  Snpplicati'  ii  1*  1  es  e  n  d  orfs  um  eine  Baustelle  auf  dem 
Werder.  Eigenhändig.  (Mbendort).  ll>74.  Unterzeichnet:  Joachim 
Kinst  lil.'sciidorfV,  Ober  Director  aller  t'ortilicationen  u.  bawe  uuch 
General  C^uartier  Meister-lieutenant. 

12.  Kurfüi'atl.  Rcscri[>t  mit  Planzeicliniitiff.  (Gbendort).  Dat: 
18.  Jol.  1074. 

Wir  etc.  Urkanden  hiemit,  das  W'ir  Unsonn  Ober  Director  aller 
fortificafionen  n.  baue,  auch  Gi'äl  Quartir  Meister  Lieutenanten  .Tochira 
Ernst  Bl iisendorffen  eine  Baustelle  auf  dem  Friedrichs  Werder, 
nehmlich  die  Eckstelle  gegen  das  packhaus  am  Wasser,  am  Canal 
gelegen.  Von  fünf  und  eine  halbe  Kuhte  breit,  und  nenn  Ruhten  lang, 
also  von  Sieben  undt  Yiertzig  und  eine  halbe  Quadrat  Rnhte,  in  gnaden 
gescliencket  etc. 

M).  Kurfürst  Friedrich  W^ilhelm  an  II(»fbildhaner  Michel 
Diibeler.  (Ebeudort  Rp.  Jl.  \'2:\).  Dat:  Kölln  a.  d.  Spr.  14.  Jnn.  1676. 
(Konzept  verfasst  von  Biesendorf,  dessen  eigenhändij?os  Schreiben  dabei 
liegt.  Die  Anrede  an  Diibeler  lautet  wiederholt  «er**}  während  der 
Kurfürst  daraus  „Dvl^  machte). 


*)        ist  UDgefftbr  die  Stelle,  wo  heoto  das  Natioml-I^enkiiud  vor  den 
Schloße  steht. 


V 


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Zar  G^chiehte  dwe  Bl^rnndorf  (BlMendorf).  95 

Nacbdem  Wir  Unsern  Ober  Direetor  allet  Fortiiicationen  und 
Baae  Biesendorff  alß  General  Quartiermeister  Lieutenant  in  Unßern 
Kriegsdiensten  Zn  gebranchen  haben  nnd  denselben  mit  nnß  in*8  Felde 
Zugehen  beordert  . . .  Alß  haben  Wir  Dir  solches  auftragen  wollen . . 
nach  der  von  gedachtem  Biesendorff  Dir  gegeb.  Instmetion  undt  an- 
dentnng  auf  den  baw  an  beiden  örtem*)  gute  auffsicbt  Zn  haben 
etc.  etc. 

Gestalt  er  Dan  auch  acht  haben  sol,  Dass  die  neue  Porte  an  der 
Fortification  alhier  (Cöln)  vom  Hol&teinmetzer  recht  undt  nach 
gegebenen  leisten  undt  Zierrathen  gemachet  werde.  Wie  dann  auch  an 
Schlossbaw,  wo  es  aöhtig  seyn  wird,  Torsorge  Zu  tragen  und  aufs 
neue  Stockwerck  bey  der  Waschbank  dahin  Zusehen  hat,  dass  die 
Stockwerker,  gleich  dem,  da  Unsere  hertzgcliebte  Gemalüin  Liebden 
logiret,  gleich  hoch  aufgefuhret  ~  werde  und  in  allen  einerley  Zierabt 
haben  möge  etc. 

14.  Injurien -Sache  Biesen dorf  ca.  Nuglisch.  Ebendort  Ep. 
21,  123:  „Irrungen  zwischen  Biesendorff  und  dem  Gastellein  Zn 
Potsdam  wie  auch  dem  Planteur.  Deshalb  angeordnete  Inquisition.** 
1676)). 

a)  Kastellan  Nuglisch**)  und  Frau  Helene  geb.  von  Boyen  haben 
Biesendorf  wie  auch  den  Potsdamer  Plantem*  Friedrich  Langenar 
beleidigt 

b)  Biesendorf  thcilt  dem  Kurfürsten  mit,  dass  die  Zeugen  des 
Prozesses  „Möns  Marians***)  nebst  seiner  frawen  (Magdalena  Uchen- 
bmcli)  nnd  sein  Vatter  (Lorenz  Schwencke)"  sich  weigern,  Zeugniss  ab- 
zulegen. Der  KurfGrst  wird  gebeten,  den  Zeugen  die  Aussage  zu 
befehlen. 

c)  Kastellan  Nuglisch  wird  bestraft.  Verliert  seinen  I*»isten  als 
Bausch roiber,  ninss  Abbitte  thun  und  40  Rtlilr.  Strafe  zahlen,  die  ihm 
schliesslich  In  Gnaden  erlassen  werden  (l(>77). 

d)  Amtsschreiber  Moritz  Palm  wird  an  Nuglisch  Stelle  zum 
Bauschreiber  in  Potsdam  ernannt  Seine  Instruction  liegt  dem  Akten- 
stuck bei.  (15.  August  1677). 

15.  Nachfolger  Biesendorfs  in  Potsdam  betreffend. 
(£bendort). 

Knritirstl.  Rescript  vom  19.  Jan.  1678.  Die  Inspection  des 
Potsdamer  Bauwesens  (Schloss  und  Armenhaus)  hatten  v(»rdem  der 


*)  BesUn-KOlii. 

Es  ist  der  Vater  (Georg)  des  Malers  Frledirch  Christirtn  Nuglisch,  der 
awlschen  IdSl  u.  lOSU  auf  knrfürsU.  Kosten  l)ei  Fromantiou  die  Malerei  eilenite. 

<)fT<  ti]n\r  <U'i  Historienmaler  Joh.  Marini,  der  „1074  den  groflien  Saa^  zu 
Potsdam  al  Ireaco  mahlte"  ^2^icolai  a.  a.  0.  S.  86). 


96 


G9org  Galland:  Zar  Geachicbte  der  nesendort  (Bliaendorf). 


f  Biesendorf  und  von  Oppen,  interimistisch  alsdann  M.  M.  Smids; 
jetst  wird  sie  dem  Oberförster  von  Lüderits  übeitragen. 

Angelegenheiten  eines  Landmessers  Joachim  Biesen- 
dorf (Ebendort). 

a)  Kurfürst!.  Dekret  an  Nchring  (Köln  a.  d.  Spr.  21).  Dez.  nm). 
NehringsoU  ,vou  des  Supitlikanten  Capacität,  erfaiirang  und  Wißenschaft 
in  der  Ingenieur^  und  Lundnießer  Kunsf  berichton. 

b)  Anf  ^^ eitere  Supplikation  de.sselben  liegen  kurfürstl.  Yerord- 
uungen  vom  28.  Aug.  lt>H  2().:Nov.  löH  l^-  Jan*  i^^^-")»  i^-  Febr.  mö  vor. 

Meine  VeröflFentlichnng  erhebt  nicht  den  Anspruch  das  Quellen- 
material  für  die  damals  in  unserer  Mark  thätig  gewesenen  Mitglieder 
der  beiden  Faroilieo  Biesendorf  erschöpft  zu  haben.  Möge  sie,  so  wie 
ich  sie  für  den  vorliegenden  Zweck  8.  Zt  zn  bieten  vermochte,  als  dn 
bescheidener  Beitrag  sar  heimischen  Knltnr-  und  Kunstgeschichte  des 
17.  Jahrhunderts  entgegengenommen  werden! 


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Terdinftad  Meyer:  Qoethe  in  seinen  Beiiebongen  su  Berlin.  97 


Gpethe  in  seinen  Beziehungen  zu  Berlin. 

Von 

Ferdinand  Meyer. 


Das  GoetlKHli'nknuil,  welclics  Kaiser  Williclm  11.  nls  ein  Weiiie- 
tft'.sclu'iik  für  Italien  bestimmt  liat,  ruft  die  Kriimeruuge'ii  wacli  an  die 
lieziehuugen  des  Diehterfürsteii  aiieli  zu  unserer  Vaterstadt.  Merk- 
würdig in  den  Aiiiialen  unserer  Liteiatur-  und  riieatergescliiclite  ist  die 
erste  Auffidirung  des  ersten  dramatischen,  ITT^i  entstandenen  Goetlieschen 
Werkes,  des  „Götz  von  ßer  Ii  (hingen".  Mit  diesem  wegen  seiner 
imponierenden  ( 'harakteri.-^tik  (k^r  mittelalterlichen  Zeit  enthnsiastis<'h 
aufgenommenen  Werke  des  in  so  genialer  Freiheit  anftretendtui  l>ichter- 
Heros  war  der  Impuls  zu  der  nun  folgenden  Hitterschauspiel-lVriode 
gegeben. 

.lene  erste  Aufführung  fand  auf  der  Koch  sehen  Bühne  in  der 
Belirenstrasse  55  statt,  und  damit  begannen  die  Beziehungen  Goethes 
zur  Metropole  Friedrichs  dos  Grossen. 

Am  12.  April  1774  verkündeten  die  Thciirerzrtiel  die  er>te  Auf- 
fiiiu'ung  des  „Götz  v<»n  Berlicliingen  mit  der  eisernen  Hand. 
Ein  ganz  neues  Seliaiispiel  von  5  Akten,  welches  nacli  einer  ganz 
besondern  und  jetzo  gnnz  ungewöhnlichen  F^inrii  lilung  \on  einem 
gelehrten  und  scharfsinnigen  Verfasser  mit  Fleiss  xcrfertiget  wurden. 
Es  S(dl,  wie  man  sagt,  nach  Shakespear'scheni  Geschuuick  ahtjefasst 
sein.  Man  hätte  vielhMcht  Bedenken  getragen,  solches  auf  die  Scliau- 
bOline  zn  bringen,  aber  man  hat  dem  Verhingen  viek'r  Freunde  nach- 
gegeben und  so  viel,  als  Zeit  und  i'latz  erlau)»en  wniliMi,  Anstalt 
gemacht,  es  aufzuführen.  .\uch  hat  man,  sicli  dem  geehrte>ten  Publik«» 
gelallig  zu  machen,  alle  erforderlichen  Kosten  auf  die  nöthigen  l)eko- 
i*ationen  und  neuen  Kleider  gewandt,  die  in  den  damaligen  Zeiten  üblich 
waren.  In  diesem  Stück  kommt  auch  ein  Ballet  von  Zigeunern  vor. 
Die  Einrichtung  dieses  Stückes  ist  am  Eingänge  aaf  einem  aparten 
Blatte  fßr  1  8gr.      haben.  Der  Anfang  ist  präzise  5  Uhr.*' 

Dann  nennt  der  Zettel  Brückner  als  Götz:  Mad.  Starkin  als 
Elisabeth:  Mad.  Spenglerin  als  Adelln  id  von  Walldorf;  Que<|Uo 
(fingirtV)  als  Franz,  und  Martini  als  Bruder  Martin.  Hinter  den 
Namen  Adalbert  von  Weislingen,  Hans  von  Selbitz,  und  Sickingen  steht 
die  Notiz  „Ritter  im  Harnisch".  Preise  der  Plätze:  Erster  Rang  und 
Parket  IG  Gr.,  Zweiter  Kang  12  Gr.,  Amphitheater  8  und  Gallerie  4  Gr. 

7 


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1 


08  Ferdinand  Meyer: 

Obgleich  min  die  erste  Darstellung  bemts  am  12.  April  stattgefonden. 
wurde  das  Pabliknm  erst  unterm  14.  April  in  der  sVossischen  Zeitung*' 
darauf  anfniersam  gemacht:  »Heute  wird  die  von  S.  K.  M.  von  Preusseu 
allei^ädigst  privilegirte  Gesellschaft  berfihmter  Schauspieler  aufführen: 
j,G6tz  von  Berlichingen  mit  der  eisernen  Hand*,  worauf  dann  die  wört- 
liche Wiedergabe  des  Theateraettels  folgte. 

Ob  die  erste  Auff&hrung  nur  für  eine  geringere  Anzahl  des 
Publikums  berechnet  war,  oder  eine  zufikllige  Verspätung  der  Anzeige 
vorlag  —  die  Zeitung  erschien  nur  dreimal  wöchentlich  (Dienstags, 
Donnerstags  und  Sonnabends),  bleibe  dahingestellt  Der  Andrang  zu 
den  Vorstellungen  war  ein  so  ungewöhnlicher,  dass,  da  der  Zusdianer- 
raum  nur  8(K)  Personen  aufzunehmen  vermochte,  das  Stück  an  sechs 
hintereinander  folgenden  Tagen  gegeben  werden  musste.  Damals  sählte 
Berlin  134,427  Einwohner. 

Die  drei  Tage  später  in  der  „Voss.  Ztg."  erschienene  Kritik  begann 
mit  der  eigentümlichen  Einleitung:  „Das  so  viel  Aufsehen  in  Deutsch- 
land verursachte  Schauspiel**,  trug  im  flbrigen  aber  der  Würdigung 
des  Stfickes  Rechnung. 

Auf  dem  Theaterzettel  vom  12.  April  war  der  Name  des  „gelehrten 
und  scharfsinnigen**  Autors  (wohl  wegen  dieser  Bezeichnung)  noch  nicht 
genannt;  erst  am  28.  wird  er  als  D.  Göde  in  Frankfurt  am  Main 
kundgetlian.  Bis  zum  Schluss  des  Jahres  erlebte  das  Schauspiel  14 
Darstellungen,  deren  einer  Goethe  im  November  beiwohnte.  So  schreibt 
Sulzer  unterm  19.  jenes  Monats  an  Bodmer:  „Die  Rede  geht,  dass 
Dr.  Goethe  aus  Frankfurt  hier  sei,  um  die  Vorstellungen  seines  „Götz** 
und  „Clavigo**  auf  dem  Theater  zu  sehen.  Ersteren  habe  ich  auch 
gesehen,  aber  das  verwirf  ende  Schauspiel  nicht  bis  ans  Ende  aushalten 
können.** 

Auch  Lessing,  verstimmt  wohl  durch  die  erhoffte,  doch  nicht  er- 
folgte Anstellung  als  Bibliothekar,  gab  seiner  Gereiztheit  gegen  Berlin 
und  die  Berliner  in  einer  Äusserung  über  die  Aufnahme  des  Stückes 
Ausdruck.  „Dass  Götz  von  Berlichingen  grossen  Beifall  in  Berlin  ge- 
funden hat,  ist,  furchte  ich,  weder  zur  Ehre  des  Verfassers,  noch  zur 
Ehre  Berlins.  Meil  (der  Kupferstecher,  welcher  wafarBcheinlioh  die 
Dekorationen  und  Kostüme  entwoifen)  bat  ohne  Zweifel  den  grössten 
Anteil  daran;  denn  eine  Stadt,  die  kahlen  Tönen  nachläuft,  kann  auch 
hübschen  Kleidern  nachlaufen.**  Und  doch  waren  seine  eigene  „Miss 
Sara  Sampson**  und  „Minna  von  Barnhelm**  von  den  Berlinern  mit 
ungleich  grösserem  und  andauerndem  Enthusiasmus  aufgenommen  worden ! 

Es  rouss  daher  zweifelhaft  erscheinen,  ob  Lessing  das  Werk  damals 
überhaupt  schon  gekannt  hat;  einer  Aufführung  desselben  in  Berlin 
wohnte  er  nicht  bei,  denn  von  1771  bis  1775  hatte  sein  Fuss  die  von 
ihm  so  bezeichnete  „Königin  der  Städte**  nicht  betreten. 


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Qoflthe  ia  loinOQ  Beiiehungea  in  Beriin. 


99 


Auch  Friedrich  der  Grosse  äoBserte  sich  bei  Besprechung  der 
deateehen  Literatur:  «Noch  jetzt  erscheint  auf  der  Buhne  ein  „Götz 
von  Berlichingen",  eine  abscheuliche  Nachahmung  dieser  schlechten 
englisolien  Stucke  des  Shakespeare,  und  das  Parterre  klatschte  Beifall 
und  forderte  mit  Enthusiasmus  diese  ekelhaften  Plattheiten.^ 

Wie  aber  der  vermeintliche  Ungeschmack  in  den  Werken  des 
unsterblichen  Briten  dem  grossen  Könige  mlssfiel,  so  auch  nicht  ver- 
mochte er,  dessen  Geist  von  der  franzosischen  Litteratur  so  mrichti^ 
angezogen  wurde,  sich  der  aufgehenden  Morgeniötho  .'im  Iliiiuncl  der 
deutschen  Literatur  zuzuwenden.  Un^ewürdigt  blieben  .sie  von  ihm, 
die  Meisterwerke  unserer  dt  iitsclien  Bnrden,  deren  Reigen  Lessing  und 
Klop^tock,  Herder  uad  Wieland  eröti'oeten! 

Erst  17W5,  als  unter  Kanilers  Leitung  und  niit  Fleck  in  der 
Titelrolle  das  Goetliesclie  Werk  in  dem  ..Köiiiglicben  Kumödienhause**, 
späteren  KNational-Theater"  auf  dem  Gensdurmenmnrkt  wieder  zur 
Aufführung  gelangte,  nannte  der  Theaterzettel  am  3.  Februar  jenes 
Jahres  den  Verfasser:   Herrn  Geb.  liatb  von  Göthe. 

Schliesslich  sei  noch  erwähnt,  dass  „Götz  von  Herlicliingen"  in 
dem  mittlerweih'  von  Langhans  an  Stelle  jenes  Theaters  erbanten 
sogenannten  „KotVerdach-Theater"-  ain  4.  September  iyor>  nach  Goetlies 
neuer  Bearbeitung  zur  AutVuluung^  gelangte. 

In  eine,  wcun  auch  nicht  unmittelbare  Beziehung  zu  Goetiie  war 
der  damals  nennnndvierzigjaiirige  Daniel  (.'hodo  w  iecki  g<'treten,  als 
der  jugendliche  T>ichterheros  seinen  „Wertlier'',  das  Hohelied  <ler 
Sentimentalität,  geschrieben  hatte.  Noch  in  demselben  .hihre  gab 
Christian  Fricflrich  Nico];ii  seinen  Anti-Weithei*  heraus,  betitelt 
„Freuden  des  jungen  Werlliers.  Lei<len  und  Freuden  WertlM'rs 
des  M armes.  Voran  und  zuletzt  ein  Ges|>nich.  Berlin  bev  Friedrich 
Nicolai.    17  ?.">." 

Dem  Helden  hierin  wird  bekanntlich  eine  mit  Ilühnerblut  geladene 
Pistole  in  die  Hand  gespif^lt,  doch  ini><lingt  sein  Selbstmordversuch. 
Goethe  (lat  diesem  Machwerk,  zu  welchem  Ghodowiecki  eines  seinei- 
rcizen<lsten  Tiielkupfer  gestochen  hatte,  zunächst  mit  den»  Ge(li(  ht 
„Nicolai  auf  dem  Grabe  Werthers"  entgegen.  Dann  folgte  jem»  „dra- 
matische Antwort",  über  die  der  Dichter  selbst  sich  äusserte:  ,,lcli 
schrieb  einen  prosaischen  Prolog  zwischen  Lotte  und  Werther,  der 
ziemlich  neckiscli  ansfiel.  Werther  beschwert  sich  bitterlich,  dass  die 
Erlösung  durch  Hühnerblut  so  schlecht  abgelaufen.  Er  ist  zwar  am 
Leben  geblieben,  hat  sich  aber  die  Augen  ausgeschossen.  Nun  ist  er  in 
Verzweiflung,  ihr  Gatte  su  sein  und  sie  nicht  sehen  zu  können,  da  ihm 
der  Anblick  ihres  Gesamtwesens  lieber  wäre,  als  die  sflssen  Einzeln- 
heiten, deren  er  sich  durchs  Gefühl  versichern  darf.  Lutten,  wie  man 
sie  kennt,  ist  mit  dem  blinden  Manne  auch  nicht  sonderlich  geholfen, 

7* 


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100 


Ferdinand  Uey«r: 


und  so  iiiulet  sich  GelegenluMt,  Nicolais  Beginnen  höchlich  z\i  schelten, 
dass  er  sich  ganz  unborafeu  in  fremde  Angelegenlioiten  mische.  Das 
Ganze  war  mit  gatem  Humor  geschrieben  und  schilderte  mit  freier 
Vorahnung  jenes  nnglückliche  dünkelhafte  Bestreben  Nicolais,  sich  mit 
Dingen  zu  befassen,  denen  er  nicht  gewachsen  war,  wodurch  er  sieb 
nnd  andern  viel  Verdmss  machte  und  darüber  zuletzt  bei  so  ent- 
schiedenen Verdiensten  seine  litornii.sclie  Achtung  völlig  verlor  pp.** 
In  dem  Grade  nun  als  Goetlie  die  Geissei  seines  Spottes  auch 
später  noch  Nicolai  fühlen  Hess,  verehrte  er  den  Illnstrat<»r  jenes 
Pamphlets:  „Die  höclist  zarte  Vignette  von  Chodowiccki  machte  mir 
viel  Vergnügen,  wie  ich  denn  diesen  Künstler  über  die  Massen 
verehrte.  Ich  hatte  sie  aiis^^ochnitten  und  unter  meine  lieWsten 
Kupfer  gelegt/*  War  der  Universelle  doch  selbst  der  Radirnadel 
mächtig. 

Im  folgenden  Jahre  hatte  ('hodowiecki  zwei  Titelvignetten  zu 
Goethes  Weither"  in  der  fniiizösisclien  Ühersetzun«»:,  Mastrich  \71i'\ 
radiert.  Das  eine  dieser  beiden  kleinen  Blätter  gehört  zu  den  reizvollsten 
und  begeh rte.*5ten  unseres  Peintre-Graveurs:  es  war  ein  Tiieblingsbhitt 
auch  der  verewigten  Kaiserin  Friedrich  und  stellt  den  Moment  dar,  al.s 
Lotte  im  ßallauzuge  den  sie  umringenden  sechs  Kindern  die  Brot- 
st  linitte  v»'rabreicht,  während  Wertlier  iiereiutritt,  um  Lotte  zum  Ball 
abzuholen. 

Noch  in  demselben  lahre  gelangte  dann  das  durch  Chodowiccki 
vervielfältigte  und  geradezu  Epoche  machende  Prulil-Porträt  Goethes  in 
die  ( )ftentlichkeit.  Und  zwar  nngenchtet  des  voraufgegangenen  Werther- 
Kiintliktes  als  Titelblatt  zum  J',*.  Bande  der  von  Nicohii  herausgegebenen 
„Allgemeinen  Deutschen  Bibliothek,"'  Beituch,  der  Sekretär  des 
Herzogs  von  Weinuir,  hatte  hierzu  eine  eigenhändige  Zeichnung  von 
dem  im  Besitze  der  Herzogin-Mutter  befindlichen  ,,ein/.igeii  historischen, 
von  Herrn  Kraus  aus  Frankfurt  gemalten  Porträt"  nberschickt.  Das- 
selbe scheint  auch  dem  Scbaperschen  Goethestandbild  im  Tiergarten 
als  Vorwurf  gedient  zu  haben. 

Die  letzte  Beziehung  vor  dem  Eintreffen  Goethes  in  Berlin  bildete 
das  kurz  zuvor  im  hiesigen  Verlage  von  George  Jacob  Spener 
erschienene  Werk  „Heinrich  StiUings  Wandersdiaft.  Eine  wahrhafte 
Geschichte.**  Hierzu  hatte  Chodowiecki  ebenfalls  die  beiden  Titelknpfer- 
gestochen.  Das  erste  derselben  stellt  Troost  und  Stillung  zur  linken 
dar,  während  Goethe  in  einem  Speisehause  zu  Strassburg  rechts  zur 
Thür  hereintritt,  gefolgt  von  seinem  Diener.  „Besonders  kam  einer 
mit  grossen  hellen  Augen,  geistvoller  Stirn  nnd  schönem  Wuchs  mutig 
ins  Zimmei*.  Dieser  zog  beider  Augen  auf  sich.  Troost  sagte  zu 
Stilling:  „Das  muss  ein  vortrefflicher  Mann  sein!"  Sie  wurden  gewahr, 
dass  man  diesen  ausgezeichneten  Menschen  „Herr  Goethe**  nannte. 


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Goelbe  in  seinen  Beiiehongen  sn  Berlin. 


101 


Mit  seinem  Herzog  Karl  August  von  Weimar  traf  Goeth«^  am 
Abend  des  15.  Mai  1778  in  Berlin  ein  und  stieg  für  seine  Person  im 
Zeissbergschen  „Hotel  de  Kussie",  Unter  den  Linden  2)^,  ab.  Dasselbe 
gehörte  zu  den  neun  „Gasthäusern"  ersten  Ranges,  wurde  wegen  seines 
Abzeichens  später  zur  „goldenen  Sonne"  genannt  und  hatte  zuletzt  als 
„Jngorscher  Saal"  eine  Berühmtheit  erlangt.  Jetzt  erhebt  sieh  dort, 
erweitert  durch  das  Grundstück  Nn.  22,  der  Uiesenl)an  des  Aktien- 
Bauvereins  „Passage*^  mit  deiu  Kaiser-Pauorama  und  dem  Pa^suge- 
Panoptiküm. 

Hier  auch  war,  2H  Jahre  nach  Goetiies  Anwesenheit,  am  2.  Mai  1S04, 
Schiller  mit  seiner  Gattin  und  den  beiden  Kindern  abgestiegen, 
bevor  er  bei  seinem  Freunde,  dem  Staatsrat  von  Ilufeland,  in  der 
„Letzten"  (späteren  Dorotlieenstritöse)  eiueu  dreiwöchentlicheu  Aufent- 
halt nahm. 

Goethe  stattete  dem  Redaktenr  der  Sjunersclien  Zeitung,  Burmann, 
der  Dichterin  Karscliin  und  dem  Maler  Frisch  einen  Besuch  ab, 
und  begal)  sich  aucli  zu  dem  vu  ihm  „üln'r  die  Massen  Nurchrten" 
Chüdüwiecki.  In  dem  Briefe  der  Karschin  an  Gleim,  vom  27.  Mai, 
heisst  es:  „Bei  Chodowiecki  ist  er  (Goethe)  zweimahl  gewesen,  und 
zwar  das  letztemahl  mit  dem  Herzoge;  die  schönste  Lobrede,  wer 
dies  bort,  füi*  alle  drey^S  Eine  Begegnung  mit  Friedrich  dem 
Grossen  fand  nicht  statt,  wird  anch  aus  der  Äossemng  des  letzteren 
über  „GötB  von  Berlichingen"  erklArlich. 

Chodowiecki  wohnte  damals  und  seit  dem  Jahre  1736  in  dem 
Hanse  seines  Schwiegervaters,  des  „geschiclLten**  Gold-  und  Silberstickers 
Jean  Bares  in  der  Behrenstrasse  No.  81.  Es  war  ein  schHchtes 
Gebände  von  zwei  Stockwerken,  dessen  schmale  Pforte  su  den  Wohn- 
räumen führte,  die  der  Fuss  Goethes  betrat.  Dahinter  lag  ein  kleiner 
Garten,  nnter  dessen  beiden  blühenden  Birnbäumen  später  die  Trauung 
der  ältesten  Tochter  des  Künstlers,  Jeanette,  mit  dem  Prediger  Papin 
bei  der  französischen  Gemeinde  zu  Burg  stattfand.  «Einige  Orthodoxe**, 
so  schrieb  Chodowiecki  seinem  Freunde,  dem  Hofmaler  Gr  äff  in  Dresden, 
„wollten  das  nicht  ganz  gutheissen,  aber  es  sah  doch  malerisch  sehr 
schön  aus.* 

„Rne  de  foss^**  bezeichnete  der  Künstler  auf  einer  flüchtigen 
humorvollen  Skizze  die  Bebrenstrasse,  an  deren  Nordraud  der  Festungs- 
graben sich  noch  hinzog. 

Im  ersten,  zweiten  und  vierten  Bande  der  17B7  bei  Göschen  in 
Leipzig  erschienenen  Goetheschen  Schriften  befinden  sich  dann  ebenfalls 
Chodowieckische  Kupfer  zum  „Götz  von  Berliehingen**,  zu  „Werthers 
Leiden",  dem  „Triumph  der  Empfindsamkeit"  und  „Stella".  Und  noch 
als  der  Siebenzigjilhrige  nach  dem  Hinscheiden  Tk'rnhard  Kodes 
(24.  Juni  1797)  an  Stelle  desselben  zum  Direktor  der  Akademie  ernannt 


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IU2 


Ferdinand  M^yw: 


worden  war,  x  liiiiücUte  «t  das  „Taschenbuch  für  Frauenzimmer  auf 
das  .lahr  17<)!i  und  l<S<Hf  mit  drei  praditigeu  Illustratioaeo  zu  Gueihes 
^ileriiiauu  und  Dorothea". 

Auf  der  einstifjeu  schlichten  Wulinstätte  Chodovviec  kis.  <He  auch 
der  Fuss  dos  unstn  hliclien  Dichters  ItetK  lfU,  crtiebt  sich  jetzt  der 
Prachtitau  des  liornschen  BaidNgex  hu tts  mit  eiiu-r  seitens  der  „Stadt 
Berlin''  dem  Aiulenken  des  ersteren  gewiduieten  lironzetafel. 

Aus  dem  freundlichen  Verhältnisse  zwischen  Goethe  und  dem  ihm 
geistesverwandten  Hildner  Gottfried  Schadow  <;infj:en  zwei  Büsten 
des  ei*steren  hervor,  die  einen  früheren  Kontlikt  beendigten.  Über  die 
Veranlassung  zu  demselben  achrieb  Schadow:  „Herr  v.  Goethe  hatte 
Gmnd,  mir  nicht  freundlich  zu  sein.  In  den  Propyläen  hatte  er  das 
Kunsttreiben  Berlins  als  prosaisch  geschildert,  in  einer  andern  Zeitschrift 
hatte  ich  hieriibcu-  eine  andere  Ansicht  gegebeu  und  w  war  damals  der- 
gleichen Dreistigkeiten  nicht  gewohnt.'' 

Inniger  und  bis  zum  Tode  Goethes  vrar  dessen  Frenndschafls- 
Verhältnis  mit  Zelter,  über  das  der  ihm  befreundet  gewesene 
Dr.  W.  Kiotel  interessante  Mitteilungen  gebracht. 

Zelter»  der  Maurenneister,  Comi»oniBt  und  zuletst  Dirigent  der 
Berliner  Singakademie  machte  Goethes  persönliche  Bekanntschaft  zuerst 
in  Weimar  und  besuchte  ihn  auf  dessen  dringende  Einladung  im 
folgenden  Jahre  zum  zweiten  Male  auf  vierzehn  Tage.  Alle  übrigen, 
in  längeren  Zeiträumen  wiederholten  Besuche  dauerten  nur  wenige  Tage, 
so  dass  der  persönliche  Verkehr  beider  Männer  innerhalb  eines  Zeitraums 
von  dreissig  Jahren  sich  auf  etwa  einhundert  Tage  beschränkte.  Desto 
umfangreicher  war  der  Schriftwechsel. 

Thatsächlich  war  Zelter  vom  Geiste  des  Dichters  schon  erfüllt, 
bevor  er  diesen  persönlich  kennen  gelernt,  und  zwar  zur  Zeit,  als  sich 
in  Berlin  die  Opposition  gegen  denselben  breitgemacht  hatte.  Er  nahm 
Partei  für  ihn,  der  verwandte  Saiten  in  ihm  erklingen  gemacht  und  so 
gewissermassen  sein  Lehrmeister  gewesen  war. 

Nacii  den  schonen,  gemeinsimi  verlebten  'lagen  schrieb  Zelter: 
„Die  Erinni'iinii;  darun  wird  nur  mit  nicincin  Gedächtnis  aufhören. 
Ein  neuei'  Geist  ist  in  mir  durch  diese  Beriihiung  erweckt,  und  wenn 
ich  Je  etwas  hei  \ oiocltracht  oder  noch  hervorbringe,  das  der  i^iu^e^ 
würdig  ist,  so  wei>s  ich,  dass  es  Gabe  ist  und  von  wem  sie  kommt". 

Was  Cloethe  zu  dem  Versuche  bewogen,  in  ein  näheres  Verhältnis 
mit  Zelter  zu  treten,  war,  dass  ihm,  dem  Universellen,  von  allen  andern 
Gebieten  der  Kunst  das  der  Musik  noch  allein  verschlossen  geblieben. 
T>i''  hei'zlichen  Töne,  welche  er  in  Zelters  Comi>ositionen  seiner  Lieder 
zu  hören  meinte,  erweckten  in  ihm  den  Trieb,  die  Mittel  kennen  zu 
lernen,  durch  die  eine  derartige  Wirkung  auf  ihn  hervorgebracht  wurde. 


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Goethe  in  aeinen  Beaebungen  sa  fierllo. 


103 


„Ich  kann  von  Herrn  Zelter^^  Coinpnsitionen  uK'iner  Tiierlcr  äagen,  das» 
ich  der  Musik  kaum  solrlie  lierzliclie  Tone  zui^etrant  liiittc/' 

Zelter  besass  nach  (ioethes  eigenen  Worten  von  allen  M-ltenen 
Gaben  die  seltenste:  ein  Freund  zu  sein,  und  die  Gabe,  das  Wesen  seiner 
Kunst  in  dem  Sinne  aufzufassen,  iu  welchem  Jeuer  alle  Kunst  überhaupt 
aufgefasst  wissen  wollte.  Er  besass  die  innere  und  ims^cic  WiirdB, 
die  den  Mann  —  welehe  Stellung  er  auch  immer  eiiinehuien  nuig  — 
hochgestellten  und  ausgezeichneten  Menschen  nahe  rückt,  wenn  nicht 
ebenbürtig  erscheinen  lasst;  er  besass  eine  umtasseade  allgemeine 
Bildung  und  ein  vortreffliches  AusdrucksveruKigen. 

So  erwarb  Zelter  sich  die  dauernde  Liebe  und  Schätzung  Goethes 
und  wurde  ihm  ein  unentbehrlicher  Gen(»sse,  der  ihn  zu  nenen  Gcdaidvcn 
imd  neuem  Schatten  dauernd  auch  dadurch  anregte,  wenn  er  die  IJewegung 
und  fortschreit<'nde  Entwickelung  des  hauptstädtischen  Lebens  dem 
Freunde  in  der  kleinen  Welt  Weimars  schildernd,  diesen  zu  lebhafter 
Teilnahme,  schätzbaren  Äusserungen  und  Urteilen  veranlasste. 

Solcher  Wechselwirkung  haben  die  beiden  Freunde,  bis  zum  T(»de 
Goeth(>s,  in  ihrem  1833  erschienenen  Briei'wechsel  ein  dauerndes  Denk- 
mal gesetzt 


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104 


Dr.  Emil  Babrfeldt: 


Fünfhundert  und  fünfzig  Jahre 
Berliner  Münzgeschichte 
1150-1700. 

Von 

Dr.  Emil  Bahrfeldt 


Wie  es  sich  in  allen  V«'rhHlt wissen  des  Lebens,  auf  allen  Gebieten 
wissenschaftlicher  wie  praktischer  Natur,  immer  wieder  aufs  neue  be- 
stätigt, (lass  alles  Hed»nitende  nicht  auf  einmal  dafj^ewesen  ist.  sondern 
ei-^t  uiich  und  nach  aus  kleinen  Antanzen  heraus  sich  entwickelt  hat  — 
S(»  ist  dieser  allmali^e  Werdegang  auch  auf  dem  (lebiete  des  Müuz-  und 
Geldwesens  durch  die  .lahrhunderte  hindurch  zu  verfolgen. 

Auf  diesem  Felde  liegt  uns  die  Entwickelung  dos  deutschen  Münz- 
\vesens  am  nächsten,  und  für  die  ßrandenburgia,  nül  ihrem  Sitze  in 
Berlin,  steht  darin  in  erster  Reihe  die  Geschichte  des  märkischen,  in 
Sonderht  it  des  lierliiier  Miiuzwesens,  der  berliner  lundebherrlicheu  und 
städtischen  Miin/>\  ei  haltnisse. 

Vnii  (ItMi  letzleit'ii  soll  hi('r  die  Rede  sein.  Ich  schicke  indessen 
Viuaus,  dass  hei  dem  weiten  Umfanfje  des  Themas  und  in  Berücksichti- 
gung des  mir  hier  zur  Vertiigung  ^tehcniien  knappbemessenen  Raumes 
nui'  ein  allgemeiner  L'berl)lick  gegeben  werden  kann  und  die  Darleguugeii 
nur  in  grossen  Zügen  sich  ermr>glichen  lassen. 

Die  ersten  verlässlichen  Nachrichten  über  die  Deutschen  verdankeu 
wir  den  linmern,  besonders  dem  Geschichtschreiber  Tacitus.  Nacli  ihm 
steht  es  fest,  dass,  als  die  Römer  mit  den  Deutschen  in  Berührung  kamen, 
letztere  Metallgeld  noch  nicht  kannten.  In  Süddeutschland  waren  da- 
gegen bereits  die  sogenannten  Regenbogenschüsselchen,  blassgoldene 
Münzen  von  konkaver  Fonn,  die  von  den  Kelten  herrühren,  bekannt 
geworden.  Tacitus  berichtet,  dass  in  Germanien  Tausclihandel  bestand, 
der  ja  überall  gebriiuchlich  war,  bevor  man  gemünztes  Geld  kannte. 
Die  Deutschen  lernten  im  Verkehre  mit  den  RV>mern  bald  den  Wert  des 
roniix'hen  Geldes  kenneu:  hauptsächlich  bevorzugten  sie  die  Silberdenare 
und  von  diesen  wieder  solche  mit  besonderen  Ausserlicbkeiten,  nämlich 
diejenigen  mit  emeni  gekerbten  iiande  and  solche,  die  ein  Zweigespana 
im  Gepräge  sehen  Hessen. 

Unter  den  deutschen  Königen  weiterhin  entwickelte  sich  auch  in 
Deutschland  ein  selbständiges  Munzwesen.  Kurl  der  Grosse  war  es,  der 
eine  feste  Basis  für  die  Geldprägung  schuf  und  damit  den  Geldverkehr 


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Fflnfbundert  und  fflnfiig  Jahre  B«iliiier  MOuzgeachichte  1160—1700.  105 


regelte.  Es  wurden  von  ihm  und  sinnen  Natbfolt^orn  zweiseitige  Silber- 
pfenninge,  (Denare),  auch  lliilblinge,  (Obole)  gesclihigen,  die  nach  und  nach 
eine  weite  Verbreitung  fanden.  Solches  (Jekl  mag  zuerst  in  il<'r  Mark 
etwa  im  8.  Viertel  des  U).  Jahrlnindeits  in  grösseren  Meng(Mi  in  dun 
Verkehr  gekommen  sein,  l>as  ist  uns  zwar  nicht  schriftlich  iiixM'liefert, 
aber  die  Münzenfunde  sind  es,  die  eine  deutliche  und  zuverlässige  Sprache 
reden  und  uns  sichere  Kunde  von  dem  damaligen  Geldverkehre  bringen. 

Diese  ältesten  in  der  Mark  im  Umlaufe  gewesenen  Pfenuinge  sind 
aber  wohlverstanden  danuils  noch  nicht  in  der  Mark  selbst  hergestellt 
worden,  sondern  sind  westlich  von  der  Elbe  und  vielfach  in  Siiddeutsch- 
land  entstanden.  Mit  ihnen  vermischt,  liefen  weiter  auch  ausserdeutsche 
Pfenninge  um:  skandinavische,  englische,  französische,  böhmische,  italie- 
nische und  andere,  auch  noch  arabische  und  liyzantinische.  Die  letztere?! 
beiden  bilden  die  legelmässigen  Beigaben  in  den  sogenannten  Hacksilber- 
funden, die  bei  uns  etwa  bis  zum  Jahre  l  KKI  reichen.  Die  einheimischen 
märkischen  Gepräge  setzen  erst  zur  Zeit  Albrechts  des  Bären,  Markgrafen 
von  Brandenburg,  11M4 — 1170,  des  llevellerfürsten  Pribislaw,  gestorben 

und  des  köpnicker  WendenfQrsten  Jakza,  um  1157,  ein.  Es  ist  eine 
alte  ErfahruDg,  dass  die  Münzprägung,  in  Europa  stets  erst  mit  der  Ein- 
f&hrung  des  (Aristenthnms  and  seiner  Knltur  auftritt,  und  so  aach  in 
der  Mark.  Die  drei  genaimten  Herrsclier  waren  Christen,  als  sie  ihre 
ersten  Mfinzen  schlagen.  Es  waren  dies  teils  zweiseitige  Pfenninge  nach 
Art  der  bisher  bekannten,  teils  grosse  einseitige,  fladie  nnd  dflnne  Silber* 
stficke,  späterhin  mit  dem  Kanstausdracke  Bracteaten  benannt,  die  smn 
Teil  schon  von  hohem  Knnstwerte  sind  nnd  die  ihre  Vorbilder  meist  in 
magdebnrgischen  Pfenningen  fanden,  wie  denn  flberhanpt  dem  jnngcbrist- 
lichen  Staate  die  Knltar  von  dem  mächtigen  nnd  vorgeschrittenen  Erz- 
blstom  Magdeburg  kam. 

Von  Berlin  ist  immer  noch  nicht  die  Rede.  Ohne  die  Frage  der 
Zeit  seiner  Entstehung  hier  zn  erörtern,  kann  nnr  gesagt  werden,  dass 
unter  den  Markgrafen  aas  dem  askanischen  Hause,  die  in  der  Mark  mit 
Albreoht  dem  Bären  zur  Herrschaft  gelangten,  sich  Berlin  mit  seinem 
Geldverkehre  ganz  den  Verhältnissen  der  Mark  im  allgemeinen  ange- 
passt  haben  muss,  und  dass  man  nicht  weiss,  wann  überhaupt  zuerst 
hierselbst  eine  Münze,  eine  markgräfliche  natürlich,  eingerichtet  ,  worden 
ist  Berlin  steht  in  dimr  Beziehung  hinter  andern  märkischen  Orten 
zurück,  denn  die  erste  nrkundliche  Erwähnung  der  Münze  in  Bei'lin 
datiert  erst  aus  dem  Jahre  1280.  Damals  verkauften  die  markgräflichen 
Brüder  Otto  Y.,  AI  brecht  UI.  und  Otto  VI.,  1280—1288,  der  Stadt  Berlin 
10  Mark  jährlicher  Hebungen  aus  der  landesherrlichen  Münze  daselbst 
Leider  hetzen  wir  aber  nicht  den  geringsten  Anhalt,  nm  unter  den 
vielen,  noch  unbestiuuntcn  brandenburgischen  Münzen  die  berliner 
herauszufinden.    Die  nnüaafenden  Sorten  waren  damals,  wie  über^ 


106 


Dr.  Emil  Bohrfeldt: 


haupt  Iiis  zum  Anfanpr  clor  Rejjjierung  der  Hnlienzollcrn  in  der  Mark, 
imiiior  iiDcli  zweiseitige  Denare  nnd  Obule  sowie  einseitige  Bracteaten, 
aber  von  geringerer  Grösse  und  Schwere  und  v»»u  minderem  Knnst- 
werte  als  die  aus  der  eisten  Zeit  der  Askanier.  Erwälint  wird  Herlin 
als  Müiizstütte  erst  wifdi  r  im  .lahi-e  1319,  als  Herzog  Rudolf  von  Sachsen 
und  Agnes  von  Bran(leiil)iirtr,  die  Wittwe  Waldenaus,  den  Städten  Berlin 
und  CVdn  Gerechtsame  und  Ficiheiten  lu'stiUigen  und  dabei  den  mark- 
gratliehen  Münzmeistei'u  Weisung  üiiei-  die  zu  scldagenden  Mimzen  geben. 
Dann  folgt  \IV22  ein  Vergleich  zwischen  ik^n  llalhniaiinen  von  Berliii- 
Crdn  und  (h-iuTi  von  Brandenliurg  bezüglich  einiger  Münzangelegenheiten 
und  l:L^"),  \:V27,  \:V2\),  l'AM  und  sofort  l^ötl,  laHö  wird  weiternoch  aus 
verschiedenen  Anlassen,  meist  liei  Sclu-nkungen  an  Kirchen,  der  landes- 
herrliciieu  Münze  in  Berlin  gedacht  —  aber  immer  noch  nicht  lassen 
»ich  die  Mfinzen  selbst  nachweisen.  Aus  dieser  Zeit  werden  uns  aber 
wenigstens  zwei  Munzmeister  namhaft  gemacht,  das  ist  1340  Otto  von 
Buch,  aas  alter  berliner  Ratsfamilie  entstammend.  Er  lieh  dem  Rate 
fAr  den  Wiederaufbau  der  durch  Brand  xeratorten  Marienkirche  50  Mark 
Silber.  Nach  einem  Aufstande  gegen  den  Markgrafen  Ludwig  II.,  1845, 
flflchtete  er  ausser  Landes  nnd  starb  in  der  Verbannung.  1354  nnd 
1356  erscheint  Thilo  von  Brügge  (Tvle  van  Brügge);  der  Kurfürst  nennt 
ihn  »seinen  lieben,  getreuen  Richter  nnd  Mflmsmeister  zu  Berlin*.  Brügge 
nahm  eine  besondere  Vertrauensstellung  bei  seinem  Herrn  ein;  er  ward 
znra  Vogt  über  Berlin,  Göln,  Spandan,  Nauen  und  Rathenow,  den  alten 
und  neuen  Bamun  und  das  Land  Teltow  ernannt,  auch  ordnete  er  die 
Geldangelegenheiten  des  iiuanziell  arg  bedrängten  Kurffirsten.  Brügges 
Hans  lag  in  der  Spandauerstrasse  zwischen  Molkenmarkt  und  Rathaus. 

£inige  Jahre  später  nun,  1369,  trat  ein  far  Berlins  Mflnzgeschichte 
wichtiges  Ereignis  ein.  Die  Markgrafen  hatten  gewisse  Münzbezirke 
(Mflnzyser)  eingerichtet,  in  deren  Ortschaften  je  fiberall  gleiche  Veriiält- 
nisse  bezuglich  des  Munz>  und  Geldverkehrs  obwalteten.  Ein  bedeu- 
tender Bezirk  war  der  berlinische.  Zu  ihm  gehörten  Berlin,  Oöln, 
Frankfurt  a.  'Oder,  Spandau,  Bernau,  Eberswalde,  Landsbei^,  Straussberg, 
Muncheberg,  Drossen,  Fflrstenwalde,  Mittenwalde,  Wrlezen,  Freienwalde. 
Geprägt  wurde  nur  in  Berlin  und  in  Frankfurt,  und  das  Geld  dieser 
beiden  Pr&gestätten  liatte  im  ganzen  Bezirke  Gültigkeit  and  gleichen  Wert. 

Die  fortwährenden  Geldkalamitäten  der  Markgrafen  —  wir  sind 
mittterweile  in  die  Zeit  derjenigen  aus  dem  wittelsbachischen  Hause 
gelangt  —  benutzten  nun  die  Städte  des  Munzbezirks  Berlin,  am  sich 
mit  ihrem  Geldwesen  selbständig  und  gewissermassen  unabbängig  vom 
Landesherrn  zu  machen.  Sie  erwarben  im  Jahre  l)]Oll  vom  Markgrafen 
Otto  dem  Faulen  gegen  idne  Kaufsumme  von  6500  Mark  Silber  das 
Münzrecht,  und  zwar  das  Recht  Pfenninge  schlagen  zu  dürfen,  die  der 
üblichen  alljährlichen  Umwechselung  in  der  Münze  nicht  unterlagen. 


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Fflnfbondert  und  fOnlsig  Jahn  Berliner  MflnsgeBchichte  1160-1700.  107 


Man  nannte  dies  Recht,  etwas  weitgehend,  das  Hecht  des  ewigen 
l't'eiinings.  Schon  früher  hatte  auch  dor  Münzbezirk  Stendal  iu  gleicher 
Weise  sicli  emanzipiert. 

Mit  drr  Erwerbung  dieses  MünzprivUegs  war  aber  nicht  itwa  für 
jede  einzelne  Stadt  der  vorher  genannten  Reihe  tur  sich  selbst  das 
Prägerecht  verbunden,  wie  das  häufiger  irrtündicli  behauptet  worden 
ist,  sondern  es  blieb  auch  unter  städtisclier  Verwaltung  der  (gleiche 
Modus  bestehen,  näiuiicii  nur  iu  Berlin  und  Frankfurt  für  den  ganzen 
Bezirk  zu  prägen.  Davon  ist  denn  auch  an  diesen  beiden  Orten  alsbald 
Gebrauch  gemacht  worden  und  wir  können  an  den  Stailtzeichen,  die 
auf  den  betrettenden  Stücken  vorkommen,  dem  berliner  iiären  und  dem 
frankfurter  Hahn,  ihre  l'rägeerzeugnisse  erkennen.  Das  sind  die  damals 
üblichen  kleinen  Pfenning«^  oder  Denare,  die  Ähnlich,  aber  naturlich  mit 
hundertfach  wechselnden  Bildern  und  von  einem  nach  und  nach  sich 
vermindernden  Gehalte,  während  der  ganzen  Zeit  der  ^Markgrafen 
geschhigen  worden  waren.  Einseitige  Plenninge,  ßracteaten,  die  bis  ins 
14.  Jahrhundert  hinein  dauerten,  sind  für  den  berliner  Münzbezirk 
unter  städtischem  Schlage  nicht  hergesteilt  worden.  Immerhin  acheint 
der  städtische  >rünzenschlag  weder  in  starkem  Umfange  begonnen,  noch 
auch  später  sich  kräftig  entwickelt  zu  haben.  Die  Zeit  der  Markgrafen 
ging  zu  Ende,  ohne  dass  Berlin-Frankfurt  in  münalicher  Hinsicht  auf- 
föUig  hervorgetreten  wäre. 

Auf  die  vei-srhiedenen  MuDZverhältnisse,  Schrot  und  Koi  n,  Kurs, 
Gepräge  und  dergleichen,  wie  sie  fftr  die  markgralliche  Periode 
bestanden,  hier  näher  einzugehen,  muss  ich  mir  aus  den  eingangs 
erörterten  Gründen  versagen. 

Wir  gelangen  nun  in  die  Zeit,  als  die  Maik  Brandenburg  an  die 
HohenzoUern  kam.  Das  geschah  mit  Friedrich  I.  im  Jahre  141*).  Da- 
mals wurde  in  der  Mark  sehr  wenig  geprägt  Sie  befand  sii  Ii  all- 
gemein wirtschaftlich  wie  im  besonderen  in  münziioliti.scber  Beziehung 
auf  niedergehenden  Bahnen.  Man  behalf  sich  mit  fremden  Münzsorten, 
vor  allem  mit  böhmischen  Groschen,  die  iu  grossen  Massen  im  Lande 
umliefen,  und  mit  mancherlei  kleinen  Pfenningen  anderer  Länder.  Es 
ist  erwiesen,  dass  der  erste  Hohenzolier  nur  in  beschränktem  Maasse 
und  nur  zur  Herstellung  von  Scheidem0nzen,  kleinen  Pfenningen,  den 
Münzhammer  gerOhrt  hat  In  den  Urkunden  findet  sich  deshalb  auch 
die  berliner  Münzstätte,  die  landesherrliche,  nur  1427,  1431,  1432  und 
1436  erwähnt,  während  sie  von  der  städtischen  ganz  schweigen. 

Unter  Kurfüi*st  Friedrich  II.  kamen  die  ersten  märkischen  Groschen 
auf,  aber  nicht  in  Berlin,  sondern  in  Bi'andenbui'g  und  Havelbei^g, 
während  Berlin  nur  einseitige  Uohlpfenninge  mit  dem  branden- 
buiigtscben  Adler  liefeiie,  deren  8  auf  1  Groschen  rechneten  und  die 
etwa   Vi  lötig   im  Gehalte  waren.    Die  berliner  Pfenninge  werden 


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108 


Dr.  Zmfl  Bahrfeldt: 


envähnt  1440  in  der  Münzordnung  des  Landvog^s  Wnlther  Kerskorff 
in  der  Nenmark,  auch  in  demselben  Jahre  und  dann  1444,  1460. 

Unter  dem  nächsten  Kurfürsten,  Albrecht  Achilles,  der  ja  über- 
haupt nicht  mtlnxreich  war,  lassen  sich  berliner  MQnzen,  landesherr- 
liche wie  städtische,  nicht  nachweisen.  Aber  es  verdient  hervorgehoben 
zu  wei'den,  dass  die  Stadt  1473  das  alte  MOnzrecht  sich  bestätigen  Uess, 
wie  sie  in  ängstlicher  Besorgnis  um  ihr  Privileg  auch  unter  den 
folgenden  Regenten  fftr  dessen  Yerbriefung  sollte,  was  stets  mit  den 
Worten  geschah: 

„Audi  dass  sie  dt»n  ewigen  Pfenning,  dt»n  sie  gekaufot 
haben,  ewigliclion  belialden  sulien,  ohn  aileilei  Hindernuss 
unser  oder  unser  Nachkomelinge,  als  sie  des  von  unser  Yor- 
fahrn  Maiggrafeu  zu  Brandenburg  Briete  haben." 

Auch  för  die  Zeit  Johann  Ciceros  ist  die  Herstellung  berliner 
Geldes  nicht  zu  belegen.  Interessant  aber  ist  die  Nachricht,  dass  man 
in  Pankow  bei  Berlin  Groschlein,  das  heisst  halbe  Groschen,  etwa  im 
Jahre  1496 — 1496  hergestellt  haben  soll.  Alle  Schriftsteller,  die  sich 
hieraber  ausgelassen  haben  —  Nicolai,  Kdhne,  Schwebel  —  haben  ans 
der  etwa  1599  geschriebenen  Chronik  des  Peter  Hallt  (Petrus  HafflfciÜus) 
geschöpft,  der  eine  kurze  Nachricht  von  den  „Pankowschen  Gröschlein** 
bringt  Ich  meinerseits  zweifle  an  deren  Richtigkeit,  wenn  sie  auch  an- 
scheinend eine  Bestätigung  in  dem  Umstände  findet,  dass  die  vor 
einigen  Jahren  abgebrochene  alte  Apotheke  an  der  Breitenstrasse  zu 
Pankow  im  Yolksmunde  „die  MOnze"  genannt  wurde. 

Erst  iiiittr  .loachim  I.  gewinnen  wir  für  Berlin  wieder  festen 
liuden.  Zu  seiner  Zeit  sind  anscheinend  kurfürstliclie  Pfenninge  von 
Berlin  nicht  ausgegangen,  dagegen  (ritt  nun  die  Stadt  etwa  1Ö08  wieder 
mit  einigen  Pfenningen,  einseitig  und  ghitt  gejjrägt.  liervor.  Sie  führen 
zwei  S<'hilder  nebeneinander,  in  dem  einen  den  berliner  Bären,  in  dem 
andern  den  kölnischen  Adlei-,  wie  ja  auch  dnui;ils  die  Städte  Frank- 
furt und  Crossen  mit  ihren  Stadtzeicheu  Pfeunioge  schlugen,  die  aller- 
dings noch  hohl  waren. 

Gegen  1507  hat  auch  der  Kurfürst  teils  unter  seinem  Namen 
allein,  teils  gemeinsam  mit  seinem  Bruder  Albrecht,  in  Berlin  Groscheo, 
die  ersten  also,  priigen  lassen.  Sie  tragen  den  brandenburgischen 
Adler  und  auf  der  Rfickseite  ein  Kreuz  mit  4  Wappenschildern,  den 
gewöhnlichen  Typus  aller  märkischen  Groschen  damaliger  Zeit.  Von 
ihnen  gingen  etwa  100  Stück  auf  l  Gewichtsraark.  Die  Berliner 
Groschenreihe  reicht  bis  zom  Jahre  1518.  Münzmeister  war  Andreas 
Boldicke,  der  aber  beim  Münzbetriebe  nicht  reine  Hand  gehalten  hat 
und  deshalb  geAnglich  eingezogen  wurde* 


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Fllnfhmidert  and  fO&Mg  Jahn  Berliner  MllnigeMliteht«  llfiO— 1700.  IQy 

Ln  JAbre  1502  zuerst  verordnete  der  Rarfürst  in  der  Mark  den 
Schlag  von  Ooldgulden,  71  Stock  aus  der  Mark  von  18  Karat  ä  Grän 
Feine.  Das  war  in  Frankfurt  and  Angerniünde.  Fftr  Berlin  erschien 
eine  Verordnung  erst  im  Jahre  1513.  Die  Goldgnlden  tragen  den  Apostel 
Paulos  anf  der  einen  und  ein  Blnmenkreuz  mit  4  Wappensbhildei  n  auf 
der  andern  Seite,  führen  aber  keine  Jahreszahl.  Sie  zählen  zu  den 
hervorragenden  Seltenheiten. 

Joachim  ist  der  erste  brandenborgische  Regent  gewesen,  der  grobe 
Bfflnzsorten,  Thaler  und  Viertelthaler,  in  den  Verkehr  brachte.  Das 
geschah  1521.  Die  Mfinzschmiede  fÖr  die  Thaler  steht  nicht  fest,  fGr 
oioe  Anzahl  Viertelthaler  ist  sie  Frankfurt  und  Stendal.  Es  erscheint 
deshalb  zulässig,  auch  Berlin  mit  «ner  Anzahl  von  Ihnen  zu  bedenken. 

Joachim  II.  liess  in  Berlin  in  ziemlich  starkem  Grade  die  Mfinz- 
schmiede arbeiteu.  Es  sind  aus  ihr  bekannt  einseitige  Pfenninge,  Dreier, 
Groschen,  halbe  Gnldenthaler  zu  30,  halbe  Thaler  zu  86  Kreuzer, 
Gnldenthaler,  Thaler,  Goldgnlden,  doppelte  Goldgnlden,  Dnkaten,  Doppol- 
dukaten, Zehndukatenstllcke,  auch  nach  dem  Relchsfnsse  Kreuzer,  Drei- 
kreuzer,  Zehnkrenzer  und  Zwölfkreuzer.  Merkwürdig  sind  die  sogenannten 
Engelgroschen,  auf  denen  —  nach  sächsischem  Master  —  ein  Engel  das 
brandenburgische  Wappenschild  hält,  höchst  wichtig  und  selten  die 
Mönze  von  15G9  auf  die  Belehnung  des  Kurffirsten  mit  dem  Herzogtum 
Preunsen,  in  Berlin  geprägt 

Mfinzmeister  in  Berlin  anter  Knrfurst  Joachim  II.  waren  nacli 
meiner  Ermittelung  in  den  Archiven 

Paul  Mühlrad  von  l.'):iS_154i>, 
Hans  Kni|)pp  „  1")4") — lööM, 
Kurt  der  Ältere  .  l.V>;i-15r)l, 
Lippold,    der    bekannte  Giinstling  des   Km  linsten, 

Als  Münzwardein  fungirte  bis  154<}  Gregor  Bach. 

Der  zuerst  genannte  Paul  Mühlrad  war  gleichzeitig  auch  Münz- 
meister der  Stadt  Berlin.  Er  hat  für  sie  kleine  einseitige  Pfenninge 
geschlagen,  die  den  Bären-  und  den  Adlerschild  nebeneinander  sehen 
lassen  und  in  die  Jahre  1539—1543  gehören;  sein  Nachfolger  war 
Ulrich  Bosweil,  der  lo4tf  prägte. 

Der  Kurfürst  Johann  Georg  behielt  den  Münzfuss  seines  Vaters, 
21  Groseben  auf  1  Guldeu,  bei.  Er  liess  nur  die  berliner  Münzstätte 
im  Gang«',  alle  andern  Münzen,  zuletzt  Stendal,  waren  eingegangen. 
Daa  berliner  Geld  bestand  in  Pfenningen,  Dreiern,  Groschen,  Viertel-, 
Halben-,  Ganzen-  und  Doppelthalern,  Dukaten,  Zwei-,  Fünf-  und  Zehn- 
fachen Dukaten.  Von  Münzbeamten  unter  diesem  Regenten  sind  zu 
nennen  der  vorher  schon  erwähnte  Mfinzmeister  Lippold,  der  wegen 


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110 


Pr.  BmU  Bahrfeldt: 


Roiner  angeblicliPii  Betrügereien  einen  r|iialvollei)  Tod  erleiden  musste. 
Icli  habe  die  Akten  seines  Prozesses  aus  den  .lahren  1570  und  l")71 
dnrclistndiert,  aber  irh  niuss  sagen,  in  Rrzng  aiit"  die  ^^ünzen[)rägUDg; 
kann  ich  ilm  nicht  schuldig  ÜDden.   Ferner  die  Münzunjister 

llteroDyinns  Wiedemann  1571, 

Konrad  Schreck  von  1572—1580» 

Michael  Aschenbrenner,  der  zeitweilig  aoch  Wardein 

war,  von  1580  ab» 
Heinricli  von  Rehnen  seit  1597. 

Wai*dein  wai'eu: 

Liborius  Mfiller» 
Peter  Wolf» 
Melchior  Hoffmann. 

Von  der  Münze  der  Stadt  Berlin  hört  man  nichts  nnd  dasselbe 
gilt  auch  für  die  Zeit  des  Kurfürsten  Juachiin  Friedrich,  der  zum  Teil 
«lieselht  n  Münzbeamten  hatte  wie  sein  Vorgüuger,  zu  denen  nur  noch 
der  Wardein  Sebastian  Salomou  trat. 

Ks  wird  nun  aber  an  der  Zeit,  einen  lilick  auf  die  Örtlichkeit  zu 
werfen,  an  der  die  beiden  Münzen  unserer  Stadt,  —  die  landesherrliche 
und  die  städtische  —  sich  befunden  haben. 

Die  Markgrafen  hatten  ihr  Münzliaus,  soviel  bis  jetzt  ermittelt,  in 
der  Klosterstrasse  zu  Berlin,  in  ilirer  Burg  neben  der  Hofkirche,  jetzt 
Nr.  75  und  7()  daselbst.  Bis  zu  .loachims  II.  Zeiten  mangeln  dann  alle 
Nachrichten.  In  der  1.  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  soll  die  Münze  im 
kurfQrstlichen  Schlosse  gewexen  sein.  Dass  der  Mflnzmeister  Lippold 
1565  in  Nr.  6  der  Foststrasse  gemQnst  habe,  ist  nicht  richtig.  Nach 
meinen  Ermittelnogen  aus  den  Akten  des  Kgl.  Geh.  Staats-Arch.  ist  es 
das  Grundstock  Nr.  5  gewesen.  Die  heutige  Poststrasse  hiess  damals 
Fischmarktgasse,  eine  Nachricht»  die  neu  ist»  da  sie  in  den  lokalge- 
schichtlichen Bücliern  Berlins  sich  nicht  findet.  Lange  hat  die  Mönze 
ihren  Stand  dort  nicht  gehabt,  denn  schon  1589  wird  das  GmndstQck 
die  alte  Münze  genannt:  es  muss  also  anderwärts  schon  eine  nene  ge- 
wesen sein.  Diese  lag  in  Goln»  wohin  sie  spätestens  1586  verlegt 
worden  ist,  wahrschonlich  gleich  in  den  Seitenflfigel  des  Schlosses.  In 
Ooln  ist  sie  verblieben  anch  dann  noch»  als  Kurfürst  Geoig  Wilhelm 
in  Berlin  wieder  eine  zweite  Münze  emchtete.  Ich  nehme,  zeitlich  vor- 
greifend» um  den  Zusammenhang  zn  wahren,  auch  die  fernere  Lokal- 
geschiebte  der  Münze  hier  auf: 

Von  162H  bis  nnter  dem  Grossen  Kurfärston  wurde  nur  im  Schlosse 
zu  Ooln  gemünzt.  Daim  siedelte  die  Münze  in  den  sogenannten  Iffftnz- 
turm  über»  wo  sie  sich  noch  nnter  Friedrich  IH.  befand.  Am  9.  August 
1706  ward  der  Befehl  zum  Abbruche  des  Turmes  gegeben  nnd  dann  ein 


FOnfhnndert  und  fOnbig  Jahre  Beiliner  HOnsgeaohiohte  1160—1700.       1 1 1 

nenes  Müuicgobäadd  erriclitet  an  der  UnterwasserstrasBe  Nr.  2.  Ein 
Wasserarm  aas  dem  Schietisenkanal  wurde  mit  ihr  in  Verbindnng  i^e. 
ftetsBt  Unter  Friedrich  dem  Grossen  erfuhr  die  Anliigc  eine  Erweiterung, 
aber  die  Räumlichkeiten  reichten  doch  nicht  aus,  deshalb  Hess  der  König 
1752  zwischen  Königs-  und  Spandanerthor,  unter  Nr.  10  12  der  heutigen 
MQnzstrasse,  ein  Munzgebäude  errichten,  das  1753  vollendet  wni'de.  Hier 
ist  die  Geburtsstätte  der  irrtämlich  Sterbethaler  genannten  Go[>riig:o  von 
1780.  Späterhin  siedelte  die  Mflnze  nach  dem  Werderschen  Rathauso 
am  Werderschen  Markt  dber.  Als  1794  das  Rathaus  abgebrannt  war, 
wurde  1799  1800  an  derselben  Stelle  von  Bauinspektor  Heinrich  Gentz 
ein  neues  Mfinzgebäude  errichtet  und  mit  der  noch  bestehenden  alten 
Mflnze  in  der  Unterwasserstrasse  in  Verbindnng  gesetzt.  Endlich  wurde 
1868/71  anstatt  dieser  beiden  Mflnzen  die  jetzige  Anlage  Unterwasser- 
strasse  2/4  aufgeführt,  nach  einer  Stfilerscheu  Skizze  und  unter  Verwen- 
dung des  mächtigen,  von  Gilly  gezeichneten  und  von  Schadow  ausge- 
führten Frieses  von  der  alten  Münze  am  Werderschen  Markt.  Der  Bau- 
meister der  jetzigen  Mflnze  ist  Bauinspektor  W.  Neumann. 

So  aoBfahrltch  Über  die  landesherrliche  Mflnze  die  Nachrichten  sind, 
so  knapp  sind  sie  Über  die  städtische,  denn  es  findet  sich  in  den  Akten 
keine  einzige  sichere  Nachricht.  Man  ist  deshalb  nur  auf  die  Ver- 
mutung angewiesen,  dass  die  städtische  Mflnze  in  dem  jeweiligen  Rat- 
hause eingerichtet  gewesen  sein  wird. 

Nach  dieser  Abschweifung  kehren  wir  in  die  Zeit  Joachim  Friedrichs 
zurück,  von  dem  nachzutragen  ist,  dass  er  neben  den  flblichen  Sorten 
seiner  Vorgängar  auch  berliner  Schillinge  und  Dop[)elschilliuge  und  auch 
grosse  lODukatenstücke,  sogenannte  Portugaloser  schlagen  Hess,  während 
sein  Nachfolger  Johann  Sigismund  ausser  den  üblichen  Sorten  und  grossen 
Goldstücken,  auch  eine  neue  Sorte  in  Berlin  aufbrachte,  nämlich  Drei- 
krenzerstficke.  Unter  diesem  Kurfürsten  war  aber  der  berliner  Betrieb 
schwächer,  da  er  noch  in  Driesen  eine  Nebenmünze  errichtet  hatte. 

Mit  dem  Kurfürsten  Georg  Wilhelm,  1619 — 164(>,  kommen  wir  in 
die  unglückselige  Kip[»er-  und  Wippei-zeit,  die  ich  kui-z  mit  dem  Hinweise 
charakterisieren  kann,  dass  man  allerorten  in  Deutscbland  geringhaltige 
Münzen  zu  schlagen  begann,  die  von  Tag  zu  Tage  schlechter  wurdeu,  und 
dass  das  alte  gutlialtige  Geld  aufgekauft  und  ausser  Landes  gebracht  wurde. 
Fürsten  nnd  Städte,  berechtigt  und  unberechtigt  zum  Münzenschinge, 
Hessen  schlechtes  Geld  herstellen,  mit  dem  alle  deutschen  Lande  iibor- 
schwemmt  wurdeu.  £$  war  eine  Zeit  allgemein  wirtschaftlichen  Nieder- 
gauges. 

Brandenburg  hat  sich  von  diesem  Geldunwesen  nicht  frei  gehalten. 
Auch  Georg  Wilhelm  Hess  grosse  Massen  schlecliten  Geldes  in  lierlin 
und  Crossen  herstellen.  Ihm  dient«*  duzu  in  Berlin,  bezw.  Cöln,  <ier 
Münzmeister  Liboiius  Müller  der  Jüngere  und  der  Wardeiu  Jacob  Stücke. 


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Dr.  Emil  Buhffeldt: 


Das  Unwesen  dauerte  sam  Glfiok  nur  von  1621 — 1623  und  man  kehrte 
dann  sn  den  guten  Münzen  sarflck.  Beamtet  an  der -Münze  warfen  da- 
mals die  Möuzmeister  Markus  Kocb,  Jakob  Pankert,  der  Eisensohneider 
Bergmann  and  die  Wardeine  Pfahler,  Elirlich  und  Xrdtscbel. 

Wie  viele  m&rkische  St&dte,  so  hat  auch  die  Stadt  Berlin  den 
Kipper-  nnd  Wipper-Unfug  mitgemacht  Wir  liatten  von  der  stadtischen 
Münze  seit  1546,  ans  welchem  Jahre  die  letzten  Pfenninge  mit  Bären- 
and  Adlerschild  stammen,  nichts  gehört.  1621  aber  erscheint  sie  anf 
dem  Platze.  Und  zwar  prägte  Berlin  allein  kleine  Knpferpfenninge  mit 
dem  Bären  and  ebenso  Göln  allein  mit  dem  cGlnischen  Adler,  aber  beide 
haben  anch  gemeinsam  Pfenninge  mit  Bär  und  Adler  aasgehen  lassen. 

Dies  ist  die  letzte  Präguug  der  Stadt  gewesen.  Fortab  haben  wir 
es  nur  noch  mit  der  landesherrlichen  Prägestätte  Berlin  zn  thnn. 

Mit  dem  Grossrn  Kurfüi-sttMi  beginnt,  wie  allgcMmiii  politiscli,  so 
auch  in  münzpolitisclier  Bozifhung  eine  weseutlichc  Andeiuug  in  den 
bnindenburgischen  Landen.  Ausser  Berlin  wurden  nach  uud  nach  in 
den  verschiedenen  Landesteilen  Münzstätten  errichtet,  die,  je  für  einen 
engeren  Bezirk  berechnet,  aiicli  meist  nur  die  Münzen,  nach  dem  dort 
üblichen  Fasse  lierstellten.  Aber,  l)leiben  wir  bei  Berlin.  Hier  behielt 
man  zunächst  den  bisliei  isou  Münzfuss  bei  und  prägte  grobe  .Silbersorten 
und  Gold.  Sclieiilt  inünze  wurde  garnicht  hergestellt.  Dadurch  machte 
sich  ein  Maugel  an  Kleingeld  im  Alltagsverkehre  geltend,  den  im  Jahre 
Kiön  der  Kurfürst  dadurch  zn  heben  suchte,  dass  er  die  Prägung  einer, 
wi(^  er  es  nannte,  „Kourant-  und  Handelsmüoze''  anordnete.  Dagegen 
wäre  an  sich  nichts  einzuwenden  gewesen,  wenn  nicht  die  Absicht  da- 
bei bestanden  hätte,  gleiehzdtig  anch  dareh  geringwertige  AnsmAnanng 
die  Kassen  des  Korffirsten  zn  füllen.  Es  Warden  2  nnd  1  Groschen,  6 
und  2  Pfenninge,  später  anch  3  und  1  Pfenninge  geschlagen,  die  sich 
aber  ihrer  Geringwertigkeit  halber  keiner  Beliebtheit  -erfreaten  nnd  die 
viele  Besdiwerden  der  Stände  hervorriefen.  Den  Betrieb  der  Münze 
leitete  Karl  Taaer  als  MOnzmeister  nnd  Wardein,  dann  Wilhelm  Otto 
nnd  schliesslich  Dr.  Adrian  Becker.  Die  Ansmfluzung  war  stark;  der 
Gewinn  des  KnrfQrsten  betrug  650  000  Thaler.  Allgemeine  Unsnfriedenlieit 
mit  diesen  Verhältnissen  veranlasste  das  Einstellen  dieser  Münzprägung 
im  Jahre  1661,  ja  die  Stände  wnssten  es  dnrchznsetzen,  dass  ihnen  der 
Karfürst  die  Aasübang  des  Münzregals  för  einige  Zeit  überliess,  eine  bei 
den  Regiernngsgrondsätzen  dieses  Herrn  überaus  anflfäUige  Erscheinang. 

Mit  dem  Jahre  1607,  mit  Einführung  des  zinnaischen  Münzfusses  (nach 
dem  Kloster  Zinna  bei  Jüterbog  so  benannt)  tritt  Brandenburg  in  das 
Zeichen  des  Guldens.  15 '/4  Gulden  giugen  auf  eine  feine  Mark.  Das 
sind  die  jetzt  noch  öfter  vorkommenden  Gnlden  oder  *,t  Thaler.  Aach 
gab  es  >;s  Thaler.   Solche  Sorten  haben  sieh  während  der  ganzen 


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Ffliifhiiiid«rt  und  fttnliiig  Jahre  Berliner  tffltugeeeliichte  1160—1700.  113 

Regienmg  des  Grossen  Kürfttrsten  und  seines  Nachfolgers,  erhalten. 
Nebenher  worden  natürlich  auch  Thaler  nnd  Gold  sowie  Scheidemfinzen 
geschlagen. 

Das  Jahr  1675  ist  für  die  brandenborgische  Geschichte  wichtig 
durch  die  siegreiche  Schlacht  bei  Fehrbellin.  Anf  diese  Gelegenheit  ist 
eine  Reihe  schöner  Stücke  entstanden,  wahrscheinUch  in  Berlin,  die 
aber  nicht  kursierendes  Geld  darstellen,  wenn  sie  ancb  thalerförmiges 
Aussehen  haben,  sondern  zu  den  Medaillen  rechnen. 

Die  Zeit  Friedrichs  nL,  des  letzten  brandenbnrgischen  Kurfürsten, 
ist  in  Bezug  auf  die  Münzverh&ltnisse  in  der  Mark  ziemlich  unwichtig, 
der  Münzbetrieb  bewegte  sich  in  beschränkten  Grenzen,  hauptsächlich 
wurden  Gulden  und  Halbgulden,  sehr  wenig  Thaler  und  Gold,  etwas 
Scfaeidemflnze  gepräg:t.  — 

Mit  diesem  Kurfürsten  schliessen  fünfhundertfün&ig  Jahre  Münz- 
geschichte unserer  Heimai  Eine  neue  Zeit  bricht  an  unter  den  Königen 
von  Preussen,  auch  in  geldgeschichtlicher  und  münzpolitischer  Beziehung; 
sie  fahrt,  wenn  auch  auf  wechselvollen  Schicksalswegen,  aufw&rts  zur 
Höhe  uns,  zur  heutigen  Bedeutung  und  heisserstrittener  Bfacht 


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T«tel  I. 


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